Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 12. Oktober 2009, 19.30 Uhr Rote Ampel für Grüne Gentechnik? Nutzen und Schaden neuer Pflanzensorten aus dem Genlabor Eine Sendung von Susanne Harmsen Take 1: Gabriel Man hat den Landwirten versprochen, ihr werdet also keine Probleme mehr haben, guten Absatz, eine bessere Qualität, das klingt alles sehr gut. In der Werbung, ich hab so was also auch gesehen, da kann man schon wirklich überzeugt sein, dass das eine tolle Geschichte ist, die man da mitmachen möchte. Take 2: Jung Landwirtschaft ist in den letzten tausend Jahren nie etwas anderes gewesen als Schädlingsbekämpfung, um der Kulturpflanze ein möglichst optimales Wachstum zu sichern, und wir sind in den letzten tausend Jahren auch ohne Gentechnik ausgekommen. Sprecher vom Dienst Rote Ampel für Grüne Gentechnik? Nutzen und Schaden neuer Pflanzensorten aus dem Genlabor Eine Sendung von Susanne Harmsen. Sprecherin Die Weltbevölkerung vermehrt sich täglich, aber die Anbauflächen für Nahrung schrumpfen, weil sich Wüsten ausbreiten. Die Züchtung ertragreicherer Pflanzen dauert Jahrzehnte. In dieser Situation kamen Forscher auf die Idee, Pflanzen künstlich nützliche Gene einzubauen, die zum Beispiel Eigenschaften von Bakterien an sie weitergeben. Diese Form der Gentechnik wird "grün" genannt, weil ihre Ergebnisse auf dem Acker wachsen. Einige dieser Genpflanzen werden auch in Deutschland angebaut. Im Frühjahr dieses Jahres aber entzog Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner dem genveränderten Mais MON 810 die Zulassung wegen Sicherheitsbedenken. Dagegen reichte der Hersteller Monsanto Klage ein. Andreas Thierfelder, Monsanto-Vertreter für den deutschsprachigen Raum: Take 3: Thierfelder Die nationale Zulassungsaufhebung muss sich laut Gesetz auf bestimmte Grundlagen stützen, nämlich, dass gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen müssen, die darauf schließen lassen, dass von diesem Produkt eine Gefahr ausgeht. Wir glauben, dass diese Grundlage nicht gegeben ist. Sprecherin Bei MON 810 handelt es sich um einen sogenannten Bt-Mais. Er produziert ein Insektengift, weil ihm das Gen eines Bodenbakteriums eingepflanzt wurde. Das tötet seinen Schädling, den Maiszünsler, die Raupen einer Schmetterlingsart. Es gibt aber wissenschaftliche Studien, die feststellen, dass der Mais auch nützliche Insekten wie Bienen sowie Spinnen und Regenwürmer schädigt. In Frankreich, Österreich, Luxemburg, Griechenland, Ungarn, Polen und der Schweiz ist MON 810 deshalb schon länger verboten. Wie wichtig Bienen für die Erträge sind, beschreibt der Vorsitzende der brandenburgischen Imker, Reiner Gabriel: Take 4: Gabriel Die Biene ist das einzige Insekt, was blütenstetig ist. Blütenstetig darf man so verstehen, dass sie immer wieder die gleiche Blütenart anfliegt. Es gibt natürlich auch andere Insekten, die Blüten bestäuben, das fängt von Ameisen an, geht über Fliegen, Hummeln, Wildinsekten, auch ganz wichtig, aber diese fliegen einmal hierhin und einmal dahin und, ich sag's mal ganz salopp, was soll eine Apfelblüte mit Veilchenpollen, das funktioniert also nicht. Diese Mehrfachbefruchtung ist ganz, ganz wichtig. Nehmen wir eine Apfelblüte, dann sehen wir, dass da ganz viele kleine Pollenstempel zu sehen sind und wenn die alle schön gleichmäßig befruchtet sind, dann ist das Obst auch gleichmäßig rund, es hat eine gute Form, es ist verkaufsfähig. Wenn wir eine verminderte Bestäubung haben, sind die Äpfel auf einer Seite eingefallen. Das heißt, der Obstbauer ist kaum in der Lage, dieses Obst letztendlich zu verkaufen. Er muss es zu Saft verarbeiten lassen, was für ihn natürlich bei gleichem Arbeitsaufwand doch nun einen geschmälerten Ertrag bringt, finanziell. Sprecherin: Auf Atmo Bienen Gab es zur DDR-Zeit noch 170.000 Bienenvölker in Brandenburg, sind es heute nur etwa 25.000. Das hängt mit fehlender staatlicher Förderung zusammen. Und immer wieder kommt es zu rätselhaftem Bienensterben, wegen eingeschleppter Milben, die die Völker befallen, wegen giftiger Pflanzenschutzmittel und vielleicht auch wegen gentechnisch veränderter Pflanzen. Daher fordern die Imker ein Verbot von Gentechnik auf dem Acker und von immer neuen Pflanzenschutzmitteln. Atmo weg Auf Atmo Autofahren Unterstützung bekommen sie darin auch von Bauern. Im Nordwesten Brandenburgs haben sich in diesem Jahr 54 Betriebe mit einer Fläche von 25 000 Hektar zur gentechnikfreien Zone erklärt. Die Prignitzer Landwirte halten gentechnisch veränderte Pflanzen schlicht für überflüssig. Einer von ihnen ist Reinhard Jung: Take 5: Jung Ich kann das gerne mal am Maiszünsler, um den es ja geht bei dem MON 810, erläutern. Sie haben eigentlich im professionellen Ackerbau drei Möglichkeiten, dieses Schädlings Herr zu werden. Zunächst ist das die Fruchtfolge, das heißt, dass auf dem gleichen Acker die Frucht gewechselt wird. Sagen wir, Sie haben den Maiszünsler im Maisbestand, wenn alles abgeerntet ist, im Frühjahr wacht er wieder auf und will wieder losfressen und findet dann ne andere Frucht vor und dann hat er ein Problem und verhungert. Das ist der erste, der einfachste Weg. Das nächste wäre, es gibt in Deutschland auch Gegenden, wo Mais nach Mais schon länger angebaut wird, wo das auch betriebswirtschaftlich die richtige Entscheidung ist. In den Regionen machen die Landwirte das so, dass sie einfach ne intensivere Bodenbearbeitung machen. Das heißt nach der Maisernte werden die Stoppeln zerkleinert, vor der nächsten Maisaussaat im Frühjahr gepflügt und mit dem Packer verdichtet, dann haben sie natürlich auch keinen Schädling mehr, der übrig bleibt. Und wenn sie alles falsch machen, was man im Ackerbau nur falsch machen kann, dann haben sie immer noch die Möglichkeit, dass sie mit der Spritze da rüber fahren. Sprecherin: (Auf Atmo Lennewitz) Abgesehen vom zweifelhaften Nutzen der Pflanzen aus dem Genlabor haben die Bauern noch einen wichtigeren Grund, ihr Saatgut nicht bei Monsanto, der Kleinwanzlebener Saatzucht, Bayer oder BASF zu kaufen. Die Kosten für die Veränderung der Pflanzen wollen die Firmen nämlich über Patentgebühren wieder hereinbekommen. Hat der Bauer bisher einfach einen Teil seiner Ernte aufgehoben, um im nächsten Jahr neu auszusäen, so ist ihm dies bei Gensamen verboten. Die Genforscher arbeiten sogar daran, Saatgut zu entwickeln, dessen Früchte nicht mehr keimfähig sind, um heimliche Neuaussaat unmöglich zu machen. Das weckte den Widerstand von Bauern nicht nur in der Prignitz, sondern auch anderswo in Deutschland. Atmo weg Reinhard Jung: Take 6: Jung Die Patente sind für uns das Entscheidende, warum wir die Gentechnik grundsätzlich ablehnen, weil aus unserer Sicht Lebewesen sich nicht patentieren lassen. Das ist Unrecht. Auch wenn die EU-Biopatenrichtlinie das zulässt, dann haben wir halt ein Unrechtssystem. Es geht bei der Gentechnik ganz grundsätzlich um die Frage, wem werden in Zukunft Pflanzen und Nutztiere gehören. Und es ist nur selbstverständlich, dass wir als Landwirte das Interesse haben, dass sie weiterhin in unserem Eigentum bleiben. Sprecherin Das Erbgut einer Pflanze besteht aus zehntausend Genen und mehr. Durch Veränderung eines Gens sichern sich große Konzerne wie Monsanto das Recht auf die gesamte Pflanze. Obwohl all ihre anderen Eigenschaften, wie hoher Ertrag, in jahrhundertelanger Arbeit von vielen Bauern und Züchtern erst entwickelt wurden. Monsanto-Verteter Andreas Thierfelder hält Gentechnik dennoch für unverzichtbar für die Welternährung: Take 7: Thierfelder Wenn sie sich anschauen, vor welche Herausforderungen die Landwirtschaft und die Menschheit gestellt wird, in Anbetracht des Bevölkerungswachstums einfach nur geschätzt bis 2050, dann sehen sie allein anhand des Bevölkerungswachstums, dass sie innerhalb der nächsten 40 Jahre ungefähr die Nahrungsmittelproduktion verdoppeln müssen. Das bringt Sie sehr schnell in die Kalkulation hinein, dass Sie Ertragszuwächse, wie sie die klassische Züchtung vorhält von einem Prozent, nicht ausreichen wird. Das heißt hier sind andere weitere Innovationsschübe, jetzt einmal nur auf die Züchtung fokussiert, nötig, um Ertragszuwächse von mindestens zwei, drei oder vier Prozent zu gewährleisten. Hier glauben wir, dass eine Kombination aus klassischer Züchtung, molekularer Züchtung, zusätzlich das Tool die grüne Gentechnik, also Gentransfer, Innovationen in die Hände der Züchter legt, die Züchter in die Lage versetzen, diese Ertragszusätze, die gefordert werden, auch zu erbringen. Sprecherin Eben diese Versprechen sehen Kritiker sich nicht erfüllen, obwohl seit zwanzig Jahren Genpflanzen entwickelt und angebaut werden. Felix Prinz zu Löwenstein vom Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft: Take 8: Löwenstein Die Gentechnikindustrie verspricht seit Jahrzehnten, Pflanzen auf den Markt bringen zu wollen, die die großen Probleme dieser Welt lösen. Resistenz gegen Dürre, gegen Kälte, größere Erträge, all diese Dinge. Es gibt heute nicht eine einzige gentechnisch veränderte Pflanze, die solche Eigenschaften aufweisen würde. Weder hier in Europa, noch dort, wo man sehr großzügig mit der Gentechnik umgeht, also in Amerika. Sie dürfen nicht vergessen, heute schon gehören zwei Drittel aller Saatgutfirmen weltweit zehn Konzernen. Es geht bei der Gentechnik darum, über Patente zu sichern, dass der Bauer in seiner Entscheidung, Saatgut zu kaufen oder nicht zu kaufen, dass er diese Entscheidung nicht mehr hat. Sprecherin Es sieht so aus, als hinge alles nur von den Genehmigungsbehörden ab und vom Bauern, der entscheidet, ob er diese genveränderten Organismen auf sein Feld und in seinen Stall holt. Doch so einfach ist die Entscheidung längst nicht mehr. In diesem Jahr fanden Umweltschützer bei Stichproben auf Feldern in Baden-Württemberg Spuren der gentechnisch veränderten Maissorten NK 603 sowie MON 810, beide in Deutschland nicht zugelassen. Wie sich herausstellte, war das Saatgut verunreinigt und die Bauer hatten unwissentlich die illegalen Sorten ausgebracht. Schon bei 0,1 Prozent Verunreinigung wachsen pro Hektar aber 100 Genmaispflanzen heran. Will Monsanto jetzt Patentgebühren? Andreas Thierfelder von Monsanto beruhigt: Take 9: Thierfelder Monsanto richtet keine Patentansprüche, keine Lizenzansprüche an Landwirte, wo diese Vermischung zufällig passiert. Sondern unsere Lizenzansprüche richten sich nur an solche Landwirte, die bewusst diese Patente missachten und wenn Sie so wollen Raubkopien anfertigen, um sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Mitkonkurrenten, ihren Nachbarlandwirten zu verschaffen, die für die Nutzung patentierter, gentechnisch veränderten Pflanzen Lizenzgebühren zahlen. Sprecherin Das stimmt so pauschal nicht. Im Falle anderer Genpflanzensorten verklagte Monsanto Bauern, weil sie angeblich illegal Saatgut des Konzerns benutzt hatten. Dabei ging es um Pflanzen, die unempfindlich sind gegen Roundup, ein Herbizid derselben Firma. Das heißt, der Landwirt kann seine Felder jederzeit mit dem Unkrautvernichtungsmittel besprühen, seine Kulturpflanzen wachsen trotzdem weiter. Percy Schmeiser, ein kanadischer Farmer, wurde von Monsanto auf eine Million Dollar verklagt. Er war ein Opfer ungewollter Verbreitung der Gensaat von seinen Nachbarn. Wenn im Frühjahr die Rapsblüten goldgelb die Äcker bedecken, fliegen die Pollen kilometerweit. Insekten tragen sie von Pflanze zu Pflanze, auf Transporten und in Mühlen gehen Samen verloren und säen sich selbst wieder aus. Sein über Generationen gehegtes Saatgut ist unwiederbringlich mit Gensaat vermischt. Und das ist nicht nur beim Raps so. Percy Schmeiser: Take 10 Schmeiser Übersetzung Sprecher v. Dienst Es gab vier genveränderte Pflanzen, die seit 1996 eingesetzt wurden. Und das waren Mais, Baumwolle, Sojabohnen und bei uns in Kanada speziell Raps. Und heute haben wir überhaupt keine reine Rapssaat mehr in Kanada, überall ist genveränderter Raps dabei und mit Soja ist es dasselbe. Ich benutze mal das Beispiel Raps. Die Genmanipulation betrifft nicht nur die Pflanzenart, in die sie ursprünglich eingefügt wurde, sie beeinflusst auch viele andere. So stammt Raps aus der Familie der Kreuzblütengewächse, zu der auch Radieschen, Rüben, Brokkoli und andere gehören. Und durch das Auskreuzen gehen die Genveränderungen auch auf diese Pflanzenarten über und so gibt es immer mehr Pflanzen, die Biobauern in Nordamerika gar nicht mehr anbauen können. Sprecherin Nordamerikanische Farmer haben inzwischen keine Wahl mehr. Nicht nur, dass die Saatgutfirmen von Monsanto aufgekauft wurden und nur noch diese Produkte führen, die Genpflanzen sind längst überall, also muss jeder Patentgebühren zahlen. Und der angekündigte wirtschaftliche Nutzen blieb weitgehend aus, beschreibt der Gentechexperte Christoph Then: Take 11: Then Also man kann sagen, in den USA ist der Preis gestiegen um ein vielfaches in den letzten Jahren. Also zum Beispiel für Mais, Soja und Baumwolle, wo viel Gentechnik angebaut wird, ist der Preis für Saatgut sechsfach, zwölffach verteuert. Und die Erträge sind wesentlich hinter der Preisentwicklung zurückgeblieben. Bei Mais ist es zum Beispiel so, der produziert ein Insektengift. Da sollten eigentlich Spritzmittel eingespart werde. Die Statistiken sagen nein, ist nicht, und auch der Preis ist nicht zurückgegangen für die Spritzmittel. Das heißt letztendlich zahlt der Landwirt beim Maisanbau auch in den USA eigentlich drauf, ja. Sprecherin Neben den Mehrkosten für die Gebühren an Monsanto brechen die Gewinne der Bauern in Nordamerika auch ein, weil sie Ernteausfälle haben. Wie immer in der Natur passen sich die Schädlinge an. Da in großen Regionen nur noch ein Pflanzenschutzmittel verwendet wird, nämlich Roundup von Monsanto, sind die Unkräuter immun geworden und breiten sich ungehindert aus. Und auch Insekten werden immun. Deshalb sind genveränderte Pflanzen auf lange Sicht nicht widerstandsfähiger als andere Züchtungen, gibt auch Andreas Thierfelder von Monsanto zu: Take 12: Thierfelder Wenn eine solche Kulturpflanze angebaut wird, die schädlingsresistent ist, dann übt sie natürlich auf den Schädling einen Auslesedruck aus. Und es werden sich über die Zeitdauer aufgrund der Evolution dann auch solche Schädlingspopulationen entwickeln, die in der Lage sind, diese Resistenz zu brechen. Genau so verhält sich das auch bei der Herbizidresistenz. Sprecherin Nach den Erfahrungen der letzten zehn Jahre beginnt auch im technikgläubigen Nordamerika ein Umdenken. Der Oberste Gerichtshof Kanadas sprach Percy Schmeiser nach achtjährigem Kampf von den Millionenforderungen Monsantos frei. Die Begründung: Er habe durch die unbeabsichtigte Verseuchung mit Monsantos Genraps nur Schäden erlitten. Und für die nächsten Genpflanzen, Weizen, Reis, Flachs und Luzerne, gab es in Kanada keine Zulassung mehr. Auf Atmo Demo gegen Gen In Europa wollen drei Viertel aller Einwohner keine gentechnisch veränderten Pflanzen in ihrer Nahrung haben. Und dieses Votum äußern sie auch auf der Straße. Vor einem Monat protestierten Demonstranten in Berlin gegen den weiteren Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland. Und im Sommer marschierten 3.400 Menschen von Berlin nach Brüssel unter dem Motto "Gehen gegen Gen". Während der Wanderung sammelten sie 35.000 Unterschriften für eine gentechnikfreie Landwirtschaft. Regie: Atmo weg Trotz der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung hat die EU-Zulassungsbehörde bisher alle gentechnisch veränderten Pflanzen genehmigt. Martin Häusling, Abgeordneter der Grünen im Europaparlament: Take 13: Häusling Wir beklagen ja seit langem, dass die Europäische Zulassungsbehörde im Grunde nicht neutral ist. Wenn in Europa ein Saatgut zugelassen ist, dann muss es in allen Ländern halt auch genehmigt werden. Das hat die Kommission immer wieder versucht, durchzudrücken. Und als erstes hat sich ja Österreich dagegen gewehrt. Und Deutschland ist dem ja jetzt gefolgt mit dem Verbot von MON 810 aus begründeten sicherheitspolitischen Bedenken. Und damit ist die Kommission mit ihrer Politik eigentlich ziemlich gescheitert. Jetzt gibt es Überlegungen, die dahin gehen, dass die einzelnen Länder in der Europäischen Union selber darüber bestimmen können, ob sie Gentechnik zulassen oder nicht. Sprecherin Ganz so einfach ist es aber nicht, denn die Welthandelsorganisation WTO hat nach Klagen der USA und Argentiniens diese Praxis als einen regelwidrigen Verstoß der EU gegen ihre Zulassungsbestimmungen verurteilt. Schließlich ist Europa Teil des Welthandels und Länder wie die USA und Argentinien wollen ihr Gensoja und andere Produkte weiter in Europa verkaufen. Auch Monsanto will die Zulassung wieder durchdrücken. Andreas Thierfelder: Take 14: Thierfelder Viel wichtiger ist die Auswirkung der Rechtsunsicherheit für Biotechnologieunternehmen wie unseres, aber auch eine Reihe anderer Unternehmen, Rechtsunsicherheit für die Pflanzenzüchtung, für die Landwirte als unmittelbar profitierende Geschäftspartner in diesem Umfeld. Aber auch Rechtsunsicherheit für die Forschung, die in Deutschland auf der Grundlage gentechnisch veränderter Pflanzen Erkenntnisgewinn betreibt. Sprecherin Für unsicher halten Gentechnik-Kritiker den ganzen Zulassungsprozess. Sie sagen, in erster Linie werde den Angaben der Antragsteller vertraut. Eine unabhängige Überprüfung der Unbedenklichkeit genveränderter Organismen gebe es kaum, beklagt Sachverständiger Christoph Then: Take 15: Then Das was momentan geprüft wird, ist wissenschaftlich eigentlich nicht tragbar. Es wird nicht wirklich auf Risiken geprüft. Es gibt keine einheitlichen Standards. Die Pflanzen werden mit völlig unterschiedlichen Versuchsprotokollen zugelassen. Einmal wird der Mais zwei Wochen an Kühe verfüttert, wird geguckt, geben die Kühe noch Milch, ein andermal drei Wochen an Ratten und das Blutbild der Ratten wird untersucht. Es müssen klare Kriterien formuliert werden: Was muss untersucht werden? Das, was im Moment passiert, ist ein Lotteriespiel und hat mit der Zulassung, wie sie bei den Pestiziden passiert oder bei den Arzneimitteln, nichts zu tun. Sprecherin Gesundheitsrisiken sind bislang eher zufällig entdeckt worden. So soll das Herbizid Roundup Wasserorganismen schädigen und über das Wasser menschliche Embryonen. Vorwürfe, die Monsanto zurückweist. Andreas Thierfelder: Take 16: Thierfelder Halten wir für wenig stichhaltig. Und darüber hinaus ist festzustellen, dass Tierversuche, so sie denn stichhaltige Aussagen treffen sollen, in Hinblick auf die Sicherheit von Produkten, nach festgelegten, transparenten Versuchsprotokollen durchgeführt werden sollten und müssen. Nur das gewährleistet dann die Vergleichbarkeit verschiedener Studien. Und alle die Studien, die diesen Grundsatz befolgen und berücksichtigen, zeigen, dass von gentechnisch veränderten Pflanzen eben keine gesundheitlich negativen Auswirkungen zu erwarten sind. Sprecherin Kritiker sammeln die Ergebnisse anderer Studien und sehen erhebliche Risiken. Sachverständiger Christoph Then: Take 17: Then Man hat also Gene aus der Bohne in die Erbse eingebaut und man hat nie was festgestellt, bis man die Erbsen an Mäuse verfüttert hat, und spezielle immunologische Untersuchungen gemacht hat. Und da hat man festgestellt, diese Erbsen sind hochgefährlich, lösen zum Beispiel Immunreaktionen in der Lunge aus, die lebensgefährlich sind, und erst dann hat man die Erbsen gestoppt, die waren schon kurz vor der Marktzulassung. Dann hat man es gestoppt aufgrund von Untersuchungen, die sonst gar nicht üblich sind. Und die Veränderungen von den Immuneigenschaften der Erbse, die waren nicht vorhersagbar. Also das ist einfach unvorstellbar, dass man so ein Risiko eingeht. Auf Atmo Supermarkt (mit Kasse) Sprecherin In deutschen Lebensmittelregalen finden sich offiziell keine gentechnisch veränderten Produkte. Allerdings essen wir Eier, Fisch, Fleisch und Käse von Tieren, die Genfutter in den Trögen hatten. Dafür gibt es keine Kennzeichnung. Aber im Labor gelang der Nachweis, dass sich Genabschnitte des Futters zum Beispiel in der Milch der Kühe wiederfinden. Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner stellte vor zwei Monaten ein neues Label vor, das tierische Produkte kennzeichnet, für die keine Genpflanzen verfüttert wurden. Doch die Wahlfreiheit für den Verbraucher verschwindet, wenn Genpflanzen sich unkontrolliert ausbreiten. So fanden Anfang September Freiburger Lebensmittelprüfer in zahlreichen Läden Produkte mit Spuren von genmanipulierter Leinsaat, die in der EU nicht zugelassen ist. Sie kommt aus Kanada, wo ihr Anbau aber seit 2001 auch verboten ist. Das unterstützt die These der Umweltschützer, dass grüne Gentechnik nicht wirklich kontrollierbar ist. Martin Häusling, grüner Abgeordneter im Europaparlament: Take 18: Häusling Ich glaube, es ist in den letzten Jahren klargeworden, dass die Grundlage der europäischen Freisetzungspolitik, dass man davon ausging, es könnte eine Koexistenz geben, dass das nicht haltbar ist. Wir können halt nicht Gentechnik betreiben, biologischen Landbau und konventionelle Landwirtschaft auf ein und derselben doch eng begrenzten landwirtschaftlichen Fläche. Da hat sich gezeigt, dass das nicht machbar ist. Und dazu kommt, dass in den letzten Jahren doch deutlich geworden ist, auch beim MON 810, dass die Befürchtung, dass es doch zu Belastungen für die Umwelt kommen kann, größer geworden sind und dass es dafür auch belastbare Studien gibt. Dass das Umweltrisiko von Gentechnik nicht eindeutig einzugrenzen ist. Sprecherin Andere Gentechnik-Kritiker sehen in verunreinigtem Saatgut und immer wieder vorkommenden Lebensmittelskandalen keinen Zufall. So wurden in den vergangenen drei Jahren Versuchsfelder für gentechnisch veränderte Pflanzen genau dort genehmigt und angelegt, wo die Saatgutbanken der jeweiligen Pflanzen liegen. Saatgutbanken lagern und vermehren Samen wichtiger Kulturpflanzen, um Reserven für die Züchtung zu haben, wenn sich Umweltbedingungen ändern oder Schädlinge vermehren. Bei Gatersleben, wo Hülsenfrüchte und Getreide gehegt werden, legten Gentechniker ein Erbsen- und ein Weizenfeld an. Nahe der Kartoffelsaatgutbank in Groß-Lüsewitz wurden Gen-Kartoffeln getestet, neben der Ölpflanzenbank in Malchow Gen-Raps. Und in Dresden-Pillnitz, wo alte Obstsorten geschützt werden sollen, startete man den ersten Versuch mit gentechnisch veränderten Äpfeln. Für den Kritiker Jörg Bergstedt hat dies Methode: Take 19: Bergstedt Überall wo die Saatgutbanken sind, werden die dazu passenden Genfelder genau daneben angelegt. Und zwar immer unter Beteiligung der Bundesfachanstalten. Die wollen das Ende der Gentechnikfreiheit. Die wollen, dass die Debatte beendet ist, indem sie zielgerichtet herbeiführen, dass alles verseucht ist. Es wird häufig suggeriert, dass man durch die Kaufentscheidung am Regal die Gentechnik verhindern kann. Ich finde es super, wenn sich Leute am Regal bewusst entscheiden, aber die Gentechnik verhindert man damit nicht. Die Gentechnik ist so auskreuzungsintensiv, dass wir sie nur verhindern, wenn wir die Felder verhindern. Sprecherin Gemäß dieser Überzeugung zerstören Gentechnikgegner immer wieder solche Versuchsfelder. Dagegen gehen Konzerne und Forschungsinstitute mit aller Schärfe vor und die Justiz unterstützt sie zunehmend. Nachdem bislang für solche "Feldbefreiungen" nur geringe Geldstrafen verhängt wurden, gab es in diesem Jahr die ersten Gefängnisstrafen ohne Bewährung und Geldstrafen von 100.000 Euro. Letztere droht zum Beispiel Christian Pratz und seinen Freunden, die 2008 Genweizen ausrissen: Take 20: Pratz Es gibt mehrere gute Gründe, warum der Versuch mit dem gentechnisch veränderten Weizen beendet werden musste. Also einer ist sicher, dass in unmittelbarer Nähe diese Genbank war von Gatersleben, und dass die Bestände dort gefährdet wurden durch den Versuch. Und in dem Prozess haben wir so argumentiert, dass da ein Notstand geherrscht hat, dass da eben alle anderen Reglementierungsstellen, die da eigentlich hätten eingreifen müssen, das nicht gemacht haben und deswegen wir dazu genötigt wurden. Sprecherin Als Landwirtschaftsstudent weiß Christian Pratz, dass selbst die Versuchsfelder nicht ohne Folgen bleiben für die Bauern. Gerade wer Bio-Produkte anbauen und verkaufen will, ist von Gentechnik direkt bedroht. Thomas Dosch, Geschäftsführer von Bioland: Take 21: Dosch Allerdings ist es so, dass die Gentechnik jetzt schon enorme Kosten verursacht, nämlich die Kosten der Vorsorge. Allein schon die Tatsache, dass die Gefahr besteht, dass Lebensmittel verunreinigt werden, zieht nach sich, dass wir Ware analysieren müssen, dass wir Warenströme anders organisieren müssen, in Mühlen beispielsweise müssen wir sicherstellen, dass nicht Stäube von anderen gentechnisch verunreinigten Produkte da reinkommen, das heißt wir müssen hier noch stärker abtrennen von konventioneller Lebensmittelproduktion. Und das macht Bioprodukte teurer, aber nicht die Gentechnikprodukte, wie es eigentlich sein sollte. Sprecherin Auch der Profi-Biobauer glaubt nicht an Zufälle, wenn Genfelder direkt neben Saatgutbanken angelegt werden und in Deutschland unkontrolliert verunreinigtes Saatgut auf den Äckern wächst. Thomas Dosch: Take 22: Dosch Ich sehe das so, dass es eine unsägliche Allianz gibt von Teilen der Wissenschaft mit der Industrie, auch von Versuchsanstalten, die zielen darauf ab, dass letztendlich überall gentechnisch veränderte Organismen vorkommen, sie wollen verhindern, dass die Menschen überhaupt noch eine Wahlfreiheit haben. Und es gibt auch keine Koexistenz. Wo Gentechnik angebaut wird, kommt es zu Vermischungen. Wenn also eines Tages alles kontaminiert sein wird, dann kann sich die Industrie freuen, weil sich niemand mehr hinstellen kann und gentechnikfreie Ware anbieten. Man will also Wahlfreiheit abschaffen, damit es für die Gentechnikindustrie billiger wird auf Kosten der Verbraucher und auch der Biobauern. Sprecherin Inzwischen gibt es auch gegenläufige Tendenzen in der Zucht. Schneller Fortschritt ist auch möglich, ohne artfremde Gene mit unsicheren Auswirkungen in Pflanzen einzuschleusen, beschreibt der Sachverständige Christoph Then: Take 23: Then Es gibt ganz große Erfolge in konventioneller Züchtung, weil man einfach die Auswahlverfahren beschleunigt hat. Man hat mit Hilfe von Gendiagnose in den Pflanzen bestimmte wirtschaftlich interessante Gene gefunden. Konnte dadurch die Auswahl beschleunigen und hat dadurch die Gentechnik überholt, ja. Da gibt's inzwischen in Afrika vierzig Sorten von Mais, die hitzeresistent sind und da sieht man einfach, die natürliche, biologische Vielfalt hatte viel mehr zu bieten. Das sehen auch die großen Saatgutbanken, die weltweit ein Netzwerk haben und mit der Welternährungsorganisation zusammenarbeiten. Die setzen eher jetzt auf konventionelle Züchtung, weil das aus Sicht der Entwicklungsländer die interessanteren Produkte sind. Sprecherin Aus den Erfahrungen der Farmer in den USA und Kanada lernen immer mehr deutsche Bauern. Inzwischen gibt es fast 200 gentechnikfreie Zonen in der Bundesrepublik. In den Bündnissen vereinigen sich 30.000 Bauern, die eine Million Hektar Land bewirtschaften. Reinhard Jung aus Lennewitz in Brandenburg: Take 24: Jung Wir wollen als Landwirte Herr über unsere Tiere und Pflanzen bleiben und freie Unternehmer bleiben deswegen möchten wir überhaupt nicht, dass man mit der Sache anfängt bei uns in Deutschland. Sprecherin Bei den Umweltverbänden setzt man zudem auf die Hausmacht der Verbraucher, die mit ihrer gentechnik-kritischen Haltung Handel und Hersteller beeinflussen. Deshalb hofft der Europaabgeordnete der Grünen, dass die Versuche der Gentechnikindustrie, sich grenzenlos auszubreiten, scheitern. Martin Häusling. Take 25: Häusling ISolange die Verbraucher kritische Distanz wahren zur Gentechnik, und solange auch das politische Umfeld ne kritische Distanz hat zur Gentechnik, werden diese Bemühungen nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Sprecher vom Dienst Rote Ampel für Grüne Gentechnik? Nutzen und Schaden neuer Pflanzensorten aus dem Genlabor Eine Sendung von Susanne Harmsen Es sprach: Eva Kryll Ton: Christiane Neumann Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 5