COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Seiltanz mit Diabolo Die Zirkuskünste erobern die Sporthallen Autorin: Silvia Plahl DeutschlandradioKultur Nachspiel/ Redaktion Jörg Degenhardt 12.12.2010 Atmo 1 Action vor der Vorführung im Zelt Take 1: Mädchen und Jungen Länge: 0'17 Wir machen Trapez, Akrobatik, Trampolin, Stelzen und noch mehr. Wir haben das alles hier gelernt. Und ich mach Jonglieren und Akrobatik. Ich mach Jonglieren und Trampolin. Wir haben Sachen an! Jackett, Hemd, Krawatte, Hut, Hose... Sprecherin: Mädchen und Jungen aus der fünften Klasse treten gleich im Zirkus auf. Take 2: Mädchen Länge: 0'20 Ich bin 10 Jahre alt und Trapez, man muss sich da versuchen, runterzubaumeln und das ist schon schwierig, also man muss sich überwinden. - Wenn man zum Beispiel Höhenangst hat, ist das schwierig. - Aber ich hab mich jetzt überwunden. Ich hab einfach nicht dran gedacht, dass es so hoch ist. Es ist schön, da oben zu hängen und so. Da kann man überall auch hinkucken. Schöne Musik! lachen Atmo 2 Musik weiter unterlegen und kreuzen mit Atmo 3 Sprecherin: Es ist Freitagvormittag. Mitschüler, Lehrer und Eltern strömen in das rot-gelbe Zelt des Zirkus SHAKE am Berliner Ostbahnhof. Hinter dem Manegenvorhang steigt das Lampenfieber der Artisten. Vier Tage lang haben sie für diese Vorstellung gearbeitet. Sie haben am Trapez, auf Laufkugeln und mit den Stelzen geübt. Die einen lernten Jonglieren, die anderen den Salto. 10- und 11jährige Jungen und Mädchen bauten Masken und Requisiten für ihre Show, sie wählten Kostüme aus und überlegten sich ein Lichtdesign. Ihre Lehrerin ist von dieser Arbeitswoche beeindruckt. Take 3: Lehrerin Länge: 0'20 Da kommt sehr viel Gutes zusammen. Das tut den Kindern sehr gut. Das sehe ich daran, dass sie sich Dinge zutrauen, von denen ich persönlich nicht bei jedem Kind geglaubt hätte, dass sie das auch wirklich mal machen. Auf ein Seil gehen, und da auch noch entlang laufen. Auf den großen Bällen balancieren. Atmo 3 Musik melodisch poppig mit Applaus dazwischen, unterlegen L: 1'22 Sprecherin: Die Vorstellung beginnt. Alle Kinder treten mehrmals auf. Die Mädchen schreiten in Schwarz mit bunten Bänderröcken über ein Drahtseil, sie steigen dabei durch Reifen und helfen sich gegenseitig. Die Jungen zeigen Breakdance und Bodenakrobatik zu brummenden Rhythmen. Gemeinsam bilden die tau-frischen Artisten hohe Pyramiden und präsentieren ein eigenes Schattentheater. Diese Zirkus-Projektwoche hat zwei rivalisierende fünfte Klassen ganz offensichtlich zusammen geschweißt. Die Jungen und Mädchen besuchen die Berliner Bernhard-Grzimek-Grundschule - ihre Schulleiterin Marielle Rosemeier sieht diesmal schon die siebte oder achte Zirkusshow. Für solche Projekte setzt sie sich ein. Take 4: Schulleiterin Länge: 0'12 Wir wollen ja einen Zusammenhalt haben und versprechen uns da auch von einzelnen Kindern noch mal ne Leistungssteigerung. Der Erfolg, die Gemeinschaft, das ist das, was wir für die moderne Erziehung brauchen. Musik 1 Sprecherin: Jonglieren, Balancieren, Akrobatik, Einradfahren, Schaukeln und Schwingen. Diese Künste verbinden wir seit jeher mit der Zauberwelt des Zirkus. Eine wundersame Aura der Leichtigkeit und Eleganz umgibt die artistischen Kunststücke beim Bau von Menschenpyramiden, auf dem Seil oder auf dem Trampolin. Wer an einer Stange durch die Lüfte schwebt, fesselt das Publikum. Wer ein Diabolo von der Handschnur in die Höhe wirft und mit der Schnur wieder auffängt, erntet bewundernden Applaus. Die Zuschauer fiebern mit und klatschen lebhaft Beifall. Längst werden aber diese so genannten zirzensischen Spielformen nicht mehr nur bestaunt, sondern selbst erprobt. Vor allem Kinder lernen mit Begeisterung eine Kaskade mit Bällen zu werfen oder kopfüber am Trapez zu hängen. Diese Faszination versuchen Pädagogen zu nutzen. Denn Zirkus- oder auch Bewegungskünste vereinen auf einfache Weise den Zauber, das Spiel, die Herausforderung und die Weiterentwicklung in sich. Take 5: Gerling Länge: 0'09 Es gibt ein neues Spektrum an Bewegungsmöglichkeiten für die Kinder, wenn sie die zirzensischen Elemente und Richtungen kennen lernen. (oben) Sprecherin: Ilona Gerling von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Sie arbeitet am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaften und unterrichtet Geräteturnen, war lange Zeit auch Bundesfachwartin beim Deutschen Turnerbund. Inzwischen ist Ilona Gerling auch verantwortlich für Akrobatik. Take 6: Gerling Länge: 0'13 Was unser Seilspringen oder Hüpfekästchen, das was es früher draußen einmal war, das ist heute das Einradfahren, das ist das sich Jonglieren beibringen. Damit jedes Kind irgendetwas für sich findet, wo es dran bleibt, dass es auch im Alltag sich bewegt. Sprecherin: Die Zirkus- und Bewegungskünste als eine Art körperliche Grundausbildung. Die Motorik, die Koordination, die Konzentration werden trainiert. Darüber hinaus, so die Sportwissenschaftlerin Gerling, schult zum Beispiel die Akrobatik wie kaum eine andere Bewegungsform die Körperspannung. Körperspannung bedeutet, die Gelenke in einer bestimmten, gewünschten Position, fixiert zu halten. Auch wenn Kräfte von außen wirken. Take 7: Gerling Länge: 0'31 Balance ist ein anderes Stichwort. Die Gleichgewichtsfähigkeit ist fundamental für jede Bewegungssicherheit. Das heißt, alles, was ich im Leben mache, hängt davon ab, wie gut meine Gleichgewichtsfähigkeit ist. Die Gleichgewichtsfähigkeit ist: auf einem Bein stehen. Was aber schwieriger ist, auf einer schwankenden Unterstützungsfläche zu stehen. Und damit ist es eine höhere Anforderung und eine intensivere Schulung dieser grundsätzlichen koordinativen Fähigkeit, die ich für meine Bewegungssicherheit brauche. Sprecherin: Das Wackeln und Schwanken auf der Rola-Bola, einem Brett auf einer hohlen Rolle. Oder das Fuß fassen, Haltung zeigen und Laufen lernen auf der Slackline, der so genannten "schlappen Leine". Ein Gurtband, das neuerdings in vielen Parks zu sehen ist, gespannt zwischen zwei Bäumen. Auch die Slackline ist eine moderne Form, Körperspannung und Gleichgewicht zu testen, zu trainieren, zu schulen. Solche neuen Bewegungsmöglichkeiten, erklärt Ilona Gerling, eignen sich Kinder über Versuch und Irrtum an. Take 8: Gerling Länge: 0'32 All diese Dinge sind nicht sofort erlernbar. Weil sie eine Reaktion, eine Ausweichreaktion machen. Die bei dem Untergrund eine andere Reaktion als erwartet auslösen. Und darauf müssen sie sich neu einstellen. Dass man anders handeln muss, als man spontan es machen würde. (Und das ist natürlich für die ganze Körperbeherrschung eine ganz große Erfahrung, dass ich mich auf Umweltbedingungen - in diesem Fall ist es mein schwankender Untergrund - einstelle und mein Körperverhalten drauf einstelle.) Musik 2 Zitator Bewegungskünste können als schwierige, prinzipiell offene und "schöne" Bewegungen bestimmt werden. Schwierig in dem Sinne, dass man etwas Besonderes können muss. Offen in dem Sinn, mit den Regeln einer Kunst kreativ umzugehen. Und schön in dem Sinn, dass von den Bewegungskünsten eine Anmutung auszugehen vermag, die sowohl die Zuschauer wie die Akteure in ihren Bann zu ziehen vermag. Sprecherin: Ein Zitat der Frankfurter Sportwissenschaftlerin Ingrid Bähr. Sie schreibt in der Fachzeitschrift "Sportpädagogik" über das erzieherische Potenzial der Bewegungskünste. Im Zentrum steht dabei, dass sich ein Kind eine solche Kunst selbstbestimmt aneignet, vervollkommnet und verändert. Es wählt eine Bewegungskunst aus und beginnt damit, sich selbst subjektiv schwierige, aber lösbare Aufgaben zu stellen. Das heißt, es hat bereits sein Können realistisch eingeschätzt und lernt jetzt, mit den Grenzen des eigenen Könnens konstruktiv umzugehen. Dazu muss es nun individuell, ausdauernd und konzentriert üben. Entweder, weil es vor Publikum ein kleines Kunststück zeigen möchte... Zitator Ist das Üben aber ... durch die Freude an der Bewegung selbst... motiviert, wird auch dem Prozess des Übens ein erzieherischer Eigenwert zugeschrieben. Denn dann geschieht es ...als ungezwungenes, leistungsbereites, sachbezogenes Streben zum Können, bei dem der Übende sich ganz und gar der Bewältigung der Aufgabe überlässt und seine Bewegungskunst immer weiter verbessert, verfeinert, variiert. Eine derartige selbstvergessene Hingabe an die Sache, ein zielgerichtetes Streben ohne inneren und äußeren Zwang wird als wichtiges Moment der Persönlichkeitsbildung gesehen. Sprecherin: Auch können, so Ingrid Bähr, die Bewegungskünste der Angstlust eines Kindes entgegen kommen. Es lernt, mit seinem Bedürfnis nach Spannung, Grenzerleben oder einem Versinken in sich selbst umzugehen. Die Künste regen laufend zu einer neuen Selbstüberschreitung an. Jonglierteller oder eine Laufkugel fordern dazu auf, etwas Neues auszuprobieren - oder aber auch selbst neue Bewegungsformen zu entwickeln. Und zu präsentieren. Zitator Beim Aufführen bzw. Inszenieren weist der Künstler über seine Person hinaus, nimmt die Rolle des tollpatschigen Jongleurs, der Straßenkämpferin beim Bühnenkampf, des Fabelwesens am Trapez an. Musik 2 Ende Take 9: Alex Länge: 0'11 Herzlich willkommen bei Lilalu. ...Wir werden Sie für eine Stunde in das Land der Fantasie entführen. Elfen, Kobolde, Feen und auch andere Fantasiewesen werden Sie in dieser Stunde kennen lernen Sprecherin: Alex, 9 Jahre alt. Sie ist Sprechstallmeisterin und führt im Zirkus Krone durchs Programm - wenn dort das Münchner Kinderprojekt Lilalu auftritt. Anna Seliger ist die Leiterin von Lilalu. Take 10: Seliger Länge: 0'08 Wir bieten die gesamte Palette, von Akrobatik über Breakdance, HipHop über Stunt, über Theater, Zauberei, ... Take 11: Alex Länge: 0'07 Wer Pyramidenbauer werden will, muss früh anfangen. Und zwar nicht in Ägypten. Die Akrobatik eins will's euch auch zeigen. Take 12: Seliger Länge: 0'10 Die Kinder lernen durch Bewegung, durch Tanz, durch die Auseinandersetzung mit ihrer Person - lernen sie, mit sich umzugehen, lernen auch, ihr eigenes Potential sinnvoll zu steuern. Take 13: vier Mädchen Länge:0'31 Zum Beispiel Pyramiden, also stellt sich aufeinander. Das macht mir halt Spaß, dass ich da immer drauf gehen kann. Ich bin eigentlich immer unten. Man darf halt nicht zusammenkrachen und muss halt stabil sein. Und man hat halt als Aufgabe, dass man alle halten muss. Also ist ein bisschen schwer, aber macht auch Spaß. Weil man danach stolzer ist. Jedenfalls geht's mir dann immer so. Man kann den anderen mal zeigen, in Zeichensprach, wie man sich fühlt. Sprecherin: Anna Seliger hat schon einige Mitmach-Zirkusse für Kinder entwickelt. Seliger schrieb 1983 im nordrhein-westfälischen Städtchen Schwerte ihr erstes Konzept für Kinderworkshops unterm Zirkuszelt. 1997 brachte die Erziehungswissenschaftlerin dann ihre Idee mit nach München - und unter dem Namen "Lilalu" lernen inzwischen tausende Münchner Kinder in den Ferien oder an Ganztagsschulen in ihrer "künstlerischen Schule der Fantasie", wie Seliger sie heute nennt. Take 14: Seliger Länge: 0'17 Ich hab's weiterentwickelt. Weil ich erkannt hab, was es für eine wunderbare Methode ist - Kinder verschiedenster Nationalitäten kommen mit dieser Methode Zirkus ins Gespräch, erarbeiten sich das Ganze spielerisch, lernen sich kennen, bauen Vorurteile ab, schließen Freundschaften. (oben) Sprecherin: Die Zirkuskünste, ergänzt durch Theater, Tanz und Musik, erreichen jedes Kind, so Anna Seliger. Diese Integrationskraft haben inzwischen auch Politiker erkannt. Take 15: Seliger Länge: 0'22 Das heißt, dass Kinder und Jugendliche sich Bildung aneignen. Sei es in den Ferien, sei es an der Schule. Wir verstehen uns im Rahmen des ganzheitlichen Lernens als wichtige Bildungsinstanz, als notwendige Bildungsinstanz, die zusammen mit Schulen, mit Institutionen, mit den Jugendämtern Konzepte erarbeitet. Sprecherin: Das Lilalu-Konzept wandert stetig weiter durch Deutschland. Und auch in Madrid und in Budapest - wollen sie nun ebenfalls mal einen Zirkus für Kinder anbieten. An Anna Seligers Pinnwand hängt eine Postkarte von Stéfanie von Monaco, die sich für ihre Teilnahme am französischen "Jours de Cirque" bedankt. Zirkus wird in Frankreich wie in keinem anderen europäischen Land besonders unterstützt und gefördert. Er gilt dort als Staatskultur. Atmo 4 Rock'n'Roll mit Applaus L: 1'42 Sprechen: Im Berliner Zirkus SHAKE schwingen die Fünftklässer gleich am Strapat durch die Manege. Take 16: Junge Länge: 0'05 Das sind zwei Bänder, die werden von der Decke runter gelassen, und da sind Schlaufen drin, und da machen wir Kunststücke drin. Sprecherin: Jeder Schüler, jede Schülerin hat sich zu Beginn dieser Projektwoche zwei Zirkusdisziplinen ausgesucht. Ihr Motto für die Aufführung: Die Unterwasserwelt. Dazu tauchten sie ein in die kleine Zirkusoase des Berliner Vereins Grenzkultur. Zwei Zelte stehen auf dem ehemals brachliegenden Gelände am Ostbahnhof der Hauptstadt. In Containern, Bauwagen und einem Backsteingebäude sind eine Holzwerkstatt, eine Metallwerkstatt, ein Kunstatelier, der Kostümfundus, die Kantine und Übungsräume untergebracht. Der kleine Turm in der Mitte wird für Tagungen genutzt. Hier arbeiten alle an der festen Verzahnung der Zirkusarbeit mit den Schulen. Daiana Elsté ist Artistin. Take 17: Elsté Länge: 0'25 Spannend ist ja dann, was man aus denen so rausholen kann innnerhalb von einer Woche. Ich glaube, die Lust ist grundsätzlich da. Also generell, sei es nur, im Mittelpunkt in der Manege zu stehen oder auch tatsächlich die Figuren zu lernen. Also irgendwie kriegt man die Kinder ja. Dass sie völlig demotiviert waren, das gibt's äußerst selten. Sprecherin: Das internationale Team bemüht sich in einer solchen Woche vor allem darum, die Schüler in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Kreativität und die Klassen in ihrer Gemeinschaft zu stärken. Das Zirkustraining, sagt der Pädagoge Guido Steinbeck, bringt sie dabei auf wundersame Weise wieder in Bewegung. Take 18: Steinbeck Länge:0'22 Dieses Aha-Erlebnis ist natürlich in den ersten Tagen recht groß. Für ne Woche: wunderbar, lernen viel. Aber nach ner Zeit, da wird's dann schwierig. Die Vorstellung ist dann so, wir können Kugellaufen oder wir können Trapez. Aber das, was dahinter steckt, da braucht man ja wirklich Monate oder bis Jahre. Also bis man wirklich so nen Trapezauftritt dann machen kann in einer Trapezgruppe, dauert das wirklich ein Jahr. Take 19: Gerling Länge: 0'13 Und dann kommt man natürlich in den Bereich Leistung hinein. Ich hab ja das Bestreben, ein Kunststück zu lernen, es vorzuführen. Und das ist ja dann etwas leisten. Umso mehr muss ich auch auf gute Technik achten. Atmo 5 Mädchenturnen L:1'10 Sprecherin: 123 Mädchen im Alter von sechs bis elf Jahren erobern eine Turnhalle der Deutschen Sporthochschule. 27 Studentinnen und Studenten in roten T-Shirts verteilen die aufgeregte Schar auf sechs Paar Ringe, sechs Stufenbarren, sechs hohe Kästen. Ilona Gerling bietet hier ein Kinderturnen an. Atmo 6 Kasten, weiter unterlegen bis Präsentation L: 0'52 Take 20: Student Länge: 0'07 Hilfestellung und Rolle vorwärts, Hilfestellung war schon besser, nächste... hopp, auf geht's, ...bisschen schneller hopp, hopp, hopp... Sprecherin: Die Mädchen springen vom Sprungbrett in die Hocke auf den Kasten auf. Sie stellen sich vorne an den Rand und machen quasi in der Luft eine Vorwärtsrolle vom Kasten. Zwei andere Mädchen und ein Sportstudent geben Hilfestellung. Dann wird der Kasten quer gestellt, aus dem Aufsprung in die Hocke geht es sofort wieder kopfüber hinunter. Vorübungen für den Vorwärtssalto. Das finden die Sechs- bis Elfjährigen nicht schwierig Take 21: Mädchen Länge: 0'04 Weil die uns dann an den Armen nehmen. Take 22: Mädchen Länge: 0'03 Dass man so durch die Luft fliegt. Atmo 7 Turnen, weiter unterlegen bis Präsentation L: 1'06 Sprecherin: Ilona Gerling wandert durch die Halle, drängt auf Schnelligkeit und erklärt den Studentinnen und Studenten die so genannte Bewegungsbegleitung: Lernen die Kinder zunächst durch Beobachten, Nachmachen und durch Versuch und Irrtum, werden bei anspruchsvolleren, komplexen Abläufen die verbalen Informationen immer wichtiger. Signalworte sollen die Turnerinnen unterstützen, Signalworte für die einzelnen Merkmale einer Bewegung. Springen die Mädchen auf den Kasten in die Hocke auf, sollen die Studenten kurz und prägnant "hock!" rufen. "Jetzt" oder "hopp!" hätte keinen Bezug zu einer Bewegung. Die Helfer haben alle Hände voll zu tun. Rudolfo, 23, Lehramtsstudent. Take 23: Student Länge: 0'06 Ich finde, durch die Methodik hier lernt man ganz schön viel. Und man merkt auch schön die Entwicklung bei denen. Sprecherin: Die meisten Helfer sind freiwillig hier beim Mädchenturnen. Studieren sie auf Lehramt, können sie sich dieses Turn- und Akrobatiktraining als Praxiserfahrung bescheinigen lassen. Drei der 27 Studenten werden offiziell von Ilona Gerling geprüft. Sie verfolgt in diesen Stunden ein stringentes Konzept. Nach 20 Minuten: Wechsel der Geräte - zuvor jeweils eine Vorführung der einzelnen Gruppen. Take 24: Gerling Länge: 0'24 "Und Finale"... Salto vorwärts vom Kasten ... der Vorhang geht auf, ahhhh, Applaus, ..Musik Atmo 8 "Juli" weiter unterlegen....L: 1'42 Take 25: Gerling Länge: 0'27 Die Kinder lernen, dass sie durch stetiges Üben zu einem Gelingen kommen. Zu einem Endprodukt. - Und man hofft dann - das ist wieder Schulpädagogik - dass es sich überträgt auf andere Lernsituationen im Leben. Und der Applaus ist das Tollste. Und das gibt einmal das Gelingen und erst recht beim Applaus dieses Glücksgefühl im Magen, dieses Gänsehautgefühl, und das muss ein Kind einfach erleben! Zitator Über die Bewegungskünste wird Bewegungskönnen möglich und erreichbar. Spaß macht das, was man gut kann! Typisches Merkmal aller "Artisten": Das Lächeln nach intensivem Training Sprecherin: Der Pädagoge Alexander Butte. Er beschreibt in seinem Buch "Bewegungskünste und Zirkus in Schule und Verein" zum Beispiel die Didaktik des "Akrobatischen Bilderbogens", Partnerakrobatik und Pyramidenbauen. Akrobatik gilt als Impulsgeber für das Gerätturnen, hier ist der Partner das Gerät. Es wird nicht isoliert, sondern immer miteinander geturnt, in gemeinsamen Bewegungsfolgen, im Wechsel von Spannung und Entspannung. Jeder kann ganz nach seinen körperlichen Voraussetzungen einen Beitrag leisten. Dabei schulen die Kinder ihr statisches und dynamisches Gleichgewicht. Sie lernen, sich zu versteinern. Baumstammrollen. Baumstammanheben. Sie bewegen sich als aneinander gereihter Tausendfüßler oder als Wackelschlange voran. Sie üben die Bank: Musik 3 Zitator: Die Bank: Grundstellung der Akrobatik. Die Arme sollen auf Schulterbreite, senkrecht zum Rumpf sein, die Beine auf Hüftbreite und ebenfalls senkrecht zum Rumpf. Ganz besonders wichtig ist es weiterhin, dass die Wirbelsäule gerade gehalten wird und dass es weder zu einem Hohlkreuz, noch zu einem Katzenbuckel kommt. Sprecherin: Eine Aufführung akrobatischer Pyramiden, fünfte Klasse. Für diese Idee veranschlagt die Sportpädagogin Silke Landzettel drei Doppelstunden. Man braucht Stationskarten, Plakate zum Thema "Absprachen" und "richtige Haltung" bei der Akrobatik, Abbildungen von Pyramiden, kleine Kästen und Zirkusmusik. Die Schüler beginnen mit Übungen zur Körperspannung. Sie müssen lernen, sich selbst und die anderen wahrzunehmen, sich gegenseitig zu vertrauen. Sie sollen eine Balance zwischen mehreren Körpern finden können. Zitator: Macht eine Bank auf einer Bank. Wenn der obere Akrobat das Gefühl hat, sicher zu knien, streckt er das rechte Bein nach hinten aus. Wenn er immer noch das Gefühl hat, sicher zu sein, kann er noch den linken Arm nach oben strecken. Sprecht euch ab! Sprecherin: Dann entwirft die Klasse eigene Pyramiden. Die Kinder bestimmen selbst, wer das Fundament bildet, wer nach oben geht. Erfreulicherweise, so Silke Landzettel, werden dabei vor allem die "stabilen Unteren" mit viel Wertschätzung bedacht. Am Ende der drei Doppelstunden Sport steht dann als Ergebnis: Selbst gestaltete Klassenpyramiden in der selbst gebauten "Zirkusarena". Musik 3 kurz frei und Ende Sprecherin: Die Partner- und Gruppenakrobatik hat inzwischen in ganz Deutschland in den Sportstunden Einzug gehalten. Das Niedersächsische Kultusministerium etwa legt in seinen Grundsätzen und Bestimmungen für den Schulsport fest: Zitator Turnen und Bewegungskünste - Das Erfahrungs- und Lernfeld umfasst erlebnisreiches Bewegen in künstlich geschaffenen Bewegungsarrangements. Sprecherin: Dazu gehören so genannte "gestaltete Bewegungen", die als Kunststücke gelten können. Rollen, überschlagen, stützen, handstehen, schwingen, springen, balancieren. Gekoppelt an Erlebnisse des Fliegens, des Kopf-über-Seins, der zunehmenden Körperkontrolle, des Könnens-Bewusstseins. Das Halten und Überwinden des Körpergewichts gehört dazu. Hilfe und Hilfestellung zu geben, anzunehmen oder darauf explizit zu verzichten. Auf Partner angewiesen sein. Tricks mit den Geräten entwickeln und dramatisch geschickt vorstellen. Zitator Die Arbeit an Kunststücken beschränkt sich nicht nur darauf, die Bewegung in beliebiger Form zu realisieren, sie strebt auch nach Eleganz und Leichtigkeit in der Präsentation. Das Verbessern der Bewegungsqualität hat daher Vorrang vor dem Erhöhen der Schwierigkeit. Take 26: Gerling Länge: 0'43 Leider ist es so, dass es keine Pflicht ist, dass Lehrer sich fortbilden. Leider ist es so, dass es in der Grundschule der Fall ist, dass 70 bis 100 Prozent - grade in Nordrhein-Westfalen weiß ich das - fachfremd unterrichten, fach-fremd Sport unterrichten. Sie haben es gar nicht studiert! Da haben natürlich sehr viele Lehrer Angst, den Kindern bestimmte Dinge zuzumuten. Weil sie nicht einschätzen können, ob es gefährlich oder nicht gefährlich ist. Und deswegen bleiben sie dann beim Brennball, bei Laufspielen. Statt dass sie die Kinder in Situationen bringen, wo sie mit dem eigenen Körper Erfahrungen machen - über Kopf, beim Rotieren, beim Drehen und beim Miteinander. Atmo 9 Studis L: 0'40 unterlegen Sprecherin: An der Deutschen Sporthochschule in Köln ist das Erlernen von Akrobatik seit drei Jahren Pflicht für alle Studenten. Im Studienfach Sportmanagement genauso wie in der Sportpädagogik. Ilona Gerling erklärt den Studenten die Hilfestellung für die Vorübungen zum Rückwärtssalto von der Wand. Take 27: Gerling Länge: 0'41 Punkt eins: dicht stehen. So. Nächster Punkt: in Kopfhöhe drehen. Wenn einer verhungert in der Luft, er kommt nicht mit seinem Schwerpunkt übern Kopf, dann bitte ihn nicht zu hoch halten, dann wird's ja für ihn noch schwieriger, dann ihn eher ablassen von der Höhe. Letzter Punkt: er ist den Salto gesprungen, und er landet. Und beim Landen bitte nicht denken: Und landen... und ihn runter drücken. Das ist menschlich! Und es wird euch passieren. Ich wird euch gleich erwischen. Wenn er landet, die Arme hoch zu halten, damit Kopf und Schultergürtel auch oben bleibt. Gut. Alle Mann, alle Frauen, ran an die Wand. Atmo 10 Studis action L: 1'12 unterlegen Sprecherin: Was für Kinder gilt, gilt auch für Erwachsene, vor allem für angehende Fachleute. Atmo 11 Gut, Finale, einer nach dem anderen. Jeder nach seinem Können. Musik Juli ....Applaus, weiter unterlegen Sprecherin: Für manche Studenten ist dies nichts Neues, für manche eine absolute Premiere. Markus Schulz, 19 Jahre alt, war zehn Jahre als Turner aktiv. Den Wandsalto konnte er schon. Atmo 11 kurz frei Sprecherin: Desiré Krause, Handballerin, studiert Sportkommunikation. Take 28: Studentin Länge: 0'16 Hätt ich nicht gedacht. Ist echt der Kurs, der am meisten Spaß macht. Man überwindet sich total. Man macht Sachen, die man noch nie gemacht hat. Wir machen halt wirklich so heran führende Aufgaben, wir fangen klein an. Und am Ende der Stunde auf einmal springt man dann einen Wandsalto, was man vorher nie gedacht hätte, nie gemacht hat. - Also bis jetzt machen wir die ganze Zeit Salti.... Gucken, was noch kommt. Atmo 12 Halle kurz frei, unterlegen L: 1'37 Take 30: Wirth Länge: 0'09 Ich kämpfe schon anderthalb Jahre an einem Trick - das nennt man Wheel- Walking oder Radlauf - Sprecherin: Dieter Wirth, 70 Jahre, Einradfahrer. Take 31: Wirth Länge: 0'05 Ich kann das drei Meter, ich kann das fünf Meter, aber durch die Halle pack ich's noch nich. Sprecherin: Dieter Wirth ist in seiner Jugend schon einmal Einrad gefahren. Dann war dreißig Jahre lang Pause - und vor sechs Jahren fing er wieder damit an. Der aktive Berliner übt jetzt, statt mit dem Pedal das Rad mit den Füßen vorwärts zu bewegen und jongliert auch fahrend mit drei Bällen. Atmo 12 Halle kurz frei, weiter unterlegen Sprecherin: Vier Einradfahrer drehen heute abend ihre kleinen Runden. Dafür haben sie in der Berliner Paul-Heyse-Sporthalle einen schmalen Streifen zur Verfügung. Daneben trainieren die Handballmädchen. Bälle und Einräder knallen abwechselnd auf den Boden. Niko Wilbert, 31, hat auf dem Einrad bei Weltmeisterschaften schon mehrere Goldmedaillen gewonnen. Einmal in Kopenhagen, einmal in Guildford bei London. Take 32: Wilbert Länge:0'15 Also ich mache hauptsächlich Freestyle, das heißt Tricks auf und mit dem Einrad, Einerseits gibt es Tricks, wo es eher auf Balance ankommt. Dann gibt es wiederum andere Tricks, wo man eher springt, was dann eher mit Skateboard fahren vielleicht vergleichbar ist. Ich bevorzuge eigentlichdie Balancetricks. Sprecherin: Niko Wilbert fährt rückwärts - oder mit nur einem Bein. Oder rückwärts mit einem Bein. Er hat mit dreizehn Jahren angefangen. Doreen Steffen fährt, seit sie zehn ist. Und hat es im Zirkus gelernt. Jetzt trainiert sie bis zu dreimal die Woche beim Berliner Verein Circulum. Take 33: Steffen Länge: 0'05 Es gibt ne Vielfalt von Tricks. Man bleibt halt nicht irgendwo auf einem Punkt stehen. Man kommt immer weiter. Sprecherin: Zum Beispiel stellt Doreen Steffen jetzt die Füße auf die Radgabel, rollt weiter und steht auf. Das Standup-Coasting. - Einradfahren hat sich bereits in vielen Sportvereinen etabliert. Auch in Deutschland finden Meisterschaften statt. Im Mai 2011 starten die Fahrer zum bereits 9. Internationalen Einrad-Marathon in Düsseldorf. Die Besten schaffen dann bis zu 50 km/h und brauchen etwa anderthalb Stunden für die Marathonstrecke. Doreen Steffen holte sich 2009 hier den Deutschen Meistertitel. Musik 4/Schlussmusik Sprecherin: Einrad-Hockey ist sehr beliebt. Einrad-Basketball. Freestyle, im Gelände fahren. Die modernste und kreativste Version ist allerdings das urbane Überqueren von Treppen, Schwellen, Parkbänken und anderen Hindernissen. Hier trifft sich das Einradfahren mit dem läuferischen Parkour, aus dem Ilona Gerlings Wandsalto stammt. Bei der Bewegungskunst Parkour, der Kunst der Fortbewegung, werden in einer Abfolge flüssiger "moves" Hecken, Mauern, und Garagenwände elegant überwunden. Eine Trendsportart. Ideal für den Sportunterricht der höheren Klassen. Eine aktuelle Bewegungskunst, die auf der Videoplattform "Youtube" zigtausendfach präsentiert wird. Eine bestaunenswerte Anmutung - wie die Künste im Zirkuszelt. Schlussmusik MUSIKEN 1 Fools Garden: CD Dish of the day. Intercord Tonträger GmbH 1995. LC-1109 Titel: 10 Finally 2 Thievery Corporation: CD The Mirror Conspiracy. 4AD Ltd, 2000. LC 05485 Titel: 6 Air Batucada 3 Thievery Corporation s.o. Titel: 8 Samba Tranquille 4 Thievery Corporation s.o. Titel: 10 The Hong Kong Triad 19