Deutschlandradio Kultur Länderreport COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Plattdeutscher "Sommernachtstraum" - Das Ohnsorg-Theater, Shakespeare und der Norddeutsche - Autor Hartwig Tegeler Red. Klaus Rehfeld - Sdg. 24.08.2011 - 13.07 Uhr Länge 18.32 Minuten Moderation Das Hamburger Ohnsorg-Theater hat viel vor - in der neuen Spielstätte, mit Shakespeare und mit dem Hamburger. "Ein Sommernachtstraum" soll alles bleiben, also eine "Komödie der panischen Verzauberung". Natürlich auf Platt dargeboten. Aber wie sieht er denn so aus, dieser nord- deutsche Sommernachtstraum? Sprachlich und mental dürfte das interessant werden. Übermorgen, also am 26. August, ist die öffentliche Generalprobe in der neuen Spielstätte an- gesetzt, zwei Tage später dann am 28.08. die Galapremiere. Inhaltsreich und verdaulich das Stück, sanft und schrill die Handlung bei Shakespeare. Wie nun also kommt die plattdeutsche Fassung daher? Sprachlich und mental liegt das Ohnsorg-Theater ja bekanntlich auf der anderen Seite des Kanals. Nun, Hartwig Tegeler löst uns einige Fragezeichen auf. - folgt Script Beitrag - Script Beitrag O-Ton: "Ohnsorg-Band probt" - Läuft weiter! Text: So klingt Zettel aus dem SOMMERNACHTSTRAUM ... in Englisch. O-Ton: Peter Nissen (engl.) "The raging rocks / and schivering ... on prison gates." Text: So klingt das Ganze in Deutsch. O-Ton: Hartmut Cyriacks "Komm Felskoloss, / renn, rotes Ross. / Zerschlag das Schloss am Kerkertor." Text: Ja, und so: William Shakespeare auf Platt. O-Ton: Hartmut Cyriaks "De strietköppsch Steen / un Schuern vun Schreen / schüllt't Slott terbre'en." O-Ton: "Ohnsorg-Band probt" - Endet! Text: Ein sattes Vorurteil, gut, meine Herren Shakespeare-Übersetzer, [...] Spr/in: Epilog oder:In Platt? Warum das denn nun auch noch? Text: [...] das muss am Anfang schon ausgehalten werden - dann hat man´s hinter sich und kann sich auf die wichtigen Sachen konzentrieren -, also, hier, dann, bitteschön: Warum denn nun aus A MIDSUMMER NIGHT´S DREAM, aus EIN SOMMERNACHTSTRAUM, warum daraus EN SOMMERNACHTSDROOM? Warum Shakespeare also nun auch noch in Platt. Herr Über- setzer, Numero 1? O-Ton: Hartmut Cyriacks "Warum nicht? Plattdeutsch ist eine Sprache, und es ist höchst interessant, Shakespeare in verschiedene Sprachen zu übersetzen, um zu sehen, ist diese wunderbare Sprache des Eng- lischen, [...]" Text: Hartmut Cyriacks, der zusammen mit Peter Nissen den SOMMERNACHTSTRAUM zum SOMMERNACHTSDROOM wandelte. "[...] bekommen wir sie in eine andere Sprache hinein, können wir dieses strenge Format, was Shakespeare vorgegeben hat, lässt sich das in einer anderen Sprache verwirklichen? Und wie klingen diese Reime von Shakespeare in einer anderen Sprache? Und das ist ein Abenteuer, was aufregend ist." Text: Und so klingt in der Probe EN SOMMERNACHTSDROOM. Handwerkerszene auf Platt ... Zet- tel stößt wieder zu seiner Truppe und ist kein Esel mehr. O-Ton: Probe 01 "En Sommernachtsdroom" (Probebühne) Zettel: Wo stickt de Bagaasch? Wo sünd düsse Bangbüxen? Iaaah! Quisch: Zettel! Wat för 'n grootoortigsten Dag! Wat för 'n allerbeste Stünn! Zettel: Lüüd, ik mutt Jo vun Wunners vertellen, man fraagt mi nich wat; denn wenn ik Jo dat vertell, denn bün ik keen wöttelfasten Athener mehr. Also, warr ik Jo allens vertellen, jüst so as dat passeert is. Quisch: Denn laat man hören, allerweerteste Zettel. Text: Die Handwerkerszene vom Dichterfürsten aus Stratford-upon-Avon. Hier könnte sich auf "platt" reimen "satt" - sattes Theater, deftig, auch schon auf der Probebühne, ohne Kostüme. Ohnsorg-Schauspieler-Urgestein Jasper Vogt: O-Ton: Jasper Vogt (mit Proben-Atmo im Hintergrund) "Na also, SOMMERNACHTSTRAUM, Handwerkerszene. Das ist Ohnsorg at it´s best. Das ist Ohnsorg. Wir wollen Theater spielen, aber es gibt andere Sachen, wo ich auch, sagen wir mal, noch Probleme habe, so ... also, ich weiß nicht, wenn die Handwerker dann plötzlich Handy rausholen oder er mit dem Motorrad kommt, ich weiß nicht, ob das notwendig ist, aber das ist nicht meine Entscheidung, das ist eine Inszenierungsentscheidung, und das muss man gucken, das wird auch funktionieren. Wie Shakespeare immer funktioniert. Shakespeare war eine solche Theatergranate, den kriegt man nicht kaputt, da ist so viel drin." O-Ton: Probe 02 "En Sommernachtsdroom" (Probebühne) Zettel: Keen Woort vun mi. Allens, wat ik Jo vertellen do, is, dat de Hertog spiest hett. Kriegt Jo Kledaasch tohoop, nee'e Snören an Jo Borten, nee'e Bänner an Jo Schoh. Denn kaamt Ji na 'n Palast, dor draapt wi uns. Ji kiekt Jo noch mol all Jo Rullen an. Also, kott un lang seggt: wi sünd dorbi! Op jeden Fall schall Thisbe 'n reine Ünnerbüx antrecken, un de, de den Löwen speelt, schall sik ünnerstahn, sik de Fingernagels to snieden. De schüllt nämlich as Löwen- krallen ruthangen. Un, mien leven Schauspelers, freet keen Zibbeln un keen Knuuvlook, denn wi schüllt söten Aten ütern. Un ik weet nu al wiss, dat se seggen warrt: dat is 'n söte Komedie. Keen Woort mehr! Los, man los!" Text: EN SOMMERNACHTSDROOM, inszeniert von Michael Bogdanov, das Eröffnungsstück des Hamburger Ohnsorg-Theaters im neuen Haus. Weg aus den Große Bleichen, rüber - sozusagen mit dem Finger auf der Stadtkarte - sozusagen rüber über die Binnenalster, kleinen Schwenk nach rechts, etwas nach oben. Direkt gegenüber vom ehrwürdigen Tempel der Hochkultur, Deutschlands größter Sprechbühne, dem Deutschen Schauspielhaus. Vis-à- vis nun , im Biberhaus, residiert ab Sommer 2011 das Ohnsorg-Theater unter Intendant Christian Seeler. Peter Nissen, neben Hartmut Cyriacks der andere Teil des Übersetzerduos: O-Ton: Peter Nissen "Die Übertragung eines Theaterstücks geschieht natürlich für die Bühnenaufführung. Nicht zum Lesen. Wir lesen ja kaum noch hochdeutsche Theaterstücke. Also, es muss gespielt werden, es muss aufgeführt werden. Und es gibt in Norddeutschland etliche Theater, die Plattdeutsch spielen, und die brauchen Futter. Und so, wie hochdeutsche Theater auf Shakespeare zurück greifen, greift etwa jetzt auch das Ohnsorg-Theater jetzt auf Shakes- peare zurück. Weil es einfach geeignet ist für die Bühne." O-Ton: Probe 02.1 "En Sommernachtsdroom" (Probebühne) Snuut Jawoll! Un de beste Keerl överhaupt; un wat sien söt Stimm angeiht, dor is he reinweg geni- tal. Fleit ,Genial', du meenst ,genial', ,genital', dat is mehr so ünnenrüm. Spr/in: Zwischen Epilog und Erstem Kapitel, ein - offen gestanden - ein Zwischenspiel mit noch nicht ganz erledigten Vorurteilen: Shakespeare, der Dichterfürst, auf Platt bei Ohnsorg? Muss, darf das sein? Oder besser doch nicht? Text: Ja, eine lange Überschrift, wohl war, aber nötig, denn das mit der Hamburger platt- deutschen Bühne, dem aus dem Fernsehen traditionell fürs äußerst leichte bekannte Ohnsorg-Theater - nein, nicht "ohne Sorge", sondern "Ohnsorg", weil Dr. Richard Ohnsorg 1902 den Startschuss gab ... in der Außenwahrnehmung, ja, aber, trotzdem generell ein Theater "ohne Sorge", auf gut neudeutsch: Feelgood-Aufführungen ... ... ja, Herr Zettel, wo könnte dieser Satz einen hinführen außer in den tiefen Wald ... oh Zettel, du Hanswurst ... O-Ton: Probe 03 "En Sommernachtsdroom" (Probebühne) Snuck : Lüüd, de Hertog kümmt vun 'n Tempel. Un dor sünd ok noch twee oder dree anner hoge Herrn un Daams, de heiraat't hebbt. Wenn dat mit uns Spillwark slumpt harr, denn harrn wi all 'n schöön Stück Geld maakt. Fleit: O, Zettel, du Hans-Oors. M. Bogdanov: [Regieanweisung:] Bleibt alle, bleibt alle da, wo ihr seid jetzt. Ja, geht weiter ... Fleit: O, Zettel, du Hans-Oors. So hest du Dag för Dag 'n Sössling dien Läven lang verloren. Alle: En Söösling den Daach. Text: Also ... Zettel, der Satz, wo war er? ... Ohnsorg also, 60 Jahre TV-Übertragung: Heidi Kabel, Henry Vahl, Edgar Bessen und Konsorten, leichte Heimat-Kost, Schwänke, Komödien, von der Unterhaltungsabteilung des NDR-Fernsehens ausgewählt fürs TV-Publikum von Nord bis Süd. Und irgendwie auch von Ost bis West. Ohnsorg spielte aber auch immer auch ernstere Stücke, nur, die wurden im Fernsehen nicht gezeigt. Hartmut Cyriacks, zusammen mit Peter Nissen nicht nur Shakespeare-Übersetzer, sondern auch jahrelang am ´alten´ Ohnsorg auch Dramaturg: O-Ton: Hartmut Cyriacks "Und so entsteht denn ein Vorurteil, was wir mit Shakespeare hier gar nicht aufbrechen müssen, denn es ist Praxis im Ohnsorg-Theater, dass die unterschiedlichsten Stücke gespielt werden." Text: Und Peter Nissen kommt auf Grundsätzliches: O-Ton: Peter Nissen "Die Frage stellt sich erstmal: Ist Shakespeare wirklich Hochkultur? Hat der nicht einfach pralle, saftige Theaterstücke geschrieben?" O-Ton: Probe 04 - Gesang ´En Sösling den Daach´ - Weiter unter! Text: Natürlich ist das eine rhetorische Frage. Hat Shakespeare? Er hat wohl! Unser zeit- genössisches Bild von ihm jedenfalls ist wohl inzwischen weniger von Wielands, Schlegels oder Tiecks Übersetzung geprägt, denn von anderen kulturellen, gar popkulturellen Shakespeare-Darbietungen: die Inszenierungen von Peter Zadeck am Deutschen Schauspiel- haus in den 1970ern beispielsweise oder Bazz Luhrmanns filmische Hiphop-Adaption von ROMEO UND JULIA mit Lenoardo di Caprio oder John Maddens saftiges Kino-Biopic SHAKESPEARE IN LOVE. Das mit der Aura der staubtrockenen Hochkultur hat sich über die Jahre wohl ziemlich erledigt. Man suchte und sucht und fand und findet eben das Satte. O-Ton: Hartmut Cyriacks "Auch das war bei Shakespeare so." Text: Theater-Guru Shakespeare und die Aura vom satten, prallen Volkstheater auf Ohnsorg, das sind, so Harmut Cyriacks und Peter Nissen, keine Widersprüche, sondern hier kann etwas zusammen kommen, was durchaus zusammen gehört. O-Ton: Hartmut Cyriacks "Wir müssen dichter an Shakespeare, an den Theatermenschen Shakespeare ran." O-Ton: Peter Nissen "Shakespeare war ja kein Hofdichter, und er hat auch nicht ein Hoftheater betrieben, son- dern, heute würden wir sagen, ein Privattheater. Das Globe Theatre. Er musste Publikum reinziehen, um Geld zu verdienen, und deshalb passt ein Shakespeare auch gut ans Ohn- sorg-Theater. Das ist auch ein Privat-Theater, das um seine Zuschauer werben muss. Also, was Shakespeare vor 400 Jahren in London gelungen ist, sollte dem Ohnsorg-Theater 400 Jahre später in Hamburg auch gelingen." O-Ton: "Elfengesang mit Musik" (Proberaum) - Läuft weiter! Elf: Schuppig tweeltungt Slängel-Slang, sticklig picklig Pinnswien-Wiev, Lork un Natter, Salaman, blievt uns Königin vun't Liev. Text: Und die Elfen tragen mit Gesang ihren Teil dazu bei. Zum Gelingen. Chor: Nachtigall mit söten Sang stimm mit uns dat Slaapleed an. Slaapleed, Slaapleed, Slaapleed an, Slaapleed, Slaapleed, Slaapleed an. (... Läuft weiter ...) Text: Ort dieser gesanglichen Darbietung, nein, nicht der Wald von Oberon und Titania, König und Königin der Elfen, sondern der Probenraum der Musiker und Sänger an der neuen Ohnsorg- Spielstätte. O-Ton: "Elfengesang mit Musik" (Proberaum) - Blende! Spr./in: Nächstes Kapitel: Ein Rhythmus, bei dem jeder mit muss. Oder: Die Mühen der Überset- zungs-Ebenen. O-Ton: Michael Bogdanov "Zumindest kann ich also versuchen, in einer Inszenierung zu zeigen, dass man kann auf Platt Shakespeare also richtig machen und für ein Publikum für heute inszenieren." Text: Was zu beweisen war! Hartmut Cyriacks, mit dem Bremer Platt aufgewachsen, und Peter Nissen, gebürtiger Nordfriese, haben für die Aufgabe, die Bogdanov formuliert, einige Vor- lagen geliefert bei der Übertragung ins so genannte Medien- oder literarische Platt, das seit ca. 90 Jahren für Bühnenzwecke wie für Hörspiele benutzt wird. Cyriacks' und Nissen über- trugen schon Dylan Thomas´ UNTER DEM MILCHWALD is Platt , außerdem ASTERIX, DONALD DUCK oder den ersten beiden HARRY-POTTER-Bänden. Aber Shakespeare, meint Hartmut Cyriacks: O-Ton: Hartmut Cyriacks "Am schwersten war jetzt der SOMMERNACHTSTRAUM. Also ganz klar." Text: Das Problem nämlich waren nicht nur die notwendigen Wortschöpfungen, um den alten Text auf der Bühne verständlich werden zu lassen auf der Bühne, schwierig war es [...] O-Ton: Hartmut Cyriacks "Weil es einfach so eine formale Strenge hat." Text: Die erste formale Hürde - der Blankvers, [...] O-Ton: Hartmut Cyriacks "Der Blankvers. Der fünfsilbige jambische Pentameter." Text: [...] der nicht nur Generationen von Schülern und Studenten, sondern auch den ´gemeinen´ Übersetzer in den veritablen Wahnsinn treiben kann. Der gute alte SIMMERNACHTSTRAUM hat es noch immer in sich. Soweit so gut, wenn das erledigt war mit dem Pentameter, aber Puck, der Elf, bringt nicht nur die Sommernacht und all die Liebenden heftig durcheinander im SOMMERNACHTSTRAUM, sondern auch den Sprachrhythmus: O-Ton: Peter Nissen "In manchen Zauberformeln geht Puck auch auf dreisilbige Zeilen. Und die müssen dann sich etwa so anhören [Nissen spricht rhythmisch:] Op 'n Grund / slaap gesund. / Bün so free, / een, twee, dree /Drüpp in't Oog di Töveree. / Kümmst du hooch, / süht dien Oog, / Knall op Fall / ehr ok al." Text: Es klingt relativ harmlos, wenn man jetzt von 50 Manuskriptseiten redet, die vorliegen als plattdeutsche Version von EIN SOMMERNACHTSTRAUM; anders klingt die andere Zahl: 2.100 Zeilen waren zu übersetzen. Arbeitszeit 300 bis 400 Stunden von zwei Übersetzern, unterstützt zum Teil von Regisseur Michael Bogdanov, dem gebürtigen Waliser, der das eine oder andere textliche Fragezeichen im Shakespearschen Original zu klären half. Eine Heidenarbeit, fraglos, inklusive intensiver nächtlicher Nach-Arbeit, ablesbar an den morgendlichen Gesprächen zwischen den Übersetzern: O-Ton: Hartmut Cyriacks "Sag mal, hast du auch letzte Nacht im Schlaf dann noch Silben gezählt? Und man ist dann wirklich aufgewacht, hatte einen völlig unsinnigen Satz im Kopf und hat sich erwischt im Halbschlaf, wie man gezählt hat, ob es dann wirklich 10 Silben sind oder nicht." Text: Und dann kam das nächste: O-Ton: Hartmut Cyriacks "Dann ist Shakespeare dafür bekannt, dass er sehr schön reimen kann." Text: Weil es hier natürlich auch um philologische Genauigkeit ging. Inhalt klar, Bilder klar, aber Reimworte finden. Wie gesagt, 300 bis 400 Arbeitsstunden pro Übersetzernase. O-Ton: Peter Nissen "Das liegt einfach daran, dass man eben manchmal pro Tag nur sechs Reimpaar findet, und das sind dann 12 Zeilen." Text: Das Plattdeutsche ist natürlich inzwischen eine Minderheitensprache. Den SOMER- NACHTSTRAUM ins Platt zu übertragen, war für Cyriacks, Nissen und Bogdanov aber auch der Versuch, auszuprobieren, zu welcher Vielfalt und Lebendigkeit das Platt im Ausdruck noch fähig ist - angesichts des Textes des großen klassischen Theaterautors mit dessen Wortgewalt, -phantasie und -komplexität. O-Ton: Hartmut Cyriacks "Das es ist für eine Sprache ja auch so etwas wie eine Vitalitätsprüfung, gerade bei einer Sprache, die nicht voll ausgebaut ist, dann wirklich zu sehen, funktioniert in dieser Sprache, Shakespeare mit genau diesen formalen Erfordernissen abzubilden." Text: Die Vitalitätsprüfung des Plattdeutschen, von der Hartmut Cyriacks spricht, ist das Eine. Es ging aber auch darum, Shakespeare ein weiteres Mal zu aktualisieren, wie Michael Bogda- nov erklärt: O-Ton: Michael Bogdanov "Also, im Original ist Shakespeare wahnsinnig schwierig zu verstehen. Auch für Engländer. Ich habe wahnsinnig Angst, dass in fünfzig Jahren, weil ... unsere Vokabeln ändern sich so schnell, und wir verlieren so viele Worte, dass es wird nur verständlich (noch sein) für Aka- demiker und Leute, die studieren Shakespeare. Man muss alles machen, um ihn zu einem aktuellen Autor zu machen." O-Ton: "Ohnsorg-Band probt" - Läuft weiter! O-Ton: Probe 04 (Probebühne - B.s Anweisungen) Spr./in: Kapitel, ja, ´2´? Kommt jetzt wohl. Also: Philologische Grenzen oder: Über die allmähliche Verfertigung des Witzes bei der Übersetzung und ganz wichtig! - auch [...] Text: [...] Übertragung [...] Spr./in: [...] ja, natürlich, Übertragung. Auch ganz wesentlich. Oder [...] TEXT Shakespeare, 400 Jahre ist es her, wir verstehen beileibe nicht alles, was das steht, aber war´s vor vierhundert Jahren anders? Natürlich - wieder eine dieser rhetorischen Fragen -, natürlich war es nie anders. Das mit dem Verstehen oder Verstehen-Können - das behauptet Michael Bogdanov, großer, alter Shakespeare-Regisseur: O-Ton: Michael Bogdanov "Natürlich, man muss Sachen übertragen, man muss Sachen ändern. Und wann man etwas nicht versteht, dann muss man es verständlich machen, ja." Text: Die beiden Übersetzer mussten sich also nicht nur mit der formalen Strenge, dem Blankvers, dem Reim sowie dem Damoklesschwert der Hochkultur, an dem man bei Shakespeare, man mag sich drehen und wenden, wie man will, immer noch nicht nicht vorbei kommt, herum- quälen, nein, eine wichtige Hürde, die es zu überwinden gab, das war die prinzipielle Differenz zwischen dem Gedruckten und dem Text für die Bühne. Beim live gespielten Text muss nicht nur jede Pointe sitzen, was die Arbeit der Schauspieler betrifft, nein, selbige muss auch für den Plattdeutsch sprechen Zuschauscher verständlich sein, was besonders für den Witz gilt. O-Ton: Peter Nissen "Wenn ein Zuschauer erst anfängt, seinen Nachbarn zu fragen: Was haben die da gerade gesagt? Dann ist der Abend gelaufen." Text: Wenn also Shakespeare im SOMMERNACHTSTRAUM einen seiner vielen Witze macht, der geneigte Theaterbesucher im 21. Jahrhundert den aber nicht versteht, dann hat die In- szenierung ein Problem. Der Witz muss als Witz funktionieren. Und zwar sofort. O-Ton: Peter Nissen "Das muss nicht sprachlich identisch der sein, der bei Shakespeare steht. Da kann etwas an- deres stehen." Text: Beispiel [...] O-Ton: "Ohnsorg-Band probt" - Läuft weiter! O-Ton: Peter Nissen (engl. Original) "Get your gun ... your acorn." Text: Hermia und Helena streiten sich im SOMMERNACHTSTRAUM; man geht sich verbal heftig an die Wäsche. Shakespeare verbindet das mit einem Sprachwitz. Hier in direkter Übersetzung: O-Ton: Peter Nissen (dt.) "Hau ab, du Knotenzwerg, du Zwergmaus, aufgestellter Mausdreck du, du kurzer Knubbel- knirps." O-Ton: Hartmut Cyriaks "Daraus wurde bei uns dann: Hau af, du Krööt, / du Dwarg, / de Eerdbeern mit de Ledder plückt, / du Puups, du Propp. Was also wörtlich etwa heißt: Hau ab, du Kröte. / Du Zwerg, / der Erdbeeren mit der Leiter pflückt, / du Furz, du Pfropfen." Text: Eine Stelle im Text, meinen Peter Nissen und Hartmut Cyriaks, an der das Publikum, auch wenn es Plattdeutsch gut versteht, einmal begreifen muss, wie heftig der Streit ist; das Pub- likum muß aber auch den Witz sofort verstehen und lachen ... und nicht darüber nach- denken, was der Dichter uns wohl damit sagen wollte. O-Ton: Peter Nissen "Ja, und das ist eben das, was wir festgestellt haben, dass wir da einen großen Unterschied machen müssen zwischen einer philologisch genauen und korrekten Übersetzung und eine bühnenwirksamen Übersetzung. Philologisch ist das, was wir da gemacht haben, ein Ver- brechen. Denn von Erdbeeren steht nichts bei Shakespeare. Da steht etwas von Knöterich und solchen Dingen. Nur, das nützt uns nichts, wenn wir es auf die Bühne bringen wollen. Wir wollen keinen schönen Lesetext zaubern, sondern wir wollen einen bühnenwirksamen Text zaubern." O-Ton: Michael Bogdanov "Shakespeare hat so viel von anderen Autoren geklaut und von Geschichte geklaut und sei- ne Schauspieler haben viele Sachen improvisiert. Also, man soll das auch heute machen." O-Ton: "Ohnsorg-Band probt" - Läuft weiter! O-Ton: Probe 05 (Probebühne - Anweisungen und Gesang) - Weiter! Spr./in: Epilog: Nun, Epilog? Ein bisschen übertrieben vielleicht, aber so einen schönen Originalton als Rausschmeißer sollte man nie verachten, also: Abschluss. Text: Und jetzt, nach so viel Verbeugung, Mr. Bogdanov, die Frage, seit Jahrhunderten aktuell wie ungeklärt: Wer war Shakespeare, wer war er denn wirklich? O-Ton: Michael Bogdanov "[Schmutziges Lachen.] Das ist die Frage. Ein großartiger Autor war er. Er war sicher nicht Bacon. Er war sicher nicht Marlowe. Er war sicher nicht der Earl von Southampton. Er war William Shakespeare von Stratford on Avon." Text: Was natürlich zu einer anderen, sehr grundsätzlichen und immer wieder gestellten Frage führt: Warum immer wieder zurück zu Shakespeare? O-Ton: Michael Bogdanov "Also, die Stücke haben alles. Also, Shakespeare war Kopf und Bauch, alles. Schöne Sprache, Gewalt, Tanz, Musik, Komödie. Total ... total theatre heißt es. Deswegen möchte man stän- dig zurück zu Shakespeare kommen." Text: Ob nun auf der Nordseite der Hamburger Kirchenallee, im Schauspielhaus auf Hochdeutsch oder nun vis-á-vis auf der Südseite im Ohnsorg auf Platt, ne. -ENDE Beitrag- Länderreport DLR/K - Sommernachtstraum auf Platt im Ohnsorg-Theater Hamburg - Autor: Hartwig Tegeler 2