Deutschlandradio Kultur Länderreport COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Die kleine Ortsnamenkunde. Thüringen - Was Ortsnamen so erzählen können - Autor Matthias Biskupek Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 01.07.2011 - 13.07 Uhr Länge 14'54" Moderation Es ist schon ein paar Tage her, da unternahmen wir eine deutsche Weltreise in 80 Stunden und landeten auch in Canada. Dort fühlten wir uns tatsächlich wie in Canada - Wälder, Wild, die Landesfahne flatterte über uns. Der Heimatführer wusste viel zu erzählen - über Thüringen. Und über Canada, denn selbiges liegt in Thüringen. Nicht allzu weit von Cuba entfernt, was wiederum zu Gera gehört. Also schön aufpassen, wenn Sie mal eine Reise nach Canada oder Cuba buchen, sie könnten auch zu Fuß ans Ziel ihrer Träume gelangen. Matthias Biskupek nun streifte mit einer Landkarte durch Wald und Feld, überquerte Flüsse und Bäche, all das, um uns ins Bild setzen zu können, was es mit Ortsnamen und der Kulturgeschichte Thüringens so auf sich hat. -folgt Script Sendung- Script Sendung E01: ... das ist eigentlich Zentraldeutschland. Denn alles, was in Deutschland passierte, passierte in Thüringen auch - na - alle strömten dadurch - und wenn man irgendwas von deutscher Geschichte wissen will, kann man's auch in thüringischer Geschichte (Lachen) nachlesen. Autor: So ist das also mit der thüringischen Geschichte. Zentrales Deutschlandgeschehen, so weit die düringische Zunge reicht. Doch die Geschichte der thüringischen Ortsnamen beginnt in grauer Vorzeit. Reinhold Andert, manchem als vorzeitlicher Liedermacher bekannt, hat spannende Bücher zum Thüringer Königshort und zum fränkischen Reiter geschrieben, als ganze Völker wanderten. Er kennt sich aber auch mit jenen Unherziehenden aus, die bereits vor neuntausend Jahren ihr Wesen trieben. Just, als die ersten indogermanischen Sprachwurzeln in Thüringen gelegt wurden. Von Jägern und Sammlern. E02: Und diese Jäger und Sammler hatten ja auch das Bedürfnis, Orientierungspunkte in der Landschaft zu benennen. Und das haben Sprachwissenschaftler jetzt herausgefunden, dass in vielen Ortsnamen Mitteldeutschlands noch Wortwurzeln von diesen ur-uralten Sprachen versteinert vorhanden sind. Zum Beispiel die eine Wortwurzel -is, die wir ja kennen in Eis. Is bedeutet von den Jägern und Sammlern "Wasser". Und man findet diese Wortwurzel in mehreren Orten Thüringens noch, zum Beispiel in der Landeshauptstadt Erfurt. Die ja in der ersten Schreibweise erb-is-furt hieß. Und erb ist althochdeutsch, heißt grau, schmutzig, dreckig, -is- ist Wasser und Furt ist eben ein Übergang. Also ein Übergang über das schmutzige Wasser (Lachen). AUT: Die heute dort ansässige Landesregierung fischt also wortwörtlich in trüben Wassern. Und wir dachten immer, Erfurts Name hat mit irgendeiner Sage zu tun ... E03: Wenn einer keine Ahnung hat, dann bildet er irgendeine Sage um die Entstehung eines Ortsnamens. Nehmen wir mal als Beispiel Erfurt. Da gibt's eben die Sage, dass eben ein Müller namens Erph dort an der Gera gewohnt hätte und deshalb heißt das Ding Erfurt, was natürlich völliger Schwachsinn ist, weil es überhaupt nicht zu vereinbaren ist mit der ursprünglichen Schreibweise. AUT: Und woran erkennen wir die wirklich alten Ortsnamen? In Thüringen? Denn in Thüringen gibt es jede Menge Orte, die anderswo auch vorkommen. Man haust in -hausen, von Nordhausen bis Wolfmannshausen man lebt in -leben, von Bufleben bis Wasserthaleben. Man ist daheim von Wangenheim bis Schlotheim. Frauen gibt's von Frauenprießnitz bis Frauensee und Frauenwald. Man ist seriös in Ernstroda und macht Späßchen in Witzleben. Alles neu von Neuhaus bis Neumühle und gebraucht von Altkirchen bis Altengottern. Warza oder Floh sollte uns nicht auf den Jückelberg bringen, so heißen allesamt redliche Thüringer Dörfer. Dass manche Käffer wahrlich Käffer sind, könnte der Name Keffershausen verraten, wenn wir volksetymologisch herangingen. Doch wie der Name Thü-ringen eindeutig sagt, gibt es zu Hauf die ingen- Endungen. Gelegentlich vermischt sich das auch noch, wie in Thü-ringen- hausen. Andert aber kennt die Urkunden der Ersterwähnungen: E04: Die ältesten Ortsnamen Thüringens, die enden auf dunklen Vokalen a und o, ar - Gotha, Weimar, Eisenach. Dann kommen die zeitlich nächsten sind die auf -iti. Wie gesagt, in den Urkunden, heute ist das verwischt. Nehmen wir mal meine Heimatstadt Sömmerda zum Beispiel hieß Summariti. AUT: Und woher kommen die vielen -leben? E05: Das ist ein Ergebnis dieser Anglisch-Warnischen, der "Thoringer", wo "Thüringer" dann raus entstand - die gründeten diese -leben und - ingen Orte. Leben heißt übersetzt leiban, Erbe, Hinterlassenschaft, also das war schon ein Besitz des Thüringer Adligen. Und -ingen heißt zugehörig zu. AUT: Und wozu waren sie zugehörig? E06: Die -ingen sind dann von den Alemannen übernommen worden. Die Alemannen waren Schwaben, Sueben hießen die, die ursprünglich im Gebiet Brandenburgs, heutigen Brandenburgs, siedelten und dann teilweise nach Süden zogen und sich mit anderen Volksteilen vermischten, Alemannen, und brachten diese -ingen-Orte. AUT: Schwaben und Alemannen aus Brandenburg? Die wohnen heute zu Hauf in Berlin. Thüringen aber, so scheint es, bringt den deutschen festgefügten Föderalismus, den Grundkonsens der Bundesrepublik, heftig durcheinander. Nun wissen wir ja, weil wir Anderts Bücher lasen, dass die Thüringer einst ein mächtiges Königreich errichteten, das aber irgendwann ziemlich schnell in den Untiefen der Historie verschwand ... E07: Nach dem Untergang des Thüringer Königreiches, das war im Jahre 531, wurde ja gesamt Mitteldeutschland von den Franken besiedelt und die Franken waren außerstande, gesamt Mitteldeutschland zu beherrschen, so dass sie also an der Saale die Grenze des ostfränkischen Reiches errichteten. Östlich davon, östlich der Saale wurden die Thüringer Germanen herübergesiedelt - westlich der Saale und in dieses freigewordene Gebiet zogen nach und nach Sorben, sorbische Stämme herein und die gründeten wieder Orte und die haben bis heute natürlich so typisch slawische Endungen. Beispielsweise Leipzig, war ein ganz kleines Dorf (Lachen). Immer wenn's zischt östlich der Saale, das ist dann ein Hinweis darauf, dass das eine slawische Ortsgründung ist. AUT: Die Slawen sind also der nächste große Volksstamm, der in Thüringen mächtige Namensspuren hinterlassen hat. Auf deutsch hießen sie ja eigentlich Wenden... oder? E08: Diese Wind-Orte, wie man sie auch nennen kann, die sind also für den Südosten des früheren Bezirks Suhl typisch. Herwarthswind, Poppenwind, Oberwind, Almerswind, Gundelswind, Rückerswind sind da und Nahwinden zählt auch dazu, bei Stadtilm ist das ja bekanntlicherweise oder auch Wünschendorf, hier bei Gera, gibt's ooch mehrere, das heißt auch Altwindischendorf. Also die Wenden oder auch Winden die haben ja normalerweise ... östlich der Saale gesiedelt, aber es wurden auch slawische Siedler sehr geschätzt und westlich der Saale rangeholt und das merkt man an solchen Orten. Also das ist kein slawisches Altsiedelland, die - winden-Orte, sondern die sind gezielt von deutschen Feudalherren dann hergeholt worden. AUT: Damit der ganze Namensschlammassel noch unüberschaubarer wird. Doch wir haben schon an der Sprachfärbung dieses Experten gemerkt, dass wir aus dem thüringischen Zentrum mit dem Kenner Andert irgendwie an den Rand gerutscht sind, wuu de Hosen fast schon Husn haaßn ... E09: Nee - es is ne gruße Plooch mit n Kinnern heitzetooch! Franz un Frieder worn zwee sitte Strolche vun dr siemten Bitte - Lumpenpack, das will net heern. Guter Rot, dar tat se sterrn: Iewer sitte bleeden Sachen tatn se bluß hämisch lachen. AUT: Sie haben es wahrlich gehört: Sprachlich sind wir im grünen Bereich. Da wo die Orte gern auf -grün enden. Im Vogtland, ursprünglich eine Gegend um Gera und Weida, also zentrales Ostthüringen. Heute reicht es von Oberfranken nach Sachsen, vom Erzgebirge bis Thüringen. Wo eine slawisch-fränkische Mischung ebenfalls in den Ortsnamen deutlich wird, von Windischleuba bis Wenigenjena. E10: Windischen oder Wenigen, das ist ein altes sprachwissenschaftliches Problem. Wenn es von Anfang an Wenigen geheißen hat, dann bedeutet es wirklich klein. Es gibt aber Fälle, wo die Schreibweisen und auch die Lautungen wechselten. Windischen zu Wenigen wird und umgedreht. Da kann man das dann nicht genau sagen - also Windischen heißt wendisch und Wenigen heißt klein, aber die slawischen Orte sind auch oft die kleineren gewesen, von beiden. AUT: Frank Reinhold, Kenner der genauen Sprachgrenzen in einer Gegend, wo sich Süd- und Norddeutschland aneinander reiben, wie zwei Pultschollen auf der pazifischen Platte ... E11: Südlich der Vogtlandschranke heißt das Ma oder Mo, fliegn, nix, net, Brunne, laafen, unnere, Katz - und nördlich der reußischen Schranke, also etwas nördlicher, dazwischen gibts noch ein Übergangsgebiet, da heißt es anstelle von Ma und Mo, Mann, flieche, anstelle von fliegn, nischt, anstelle von nix, nich anstelle von net, Born anstelle von Brunne ... AUT. Der Wissenschaftler Dr. Frank Reinhold, nebenberuflich Mundartdichter, wie wir hörten, der im Greizer Staatsarchiv forscht, weiß natürlich auch, wie man sich gerade hier, an Thüringens Südostgrenze, mit Ortsnamen täuschen kann. Denn von Gertewitz bis Graitschen, von Caaschwitz bis Kriebitzsch hört man doch das sanfte slawische Zischen, oder? E12: Es gibt auch welche auf -itz, die eigentlich deutsch sind. Also Weischlitz, die bekannte Bahnstation. Das kann man immer festmachen an den ersten Erwähnungen. Die heißt Weicholds. Und damit ist klar mit d- s, da ist das ein sogenannter genitivischer Ortsname, also der Ort eines Mannes namens Weichold, das ist das wie wenn ich im Slawischen ein w hinten dran setze. AUT. Und den umgekehrten Fall. Was deutsch klingt ... E13 Umgedreht gibt's auch, Zoghaus bei Greiz zum Beispiel, da denkt man natürlich, das ist deutsch. Da heißt aber die erste Nennung Zochus - also das ist auch ein slawischer Vorname gewesen, mit einem J dran also Zochuschjs - oder so was. AUT. Und dann gibt es sehr seltsam klingende, eben die sogenannte genitivischen Orte... E14: Da habe ich also massenweise Namen: Ehnes, Eckards, Gertles, Gethles, Heßles, Herges, Malmerz, Mehmels, Meimers, Melkers, Melpers, Wahles, Zitters und so andre. Die klingen also ganz ungewöhnlich, und da sagste dir, was soll das sein, das sind also alles alte Vornamen mit einem s dran, wie's das auch bei Familiennamen gibt. AUT: Und wie ist es mit den klangvollen Thüringer Dörfern Röttelmisch oder Rodameuschl? Ich vermute auch dort die alten Slawen dahinter? E15: Rodameuschl bei Camburg und Röttelmisch bei Kahla - das geht auf Radomysl zurück, also Radomysl als Vorname, "rad" heißt froh und "myslitch" heißt denken... AUT. Wir denken uns froh ins Gemüt von Fremden hinein. Die per Autobahn von Deutschland-Nord nach Deutschland-Süd fahren und sich wundern über die Autobahnabfahrt "Lederhose", just hier im thüringisch-vogtländisch- sächsischen Grenzgebiet. Die Einwohner des Ortes, befragt, haben offensichtlich Vorurteile: E16 Was mir zu Lederhose einfällt? Da sinn Se nich der erste. AUT: Oder sie haben Hemmungen vor dem Fremden. E17: (Lachen)Ich möchte mich aber nich insz... interwjuhn lassn! AUT: Oder denken bei ihrem Ortsnamen - völlig abwegig. E 18: Als ich hierhergezogen bin, hab ich ooch gedacht - eh kannstn Porno drehn hier. AUT: Experte Dr. Reinhold weiß, was es mit der Lederhose auf sich hat. E19: Der strittige Fall (Lachen) der Lederhose der besteht eben darin, sagen wir mal, dass die normalen Deutschen und das normale Volk sagt, das hat was mit der Lederhose zu tun - die Sprachwissenschaft sagt das inzwischen auch, dann gibt's aber noch die Theorie, dass es slawisch ist, dass es Ljudoras ist, also ein slawischer Vorname. AUT. Der Ljudoras, der alte Lude, als Namensgeber der Lederhose. Doch dann gibt es bis heute Mundartformen, aus denen der Name nur mit Mühe zu erschließen ist: E20: Hier im Geraer Raum zum Beispiel für Hainsberg, das heißt Hesprich. Wenn man's weiß, dann ist natürlich der Zusammenhang - da. Oder Seelingstädt, was schon nicht mehr in Thüringen liegt, das iss aber genau an der thüringischen Grenze, bei Gera, das heeßt Scheilscht. AUT: Und manche Namen von einst kennt heute niemand mehr... E21: Meine Vorfahren haben Gahne gesagt für Jena, sagt heute kein Mensch mehr ... Greez sagen mir und der Vogtländer sagt eher Grääz ... AUT. Auch Reinhold Andert kommt auf den Zusammenhang zwischen Mundart und urkundlicher Fehldeutung zu sprechen. E22: Beispiel, wie falsch man Orte deuten kann, ist ein Dorf im Thüringer Becken, das heißt Zibblschwerschd, sagen wir dazu, also Zwiebel-Schwerstedt auf Hochdeutsch. Und Schwerstedt wird definiert als sveiga stetis, so ist die erste Schreibweise - Wohnort des Schwiegervaters, der Schwiegermutter, sveiga ist althochdeutsch - das ist natürlich völlig Unsinn so eine Ortsbenennung. AUT: Und warum? Weil jeder andere Schwiegereltern hat? E23: Wenn ich diese Orte aus dem Altnordischen herleite, geben die plötzlich einen Sinn, nämlich sveiga heißt im Altnordischen Rinder- Stätte - und das war ein Zulieferbetrieb für den Königshof, der königliche Rinderstall, wenn man so will. AUT: Vielleicht heißt Sveiga aber auch althochdeutsch Sweigari - Schweinehirt, aber uns soll hier Schwein wie Kuh, Jacke wie Hose sein. Man kann solche Zusammenhänge finden, wenn man noch im reiferen Alter auf Spracherkundung geht. Wie der heutige Berliner Andert, der auch mal jung war. E24: ...da hab ich Thüringen, zumindest dort wo ich aufgewachsen bin, Sömmerda im Thüringer Becken, als ungeheuer langweilig empfunden. Und erst viel, viel später, als ich begann, mich mit der Geschichte zu beschäftigen, hab ich gemerkt, wie interessant diese Gegend ist. AUT: Wer also über jene Gegend, in der er wohnt - oder die er lernwillig besucht - wirklich etwas wissen will, der beherzige den Spruch: Nomen est omen. Und diese Erkenntnis: E25: Die Namensforschung ist manchmal aufschlussreicher für die Siedlungsgeschichte als irgendwelche Knochen und Scherben. AUT: Wir wollen nicht alle Namensdeutungen ausbreiten. Nach solch merkwürdigen Orten wie Kannawurf, Ziegenrück oder Hachelbich dürfen Sie selbst forschen. Dass Sie aber in Thüringen sind, wird Ihnen gelegentlich auf ganz eigene Weise bewusst: E26: Da bin ich mal nach Schnett gefahren und da wollte ich zum Herrn Schramm. Hab ich mich erkundigt und da hamm die gesagt: Was, Schramm? Zu welchem denn? Wir hamm siebenundzwanzig Schramms hier. - Und da wusste ich Bescheid, wo ich bin, ja. -Ende Script Bietrag-