Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 29. November 2010, 19.30 Uhr Schluss mit giftig? - Eine Zwischenbilanz der EU-Chemikalienrichtlinie Von Susanne Harmsen Take 1: (Thomas Holtmann BDI 0'05 Alle, die mit Chemikalien etwas zu tun haben, müssen eigentlich seit Jahren wissen, was auf sie zukommt. Sprecher vom Dienst: Schluss mit giftig? - Eine Zwischenbilanz der EU-Chemikalienrichtlinie Eine Sendung von Susanne Harmsen Take 2: (Jurek Vengels BUND 0'08) Wir werden eigentlich erst in einigen Jahren wirklich sehen, ob REACH das bringt, was man sich davon versprochen hat. Dann nämlich wenn es richtig angelaufen ist, wenn auch mehr Stoffe bewertet sind. Sprecherin: Morgen, am 30. November 2010, ist der Tag, auf den Tausende Firmen in Europa lange hingearbeitet haben. Bis zu diesem Tag verlangt REACH, die EU-Verordnung für Chemikalien, von den Unternehmen, alle Stoffe anzumelden, von denen sie mehr als 1000 Tonnen jährlich produzieren oder einführen. Unter die gleiche Registrierungspflicht fallen schon ab einer Tonne alle Stoffe, die im Verdacht stehen, Krebs zu befördern, das Erbgut zu beeinflussen oder die Fruchtbarkeit zu verringern. Zusammen mit der Anmeldung müssen die Unternehmen umfangreiche Testergebnisse einreichen, wie die Stoffe auf Mensch und Umwelt wirken. Das Kürzel REACH steht nämlich für Registrieren, Evaluieren und Autorisieren von Chemikalien. So folgt auf Stufe 1, die Anmeldung der Stoffe, ab morgen das Bewerten und die Zulassung oder Beschränkung. Neu daran ist, dass nun die Hersteller selbst den Nachweis über die Wirkung ihrer Erzeugnisse führen müssen. Lars Tietjen vom Umweltbundesamt: Take 3: Es war die Schwäche des alten Chemikalienrechts, dass wir dann agieren konnten, wenn wir ein Problem gesehen haben. Das war eben dann häufig erst der Fall, wenn der Schaden schon eingetreten war. Deswegen ist es so wichtig, dass REACH verlangt, dass ein Grunddatensatz da ist, dass Daten generiert werden, die uns ermöglichen, auch bevor schon ein irreversibler Schaden eingetreten ist, schon agieren zu können. Sprecherin: Im Jahr 2006 verabschiedete das Europäische Parlament die REACH-Verordnung. Bis 2008 mussten die Unternehmen schon einmal angeben, welche Stoffe sie derzeit verwenden und welche sie unter den neuen Bestimmungen anmelden werden. Das Echo ließ die Internetportale der zuständigen Chemikalienagentur ECHA zusammenbrechen. 20mal so viele Anmeldungen wie erwartet gingen ein. Denn REACH betrachtet alle Stoffe, die verwendet werden. So ist erstmals nicht nur die Chemiebranche betroffen, sondern auch Möbelproduzenten, Elektrofirmen oder Kosmetikhersteller. 65.000 Unternehmen haben 145.000 Stoffe angemeldet, denn wer sich nicht registriert, darf den Stoff nicht mehr verwenden oder verkaufen. Diese Unmenge beweist, dass Chemikalien uns längst alle angehen. Shampoo, Duschvorhang und Deo versorgen uns schon am Morgen mit einer Dosis synthetischer Stoffe, die nicht alle ungefährlich sind. Im Blut eines Europäers finden sich durchschnittlich 18 Substanzen, die bedenklich sind, fand der WWF schon 2005 heraus. Jurek Vengels vom Bund für Umwelt und Naturschutz, BUND: Take 4: Das Problem ist, dass die Stoffe eben nicht in den Produkten bleiben, wie man erst einmal meinen könnte, sondern sie gasen aus, sie finden sich dann in der Raumluft, im Hausstaub beispielsweise. Sie werden auch durch Hautkontakt beispielsweise, dann aufgenommen, oder über die Atmung, wenn es in der Raumluft ist. Und wir finden viele dieser Stoffe in hohen Konzentrationen in Proben auch vom menschlichen Blut oder Urin beispielsweise und das durchaus in Mengen, die auch im Tierversuch schon zu Schädigungen geführt haben. Früher war das etwas anders, da hat man das Hauptproblem darin gesehen, dass man direkte Emissionen aus Kraftwerken oder Industrieanlagen hatte, heute sind die Schadstoffe eher weniger sichtbar in den Produkten versteckt. Wir sehen aber, dass bestimmte Krankheiten, zum Beispiel Krebs, schon seit Jahren zunehmen, auch Unfruchtbarkeit ist ein Thema, wo wir seit Jahren steigende Raten von kinderlosen Paaren sehen. Da gibt es sehr viele Stoffe, die mit diesen Krankheiten in Verbindung gebracht werden. Und die immer noch weit verbreitet sind in Alltagsprodukten. Sprecherin: Eine der verdächtigen Substanzen ist Bisphenol A, ein Weichmacher im Kunststoff Polycarbonat. Daraus macht man Wasserflaschen, Lebensmittelboxen, aber auch Babyflaschen und -Sauger. Bei Wasserlebewesen wie Schnecken und Fischen führte er im Labortest zur Verweiblichung, weil er wie das Hormon Östrogen wirkt. Die Folge: die Männchen verlieren ihre Zeugungsfähigkeit. Einige europäische Länder haben den Stoff deshalb für Babyprodukte verboten, große Hersteller in den USA verzichteten freiwillig auf ihn. Warum gibt es noch kein generelles Verbot? Lars Tietjen vom Umweltbundesamt: Take 5: Der Fall Bisphenol A ist relativ kompliziert in seiner Datenlage und der Interpretation der Ergebnisse der Studien. Einige Mitgliedstaaten sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Datenlage so ist, dass das Vorsorgeprinzip Maßnahmen erlaubt. In Deutschland ist man noch nicht zu einer abgestimmten Haltung gekommen, wie die Datenlage zu interpretieren ist. Wobei wir grundsätzlich anstreben, europäische Maßnahmen zu treffen, da im Europäischen Wirtschaftsraum nationale Maßnahmen zum einen schwer durchsetzbar sind. Artikel strömen dann trotzdem hinein, sodass wir nationale Maßnahmen tatsächlich nur als eine Notmaßnahme sehen, wenn es unbedingt erforderlich ist. Sicherlich ist es wünschenswert, wie in den USA, dass Firmen sich darüber Gedanken machen, wenn ein Stoff so in der Diskussion ist und es Hinweise auf eine mögliche Gefährdung gibt, ob es tatsächlich sinnvoll ist, diesen Stoff noch weiter zu verwenden. Oder ob nicht eine andere Alternative sinnvoller ist. Sprecherin: Das ist eine der Hoffnungen, die sich mit der Chemikalienverordnung verknüpfen, dass gefährliche Stoffe so hohen Aufwand an Forschung und Information für die Unternehmen bedeuten, dass sie lieber weniger schädliche einsetzen. Kritische Stoffe, die krebserregend oder erbgutschädigend sind, die Fortpflanzung beeinträchtigen oder sich in der Umwelt extrem lange ansammeln, kommen deshalb auf eine Kandidatenliste bei der Europäischen Chemikalienagentur, ECHA. Für sie ist in Zukunft ein Zulassungsverfahren gedacht, dass ihr Verwendung beschränken soll, damit möglichst wenig Schaden entsteht. Momentan stehen 38 Stoffe auf der Liste, doch es werden mehr. Lars Tietjen: Take 6: Es ist eindeutig die Zielsetzung, dass die Kandidatenliste deutlich anwachsen soll. Es gibt eine Einigung auf europäischer Ebene, zusammen mit den beiden betroffenen Generaldirektionen, dass wir bis 2012 gut 100 Stoffe auf die Liste mit raufbringen wollen, bis 2020 ist schon das Ziel, einige hundert Stoffe auf der Kandidatenliste zu haben. Es ist allerdings so, dass wir keinen Automatismus für die Aufnahme haben. Jeder Stoff muss einzeln geprüft werden, ob er tatsächlich diese Eigenschaften in sich trägt und dann auch begründet werden muss. Von daher haben wir einen Prozess, dass sie einfach nicht von heute auf morgen in der Lage sind, alle Stoffe in das System hinein zugeben, sondern leider dieses schrittweise machen müssen. Aber es ist eindeutig die Zielsetzung, die Kandidatenliste sehr deutlich anwachsen zu lassen und dann auch die davon relevanten Stoffe in die Zulassung zu bringen. Sprecherin: Ganz oben auf die Liste gehören nach Meinung von Verbraucherschützern die PAK, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe. Erst im Oktober fand die Stiftung Warentest wieder in Kinderspielzeug große Mengen. Bedenklicherweise auch in Produkten deutscher Markenhersteller. Monika Büning vom Verbraucherzentrale Bundesverband: Take 7: Das sind Weichmacher, Öle, Rußpartikel, zum Beispiel in Farben, in dunklen Farben. Und die sind einfach in vielen Produkten drin, das hat auch der Test der Stiftung Warentest gezeigt. Dafür gibt es momentan noch keinen Grenzwert, das ist über das GS Zeichen abgedeckt, in verschiedenen Abstufungen, für Kleinkinder, Kinder und normale Verbraucherprodukte, die jetzt nicht Kinderspielzeug sind. Wir brauchen da auch einen Grenzwert auch auf europäischer Ebene, damit da einfach Einhalt geboten wird. Sprecherin: Das ist trotz der REACH-Verordnung nicht so einfach. Fertigprodukte, die in die EU eingeführt werden, unterliegen nämlich nicht der Registrierungspflicht ihrer einzelnen Inhaltsstoffe. Hier gelten nur Grenzwerte, beispielsweise für die PAKs von 0,1 Prozent, ab da an muss der Schadstoff gemeldet werden. Wenn an einem Fahrrad vielleicht nur die schwarzen Handgriffe belastet sind, machen sie nie 0,1 Prozent aus, sind aber trotzdem eine Gefahr für den Radler, weil schwitzende Hände die Stoffe aufnehmen. Lars Tietjen vom Umweltbundesamt: Take 8: Die 0,1-Prozent-Grenze für kritische Stoffe in Erzeugnissen ist ein ganz ganz wichtiges Instrument, weil es Kommunikationspflichten, Meldepflichten gegenüber der ECHA auslöst. Da befinden wir uns allerdings in einem komplizierten Streit darüber mit der europäischen Ebene, ob das für ein Gesamterzeugnis gilt oder auch für Teile des Erzeugnisses, was ganz entscheidend ist. Wenn Sie einen Gummigriff haben, der an einem großen Gesamterzeugnis hängt, hat der vom Gewicht her einen so geringen Anteil, dass extrem hohe Anteile auch kritischer Stoffe drin sein könnten. So kann diese Regelung nicht gemeint gewesen sein. Wir hoffen da, dass wir dort zu einer Lösung kommen. Die Kommission hat zugesagt, unsere Rechtsposition noch einmal prüfen zu lassen von ihren Rechtsexperten. Und wenn wir dort nicht weiterkommen, ist das für uns eindeutig ein Punkt, wo wir die REACH-Verordnung im Rahmen des anstehenden Prozesses der ersten Überprüfung 2012 anpassen wollen würden, um da die Erzeugnispflichten etwas besser auszugestalten. Allerdings ist es auch klar, dass ein Chemikalienrecht den Produktbereich nicht umfassend regeln kann. Sodass auch die ergänzenden produktrechtlichen Regelungen entsprechend sein müssen. Sprecherin: Einer der großen Streitpunkte vor der Verabschiedung der Chemikalienverordnung war, wie sie im weltweiten Warenverkehr wirken kann und ob sie europäische Unternehmen nicht über Gebühr benachteiligt. Der jüngste Spielzeugtest scheint zu bestätigen, dass Regelungen in Europa wenig helfen, wenn zum Beispiel deutsche Firmen in Asien produzieren lassen. Monika Büning vom Bundeszentrale Verbraucherverband sieht trotzdem eine globale Wirkung von REACH: Take 9: Ich bin auf jeden Fall der Ansicht, dass dann auch in China und den USA Grenzen gesetzt werden. Meiner Ansicht nach wird in China das produziert, was wir hier bestellen. Also, was Importeure aus Deutschland, aus Europa bestellen, wird in China gemacht. Wenn wir sagen, dass bestimmte Stoffe nicht in den Produkten drin sein dürfen, wird das auch in China hergestellt. Also jetzt den Schwarzen Peter abzuschieben in andere Länder, finde ich einfach nicht richtig. Weil es ist immer die Frage, wie billig will ich etwas haben, je billiger desto gefährlicher sind vielleicht auch die Chemikalien, die verwendet werden. Und da denke ich, dass hier in Europa der Schwarze Peter liegt und nicht nur in China oder anderen asiatischen Ländern. Sprecherin: Doch strenge Grenzen für gefährliche Stoffe, abgekürzt CMR, sind auch unter der neuen Chemikalienverordnung nur sehr langwierig durchzusetzen. Lars Tietjen vom Umweltbundesamt: Take 10: Es ist so, dass es natürlich gewisse Darlegungspflichten gibt, um ein solches Verbot durchzusetzen. Gerade bei PAK hat auch Deutschland sich sehr engagiert, es durchzusetzen, und wir warten im Moment auf den nächsten Schritt des Prozesses. Es ist so, dass wir im Juni der Kommission ein umfangreiches Dossier übermittelt haben und sie aufgefordert haben, eine Beschränkungsmaßnahme für PAKs einzuleiten. Wir haben angeregt, dafür ein vereinfachtes Verfahren, das die REACH-Verordnung ermöglicht, für verbraucherrelevante Produkte, die CMR Stoffe enthalten, zu nutzen. Leider hat die Kommission bisher nicht reagiert. Und wir haben mehrfach nachgefragt, um da möglichst schnell zu einer Beschränkung zu kommen. Es war tatsächlich eine unbefriedigende Situation, dass da ein Bereich von Erzeugnissen nicht reguliert war, wo es allgemein bekannt war, dass ein Problem besteht. Sprecherin: Solange keine Grenzwerte oder Verbote existieren, kann der Verbraucher nur selbst versuchen, gefährliche Stoffe zu meiden. Auch dazu soll ihm die REACH-Verordnung Hilfe geben. So kann er beim Händler oder Hersteller anfragen, ob ein Produkt Stoffe der Kandidatenliste enthält. Sind mehr als 0,1 Prozent drin, muss das binnen 45 Tagen mitgeteilt werden und man kann auf den Kauf verzichten. Der BUND, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, veröffentlichte im September eine Testumfrage bei 24 großen Handelsketten, mit traurigem Ergebnis. Jedes dritte Unternehmen informierte die Verbraucher nicht über vorhandene Schadstoffe, und jedes zweite Produkt war mit Schadstoffen belastet. Auch beim Drogeriemarkt Rossmann verstaubte die Anfrage in einem email-Postfach. Eine ärgerliche Panne, die sich laut Pressesprecher Stephan- Thomas Klose nicht wiederholen soll, denn eigentlich kennt man die Verordnung: Take 11: Na, die Maßnahmen sind schon drastisch. Also, wenn wir bemerken, dass ein Produkt nicht die REACH-Anforderungen erfüllt, dann können und wollen wir das nicht verkaufen. Und der Lieferant muss dann nachbessern. Oder wenn es eben festgestellt wird, darf es nicht verkauft werden. Also im Fall besagter, von der BUND-Aktion betroffener Kulturtasche, die entgegen der REACH-Erklärung des Lieferanten doch Weichmacher enthielt, ist die sofort aus den Regalen entfernt worden. Sprecherin: Überhaupt habe sich die Handelskette mit umfangreichen Vorbereitungen gerüstet, den neuen Anforderungen gerecht zu werden: Take 12: Alle Lieferanten müssen rechtsverbindliche Lieferantenerklärungen zur europäischen Chemikalienrichtlinie, REACH-Erklärungen abgeben. Und wenn im Produkt Stoffe sind, die auf der Restricted Substances List stehen, in zulässiger Konzentration wohl gemerkt enthalten sind, dann müssen sie auch einen REACH Produktpass ausfüllen. Im Produktpass sind dann Detailinformationen zu den relevanten Stoffen nach Kategorien anzugeben. Für viele Rossmannprodukte, also vor allem für Produkte, die Haut- und Lebensmittelkontakt haben, muss auch zwingend durch einen Labortest nachgewiesen werden, dass eben keine Besorgnis erregenden Stoffe, wie zum Beispiel verbotene Weichmacher enthalten sind. Zusätzlich führen wir Stichprobenüberprüfungen im Rahmen unserer Wareneingangs-Überprüfungen durch. Und für die Kundenanfragen wurden im Kundendienst auch spezielle Antwortformulare, Bögen zur Verfügung gestellt, die also RSL-Chemikalien im jeweiligen Produkt ausschließen, oder, je nach Lieferantenerklärung, auch mal bestätigen. Wir sprechen wohl gemerkt von Substanzen, die zwar als Besorgnis erregend, also zum Beispiel fruchtschädigend eingestuft, aber mit keinerlei gesetzlichen Grenzwerten reglementiert werden. Sprecherin: Dieser Wust an Informationen und Maßnahmen ist selbst für einen großen Händler nur schwer zu bewältigen. Und wenn die Liste der besorgniserregenden Stoffe auf einige Hundert anwächst, braucht man Fachwissen externer Institute, die die Entwicklung ständig im Blick behalten. Doch Rossmann scheut die Kosten nicht, denn die Verbraucher sind wachsam. Pressesprecher Stephan-Thomas Klose: Take 13: Also die Sensibilität beim Kunden wächst in der Tat. Der Kundendienst bestätigte mir unlängst, dass täglich ein bis zwei Anfragen zu Inhaltsstoffen und Chemikalien in Produkten eingehen. Als verantwortungsbewusstes Unternehmen wollen wir hier unsere Kunden weder Gefahren aussetzen, noch wollen wir ihn Informationen vorenthalten. Aber die Listen ins Internet zu stellen ist doch problematisch, weil sie höchst kompliziert, höchst komplex, in der Regel Englisch und auch für den Endverbraucher in der Regel nicht ohne weiteres nachzuvollziehen und zu verstehen sind. Sprecherin: Der BUND plant, seine Testanfragen in ein paar Monaten zu wiederholen, in der Hoffnung, dass die Unternehmen aus dem schlechten Ergebnis der ersten Umfrage gelernt haben. Jurek Vengels: Take 14: Ja, wir haben durchaus einige Firmen gehabt, die sich im Nachgang der Tests auch bei uns gemeldet haben. Die noch einmal genauer nachgefragt haben, um welche Produkte es geht, welche Stoffe das waren, die Testberichte angefordert haben. Da hatten wir schon den Eindruck, dass die meisten Firmen dem jetzt auch nachgehen und auch die Hoffnung, dass solche Missstände dann auch abgestellt werden. Sprecherin: Bis dahin gibt er einige Hinweise, wie Kunden beim Plastik-Einkauf auch ohne Beipackzettel viele Schadstoffe vermeiden können. Unbedenklich seien Polypropylen, am Kürzel PP zu erkennen, oder Tritan. Take 15: Also ein wichtiger Tipp ist Weich-PVC zu vermeiden. Weich-PVC enthält immer Weichmacher und zwar oft in großen Konzentrationen. Steht ja auch oft drauf wenn es PVC ist. Dann sollte man darauf achten, Produkte aus Polycarbonat zu vermeiden, die sind gekennzeichnet durch ein Kürzel PC, das man dann häufig auf dem Produkt findet. Und ein weiterer Tipp ist, auf Gütesiegel zu achten, zum Beispiel von Ökotest oder auch auf das Zeichen geprüfte Sicherheit. Sprecherin: PVC findet sich in besonders weichen Plastikgegenständen, zum Beispiel Duschvorhängen, Kabelisolierungen, Badeschuhen oder Wasserbällen. Wie aber kamen nun die Unternehmen mit all den neuen Anforderungen aus REACH zurecht? Kaum ein Möbelhersteller hat Chemiker und Ökotoxikologen auf seiner Angestelltenliste. Die Bundesbehörden wie das Bundesumweltamt aber auch die Industrie- und Handelsverbände haben umfangreiche Hilfen entwickelt, in Tagungen und Workshops aufgeklärt und vor allem handhabbare Listen ins Internet gestellt. Thomas Holtmann, Leiter der Abteilung Umwelt und Technik beim Bundesverband der Deutschen Industrie: Take 16: Da steht dann möglichst auf einer Seite kurz und knapp, unter den Rubriken wer, wie, was, wann, was zu tun ist unter REACH. Denn uns war sofort klar, dass die REACH- Verordnung eine derartige Herausforderung an die Unternehmen ist, und nicht nur an kleine, mittlere haben daran auch schwer zu knacken und auch große. Wir haben damit, denke ich, einen guten Erfolg gelandet, die Nachfrage nach den Informationen, die wir anbieten, ist enorm. Es geht bei den Hilfestellungen um Fristen und Termine, die einzuhalten sind durch die Unternehmen, das ist ein wesentliches Element. Und die Resonanz ist durchaus sehr positiv, die wir damit erhalten. Das haben wir uns natürlich nicht alles selbst als Verdienst zuzuschreiben, sondern das basiert auf einem Netzwerk, das wirklich groß ist, von Industrieexperten, die ihre Erfahrung dort wieder einfließen lassen. Denn das Ganze ist natürlich nur so gut wie die Rückkopplung aus der Praxis. Das können nicht Theoretiker in den Verbänden schreiben, sondern es muss aus der unternehmerischen Praxis die Meldung kommen, das funktioniert so nicht, schreibt das anders auf oder hiermit haben wir gute Erfahrungen gemacht, so kann es gehen, tut das noch mit rein. Sprecherin: Insofern ist er sicher, dass die deutschen Unternehmen pünktlich ihre Meldungen abgeben werden. Gleichzeitig versteht sich der Bundesverband der Deutschen Industrie als Interessenvertreter und versucht bei der EU, unpraktikable Regelungen der Verordnung zu verändern. Thomas Holtmann: Take 17: Wir haben jetzt zuletzt, glaube ich, ein sehr viel stärkeres Verständnis angetroffen, bei Kommission und Agentur, das manifestierte sich besonders bei der Einrichtung einer sogenannten Directors Contact Group, da wurde sehr pragmatisch diskutiert, wie man in bestimmten Problemfällen mit Dingen umgehen kann, die nun eine Verordnung wirklich nicht vorhersehen kann. Es gibt vielleicht einen federführenden Registranten, der geht mitten drin pleite. Was kann man dann tun? Also die Realität ist ja immer facettenreicher als was jetzt jemand, der Chemikalien regeln will, mit einer Verordnung sich vorstellen kann. Da sind ja viele unternehmensrechtliche Aspekte auch mit drin. Und Dinge solche Art müssen irgendwie abgefangen werden, das können sie nicht in eine Verordnung rein schreiben, die ohnehin schon 1200 Seiten dick ist, da können sie nicht die ganze Realität abbilden. Sprecherin: Mit der ganzen Realität haben es Beratungsfirmen zu tun, die gerade von kleinen und mittelständischen Unternehmen aufgesucht werden, um mit den vielen Vorschriften von REACH zurecht zu kommen. In Dresden sitzt zum Beispiel ReachChemConsult. Auf dem Schreibtisch von Thomas Gildemeister in der Strehlener Straße liegt ein sehr abgegriffenes Exemplar der 1200 Seiten starken Verordnung. Der Biologe und Umweltgiftexperte stößt sich am meisten an den Ausnahmen für die ganz großen Branchen. Thomas Gildemeister: Take 18: Ich hatte Anrufe bekommen, unter anderem von kleinen Händlern, die Holzkohle importieren. Die importieren im Jahr mehr als 1000 Tonnen. Aber Holzkohle ist ein Stoff, der vor der REACH-Registrierung betroffen ist. Der ist nicht ausgenommen. Hingegen Braunkohle und Steinkohle sind ausgenommen. Da fragt sich jeder, ja warum ist denn das, aber das sind politische Entscheidungen, die im Vorfeld bei der Ausarbeitung von REACH getroffen wurden. Bestimmte Lobbygruppen, möchte ich sagen, hatten auch einen Einfluss. Es wird aber auch eine Branche gegeben haben, wie zum Beispiel die Holzkohlevertreter, die das schlichtweg verschlafen haben. Sprecherin: Ebenso ausgenommen sind Treibstoffe in Motoren und Kraftwerken sowie Zement. Dabei ist Benzin zum Beispiel ein Schadstoff erster Güte, wasser- und bodenschädigend, brennbar, explosiv, giftig, krebserregend. Aber offenbar wirtschaftlich zu wichtig, um eventuell durch Zulassungsverfahren beschränkt zu werden. Für alle anderen Stoffe gilt das strenge REACH-Verfahren. Thomas Gildemeister: Take 19: Es gibt einen, der die Federführung übernimmt bei der Registrierung. Die kleinen oder die anderen Firmen hängen sich da mit dran, man muss sich aber einigen, man muss einen Vertrag abschließen, man muss auch entsprechend eine Zugangsgebühr bezahlen. Die Studien, die Tox-Studien können sie sich vorstellen, kosten nicht nur Zehntausende von Euros, die kosten schnell Hunderttausende von Euros. Die müssen geteilt werden. Dieses Teilungsprocedere soll fair passieren, transparent und nicht diskriminierend. Das ist eine Schwierigkeit. Was ich beobachte, ist: Die Firmen, die wissen, wie es läuft, geben den Preis vor und die kleinen, die müssen entweder fressen oder sie sterben. Sprecherin: In der Praxis beobachtet er, dass kleinere Firmen Produktionslinien einstellen, weil eine Registrierung zu teuer würde. Darüber hinaus schaffen es andere vielleicht nicht mehr, innovative Produkte zu entwickeln, zum Beispiel aus pflanzlichen Rohstoffen. Thomas Gildemeister: Take 20: Stellen Sie sich vor, Sie suchen einen Ersatzstoff, aus dem Bereich Lösungsmittel. Da benutzt man momentan petrochemische Produkte, dcie da mit anfallen, und einige haben ja gewisse unschöne Eigenschaften, Krebs erregende Eigenschaften zum Beispiel. Sie suchen dort einen Ersatzstoff, basierend auf nachwachsenden Rohstoffen. Auch hier müssen die Firmen für diese Stoffe, die man aus nachwachsenden Rohstoffen herstellt, ein Registrierdossier erstellen. Und ja, wenn sie im Bereich 1000 Tonnen ein Produkt herstellen wollen, dann müssten sie durchaus zwischen 200.000 und bis zu einer Million Euro einplanen und das ist ein entscheidender Kostenfaktor, der natürlich diese alternativen Stoffe gegenüber den bisher konventionell verwendeten Stoffen benachteiligt. Sprecherin: Auch der Konkurrenzdruck von Firmen außerhalb der EU könnte ein Problem für einheimische Hersteller werden, befürchtet er. Denn die Grenze von 1000 Jahrestonnen, ab der ein Stoff registriert werden muss, sinkt 2013 auf 100 Tonnen und ab 2018 auf eine Tonne, die pro Jahr hergestellt oder importiert wird. Dann spätestens wird es für viele Spezialisten, die mit kleinen Mengen arbeiten, zu Ende gehen, sagt Thomas Gildemeister: Take 21: Wenn es in der EU zehn kleine Firmen gab, die jeweils zehn Tonnen eines Stoffes hergestellt haben, muss jeder dieser zehn Leute dann eine Registrierung machen. Das kann für jemanden außerhalb der EU, der sowieso 100 Tonnen herstellt, dann viel einfacher sein, den EU-Markt zu bedienen. Und dann fallen eben zehn Firmen in der EU weg. Und einer ist der Importeur, der bleibt übrig. Sprecherin: Für verbesserungswürdig an REACH hält der Praktiker zudem die Regelung, dass giftige Stoffe per se auf die schwarze Liste kommen. Denn Anwendungen von Arsenverbindungen zum Beispiel seien in der Elektronik nicht zu ersetzen. Bei der Fertigung gelten dafür strengste Sicherheitsbestimmungen, der Verbraucher komme mit den Schadstoffen nie in Berührung, da sie fest in den Chips und Bauteilen, etwa beim Handy, eingebunden sind. Hierfür sollten Ausnahmeregelungen geschaffen werden, wie auch für andere Stoffe, die man derzeit noch nicht ersetzen kann, obwohl sie gesundheitsgefährdend sind. Thomas Gildemeister: Take 22: Gibt es ein Flammschutzmittel, Hexabromozyklododekan, dieses finden Sie in sämtlichen Sitzpolsterbezügen, sie finden das Elektronikteilen, um eben einen bestimmten Flammschutz zu erzielen. Und für solche Stoffe muss dann ein Zulassungsantrag geschrieben werden, aus dem hervorgeht, dass es keine Alternative gibt für den Stoff, dass die Verwendungen für Mensch und Umwelt adäquat kontrolliert sind, und aus sozioökonomischer Sicht die Risiken, die man daraus ersieht, akzeptabel sind. Sprecherin: Viele Firmen haben Probleme, wenn Stoffe, die sie für wichtige Anwendungen nutzen, plötzlich auf die Kandidatenliste der Stoffe gesetzt werden, weil sie krebserregend, fruchtschädigend oder das Erbgut beeinflussend sind. Und nicht immer gibt es einfach ungefährliche Alternativen, sagt Thomas Holtmann vom BDI: Take 23: Ich halte es insgesamt für einen etwas zu naiven Ansatz, der da gewählt wurde, es gibt die bösen Stoffe, die sind immer überall böse, und es gibt die guten Stoffe, die man einfach nur nehmen braucht und dann kann man das gleiche machen. Man sieht einfach sehr deutlich, dass bestimmte Stoffe auch aus bestimmten Gründen eingesetzt werden und das ist nicht nur, weil diese Stoffe kostengünstig oder billig sind. Oft sind Stoffe mit ganz besonderen Eigenschaften sogar sehr teuer, aber sie werden deswegen genommen, weil sie bestimmte chemische, physikalische, technische Eigenschaften haben. Solche Produkteigenschaften sind dann durchaus sehr vorteilhaft für andere Zielsetzungen, die uns wichtig sind: Umweltschutz, Gesundheitsschutz und Ähnliches. Und wenn uns diese Stoffe dann fehlen, dann sind auch diese Lösungen nicht mehr möglich. Sprecherin: Thomas Holtmann kennt auch einen Stoff, der eigentlich keinen Verbraucher gefährdet, aber schon jetzt durch seine Nennung auf der Kandidatenliste der Europäischen Chemikalienagentur geächtet wird: Take 24: Ich denke insbesondere an Aluminiumsilikat, daraus wird Hochtemperaturwolle gemacht. Die Isolation von Industrieöfen wird damit viel effizienter, es wird Energie eingespart. Jetzt führt die Listung auf der Kandidatenliste dazu, dass dieser Stoff nicht mehr akzeptiert wird im Markt. Und das sind ja nicht nur Verbraucher die darauf gucken, es sind Händler die darauf gucken, andere Unternehmen, die Kunden sind. Und auf einmal stellt sich heraus, auch eine innovative und im Sinne der Umwelt hervorragende Anwendung eines solchen Stoffes ist dann nicht mehr möglich. Und das, denke ich mir, kann eigentlich nicht gewollt gewesen sein. Sprecherin: Eine Weiterentwicklung der Chemikalienrichtlinie wünschen sich auch andere. Die Umweltverbände wollen natürlich, dass schnell noch mehr gefährliche Stoffe reglementiert werden. Und auch die Verbraucherschützer fordern mehr Tempo. Monika Büning: Take 25: Ich denke schon, dass REACH etwas bringen wird, aber vielleicht nicht so sichtbar für den Verbraucher. Natürlich werden Chemikalien ausgetauscht werden, gefährliche Chemikalien werden vielleicht durch andere ersetzt werden. Dann aber wieder die Frage, was ist jetzt mit denen, vielleicht sagt man doch in zehn Jahren, das war jetzt doch gefährlich. Aber ich glaube schon, dass REACH etwas bringt. Es dauert uns nur einfach viel zu lange. Wir haben das Gefühl, es geht wirklich sehr, sehr langsam voran. Vor allem muss es gehen, dass viel, viel mehr Informationen an die Öffentlichkeit gehen. Es passiert sehr viel Hinterstübchen, nicht sehr transparent, die Industriekunden da vielleicht auch mal mit den Behörden, und das darf einfach nicht sein. Sprecherin: Wenn zum morgigen Stichtag also alle europäischen Unternehmen ihre verwendeten Chemikalien über 1000 Jahrestonnen registriert haben, ist das ein erster Schritt zu mehr Transparenz. Bis sie uns und unsere Umwelt tatsächlich weniger belasten, ist es noch ein weiter Weg. Der Ökotoxikologe Thomas Gildemeister: Take 26: Mit REACH ist durchaus auch dem Verbraucher geholfen. Wir werden mit REACH mehr toxikologische Daten zu den Stoffen erhalten, wir werden mehr darüber erfahren. Wir brauchen uns aber nicht vorstellen, dass wir mit REACH jetzt in einer schadstofffreien Umwelt leben werden. Spr. vom Dienst Schluss mit giftig? - Eine Zwischenbilanz der EU-Chemikalienrichtlinie Eine Sendung von Susanne Harmsen Es sprach: Nina West Ton: Barbara Zwirner Regie: Roswitha Graf Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 14