DEUTSCHLANDFUNK GESICHTER EUROPAS Samstag, 23. Januar 2010 / 11:05 ? 12:00 Uhr Baia Mare, zehn Jahre danach: Die Bilanz einer Umweltkatastrophe mit Reportagen von: Keno Verseck am Mikrofon: Britta Fecke ------------------------------------------------------ Trailer Mod auf Musik Mod.: ...Die Bibliothekarin von Baia Mare erinnert sich an den Tag als der Damm brach. : O-Ton: ..."Der Unfall hat soviel Unglück gebracht. Der See ist eine Giftquelle für unser Dorf und unsere Kinder. Als damals der Damm brach, konnten wir uns nicht vorstellen wie schlimm die Folgen sein würden. Erst hinterher haben wir gesehen welche Gefahr da lauert." Mod :...und es ist nicht die einzige, wie ein rumänischer Rentner weiß: O-Ton: ...." Hier in Maranures gibt es 300 solcher Halden! 300! Mit 50 Millionen Tonnen schwermetallhaltigem Abraum. Der Zyanidunfall war ein einmaliges Erlebnis, aber diese Halden hier verschmutzen die Umwelt jeden Tag." Mod.: Gesichter Europas: Baia Mare, zehn Jahre danach. Die Bilanz einer Umweltkatastrophe Mit Reportagen von Keno Verseck Am Mikrophon begrüßt sie Britta Fecke. Mod 1: Als die Dämme brachen war es Nacht in Baia Mare, und in dieser Januar Nacht vor 10 Jahren begann eines der düstersten Kapitel in der Geschichte der Bergbaustadt, im Nordwesten Rumäniens. Rund 100 000 Kubikmeter hochgiftiger Zyanidlauge fliesen aus dem geborstenen Becken des Goldbergwerks über die Felder der Bauern, in den Sasar und von dort über die Theiß bis in die Donau. In der giftigen Flut stirbt alles Leben, 1400 Tonnen toter Fische wurden allein aus der Theiß gezogen. Viele Wochen lang mussten allein in Ungarn mehrere hunderttausend Menschen mit Trinkwasser versorgt werden. Atmo: Kirchenglocken Das australisch-rumänische Konsortium Aurul beginnt nur wenige Wochen vor der Giftkatastrophe mit der Goldwäsche in Baia Mare; mit hochtoxischem Zyanid soll aus den alten Abraumhalden noch das letzte Gold gewaschen werden. Die giftigen Schlämme werden aus Kostengründen nicht neutralisiert, sondern in ein riesiges künstliches Becken geleitet. Von dort bahnte sich die Giftbrühe in der Unglücksnacht zuerst ihren Weg durch das nah gelegene Dorf Bozinta und vernichtet alles Leben im Boden und Wasser. Unter den Folgen dieser Umweltkatastrophe leiden die Menschen noch heute: Beitrag 1: Das Dorf am Damm Atmo: Chorgesang, Glocken, Weihrauchfass klimpert Sonntag mittag in der Dorfkirche von Bozinta, der Gottesdienst geht zuende. Wie immer hat der Priester den Segen für den Patriarchen und für die Menschen im Dorf gesprochen, dann auch für die Erde und die Natur. Letzteres ist nicht üblich in einem orthodoxen Gottesdienst. Doch hier im Dorf gehört dieser Segen dazu seit der Katastrophe, seit jener Nacht vor zehn Jahren, als einen Kilometer dorfaufwärts am Abwassersee der Goldfabrik der Damm brach. Die Giftflut überschwemmte die Felder der Anwohner aus Bozinta und ergoss sich dann in den Sasar. Hunderttausend Tonnen Zyanid- und Schwermetalllauge sollen in den kleinen Fluss gelangt sein. Doch niemand weiß das so genau. Vielleicht trat auch viel mehr aus. Atmo: Glockenläuten vor der Kirche Nach dem Gottesdienst tritt der Priester vor die Kirche. Ioan Pop ist ein mittelgroßer, korpulenter Mann, schwarzgraues Haar. Er winkt einigen Leuten freundlich zu, dann wird sein Blick nachdenklich. Niemand habe vergessen, was vor zehn Jahren geschah, sagt er. O-Ton Ioan Pop: Natürlich leben die Leute im Dorf ständig mit der Angst, dass noch mal etwas passiert. Wir leben ja in einer Gegend, in der es Umweltkatastrophen nicht erst seit dem Unfall von vor zehn Jahren gibt. Wir haben ja auch noch die Abwasserseen und Abraumhalden des alten staatlichen Bergbaubetriebes. Die Umweltverschmutzung existiert, sie wird real, in dem, was man isst und trinkt. Allein schon, wenn wir das Wort Zyanid hören, haben wir Angst. Atmo: Danut Ghisa am Brunnen in seinem Hof, spricht, gießt Wasser aus Auch Familie Ghisa war beim Gottesdienst, Vater und Mutter mit beiden Kindern. Wieder zuhause, zieht Danut Ghisa, der Tierarzt des Dorfes, mit seinen kräftigen Armen einen Eimer Wasser aus dem Brunnen und stellt ihn auf dem Hof ab. "Man sieht die merkwürdige Farbe des Wassers", presst der 46jährige hervor, als verschnüre ihm die Erinnerung an den Unfall die Kehle. "Mehrmals wurde in Wasserproben, die ich habe entnehmen lassen, Zyanid gefunden. Wir trinken es seit damals nicht mehr, wir geben es nur den Tieren." Familie Ghisa wohnt am Dorfrand von Bozinta. Von hier aus sind es nur ein paar hundert Meter zum Abwassersee. Danut Ghisa ist im Dorf geboren und aufgewachsen, arbeitet seit 20 Jahren als Tierarzt, von seinen Eltern hat er drei Dutzend Hektar Land geerbt. Auf dem Grundstück am Haus hat er viele Äpfel- und Pflaumenbäume gepflanzt und einen kleinen Teich für Karpfenzucht angelegt. Bald nach dem Unfall starben alle Fische. Danut Ghisa steht vor seiner kleinen Obstplantage, das Werk vieler Jahre Arbeit. Auch die Bäume sterben langsam. O-Ton Danut Ghisa: (bricht Zweig eines Apfelbaumes ab) Die Bäume sind sehr betroffen, sehen Sie, alles vertrocknet. Seit einigen Jahren haben wir auch kein Gemüse mehr. Vor allem Tomaten und Gurken sind sehr empfindlich. Sie wachsen erst ein ganzes Stück, dann vertrocknen sie einfach. Atmo: Danut Ghisa und Tochter Evelina bei Schulaufgaben Danut Ghisa hilft seiner elfjährigen Tochter Evelina bei den Hausaufgaben. Sie muss ein Referat über Vulkane halten und hat dazu ein Modell aus Gips gebastelt, ihr Vater fragt sie ab. Bald könnte ihre Kindheit hier im Dorf enden. Seit drei Jahren liegt die Goldproduktion still. Doch eine russische Firma hat die Fabrik gekauft, und nun soll die Goldproduktion mittels Zyanidwäsche wieder anlaufen. O-Ton Danut Ghisa: Weder ich noch jemand anders im Dorf will, dass die Fabrik wieder arbeitet. Die Umweltverschmutzung würde immer schlimmer werden. Wir denken vor allem an die Zukunft unserer Kinder. Gott behüte, aber wenn die Fabrik wieder öffnet, werden wir das Dorf verlassen. Eine andere Lösung gibt es nicht. Nicoleta Ghisa, die Frau des Tierarztes, hört ihrem Mann wie versteinert zu. Die blonde 38jährige mag sich nicht erinnern. Sie sagt das mit trockener Stimme und tiefer Bitterkeit. Die früheren australischen Eigentümer der Goldfabrik haben niemanden im Dorf entschädigt, es gab kein Wort der Entschuldigung. Sie sind weg, das Gold ist weg, das Gift geblieben. "Der Schaden für uns ist sehr, sehr groß", sagt Nicoleta Ghisa mit starrem Blick. "Der Unfall hat auch unser Leben vergiftet. Es war ein sehr schlimme und sehr hässliche Sache." Literatur-Moderation auf Musik: Der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk beschreibt in dem Essay "Unterwegs nach Babadag" endlose Fahrten durch die Slowakei, Ungarn und die Industriegebiete Rumäniens. Auf seiner Reise kommt er auch nach Baia Mare. "Unterwegs nach Babadag" ist 2005 im Suhrkampverlag erschienen: Ich habe Baia Mare in den Strahlen der Sonne gesehen, die schon nach Westen über das Große Ungarische Tiefland rollte. In der Luft hingen noch Reste des Regens, und über dem Tal des Flusses Lapus stieg ein Regenbogen auf. Feuchter, goldener Staub schwebte über der Ebene, über der Straße, der Brücke, den Weiden, den weißen Wolken der blühenden Bäume, über der Welt und der ganzen Provinz Maramures. Solch ein Licht gibt es nur nach einem Gewitter, wenn der Raum von übernatürlicher Elektrizität erfüllt ist. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Glanz irgendwo aus der Tiefe der Erde kam, aus den in den Bergen verborgenen Erzgängen. Baia Mare, Nagybanya, "Großes Bergwerk", goldhaltige Adern, das mitteleuropäische Eldorado, zweihundertfünfzig Kilometer von meinem Zuhause entfernt - solche Gedanken hatte ich, als ich den Fluss Lapus überquerte. Im Norden erhob sich der Berg Ignis. Dort lag noch Schatten, und die Gipfel waren von einem nassen Dunkelblau. Das Gewitter war vorbeigezogen und wanderte nun das Tal der Schwarzen Theiß entlang, über das Czarnohora- und das Swidowiec- Gebirge. 2 Mod. : Der Dammbruch von Baia Mare war die schlimmste Umweltkatastrophe in Osteuropa seit Tschernobyl. Und dennoch kann der Konzern kurz nach dem Unfall seine Arbeit wieder aufnehmen: schon im Frühjahr des selben Jahres erhält Aurul eine neue Betriebsgenehmigung. Die Proteste der Umweltschützer verhallen ungehört, die australische Firma wäscht weiter nach gleichem Verfahren Gold. Dazu wird der erzhaltige Abraum zu feinem Staub zermahlen mit Kaliumzyanid versetzt und mit Hilfe einer chemischen Reaktion wird das Gold herausgelöst. Die dabei anfallende toxische Zyanidlauge wurde auch nach dem Unfall - wie schon zuvor - über brüchige Rohrleitungen in ein Abwasserbecken geleitet. Atmo: Kinder draußen Für jeden Zentner Gold, dass Aurul aus den Abraumhalden von Baia Mare gewaschen hat ,waren 120 Tonnen Zyanide notwenig. Viel Gift für wenig Gold! Der australische Konzern ist inzwischen weg, das Gift ist geblieben und weht bei Wind ungeschützt von den alten Abraumhalden direkt ins Dorf . Beitrag 2 Birken gegen Gift Sasar, ein Dorf mit 2.000 Einwohnern an einem Samstag vormittag. Die Kinder vom Öko-Klub sind auf eine Wiese am Dorfrand gegangen und pflanzen Bäume. Rodica Babut, die Dorfbibliothekarin und Leiterin des Klubs, reicht einem Jungen einen Birken-Setzling. O-Ton Rodica Babut: Birken wachsen schnell. Die Bäume, die wir pflanzen, werden das Dorf schon bald vor dem giftigen Schwermetallstaub schützen. In trockenen Sommern weht der Wind ständig Staub von der Halde herunter und dann auf unsere Häuser und Gärten. So eine Baumreihe wird einen Teil des Staubes abhalten. Atmo: Baumpflanzen, Graben Rodica Babut weist mit der Hand in die Richtung, aus der der Staub kommt. In zwei-, dreihundert Metern Entfernung ragt eine riesige Abraumhalde aus der Ebene empor - Rückstände von Bergbau und Metallverarbeitung, voller giftiger Schwermetalle. Noch mal hundert Meter weiter liegt jener künstliche, fast einen Quadratkilometer große Abwassersee, aus dem vor zehn Jahren hochkonzentrierte Zyanidlauge floss. Ein bedrohlicher Anblick. Zwar liegt die Goldfabrik seit drei Jahren still. Doch das giftige Abwasser wurde nicht neutralisiert, der künstliche See nicht zugeschüttet. Und so hat Sasar zehn Jahre nach der Giftkatastrophe noch immer den Tod zum Nachbarn. O-Ton Rodica Babut: Es ist bedrückend, diesen See zu sehen. Der Unfall hat so viel Unglück gebracht. Der See ist eine Giftquelle für unser Dorf und unsere Kinder. Als damals der Damm brach, konnten wir uns nicht vorstellen, wie schlimm die Folgen sein würden. Erst hinterher haben wir gesehen, welche Gefahr da lauert. Die 50jährige ist in Sasar geboren und aufgewachsen. Schon in ihrer Kindheit häufte der staatliche Bergbaubetrieb Remin neben dem Dorf giftigen Abraum zu einer Halde auf. Viele Männer aus Sasar arbeiteten in der Edel- und Schwermetallproduktion, niemand dachte über Umweltschutz nach, auch Rodica Babut nicht. Sie war Agraringenieurin, einige Jahre nach dem Ende der Diktatur bekam sie den Posten als Dorfbibliothekarin. Der Zyanidunfall im Jahr 2000 öffnete ihr langsam die Augen über das Ausmaß der Umweltverschmutzung in der Region. 2003 gründete sie einen Öko-Klub für Kinder. Zusammen mit ihnen pflanzt sie Bäume oder sammelt Müll im Dorf. Und manchmal hat sie mit den Kindern auch einfach nur Spaß beim Volkstanz. Atmo: Jungen und Mädchen beim Volkstanz O-Ton Rodica Babut: Für mich bedeutet die Arbeit mit Kindern eine Freude. Darüber, dass ich der nächsten Generation bestimmte Dinge näher bringen kann. Ich versuche, die Kinder für die Gefahr, die uns droht, zu sensibilisieren. Auch ich habe diese Gefahr ja erst nach dem Unfall vor zehn Jahren erkannt. Leider wird in den Familien zu wenig über das Thema gesprochen, was sehr schlecht ist. Und leider haben wir auch keine öffentlichen Treffen, auf denen es um die Giftkatastrophe und um die Verschmutzung unserer Gegend geht. Atmo: Rodica Babut füttert Truthähne im Hof ihres Hauses Später am Nachmittag. Rodica Babut füttert im Hof ihres Hauses die Truthähne. Neben Geflügel hält sie auch Schweine, baut Mais an und zieht in Gewächshäusern Tomaten, Gurken und Paprika. Rodica Babut ist froh, dass sie finanziell nicht darauf angewiesen ist, ihre Erzeugnisse zu verkaufen, so wie andere im Dorf. O-Ton Rodica Babut: Wenn du auf dem Markt sagst, dass du aus Sasar bist, kaufen die Leute deine Milch nicht, sie sagen: `Bei euch ist alles verseucht!´ Geld für eine Studie über die Belastung der Produkte haben wir im Dorf nicht. Man merkt nur, dass Getreide, Mais und Gemüse desto geringere Erträge haben, je dichter sie an der Halde und am Abwassersee wachsen. Das Wichtigste wäre, die Halde vollständig einzuhüllen, damit wir nicht mehr dieses Staubproblem haben. Nach getaner Hofarbeit macht Rodica Babut einen Kaffee, dabei versucht sie, ihre Gedanken an das Gift und an die Umweltverschmutzung mit einem Scherz zu überspielen. "Es heißt", sagt sie, "wir hier seien ein bisschen übergewichtig, weil wir soviel Blei in uns haben." O-Ton Rodica Babut: Das Lachen bleibt ihr im Hals stecken, es ist ein bitterer Scherz. Wegen der Schwermetalle werden die Leute im Dorf nicht sehr alt, vor allem nicht die Männer, die in den Metallhütten gearbeitet haben. Viele schaffen es nicht einmal bis zur Rente. Mod 3: Auch schon lange vor der Giftflut war Baia Mare eine der Städte, mit den schlechtesten Luft- Boden- und Wasserwerten in Europa, kontaminiert mit giftigen Schwermetallverbindungen und toxischen Chemikalien. Denn in der Region werden neben Gold auch noch Silber, Zink, Blei und Kupfer gefördert. Auch deshalb liegt die Lebenserwartung der Menschen von Baia Mare deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Die in ganz Rumänien berüchtigte Bleihütte Romplump steht ebenfalls in Baia Mare. Lange Zeit verseuchte der Russ aus ihren Schloten die ganze Gegend mit feinem Bleistaub und anderen Schwermetallen. Inzwischen wurden Filteranlagen in die Schornsteine installiert aber dennoch werden die Grenzwerte für Bleipartikel und Schwefeldioxid weiter überschritten: Blei in der Lunge -Schwefel in der Luft, ein Leben in Baia Mare: Beitrag 3 Blei in der Lunge - Schwefel in der Luft Atmo: Arbeiter klopfen Gestein klein, Bagger lädt Gestein ab Wochentags auf dem Gelände der Bleifabrik Romplumb, eine freie Fläche zwischen Förderbändern, Lagerhalle und Gießerei. Ein Baggerfahrer karrt große, grau glänzende Brocken bleihaltiges Erz heran, drei Männer zertrümmern sie mit Vorschlaghammern. Es ist ein schweres, vorsintflutliches Arbeiten, Schutzkleidung tragen die Männer nicht. Atmo: Bleigießerei, lautes Maschinenrattern, Arbeiter pfeift, ruft Wenige Schritte weiter liegt die Gießerei: ein Schmelzofen in einer offenen Lagerhalle, auf den Schienen davor stehen kleine Waggons. Von Zeit zu Zeit strömt aus einem Kessel flüssiges, dampfendes Blei in die Wannen der Waggons. Wenn sie voll sind, werden sie nach draußen geschoben, dort kühlt das silbrige Metall ab. Auch Adrian Lazar arbeitet hier, 45 Jahre, ein kleiner, stämmiger Mann mit schwarzgrauem Haar. Müssten er und seine Kollegen nicht Atemschutzmasken tragen? Adrian Lazar schüttelt den Kopf, sein Gesichtsausdruck sagt: "Ach was!" O-Ton Adrian Lazar: Die Fälle von Berufskrankheiten sind weniger geworden. Auch ich hatte schon mal eine Bleivergiftung. Das liegt aber lange zurück, es war 1990, drei Jahre, nachdem ich hier angefangen hatte. Ich wurde damals mit Vitaminen behandelt oder sowas in der Art, seitdem habe ich keine Probleme mehr. Inzwischen wurde der Schadstoffausstoß reduziert, die Fabrik sieht schon etwas europäischer aus. Natürlich muss noch einiges gemacht werden. Bald bekommen wir eine Maschine zur Erzzerkleinerung, dann hat die Handarbeit endlich ein Ende. Außerdem sollen auch hier am Schmelzofen die Schadstoffe gefiltert werden. Doch im Vergleich zu früher ist es schon jetzt viel besser. Atmo: Bagger kippt vor der Gießerei Gestein ab Früher ? das ist gerade ein paar Jahre her. Da sah es hier, im Ferneziu-Viertel am Stadtrand von Baia Mare, aus, als hätte jemand Entlaubungsmittel versprüht: Bäume ohne Blätter, kaum Gras, eine Mondlandschaft, in der Luft ein seltsam süsslicher Geruch. Jetzt gibt es wieder einige grüne Nadelbäume. Auch Laubbäume, versichert Adrian Lazar, hätten im Frühjahr wieder Blätter. Wie alle Männer hier ist er froh, überhaupt Arbeit zu haben. Seine Frau sucht seit Monaten erfolglos eine Anstellung, sie war in einer Kupferfabrik beschäftigt, die letztes Jahr in Konkurs ging. Der Sohn der Lazars besucht das Gymnasium und soll einmal studieren. Drei Personen müssen von umgerechnet 250 Euro leben, die Adrian Lazar im Monat verdient. Das sind seine Sorgen, nicht Bleivergiftung und Umweltkatastrophen. Atmo: Direktor Vasile Uta kommt zur Gießerei, spricht mit Arbeitern Der Direktor der Bleifabrik, Vasile Uta, auf seinem täglichen Rundgang durch die Abteilungen. Er kommt in die Gießerei, wechselt ein paar Worte mit dem Schichtleiter, um dann schnell wieder in sein Büro zu gehen. Der Direktor ist zufrieden mit sich und den Fortschritten der Fabrik. O-Ton Vasile Uta: Wir haben umfassende Projekte durchgeführt, um in die Komponenten Umwelt und Retechnologisierung zu investieren. Gegenwärtig verläuft der gesamte Prozess der Rohbleiproduktion nach den besten verfügbaren Technologien. Uta ist 46 Jahre alt, ein großer, schlanker Mann mit grauen Haaren, fortwährend zuckt er nervös mit den Beinen. Er arbeitet seit 1987 in der Bleifabrik. Vor einigen Monaten wurden erstmals Filteranlagen in Schornsteine eingebaut, seitdem kann die Fabrik die Grenzwerte für den Ausstoß von Blei- und Schwermetallstaub einhalten. Behauptet Vasile Uta. Doch das Umweltamt der Stadt misst regelmäßig einen höheren Bleigehalt in der Luft als erlaubt. Vasile Uta macht sich nicht die Mühe, das zu bestreiten, er referiert einfach ausufernd über falsche und richtige Messmethoden, über Grenz- und Richtwerte. Am Ende verschwindet das Problem hinter komplizierten Definitionen und schwammigen Formulierungen. Atmo: Iulia Veer schrubbt Teppich vor ihrer Hütte Für Iulia Veer ist die Sache ganz einfach. O-Ton Iulia Veer: Tag und Nacht spürt man das Blei aus der Fabrik. Alle Kinder hier sind krank, ihnen fallen die Zähne aus, und wenn wir zu Ärzten gehen und sie hören, wo wir wohnen, sagen sie, ja, es kommt vom Blei. Iulia Veer schrubbt Teppich Iulia Veer hockt vor ihrer Hütte und schrubbt einen Teppich. Monoton summen die Anlagen der Bleifabrik nebenan, in der Luft liegt ein seltsam süsslicher Geruch. Die blonde 30jährige hat drei kleine Kinder, die husten ständig, sind fast immer erkältet und bluten oft aus der Nase. Die kleine Siedlung, in der Iulia Veer wohnt, ist eigentlich ein Slum aus halb verfallenen Hütten, gleich neben dem ehemaligen Hauptschornstein der Bleifabrik. Hier wurden früher Staub und Abgase ungefiltert in die Luft geblasen. Noch immer sieht es gespenstisch kahl aus, noch immer wächst hier kaum ein Baum. Iulia Veer und ihr Mann, der Hilfsarbeiter in einer Möbelfabrik ist, warten seit Jahren auf eine Sozialwohnung in einem anderen Stadtteil. Vergeblich. Atmo: Iulia Veer kramt in Papieren Iulia Veer in ihrer Hütte, sie sucht in einer Tüte nach dem Zettel einer Blutanalyse. Das Zimmer ist klein, zehn Quadratmeter für zwei Erwachsene und drei Kinder. Ein Bett, ein Tisch, zwei Stühle, ein Fernseher. Es gibt Strom, das Wasser holt die Familie aus einer nahen Quelle, es ist trübe und schmeckt unangenehm süsslich. Endlich hat Iulia Veer den Zettel gefunden. O-Ton Iulia Veer: Schauen sie, Bleivergiftung. Eigentlich hätte ich mich letztes Jahr behandeln lassen müssen, aber es ging nicht, weil ich mit der kleinen Sara schwanger war. Und jetzt habe ich kein Geld. Mein sechsjähriger Junge hat seit der Geburt Bronchialasthma. Nach draußen darf er nicht, da ist dieser Geruch. Wenn ich lüfte, dringt er auch ins Haus ein. Wir haben alle immer irgendwas. Ständig bin ich mit den Kindern im Krankenhaus, denn kein Vitamin und kein Medikament hilft ihnen. Literatur 2 auf Musik Ich habe Baia Mare aus der Ferne gesehen, denn ich wollte nicht ins Zentrum fahren. Kurz vor der Stadt fand ich eine Umgehung nach Sighet und Cluj. Die Straße wand sich durch Industrievororte. Es gab weder Autos noch Menschen. Der flache Raum war von verrostetem Metall, zerbröckeltem Beton und verstreutem Plastik bedeckt. Schläfrig und stinkend schwelten die Müllhalden vor sich hin. Die Sonne schien auf rostrote Konstruktionen, auf zersplitterte Glaswände von Hallen, auf ausgeweidete Lager, auf tote Kräne, auf die Korrosion von Stahl und die Erosion von Mauern. Die Strommasten, Silos, Kräne und Schornsteine warfen lange schwarze Schatten. So war es, soweit der Blick reichte: das Geflecht der Drähte am Himmel und das Spinngewebe der Eisenbahnschienen auf der Erde. Haufen von schwarzem Morast - irgendwelche Chemieabfälle - wichen Hügeln von Kunststoff, Kartons und kaputtem Glas. Blechfässer, Gummischläuche, radioaktiver Schlamm, Zyanid aus den Goldgruben, Blei und Zink, Lumpen und Nylon, Basen und Säuren, Asphalt, ölige Teiche, Ruß, Rauch, die endgültige Dekadenz der Industrie - alles unter strahlendem Himmel. Und am nächsten Tag sollte ich in Baia Mare sein, das früher Nagybanya hieß. Ich wollte dem Vergangenen nachspüren, suchte dieses unablässige "Früher", das in meiner Gegend die Gegenwart ist, denn das "Morgen" trifft im Grunde nie ein, es hält in entfernten Ländern an, angelockt, bestochen von deren Reizen oder einfach erschöpft. Das, was kommen soll, dringt hierher nie vor, denn es verbraucht sich irgendwo unterwegs und erlischt wie der Schein einer fernen Laterne. Hier herrscht ewiger Untergang, die Kinder werden müde geboren. Im schrägen Licht des Spätherbstes sind die Gesten und Körper der Menschen umso deutlicher, je geringer ihre Bedeutung ist. Die Männer stehen an den Straßenecken und starren in die Leere des Tages. Sie spucken auf den Gehweg und rauchen. Das ist die Gegenwart. So ist es in der Stadt Sabinov, in Gorlice, in Gönc, in Carancebes, in der ganzen berühmten Landenge zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee. Sie stehen da und zählen die Zigaretten in den Schachteln und das Kleingeld in der Tasche. Die Zeit kommt von weitem heran und ist wie fremde Luft, die schon jemand geatmet hat. 4 Mod: Baia Mare liegt im Nordwesten Rumäniens nah bei der ukrainischen und der ungarischen Grenze. Früher standen hier herrlich lichte Esskastanienwälder, waren die Wiesen saftig und die Böden fruchtbar, früher bevor die Metallindustrie kam, war die Landschaft weit und der Himmel hoch, so hoch und licht, dass sich hier eine Künstlergruppe niederließ. Das war vor rund 100 Jahren. Bildende Kunst - inspiriert von Weite und Wald. Der alte Laubwald ist weg, die Weite unterbrochen von Abraumhalden und Industriebrachen und die Künstler sind tot. Doch einer hat ihr geistiges Erbe angetreten, auch wenn ihn anderes inspiriert, als seine berühmten Kollegen aus vergangener Zeit: Beitrag 4: Der alte Mann und die Landschaft Der Maler Ágoston Vésö steht in seinem Atelier und skizziert mit Kohlestift eine Landschaft. Weite, kahle Hügel, hier und da ein unwirklich gekrümmter Baum. Nach einer Weile hält der weißhaarige 78jährige inne und betrachtet die Zeichnung. Dann erzählt er: O-Ton Ágoston Vésö: Früher war die Luft hier sauberer. Bevor die ganze Verschmutzung begann. Damals gab es wunderbare Schattierungen des Blaus. Die Maler, die in die Künstlerkolonie kamen, wurden auch von diesen wunderbaren Licht- und Farbverhältnissen angezogen, sie alle hatten hier ihre besten Schaffensperioden. Das ist an den lebhaften und intensiven Farben ihrer Bilder zu erkennen. Die besonderen Blauschattierungen findet man auch heute noch manchmal, vor allem in Wäldern, die weiter weg von der Stadt liegen. Vésö zeichnet Die Künstlerkolonie Baia Mare, von der Ágoston Vésö erzählt, lockte einst, um 1900, Maler aus ganz Mittel- und Osteuropa an. Damals war Baia Mare ein idyllisches, verschlafenes Städtchen. Nach dem Ersten Weltkrieg blieben nur noch wenige Maler. Ágoston Vésö, geboren 1931, lernte die letzten Mitglieder der Künstlerkolonie als Student kennen, Mitte der 50er-Jahre. Das war die Hochzeit des stalinistischen Terrors in Rumänien und auch eine Zeit, in der Bergbau, Metallurgie und Chemieindustrie ohne Rücksicht auf die Umwelt ausgeweitet wurden. Zerstört wurde so auch der Geist der Künstlerkolonie, sagt Ágoston Vésö. O-Ton Ágoston Vésö: Eigentlich gründet sich die Kunst und die Malerei von Baia Mare auf die Liebe zur Natur. Das Grundgefühl der hiesigen Maler in Bezug auf die Natur war fast religiös. Sie gingen regelmäßig in die Natur heraus. So war auch ich. Seit meiner Kindheit bin ich immer im Wald gewesen. Ich habe ungeheuer viele Landschaftsbilder gemalt, meine Bindung an die Natur war immer stark. Leider wurde die Umweltverschmutzung im Sozialismus sehr, sehr schlimm. Es gab Zeiten, als sich die Nylonstrümpfe an den Beinen der Frauen einfach auflösten, wenn sie im Schwefelsäurewerk zur Arbeit gingen. Atmo: Pferdefuhrwerk fährt vorbei, mit Ágoston Vésö im Wald Ágoston Vésö geht gerne spazieren im Wald, vor allem hier, am nördlichen Stadtrand. Ein Pferdefuhrwerk, dass Baumstämme geladen hat, kommt ihm entgegen, böse blickt er den Kutscher an. Er kennt diese Gegend seit seiner Kindheit. Im Laufe der Jahre hat er erlebt, wie immer mehr Bäume krank wurden, jetzt sieht er mit an, wie ganze Waldstücke abgeholzt werden. O-Ton Ágoston Vésö: Die Kastanien waren immer eine Besonderheit in der Gegend um Baia Mare, sie sind von der Umweltverschmutzung furchtbar betroffen. Zwei Drittel des alten Kastanienbestandes, wenn nicht mehr, sind vernichtet. Neuerdings knicken sehr viele Bäume um. Das war früher nicht so. Ich weiß nicht, woran das liegt. Der Wald ist arg mitgenommen, und dazu kommt jetzt noch die gnadenlose Abholzung. Darin zeigt sich der Geist des wilden, ungezügelten Kapitalismus´, des Profites um jeden Preis. Man könnte Forstwirtschaft zivilisierter betreiben, aber der Wald wird einfach ausgerottet. Atmo: Motorsäge Wie zur zynischen Bestätigung dessen, was Ágoston Vésö konstatiert, sägen plötzlich, hinter einer Wegbiegung, Waldarbeiter eine frisch gefällte Buche entzwei. Sie wollen nicht sagen, für wen sie arbeiten, noch, ob sie überhaupt eine Genehmigung haben. Aus der Motorsäge tropft Öl in den Boden, die Äste und Zweige der Buche werfen die Arbeiter einfach in den Bach. Atmo: Waldarbeiter schleppen Äste zum Bach Ágoston Vésö kennt solche Szenen. Und doch sieht er dem Treiben der Waldarbeiter mit einem Gesichtsausdruck zu, als würden sie ihm selbst Gewalt antun. Dann schaut er sich um. An den Hängen der Hügel sind überall Bäume umgeknickt, viele andere gefällt worden, die Stümpfe ragen aus der Erde. Es ist ein trauriger Anblick, ein Bild vom Krieg gegen die Natur. Atmo: Ágoston Vésö zeigt Film über Austellung Zurück im Atelier, zeigt Ágoston Vésö einen Dokumentarfilm über eine Ausstellung, in der auch Bilder von ihm hingen. Schon immer hat er vor allem in der Natur Motive für seine Malerei gefunden. Viele seiner Gemälde stellen harmonische Landschaften dar, zerstückelt durch die Linien von Dreiecken, Rhomben, Ellipsen und anderen geometrischen Formen. Vésö ist kein Maler der explizit Naturzerstörung abbildet, das wäre ihm wohl zu plakativ. Und doch kann man das Aufbrechen von Harmonie in seinen Bildern auch unter diesem Blickwinkel betrachten. Ágoston Vésö nickt zu dieser Interpretation. Dann sagt er: O-Ton Ágoston Vésö: Die Umweltverschmutzung hat mich immer zum Nachdenken gebracht. Sie hat mich empört. Und es verbittert mich, dass wir unsere Umwelt so missachten. Ich glaube den offiziellen Erklärungen über Umweltschutz nicht, es wird soviel gelogen in den Medien. Eigentlich können wir nichts tun, wir sind den Behörden ausgeliefert. Was wir Künstler vielleicht dennoch tun können, ist, dass wir Bilder malen, mit denen wir aufmerksam machen auf die Schönheit der Natur. Vielleicht rufen wir so Liebe und Respekt für die Natur hervor. Das ist vielleicht das Maximale, was ich als pensionierter Kunstlehrer aus der Provinz und als Maler tun kann. 5 Mod. Wäre das Zyanid nicht über die Flüsse verdünnt worden, sondern den Menschen gezielt verabreicht worden, hätte die Giftmenge gereicht, um eine Milliarde Menschen zu töten. Doch so vernichtete die Zyanidlauge vor allem die Lebensgrundlage der Familien, und schädigt bis heute die Gesundheit eines jeden, der in und um Baia Mare leben muss. Entschädigungszahlungen sind bisher ausgeblieben, weder die Fischer in Ungarn noch die Kranken in Rumänien haben je einen Cent Unterstützung gesehen. Kurz nach dem Dammbruch verklagte der ungarische Staat das Minenkonsortium Aurul, doch weil der australische Eigentümer Konkurs angemeldet hatte, verlor Ungarn vor zwei Jahren den Prozess. Auch der rumänische Staat, als Anteilseigner an Aurul, weigerte sich seine Bürger vor Ort zu entschädigen. Atmo: Ende 2008 ist die gesamte veralterte Anlage in den Besitz des größten russischen Goldproduzenten übergegangen: Polyusgold hat bei der rumänischen Umweltbehörde sofort eine neue Betriebsgenehmigung beantragt, und die Chancen, dass sie der russische Konzern erhält stehen gut, wäre da nicht ein einfacher Rentner aus Baia Mare: Beitrag 5: Ein Rentner für Gerechtigkeit Atmo: Verkehr auf der Europastraße 58 Die Europastraße 58 am Stadtrand von Baia Mare. Auf der einen Seite liegt das Plattenbauviertel Decebal, auf der anderen ein Fabrikgelände mit großen, beige gestrichenen Tanks und Hunderten Rohrleitungen. Vor der Absperrung der Fabrik steht Vasile Tatar, ein Rentner, der auf der anderen Straßenseite wohnt. O-Ton Vasile Tatar: Wir sind hier neben der ehemaligen Fabrik Aurul, die gegenwärtig Romaltyn Mining heißt, die Fabrik, die den Zyanidunfall vor zehn Jahren verursacht hat. Hier ist wahrscheinlich die am schlimmsten mit Zyanid verseuchte Stelle Rumäniens. Sie haben hier unter freiem Himmel Mineralstaub mit Zyanid vermischt und dann in die Fabrikanlagen gepumpt. Das Ganze geschah ungefähr 50, 60 Meter von meiner Wohnung entfernt. Vasile Tatar ist ein großer, korpulenter Mann, 62 Jahre alt. Lederjacke, kahler Schädel, muskulöse Arme, entschlossener Blick. Der pensionierte Oberst der rumänischen Armee wirkt ein wenig wie ein Ringkämpfer, und irgendwie ist er das ja auch. Acht Jahre lang hat er wegen des Zyanidunfalls gegen die Fabrik und den rumänischen Staat prozessiert, David gegen Goliath. Am Ende hat Goliath verloren. Alles begann vor zehn Jahren. Vasile Tatars Sohn Paul, damals 19, litt an Heuschnupfen. Im Januar 2000 lief bei der australisch-rumänischen Firma Aurul die Goldproduktion durch Zyanidwäsche an. Wenige Monate später hatte Paul Tatar erste Erstickungsanfälle ? Diagnose: Bronchialasthma. Vater Tatar klagte gegen die Fabrik, vor einem halben Dutzend gerichtlicher Instanzen verlangte er ihre Schließung. Er verlor jedesmal. Daraufhin wandte er sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Vor fast genau einem Jahr, am 27. Januar 2009, erging das Urteil. Rumänien habe das Recht seiner Bürger auf eine saubere, gesunde Umwelt missachtet, verkündeten die Richter. Es war das erste Mal, dass der Strassburger Gerichtshof einen Staat wegen Umweltvergehen gegen seine Bürger verurteilte. Atmo: bei Vasile Tatar zuhause, Essensgeräusche, spricht mit Bekanntem Zuhause bei Vasile Tatar, am gedeckten Wohnzimmertisch. Es gibt Brot, Speck und Zwiebeln, scharfe Paprika und Pflaumenschnaps. Ein Bekannter ist gekommen, auch er Rentner. Die beiden Männer langen kräftig zu und unterhalten sich dabei über die Umweltprobleme in der Stadt. O-Ton Vasile Tatar: Erst wenn man persönlich betroffen ist, reagiert man. Als Vater habe ich mich sehr schlimm gefühlt, als die Krankheit meines Sohnes ausbrach. Dabei ist er nicht der einzige. Allein in meinem Wohnblock haben noch weitere fünf Kinder Bronchialasthma. Viele Neugeborene in unserem Viertel leiden unter einem schwachen Immunsystem und erkälten sich schnell. All das haben wir dem Zyanid zu verdanken. Vasile Tatar und Bekannter unterhalten sich Vasile Tatars Sohn ist längst weit weggezogen aus Baia Mare ? er kann wegen seiner Krankheit nicht mehr hier wohnen. Doch für Vater Tatar hat sich das Problem damit nicht erledigt, im Gegenteil, er sprüht vor Energie, um so mehr, als die rumänischen Behörden seit dem Strassburger Richterspruch nichts getan haben, um das Urteil umzusetzen. Vasile Tatar will erreichen, dass die Goldproduktion mittels Zyanidwäsche in Baia Mare endgültig verboten wird. Auch ansonsten gibt es noch viel zu tun, findet er. Deshalb verklagt er den Staat jetzt auf die Umsetzung des Urteils. Atmo: Bachrauschen In den Bergen nordwestlich von Baia Mare. Entlang des Flüsschens Nistru erstrecken sich über mehrere Kilometer Stolleneingänge und Abraumhalden. In den hiesigen Minen hat der staatliche Bergbaukonzern Remin bis 2005 blei-, zink- und kupferhaltiges Gestein abgebaut, dann wurden sie geschlossen. Oder besser gesagt: einfach verlassen. Die Eingänge der Stollen sind nur schlecht gesichert, an den Abraumhalden stehen nicht einmal Warnschilder. O-Ton Vasile Tatar: Hier in der Maramures gibt es 300 solcher Halden! 300! Mit 50 Millionen Tonnen schwermetallhaltigem Abraum! Der Zyanidunfall war ein einmaliges Ereignis, aber diese Halden hier verschmutzen die Umwelt jeden Tag. Jeden Tag wäscht Oberflächen- und Regenwasser die Schwermetalle aus! Die Halden müssten sehr ernsthaft gesichert werden. Es reicht nicht, einfach einen kleinen Zaun um sie zu ziehen. Sie müssten befestigt und bepflanzt werden. Sonst rutschen sie nach einem kräftigen Regen einfach weg. Wütend stapft Vasile Tatar den schlammigen Weg entlang und schüttelt fassungslos den Kopf. Seine Empörung hat nichts Eitles. Dass er den Prozess in Strassburg gewonnen hat, erfüllt ihn mit ehrfürchtiger, geradezu kindlicher Dankbarkeit. Dank für ein Europa, das ihm Recht gegeben hat, dem kleinen Rentner mit seinem kranken Sohn aus dem Plattenbau in der Provinz, der in seiner eigenen Heimat nicht die geringste Chance gehabt hätte, sich gegen einen mächtigen und korrupten Apparat durchzusetzen. 53 Raumatmo Wohnung Später, wieder zuhause, erzählt Vasile Tatar, wie ihn die Jahre, seit sein Sohn krank wurde und seit er vor Gericht gezogen ist, verändert haben. O-Ton Vasile Tatar: Es scheint mir normal, dass ich inzwischen besser nachdenke und überlege. Ich tue das für mich, für die Gesellschaft, für meine Kinder und meine Enkel. Wir sollten keine Herde mehr sein, die geführt wird, so wie es früher war. Jetzt sind wir selbst es, die lenken. Und wir, die Steuerzahler, unterhalten ja die Beamten im Staat. Ja, die letzten Jahre und der Prozess haben mich verändert. Ich werde mein Anliegen jetzt noch entschlossener vertreten. Ich kann sehr beharrlich sein. Und wenn es zehn Jahre dauert, bis das Urteil umgesetzt wird ? ich werde solange kämpfen. Vielleicht werde ich es auch gar nicht mehr erleben, sondern erst meine Kinder und Enkel, aber eines Tages werden die Regierenden merken, dass sie uns nicht für dumm verkaufen können. Wir sind es, die hier leben, und wir sind es, die über unser Leben entscheiden. Abmod. auf Musik: Gesichter Europas: Baia Mare, zehn Jahre danach. Die Bilanz einer Umweltkatastrophe ? Mit Reportagen von Keno Verseck Die Musikauswahl traf Babette Michel Am Mikrophon verabschiedet sich Britta Fecke. Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar ? 14