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Seit fünfzig Jahren setzt sich die Umweltorganisation für den Schutz der Raub- katze ein. In jüngster Zeit wurde aber Kritik an ihrer Arbeit laut. Atmo "Der WWF ist die mächtigste Naturschutzorganisation der Welt. Die Men- schen glauben ihm, dass er die aussterbenden Arten schützt, das Klima und die letzten Regenwälder. Hinter den schönen Bildern entdecken wir ein an- deres, hässliches Gesicht des WWF. Er arbeitet mit Unternehmen zu- sammen, die Tropenwälder vernichten. Und damit die Lebensräume von Tigern und Menschen." Sprecher Der WWF ist kein Einzelfall. Auch andere NGOs werden immer wieder we- gen zu großer Nähe zu Industrie und Politik kritisiert. Sind die harschen Töne aber gerechtfertigt - oder legen sie die moralische Messlatte zu hoch an? Wer etwas erreichen will, muss bekanntlich Kompromisse eingehen. In der Politik ist das ein Gemeinplatz. Sollte es bei Nichtregierungsorganisationen anders sein? Atmo Brüllen eines Tigers, Jeep pflügt sich durch Dschungel Sprecher vom Dienst Kooperation statt Konfrontation? Der schwierige Spagat von WWF, Green- peace & Co. Von Peter Podjavorsek. Sprecher Nichtregierungsorganisationen, so genannte NGOs, haben in den letzten Dekaden erheblichen gesellschaftlichen Einfluss gewonnen. Während In- dustrie und Politik in der Bevölkerung an Ansehen verloren haben, werden NGOs vielfach als Repräsentanten des guten Gewissens gesehen. Doch: Je höher die Erwartungen, desto größer die Enttäuschung, wenn das Wunsch- bild der vermeintlich altruistischen Weltverbesserer Kratzer zeigt. Musik Sprecherin Das Jahr 1961. Eine Gruppe Wissenschaftler, Geschäftsleute und Politiker gründet den WWF. Im Unterschied zu anderen NGOs, die häufig aus öko- logischen Protestbewegungen entstehen, herrscht beim WWF von Anfang an ein anderes Klima. Man sucht gezielt den Schulterschluss mit den Mächti- gen. So bekleiden der niederländische Prinz Bernhard und Prinz Philip, Her- zog von Edinburgh, in den Anfangsjahren hohe Positionen. Das Konzept der Organisation: möglichst effektiv Spendengelder für den Umweltschutz zu akquirieren. Auch und vor allem von Wohlhabenden und Unternehmen. O-Ton Jörn Ehlers "Prinz Philipp hat mal gesagt: Wir stehlen zwar nichts von den Reichen, wir machen es ihnen aber sehr schwer, uns nichts zu geben. Das war die Fund- raising-Strategie der ersten Jahre." Sprecher Und die war außerordentlich erfolgreich. Im ersten Jahrzehnt seines Be- stehens sammelte der WWF mehr als fünfeinhalb Millionen US-Dollar - eine für die damalige Zeit enorme Summe. Sprecherin Heute ist der WWF in rund einhundert Ländern aktiv und mit über fünf Millio- nen Fördermitgliedern die größte Umwelt-NGO der Welt. Jörn Ehlers ist Lei- ter der Kommunikationsabteilung des WWF-Deutschland. O-Ton Jörn Ehlers "Es reicht nicht, die Probleme zu benennen. Sondern wir müssen uns auch um Lösungen kümmern. Deshalb muss man, oder so ist zumindest unser Ansatz, gemeinsam mit den Verursachern, und das sind eben oft Unter- nehmen, nach Lösungen suchen. Beispiel aktuell ist Coca Cola. Coca Cola gehört zu den größten Wasserverbrauchern der Welt. Wenn wir es schaffen, diesen Konzern dazu zu bringen, zehn Prozent seines Wassers einzusparen, oder gesamt trinkwasserneutral zu werden, ist das natürlich ein riesiger Ef- fekt für die Umwelt." Sprecher Eine Hand wäscht dabei die andere. Der Limonadengigant spendete dem WWF seit 2007 über 20 US-Millionen Dollar - für den Schutz von Gewässern und der Eisbären. Damit wurde er ,offizieller Partner' der Umweltorganisation und darf damit werben. Atmo Werbespot "We want the home of the polar bear to be a secure place. Coca Cola ist working with the World Wildlife Fund to support the Arctic home of the polar bear." Sprecher Wie ernst es Coca Cola mit seinem Engagement ist, muss die Zukunft zei- gen. Bislang hat sich der Konzern jedenfalls nicht durch Nähe zum Umwelt- schutz ausgezeichnet. Unbestritten aber ist: Der WWF hat mit seiner Strate- gie der Kooperation zahlreiche Erfolge erzielt. Sprecherin Anfang der 70er Jahre erreicht er ein internationales Schutzabkommen für Feuchtgebiete. Eine Dekade später trägt er zum Zustandekommen des Wal- fang-Moratoriums bei. Ende der 90er Jahre ruft er mit dem Unilever-Konzern den Marine Stewardship Council ins Leben, ein Zertifizierungssystem für nachhaltig gefangenen Fisch. Den Formen der Zusammenarbeit sind kaum Grenzen gesetzt. O-Ton Jörn Ehlers "Wir haben auf der einen Seite das Sponsoring. Sponsoring ist keineswegs eine milde Gabe. Sondern es ist ein Geschäft. Das heißt, es beruht immer auf Leistung und Gegenleistung. Eine andere Form der Kooperation sind Lizenzkooperationen. Das kennen Sie aus dem Supermarkt. Ein Produkt trägt das Panda-Logo. Machen also damit Werbung und zahlen an den WWF eine vorher vereinbarte Summe Geld." Sprecher Seit einiger Zeit setzt der WWF auch verstärkt auf so genannte Runde Ti- sche. Die Organisation sitzt hier mit verschiedensten Akteuren einer Branche zusammen, um verbindliche Standards für nachhaltige und sozial verträg- liche Produkte schaffen. Zum Beispiel bei Soja und Palmöl, für deren Anbau riesige Urwaldflächen zerstört werden. Atmo Sprecher Der WWF steht mit seinem Willen zu Kooperation nicht allein. Bis in die frü- hen 90er Jahre setzten Nichtregierungsorganisationen noch stärker auf Kon- frontation wie Boykottaufrufe und Gerichtsverfahren, zum Beispiel gegen Shell wegen seiner Aktivitäten in Nigeria oder gegen Nike wegen Kinder- arbeit in ,Sweatshops'. Nun suchen viele den Schulterschluss mit Unter- nehmen. Sprecherin Die ,Rainforest Alliance' - eine NGO, die sich für nachhaltige Landwirtschaft in den Tropen einsetzt - arbeitet zum Beispiel eng mit dem Lebensmittel- Multi Kraft Foods zusammen. Die Organisation Urgewald will umweltzer- störende Projekte verhindern, indem sie Investoren und Finanziers zur Ver- antwortung zieht. Gleichzeitig sitzt sie an Runden Tischen mit Bankenver- tretern.) Sprecher Auch politische Institutionen wie die UNO und die EU-Kommission ziehen zahlreiche NGOs an. Einen Meilenstein markiert dabei die UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio 1992. Die UN ermöglichte erstmals ei- ner großen Zahl von NGOs in beratender Funktion teilzunehmen. Über 2.400 Mitarbeiter schickten die Organisationen nach Brasilien. Bei vielen keimte die Hoffnung auf, künftig stärker an politischen Prozessen partizipieren zu kön- nen. Sprecherin In dieser Zeit werden viele NGOs zu professionellen Verbänden. Statt Eh- renamtlicher agieren immer häufiger qualifizierte Experten. Karrieren inner- halb der Organisation werden möglich. Damit einher entsteht ein Selbst- erhaltungsdrang. Wer will sich schon selbst überflüssig machen? Um Weitererhalt und Erfolg zu garantieren, werden Kompromisse eingegangen. Kompromisse, die pure Idealisten möglicherweise ablehnen. Der Politologie Achim Brunnengräber. O-Ton Achim Brunnengräber "Man muss sagen, dass die UN-Konferenzen einiges an Attraktivität besitzen für das Engagement von NGOs. Weil es dort Räume gibt, wo sie ihre Inte- ressen artikulieren können. Wo sie als Vertreter der Zivilgesellschaft in Er- scheinung treten, von den Medien ernst und wahrgenommen werden. Damit einher geht, dass die Spendeneinnahmen möglicherweise zunehmen. Dass öffentliche Gelder zur Verfügung stehen, für die Reisen zu diesen Konferen- zen. Denn internationale Politik ist teuer, und das können sich nicht alle NGOs leisten. Sondern nur die, die von ihrer Medienarbeit, aber auch von ihrer Lobbyarbeit und ihren Kontakten mit staatlichen Instanzen oder der Pri- vatwirtschaft gut aufgestellt sind. Und insofern über die Ressourcen ver- fügen, um an diesen Konferenzen teilnehmen zu können." Musik Sprecher Nicht nur NGOs nähern sich den Unternehmen an, auch die Industrie geht zunehmend auf ihre Kritiker zu. Bis in die 90er-Jahre war es noch gang und gäbe, die Organisationen zu ignorieren oder sie zu bekämpfen - mitunter mit harten Bandagen. Sprecherin Anfang der 90er lassen zum Beispiel die sieben größten Hersteller von Kühl- schränken Werbefilme produzieren, in denen der von Greenpeace ent- wickelte, klimafreundliche Kühlschrank als lebensgefährlich gebrandmarkt wird. In den Videos explodieren die Kühlschränke, werden Türen abgerissen und meterweit durch die Luft geschleudert. Die Saatgutkonzerne Monsanto und Novartis drohen 1997 mit dem Stopp der Lieferung von konventionellem Saatgut nach Irland, wenn das Land nicht das von NGOs unterstützte Verbot der Aussaat gentechnisch veränderter Zuckerrüben zurücknehmen würde. Sprecher Nach und nach findet jedoch ein Umdenken statt - beflügelt nicht zuletzt durch die Angst vor Boykottaufrufen und ein geändertes Verbraucher- bewusstsein. Heute suchen viele Firmen gezielt die Zusammenarbeit mit ih- ren Opponenten. Jutta Sundermann vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac sieht das mit einiger Skepsis. O-Ton Jutta Sundermann "Das ist nämlich die große Kehrseite der Dialogstrategie: Dass Nicht- regierungsorganisationen im Gespräch z.B. mit einem Unternehmen immer wieder merken, sie werden hingehalten. Es gibt eine lange Debatte um die Verbesserung irgendwelcher Arbeitsbedingungen, in irgendwelchen Näh- stuben in Bangladesh. Man redet und redet, und irgendwann merkt man: Es ändert sich praktisch nichts." Sprecher Ein Beispiel: die Zusammenarbeit von Puma mit der ,Kampagne für Saubere Kleidung'. Die in den Niederlanden gegründete Organisation setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Bekleidungs- und Sportartikelindustrie ein und kooperiert dabei unter anderem auch mit Attac. Im Vorfeld der Fuß- ball-WM in Deutschland zeigte Puma großes Interesse an einem ge- meinsamen Projekt in Mittelamerika. O-Ton Jutta Sundermann "Das Ergebnis war dann aber, dass irgendwann die ,Kampagne Saubere Kleidung' gemerkt hat, sie werden nur noch hingehalten. Puma hat ver- weigert, irgendwelche Mittel bereitzustellen, um dieses ausgemalte Projekt auch in Angriff zu nehmen. Und dann wurde die Kooperation beendet. Aber da war die WM schon vorbei. Puma hatte aber sicher Interesse daran gehabt, dass die gute Stimmung nicht getrübt wird durch zu viel Kritik. Und sie sind Wiederholungstäter. Es ist gerade wieder aktuell, dass es Dis- kussionen gibt über einen Grundlohn für Produzenten in der Textilbranche in Asien. Und da hat Puma genau dieselbe Strategie gemacht." Sprecher CSR, Corporate Social Responsibility, heißt das Zauberwort, mit dem Unter- nehmen ihrer Verantwortung gerecht werden wollen und sich in der Öffent- lichkeit ihres sozialen und ökologischen Engagements preisen. Allerdings beruht dieses auf purer Freiwilligkeit, gesetzliche Vorgaben existieren nicht. Jedes Unternehmen kann es mit seinen CSR-Aktivitäten halten, wie es will. Und Kontrollen, ob die selbst gesetzten Standards auch tatsächlich ein- gehalten werden, sind in den allermeisten Fällen nicht erwünscht. Sprecherin Viele kritisieren die Aktivitäten der Unternehmen deshalb als vordergründiges "Greenwashing". Gerade in Zeiten, in denen sich Unternehmen weniger über ihre Produkte als über ihr Image verkaufen, ist es immer wichtiger geworden, das Ansehen einer Marke möglichst positiv zu besetzen. Gerd Leipold, viele Jahre Vorstand von Greenpeace und heute als Consultat für Unternehmen und NGOs tätig, sieht die Nachhaltigkeitsberichte der Unternehmen dennoch nicht nur kritisch. O-Ton Gerd Leipold ("Ein Vergleich, den mir irgend jemand mal über Menschenrechte erzählt hat: Dass die guten und richtigen Gedanken etwas Subversives an sich haben. Die Menschenrechte waren ursprünglich für die reichen Bürger in Frankreich, die sich darüber geärgert haben, dass die reichen Aristokraten und die Geist- lichkeit so viele Privilegien hatten. Und irgendwann kamen auch die nicht ganz so Reichen drauf, wenn alle gleich sind, dann müssen diese Rechte doch auch für uns gelten. Und dann kam ganz selbstverständlich: Und was ist mit Frauen? Was ist mit Minderheiten? Also das heißt,) wenn man so heh- re Gedanken verkündet, dann besteht immer die Gefahr, dass die ernst ge- nommen werden. Und dieses Element ist auch in CSR. Wenn man sagt: Uns ist es wichtig, wie es mit die Zukunft des Planeten aussieht und wir als Un- ternehmen werden uns dafür einsetzen, dass wir unseren Teil dafür leisten, dann muss man damit rechnen, dass es sowohl von außen als auch im eige- nen Unternehmen ernst genommen wird." Sprecher Gleichwohl sieht auch Gerd Leipold Grenzen in der Zusammenarbeit, vor allem, wenn es um die Teilnahme an Runden Tischen geht. O-Ton Gerd Leipold "Man muss sich klar sein, dass wenn man sich an den Round Table setzt, als NGO, man oft schon die eigene Stärke aufgegeben hat. Während die Ge- sprächspartner sie nach wie vor haben. In der Auseinandersetzung zwischen Unternehmen und NGOs ist die Stärke der NGOs, dass sie öffentlich Kritik äußern können. Und über die Medien gewinnen sie einen gewissen Einfluss und Macht. In dem Augenblick, wo man um den Tisch herumsitzt und sagt: Wir machen vertrauliche Gespräche, ist das Unternehmen genauso groß, genauso machtvoll wie vorher. Aber die NGOs haben ihr fast einziges Machtmittel aus der Hand gegeben und müssen sich auf den guten Willen der andern Seite verlassen." Sprecher Und dieser ist durchaus nicht immer vorhanden. So existiert der Runde Tisch zu Nachhaltigem Palmöl seit 2004. Urwald gerodet wird bis heute, um Platz für die Plantagen zu schaffen. Auch der Umstand, dass sich der WWF Umweltprojekte sponsorn lässt und Lizenzgebühren für die Verwendung seines Panda-Logos kassiert, ist um- stritten. O-Ton Gerd Leipold "Ich glaub, das war auch ein bisschen das Problem des WWF. Der sehr gute Arbeit macht, der engagierte Leute hat. Aber das über Umweltpolitik Ge- danken voranzutreiben, speziell Natur zu verteidigen, konkrete Projekte mit der Industrie zu machen und dann auch noch Fundraising zu machen mit der Industrie, ist ne gewisse Vermengung von Rollen. Und das führt zu Proble- men." Musik Sprecher Welche Strategie sollen NGOs nun aber verfolgen: Kuschelkurs oder Kon- frontation? Kompromisse eingehen oder Idealismus bewahren? Atmo Proteste gegen WTO-Gipfel in Seattle, 1999 Sprecherin Das Jahr 1999. Bei der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Seattle gehen Zehntausende auf die Straße, um gegen die internationale Handelspolitik zu protestieren. Das Treffen wird schließlich abgebrochen. Atmo Demonstration in Genua Sprecherin Einige Monate später demonstrieren beim G8-Gipfel in Genua über 200.000 Menschen gegen die Politik der Staats- und Regierungschefs. Die Proteste eskalierten und führen zum Tod eines Demonstranten sowie zur Festnahme zahlreicher Personen. Sprecher Die Geschehnisse dieser Jahre markieren die Geburtsstunde der globali- sierungskritischen Bewegung Attac. Attac-Aktivistin Jutta Sundermann. O-Ton Jutta Sundermann "Viele Attacis der ersten Stunde kommen auch aus der Umweltbewegung, und haben mit einigem Grausen zugeschaut, was da gerade jetzt nach Rio passiert ist, und vor allem, was nicht passiert ist. Und ich glaube, dass das ganz viel damit zu tun hat, wie stark die NGOs sich haben einbinden lassen in Dialoge." Sprecher Attac - eine Mischung aus NGO, Basisbewegung und lockerem Netzwerk unterschiedlicher Akteure - speist sich aus der wachsenden Wut vieler Bür- ger gegen die negativen Auswirkungen der Globalisierung und der liberali- sierten Wirtschaft. Ihre Forderung: Die globale Ökonomie, mächtig und kri- senanfällig zugleich, muss neue Spielregeln bekommen. Die meisten NGOs, so der Vorwurf, hätten mit dem Streben nach Kooperation ihre Ideale auf- gegeben. O-Ton Jutta Sundermann "Vor allem ist es ganz ganz gefährlich, wenn man so einen Weg geht, sich irgendwann selbst zu überschätzen. Weil sich immer wieder neu zeigt, dass die Einflussmacht des guten Argumentes im Zweifelsfall deutlich weniger zählt als die des Geldes, oder der Wählerstimmen, der vermeintlich vielen Arbeitsplätze. Ich finde es wichtig, dass es Menschen gibt, die die aus mei- ner Sicht guten Argumente den Parlamentariern nahebringen. Aber mir ist klar, dass wir in diesem Land vor allem Leute brauchen, die diesen Druck auf die Plätze, auf die Straßen und Hauptversammlungen bringen." Sprecher Nach Jahren der Stagnation haben soziale Bewegungen jüngst mit der Oc- cupy-Bewegung wieder Zulauf erfahren. Ob und inwieweit diese Proteste gesellschaftliche Veränderungen nach sich ziehen werden, ist noch nicht abzusehen. Gleichwohl sind viele überzeugt, dass in ihnen möglicherweise mehr Potenzial steckt als in der institutionalisierten Arbeit vieler NGOs. Der Politologe Achim Brunnengräber. O-Ton Achim Brunnengräber "Wenn wir größere Mobilisierungen erleben, dann kommt es zu dem, was wir in der Vergangenheit schon oft erlebt haben: Zu sozialem Wandel. Be- wegungen haben schon immer - denken Sie an die Frauen-, denken Sie an die Arbeiterbewegung, zu einem sozialen Wandel geführt. Zu einem ver- änderten Blick auf die Gesellschaft und das Zusammenleben." Atmo Atombomben-Explosion, Schiffsdiesel-Motor Sprecher Herbst 1971. Eine Gruppe von Friedensaktivisten sticht mit einem alten Fischkutter von der Westküste Kanadas aus in See, um gegen einen Atom- test vor der Küste Alaskas zu protestieren. Schlechtes Wetter, Seekrankheit, Probleme mit dem Zoll und der US-Küstenwache vermiesen jedoch die Stimmung an Bord und torpedieren den Zeitplan. Das Schiff kommt nie ans Ziel, die Bombe wird gezündet. Dennoch genießt die Crew bei ihrer Rück- kehr dank kontinuierlicher Medienberichte Heldenstatus. An vielen Orten gibt es Proteste und Demonstrationen gegen Atomtests. Vier Monate später setzt die US-Atomenergiebehörde die Testserie auf den zu Alaska zählenden Aleuten aus. Greenpeace ist geboren. Atmo Sprechchöre bei Anti-AKW-Demo Sprecher Innerhalb weniger Jahre entwickelt sich aus der Sponti-Truppe eine der größten und schlagkräftigsten Umweltorganisationen, mit weltweit 1200 Mit- arbeitern und über drei Millionen Fördermitgliedern. Das Erfolgsrezept von Greenpeace: Unternehmen mit spektakulären Aktionen attackieren und diese Aktionen medial zu inszenieren. Die Organisation erringt so beachtliche Er- folge. Sprecherin Greenpeace trägt zum Beispiel entscheidend zum Abkommen für den Schutz der Antarktis Anfang der 90er Jahre bei. Die Organisation ist am Zustande- kommen des Walfang-Moratoriums beteiligt sowie am Einschlagsstopp in mehreren Urwäldern, etwa in Kanada. Sie attackiert Unternehmen, die Gift- müll in Flüsse und Meere kippen und erreicht, dass die Giftmüllverbrennung auf dem Meer verboten wird. In Deutschland gelingt es ihr, gentechnische Lebensmittel aus den Regalen zu verbannen. Sprecher Greenpeace definiert sich aber nicht nur über Angriff und spektakuläre Aktio- nen. Was weniger bekannt ist: Die Campaigner der Umweltorganisation su- chen immer zuerst den Dialog mit den Gegnern. Michael Hopf, Chef- Pressesprecher von Greenpeace Deutschland. O-Ton Michael Hopf "Es gibt also schon im Vorfeld immer Gespräche: Wie stehen Sie dazu? Wie wollen Sie das lösen? In welchem Zeitrahmen? Wenn wir feststellen, ab ei- nem gewissen Punkt geht nichts mehr weiter, oder es ist gar nicht ehrlich gemeint, oder sie wollen es aussitzen, dann ist für uns der Punkt erreicht, wo wir sagen: Wir müssen jetzt den Konflikt öffentlich machen. (Und das ist dann oft das, was man von uns wahrnimmt. Man sieht eigentlich nur die Spitze des Eisbergs unserer Arbeit.)" Sprecher Auch der langjährige Greenpeace-Vorsitzende Gerd Leipold ist überzeugt, dass Konfrontation und Kooperation Hand in Hand gehen sollten. Wenn es die Chance gäbe, über Gespräche etwas zu erreichen, sollte selbstredend der Dialog gesucht werden. Andererseits wäre dieser häufig überhaupt erst möglich, wenn ein Unternehmen vorher unter Druck gesetzt wurde. O-Ton Gerd Leipold "Ich hatte das, als ich in Davos, wo ich regelmäßig war und auch gute Kon- takte zu CEOs hatte. Ich erinnere mich da an Mining executives, da war also die Hälfte der Weltförderung an Erzen, saß da in einem Raum zusammen, die waren sehr interessiert und offen und da sagte jemand zu mir: Also, mit euch kann man ja reden! Warum kommt ihr nicht einfach, warum steigt ihr uns immer aufs Dach? Und meine Antwort war ganz einfach: Wenn wir ein- fach zu euch kommen und reden wollen. Das erreicht dich doch überhaupt nicht. Das geht dann zu eurer Umweltabteilung. Ja die Umweltabteilung will reden. Aber ihr kriegt das ja überhaupt erst mit, wenn jemand mal auf dem Dach ist. Das heißt, wir haben erst dann ein vernünftiges Gespräch, wenn es euch vorher wehgetan hat. Wenn ihr vorher in der öffentlichen Kritik steht." Sprecher Schwieriger ist es mit Konzernen, die niemand kennt und die nicht an den Endverbraucher liefern. Diese lassen sich über eine Mobilisierung der Öffent- lichkeit nur schwer erreichen. Wer kennt schon Cargill? Dabei ist das US- amerikanische Unternehmen einer der weltweit größten Konzerne, tätig unter anderem im Lebens- und Futtermittelbereich. Um hier etwas zu erreichen, bedarf es anderer Strategien - indem etwa Druck auf deren Kunden oder Lieferanten ausgeübt wird. Atmo Ausschnitt eines Werbespots von Greenpeace, in dem Nestle wg. seines Kitkat-Riegels angegriffen wird. Sprecher Greenpeace führte das mit Nestle durch. In einer Medien-Kampagne griffen die Umweltschützer den Konzern wegen der Verwendung von Palmöl für den Kitkat-Riegel an. Für dessen Anbau wurden riesige indonesische Urwald- flächen illegal abgeholzt. Atmo Ausschnitt des Werbespots Sprecher Nestle änderte schließlich seine Strategie bei den Round Table-Gesprächen, schlug sich auf die Seite der NGOs und setzte damit seinerseits Cargill unter Druck. Die Unternehmen gaben schließlich bekannt, die Urwaldrodungen einstellen zu wollen. Atmo Anti-McDonald's-Werbespot von Foodwatch Sprecher Auch foodwatch - eine Organisation, die für qualitativ gute und gesundheit- lich unbedenkliche Lebensmittel kämpft - setzt auf eine Kombination von Konfrontation und Zusammenarbeit. Das Problem: Die Lebensmittelbranche zeigt bislang wenig Interesse an Dialog. Thilo Bode, Gründer und Geschäfts- führer von foodwatch. O-Ton Thilo Bode "Die Lebensmittelindustrie hat eigentlich noch nicht kapiert, was Sache ist. Die denken, alles was jetzt kritisiert wird von außen, ist Panikmache. Und im Grunde sind die Medien schuld. Das erinnert mich an die Chemie- oder Energiekonzerne Anfang der 90er Jahre, als man von der Klimaerwärmung anfing zu sprechen. Da haben die auch gesagt: alles Quatsch." Sprecher Foodwatchs Strategie besteht deshalb vor allem darin, über die Mobilisierung der öffentlichen Meinung Unternehmen und Politik zum Handeln zu be- wegen. Da Ernährung ein besonders sensibles Thema ist - ungesunde Le- bensmittel berühren schließlich jeden Menschen unmittelbar -, stößt die Or- ganisation schnell auf offene Ohren. Sprecherin Schon im ersten Jahr nach seiner Gründung im Jahr 2002 erreicht sie, dass süße Alkoholgetränke, so genannte Alkopops, nur noch an Personen über 18 Jahren verkauft werden dürfen. Der Fast-Food-Riese McDonald's muss nach Abmahnungen durch foodwatch eine Strafe von 10.000 Euro zahlen, weil er in der Werbung fälschlicherweise behauptete, dass seine Brötchen frei von chemischen Zusatzstoffen seien. Und seit einigen Jahren entlarvt foodwatch Mogelprodukte und Etikettenschwindel, zum Beispiel bei probiotischen Le- bensmitteln. Die Kampagnen haben Erfolg. Über 63.000 Verbraucher- beschwerden sind inzwischen bei tricksenden Herstellern eingegangen. Sprecher Neben öffentlichen Kampagnen versucht das Team um Thilo Bode aber auch, Einfluss über Gespräche zu nehmen. So geschehen beim Versuch, die Lebensmittelampel einzuführen. Dieses Kennzeichnungssystem sollte mit den Ampelfarben rot-gelb-grün auf einen Blick anzeigen, wie viel Zucker, Fett und Salz in einem Produkt steckt. O-Ton Thilo Bode "Das ist dann eher eine Frage der Taktik. Mit wem kooperiert man. Wie viel Gespräche führt man mit Abgeordneten. Wo steckt man seine Energie rein, indem man etwa ein Hearing in Brüssel macht oder hier lieber hier mit der SPD redet. Es läuft nicht nach einem Schema ab, sondern es ist auch sehr opportunistisch. Denn wir haben ja keine Macht, kein Geld. Wir sind keine Polizei, haben Armee. Unsere Vorteile sind die Kreativität und Flexibilität. Wir können nur dadurch, dass wir die Sympathie von vielen Menschen gewinnen und auch die Medien überzeugen, eine gewisse Art von Einfluss ausüben." Sprecher Foodwatchs Lebensmittelampel scheiterte zwar letztlich bei der Abstimmung im Europaparlament. Thilo Bode ist dennoch nicht unzufrieden. Denn in der Bevölkerung findet die Ampel große Zustimmung. Zudem hatte foodwatch nur die Ressourcen, um in Deutschland zu mobilisieren. Letztlich zu wenig, wenn man die gesammelte internationale Lebensmittellobby gegen sich hat. O-Ton Thilo Bode "Wir kämpfen ja gegen übermächtige Gegner. Also, heute hat sich die Wirt- schaft mittlerweile so verflochten mit der Rechtssetzung, mit der Wissen- schaft, mit den Medien, mit den Abgeordneten. Dass der klassische Lobby- ismus gar nicht mehr besteht in dem Sinne: Das da ist die Regierung oder die Verwaltung, und dort sind die Lobbyisten und die sprechen dann mit al- len. Sondern es läuft so, dass die Industrie immer schon da war. Also bevor die EU-Kommission über die Ampel geredet hat, hatte die Industrie schon ihr eigenes Kennzeichnungssystem entwickelt." Sprecher Dieses System vermeidet konkrete Mengenangaben der Inhaltsstoffe. Toncollage ... aus Demo-Schlachtrufen und Social-Media-Spots Sprecherin Ob Straßenprotest, Medien-Kampagne, Informationsarbeit oder Projekte mit der Industrie - die Wahl der Mittel richtet sich letztlich immer nach dem, was eine NGO erreichen will. Um öffentliches Bewusstsein für ein Problem zu schaffen, ist Konfrontation eine sinnvolle Strategie. Um praktische Ver- änderungen in Unternehmen durchzusetzen, können Kooperationen ge- eigneter sein. Sprecher Die Gefahr, sich bei zu viel Annäherung an die Macht vereinnahmen und korrumpieren zu lassen, ist dabei freilich immer gegeben. Wichtig, so Gerd Leipold, sei deshalb immer, sich seiner Rolle bewusst zu sein. Er jedenfalls speise und schlafe bislang nicht in den gleichen Hotels wie die Mächtigen dieser Welt. Obwohl er inzwischen unter anderem McDonalds berät. O-Ton Gerd Leipold "Ich bin nach wie vor ein kritischer Mensch. Und ich glaube, mein Wert für Unternehmen liegt auch darin, dass ich unabhängig im Denken bin. Dass ich andere Perspektiven hereinbringe. Und von daher glaube ich nicht, dass ich die Seiten gewechselt hab. Ich habe auch, als ich bei Greenpeace war, im- mer gesagt, es genügt nicht, dass ein paar Leute die richtige Meinung ha- ben. Sondern wir brauchen eine tiefgreifende Veränderung in der Wirtschaft." Sprecher McDonalds ist seiner Ansicht nach zumindest auf dem richtigen Weg. Der Konzern hat angekündigt, innerhalb von vier Jahren ganz auf grünen Strom umzusteigen und die Managervergütung in Zukunft auch an Nachhaltigkeits- ziele zu knüpfen. Wobei sich auch McDonalds vorbehält, diese Ziele selbst zu definieren. Atmo Brüllen eines Tigers, allgem. Dschungelgeräusche Sprecher Auch WWF steht zu seinem Ansatz, mit den Mächtigen im selben Boot zu sitzen. Was freilich nicht bedeutet, dass Kompromisse zuweilen schmerzlich sind. O-Ton Jörn Ehlers "Es wäre sicherlich gelogen zu sagen: Alles ist Friede, Freude, Eierkuchen. Da sind wir längst noch nicht am Ende. Da haben wir längst noch nicht die Kriterien, die wir uns wünschen. Aber wir haben uns dafür entschieden, die- sen Weg zu gehen, weil wir glauben, dass wir so am ehesten was erreichen können. Musik Kooperation statt Konfrontation? Der schwierige Spagat von WWF, Greenpeace & Co. Ein Feature von Peter Podjavorsek Es sprachen: Marina Behnke Thomas Holländer Ton: Peter Seyffert Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 22