Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft Maschinen wie du und ich? Genie und Geheimnis – Zum 100. Geburtstag von Alan Turing Von Thomas Reintjes Redaktion: Jana Wuttke COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Beginn Feature O1 O-Ton Reportage Loebner Gemurmel It has two sides. The upverse is me, and the reverse is Alan Turing. And this is a bronze medal.... The prize will be awarded, if half the judges or more are fooled. Because you can't expect a program to be more human than a human. Atmo läuft weiter S1 Sprecherin Hugh Loebner hat einen Preis ausgelobt: Für das erste Computerprogramm, das erfolgreich vortäuscht, ein Mensch zu sein. Sein Konterfei ziert die große, schwere Bronzemedaille. Auf der Rückseite ein Porträt Alan Turings. Der Mathematiker und Computerpionier hatte einen solchen Test vorgeschlagen, wie Loebner ihn heute jedes Jahr durchführt. 1950 befasste Turing sich in einem Artikel mit der Frage, ob Maschinen denken können. Er schlug ein Imitationsspiel vor: O2 Zitator Es wird von drei Beteiligten gespielt, einem Menschen, einer Maschine und einem Fragesteller.1 Ziel des Spiels ist es, dass der Fragesteller herausfindet, wer der Mensch und wer die Maschine ist. Der Fragesteller sitzt dabei in einem anderen Raum als die beiden anderen. Die Antworten werden schriftlich gegeben. Ideal wäre, einen Fernschreiber für die Kommunikation zwischen den Räumen zu haben. S2 Sprecherin Ziemlich genau so ist auch der Aufbau des Turing-Tests, den Hugh Loebner in diesem Mai im britischen Bletchley Park durchführt. Auf dem Gelände stehen noch die Baracken, in denen Alan Turing gemeinsam mit Tausenden Mitarbeitern und Helfern in Kriegszeiten arbeitete. Einstöckige, lange Hütten, teils wegen Renovierungsarbeiten hinter Gerüsten oder Kunststofffolie verborgen. Hier entschlüsselten Turing und Kollegen den Code der deutschen Enigma-Verschlüsselungsmaschinen und machten so die Funkkommunikation der Nazis mithörbar. Atmo Vorbereitungen Im zentralen Gebäude von Bletchley Park, einem schmucken viktoriansichen Herrenhaus, läuft jetzt Hugh Loebner ein wenig nervös zwischen der Bibliothek und einem Nebenraum hin und her. Die Computer laufen schon, die Juroren sind bereit zum Chatten. O3 O-Ton Loebner All you have to do is: You type a lot of thing here... ...you can do what you like. S3 VO-Sprecher Sie schreiben einfach hier rein. Was Sie schreiben, erscheint dann hier unten und auf dem Bildschirm des Gesprächspartners. Das geht Buchstabe für Buchstabe. Was der andere schreibt, erscheint oben. Schreiben Sie einfach, was Sie wollen. S4 Sprecherin Jeder der vier Juroren hat gleichzeitig zwei Chatfenster geöffnet, eines links, eines rechts. Nach 20 Minuten muss er entscheiden, auf welcher Seite ein Computer der Chatpartner war, und auf welcher ein Mensch. Computer-Chatprogramme und menschliche Chatpartner warten nebenan, in der Bibliothek. Auf zwei großen quadratischen Tischen stehen jeweils vier Rechner. Aber nur an einem der Tische werden Menschen Platz nehmen, die anderen Rechner chatten selbstständig, es sind Chatbots, virtuelle Chatroboter, wie sie in auch schon im kommerziellen Einsatz sind: Mit einer Sprachausgabe versehen trifft man sie beispielsweise in automatisierten Dialogsystemen von Telefonhotlines an. O4 O-Ton Loebner Let me speak to the humans. Humans here, humans here... ...the judges, that you are the human. S5 VO-Sprecher Lasst mich mit den Menschen sprechen. Menschen, hierher, Menschen hierher! Ihr vier Menschen, Hände hoch. Okay, also haben wir hier Mensch eins, Mensch zwei, Mensch drei und Mensch vier. Ihr Job ist es nun, die Jury zu überzeugen, dass Sie die Menschen sind. S6 Sprecher: Bisher gelingt es Chatbots kaum, die Illusion lange aufrecht zu erhalten, dass sie Menschen seien. Am ehesten sind sie noch erfolgreich, wenn die Kommunikation schriftlich abläuft. Der erste Chatbot, ELIZA, 1966 von Joseph Weizenbaum entwickelt, verwendete noch simple Tricks, um Gesprächspartner bei der Stange zu halten. O5 O-Ton Chat mit Eliza Eliza (Computerstimme): Bitte erzähl mir von deinem Problem. Mensch (Sprecher): Ich glaube, meine Freundin ist ein Roboter. Eliza: Du scheinst dir nicht völlig sicher zu sein. Mensch: Nein, aber wie kann ich es herausfinden? Eliza: Warum nicht? S7 Sprecher: Ein Gespräch mit der virtuellen Psychologin Eliza ist auch nach fast 50 Jahren noch faszinierend. Inzwischen sind die chattenden Computer deutlich schwieriger zu überführen. Während Eliza nur wenige Vokabeln und Redewendungen kennt, sammeln heutige Programme über das Internet immer mehr Wissen an. O6 O-Ton Wilcox You datamine everything, that is ever said.... ...everybody's comments on anything. S8 VO-Sprecher: Sie werten alles aus, was jemals zu dem Programm gesagt wurde, um es irgendwann an passender Stelle selbst wiederzugeben. Damit kann man aber keine Persönlichkeit kreieren, man kann das nicht kontrollieren. Wenn man das Programm einmal geschrieben hat, braucht man nichts mehr zu tun. Es macht einfach sein Ding und sammelt Daten und jedermanns Kommentare zu allem möglichen. S9 Sprecher: Bruce Wilcox hat für seinen Bot einen anderen Ansatz gewählt – und konnte damit immerhin zwei Mal den Loebner-Preis gewinnen. Zwar nicht für ein perfektes Vortäuschen menschlicher Intelligenz, aber immerhin für den menschenähnlichsten Chatbot des Jahres. Seine Chatbots, der aktuellste heißt Angela, haben einen Lebenslauf, eine persönliche Geschichte, Vorlieben und können erzählen, was sie letzte Woche gemacht haben. O7 O-Ton Wilcox In this case I teamed with my wife.... ...code it in to make it actually work in chatscript. S10 VO-Sprecher: Ich habe mich da mit meiner Frau zusammengetan, die Autorin ist. Sie schreibt die Biografie von Angela und die groben Züge dessen, wie sie auf Dinge reagiert. Und ich nehme dann ihre Daten und programmiere sie ein. S11 Sprecher: Trotzdem stößt Angela schnell an ihre Grenzen. Ihr Wissen über sich selbst und die Welt ist begrenzt im Vergleich zu dem, was ein Chatpartner alles fragen kann. Bruce Wilcox: O8 O-Ton Wilcox Anything that requires understanding of physical.... ...would be one right answer to that. S12 VO-Sprecher: Schwierig ist alles, was ein Verständnis für physikalische Zusammenhänge in der echten Welt erfordert. Wenn Sie sagen: Was passiert, wenn ich einen Eiswürfel in meinen Kaffee gebe? Oder Dinge, die Vergleiche und Verstehen erfordern. Wie unterscheiden sich ein Panzer und eine Ameise? Menschen wird eine Antwort einfallen. Ameisen haben Beine und Panzer haben Ketten – das wäre eine richtige Antwort. S13 Sprecher: An Kreativität würde es den Chatbots aber nicht mangeln, sagt Wilcox. Manche ihrer Antworten seien sehr kreativ. Atmo Tippen S14 Sprecherin: Das zeigt sich auch beim Wettbewerb um den Loebner-Preis. In dem Raum, in dem die Juroren sitzen und chatten, wird viel gekichert. O9 O-Ton Chat Maschine (synth. Stimme): Hallo, wie heißt Du? Mensch (Sprecher): Ich heiße Michael. Maschine: Danke, dass du mir deinen Namen gesagt hast, Michael. Wie geht es dir? Mensch: Danke, gut. Es ist ein sehr interessanter Ort hier. Maschine: Freut mich zu hören. Würdest du mir sagen, warum, Michael? Mensch: Ja, die Geschichte dieses Ortes ist faszinierend. Maschine: Das ist schön zu hören. Welche Hobbys hast du? Mensch: Mein größtes Hobby ist Schach. Maschine: Bleibst du bei einem Hobby oder wechselst du häufig? Mensch: Ich wechsle oft. Was machst du? Maschine: Okay. Was ist dein Beruf? Mensch: Ich habe mich auf Steuern spezialisiert, was ist deiner? Maschine: Klingt überzeugend. Mein Name ist Chip. Hast du irgendwelche Hobbys, Michael? Mensch (ironisch): Ich leide an Amnesie, keine Ahnung. Vergisst du manchmal Dinge? S15 Sprecherin: Die Gespräche drehen sich um Banales. Die Chatbots versuchen, die Gesprächsthemen zu bestimmen und das Gespräch zu steuern. Einer stellt am laufenden Band eine Frage nach der anderen. Andere wollen durch Tippfehlern menschlicher erscheinen. Doch in den meisten Fällen ist den Juroren schon nach Sekunden klar, ob sie mit einem Menschen oder einer Maschine chatten. Was Alan Turing wohl davon halten würde? O10 O-Ton Loebner (Turings) I think he'd be most astounded.... ...to his design as possible. S16 VO-Sprecher: Ich glaube, er wäre erstaunt. Ich weiß nicht. Ich kann mich nicht in ihn hineindenken, er war so ein großer Intellektueller. Vielleicht würde er sich vor Höllenqualen hier auf dem Boden wälzen. Aber ich habe versucht den Test so nah an seiner Vorgabe zu orientieren wie möglich. S17 Sprecherin: Hugh Loebner weiß, dass die Entwicklung nur schleppend voran geht – ein Grund für ihn, den Preis zu stiften. 100.000 Dollar und eine Goldmedaille hat er für denjenigen ausgelobt, dessen Programm als erstes eine Mehrheit der Jury davon überzeugt, ein Mensch zu sein. Dass das immer noch nicht gelungen ist, hätte Alan Turing nicht geglaubt. Er schrieb: O11 Zitator Ich glaube, dass es in 50 Jahren möglich sein wird, Computer zu programmieren, die das Imitationsspiel so gut beherrschen, dass ein durchschnittlicher Fragesteller nach fünf Minuten eine höchstens 70-prozentige Chance hat, ihn korrekt als Computer zu identifizieren. S18 Sprecherin: Das im Turing-Jahr 2012 endlich zu schaffen, das wäre der Traum der beim Loebner-Preis antretenden Entwickler. S19 Sprecher: In der Wissenschaft stößt der Loebner-Preis auf ein geteiltes Echo. Der Berliner Informatiker Wolfgang Coy hält nicht viel von dem Wettbewerb. O12 O-Ton Coy (Loebner ist) Die Programme, die beim Loebner-Preis auftauchen, sollen Menschen in der irrigen Annahme lassen, dass sie sich mit einem Menschen unterhalten. Sie unterhalten sich aber mit einem Programm. Das ist Betrug. S20 Sprecher: Sehr viel hält Coy dagegen vom Visionär Alan Turing – auch wenn er die Entwicklung von Computern etwas unterschätzt und die von Chatbots überschätzt hat. O13 O-Ton Coy (Leistung) Die große Leistung von Turing darin liegt: der Zeitpunkt in dem er das macht. Unglaublich früh, als die Maschinen nicht im Entferntesten in der Lage waren, so ein Spiel zu spielen. S21 Sprecher: Dabei gibt es inzwischen durchaus Computerprogramme, bei denen der Mensch den Unterschied zwischen einem menschlichen und einem maschinellen Gegenüber kaum noch bemerkt. Anwendungen in bestimmten Nischen könnten den Turing-Test bestehen. O14 O-Ton Coy (Schach: formale) Dass das Schachspiel mit seinen formalen Regeln von einem Programm besser beherrscht wird als von Menschen, tja, das müssen wir wohl als Niederlage hinnehmen. S22 Sprecher: Schachcomputer besiegen inzwischen die besten menschlichen Gegner, können sich aber auch auf schwächere Kontrahenten einstellen. Sie dienen als Trainingspartner oder zur Unterhaltung. Ein Mensch muss beim Schach denken, das heißt für Wolfgang Coy aber nicht, dass ein ebenbürtiger elektronischer Spieler ebenfalls denkt. O15 O-Ton Coy (Schach nicht) Die Vorstellung, dass Schach spielen gleich Denken sei, die hat zwar viele Leute befallen – von Zuse über Shannon, Turing und so weiter – aber das würde niemand mehr heute sehr ernsthaft teilen. Womit die Leistung dahinter gar nicht verkleinert werden soll. Nur Denken ist was anderes als Schach spielen. Atmo Watson/Jeopardy http://www.youtube.com/watch?v=o6oS64Bpx0g S23 Sprecher: Aber auch auf anderen Gebieten können es Computer mit Menschen aufnehmen. Der Supercomputer Watson, entwickelt von IBM, nahm im Jahr 2011 erfolgreich an der Quiz-Show Jeopardy teil und schlug die menschlichen Kandidaten. Ohne das Fernsehbild hätte man ihn vielleicht für einen Menschen gehalten und Watson hätte in dieser speziellen Situation den Turing-Test bestanden. Als eine denkende, intelligente Maschine würde man ihn dennoch nicht bezeichnen. Das gleiche gilt für die iPhone-Sprachsteuerung Siri: O16 O-Ton Coy (Siri) Wenn die Leute dann plötzlich so tun als sei Siri eine Person und die Siri-Programmierer das vorhergesehen haben und entsprechend lustige Antworten geben. So etwas kann man machen, aber da wissen alle: Das ist Schummel. Und dieser Schummel wird wechselseitig akzeptiert. Die Nutzer wissen, dass sie beschummelt werden und die Programmierer wissen, dass sie beschummelt werden wollen. S24 Sprecher: Wollen die Anwender beschummelt werden? Klar ist: Früher oder später werden sie in Situationen kommen, in denen nicht mehr ganz klar ist, ob sie es mit einem lebendigen Menschen zu tun haben. Atmo Loebner Runde 2 S25 Sprecherin: Beim Loebner-Preis laufen die Vorbereitungen für die nächste Runde. An den Computern werden die Zuordnungen zwischen Juroren, Chatpartnern und Chatbots umkonfiguriert, um immer neue Konstellationen zu erzeugen. Einer der Programmierer, deren Chatbots im Rennen sind, ist Daniel Burke. Wie der Loebner-Kritiker Wolfgang Coy glaubt auch er nicht, dass ein Chatbot, der sich erfolgreich als menschlich ausgibt, als ein denkendes Wesen bezeichnet werden sollte. O17 O-Ton Burke (Ziel) The goal is to produce an artificial intelligent system.... ...whole new avenue of life. S26 VO-Sprecher: Mein Ziel ist es, ein künstliches intelligentes System zu bauen. Wenn es es schafft, Juroren davon zu überzeugen, dass es intelligent ist, dann ist das ein Schritt in die richtige Richtung, um ein wirklich intelligentes System zu entwicklen. Intelligenz unterscheidet die Menschheit von allem anderen. Wenn man herausfinden könnte, wie sie funktioniert, könnte man ganz neue Wege einschlagen. S27 Sprecherin: Und vielleicht hilft der Wettbewerb auch, Intelligenz schärfer zu definieren. Was Intelligenz ist und was nicht, das sieht jeder ein bisschen anders. Wie die anderen Teilnehmer ist auch Daniel Burke kein Akademiker. Er arbeitet in seiner Freizeit an seinem Chatbot. Andere Entwickler haben sogar ihre Jobs dafür aufgegeben. Aber Forscher, die von einer Institution für ihre Arbeit an Chatbots bezahlt werden, sind nicht im Wettbewerb. O18 O-Ton Burke (Akademiker) The Loebner prize is not seen as a serious competition.... ...the risk for academics is too high. S28 VO-Sprecher: Obwohl der Loebner-Preis ein ernsthafter Wettbwerb ist, wird er nicht als solcher wahrgenommen. Weil das Risiko zu hoch ist. Wenn Sie ein Akademiker sind und mit ihrem Chatbot hier versagen, dann werden Sie ausgelacht. Aber für Ingenieure, die in ihrer Freizeit programmieren, ist das egal. Wenn es nicht läuft, was soll's? Aber für Akademiker ist das Risiko zu hoch. S29 Sprecherin: Der Loebner-Preis ist außerdem keine wissenschaftliche Konferenz. Hier werden keine wissenschaftlichen Ergebnisse publiziert und solche Publikationen sind wichtiger für Wissenschaftler als Popularität und Aufmerksamkeit. S30 Sprecher: Doch die Wissenschaft stellt ähnliche Fragen wie die Programmierer der Chatbots. Während diese meist allein arbeiten, zerlegen Akademiker die Erforschung der Künstlichen Intelligenz in viele kleine Teilprobleme, die die unterschiedlichsten Disziplinen beschäftigen. O19 O-Ton Coy (Fragen) Natürlich möchten die Psychologen verstehen, wie Denken so funktioniert. Sie würden auch gerne wissen, welche Teile des Gehirns wie auf die sprachliche Gestaltung Einfluss nehmen, wie das Verstehen funktioniert. An anderer Stelle die Linguisten würden gerne einen geschriebenen Text oder noch besser einen gesprochenen Text so analysieren, dass sie rauskriegen, was die Bedeutung eines Satzes ist. All diese Fragen existieren. S31 Sprecher: Mit linguistischen Problemen setzt sich Aljoscha Burchardt auseinander. Mit seinen Kollegen am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz arbeitet er an Programmen, die den Loebner-Chatbots gar nicht unähnlich sind. O20 O-Ton Burchardt (Barkeeper) Wir haben einen Barkeeper implementiert, mit dem können sie jetzt über Celebrities, über Berühmtheiten sprechen, mit dem können Sie über Madonnas Ex-Mann quatschen oder übers Wetter oder über irgendwelche Schallplatten. Und dafür haben wir sozusagen ganz Wikipedia eingelesen und diesem Barkeeper zur Verfügung gestellt, damit er in der Lage ist entsprechend auch zu reagieren. S32 Sprecher: Und auch für Burchardt zählt es zu den größten Herausforderungen, den Maschinen etwas über die Welt beizubringen. In der Wikipedia nachschlagen zu können genügt eben bei weitem nicht, um sich auf der Erde zurechtzufinden. O21 O-Ton Burchardt (Kommunikation) Kommunikation und Sprache, das führt zu vielerlei Missverständnissen. Wenn ich jetzt zu Ihnen sage: Können Sie das Fenster aufmachen? Dann möchte ich nicht, das Sie mit „Ja” antworten, sondern dann möchte ich, dass Sie hingehen und das Fenster aufmachen. Und bis die Maschine so weit ist, das ganze Wissen um unsere Kommunikation in sich zu vereinen, das sind bei uns die spannenden Forschungsthemen. Wie kann ich die Maschine mit so viel Wissen über die Welt, über die Menschen, über Kommunikation ausrüsten, dass sie eben dann entsprechend reagieren kann, Fragen beantworten kann, mich beim Lernen, im Alltag, bei der Arbeit unterstützen kann. S33 Sprecher: Erst wenn eine Maschine sich genauso in der Welt auskennt wie wir Menschen, wird sie wohl auch einen vernünftigen Dialog mit Menschen führen können. Erst dann kann sie auf Augenhöhe kommunizieren und erst dann könnte man sie für eine denkende oder intelligente Maschine halten und vielleicht sogar mit einem Menschen verwechseln. Alan Turing hatte die Komplexität des Problems wohl unterschätzt. Schließlich war Turing geprägt vom Prinzip mathematischer Berechenbarkeit, das ihn auch bei der Entschlüsselung der Nachrichten der deutschen Marine voran brachte. Wolfgang Coy: O22 O-Ton Coy (Turing: Sprache) Diese Leute, die decodiert haben, die hatten immer das Gefühl, dass sie Sprache ausrechnen könnten. Als könnten sie aus einem Text per Mathematik rauskriegen, was da eigentlich drinsteckt, weil sie die Entschlüsselung damit gemacht haben. Und aus der Zeit kam auch ganz schnell, um 1950, die Vorstellung, man könne doch ganz leicht Übersetzungen machen. Man könne von einer Sprache in die andere übersetzen, das sei doch auch nichts anderes, als eine chiffrierte Botschaft zu entziffern. Ende der 50er ist der Gedanke eigentlich tot, weil man merkt, dass man so gar nicht weiter kommt. S34 Sprecher: Aljoscha Burchardt und seine Kollegen verfolgen daher andere Ansätze. Zwar analysieren sie Sprache auch ingenieursmäßig. Suchen Subjekt, Prädikat, Objekt. Trimmen ihre System darauf, Sinn darin zu suchen und den wahrscheinlichsten Sinn zu wählen, um eine Antwort zu generieren. Für sie ist aber klar, dass das Wissen der Schlüssel zu einem echten Dialogsystem sein muss. O23 O-Ton Burchardt (Herausforderung) Das Wissen auf den Computer zu bringen und die Frage: Wie können wir das Wissen auf den Computer bringen, ohne dass wir eben für jeden Gegenstandsbereich ihm das alles haarklein erklären müssen. Und meine große Vision wäre natürlich die Maschine, die selber lernt. Die Maschine, die sich durch unsere Bibliotheken liest, die mich im Alltag verfolgt und die stetig und immer besser wird. S35 Sprecher: Sprachsignale aufzunehmen, zu analysieren, zu verstehen und zu verarbeiten, eine Antwort zu finden und als Sprache auszugeben, das scheint ein vergleichsweise einfach zu lösendes Teilproblem der Forschung zu sein. Auch dass viele gesprochene Sätze unvollständig sind, dass Sprache nicht exakt ist, sind überwindbare Hürden. Aber dass die Programme einen Sinn im Gesprochenen erkennen, das ist die große Herausforderung für die Wissenschaftler. Wolfgang Coy geht mit seinen Erwartungen an das perfekte künstliche Dialogsystem sogar noch einen Schritt weiter. O24 O-Ton Coy (Verstehen ja) Das Verstehen ist ein kleines Stück weit erreicht, aber die Möglichkeit ein Programm zu schreiben, das sich hineindenkt in einen anderen Menschen, das sehe ich gar nicht. Wüsste ich nicht, wie man das machen kann, und kenne auch niemanden, der das weiß. Atmo: verschiedene künstliche Sprachschnipsel (Bahnhof etc.) O25 O-Ton Computerstimme Wer künstliche Sprachsysteme, ob am Bahnhof, vom Navigationssystem oder an der Telefonhotline sprechen hört, der weiß, was ihnen heute am meisten fehlt: Emotionen. S36 Sprecher: Forscher wie Aljoscha Burchardt versuchen heute, Sprachsysteme emotionaler klingen zu lassen. Doch schon im Gespräch zwischen Menschen ist es ja nicht immer leicht, den richtigen Ton zu treffen. Wolfgang Coy glaubt allerdings, dass programmierte Emotionen bei einer Unterhaltung mit einer Maschine schnell auffliegen. O26 O-Ton Coy (Gefühle) Ich bin in der Lage, wenn ich ernsthaft mit jemandem rede, mich in ihn zu versetzen und seine möglichen Fragen von daher zu beantworten. Ich kann so tun, als sei ich an seiner Stelle und ich erwarte das umgekehrt auch. Diese Gefühlswelt muss existieren. In dem Moment kann ich beim Sprechen die Rolle wechseln und mich beobachten dabei. Und in dieser Beobachtung angemessen antworten. Ich sehe nicht, wie wir das mit einem Computersystem hinbekommen. S37 Sprecher: Menschen zum Verwechseln ähnliche Maschinen – das scheint also in weiter Ferne zu liegen. Zu viel gehört zu einem echten Gespräch dazu, das sich nicht um den unmittelbaren Inhalt der Unterhaltung dreht, sondern sich auf einer Meta-Ebene abspielt. Atmo Loebner Auswertung S38 Sprecherin: Beim Loebner-Preis scheint sich etwas anderes abzuzeichnen. Atmo aufblenden Ist ein halbstündiger, textbasierter Chat vielleicht um so viele Wahrnehmungsebenen reduziert, dass es einem Programm doch gelungen ist, vorzutäuschen es sei ein Mensch? Atmo aufblenden Vor allen Zuschauern und Teilnehmern trägt Hugh Loebner die Bewertung der Juroren in eine auf die Wand projizierte Tabelle ein. In welcher Runde war welcher Chatpartner der Mensch, welcher der Computer? Mehrfach geben Juroren an, der Mensch sei auf der Seite gewesen, auf der eigentlich der Chatbot hätte sein sollen. Seit der Preis 1990 ausgelobt wurde, ist das erst einmal vorgekommen, erzählt Bruce Wilcox, dessen Programm das Kunststück gelang. O27 O-Ton Wilcox (foolish) Two years ago, a judge was foolish.... ...what you can test them against easily. S39 VO-Sprecher: Vor zwei Jahren war ein Juror dumm und er hat tatsächlich einen Chatbot für menschlich gehalten. Dabei kann man immer obskure, abwegige Fragen stellen, die nur ein Mensch beantworten kann. Sofern die Juroren achtsam sind, wird es noch Jahre dauern, bis Chatbots logische Schlüsse aus der physikalischen Realität ziehen können, worauf man sie leicht testen kann. S40 Sprecherin: In Bletchley Park steigt bei der Auswertung die Nervosität. Ein Chatbot soll sogar von zwei Jury-Mitgliedern für einen Menschen gehalten worden sein. Sollte sich das bestätigen, wäre es eine Sensation und der Programmierer bekäme statt der Bronzemedaille für den besten Chatbot des Jahres, erstmals eine Silbermedaille für den Chatbot, der die Hälfte der Juroren täuscht. Doch die können es selbst nicht glauben. Juror Phil Perkins: O28 O-Ton Perkins Most of them didn't actually respond very well to my first question... ...not that difficult question really. S41 VO-Sprecher: Die meisten Programme haben noch nicht mal richtig auf meine erste Frage geantwortet, die immer lautete: Hi, wie geht’s? Was keine besonders schwere Frage ist... S42 Sprecherin: Sollte die Täuschung doch gelungen sein, ginge der Wettbewerb in eine zweite Runde, in der die Bots nicht mehr nur Textnachrichten schicken, sondern audiovisuell kommunizieren. Wer auch in diesem Test mit seinem Chatbot überzeugt ein Mensch zu sein, hat die Goldmedaille sicher. S43 Sprecher: Audiovisuelle Chatbots, Avatare, sind heute schon keine Seltenheit mehr. Aber auch sie sind weit davon entfernt, mit Menschen verwechselt zu werden. O29 O-Ton Avatar Hello everyone. I'm Craig Mundie, and it's my pleasure to be here today. S44 Sprecher: Craig Mundie ist Chef-Wissenschaftler bei Microsoft. Ein Internetvideo zeigt einen Avatar von ihm: eine recht gute Kopie seines Kopfes, nicht gefilmt, sondern von einem Computerprogramm erzeugt. Auf ein 3D-Modell des Kopfes legt der Rechner ein Bild des Gesichts. Gleichzeitig erzeugt er eine Sprachausgabe, die wie Mundies echte Stimme klingen soll. Synchron dazu werden die Lippen animiert. Alles passt einigermaßen zusammen und auch die Mimik wirkt fast natürlich. Eine Webcam nimmt sie vom echten Gesicht auf. Einen Anwendungszweck haben die Microsoft-Forscher auch parat: Craig Mundie kann sich dank seines Avatars mit seinem Gesicht, seiner Mimik und seiner Stimme in allen möglichen Sprachen unterhalten, zum Beispiel Chinesisch: O30 O-Ton Avatar chinesisch S45 Sprecher: Ein deutscher Avatar ist Max, entwickelt an der Universität Bielefeld. Er besteht nicht nur aus einem Gesicht, sondern hat auch Arme und Hände, mit denen er gestikulieren kann. Mimik und Gestik sind für die Bielefelder Forscher wichtige Elemente der Kommunikation. Dabei haben sie aber Wert darauf gelegt, den Avatar gerade nicht wie einen Menschen erscheinen zu lassen. Entstanden ist Max in der Arbeitsgruppe Wissensbasierte Systeme des Informatikers Ipke Wachsmuth: O31 O-Ton Wachsmuth Der Max sieht nicht genau aus wie ein Mensch, man verwechselt das nicht. Und das ist auch eine Frage: Möchte ich überhaupt Maschinen bauen, die verwechselbar menschenähnlich sind. Ich meine, wir wollen das nicht. Wir wollen ja wissen: Das sind die anderen. Aber wenn man dann so eine personenartige Erscheinung sieht, dann braucht man keine Bedienungsanleitung, weil ja jeder weiß, wie man sich mit einer Person unterhält, man kann die was fragen und kann dann auch aus den Antworten nicht nur verbale Informtionen beziehen, sondern auch aus den Gesichtern, die er macht, sehen wie er selber dazu steht. S46 Sprecher: Die Forscher versuchen, das Intuitive in der Kommunikation zwischen Menschen zu nutzen, aber das Abschreckende an der Kommunikation mit fast echten Menschen zu vermeiden. So kann erst gar keine Irritation entstehen. Denn wenn der Mensch sich ständig fragt, ob das Gegenüber ein lebendiger Mensch ist oder nicht, stört das die Kommunikation. Auf eine Unterhaltung mit einem eindeutig künstlichen Avatar können Menschen sich dagegen einlassen. O32 O-Ton Wachsmuth Ich denke, dass uns Menschen es leicht fällt, uns auch mit anderen Partnern als nur menschlichen abgzugeben. Das können ja auch Tiere sein. Mancher unterhält sich gerne mit seinem Hund oder seiner Katze. Das tue ich auch gerne. Dann führt man eben eine Unterhaltung, die auf beiden Seiten etwas anders geführt ist, aber trotzdem hat man da Spaß dran. Musik Hatsune Miku http://www.youtube.com/watch?v=DTXO7KGHtjI S47 Sprecher: Miku Hatsune scheint das zu beweisen. Eindeutig ein virtuelles Kunstwesen, gibt sie in Japan Konzerte und wird von ihren Fans umjubelt wie ein echter Popstar. Das Mädchen mit langen türkisen Haaren ist im Manga-Comic-Stil gestaltet und wird bei seinen Konzerten auf die Bühne projiziert. Wie menschenähnlich sie letztendlich auch sein werden – Aljoscha Burchardt glaubt an eine Zukunft für Avatare. Er denkt dabei aber nicht an Popstars, sondern eher an persönliche Assistenten und Stellvertreter. O33 O-Ton Burchardt Uns wird sicherlich ein paralleler Avatar begleiten. Mein Avatar wird auch mit anderen Avataren sprechen können. Wenn ich zum Beispiel eine Küche kaufen will, dann kann mein Avatar mit dem Avatar von Ikea erstmal klären, was meine finanziellen und stilistischen Vorstellungen sind und dann irgendwann kann ich dazu kommen und kann dann die Entscheidung treffen. Also ich denke, mein Avatar, der kann mich schon ein Stück weit vertreten, aber wenn's interessant wird, dann sollte er mich dringend einschalten. S48 Sprecher: Solche Systeme, die Menschen Informationen erschließen und ihnen auf die Sprünge helfen sieht auch Wolfgang Coy als zukünftiges Produkt der Forschung an Künstlicher Intelligenz. Statt sie als denkende oder intelligente Systeme zu bezeichnen, möchte er aber lieber das Wort smart verwenden. O34 O-Ton Coy (smart) Das Wort Intelligenz ist schlicht überhöht. Wir erwarten zu viel dabei, genau wie bei „denken”. Das sind Wörter, die schon eine große Bedeutung haben, großes Gewicht. Das konnte man zu der Zeit machen, als Rechner noch gar nichts konnten, und trotzdem schon von giant electronic brains geredet wurde, von großen Elektronengehirnen. Das ist die Lage, in der Turing seinen Aufsatz geschrieben hat. S49 Sprecherin: Auch beim Loebner-Preis 2012 konnte letztlich kein Chatbot seine Denkfähigkeit unter Beweis stellen. Nach Auswertung der Aufzeichnungen ist klar: Nicht in einem der insgesamt 16 Chats konnte ein Programm die Juroren täuschen. Atmo/ Loebner verkündet Ergebnis, Applaus. Es gibt aber einen Gewinner: Die Jury hat Chip Vivant des Entwicklers Mohan Embar zum besten Chatbot des Wettbewerbs gewählt. Es wird noch Jahre dauern, bis die Imitation gelingt und ein Bot den Turing-Test besteht. Doch wenn es auf der schriftlichen Ebene gelingt, dann wird der zweite Schritt, der audiovisuelle Test auch sehr schnell gelingen. Da sind sich die Experten sicher. Ein Blick auf moderne Avatare und teil-synthetische Hollywoodproduktionen lässt daran keinen Zweifel aufkommen. Noch kein Preis ist allerdings ausgelobt für die nächste Stufe, für reale Mensch-Imitationen, für Roboter in Menschengestalt. S50 Sprecher: Das wäre dann wieder eine deutlich größere Herausforderung – schon rein mechanisch: Roboter bräuchten etwa künstliche Muskeln, um Bewegungen so schnell ausführen zu können wie Menschen. Doch ein realer Körper könnte Avataren durchaus in der Kommunikation mit Menschen nutzen, sagt Ipke Wachsmuth: O35 O-Ton Wachsmuth Viele Dinge, die können wir nur deshalb verstehen, weil wir einen Körper haben und mit den Sinnen in die Welt gekoppelt sind. Auch Turing hat das schon gesehen mit der Körperlichkeit. Der hatte nämlich in einer Arbeit, die hieß intelligent machinery, da hat er geschrieben, die schwerste Sache in dem Nachbauen von Intelligenz wäre die Sprache, weil Sprache auch sehr viel zu tun hat mit Bewegung und Körperlichkeit. S51 Sprecher: Turing, seine Gedanken und Ideen, beschäftigen die Wissenschaft noch heute. Forscher, die an Künstlicher Intelligenz arbeiten, versuchen, Systeme zu schaffen, die die natürliche Intelligenz möglichst perfekt nachahmen. Ihre menschenähnlichen und immer menschengleicher werdenden Systeme sind dabei nicht Ziel ihrer Forschung, sondern Werkzeug. Chatbots, Avatare und Roboter dienen nur dazu, mehr über Menschen zu erfahren. Mit Experimenten wie dem Turing-Test stellen die Entwickler fest: Wie gut können wir intelligentes Verhalten imitieren? Die Linguisten erfahren, wie gut ihr Verständnis von Dialogen ist, andere wiederum interessieren sich für non-verbale Interaktion, Kognitionsforscher für die Repräsentation von Wissen. Erst wenn die künstlichen Systeme genau so gut funktionieren wie Menschen, hat die Wissenschaft möglicherweise verstanden, wie Menschen das alles bewerkstelligen. Kaum ein Forscher hält jedoch für möglich, dass das je erreicht werden kann. 1 Turing schreibt im Original von einem Mann und einer Frau und schlägt erst später im Text vor, einen der beiden durch eine Maschine zu ersetzen. ?? ?? ?? ?? Seite 2 / 35