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Deutschlandradio Kultur KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe: Literatur Titel: "Kunst ist, was sich als Kunst verkaufen lässt" Der Blick der Literatur auf Künstler und den Kunstbetrieb Autorin: Ursula Escherig Redakteurin: Barbara Wahlster Sendetermin: 15.10.2013 Regie: NN Besetzung: Zitatorin, Zitator, Sprecherin/Autorinnentext "Kunst ist, was sich als Kunst verkaufen lässt" Der Blick der Literatur auf Künstler und den Kunstbetrieb Von Ursula Escherig Deutschlandradio Kultur/Literatur: 15.10.2013 19.30 Uhr Redaktion: Barbara Wahlster MUSIK 1:Philipp Glass "Harp Metamorphosis The Hours", Track 1 darüber: O-TON 1: Wolfgang Müller Ich würde sagen, Kunst ist heute so populär wie noch nie. Man hätte das wahrscheinlich nicht gedacht. Vor der Wende war das bei der "documenta" so, dass man da gut rein kam. Da war keine Schlange. Und ab 1992, also nach Auflösung der Ost-und West-Blöcke, ist plötzlich die moderne Kunst ultrapopulär ge- worden. Da gab es zum ersten Mal Riesen-Schlangen vor den Hal- len der "documenta". Und die Leute haben stundenlang angestan- den, um zum Beispiel monochrome Bilder anzuschauen. ZITATORIN: Vielmehr gehört es zu den festen Hoffnungen des Kunstpubli- kums, von Werken in den Bann gezogen zu werden. Ästhetische Erziehung wird dann nicht selten als ein Akt begriffen, der das Bewusstsein des Rezipienten völlig ausfüllt. Es gibt eine Sehnsucht nach einer starken Wirkung der Kunst, der man sich gerne unterwirft. (Wolfgang Ullrich: Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung. Wagenbach Verlag, 2013) ZITATOR: Und die Gläubigen, welche früher regelmäßig in die Kirche ge- gangen waren, eilten nun mit großer Begeisterung sonntäglich in Kunsthallen, Gemäldesammlungen und Museen. Die neue Offen- heit und Großzügigkeit der gewendeten Kunstfeinde ließ das Heer junger Maler, Performancekünstler, Bildhauer, Videoartis- ten, Aktions- und Eventkünstler enorm anschwellen: in England, Deutschland, Skandinavien, den USA, in China, Indien - ja auf der ganzen Welt. Nirgendwo, so der entstandene Eindruck, konn- te so schnell derart einfach viel Geld in kürzester Zeit ver- dient werden wie im Kunstbetrieb. (Wolfgang Müller: Kosmas. Verbrecher Verlag, 2011) ZITATORIN: Wie viele Magier des Kunstmarktes gibt es, die Stroh zu Gold spinnen können? Wie viele Sünder und Stigmatisierte gibt es, die sich von der Kunst Heilung und Anerkennung versprechen: Ex-Mafiosi, Nazi-Erben, Trunkenbolde, reiche Nichtstuer, abge- halfterte Sportler und Schauspieler? Sie dürfen als Kunstsamm- ler auf ein neues, respektables Leben hoffen. (Christian Saehrendt: Kassel. Documenta-Geschichten, Märchen und Mythen. Dumont Verlag, 2012) MUSIK 1: wieder hochziehen, kurz stehen lassen und ausblenden ZITATOR: Die Kunst ist das Höchste und das Widerwärtigste gleichzeitig, sagte er. Aber wir müssen uns einreden, daß es die hohe und die höchste Kunst gibt, sagte er, sonst verzweifeln wir. Auch wenn wir wissen, daß jede Kunst in der Unbeholfenheit und in der Lächerlichkeit und im Müll der Geschichte endet, wie alles andere auch, müssen wir geradezu selbstsicheran die hohe und an die höchste Kunst glauben, sagte er. (Thomas Bernhard: Alte Meister. Suhrkamp Verlag, 1985) AUTORIN: So lässt Thomas Bernhard in seinem Roman "Alte Meister" den 82jährigen Kunstkritiker und Musikphilosophen Reger sprechen. Jeden zweiten Tag sitzt er im Bordone-Saal des Kunsthistori- schen Museums in Wien - dort hat er seine ganz spezielle Form des Kunstgenusses zur Perfektion gebracht. Denn seine vorgeb- liche Liebe zur Kunst ist zugleich stark mit Ekel vermischt: ZITATOR: Das Ganze und das Vollkommene ist uns unerträglich, sagte er. So sind mir im Grunde auch alle diese Bilder hier im Kunsthis- torischen Museum unerträglich, wenn ich ehrlich bin, sind sie mir fürchterlich. Um sie ertragen zu können, suche ich in und an jedem einzelnen einen sogenannten gravierenden Fehler, eine Vorgangsweise, die bis jetzt immer zum Ziel geführt hat, näm- lich aus jedem dieser sogenannten Kunstwerke ein Fragment zu machen, sagte er. Noch in jedem dieser Bilder (...) habe ich das Scheitern seines Schöpfers gefunden und aufgedeckt. (Thomas Bernhard: Alte Meister. Suhrkamp Verlag, 1985) AUTORIN: Das Kunsthistorische Museum ist der Ort, an dem der Kultur- pessimist Reger am besten nachdenken - und kritisieren kann. Bei der Betrachtung von Kunstwerken hat er eigentlich nur ein Ziel: jenen "gravierenden Fehler" zu finden - und damit das künstlerische Genie bloßzustellen. Denn Reger meint, dass es "das Ganze und das Vollkommene nicht gibt" - und dass wir es auch gar nicht ertragen würden. So kann er sich quer durch die Zeit der "Alten Meister" über die Scharlatanerie aller Kunst ereifern. Bernhards 1985 erschienenes Buch thematisiert eine Kunst- und Kulturkritik, die sich auch in einigen, jüngst erschienen- enKünstlerromanen wiederfindet. Sie reflektieren Phänomene des mittlerweile völlig überhitzten Kunstmarkts; sie zeigen die Schizophrenie zwischen propagierter Autonomie und eisernem Profitwillen einiger Akteure. Zwischen Markt und Macht,beim Spagat zwischen Kunst und Kapital bleiben viele Ideale auf der Strecke: So kann der Künstler zu einer bloßen Marke, zu einer Kultfigurim Medienkapitalismus degenerieren. Bei allen Verwerfungen des Kunstbetriebs scheint dennoch die künstlerische Kreativität irgendwie zu überleben: ZITATOR: Ich glaube, dass dieses tiefe Gefühl, dass du nur für eine kurze Weile hier auf Erden bist und dabei realisierst, dass das Hiersein ein wahres Wunder ist, dich schöpferisch sein lässt. Du erkennst dich durch das, was du gemacht hast. Du würdest nicht wahrnehmen, dass du existierst, würdest du bloß deine Hand in den Schoß legen. Erst das Tun und Machen ver- hilft dir zu einem Selbstverständnis. (Ai Weiwei im "Tagesspiegel" vom 28.5.2013) AUTORIN: ... (sagte) der chinesische Künstler Ai Weiwei in einem Inter- view zur Kunst-Biennale in Venedig. Um die Ausschließlichkeit, um die Kompromisslosigkeit einer Künstlerexistenz geht es in dem 2013 erschienen Roman "Souti- nes letzte Fahrt" von Ralph Dutli. In einer Mischung aus Fak- ten und Fiktion erzählt der Autor die Lebensgeschichte von Chaim Soutine, einem der russischen Malergenies des frühen 20. Jahrhunderts. O-TON 2:Ralph Dutli Das ist eines der Themen dieses Buches, dieses Getriebensein, dieses Malen-Müssen, auch gegen religiöse Vorschriften und Ge- bote. Er kommt ja aus einem orthodox geprägten Schtetl bei Minsk. Von seiner Religion her dürfte er nicht malen. "Du sollst dir kein Bildnis machen", das ist ein biblisches Gebot, das darf ein gläubiger Jude nicht übertreten. Aber er konnte nicht anders. Für mich ging es auch um die Übertretung eines Verbots. Also dieses Getrieben-Sein ist das eine, aber das an- dere auch der Tabu-Bruch, die Zuwiderhandlung gegen ein ganz strenges Gebot. ZITATOR: Schon früh zeichnet er, jeder Fetzen Papier ist eine neue Ver- suchung, er macht rasch Skizzen, wenn er allein ist, den Blick immer wieder ängstlich auf die Tür gerichtet, ob nicht plötz- lich jemand eintritt, ihm den Fetzen aus der Hand reißt und ihn verprügelt. Er bemalt die Wände der Kellertreppe mit Holz- kohle. Auch dafür gibt es Schläge. Die großen Brüder rufen ihm nachts, wenn er schon halb schläft, in die Ohren: Wir sollen nicht! Verstehst du das nicht? Es darf nicht sein. AUTORIN: Der weißrussisch-jüdische Maler Soutine ist derSohn eines ar- men Flickschneiders. 1913, im Alter von 20 Jahren, gelangt er nach Paris und zieht in das Künstlerhaus "La Ruche". Die Werke des dort ebenfalls lebenden Marc Chagall mag er gar nicht. In der Künstlerszene lernt er auch Picasso kennen, sein bester Freund wird Amedeo Modigliani. Doch Soutine bleibt mit seinen frühen Bildern, wie im expres- siven Farbrausch gemalt, ein Außenseiter: ZITATOR: Bei den Eigenen und bei den Fremden ein Fremder. Der erschro- ckene, misstrauische Gesichtsausdruck, die gequälten, dunklen, brennenden Augen. Immer dabei ertappt zu werden, noch am Leben zu sein. Misstrauisch gegen sich selbst und gegen die eigenen Bilder, die ihn immerzu verraten. Ein Gefangener im Körperker- ker, der gegen die Wände schlägt und erst im späten Flug über den Friedhof Montparnasse entlassen wird. AUTORIN: Die finanzielle Lage ändert sich, als der amerikanische Kunst- sammler Barnes in der Pariser Kunstszene erscheint: Er findet Gefallen an Soutines Porträts von Konditorlehrlingen, Hotelpa- gen und Messdienern: ZITATOR: Seit Barnes' Auftauchen 1923, als der Pharmazeut seine Bilder in einem Rausch zusammenraffte und die Dollarnoten ins Atelier streute, weiß der Montparnasse alias die Welt, was der Name Soutine bedeutet. Er gilt als gemachter Mann, unwiderruflich am Ziel. Was für ein Triumph. Endlich angekommen. 3. O-TON: Ralph Dutli Ich wollte natürlich diesen Barnes auch nicht idealisieren. Er hat die Bilder zu Bonbon-Preisen gekauft, für 15, 20, 30 Dollar. Heute sind sie Millionen wert. Er hat einen Mythos be- gründet, aber zuerst hat er sie sehr billig kaufen können, weil keiner an diese Bilder geglaubt hat vor ihm. Doch: Modi- gliani hat Soutine sehr früh erkannt. Und hat auch bei seinem Tod 1920 dem polnischen Kunsthändler Zborowski zugehaucht: "Sei nicht traurig. Ich hinterlasse dir einen genialen Maler." Und für mich ist Soutine der bedeutendere Maler als Modiglia- ni. ZITATORIN: Das Bild zeigt einen kleinen Mann, fast noch ein Kind, mit weißem Kittel und Mütze. Die Arme hat er forsch in die Hüften gestützt, der Blick ist etwas unsicher. "Le petit pâtissier" von Chaim Soutine ist jetzt in New York für gut 18 Millionen Dollar versteigert worden - und damit der teuerste Konditor der Welt. bitte mitlesen : ("Spiegel-online", 9. Mai 2013) MUSIK 2:Philipp Glass "Harp Metamorphosis The Hours", Track 4 4. O-TON: Petra Morsbach Ja, das ist ein ständiger Spagat. Der Künstler - einerseits sollte er frei sein, und fühlt sich auch frei, deshalb startet er. Andrerseits lebt er in einem Soziotop, an dessen Bedingun- gen er sich anpassen soll. Also ein Maler vor 600 Jahren, der musste einfach Madonnen malen. Es blieb ihm nichts anderes üb- rig, was anderes wäre er nicht losgeworden. Dann malte er Ma- donnen oder Heilige. Und alles, was er zusätzlich zu sagen hat, schmuggelt er hinein in diese Bilder. Es gibt nicht nur Zynismus und Heiligen-Kunst-Ernst, son- dern lauter Zwischenformen. Und in diesem Zwischenbereich spielt sich alles ab. ZITATOR: Wir sind Wahnsinnige. Wären wir's nicht, wir würden nichts schaffen. Wir entwerfen Modelle des Lebens, die gut oder schlecht sind, farbig oder schwarzweiß, fein oder grob, doch eins müssen sie liefern, sonst will uns keiner: die Illusion von Bedeutsamkeit - der Menschheit, des einzelnen, des Ich. (...) Was wir Dichter stiften, sind Märchen. Nur wenn die über- zeugend bedeutsam sind, pompös, schmeichelhaft, nach der je- weiligen Mode, können wir unsere Existenz auf sie gründen. Der Haken: wir müssen selbst dran glauben. Und wer das tut, ist verrückt. (Petra Morsbach: Dichterliebe. Knaus, 2013) AUTORIN: Zeitsprung ins Jahr 1994: Petra Morsbach erfindet in ihrem im Frühjahr 2013 erschienenen Roman "Dichterliebe" den Mikrokos- mos eines Künstlerhauses irgendwo in Ostfriesland. Dort hat der einst in der DDR gefeierteLyriker Henry Steiger durch gute Beziehungen ein Stipendium ergattert. In wein- und schnapsseligen Gesprächen der Stipendiaten aus den neuen und alten Bundesländern entwickeln sich zahlreiche Diskussionen über Kunst und Literatur. Dabei geht es auch um die Bedingungen einer Künstlerexistenz zwischen Marktanpassung und Selbstbehauptung. Und der Dichter Steiger fühlt sich im Künstlerhaus ganz als Außenseiter, um ihn herum sieht er nur Ignoranten und Mitläu- fer des kapitalistischen Systems: ZITATOR: Alle unsere Bildenden Künstler sind Wessis: die Schirmmütze, der Videokünstler Bernd und der Performance-Artist Gideon. Vi- deo-Bernd hat überhaupt keine Haare im Gesicht, nicht mal Wim- pern. Seine Videos sind ein Trommelfeuer aus hektischen Bil- dern, mir wurde dabei so schlecht, daß ich zu Boden ging. (...) Der andere Künstler, Performancier Gideon, ist der typische überhebliche Wessi. Er hat mich mal ausgelacht, weil ich das Wort Performance deutsch aussprach, Performanze. Kürzlich zeigte er uns seine neue Installation, einen Kiosk, der mit fünfhundert Campari-Flaschen ausgekleidet war, von einer Neon- lampe beleuchtet. "Kunst ist, was sich als Kunst verkaufen lässt!", erklärte er. (Petra Morsbach: Dichterliebe. Knaus, 2013) ZITATORIN: Ich glaube nicht einmal, dass es hier um gute oder schlechte Kunst geht. Jedes Objekt besitzt eine Intensität, die schön und bewegend ist. Aber wenn Kunst nur noch visuelle Unterhaltung ist, dann haben die Künstler und die gesamte Kunstwelt verloren. Kunst ist eine Frage von Leben und Tod. Für viele der hier gezeigten Künstler ist das so. bitte mitlesen: (Massimiliano Gioni, der Kurator der 55. Kunstbiennale Venedig, am 30.5.2013 im Deutschlandradio Kultur) O-TON 5:Petra Morsbach Also ein Kunstwerk einfach als das zu sehen, was da ist, mit seiner Leistung, das ist nur ganz wenigen Leuten gegeben. Und dann ist da die Wirtschaftsblase, es ist sehr viel Geld im Umlauf, man weiß nicht, was wirklich etwas wert ist. Mit Aktien haben sie jetzt genug gespielt. Dann will man ja auch Prestige. Es gibt ja sehr viele gesellschaftliche Bedürfnisse, die die Kunst befriedigt. Also das ist ein richtiger kapitalistischer Markt, mit Stütz- käufen und Suggestionen und Werbekampagnen. Es gibt auch unter den Galeristen idealistische, die den Künstler helfen wollen und sich begeistern. Aber es gibt natürlich auch richtige Markthaie, die den Markt produzieren, bedienen, anheizen. ZITATORIN: An den hochpreisigen Auktionsmarkt scheint man sich schon fast gewöhnt zu haben - gerade gestern wieder konnte man diesen Ef- fekt beobachten, als die Ergebnisse der Auktionen von Chris- tie's in New York bekanntwurden. Insgesamt fast eine halbe Milliarde Dollar wurden in der Auktion mit Gegenwartskunst um- gesetzt. Es ist die höchste Summe, die jemals in einer Ver- steigerung erzielt wurde. Lässt sich die irrsinnige Entwick- lung noch verstehen, gar aufhalten? bitte mitlesen: ("Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. Mai 2013) MUSIK 3:Philipp Glass "Harp Metamorphosis The Hours", Track 5 AUTORIN: Die Realität liefert der Literatur genügend Stoff für Sati- re und Zynismus: Um einige Spitzenstars der Branche geht es in den 2011 erschienenen Romanen "Kosmas" von Wolfgang Müller und "Karte und Gebiet" von Michel Houellebecq. Beide arbeiten mit einem ähnlichen Prinzip: Sie entlarven die Mechanismen des Kunstbetriebs mit parodistischen Mitteln. Houellebecq erzählt von der Entwicklung des Malers Jed Mar- tin zu einem hoch bezahlten Gegenwartskünstler. Dessen Erfolg beginnt mit dem Fotografieren von Michelin-Karten, später wird Martin zu einem begehrten Porträtisten. Seine Modelle sind zum Beispiel Wirtschaftsbosse wie Bill Gates, Steve Jobs und Fer- dinand Piëch. Die Bilder finden, bei Preisen zwischen 10 und 12 Millionen Euro, im Milieu der Porträtierten reißenden Ab- satz. Und eines seiner Gemälde heißt "Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf": ZITATOR: Jeff Koons hatte sich gerade von seinem Sitz erhoben und vol- ler Begeisterung die Arme ausgestreckt. Ihm gegenüber saß Da- mien Hirst leicht in sich zusammengesunken auf einem weißen Ledersofa. (...) Beide trugen einen schwarzen Anzug - Koons einen Nadelstreifenanzug -, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. (...) Jeff Koons' Stirn glänzte ein wenig. Jed milderte den Glanz mit dem Pinsel ab und trat drei Schritte zurück. Mit Koons gab es ganz offensichtlich ein Problem. Hirst dagegen war leichter darzustellen: Man konnte ihn als brutalen, zynischen Typen wiedergeben, mit einem Ausdruck, der gleichsam besagte: "Ich bin so reich, daß ich es mir leisten kann, auf euch zu schei- ßen"; man konnte ihn auch als unbequemen Künstler darstellen (wenn auch steinreich), der sich in seiner Arbeit auf ängstli- che Weise mit dem Tod auseinandersetzte; und schließlich hatte sein Gesicht die typisch englischen Züge eines jener hitzköp- figen, pöbelhaften Kerle, wie sie man von den Fans des FC Ar- senal kennt. (Michel Houellebecq: Karte und Gebiet. Aus dem Französischen von Uli Wittmann, Dumont, 2011) AUTORIN: Zwei reale Künstler werden in doppelter Weise zum Gegen-stand der fiktiven Welt des Buches: Zum einen sind sie Motiv eines Gemäldes, zum anderen sind sie der Stoff, aus dem sich Kunst- und Kulturkritik entwickeln lässt. Entscheidend ist meist nicht mehr die Qualität eines Kunst- werks. Es zählt nur noch der Preis, der bei den Konsumenten - den reichen Kunstsammlern - erzielt werden kann: So verkommt Kunst zum Spekulationsobjekt einer globalisierten Welt. Darauf zielt auch Wolfgang MüllersRoman "Kosmas". Er kari- kiert den vom Werbemagnaten zum Kunstmogul gewandelten Charles Saatchi und die Künstlergruppe "Young British Artists", die untrennbar mit dessen Sammeltätigkeit verbunden ist: ZITATOR: Im Zentrum von FREEZE stand klar der "Tigerhai" von Damien Hirst. Eindeutig. Der neue Geldadel, die Immobilienspekulanten und Hedgefondsmanager, rissen sich um die Werke der jungen Künstlergenies. Schlagartig wurden die Künstler berühmt. Sie gingen als Nobody ins Bett und wachten weltberühmt auf. Über Nacht zum Superstar. Wie im Rausch kauften die Nachfolger der aristokratisch und geistlich-religiösen Herrscher und Kunstmä- zene gerahmte, mit Vogelkot beschmierte Bettlaken, eingedellte Mülleimer aus Blech und Unmengen präparierter Tierleichen. Im- mense Summen von Schwarzgeld aus Drogenhandel, Prostitution, Veruntreuung, Bestechung, Mietwucher und Betrug wechselten auf die Konten engagierter Galeristen. (Wolfgang Müller: Kosmas. Verbrecher Verlag, 2011) AUTORIN: Fiktion und Realität: 1991 kaufte Charles Saatchi den "Tiger- hai" für 50 000 britische Pfund, im Jahr 2005 verkaufte er ihn wieder an den Hedge-Fonds-Manager Steven A.Cohen - angeblich für rund 12,5 Millionen Dollar. Das Kunstwerk ist ein knapp vier Meter langer weiblicher Hai, aufgehängt im Chemikalienbad eines fünf Meter langen und zwei Meter hohen und breiten Aquariums - und gilt als ikonisches Kunstwerk des 20. Jahrhunderts. ZITATOR: Die Menschen wollen berühren und sie wollen berührt werden. Sie brauchen etwas Echtes, keinen Stahl, kein Gummi, kein Kunststoff, keine Distanz - nein, sie möchten etwas Unmittel- bares, etwas Reales, sie wollen einen echten Körper. Etwas Fe- stes! Im Grunde wollen sie das Leben selbst! In der Kunst su- chen sie nach ihrem Leben. (Wolfgang Müller: Kosmas. Verbrecher Verlag, 2011) AUTORIN: So lässt Wolfgang Müller in seinem Roman "Kosmas" den Künstler Damien Hirst urteilen. Der Autor ist selbst bildender Künst- ler, Musiker und Performer - und hat einen genauen Blick auf die Zusammenhänge von Kunstmarkt und Gesellschaft: O-TON 7: Wolfgang Müller Also Politik, Religion, das ist alles mit großen Fragezeichen versehen und wirkt unglaubwürdig. Aber Wissenschaft wird ir- gendwie noch geglaubt, das ist noch eine gewisse Ernsthaftig- keit. Und so verkoppelte sich sozusagen die ganze Kunstent- wicklung mit der Wissenschaftsentwicklung. Und da fand ich eben interessant, dass Gunther von Hagens und Damien Hirst auf eine gewisse Weise sehr ähnlich sind. Der eine kommt aus der Medizin, Wissenschaft und möchte eigentlich ein Künstler sein. Hirst wiederum ist Künstler, will aber darstellen, er würde sich mit Medizin und Wissenschaft beschäftigen. Die Ästhetik von Damien Hirst, diese Haie und so, eingelegt in Formaldehyd, das gab es schon ja vor 100 Jahren, die ganzen Museen stecken voller exotischer Tiere. Das ist ja eigentlich ein ästheti- sches Erbe des Kolonialismus. ZITATORIN: Diese Biennale will nicht überwältigen wie die vorletzte Aus- gabe und sich nicht anschmiegen wie die Schau vor zwei Jahren, die sich mit besserer Wohnzimmerkunst begnügte. Sie spitzt vielmehr ein Grundgefühl zu, das die Kassler Documenta im ver- gangenen Sommer noch etwas zerstreut hier und da antippte: den Verdacht, dass wir uns in einem Zustand der Schwebe befinden, in dem die Konturen unserer Glaubenssätze und Gewohnheiten verschwimmen wie der Horizont über der Lagune im Gewitter- licht. bitte mitlesen: ("Süddeutsche Zeitung", 2. Juni 2013) MUSIK 4: Philipp Glass "Harp Metamorphosis The Hours", Track 3 ZITATOR: Fünfzig geladene Gäste und eine Schar Journalisten klatsch- ten Beifall. Mein Bruder gab seine erste Pressekonferenz. Ich saß neben Lorenz, während die Journalisten ihn mit Fragen bombardierten. "Damien Hirst legt Tierkörper in Formaldehyd ein und Sie greifen zu Pinsel und Farbe. Sind Sie ein altmodischer Künst- ler? "Ich bin ein Maler, und mit den einfachsten Mitteln kann der Maler sich am besten ausdrücken." "Was ist Zeitgeist, Brauer?" "Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, was Zeit ist. Wenn ich eine Sache an sich nicht verstehe, wie soll ich dann ihren Geist begreifen? "Und was ist die Ewigkeit?" "Alles zusammen, das ist die Ewigkeit." (Astrid Rosenfeld: Elsa Ungeheuer. Diogenes, 2013) AUTORIN: In Astrid Rosenfelds Roman "Elsa Ungeheuer" von 2013 erzählt Karl Brauer die Kindheits- und Lebensgeschichte seiner Familie - und den märchenhaften Aufstieg seines Bruders Lorenz zum Star der internationalen Kunstszene. Das kann er nur werden, weil er der Liebling der reichen Sammlerin Irina Graham ist. In dem Buch wird auf's Schönste vorgeführt, wie eine Künstler- figur produziert und marktkonform gemacht wird. Das geschieht im virtuosen Zusammenspiel von Kunstberatern und einer PR- Spezialistin: "Wir möchten der Kunstwelt ihren nächsten Wun- derknaben schenken", heißt es in dem Buch. Und Lorenz Brauer erobert diese Kunstwelt mit einem gewaltige- nund kühnen Projekt. Er will sein Leben einem einzigen Werk widmen, der "Ewigkeit". Über einen Zeitraum von 43 Jahren will der gerade 22jährige Maler86 Motive malen - also alle halbe Jahre ein Bild. Es soll jeweils 363 cm hoch und 473 cm breit sein. Aus dieser Rezeptur entsteht ein spekulatives Vermark- tungsprinzip: ZITATOR: Doch wie sieht sie aus, Brauers Ewigkeit?Bild für Bild lässt er sie verschwinden ...(...) Ein Wettlauf gegen die Zeit. Vergäng- lichkeit gegen Ewigkeit. Niemand weiß, ob Brauer 43 Jahre le- ben wird ... Jedes Jahr verkaufen wir eine ... Art Option oder Li- zenz. Ein Jahr lang gehört das Bild dem jeweiligen Käufer - sollte Brauer während dieser zwölf Monate etwas zustoßen, geht das Werk an ihn. Je älter Brauer wird, desto wertvoller die Lizenz. (Astrid Rosenfeld: Elsa Ungeheuer. Diogenes, 2013) O-TON 8:Wolfgang Müller Mit heiler Haut kommt niemand aus der Gesellschaft heraus. Und das ist eben so ein Mythos, dass jetzt zum Beispiel der Kunst- betrieb irgendwo sakraler und heiliger und ehrlicher wäre. Al- so der kann nichts anders sein wie die Gesellschaft. Das sind keine Klöster, wo Künstler 50 Jahre leben und ihre Kunst schaffen. Das ist also wirklich ein großer Mythos. AUTORIN: Und der Hype, der Medienrummel um den großen Künstler Lorenz Brauer, erweist sich schnell als Spekulationsblase. Die Idee landet in der "Lächerlichkeit", im "Müll der Geschichte" - wo Thomas Bernhards Kunstkenner und Kulturpessimist Reger letztendlich jede Kunst enden sieht. In diesem Fall aber haben die "gravierenden Fehler" bereits das Entstehen des Kunstwerks verhindert: Es sind die menschli- che Hybris und der Irrglaube, der Vergänglichkeit mit der Kon- zeption eines Kunstwerks entgegentreten zu können. Lorenz Brauer hat den Makel selbst erkannt - und deshalb erst gar- nicht mehr weiter gemalt. Und der Zweifel ist schließlich ein ständiger Begleiter der Kreativität. Das kann auch zur Destruktion des eigenen Werks führen: So vernichtet Michel Houellebecqs Künstler Jed Martin einen Teil seiner Bilder: ZITATOR: Er war dabei, die Arbeit von Monaten oder gar Jahren zu zer- stören; dennoch zögerte er keine Sekunde. Viele Jahre später, als er berühmt - genauer gesagt sogar außerordentlich berühmt - geworden war, sollte Jed mehrfach die Frage gestellt werden, was es in seinen Augen bedeute, Künstler zu sein. Er fand da- rauf weder eine interessante noch eine originelle Antwort, bis auf eine Sache, die er infolgedessen bei fast jedem Interview wiederholte: Künstler zu sein, bedeute in seinen Augen, sich zu unterwerfen. Sich rätselhaften, unvorhersehbaren Botschaf- ten zu unterwerfen, die man in Ermangelung eines besseren Be- griffs und ohne jeden religiösen Glauben als Intuitionen be- zeichnen müsse. (Michel Houellebecq: Karte und Gebiet. Aus dem Französischen von Uli Wittmann, Dumont, 2011) AUTORIN: Auch der Maler Chaim Soutine zerstört in den zwanziger Jahren - nachdem ihn der Sammler Barnes für den Kunstmarkt entdeckt hat - einen Teil seiner frühen Landschaftsbilder: ZITATOR: Ich bin ... der Mörder ... meiner Bilder. Es musste nicht immer Feuer sein, das die Lösung brachte. Öfter waren es Angriffe mit dem Messer gewesen, ein blindes Aufschlitzen, um die farbigen Geschwüre auf der Leinwand nicht mehr sehen zu müssen. Um sie aus der Welt zu schaffen. Das Messerritual oder Scherenritual war hastiger, unkontrollier- ter. Unten, tief unten hineinfahren und die Klinge blind und quer nach links oben hochreißen bis zum Rand, dann noch einmal und noch einmal, bis nichts mehr erkennbar war. Bis die Strei- fen herabhingen, wie die blutigen Lappen zerfetzter Bäuche. (Ralph Dutli: Soutines letzte Fahrt. Wallstein Verlag, 2013) MUSIK 5:Philipp Glass "Harp Metamorphosis The Hours", Track 6 darüber: AUTORIN: Damien Hirsts Konzept-Kunstwerk, der berühmte Tigerhai, trug den Mechanismus der Selbstauflösung bereits in sich: Das erste Tier war dem Prozess der Verwesung anheimgegeben und musste ausgetauscht werden: Die Haut des Hais zeigte Verschleiß- erscheinungen, die Formaldehyd-Brühe war trübe geworden. Aber auch den zweiten Hai wird dieses Schicksal wohl treffen: Manche hochbezahlte, zeitgenössische Kunst taugt in ihrer Substanz offenbar nicht für die Nachkommen und die Erben - und schon gar nicht für die Ewigkeit. Diesen Gedanken treibt Wolfgang Müller in seinem Roman "Kosmas" auf geradezu ekelerregende Weise ins Absurde. In dem Buch ist das einst so wertvolle Kunstwerk schließlich nur noch ein verfaulter, stinkender Kadaver. Er explodiert - und wird so zum Symbol für die virtuelle Blase, für den Hype des Kunst- marktes: ZITATOR: Lange hatte es sich gestaut. Beim Aufschließen der Tür schoss ein pestilenzartiges Gestankskonzentrat mit voller Wucht auf die trauernden Verwandten. Der brutale Angriff eines riesigen Mauls, welches besetzt mit scharfen, spitzen Zähnen die unvor- bereiteten Geruchsnerven attackierte. (...) Millionen gelblich-weißer Würmer, Kakerlaken und fetter Ma- den krochen um die in Folge langjähriger Gärungs- und Fermen- tierungsprozesse zerborstene Bassinabdeckung. Es schien regel- recht explodiert zu sein. (Wolfgang Müller: Kosmas. Verbrecher Verlag, 2011) MUSIK 5:wieder hochziehen und ausblenden 1