COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. DEUTSCHLANDRUNDFAHRT 28.11.2009 Wunder, Wallfahrten und Wirtshäuser Das Stiftland in der bayerischen Oberpfalz Von Stefanie Müller-Frank Jingle und Kennmusik O-Ton 1 Monika Kunz Also die Landschaft, das sind so weiche, fließende Täler und so sanft ansteigende Höhen. Man kann relativ weit schauen, es ist wie so ein großes Becken eigentlich zwischen Böhmerwald und Fichtelgebirge. (173, 6.10) Das ist eine Märchenlandschaft. Aber die Winter sind schon hart. (173, 2.27) Musik hoch O-Ton 2 Roland Blumenthaler Und dieser alte Schupfen, der da hinten steht, das ist ja typisch für unsere Ecke. Das würde in Oberbayern nie in der Landschaft stehen. Das hätten sie längst abgerissen oder platt gemacht. Das Gelump gehört irgendwie dazu. Weil alles nicht so im Fokus der Aufmerksamkeit ist. (5, A, 4.35) Musik hoch O-Ton 3 Elisabeth Fendl Man hat ja gedacht, nach der Grenzöffnung, dass es hier touristisch einen riesengroßen Aufschwung gibt. Dass die Leute alle hierher fahren. Aber die Leute fahren jetzt in der Hauptsache durch, weil sie gleich nach Böhmen weiterfahren. (5, A, 4.42) Musik hoch O-Ton 4 Äbtissin Laetitia Es ist ein eigener Menschenschlag hier. Also die Stiftländer, die Oberpfälzer, die muss man gewinnen. Aber wenn man sie gewonnen hat, dann sind sie auch treu und stehen zu einem. Aber sind zunächst immer verhalten und beobachtend und: Was Neues lieber nicht. Ich denke auch, dass die Lage einfach auch die Menschen prägt. Aber vom Herzen her sind die Menschen einfach tief religiös und urkatholisch. Musik hoch SpvD Wunder, Wallfahrten und Wirtshäuser. Das Stiftland in der bayerischen Oberpfalz. Eine Deutschlandrundfahrt mit Stefanie Müller-Frank. Atmo 1 Nebelkrähen Autorin Gemächlich windet sich die Straße hinter Konnersreuth durch dunkle Fichtenwälder den sanft geschwungenen Höhenzug hinauf. Bis sich plötzlich der Wald lichtet und den Blick freigibt auf eine Senke voller Wasser ? die Tirschenreuther Teichpfanne. Weiher fügt sich hier an Weiher, oft nur durch einen schmalen Damm voneinander getrennt, der kaum breit genug scheint für ein Paar Traktorreifen. Dicht an dicht liegen die Teiche nebeneinander ? wie die einzelnen Glasscherben eines kunstvoll zusammengesetzten Kirchenfensters, allein mit dünnen Bleieinfassungen dazwischen. Atmo 2 durchs Wasser waten Autorin Seit dem frühen Morgengrauen heben sich oben auf dem Teichdamm dunkle Silhouetten gegen den Dunst ab, waten durch die flache Uferzone, steigen kurz aus dem Wasser und verschwinden dann wieder zwischen dem Schilf. Mittlerweile ist fast Mittag, aber der Nebel hängt noch immer tief über der Senke. Es nieselt. Atmo 3 Fische zappeln Autorin An einem kleinen Weiher direkt neben der Straße drängen sich ein Dutzend Männer, Frauen und Kinder ? alle in Gummistiefeln, brusthohem Ölzeug, die Gesichter mit Schlamm bespritzt ? um einen Haufen zappelnder Fische. Die liegen ausgebreitet im feuchten Gras, werfen ihre glänzenden Körper hin und her und reißen lautlos die Mäuler auf. Auch ein Krebs krabbelt zwischen ihnen umher. Während die Frauen die Karpfen und Schleien in verschiedene Eimer sortieren, stehen die Männer am Rand und begutachten die Ausbeute. Ein kleiner Junge streicht mit der flachen Hand immer wieder über die glitschige Haut eines Karpfens. Zwei Meter entfernt hat sich die Katze in Stellung gebracht und lauert, ob es nicht ein Fisch aus den Eimern schafft. Nur Netze oder Kescher fehlen. Und das Wasser im Teich. O-Ton 5 Karl Lippert (Warum ist da in dem Teich so wenig Wasser? Ist das immer so?) Weil wir die Fische raustun wollten, haben wir den Teich abgelassen, bis er leer ist. Dann ist da nur noch ein bisserl Wasser vorn, da kann man die Fische fangen. Atmo 4 wässern Autorin Einmal im Jahr kommen die Familien von Karl Lippert und seinem Schwager Reinhard Tröger zum Abfischen an ihrem gemeinsamen Weiher zusammen. Dann sind sämtliche Hände gefragt ? denn die Karpfen werden nicht geangelt oder mit Netzen gefischt, sondern mit der Hand gefangen. Zuerst aber muss das Wasser aus dem Weiher abgelassen werden. Und damit die Karpfen im Schlamm ? und nachher im Gras ? überleben, sagt der Landwirt Karl Lippert, macht man das traditionell an einem feuchten, kalten Spätherbsttag. O-Ton 6 Karl Lippert: Also im Herbst hat es immer schon Karpfen bei uns gegeben. (Warum lassen sie das Wasser im Herbst ab?) Es soll nicht zu warm sein. Denn wenn es zu warm ist, dann halten die nicht so viel aus, dann kann man nicht zu lange rummachen. (Dann überleben die Karpfen das nicht.) Nein. (So ist dann das perfekte Wetter: Kalt und nieselig?) Ja, wenn die Sonne nicht so scheint. (LS 168, 7.15) Atmo 5 Wasser abstellen Autorin Mit rund 3.700 Teichen auf einer Wasserfläche von fast 2.000 Hektar ist das Stiftland eines der größten Karpfenzuchtgebiete Deutschlands ? und eines der ältesten. Musik unter Text legen Titel: Cannon Komponist: Johann Pachelbel Interpret: Canadian Brass & the Berlin Philharmonic Brass Verlag: CBS Records LC 0149 Autorin Im Jahr 1133 gründeten die Zisterziensermönche mit dem Kloster Waldsassen auch die Teichwirtschaft in der Region. Das lag zum einen an der strengen Ordensregel, die den Verzehr von Fleisch fast völlig untersagte. Zum anderen galt die Fischzucht im Mittelalter als eine hochrentable Form der Landnutzung, da Fischfleisch mehr einbrachte als Rind- oder Schweinefleisch. Zudem eignete sich der moorige und sumpfige Boden im Stiftland weder für den Anbau von Wein noch für Getreide, dafür umso mehr für Fischweiden. Heute sind die meisten Teiche in Familienhand und werden als Teil eines landwirtschaftlichen Betriebs geführt, meist nebenberuflich. Verkaufen lassen sich die Karpfen heute nur noch schwer, sagt Karl Lippert ungerührt, also gibt es jetzt bis Weihnachten zweimal die Woche Fisch. O-Ton 7 Karl Lippert (Das heißt, die Karpfen kommen auf den Teller?) Ja, die werden gegessen. Bis Weihnachten sind die alle weg. Ist ja nur für uns, für den Eigenverbrauch. (Die verkaufen Sie also nicht?) Wir verkaufen schon ? wenn wir welche losbringen. So reißend gehen die nicht weg, weil wir haben keine Kundschaft. Früher haben die Älteren aus dem Dorf welchen geholt, aber die Jüngeren essen ja keinen mehr. (Warum nicht?) Die Zubereitung ist denen zu viel. (LS 168, 5.34) Atmo 6 Achtung, nass! Autorin Mittlerweile sind alle Fische fein säuberlich getrennt: Die Karpfen zappeln in zwei ausladenden Waschzubern, die kleineren Schleien drängen sich dicht an dicht in Plastikeimern, stoßen mit ihren aufgerissenen Mäulern aus dem Wasser und schnappen begierig nach Luft. Arbeit vollbracht? Von wegen. Jetzt werden die Bottiche ausgeschüttet und alle Karpfen landen wieder im nassen Gras. Karl Lippert streicht sich voller Vorfreude die Hände an der Schürze ab. O-Ton 8 Karl Lippert Jetzt werden sie sortiert. Jetzt tut sich jeder die Schönsten raus, und dann werden sie gewogen, und dann werden sie ausgelost. Da ist es immer so, dass die, die wir aussuchen, die anderen kriegen. (LS 168, 14.05) Atmo 7 Karpfen abzählen Autorin Klingt kompliziert, aber so wurde es schon immer gemacht. Eine Frau aus jeder der beiden Familien sucht sich abwechselnd den schönsten Karpfen auf der Wiese aus und lässt ihn dann in den Familienbottich gleiten. 74 Karpfen hat Lippert im Frühjahr im Teich ausgesetzt, damals wogen sie nicht mal ein Kilo. Jetzt sind die meisten zwei, zweieinhalb Kilo schwer. Atmo 8 noch mal ausschütten Autorin Als die Karpfen ausgezählt und alle zurück in den zwei Waschzubern sind, wird das Wasser auf ein Neues ausgekippt. Damit es auch gerecht zugeht, sagt Reinhard Tröger, der Schwager von Lippert, werden die Karpfen aus beiden Bottichen gewogen. Atmo 9 abwiegen Autorin Er kniet im Gras und beschwert eine eigens mitgebrachte Dezimalwaage mit Gewichten, seine Brille und sein Käppi sind mit Schlammspritzern übersät. Der Waagebalken schnellt in die Höhe. Geduldig greift Tröger zu einem weiteren Gewicht. Aber der eine Bottich bleibt fünf Kilo schwerer ? also muss noch ein mächtiger Karpfen die Wanne wechseln. O-Ton 9 Reinhard Tröger Das ist jetzt der letzte Rest der zweiten Hälfte. Und dann stellen wir fest, dass das 20 Pfund, also zehn Kilo sind. Die Differenz ist dann zehn Pfund. Wenn wir also einen großen darüber tun, dann passt es. (LS 168, 26.28) Autorin Jetzt könnte jede Familie ihre per Hand ausgewählten Fische stolz nach Hause tragen. Aber die Tradition will es anders. Damit es auch wirklich gerecht zugeht, werden die Bottiche ausgelost. O-Ton 10 Reinhard Tröger: Das ist ein uraltes Ritual. Da wird ein Messer dazwischen gelegt ? mit Rücken und Schneid. Und ein anderer, der stellt sich so, dass er es nicht sieht. Und dann wird ihm zugerufen: Ruck oder Schnei ? und dann entscheidet er sich für eine der beiden. Also: (LS 168, 27.40) Atmo 10 auslosen Autorin Dieses Jahr fällt den Schwiegertöchtern die Ehre zu: Gabi Lippert geht zehn Schritte von den Wannen weg und entscheidet sich ohne viel Aufhebens für den Messerrücken. Treffer! Zum ersten Mal seit Jahren geht jede Familie mit den selbst ausgewählten Fischen nach Hause, scherzen die Männer. Na ja, stimmt nicht ganz, sagt Gabi Lippert trocken. O-Ton 11 Gabi Lippert Dieses Jahr ist es egal. Normalerweise tun wir unsere Fische in unsere Wannen rein, und die Verwandten tun ihre Fische in ihre Wannen rein. Aber dieses Jahr haben wir eh sämtliche Fische in den Wannen von den Verwandten drin. Also müssen wir eh irgendwann mal die Wannen austauschen. (LS 168, 29.29) MUSIK 1 Titel: Klavierquintett A-Dur Opus 114 "Forellenquintett" Dritter Satz ? Scherzo. Presto Komponist: Franz Schubert Interpret: Endres Quartett und Rolf Reinhardt Verlag: Eurodisc, LC 00202 Autorin Kein Landstrich Bayerns ist so dünn besiedelt wie das Stiftland im äußersten Norden der Oberpfalz. Das Klima hier ist rau, die Böden sind karg, größere Industrie hat es in der Oberpfalz nie gegeben. Was es an Wirtschaftszweigen gab: Knopfverarbeitung, Glashütten, Porzellan ? das wird längst maschinell hergestellt oder in China günstiger gefertigt. Zudem lag das Stiftland über Jahrzehnte für viele am Ende der Welt: Direkt am Eisernen Vorhang, kurz vor Böhmen, die bayerische Landeshauptstadt fast 250 Kilometer weit weg. Atmo 11 Schritte durch Kreuzgang Autorin Das bekamen auch die Schwestern der Zisterzienserinnenabtei Waldsassen zu spüren: Nachwuchs blieb aus, die Klostergebäude verfielen, die Zukunft war ungewiss. Dann kam die Wende. Als der Eiserne Vorhang fiel, war auch der Weg in die böhmischen Kaiserbäder wieder frei. Und mit den Touristen, so hoffte man, käme auch der Aufschwung für die gesamte Region. Atmo 12 aufschließen Autorin Dass es ganz so einfach dann doch nicht werden würde, ahnte Laetitia Fech wohl schon, als sie Mitte der Neunziger nach Waldsassen kam. Kurz nach ihrer Wahl zur Äbtissin gab sie eine Studie in Auftrag, die klären sollte, welche Zukunftsperspektiven es für das Kloster speziell an diesem Standort geben könnte. O-Ton 12 Äbtissin Laetitia Mein Gedankengang war einfach der: Wenn ich ein Nutzungskonzept habe mit Ideen, wie ich die Gebäude fülle, dann bekomme ich natürlich ? wenn ich an die verschiedenen Stellen und Behörden gehe ? dann habe ich natürlich bessere Chancen, wenn ich die Gebäude mit Inhalten fülle als wenn ich sage: Ich will jetzt die Gebäude sanieren ? und dann schauen wir halt mal, was danach kommt. (6, A, 4.22) Atmo 13 durch Kreuzgang Autorin Die Äbtissin durchquert mit schnellen Schritten den Kreuzgang. Nach vierzehn Jahren Bauzeit ist die erste Generalsanierung des Klosters seit der Barockzeit vollendet. Endlich, sagt die Äbtissin, ein kurzes Lächeln geht über ihr Gesicht. Dann streift sie resolut die letzte Bauplane zur Seite, um in die frisch renovierte Klosterkirche zu gelangen. Atmo 14 in Klosterkirche Autorin Heute werden nicht nur alle Räume des Klosters wieder genutzt, sondern es sind auch viele neue Tätigkeitsbereiche für die Schwestern entstanden: Die Äbtissin hat eine Paramentenstickerei aufgebaut, eine Umweltstation ? und der älteste Gebäudeteil des Klosters wurde zu einem modernen Gästehaus mit Café umgebaut. O-Ton 13 Äbtissin Laetitia Ich denke, das ist die Aufgabe unserer Klöster in der heutigen Zeit: Für die Menschen auch da zu sein. Wir gehen nicht zu den Menschen wie in den aktiven Orden, aber die Menschen können zu uns kommen und teilhaben an der Atmosphäre, dem "spiritus loci" ? also dem Besonderen, was hier vor Ort da ist. Und das Kostbarste, was unsere monastischen Klöster ? also die Benediktiner und die Zisterzienser ? anbieten können, ist einfach die Stille. Wo gibt es das heute noch? (6, A, 5.22) Atmo 15 zu Zimmern Autorin Das Gästehaus fügt sich, trotz seiner modernen Bauweise, harmonisch in die barocke Klosteranlage ein. Nur wenige Details in den Zimmern erinnern an den Ort: Ein Holzkreuz, ein kleines Weihwasserbecken an der Tür ? und das naturbelassene alte Klostergemäuer. Atmo 16 aufschließen O-Ton 14 Schwester Sophia Ja, das soll eigentlich auch immer wieder zum Vorschein kommen, diese alte Struktur des Mauerwerks aus dem 15. Jahrhundert. Und auch immer wieder diese kleinen Akzente: Der Schreibtisch, die Stühle sind aus dem Kloster, die Kniebänke ? die auch schon reißende Abnehmer gefunden haben an Gästen. Also das ist sehr bemerkenswert, was die Leute alles brauchen können. (6, B, 4.10) Atmo 17 abschließen Autorin Schwester Sophia lacht offen. Die 36-jährige Novizin leitet das Gästehaus seit dessen Eröffnung im Herbst 2008. Sie kümmert sich um Ausstattung, Preise, Personal und die Wünsche der Gäste. Sie selbst ist erst vor kurzem ins Kloster Waldsassen gekommen ? so wie sechs weitere junge Schwestern. Für diesen Schritt, sagt die gelernte Bautechnikerin, war nicht nur die Berufung wichtig, sondern auch, dass sie hier einem anspruchsvollen Beruf nachgehen kann. O-Ton 15 Schwester Sophia Dass jeder seine eigenständige Arbeit hat, ist natürlich auch wichtig, aber hauptsächlich, dass wir uns jeden Tag siebenmal zum Gebet treffen ? und dass dem nichts vorgezogen wird. (6, B, 4.65) (Aber das unterbricht ja die Arbeit?) Ja. (Ist das nicht störend?) Am Anfang dachte ich schon, aber mittlerweile genieße ich das: Mitten im größten Trubel rauszukommen, runterzufahren, auch wieder meine Gedanken zu sortieren. Diese Möglichkeit hätte ich ja gar nicht, wenn ich im normalen Alltagsgeschäft bin. Und wenn ich dann um 13 Uhr wieder erholt zurück komme, also ich denke, das merken auch die Kollegen: Dass ich dann schon wieder ganz anders reagieren kann als sie, die in dem Trubel geblieben sind. (6, B, 4.70) Atmo 18 Glocken Autorin Sieben Mal am Tag singen die Schwestern gemeinsam das Chorgebet ? das erste um viertel vor sechs in der Früh, das letzte um halb acht abends. Und zwischendurch, erzählt Schwester Sophia, betet sie auch mal für sich den Rosenkranz. Natürlich nicht während der Arbeit, sie lacht und schüttelt belustigt den Kopf, sondern beim Laufen. Vom Kloster ins Gästehaus zum Beispiel. Oder im Kreuzgang. Einfach, um den Tag ins Gebet einzuweben. O-Ton 16 Schwester Sophia (Haben Sie den Rosenkranz immer dabei?) Ja. Wollen Sie ihn sehen? Da hätte ich meinen Schönen mitnehmen sollen. Ich habe einen für das Wochenende und einen für den Alltag. Jetzt hoffe ich nicht, dass ich ihn in meiner Jacke von gestern vergessen habe. Oh! Ich habe ihn doch in der Jacke von gestern. (Und welchen hatten Sie gestern dabei?) Weil ich immer Angst habe, ihn zu verlieren, hatte ich meinen vom Alltag dabei. Also das ist ein Benediktsrosenkranz mit den Benediktsmedaillen. Aus Holz. (7 A, 3.43) Autorin Bei uns zu Hause, erzählt die junge Frau, war es ganz normal, den Rosenkranz einfach auch mal in der Familie, zu beten. Oder ? in den Rosenkranzmonaten Mai und Oktober ? abends in der Kirche. O-Ton 17 Schwester Sophia Da trifft man sich dann wirklich zum Rosenkranzgebet. Das sind fünf bis zehn Frauen, die beten den Rosenkranz. Der eine oder andere Mann verirrt sich auch mittlerweile da mal hin, wenn sie eben Zeit haben. Und danach werden halt eben noch die Neuigkeiten aus dem Dorf ausgetauscht. Das ist einfach auch so ein Rhythmus im normalen Leben, nicht jetzt unbedingt als Schwester. (7 A, 3.29) Atmo 19 durch Kreuzgang Autorin Früher, als viele Menschen noch nicht lesen und schreiben konnten, diente der Rosenkranz auch dazu, sich die Bibel vor Augen zu holen. Schließlich wird ja das Leben Christi von der Geburt bis zur Auferstehung durchgebetet. Aber noch heute, sagt Schwester Sophia, bevor sie an die Rezeption zurückeilt, ist es für viele Menschen leichter, zu Maria zu beten als zu Christus. O-Ton 18 Schwester Sophia Ich denke, das ist dieser typische Gedanke: Man geht eher zur Mutter als zum Vater, wenn man irgendwas sich wünscht oder ein Problem hat. Ich denke, damit ist jeder aufgewachsen. (Mit der Fürsprache ist es leichter?) Ja. Wenn jemand anders für einen eintritt. Und die mütterliche Liebe verzeiht einem das eine oder andere vielleicht auch eher. (lacht) (7 A, 4.75) Atmo 20 Tür knarzt MUSIK 2 Titel: Ave Maria Komponist: Charles GoUNOd Interpret: Mischa Maisky Verlag: Deutsche Grammophon LC 00173 Atmo 21 Kaffeemaschine Autorin Gertraud Dietl bringt ihre Noten in Sicherheit, dann bugsiert sie noch ein Stück Käsekuchen auf ihren Teller. Während die Kaffeemaschine läuft, trommelt draußen leise der Regen gegen das Küchenfenster. Um den Küchentisch sitzen die drei Frauen vom Trio "Waldsassener Dreigesang". Die Generalprobe für eine Marienandacht in Maria Loreto, einer Wallfahrtskapelle kurz hinter der Grenze, steht an. O-Ton 19 Gertraud Dietl Diese Marienlieder, die haben eine wohltuende Wirkung. Auf uns selbst, und auch auf die, die es sich anhören. Das hat schon mit Frömmigkeit und mit Brauchtum, mit Wallfahrten ? also mit Marienverehrung hat das dann schon zu tun. (Das heißt, man muss dafür schon gläubig sein, um das zu singen?) Einen gewissen Teil schon. Sonst wirkt's vielleicht aufgesetzt und unehrlich. (171, 13.42) Atmo 22 Kuchen Autorin Die drei Frauen Mitte Fünfzig haben nicht nur fromme Lieder in ihrem Repertoire, sondern auch traditionelle Volksweisen aus dem Stiftland. Aber wenn Gesang und Glaube zusammenkommen, meint auch Monika Kunz, ist das besonders bewegend. Ob man die Marienlieder jetzt bei einer Wallfahrt singt oder in der Kirche. O-Ton 20 Monika Kunz Also mir persönlich fällt's dann zum Beispiel oft schwer, das Publikum anzuschauen. Denn wenn ich Leute sitzen sehe, die da weinen, dann müsste ich mitweinen. Ich muss also dann woanders hinschauen. Das berührt mich schon. Das ist eine ganz persönliche Angelegenheit. Viele Menschen wenden sich ja grundsätzlich an Maria, weil sie hoffen, dass der Draht zu Gott bei ihr dann am stärksten ist, dass ihnen geholfen wird. (173, 17.20) Autorin Im Gegensatz zum sonstigen Liedgut, das die drei Frauen seit dreißig Jahren gemeinsam singen und pflegen, sind sämtliche Marienlieder auf hochdeutsch. Es gibt einfach keine Passionslieder, keine Marienlieder in Mundart, sagt Monika Kunz. Selbst der bayerische Mensch, ergänzt sie mit einem fröhlichen Augenzwinkern, hält sich, wenn er etwas von Bedeutung aussagen möchte, an die Hochsprache. Atmo 23 jetzt proben! Autorin Genug gequatscht! Gertraud Dietl drängt zur Probe. Teller und Tassen sind schnell in der Spüle verschwunden. Atmo 24 stimmen Autorin Monika Kunz nimmt die Gitarre auf den Schoss und streift die langen, braunen Haare zurück, die ihr offen auf die Schulter fallen. O-Ton 22 Monika Kunz (Treffen Sie sich eigentlich immer in der Küche?) Klar, weil die Küchen sind die gemütlichsten Plätze im Haus. Da fühlt sich jeder gleich wohl, und da hat man alles gleich zur Hand und braucht nicht so viel rumräumen. Wir haben kein festes Probenlokal, sondern das wechselt. Jede kommt dran. Und früher sind wir immer da hin, wo die Säuglinge sind. Da war dann nebenbei noch stillen und füttern (lacht) und die Kleinen beruhigen. Wir singen ja jetzt schon dreißig Jahre zusammen. (171, 0.04) Atmo 25 Probe 2. Blatt O-Ton 23 Annemarie Liebald und Monika Kunz Patriarchen, Throne... das singe ich die ganze Nacht! ? Na, Du bist gut. - Das habe ich in meinem Ohr drin. ? Ja, da bleibt so eine Zeile hängen und da singt man die die ganze Zeit. Bei mir sind's die Engel, unter der Dusche. ? Bei mir die Patriarchen. (171, 7.55) Atmo 26 Wasser einschenken Autorin Lange Zeit, erzählt Monika Kunz, hat man in der Oberpfalz nur Liedgut aus Oberbayern gesungen, da man sich für den eigenen Dialekt schämte. Aber die Grundschulleiterin hat beharrlich nach Texten und Notenmaterial aus dem Stiftland gesucht und darauf bestanden, mit diesen Liedern auch aufzutreten. Sie selbst stammt aus dem Kreis Amberg, ungefähr 100 km weiter südlich, und wurde mit 23 als Lehramtsanwärterin ins Stiftland geschickt. Noch heute erinnert sie sich an ihre Ankunft vor über dreißig Jahren. O-Ton 24 Monika Kunz Es war Winter, die Sonne hat geschienen, und links und rechts der Straße waren Schneeberge hoch und höher ? und da habe ich mir gedacht: Ach, toll. Das ist eine Märchenlandschaft. Der erste Eindruck hat schon irgendwie gestimmt. Es ist eine besondere Landschaft, die hat ihren besonderen Reiz, für mich gewöhnungsbedürftig. Ich komme ja aus dem Vilstal, da ist es eher eng. Und im Stiftland hat man ja so eine gewisse Weite in den Tälern. Aber die Winter sind schon hart. (173, 2.27) Atmo 27 Verabschiedung und Atmo 28 Regen Autorin Monika Kunz tritt vor die Tür, schaut über ihre mit Wein berankte Gartenmauer in die weiten Felder und sanften Hügel hinaus. Eine Märchenlandschaft in der Tat. Aber ihre Tochter wird nach der Schule vermutlich wegziehen müssen, um Arbeit zu finden. Wie so viele junge Leute aus dem Stiftland. O-Ton 25 Monika Kunz (Warum heißt das Stiftland eigentlich Stiftland?) Weil es gestiftet wurde. Das war so: Der Markgraf Diepold hat im Wald bei Waldsassen den edlen Gerwig wiedererkannt als seinen Freund, mit dem er ein Turnier ausgefochten hatte. Er hatte damals geglaubt, er habe seinen Freund getötet. Der edle Gerwig wurde damals also von Regensburg, vom Bischof aus, in den Norden, in die Wildnis gesendet, um dort zu missionieren. Also er ist in den Zisterzienserorden eingetreten und in Waldsassen ? sie saßen im Walde ? haben sie sich wegen dem Fischreichtum an der Wondreb niedergelassen. Und da war eine Jagdgesellschaft, und da ist der Graf Diepold zufällig da vorbei gekommen und hat also seinen Freund wieder erkannt. Und aus Dank hat er ihm soviel Land gestiftet, wie er an einem Tag mit dem Esel umreiten kann. (173, 9.48) MUSIK 3 Titel: Tausendmal wollen wir dich grüßen Interpret: Waldsassener Dreigesang Komponist: unbekannt Verlagsangaben nicht vorhanden Autorin Das Stiftland ist ein armer, heute würde man sagen: Ein strukturschwacher Landstrich. Umso wichtiger war hier schon immer der Fremdenverkehr. So arm die Gegend an Industrie ist, so reich gesät ist sie an Reliquien und Heilwassern, Wundern und Wallfahrtskirchen. Wie in früheren Zeiten kommen viele Menschen ihres Glaubens wegen ins Stiftland. Sie pilgern zu einer der zahlreichen Marienkapellen, entlang Stationswegen oder nach Konnersreuth, zum Grab der Resl ? einer einfachen Bauernmagd, die aus Augen und Wundmalen blutete, also die Leiden Jesu am eigenen Leib erfahren haben soll. 10.000 Besucher aus aller Welt sind es, die jedes Jahr nach Konnersreuth kommen, um die Resl um Fürsprache zu bitten oder ihr für eine Wunderheilung zu danken. Atmo 29 Schritte in Basilika Autorin Aber auch Waldsassen war über Jahrhunderte ein zentraler Wallfahrtsort, verfügt die Basilika des Zisterzienserstifts doch über die größte Ansammlung an Ganzkörperreliquien nördlich der Alpen. Im 17. und 18. Jahrhundert hatte das Kloster zehn sogenannte "Heilige Leiber" aus römischen Katakomben erworben und die Skelette mit Silber- und Golddraht, künstlichen Perlen, Glas und Edelsteinen umkleiden lassen. Atmo 30 in Basilika Autorin Betritt man heute die mächtige Barockbasilika, stößt man schon im Seitenschiff auf das erste dieser zehn Skelette. Es liegt, kostbar geschmückt und in Kerzenschein getaucht, auf einem Brokatkissen in einem gläsernen Sarkophag. Die Kleidung - prunkvolle Leibstücke und weite Röcke mit Spitzen aus Metallfäden - erinnert an römische Soldaten. Die Märtyrer, erklärt mir die Volkskundlerin Elisabeth Fendl, galten ja als "militis Christi" ? also als Vorkämpfer für das Christentum. Selbst die Füße stecken in perlenverzierten Sandalen, den kahlen Totenschädel schmückt eine goldene Krone. O-Ton 26 Elisabeth Fendl (Das hat auch ein schon etwas Schauriges, oder?) Es wird sicher heute von vielen Besuchern eher als schaurig und als was Exotisches betrachtet. In der Barockzeit war das als theologisches Konzept eigentlich ganz klar. Man wollte damit zeigen: Das eigentlich schöne Leben beginnt nach dem Tod. (5, B, 1.45) Autorin Für mich ist es schwer vorstellbar, dass das Schicksal dieser Heiligen Leiber ? so prachtvoll sie auch gekleidet sein mögen ? den Gläubigen einst verheißungsvoll erschien. Dafür sind sie zu eindeutig als Skelette erkennbar. O-Ton 27 Elisabeth Fendl (Für mich wirkt das merkwürdig, dass man ein Skelett ankleidet. Und das hat ja sogar noch seinen Ellbogen aufgestützt auf das Kopfkissen.) Die liegen in sehr menschlicher Haltung. Also die haben es sich scheinbar bequem gemacht. Die liegen oft auf Kissen, und manchmal sind die Vitrinen auch noch mit Seide verkleidet. Es gibt von einer Figur die Geschichte, dass der Adalbert Eder, der die alle bekleidet hat, das war ein Frater, also ein Mönch hier aus dem Zisterzienserkloster Waldsassen. Und bei der letzten Einkleidung der Reliquien hatte er Schwierigkeiten, so erzählt die Legende. Also er hat nicht genau gewusst, wie er es machen soll, und hat dann gesagt: Also ich gehe jetzt erst mal zum Essen, leg du dich so hin, wie du willst. Und wie er zurückgekommen ist, war dieses Skelett ganz anders dagelegen als er es zurückgelassen hatte: Bequem aufgestützt. (5, B, 1.10) Autorin Es muss Jahre mühevoller Handarbeit und eine wahnsinnige Geduld gekostet haben, all die Heiligen Leiber zusammenzusetzen: Jeden einzelnen Knochen, jeden Ellbogen, jedes Kniegelenk mit Draht zu umwickeln, mit Steinen und Perlen zu besetzen, sie einzukleiden und dann so aufzurichten, dass sie nicht sofort wieder in sich zusammenfallen. Eine echte Klosterarbeit, sagt Lisa Fendl anerkennend. Eine Arbeit also, die sehr eng mit christlicher Andacht zu tun hat. Und das Überleben des Klosters sicherte. O-Ton 28 Elisabeth Fendl Waldsassen hat natürlich sehr stark profitiert von diesen Heiligen Leibern. Ende des 18. Jahrhunderts haben sie vom Generalabt der Zisterzienser die Erlaubnis erhalten, jedes Jahr ein Heilige-Leiber-Fest zu veranstalten, an dem diese Reliquie besonders verehrt werden. Zu diesem Fest sind dann viele Gläubige in die Kirche gekommen, und viele Gläubige bedeutet natürlich auch immer ökonomischen Vorteil. Die spenden dann Kerzen zum Beispiel und nutzen natürlich auch die Infrastruktur des Ortes. Wie ja Wallfahrt und Wirtshaus, oder Wallfahrt und Andenkenindustrie immer sehr eng zusammengehen. (5, B, 3.57) Atmo 31 Basilikaglocken Autorin Früher, erklärt mir Elisabeth Fendl noch, waren die Sarkophage mit den Heiligen Leibern meist verschlossen. Geöffnet wurden sie nur zu bestimmten Feiertagen ? dann, wenn die Wallfahrer nach Waldsassen kamen und in die von Weihrauch erfüllte Basilika strömten. O-Ton 29 Elisabeth Fendl Es ist ja so, dass für die meisten Leute eine Wallfahrt die einzige Art des Tourismus war, die man sich vorstellen konnte. Gerade Landwirte zum Beispiel machen ja selten Urlaub, und haben früher noch seltener Urlaub gemacht, und Wallfahrt war eine Form rauszukommen. Und natürlich hat man das auch abends genossen, indem man in die Wirtshäuser gegangen ist. Das war eine ganz enge Verbindung. Auch in Klöstern gibt's ja die Klosterschenken, und die haben natürlich auch in der Hauptsache von den Gläubigen gelebt. Das werden Sie hier in der Region immer wieder finden, dass die Klostergaststätten ? oder die Gaststätten neben Wallfahrtskirchen ? die am meist besuchtesten sind. (6, A, 2.75) MUSIK 4 Titel: Marcia Funebre -Requiem à 15 in Concerto Komponist: Heinrich Ignaz Franz von Biber. Interpret: La Capella Reial de Catalunya Verlag: AliaVox, AV 9825 Autorin Der Stiftländer nimmt, wo es geht, die Sache selbst in die Hand. Das gilt nicht nur fürs Teichfischen, sondern auch fürs Bierbrauen. Seit dem Mittelalter ist es den Bürgern in der nördlichen Oberpfalz erlaubt, ihr Bier für den Eigenbedarf selbst zu brauen. Und für den Ausschank im eigenen Haus. Zu diesen Tagen wird noch heute die Stube ausgeräumt und ein sechszackiger Stern mit Bierkrug in der Mitte, oder einfach ein umgedrehter Fichtenzweig, aus dem Giebelfenster gehängt, um anzuzeigen: Es gibt frisches Bier ? und eine selbstgemetzgerte Brotzeit dazu. Von diesem Brauch her rührt auch der Name des Biers: "Zoigl" bedeutet nämlich soviel wie Zeichen oder Aushängeschild. Atmo 32 Schritte Autorin Gebraut wird der Sud, also die Grundlage für den "Zoigl", im Kommunbrauhaus. Hier kommen die Privatbrauer zwei bis dreimal im Jahr zusammen, kochen und hopfen gemeinsam ihre Maische. Die so gewonnene Würze wird dann untereinander aufgeteilt, nach Hause transportiert und im Gärkeller mit Hefe versetzt. Und da jeder Brauer nach eigenem Rezept verfährt, schmeckt das Zoigl-Bier von Ort zu Ort, ja von Haus zu Haus, anders. Atmo 33 Glockenschlag Falkenberg Autorin Die Nacht in Falkenberg ist kalt und klar. Viele Fenster sind längst erloschen, oberhalb der Ortschaft thront die mächtige Burg auf einem Felsen. Nur aus einem hölzernen Schornstein qualmt es, als würde der komplette Dachstuhl brennen. Das muss das Kommunbrauhaus sein. Atmo 34 klopfen und Atmo 35 Riemen Autorin Vier Männer stehen rund um einen riesigen, offenen Kupferkessel, in dem ein bräunlicher Sud brodelt. Die Ellbogen auf den Bottichrand gestützt, ein Bier in der Hand, blicken sie in die kochende Tiefe hinab. Von der Decke baumelt eine einzelne Glühbirne. In dicken Schwaden steigt feuchter, süßlicher Dampf auf. O-Ton 30 Josef Neuber (Ich fühle mich so wie in der Waschküche.) Das ist der Dampf. Das riecht auch gut. (Was riecht man da?) Hopfen, Malz, also der Geruch von verkochtem Hopfen und Malz. In jedem Brauhaus, wo man reinkommt riecht es so. (162. 7.11) Autorin Die Aufsicht liegt beim Braumeister Josef Neuber. Im Blaumann spritzt er die Sudpfanne aus, damit die Maische nicht an den Ketten auf dem Grund des Kessels festklebt. Schließlich brennt direkt unter dem Kesselboden ein großes Feuer. Atmo 36 Mikro nasspritzen? Autorin Neubers schwarzer Schnauzer schnellt beim Scherzen kurz in die Höhe. Der Braumeister von Falkenberg hat einen langen Tag hinter sich: Den Kamin anheizen, das Wasserkochen, das Malz in den Bottich schütten und maischen. O-Ton 31 Josef Neuber Maischen ist, verschiedene Temperaturen einhalten und hin- und herpumpen im Prinzip. Das kommt eigentlich vom früheren Begriff Wasser manschen. Das dauert meist so drei, dreieinhalb Stunden, und dann mache ich Brotzeit, weil das ist dann eigentlich die einzige Zeit, wo ich weg kann. Und dann muss ich abläutern. Das heißt ? im Bottich, da ist ja ein doppelter Boden drin ? ein Siebboden und da drunter ein fester. Und durch das Sieb läuft es dann durch, so klar, wie man es jetzt sieht, und oben in die Pfanne rein. Das dauert dann auch noch mal so drei Stunden. Und eineinhalb Stunden kochen. Autorin Langsam kommt der Pfannenboden zum Vorschein. Und wie bei einer gewöhnlichen Bratpfanne ist der Boden durch die Hitze angebacken. Atmo 37 reinsteigen Autorin Markus Zimmer, der jüngste der drei Privatbrauer, steigt in Gummistiefeln in den riesigen, offenen Kessel und beginnt zu schrubben. Atmo 38 schrubben Autorin Die anderen feuern ihn an und machen sich derweil noch zwei weitere Flaschen auf. Die letzte Kiste selbstgebrautes Zoigl vom März, sagt einer der beiden gut gelaunt, es wird also Zeit für Nachschub. Atmo 39 anstoßen O-Ton 32 Privatbrauer Der Vorteil der Zoigl-Brauer ist: Der Getränkemarkt hat um 20 Uhr geschlossen. Und ich kann in meinen Keller gehen um 21, um 22, um 23 und um 24 Uhr, und kann mir Bier holen. (Aber was, wenn's noch nicht fertig ist?) Dann trinken wir das Alte. (162, 24.25) (Und darf in Falkenberg jeder sein eigenes Bier brauen?) Nur die, wo ein Braurecht haben. (Und wer hat ein Braurecht?) 960 Einwohner, und 35 Haushalte haben das. (162, 24.46) Autorin Das Braurecht, erfahre ich, liegt oft seit Generationen auf Häusern bzw. auf dem Anwesen und ist im Grundbuch festgeschrieben. Es können also traditionell nur die Besitzer dieser Häuser brauen. O-Ton 33 Privatbrauer (Gibt es denn solche Häuser zu kaufen, oder gibt es da lange Wartelisten?) Es gibt wahrscheinlich immer mehr Häuser zu kaufen, weil in Falkenberg die Kinder nicht mehr da sind. Die Kinder sind in die Stadt, beruflich, und die Alten sind noch daheim. Und irgendwann.. (Und woher weiß man, wie man das macht?) Das haben unsere Vorfahren gemacht, das hat der Großvater gemacht, das hat der Vater gemacht. Und so geht das weiter. (162, 25.30) Atmo 40 ablassen Autorin Der Braumeister lässt noch die 36 Hektoliter aus der Sudpfanne in ein Kühlbecken ab, dann wischt er sich den Schweiß von der Stirn. Er hat jetzt Feierabend. Die anderen reichen ihm eine Flasche Zoigl. Atmo 41 Kühlschiff O-Ton 34 Josef Neuber (Und jetzt ist die Arbeit getan?) Ja. Jetzt sind die Brauer gefragt. Kühlen. (Was heißt das? Pusten?) Wir haben so ein Kreuz da drin stehen, und mit dem Kreuz wird dann gekühlt. (Aber dazwischen darf man schon mal eines von den älteren Zoigl trinken?) Ja, wenn noch einer da ist. (lacht) (162, 18.25) Atmo 42 kühlen Autorin Von den 90 Grad, die der Sud heiß ist, wenn er aus der Pfanne abgelassen wird, muss er über Nacht auf 12 bis 13 Grad abkühlen, damit ihn die Brauer am nächsten Tag mit nach Hause nehmen und in ihrem Gärkeller mit Hefe ansetzen können. Markus Zimmer zieht einen langen Stab in Form eines Kreuzes, behutsam, fast liebevoll, durch die dampfende Brühe. O-Ton 35 Markus Zimmer (Das sieht ganz meditativ aus.) Ist es auch. (Aber auch anstrengend, geht in die Arme, oder?) Nein, das kann man nicht sagen. Man lässt sich da Zeit. Man macht das halt immer schön langsam, von Seite zu Seite, und hat kein Problem. (164, 1.25) (Und wie lange machen Sie das jetzt noch?) Na, das kann bis heute Nacht um eins angehen. Bis man halt eine bestimmte Temperatur erreicht, dass man das mit einer Grundtemperatur von 12,13 Grad rausbringt. Also da muss man schon ein bisschen Zeit investieren. Aber das ist ja nicht alle Tage. Zweimal im Jahr. (164, 2.20) Autorin Sieben bis zehn Tage muss die Würze jetzt noch im Keller gären, bis aus dem Hopfentee Bier geworden ist. Und das, sagt Zimmer, schmeckt dann bei jedem anders. O-Ton 36 Markus Zimmer (Schon beeindruckend, wie es riecht.) Na, wenn es fertig ist, riecht es noch besser. (Schmeckt vor allem besser, oder?) Das hoffen wir. Wie er wird. (Wird der so unterschiedlich?) Unterschiedlich ja. Mal ein bisschen würziger, mal .. Einen Zoigl, den kann man nicht so wie ein normales Bier einstufen. Das ist vom Wetter, von der Hygiene, von allem ein bisschen abhängig. Einfach unterschiedlich. (164, 6.50) Autorin Der 37-Jährige hofft, dass er das Brauen eines Tages auch an Sohn oder Schwiegersohn weitergeben kann. Einfach, damit diese Tradition in Falkenberg nicht ausstirbt. O-Ton 37 Markus Zimmer Man macht es halt eben aus dem Grund, weil es Tradition ist. Und weil es eben auch das Eigene ist, was man macht. (164, 2.01) MUSIK 5 Titel: Princes Amongst Men ? Disko Dzumbus Interpret: Boban Markovic Komponist: Boban Markovic Verlag: Asphalt Tango Records LC 12494 Autorin Die Frömmigkeit manifestiert sich im Stiftland nicht nur in Kirchen und Klöstern, sondern auch in der Landschaft: Immer wieder steht mitten auf weiter Flur ein hölzernes Kreuz. Oder am Rand eines einsamen Feldwegs lehnt plötzlich ein Bildstock an einem Baumstamm ? mit frischen Blumen oder einem ewigen Licht geschmückt. Darin unterscheidet sich das Stiftland nicht vom übrigen Bayern. Und wie überall im Freistaat wird die Marienverehrung seit der Gegenreformation in der Bevölkerung stark gefördert. Das Stiftland grenzt allerdings unmittelbar ans protestantische Oberfranken. Atmo 43 Schritte über Laub und Atmo 44 Eichelhäher Autorin Vom Kloster Waldsassen aus führen fünfzehn Rosenkranzstationen durch den Wald hoch zu einer Wallfahrtskirche, die idyllisch auf einer Bergkuppe im morgendlichen Sonnenlicht liegt ? mit einem wunderbar weiten Blick bis ins Böhmische. Kleine Wattewölkchen ziehen über den hellblauen Himmel. Es riecht nach feuchter Erde und Kartoffeln. O-Ton 38 Roland Blumenthaler Das ist ein perfektes Heiligtum. (..) Das ist ja so, dass Du davor stehst und sagst: Das passt einfach auf eine unvorstellbare Art. Architektur, das was dahinter steht, an geistigem Gehalt, und dass man selbst als nüchterner Protestant eigentlich sagt: Das stimmt einfach. Und für mich ist die Kappl ? noch mehr als die Basilika in Waldsassen ? einfach ein geniales Werk. (5, A, 0.78) Atmo 45 Eichelhäher Autorin Roland Blumenthaler ist Förster ? und stammt aus dem protestantischen Marktredwitz, keine zwanzig Kilometer von Waldsassen entfernt. Auf mich wirkt die Kirche mit ihren drei Konchen, mit den hoch gezogenen und oben aufgebrochenen Zwiebeltürmchen allerdings auch nicht katholisch, sondern eher orthodox. Die Volkskundlerin Lisa Fendl nickt zustimmend. O-Ton 39 Fendl/ Blumenthaler Das haben wir vorhin auch gesagt, das es so russisch ausschaut, vor allem im Winter. ? Wenn hier viel Schnee ist und alles weiß, dann denkst du, du bist in Russland. Dann denkst du, das ist eine orthodoxe Kirche. (5, A, 0.71) Atmo 46 Schritte auf Stein mit Reden und Staunen Autorin Ihre Form erinnert an ein dreiblättriges Kleeblatt und ist die kongeniale Umsetzung der heiligen Dreifaltigkeit in Architektur. Drei Kirchen in einer einzigen ? wie die drei Erscheinungsformen Gottes: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Roland Blumenthaler gerät ins Schwärmen, dabei kommt er regelmäßig hierher. O-Ton 40 Fendl/ Blumenthaler Ach, ist das schön mit dem Licht. ? Ich habe mich ja schon gestern auf den Vormittag gefreut. Und ich habe gedacht, es ist neblig. Aber dass es so ein grandioser Tag wird! ? Gott sei Dank gibt es die alten Bilder, wie heruntergekommen das Bauwerk mal war. Also erstrahlt ja jetzt in einem Glanz, so war es lange nicht mehr. (5, A, 2.05) Atmo 47 Schritte auf Stein Autorin 2004 wurde die Kappl restauriert, seitdem strahlen die Mauern der Wallfahrtskirche wieder in weiß und rot. Nur das Kupferdach, meint der Förster, wird noch ein paar Jahre brauchen, bis es wieder seine grüne Patina zurück erlangt. Das Wirtshaus gegenüber hat dafür umso mehr Patina angesetzt. O-Ton 41 Roland Blumenthaler Die Kneipe bei der Kappl ist typisch für die Oberpfalz. Man denkt immer: Wollen die kein Geld verdienen? In Oberbayern stünde da ein Rieseninstitut. Und hier ist es immer sehr zurückhaltend. Es hat allerdings auch viel Charme, dass man das Eigene nicht immer so überbetont. So das Nach-außen-Agieren, das liegt ja dem Menschenschlag hier überhaupt nicht. (5, A, 5.58) Atmo 48 Eichelhäher SpvD Wunder, Wallfahrten und Wirtshäuser. Das Stiftland in der bayerischen Oberpfalz. Eine Deutschlandrundfahrt mit Stefanie Müller-Frank. Musik hoch 1 1