COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel, 22.1.2012 Einen Tag so sein wie alle Kinder mit Down-Syndrom treiben Sport - nur anders Von Alexa Hennings -------------------------------------------------------------------------------------------------- Atmo Halle, Moderator Also, wir fangen an jetzt! Zehn, neun, acht... Darauf Autorin Rückwärts zählen? Was hat sich der Moderator dabei nur gedacht? Schon vorwärts zählen ist für die meisten hier ein Problem. Na, macht nichts. Atmo Halle hoch ...drei, zwei eins - looos!...Musik... Darauf Autorin Wie beim Einmarsch der Olympioniken ziehen die Sportler in das Rund der Magdeburger Hermann-Gieseler-Halle. Doch nicht in Reih und Glied oder irgendeiner anderen Ordnung, sondern als bunter Pulk mit Luftballons, manche hüpfend, manche rennend, manche zögerlich an Mamas Hand. Die Jüngsten tragen noch eine Windel unter der Turnhose, die ältesten haben schon graue Haare. Sie winken heftig und rufen in Richtung der Ränge, wo die Angehörigen sitzen und staunend mit ansehen, dass ihre Kinder heute mal gar nicht auffallen, weil hier, beim Down-Sportlerfestival, alle so sind. Atmo Halle hoch ...einen großen Applaus- klatschen - jawoll! 270 Sportlerinnen und Sportler sind heute hier aus ganz Deutschland... Darauf Autorin Ziemlich am Ende gehen zwei blonde Mädchen Hand in Hand. Sie schauen sich etwas unsicher um. Ihre Mutter und ihren Bruder können sie nicht so schnell finden auf den gut besetzten Rängen. Es sind Carolin und Sarah Wünsch. Die Mädchen sind von weither angereist: aus Ferdinandshof, einem Dorf in Vorpommern nahe der polnischen Grenze. Allein inmitten des lärmenden Pulks zu gehen, ist für die beiden schon eine Herausforderung. Noch vor einer halben Stunde, bei der Anmeldung in der langen Warteschlange, waren sie ihrer Mutter nicht von der Seite gewichen. Atmo Foyer Halle, Mutter und Töchter Mutter: Was wollt ihr hier machen? - Sportfest. - Sportfest. Und was wollt ihr genau hier machen? - (Töchter antworten, Mutter wiederholt immer, damit man es versteht) - Laufen, Musik, Musical und Tanzen. ... Darauf Autorin Christiane Wünsch holt die Einladung hervor, auf der alle Angebote des Sportfestes stehen. Atmo Wünsch hoch Sportarten: Lauf, Sprung, Wurf, Minigolf, Judo, Handball, Tischtennis und Fußball. Na ja, im Prinzip kommt bei uns nur Laufen in Frage. Springen ist nicht so doll und Werfen haben wir uns, glaube ich, auch angemeldet . So, wir sind zwei Kinder, Jugendliche... Darauf Autorin Familie Wünsch ist jetzt dran. Die Mutter bekommt den Ablaufplan, die Mädchen ein knall-orangenes T-Shirt, auf dem neben dem Symbol des Sportfestes auch ihr Name eingedruckt ist. Sie sind begeistert. Atmo hoch ...cool. - Super. Oh, jetzt gibt's hier noch Startnummern!... Darauf Autorin Das mit den Startnummern sind die 19jährigen Zwillinge Carolin und Sarah gewöhnt. Zuhause trainieren sie regelmäßig im Schwimmverein, gemeinsam mit Nichtbehinderten. Kommunikationsschwierigkeiten gibt es dort nicht mehr, die Sportkameraden haben sich schon an die eigenwillige Sprechweise der Mädchen gewöhnt. Und ansonsten gibt es ja noch Christiane Wünsch zum "Übersetzen". O-Ton Wünsch, Mädchen Wo fahren wir immer hin, wenn wir Sport treiben? Mit Badekappe? - Schwimmen. - Schwimmen. Und wo fahren wir da hin? - Nach Berlin! - Nach Berlin fahren wir auch. Einmal im Jahr fahren wir nach Berlin zu Special Olympics, eine Vorrunde. Und wenn man sich da qualifiziert hat und dran teilgenommen, dann kam man zu den internationalen Sommerspielen fahren. Und dann gibt es ja noch die Wettkämpfe vom Sportverein, wo wir hinfahren. Wir sind ja beim Anklamer Polizeisportverein "Kegelrobben". Und dort trainieren sie dreimal in der Woche. Und da fahren sie auch zu integrativen Wettbewerben oder zu Landesmeisterschaften in Mecklenburg-Vorpommern. Atmo Foyer Darauf Autorin Die Mädchen haben sich inzwischen ihre T-Shirts übergestreift und die Turnschuhe angezogen. Alles geht etwas langsamer. O-Ton Wünsch, Mädchen Line, was schwimmst du? - Rücken. - Und was noch? - Karaul! - Kraul. Und Brust auch? - Kann nicht doll. - Kannst nicht so doll? - Kann ich nich. - Unsere Gruppe ist die Handicap-Gruppe. Wo dann ab Förderschule, Hauptschule auch, sind alle bei uns. Verhaltensauffälligkeiten. Da sind so sieben, acht Kinder. Aber wir fahren immer mit den anderen Leistungsschwimmern mit, wenn Wettkämpfe sind. Das ist schön, das ist die beste Integration, die man haben kann. Weil jeder kennt Carolin und Sarah, die fiebern dann mit. Und spornen mit an und feuern an. Besser kann's nicht sein. Autorin Neun Jahre sind die Mädchen, die eine Förderschule besuchen, schon beim Schwimmen dabei. Die langen Wege vom Wohnort zum Training, die vielen Fahrten zu Wettkämpfen, das alles nimmt die Familie, die eine Pension betreibt und eigentlich 24 Stunden am Tag im Dienst ist, in Kauf für ihre Kinder. O-Ton Wünsch Ich würde sagen, der Sport ist eigentlich das Wichtigste, um integriert zu sein. Sie gehen ja auch zum Naturschutz, zum Jugendverein gehen sie auch hin. Aber da ist das nicht so ausgeprägt, da sie ja immer in kleineren Gruppen sind, also in jüngeren Gruppen. Weil die Verständigung schwer ist und die geistigen Voraussetzungen andere sind. Carolin und Sarah sind ja nun 19 und haben zuhause eigentlich keine Freunde. Sind immer alleine zuhause. Deshalb kamen wir auf die Idee mit dem Sport. Wir haben das so kennengelernt, dass sie wirklich Carolin und Sarah anfeuern: Los Carolin, nun schwimm, nun mach, nun zieh! Weil ja im Prinzip die Mannschaft gewinnen soll, der Verein. Es ist ja nicht nur die Medaille, die sie kriegen, der Verein soll ja auch gewinnen und die meisten Medaillen holen. Also müssen die anderen auch mit Carolin und Sarah ziehen. Autorin Im Moment sind es Carolin und Sarah, die an ihrer Mutter ziehen, es soll endlich losgehen. Die sonst sehr ruhigen und zurückhaltenden Mädchen hüpfen aufgeregt hin und her. O-Ton Wünsch Im Endeffekt ist es schon dieser große Menschenauflauf, das was aufregend ist. Woanders sein und irgendwo mitmachen! Die ganze Atmosphäre ist ja schon anders... Atmo Halle, Musik Darauf Autorin Die Mädchen ziehen ihre Mutter in die Halle. Dort werden gerade Bänder gespannt und Kegel aufgestellt, um die Laufrunde zu begrenzen. Nach Altersgruppen geordnet, warten schon die ersten auf ihren Start. Familie Rogge aus Berlin ist gerade erst angekommen, sie waren in einen Stau geraten. Die zwölfjährige Nina pellt sich aus ihren warmen Sachen, und kramt nach ihrem Sportzeug, Carsten Rogge, ihr Vater, lässt sie machen. Selbstständigkeit ist ein Ziel, zuviel bemuttern schadet eher, meinen die Rogges. Außerdem ist Nina mit ihren 12 Jahren schon ein alter Hase auf dem Festival. O-Ton Carsten Rogge Nina kriegt heute ihre achte Medaille. Ja, die Eröffnungsfeier haben wir jetzt nicht ganz mitgekriegt, macht aber nichts, Nina. Moderator: Jawoll, Applaus..Pfeifen... Darauf Autorin Unten gehen jetzt die Wettkämpfe los. Immer fünf Kinder laufen los, eine Schar von Helfern entlang der Strecke steht bereit, um sie wieder auf die richtige Bahn zu bringen, denn die aufgestellten Kegel werden im Eifer des Gefechts gar nicht beachtet. Außerdem: Wer lässt sich beim Laufen von einem Plastikkegel aufhalten? O-Ton Nina, Mutter Jutta Nina: Erst kommen die Kleinen und dann die Großen! - Jutta: Die Kleinen fangen an, damit sie nicht so müde sind. - Dann die Großen! - Ja. Ich hab mich noch gar nicht- ich bin die Jutta! Und schwitzen tu ich auch schon! Aber ich hab mir extra was mitgebracht zum Umziehen, man kennt das ja jetzt. Wir haben gerade überlegt, wie alt sie war, als sie angefangen hat. Das muss so - viereinhalb war sie. Da war sie das erste Mal in Frankfurt dabei...Atmo Halle... Darauf Autorin, dann Atmo weg Das Down-Sportlerfestival gibt es gleich zweimal im Jahr: Rund 500 Teilnehmer hat das größere Fest in Frankfurt am Main. 2003 fand dort die erste Veranstaltung statt, 2005 kam das Magdeburger Festival hinzu, veranstaltet von einer dort ansässigen Pharma-Firma. In Deutschland gibt es über 50 000 Menschen mit Down-Syndrom. Der Name geht auf den englischen Arzt John Langdon Haydon Down zurück, der im 19. Jahrhundert als erster diese Krankheit beschrieb. Menschen mit Down-Syndrom haben das Chromosom 21 drei statt zweimal, was zu geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen führt. Ideengeber und Organisator des Festivals ist Gerd Thomas. Er sorgt für Sponsoren und gewinnt jedes Jahr prominente Sportler und Modeschaffende als Unterstützer - in diesem Jahr André Willms, Ruderweltmeister und Olympiasieger. Gerd Thomas findet, dass Behinderte den Gesunden viel geben können - und möchte etwas zurückgeben. O-Ton Thomas Und hier haben wir die Gelegenheit, weil die Menschen mit Down-Syndrom ein unwahrscheinliches Herz haben, eine riesige Leidenschaft. Die gehen auf den Menschen zu, sie nehmen ihn in den Arm, sie differenzieren nicht, ob der nun lieb oder weniger lieb ist. Das hat für sie alles keine Bedeutung. Und gerade diese Menschen tun sich sehr schwer, in der Schule werden sie oft gehänselt, man geht sehr kritisch damit um. Und da dachte ich, dass man diesen Menschen die Möglichkeit gibt, dass sie aufgewertet werden - und das ist gelungen. Autorin Ein Festival ausschließlich für Down-Sportler? Diese Idee stieß anfangs auf Skepsis. O-Ton Thomas Bevor wir angefangen haben, hatten wir mit verschiedenen Leuten gesprochen. Und dann hatten wir auch gehört: Passt auf, ihr isoliert sie weiter. Das Gegenteil ist eingetreten. Dass wir auch die Angebote machen für Geschwisterkinder, wir haben zehn verschiedene Möglichkeiten für Geschwisterkinder-Spiele. Und die Anerkennung ist gestiegen. Es ist genauso wie die Handicap-Olympiade, die wird ja auch gespielt. Und es wäre unangemessen, einen behinderten Menschen mit einem gesunden laufen zu lassen, das geht nicht. Insofern denke ich, dass es eine richtige Entscheidung war. Und wir haben in all den Jahren keinen einzigen kritischen Kommentar von irgendwelchen Leuten bekommen, wir haben kein einziges Mal gehabt, dass die Kinder sich hier geschlagen haben. Vor allen Dingen der Umgang untereinander, das ist das Phantastische. Autorin Diesmal steht in Magdeburg das Thema "Tanz und Musik in der Therapie" im Mittelpunkt des Extra- Programms für die Eltern. Und auch die Kinder können Workshops wie Tanz, Musical und Modenschau belegen - diese Kurse waren zuerst ausgebucht, berichtet Gerd Thomas. Und erklärt, was dergleichen auf einem Sportlerfestival zu suchen hat. O-Ton Thomas Weil wir gespürt haben, dass das Thema Tanz und Musik bei Behinderten in der Therapie, in der Psychotherapie, eine große Rolle spielt. Da wollen wir die Eltern ranführen. Und Modenschau ist etwas, weil viele dieser Kinder "Germanys Next Topmodel" unglaublich gerne sehen. Und da haben wir den Peyman Amin hier gehabt, auch in Magdeburg, und da sind die hinter ihm hergelaufen, das kann man sich gar nicht vorstellen! Autorin Peyman Amin ist Modelagent und saß bis 2010 in der Jury der Fernsehshow "Germanys Next Topmodel". O-Ton weiter Und dann kam er auf die Idee: Was haltet ihr davon, wenn wir das weiter ausbauen? Und das haben wir dann gemacht. Und wir haben das gemacht mit einem Riesenerfolg, und machen das heute erstmals hier. Weil es gibt viele Kinder, die wollen sich auch schön anziehen, die wollen sich schminken. Und dieser Wunsch, der latente Wunsch, der da ist, das haben wir erstmals ermöglicht. Wir müssen natürlich darauf achten, dass im Kern natürlich das Sportliche bleibt. Aber es ist eine schöne Ergänzung und deswegen macht es mir Spaß und Freude. Atmo Tanzkurs, Musik, Wobke Genau, locker nach vorne... Darauf Autorin Der Tanzkurs hat schon begonnen. Mit drei verschiedenen Gruppen wird ein Tanz einstudiert, der dann von 120 Kindern bei der Abschlußveranstaltung gezeigt werden soll. Atmo hoch ...Achtung! Zum Stempel, zum Stempel, nicht zum Stempel... Darauf Autorin Es ist einiges anders bei diesem Sportlerfestival, und so auch das Tanzen. Wenn gesagt wird: "Zum Stempel" sollen alle ihre rechte Hand heben und in diese Richtung schauen. Die rechte Hand wurde am Anfang mit einem Stempel versehen, die linke mit einem Punkt. So weiß nun jeder, wo das abstrakte Links und das abstrakte Rechts liegt: Nämlich beim Punkt oder beim Stempel. Das haben die Kinder schnell verstanden. Eine halbe Stunde folgen die meisten hochkonzentriert den Bewegungen der Frau vor ihnen und versuchen sie, so gut sie es können, nachzuahmen. Beate Wobke kommt selbst ins Schwitzen. Pause. O-Ton Wobke Ich glaube, die Kids möchten genauso tanzen wie alle anderen. Sie sehen das natürlich auch, wenn Geschwister oder Freunde in die Disco gehen zum Tanzen. Selbst ist die Möglichkeit ja schon eingeschränkt. Und dann finden die das natürlich toll, das hier zu machen. Autorin Beate Wobke kommt vom Arbeitskreis Down-Syndrom in Kassel. Für sie ist es Alltag, mit behinderten Kindern zu tanzen und Sport zu machen. O-Ton Wobke Ich glaube, man muss häufiger sagen, worum es jetzt geht. Und man muss auch deutlich sagen, mit welchem Arm man das jetzt macht. Weil es nicht selbstverständlich ist. Und das Verstehen dauert bei manchen etwas länger. Da gibt es auch große Unterschiede. Und auch von der Motorik sind sie unterschiedlich, manche sind ganz fit und manche sind vielleicht aufgrund eines Herzfehlers langsamer. Oder sie sind es nicht so gewohnt oder haben vielleicht auch keine Lust. Wir haben immer die Feststellung gemacht, wenn man denen das zutraut: Ja, ihr schafft das! Dann geht das auch. Und es kommt ja nicht drauf an, dass es so exakt ist, wie es gezeigt wird. Das primäre Ziel ist Spaß und Bewegung und na ja, so grob machen alle das gleiche. Wenn wir nachher mit 120 Mann da unten stehen, dann machen nicht 120 das Gleiche. Aber egal - lacht - Atmo Tanzkurs, Musik Darauf Autorin Beate Wobke hat selbst einen Sohn mit dieser Behinderung. In Kassel turnt sie auch schon mit Babys und Kleinkindern. Sie weiß, dass bei Kindern mit Down- Syndrom der Stoffwechsel verlangsamt ist und sie schneller dick und müde werden. Umso wichtiger ist Bewegung. Doch die muss Spaß machen, über die Vernunft kann man Down-Kinder nicht packen. Wenn ihnen etwas keinen Spaß macht, schalten sie schnell ab und steigen aus. Motivation und Gruppenerlebnis ist also alles, meint die Tanzpädagogin. Sie plädiert dafür, behinderte Kinder in ganz normale Sport- oder Tanzgruppen mit zu integrieren. O-Ton Wobke Man muss, glaube ich, mehr in der Gesellschaft erklären: Ihr könnt die in jede Gruppe mit hinein nehmen. Und die gucken sich dann ab, was die anderen machen. Und es ist für alle ein unglaublicher Gewinn, weil es soziale Kompetenz gibt. Man muss nicht davon ausgehen, dass sie leistungsgleich sind, aber sie haben genau so viel Spaß an der Leistung. Beim Fußball, da muss es ja nicht der Stürmer sein, er kann auch auf die Ersatzbank und zwischendurch immer mal zehn Minuten spielen. Das ist aber ein Bewusstsein, das sich ändern muss, bei allen. Atmo Musicalprobe Frau singt...Aufpassen. Darauf Autorin Im nächsten Raum probt die Musicalgruppe. Zwei Sängerinnen und - Tänzerinnen proben mit den Jugendlichen eine kleine Szene. Sarah und Carolin aus Ferdinandshof in Vorpommern sind auch dabei. Sie halten sich wieder im Hintergrund. Beobachten jedoch alles sehr aufmerksam und machen eifrig mit. Atmo hoch Habt ihr das gesehen? Also noch mal!... Darauf Autorin Sitzen, aufstehen, sich drehen, auf den Partner reagieren, mit ihm gemeinsam agieren - die kleine Szene setzt viel Koordinationsfähigkeit voraus. Es geht in Mini-Schritten voran. Wieder und wieder wird jede einzelne Bewegung geübt. Eine Geduldsprobe für beide Seiten. Doch auch wenn es jetzt noch nicht danach aussieht - in wenigen Stunden, beim Auftritt auf der Abschlussveranstaltung, werden alle staunen, wozu ihre Kinder fähig sind. Atmo Halle, Moderator, Pfeifen, Klatschen Darauf Autorin Unterdessen steigt in der Sporthalle die Stimmung. Alle feuern die Kinder an, die gerade ihre Runde laufen. Auch Nina klatscht begeistert. Bald ist sie an der Reihe. Unten laufen noch die Jüngeren, einige an der Hand ihrer Eltern oder größeren Geschwister. O-Ton Jutta Mit Windel! Am Anfang musste von uns auch immer jemand mit rennen, damit sie alleine auf der Spur blieb! Da mussten wir die Nina beim ersten Mal noch an die Hand nehmen, glaub ich, aber beim zweiten Mal bist du schon alleine gerannt, da ist nur jemand nebenher gerannt und hat immer geschrien: Schneller, schneller! Aber du warst immer schnell, Nina! - Ja. - Und nach dem Ende ist Nina immer noch weiter gerannt, weil die dann so in Form war! Einmal durch die Halle durch! ...Halle... Darauf Autorin Nina geht mit ihrem Vater hinunter, jetzt ist sie an der Reihe. Ihre Mutter, Jutta Rogge, erzählt inzwischen von einer Beobachtung, die sie an ihrer Tochter und anderen Down-Syndrom-Kindern machte: der mangelnde Ehrgeiz, ein Kontrapunkt zu unserer Welt. O-Ton Jutta Man muss immer anfeuern. Damit die weiter laufen und weiter rennen. Ich find das immer total schön. Das ist halt ganz anders als bei so einem professionellen Sport oder bei nicht behinderten Kindern oder Jugendlichen, die Sport machen. Die haben alle so einen Ehrgeiz und wollen unbedingt gewinnen. Und hier fast keiner gewinnen, glaub´ich!... Darauf Autorin Immer mal wieder bleibt ein Läufer einfach stehen, strahlt, winkt zu den Rängen. Sonnt sich in der Aufmerksamkeit. Anfeuerungsrufe sorgen dafür, daß er sich wieder in Gang setzt. Nina kommt zurück, ihre Zeit hat sie sich nicht gemerkt, aber sie war schneller als das Mädchen, das neben ihr lief. O-Ton Nina: War ich super? - Du warst cool, Nina!... Darauf Autorin Später macht Nina noch Ballweitwurf und Weitsprung, dann packt sie ihre Sachen und geht zum Workshop "Modenschau". Selbstbewusst auftreten, sich gekonnt bewegen - all das lernt man dort. Für die 12jährige ist das der Höhepunkt des Tages. O-Ton Jutta Nina liebt ja auch "Germanys Next Topmodel" und so was. Und zuhause hat sie das mit ihrer Schwester auch immer schon geübt. Und heute kann sie´s dann mal so öffentlich machen. Das wird super! Atmo Halle, Modenschau, Musik Autorin Und: Es wird super! Nach der Aufführung der Tanz- und der Musicalgruppe ist die Modenschau der Höhepunkt des Festivals in Magdeburg. Ganz ohne Scheu vor den fast 1000 Zuschauern, vor dem Krach und der lauten Musik gibt Nina eine Zugabe nach der anderen. Sie und ihr eben neu gewonnener Freund, Clemens aus Leipzig, werden vom Moderator gar zum "Traumpaar des Tages" erhoben, so selbstbewusst und offen präsentieren sie sich. Jutta und Carsten Rogge sind einigermaßen verblüfft, denn sie kennen ihre Tochter auch anders. O-Ton Jutta und Carsten Ich hätte nicht gedacht, dass sie das so durchzieht! - Doch, na klar. Aber ich weiß nicht, von wem sie das hat!- Ich auch nicht - Von mir ist es nicht! - Muss ja dann von der Oma sein! - Guck mal die beiden, die tanzen! Autorin Carsten Rogge schraubt sein Teleobjektiv auf und macht noch letzte Fotos. Mit Clemens' Familie wird ein Treffen verabredet - sonst hätten sich die beiden heute wohl nicht mehr getrennt. Zufrieden, geschafft und glücklich steigen die Rogges am späten Nachmittag in ihr Auto und fahren nach Hause. Berlin. Der Alltag hat sie wieder. Atmo Vögel Darauf Autorin Alltag, das heißt für die 12jährige Nina, die mit dem Down-Syndrom zur Welt kam: Ein schönes Zuhause mit Garten in Berlin-Lichterfelde, wo die Stadt fast wie ein Dorf wirkt. Eine integrative Schule, wo sie gemeinsam mit nicht behinderten Kindern lernt, Musikunterreicht und Tanzen, Reiten und Tennis. Manches in größeren Abständen, aber doch regelmäßig. So wie Tennis, das wechselt sich mit dem Reiten ab und ist alle zwei Wochen dran. Nina und ihr Vater fahren mit dem Auto nach Zehlendorf und steigen bei der Tennishalle aus. Atmo vor Tennishalle, Carsten, Nina Die machen das sehr nett hier. Ist, glaube ich, mit der einzige Verein in Berlin, der das so intensiv macht. Behinderten-Tennis. Aus dieser Rolli-Gruppe ist halt diese Gruppe entstanden, wo Menschen mit allen Behinderungen mitmachen können. Und es gibt einen mittlerweile Erwachsenen mit Down-Syndrom, der spielt richtig gut Tennis. Und ich glaube, das schafft Nina irgendwann auch mal - Ja! - Weil die nämlich jetzt schon erste Ballwechsel kann. Und das ist ziemlich gut. - Nina: Es gibt noch Trainerin Michi. Bei der bin ich. - Carsten- Eigentlich geht´s gar nicht darum wie gut man jetzt spielt, sondern es geht darum, dass sie Spaß dran haben und sich bewegen und Koordination lernen. Das ist ganz super. So, geh mal weiter. Darauf Autorin Der Tennisverein heißt "Zehlendorfer Wespen", es gibt ihn seit mehr als 100 Jahren. Eine Tennishalle mit Schwimmbad, eine großzügige Außenanlage mit mehreren Spielfeldern. O-Ton Carsten, Nina Das hat man nicht überall. Weil: Tennisklubs sind häufig etwas elitär. Leute, die da spielen, sind meist Leute, denen es gut geht, die gut betucht sind. Die sich manchmal - ich sage bewusst manchmal, das gilt ausdrücklich nicht für die Wespen - sich nicht so viele Gedanken machen, was in der Welt um sie herum passiert. Gerade Tennis, weil man denkt, das ist ja so was Kompliziertes, warum sollten das Menschen mit Behinderung tun und können und lernen? Aber man sieht ja, es geht und die haben Spaß und es bringt ganz viel Also Nina lernt da ganz viel. Ist richtig gut. - Nina: Michi, komm mal! Das ist Michi, meine Trainerin!- Hallo! - Carsten: Wir sagen der Michi immer, sie soll sich nicht so auf der Nase rumtanzen lassen. -Nina: Und ich sag immer: Eene, meene Miste, Michi ist eine Kiste! - Carsten: Ja, alles was Disziplin angeht, war am Anfang ein bisschen schwierig. So was wie Bälle sammeln oder sich anstellen und warten, bis man dran ist. Das funktioniert aber inzwischen ganz gut.- Nina: Und zum Schluss machen wir immer Eistütchen-Spiel. - Carsten: Da nimmt man diese Hütchen da andersrum und dann wird der Ball hoch geworfen und man muss die Bälle immer fangen. - Nina: Zum Beispiel Krokodileis! Atmo Spiel Darauf Autorin Krokodileis? Ach, Krokodileis! Jedes Kind soll seine Lieblings-Eissorte nennen, und wenn die Trainerin diese Sorte dann ausruft, ist man dran mit Ball- Auffangen. Atmo hoch ...geht los mit Zitrone! Autorin Nina darf schon mal in der Gruppe vor ihr, die gerade ihr Training beendet, mitmachen. Atmo hoch ...und Erdbeer. Yeah! Und weiße Schokolade!... Autorin Dieselben Hütchen - die rot-weiß gestreiften, die jeder von einer Straßenbaustelle kennt - spielen nachher auch in Ninas Trainingsstunde eine Rolle. O-Ton Michi Ist eine Übung von der Grundlinie jetzt. Ist ein bisschen komplizierter. Ich erklär's mal. Nina, wenn du anfängst, du stellst dich in die Mitte, spielst ´ne Vorhand. Dann läufst du... Darauf Autorin Nina hört aufmerksam zu. Die Übung ist wirklich recht kompliziert: Vorhand spielen, mit dem Gesicht zum Netz und ohne nach unten zu schauen und ohne sich seitwärts zu drehen eine Acht um zwei Hütchen laufen, danach eine Rückhand spielen. Nina schafft das schon gut, der junge Mann, mit dem sie zusammen trainiert, hat größere Schwierigkeiten. Trainerin Michaela Misch muss viel, viel Geduld haben O-Ton Michi Es ist schon ein Erfolg, wenn die Kinder den Ball wirklich übers Netz bringen. Oder wenn die es schaffen, irgendwelche koordinativen Sachen hinzukriegen. Bälle auf dem Schläger einsammeln und die dann mit zwei Händen balancieren. Letztendlich einfache Dinge, die dann aber zum Erfolg führen und die auch für die Kinder schön sind. Wo ich dann merke: Okay, es geht doch in kleinen Sachen voran. Da ist jetzt nicht das Punktespielen im Vordergrund oder, wie kriege ich den Ball am schnellsten in die andere Ecke. Sondern wirklich Kleinigkeiten, die dann zählen. Atmo Bälle prellen, Michi, Nina zählen dabei ...14, 15, 16, 17... Darauf Autorin Apropos zählen: Das lernt Nina auch noch so nebenbei beim Tennis. Konzentriert zählt sie mit, wie oft es ihr Sportkamerad schafft, den Ball mit dem Schläger auf die Erde zu prellen. Ihre eigene Bestmarke heute: 40 mal. O-Ton Michi Das habe ich schon öfter gehört von Eltern, die gesagt haben: ich wusste gar nicht, dass es überhaupt möglich ist, mit meinem behinderten Kind das anzufangen. Viele wissen gar nicht, was in ihren behinderten Kindern steckt. Einfach mal austesten! Es gibt sicherlich auch viele andere Sportarten, die Behindertensport anbieten. Ich bin mir sicher, dass da viele Kinder Spaß dran haben, und dann auch Erfolge zu sehen und sich dran zu freuen. Das ist ja auch ein tolles Ziel. Atmo Bälle knallen Darauf Autorin Aufschlag, Ball mit Vor und Rückhand annehmen, all das hat Nina schon gelernt. Doch es ist nicht nur ihr Durchhaltevermögen, sondern auch das der Eltern, das da mitgeholfen hat. Die Übung mit den Kegeln, um die man eine Acht gehen muss ohne hinzuschauen, die wird zum Beispiel auch mal zuhause im Garten geübt. O-Ton Carsten Alles, was mit systematischem Training zu tun hat, ist für Nina natürlich schwerer zu akzeptieren. Deswegen muss es irgendwie Spaß machen. Oder man muss Erfolg haben. Wenn man dann Bälle trifft und Erfolg hat und das gut klappt, ist das umso besser. Aber die Zeiten, in denen sie gejammert hat, dass sie jetzt bestimmte Übungen machen muss, die sind eigentlich jetzt vorbei. Das hat natürlich auch was mit dem Alter zu tun. Sie versteht jetzt mehr. Aber es macht eben auch mehr Spaß, weil sie auch mehr kann. Und wenn sie sich dann konzentriert und das ist der zweite Punkt. Man muss sich eigentlich durchgängig konzentrieren, dann trifft sie auch die Bälle. Manchmal guckt sie aber auch in der Gegend rum, dann trifft sie die natürlich nicht. Also, das ist für alle möglichen Dinge ein gutes Training. Atmo Nina spielt Klavier Darauf Autorin Konzentration beim Sport, Konzentration beim Improvisieren auf dem Klavier oder beim Gitarrespielen - Nina ist ein Kind, das trotz ihrer Behinderung alle Chancen hat. Sie hat Eltern, die ihr das ermöglichen und eine große Schwester, die mit ihr Tennis spielt und reitet. Und so manches Mal zurücksteckt für die Jüngere. Jutta Rogge steht an der Terrassentür und schaut auf das Trampolin, das auf der Wiese in dem kleinen Garten steht. O-Ton Jutta, Nina Das ist sehr effektiv. Natürlich ist der Garten dann voll. Aber das ist so. Die große Schwester hat sich das auch schon mal gewünscht, aber die kriegt das dann nicht. Ist schon unfair, ich weiß das! Das hat alles damit zu tun, damit sie schön schlank bleibt. Sport, Sport, Sport! - Nina: Trampolin, Trampolin, Trampolin! - Jutta: Trampolin! Autorin Nina hat sich einen Früchtejoghurt geholt. Null komma eins Prozent Fett. Mit großem Appetit löffelt sie: Training macht schließlich hungrig und mit dem Mittagsessen dauert es noch ein Weilchen. O-Ton Jutta, Nina Das ist unser Beitrag, darauf aufzupassen, dass Nina nicht so dick wird wie ganz viele Kinder mit Down-Syndrom es in der Pubertät werden. Der Stoffwechsel reduziert sich offenbar in der Pubertät um 10 Prozent, was unglaublich viel ist. Und eigentlich dürfte sich Nina nur von Salatblättern ernähren. Aber das Kindern zu kommunizieren, funktioniert sowieso nicht und Kindern mit Down- Syndrom schon erst recht nicht! Weil, die essen das, was ihnen schmeckt, und davon viel und den Rest nicht. So. Und weil sie gern Joghurt ist, und das soll sie ja auch, damit sie Kalium und Kalzium kriegt. Deswegen sind das immer die 0,1 Prozent Fett. So ist das bei uns. Wir machen auch manchmal Ausnahmen, an hohen Feiertagen gibt es dann auch manchmal Sahnejoghurt. - Nina: Das lieb ich! Autorin An der Wand über ihrem Bett hat Nina Medaillen hängen - alle vom Down- Sportlerfestival. O-Ton Nina Außer das. Das zählt nicht. Eins, zwei... Autorin Nina klettert auf ihr Bett und zählt die Medaillen. O-Ton Nina hoch ..sechs, sechs. Außer das, das hab ich vom Kletterpark. Autorin Ganz außen baumelt die Medaille vom Festival der Down-Sportler in Magdeburg. Andere Kinder mögen so etwas achtlos in die Ecke legen, für Nina ist es ein Schatz. Atmo Festival, Siegerehrung, Musik "We are the champions" Autorin weiter Da kann sie sich jeden Abend, wenn sie im Bett liegt, erinnern. An die Siegerehrung, bei der jeder eine Medaille bekam. An die Musik und an die vielen Ehrenrunden, die sie gemeinsam mit ihrem neuen Freund Clemens lief. Sie hatten noch ihre schicken Klamotten von der Modenschau an, er im grauen Anzug mit Weste und Fliege, sie im grauen Kleid mit schwarzer Schleife und rosa Glitzer-Strumpfhosen. Hand in Hand drehten sie Runde um Runde, winkend, lachend, die Medaille und einen Luftballon in der Hand. Einfach happy. Atmo Musik hoch 1