COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Nachspiel 19. Mai 2013, 17.30 Uhr Kanzler des Sports - zum hundertsten Geburtstag von Willi Daume Von Wolf-Sören Treusch ATMO (Fanfare 1972) kurz frei, dann drunter TAKE (W. Daume) Der Sport kann heute einfach keinen Platz in Ruhe und Bequemlichkeit beanspruchen, er lebt nicht in einer Welt für sich, er ist dem Geschehen in der großen Welt verbunden. Unentrinnbar verbunden. TAKE (Rode) Deshalb 'Mann der großen Entwürfe'. Weil er auch immer am großen Rad drehen wollte und immer mit den Protagonisten des politischen Systems auf Augenhöhe verhandeln wollte ATMO (Fanfare 1972) wieder hoch, Schluss ATMO (Reporter 1972) frei, dann drunter Die letzte Stufe, ... TAKE (Tröger) Und seine Leistung ist einfach: er hat den deutschen Sport gesellschaftsfähig gemacht nach dem Krieg, und er hat dann eben den großen Wurf gehabt mit den Olympischen Spielen in München, die er einfach durchgesetzt hat, ... ATMO (Reporter 1972) hoch und weg ... Er taucht die Fackel hinein in diese Schale, und das Feuer brennt. TAKE (Höfer) Wir benutzen heute gern den Begriff des Querdenkers. Willi Daume hat Briefe gern im Querformat verschickt. TAKE (Püschel) Er war ja jemand, der am Detail geklebt hat. Weil erst ganz viele Einzelheiten, die alle perfekt sind, die ergeben dann das imponierende Ganze. ATMO (Willi-Daume-Platz 2013) kurz frei, dann drunter AUTOR An einem diesigen Frühlingstag überqueren Jogger den Willi-Daume-Platz im Olympiapark von München. Eine kleine Bahn wartet auf Kundschaft, ein paar Enten und Schwäne lassen sich im Wasser treiben. Auf der anderen Seite des Sees erhebt sich der Olympiaberg. Hier wie dort bestaunen Touristen aus aller Welt, wie harmonisch sich das Stadion mit seinem berühmten Zeltdach und die anderen Sportanlagen ins hügelige Gelände einpassen. Auf dem Willi-Daume-Platz im Münchner Olympiapark: Idylle pur. (ATMO weg) Eine kleine Straße in Dortmund, ein Steg in Stuttgart und ein Weg in Gronau/Westfalen tragen ebenfalls den Namen Willi Daumes. Das Freizeitbad in seinem oberbergischen Geburtsort Hückeswagen nicht mehr. In Deutschland erinnert wenig Wichtiges an den einflussreichsten und mächtigsten Sportfunktionär der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte, an den 'Kanzler des Sports'. Am 24. Mai wäre Willi Daume hundert Jahre alt geworden. ATMO (Reporter) frei, dann drunter und langsam weg In Bonn schmückt die weiße Flagge mit den Olympischen Ringen den Festsaal im Alexander-König-Museum, dem demnächstigen Bundeskanzleramt, Gründung des Nationalen Olympischen Komitees. AUTOR Am 24. September 1949 beginnt die beispiellose nationale und internationale Karriere Willi Daumes. Zunächst als Schatzmeister des NOK, parallel ist er 6 Jahre Präsident des Deutschen Handball-Bundes, ab 1950 20 Jahre lang Präsident des Deutschen Sportbundes. Er ist 31 Jahre Präsident des Nationalen Olympischen Komitees und parallel dazu 35 Jahre Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees. Andreas Höfer, Direktor der Deutschen Olympischen Akademie Willi Daume e.V. TAKE (Höfer) Willi Daume war Krawattenmann des Jahres, er legte auf diese Dinge sehr viel wert, ein blendendes Auftreten, verbindlich in der Sache, freundlich im Umgang, er konnte auch sehr konsequent seine Dinge vertreten, es gibt einen Ausspruch vom damaligen Bundeskanzler Adenauer: 'für wen arbeitet dieser Willi Daume eigentlich'? So klar und eindeutig sind die Positionen Daumes da nicht auf den Punkt zu bringen, zumal es auch eine historische Entwicklung an der Stelle zu verfolgen gibt. AUTOR Unter der Regie Willi Daumes erholen sich die Sportverbände in der Bundesrepublik von den Folgen des Zweiten Weltkriegs. Neue Vereine schießen wie Pilze aus dem Boden, ihre Mitgliederzahlen steigen kontinuierlich an. Die Menschen sehen, dass sportliche Betätigung Spaß machen und gesund sein kann. Während der Nazi- Diktatur waren die Sportorganisationen gleichgeschaltet worden und hatten besonders für militärische Ertüchtigung zu sorgen. Vor allem aber auf sportpolitischem Gebiet profiliert sich Willi Daume. Schnell ist ihm klar, dass die Bundesrepublik mit dem Versuch, die DDR auf außenpolitischem Gebiet zu isolieren, im internationalen Sport nicht weit kommen wird. Auch die DDR hat ein Nationales Olympisches Komitee gegründet und drängt nach Olympia. Für IOC-Präsident Avery Brundage, erinnert sich Willi Daume einmal, ist die Lösung ganz einfach. TAKE (W. Daume) Und dann hat Brundage, ich sehe ihn noch bei einer Tagung in Lausanne, da waren beide NOKs da, und er fragte uns: 'seid ihr Deutsche'? Und er fragte die DDR- Delegation: 'seid ihr Deutsche'? Beide antworteten mit 'ja', und dann sagte er: 'wir müssen trotz aller politischen Verschiedenheiten dann doch versuchen, eine gemeinsame deutsche Mannschaft - so entspricht es auch der Regel des IOC und der Beschlusslage - nur ein Komitee ist anerkannt: bildet eine gemeinsame deutsche Mannschaft', und das ist ja für 1956 dann auch gelungen. AUTOR Jan Rode hat über die Funktionärstätigkeit Daumes im Zeitalter des Kalten Krieges 2007 promoviert. TAKE (Rode) Als ich das geschrieben habe, hat mich sehr fasziniert die Geduld an Willi Daume. Und das diplomatische Geschick. Weil er sich wirklich über Jahre in den höchsten Ämtern hält, mit dem Bundeskanzler, mit dem Außenministerium, mit dem Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen usw usf. sich immer fallweise auseinandersetzen musste zu hoch brisanten politischen Fragen, ob es nun die Fahne des Olympiateams ist, die Hymne, das Olympiateam allgemein, der Mauerbau, diese ganzen Geschichten, hinzukommt noch mal genau das gleiche auf IOC-Ebene. AUTOR Im Dezember 1959 kommt es fast zur Zerreißprobe. Die DDR hat beschlossen, das Staatswappen aus Hammer und Zirkel, umgeben von einem Ährenkranz künftig auch auf der schwarz-rot-goldenen Nationalflagge abzubilden. Bonn protestiert, nennt die Fahne Spalterflagge. Bundeskanzler Adenauer schlägt vor, die gesamtdeutsche Mannschaft aufzulösen und an den kommenden Winterspielen in Squaw Valley nicht teilzunehmen. Willi Daume gelingt es, die Bundesregierung vom Kompromissvorschlag des IOC zu überzeugen: die schwarz-rot-goldene Fahne, in der Mitte ein weißer Kreis, darauf die fünf Olympischen Ringe. TAKE (W. Daume) Wir glauben, dass das in der ganzen Welt geachtete Symbol der fünf Völker verbindenden Olympischen Ringe auf unserer Nationalfahne von allen Übeln das kleinste ist. AUTOR Ein paar Wochen nach den Winterspielen von 1960 besucht Willi Daume eine Schulklasse in West-Berlin. In der emotionalen Debatte wird deutlich, wie weit er über den Tellerrand sportlicher Wettkämpfe hinausschaut. TAKE (Daume/Schüler/Daume) Wir hätten sagen müssen, glaube ich: dann können wir an den Olympischen Spielen nicht teilnehmen. Wir können nicht hinter der Hammer- und Zirkel-Fahne hermarschieren. Das wäre dann aber wieder der grandiose Triumph des SED- Regimes gewesen. Ja, nun passen Sie mal auf. - Die Welt würde sehen, dass wir uns weigern, mit dem Osten mitzumarschieren und dass wir fürs freie Deutschland kämpfen. - Glauben Sie nicht so sehr an die Welt, dass die alle unsere Probleme so kennt. Es wäre also ganz sicher zunächst mal so gewesen, dass dann die Zone als Vertreter Deutschlands aufgetreten wäre, denn ... , ja, na selbstverständlich. (Gemurmel) Meine Herren, das können wir doch gar nicht bestimmen, das bestimmt das Internationale Olympische Komitee: eine gesamtdeutsche Mannschaft, und wir ziehen uns aus der Mannschaft zurück, und die Zone vertritt ganz Deutschland. Und sie vertritt dann das Deutschland mit ihren Emblemen. Man muss das Problem bis zu Ende durchdenken. TAKE (Rode) Daume selber, ich will nicht sagen, er hat sich verliebt, aber er hat sich daran gewöhnt, an das gesamtdeutsche Olympiateam, und interessanterweise ist es dann später, dieses gesamtdeutsche Olympiateam, was von der Politik in den 50er Jahren immer bekämpft wurde, gilt dann als Garant für die letzten noch verbliebenen gesamtdeutschen Kontakte nach dem Mauerbau. AUTOR Mitte der 60er Jahre muss Willi Daume einsehen, dass das gesamtdeutsche Olympiateam nicht mehr zu halten ist und an der Anerkennung der DDR, auch im Internationalen Olympischen Komitee, kein Weg mehr vorbeiführt. TAKE (Moderator) 1965 in Madrid war das ja, als beschlossen wurde beim IOC, die beiden deutschen Mannschaften zu teilen, ... AUTOR In einem Gespräch mit dem RIAS 1992 blickt Willi Daume auf diese Situation noch einmal zurück. TAKE (Moderator/Daume) ... und es hat fast etwas Anekdotenhaftes an sich, dass Sie sich wohl hinterher mit einigen Getreuen auf dem Hotelzimmer getroffen haben und dann sagten 'jetzt müssen wir eine Idee haben', und die Idee war, war Ihre Idee, die Spiele in München durchzuführen. - Sie sind erstaunlich gut unterrichtet, genauso war es, es war eine Trotzreaktion: der Entschluss der Bewerbung um Olympische Spiele, übrigens war dann gleich auch wieder Berlin mit im Spiel, mein erstes Telefongespräch war mit Willy Brandt, 'wir haben eine Chance, wie ich sie sehe, Olympische Spiele zu bekommen', wir hätten sie nicht mit Berlin, wir haben sie nur mit München, und ich erinnere mich genau, wie er sagte: 'Herr Daume, gehen Sie davon aus, wir sehen die Realitäten ganz klar, Berlin wird das unterstützen'. AUTOR Aus der sportpolitischen Niederlage von Madrid macht Willi Daume seinen größten Triumph. Er holt die Olympischen Spiele 1972 nach München. 'Resignation ist kein Gesichtspunkt', sagt er später dazu in Anlehnung an sein literarisches Vorbild Erich Kästner. TAKE (Kluge) Daume ist ja oft als Visionär bezeichnet worden, er hat sich das auch gefallen lassen, ... AUTOR Volker Kluge, von 1982 bis 1990 Präsidiumsmitglied und Pressechef des Nationalen Olympischen Komitees der DDR. TAKE (Kluge) ... aber so wie ich ihn kennen gelernt habe, da hätte er wahrscheinlich diese typische Berliner Redewendung gefunden, dass er gesagt hätte: 'haben Sie es nicht eine Nummer kleiner'? Er war für mich kein Visionär, weil er jetzt nicht solche visionären Ideen hatte wie Pierre de Coubertin, der eine ganze Olympische Bewegung in die Welt gesetzt hat und im Gewand der Antike Olympische Spiele wieder gegründet hat, Daume war sicherlich ein Macher, das hat er bewiesen allein dadurch, dass er die Olympischen Spiele nach München geholt hat, dass er sie sehr gut organisiert hat als Präsident des Organisationskomitees, ... TAKE (Höfer) ... es war ein absoluter Coup Willi Daumes, ... AUTOR Andreas Höfer, Direktor der Deutschen Olympischen Akademie Willi Daume e.V. TAKE (Höfer) Er hat in einer ganz exponierten sportpolitischen Situation fast im Alleingang die Olympischen Spiele nach München geholt. Letztlich ist diese Bewerbung in wenigen Monaten von München nach Bonn, nach Lausanne, zurück nach München erfolgt in einer Art und Weise, die kaum noch nachvollziehbar ist, wenn man weiß, mit welchem Aufwand heute die Bewerbung um Olympische Spiele verbunden ist, ja, da muss jemand schon über besondere Fähigkeiten verfügen, um ein solches Meisterstück zu bewerkstelligen. ATMO 1 (Fanfare 1972) frei, dann bis Ende drunter TAKE (aus Eröffnungsrede Daume) Wie auch ein jeder von uns zum Sinn Olympischer Spiele stehen mag, möge er in ihnen auch ein Fest der Hoffnung erkennen, dass die Menschen das Trennende überwinden und sich verstehen und achten. AUTOR Die Olympischen Spiele von München 1972 tragen unverkennbar Willi Daumes Handschrift. Er präsentiert Olympia als Gesamtkunstwerk, will einen Kontrapunkt setzen zu den Spielen unterm Hakenkreuz in Berlin 1936. Die architektonische Gestaltung der Sportanlagen, das über allem schwebende Zeltdach des Olympiastadions, das kulturelle Rahmenprogramm, nichts überlässt Daume dem Zufall. Walther Tröger, damals Generalsekretär des NOK und Bürgermeister des Olympischen Dorfes. TAKE (Tröger) Sein Anteil war unglaublich. Er hat sich um alles gekümmert, das ganze Konzept, kann man sagen, stammte von ihm. Er hat ja auch durchgesetzt, dass das Zeltdach, das Stadion von 19 Millionen auf dann 75 Millionen oder so etwas erhöht wurde an Budget, das hat er ja auch durchgesetzt, er hat beim Einmarsch für jede Nation ausgesucht, welche Melodie da gespielt werden sollte. ATMO (Reportage Eröffnungsfeier) frei, dann drunter Vom Marathon her kommt das Ballett herein getänzelt, in bunten farbenprächtigen Röcken die Mädchen, ... AUTOR Es werden heitere Spiele, die Menschen geben sich locker und freundlich. Stellvertretend für das gesamte Land feiert München zehn Tage lang ein ausgelassenes Fest. ATMO (Reportage Eröffnungsfeier) wieder hoch, dann weg ... begleitet von Mädchen in Dirndln aus Bayern, ... TAKE (Püschel) Das war ja wirklich wunderschön. AUTOR Dagmar Püschel, von 1970 bis 1994 Sekretärin von Willi Daume. TAKE (Püschel) Es war alles so stimmig, es war alles viel zu schön, glaube ich. AUTOR Am 05. September ist es vorbei mit den heiteren Spielen. Ein palästinensisches Terrorkommando überfällt das Olympische Dorf und nimmt elf israelische Geiseln. Die von deutschen Einsatzkräften geplante Befreiungsaktion endet in der Katastrophe, insgesamt 17 Menschen kommen ums Leben. TAKE (Püschel) Als Herr Daume am nächsten Morgen ins Zimmer kam, das war ... poh (schluckt) das war ganz schlimm. Wie Tod irgendwie, ne? Weil: er war nicht jemand, der sehr emotional war oder so. Aber so ein totes Gesicht zu sehen, klar: jeder war irgendwie entsetzt über das, was passiert war, aber ich glaubte, nachempfinden zu können, was das jetzt für ihn bedeutete. TAKE (Tröger) Er hat gesagt, 'meine Spiele sind tot, ich halte das nicht aus, wir müssen aufhören'. ATMO (Avery Brundage) kurz frei, dann drunter und langsam weg The games must go on. (vorsichtiger Applaus) TAKE (Tröger) Er hat dann einfach der massiven Überzeugung von Brundage nicht widersprechen können. TAKE (W. Daume) Das ist wohl ein sportliches Prinzip: man darf nicht aufgeben. Und das IOC war ja auch der Meinung, die letzten Endes dann den Ausschlag gab: es ist so viel gemordet worden, man sollte den Terroristen nicht erlauben, auch noch die Spiele zu ermorden. AUTOR Und noch ein sportliches Prinzip gilt: Im Augenblick seines größten Triumphes erlebt Willi Daume, wie dicht Sieg und Niederlage beieinander liegen können. TAKE (W. Daume) Die Olympischen Spiele existieren nicht auf einer Insel der Seligen, sondern müssen mit dieser Zeit fertig werden, insoweit gehört das sogar dazu. AUTOR Was für ein Mensch war Willi Daume? TAKE (R. Daume) Mein Mann ist ja auch Zwilling gewesen. Das sagt vielleicht auch was, gell. AUTOR: Der Versuch einer Annäherung beginnt bei der 86-jährigen Witwe: Rosemarie Daume. TAKE (R. Daume) 'Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust', ja. Wenn er allein hier gewesen ist oder mit mir nur oder meinetwegen auch den Kindern, dann war er ganz froh, wenn niemand kam. Das fand er sicher auch ganz schön, den Wechsel. Mal ganz einfach hier mit Jeans und Pullover, und dann wieder hoch korrekt mit Schlips und Kragen und allem, was dazu gehörte, feinem Essen und guten Gesprächen. AUTOR Viele Jahre wohnte sie mit ihrem Mann und den zwei Kindern in einem Haus am Starnberger See. Hier der treu sorgende Familienvater, und dort, in München und anderswo, der einflussreiche Macher des Sports - gab es das überhaupt, ein richtiges Familienleben? TAKE (R. Daume) Ja eben: wenig. Wenig. Mein Mann war ja oft lange Zeit weg. Denken Sie mal, die ganzen Reisen um den Globus, wo er überall war. Ja, manchmal war es schon etwas dünn. Und der Kay, also mein Sohn, hat mal einen sehr treffenden Ausspruch gemacht. Da war mein Mann gerade da und war wohl auch etwas müde, und dann kam der Kay und sagte: 'Papa, gut, dass du da bist, ich muss jetzt unbedingt mit dir über das und das sprechen'. Und dann hat mein Mann gesagt: 'Nee hör mal zu, das hat jetzt keinen Zweck. Da bin ich gar nicht aufgelegt, und ich bin müde, und lass das mal sein, das machen wir ein anderes Mal'. Worauf er sagte: 'Mit nicht drüber reden löst man keine Probleme. Damit kommst du bei mir nicht durch. Ich möchte jetzt mit dir darüber sprechen'. AUTOR 'Wo Willi Daume hintrat, wuchs Gras', sagte ein Freund einmal über ihn. Was er anpackte, wurde zum Erfolg. Aber er trat eben und hinterließ - auch bei seinen Angehörigen und Mitarbeitern - die eine oder andere Wunde, oder wenigstens ein paar blaue Flecken. Und nicht jeder konnte mit seiner Kritik so gut umgehen wie Daumes Sekretärin Dagmar Püschel. TAKE (Püschel) Wenn es meinen Arbeitsbereich betraf und ich mindestens ein Mal im Jahr diesen Schreibtisch aufgeräumt habe, dann wusste ich, dass ich dann erstmal zwei schlechte Tage haben würde, weil: er fand das ganz unerträglich, er hat mir das verboten, aber ich habe es trotzdem gemacht. Ich war immer die Böse, wenn ich aufgeräumt habe, aber es gab immer zwei Exemplare von allem, das Original hatte ich, und ich habe ihm die Kopien gegeben. AUTOR Willi Daume liebte es, seine sportpolitischen Ausführungen mit Zitaten bedeutender Dichter und Denker anzureichern. Gern wanderte sein Blick dabei gen Himmel. Der heutige Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes und IOC- Präsidentschaftskandidat Thomas Bach, ein enger Vertrauter Willi Daumes, hat einmal gesagt, es sei schwer zu deuten gewesen, ob Daume "einfach verzweifelt gewesen sei über den Unverstand seines Gesprächspartners oder ob er schon einen Schritt weiter war, manchmal auch in ganz anderen Sphären". Vielleicht aber war Daume mit seinen Gedanken auch einfach nur bei seinen Athleten, vermutet Wolfgang Männig, Ruder-Olympiasieger 1988 in Seoul, denn denen galt vor allem seine Sorge. TAKE (Männig) Es war ja ein ganzes Flugzeug gechartert für die Olympiamannschaft, ein paar andere Gäste waren auch dabei, und natürlich gab es die 'first class', und die war reserviert für die Funktionäre, und Willi Daume hat aber insistiert, dass er da nicht sitzt, sondern dass diese Plätze, auch von anderen Funktionären, frei gemacht werden für die langen Kerls. Also aus dem Achter, und ich glaube, Basketball war damals auch dabei, und so saßen wir in der ersten Klasse und Willi Daume hinten in der 'economy class', aber ich hatte den Eindruck, dass er das auch gar nicht bedauerte, denn da waren auch sehr viele andere Sportler, mit denen er da in einen unheimlich engen und freundschaftlichen Kontakt kam. AUTOR Nach Olympia 72 in München ist Willi Daume auf dem Zenit seiner Macht. Er wird Vizepräsident des IOC, viele glauben, dass er der nächste Präsident werden kann. ATMO (Schuss, aufgeregte Stimmen Reportage) kurz frei, langsam weg AUTOR Der Einmarsch sowjetischer Streitkräfte in Afghanistan zerstört diese Aussichten. Die USA beschließen, die Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau zu boykottieren und erwarten von den westlichen Verbündeten den gleichen Schritt. In der Bundesrepublik entflammt eine heftige Debatte, Willi Daume spricht sich leidenschaftlich gegen den Boykott aus, muss aber am 15. Mai 1980 verkünden, dass das NOK für Deutschland mit 59 zu 40 für einen Boykott gestimmt hat. TAKE (W. Daume) Meine Damen und Herren, wir haben eine demokratische Entscheidung getroffen, wir müssen sie gemeinsam tragen, wir müssen auch gemeinsam damit leben, und wir werden damit leben, die Sitzung ist geschlossen. AUTOR Viele Jahre später zieht Willi Daume Lehren aus der damaligen Entscheidung. TAKE (Daume) Eine davon ist: der Boykott bringt nichts ein. Er bringt politisch nichts ein und sportlich schon mal gar nichts. Der eigentlich Dumme ist der Athlet, der sich vier Jahre umsonst vorbereitet, gefreut hat, Opfer, Askese auf sich genommen hat, Beruf, Studium möglicherweise zurückgestellt hat, es gibt heute kaum einen Politiker, der diese Maßnahme als besonders weise ansah, vor allen Dingen, als ja Erwartungen der Politik, es würde sich nun die gesamte westliche, zumindest die westeuropäische Welt anschließen, nicht in Erfüllung gingen, wir standen dann ganz allein da, und es war dann selbst in westlichen Kreisen eher das Gegenteil der Fall, man sagte: 'naturellement les allemands', also 'die Deutschen müssen sich da wieder besonders profilieren'. AUTOR Seine Aussichten auf die IOC-Präsidentschaft sind dahin. Als "Boykotteur" hat er keine Chance. Seine Sekretärin Dagmar Püschel ist bis heute überzeugt, dass es noch einen viel gewichtigeren Grund für seine Wahlniederlage gegen den Spanier Samaranch gibt. TAKE (Püschel) Ich habe nicht einmal erlebt, dass Herr Daume vor der Wahl auch die Leute, die er gut kannte, er kannte ja viele im IOC wirklich gut, die waren befreundet, dass er denen gesagt hat 'ich will das', und die anderen haben ja auch für sich geworben. So macht man das doch, wenn man was werden will. Aber er wollte gerufen werden. Für sich selbst zu werben, das war nicht seine Sache. Wo doch jeder wissen musste, dass er der Beste war. AUTOR Von nun an beginnt der Stern Willi Daumes am Himmel des internationalen Sports zu sinken. Er organisiert zwar noch den viel beachteten Olympischen Kongress 1981 in Baden-Baden. Aber die wirkliche Macht des Handelns liegt nun in den Händen des neuen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch. Immerhin: als Vorsitzender der IOC-Zulassungskommission sorgt Willi Daume dafür, dass die Olympischen Spiele für Berufssportler geöffnet werden. TAKE (W. Daume) Wer hat denn jemals einem großen Künstler oder einem großen Wissenschaftler verboten, Geld zu nehmen für seine Leistungen? Die alten Olympischen Sieger, wie uns unsere Geschichtslehrer noch vorgelogen haben, die waren durchaus nicht mit dem Ölzweig zufrieden, das waren reine Profis, die bekamen Preise, es gab junge Mädchen, und es gab Lustknaben, also so weit haben wir es noch nicht mal gebracht. AUTOR Willi Daume bleiben die Ämter. Auf nationaler Ebene kommen sogar neue hinzu: unter anderem wird er 1989 Vorsitzender der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Doch auch die Kritik an seiner Person nimmt zu: er sei ein Alleinherrscher, Egomane, beratungsresistent. Den schwierigen Vereinigungsprozess der deutsch-deutschen Sportverbände und der beiden Nationalen Olympischen Komitees nach dem Fall der Mauer 1989 begleitet er weniger als Macher, mehr als Mahner. TAKE (Kluge) 0'03 Da war Willi Daume auch ein sehr bemerkenswerter Partner. AUTOR Volker Kluge, Präsidiumsmitglied des NOK der DDR. TAKE (Kluge) Einen Satz, den habe ich mir echt gemerkt, dass er so nebenbei sagte: 'die Nachwelt wird es uns nie verzeihen, wenn wir den stolzen DDR-Sport kaputt machen'. Für mich war das schon bemerkenswert, dass einer, der so viele Jahre als Kalter Krieger nicht nur gehandelt wurde, er sich als solcher auch verhalten hatte, dass der in der Lage war, auch so human zu denken, aber einfach so eine Großzügigkeit. Ob die ihm immer eigen war, vermag ich nicht zu sagen, aber ich habe ihn immer so erlebt. AUTOR 1991 verzichtet Willi Daume auf sein IOC-Mandat, im Jahr darauf gibt er auch die Führung des Nationalen Olympischen Komitees ab. In einem Interview mit dem RIAS zieht er 1992 eine selbstkritische Bilanz. TAKE (Daume) Es wäre unredlich zu sagen, oder zu leugnen, dieser Weg mit einem solchen Engagement führt in gewisser Hinsicht auch vom Sport weg. Und es sind nicht immer Gedanken zu unterdrücken: vielleicht hast du zu viel gegeben. AUTOR Einsam, verbittert und schwer an Krebs erkrankt, verbringt Willi Daume die letzten Lebensjahre in einer kleinen Wohnung im Olympischen Dorf in München. Zu Frau und Kindern hat er keinen Kontakt mehr, seine Firma, die vom Vater bereits 1938 geerbte Eisengießerei in Dortmund, die ihm finanzielle Unabhängigkeit garantierte, geht Pleite. TAKE (Püschel) Das habe ich ja noch gemacht, mit dem Konkurs, er hat so viel Geld der Firma auch in das NOK gesteckt, also er hat keine Belege gesammelt oder so was, wenn der aus Japan oder irgendeinem Kontinent zurückkam, dann hatte er viel Geld ausgegeben für die anderen IOC-Mitglieder, hier mal einen Empfang und da mal das, da er das aber nie belegt hat, war das schwierig abrechnungstechnisch. Dann blieb er auf den Kosten sitzen. Wenn er das gar nicht belegen konnte. AUTOR Am 20. Mai 1996, wenige Tage vor seinem 83sten Geburtstag, stirbt Willi Daume. Bis heute gilt er als Säulenheiliger des bundesdeutschen Nachkriegssports. Auch wenn inzwischen neue Erkenntnisse über seine Rolle im Dritten Reich vorliegen. Daume war nicht nur seit 1937 Mitglied der NSDAP, seit 1943 hatte er auch Kontakte zum Sicherheitsdienst der SS. Jan Rode hat im Rahmen seiner Dissertation über Daume Abschriften von Interviews gefunden, die Studenten eines Forschungsprojekts an der Uni Hannover zu Beginn der 90er Jahre mit Willi Daume geführt hatten. TAKE (Rode) Was ich da gefunden habe, ist, dass Daume angesprochen worden ist vom Sicherheitsdienst der SS, die Eisengießerei Daume hatte neben dem Werk in Dortmund noch ein Zweigwerk in Antwerpen, und er wurde nun aufgefordert, darüber nun entsprechende Berichte zu verfassen. Und Daume hat dann in dem Interview gesagt: 'na, das war alles Blödsinn, wir haben da rein geschrieben: die Arbeiter haben mich mit dem Horst-Wessel-Lied begrüßt', und 'dann hat der SD irgendwie das Interesse verloren und nicht weiter verfolgt'. Das ist natürlich eine ganz klare Entschuldungsthese, Punkt 1 ist: Daume wird sehr genau gewusst haben, was ihm droht, wenn er nicht mitarbeitet, weil er selbst diese Fronterfahrung hatte, 1940, und es hieß, wenn er nicht mitarbeitet, muss er an die Ostfront nach Stalingrad, das zweite ist: wenn Daume dort nicht konstruktiv mitgearbeitet hätte, wäre er ein Jahr später auch nicht Gaufachwart für Handball geworden. TAKE (Höfer) Fest steht, dass bis heute keine Quellen verfügbar sind, die ein Verhalten Willi Daumes an den Tag gebracht haben, das im Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen Deutschland als verwerflich, beklagenswert gelten könnte und die Integrität seiner Person nachhaltig in Frage stellen würde. AUTOR Andreas Höfer, Direktor der Deutschen Olympischen Akademie Willi Daume e.V. Fest steht auch, dass Willi Daume in einem Entnazifizierungsverfahren 1949 als 'unbelastet' eingestuft worden ist. Aber vielleicht ist dieser letzte Zweifel, welche Rolle Daume tatsächlich im Dritten Reich gespielt hat, der Grund dafür, dass er, der einflussreichste und mächtigste Sportfunktionär der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte, fast ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Sicher ist aber auch: sollte der jetzige Chef des deutschen Sports, Thomas Bach, im Herbst tatsächlich neuer IOC-Präsident werden, wird von Willi Daume wieder öfter die Rede sein. Bach gilt als Ziehsohn Daumes. 1