COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Das Leben danach - Ehemalige Schüler und Lehrer des Erfurter Gutenberg-Gymnasiums berichten - Autor Daniela Dufft Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 18.04.2012 - 13.07 Uhr Länge 18.57 Minuten Moderation Am 26. April 2002 tötet ein ehemaliger Schüler am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 16 Lehrer, zwei Schüler und einen Polizisten. Dann erschießt sich der Amokläufer. Es war der Tag, an dem die 12. Klassen ihre Abiturprüfung schrieben und andere Schüler und Lehrer einen ganz normalen Schultag vor sich hatten. Doch danach war ihre Welt eine andere, ihre Biographien zeigen dies. Die letzten Schüler, die den Amoklauf vor 10 Jahren miterleben mussten, haben im vergangenen Jahr ihren Abschluss gemacht. Und : Viele Lehrer haben seit dem schrecklichen Ereignis das Gymnasium gewechselt. Hat für die Schüler und Lehrer, die das Gymnasium verlassen haben, ein neues Leben begonnen? Wie schrieben sich über die Jahre ihre Biographien weiter? Daniela Dufft traf zwei Schüler und eine Lehrerin, die uns nun erzählen werden, wie dieser Tag ihr Leben verändert hat. Dieser Tag vor zehn Jahren. -folgt Script Beitrag- Script Beitrag Collage Reaktionen kurz nach dem Amoklauf am Gutenberggymnasium Anke Roschke, Lehrerin: "Der Schock sitzt unheimlich tief, vor allem weil ich eine Kollegin verloren habe, die auch ein zweijähriges Kind hat wie ich." Ein Lehrer aus einer anderen Stadt, der sich im Erfurter Rathaus in das Kondolenzbuch einschrieb: "Ich hab gestern Abend dann in einer Fernsehsendung einen Kollegen gesehen, den ich seit mehr als 15 Jahren kenne, den ich bei jeder Mathematikolympiade gesehen habe und er ist einfach weg." Manfred Scherer, damaliger Innenstaatssektetär: "Die Tat übertrifft alles (längere Pause) was sich im Freistaat bisher an Verbrechen ereignet hat." Atmo: Glocken zur Trauerfeier auf dem Erfurter Domplatz Johannes Rau, damaliger Bundespräsident auf der Trauerfeier: Wir leben miteinander und kennen uns häufig nicht, wir gehen miteinander zur Schule oder zur Arbeit und wir kümmern uns oft nicht um den anderen. Atmosphäre: Saxophonspieler Atmo: Schultür/ Schritte im Schulgebäude Autor Silke Bonda ist zum zweiten Mal in ihrer alten Schule, dem Gutenberg-Gymnasium. Neun Jahre brauchte es, bis sie wieder die Kraft dazu hatte. Sie, die Sport- und Biologielehrerin, die damals Gieseler hieß. Die blonden Haare trägt sie kurz, fransig in die Stirn. Sie geht durch die langen Gänge, hält sich an ihrer Umhängetasche fest. Journalisten wird es nicht leicht gemacht, in das Schulgebäude zu kommen, Interviews zu führen. Verständlich, aber mit der Lehrerin, die den Amoklauf eines Schülers miterleben musste, ist es möglich. Silke Bonda, Lehrerin "Das Herz klopft, man holt so'n bisschen nach Luft und weil es ja wie gesagt das zweite Mal ist, dass ich jetzt hier drin bin und man guckt so die Fliesen an, die Gänge an, man erinnert sich wo damals die Räume waren, es hat sich ja doch vieles verändert, und ja, es ist schon auch angespannt ein bisschen, trotzdem dass das Wetter so schön ist, ist sofort alles wieder da." Autor Am 26. April 2002 übernahm die damalige Referendarin eine Vertretungsstunde. Als sie gerade das Klassenbuch holte, kurz auf der Toilette verschwand, erschoss der ehemalige Schüler Robert Steinhäuser 16 Menschen. Um Sekunden entging Silke Bonda dem Täter. Zusammen mit Schülern verbarrikadierte sie sich im Bio-Vorbereitungsraum. Sie schrieb das Wort "Hilfe" auf ein Blatt Papier und klebte es ans Fenster. Das Foto ging um die Welt. Ihrem Kollegen, der schwer verletzt vor dem Raum lag, konnte sie nicht helfen. Silke Bonda, Lehrerin "Da hab ich lange, lange Zeit auch wirklich Schuldgefühle gehabt, weil ich mich immer gefragt habe, ich hab ihn halt noch gesehen und er war ansprechbar und ich hab zu ihm gesagt, dass ich Hilfe hole. Und ich hatte so das Gefühl, dass indem wir uns da ja verschanzt haben und ich dann auch nicht zurückkam durch die Schränke, dass ich ihn irgendwie in Stich gelassen hab', dass ich irgendwie mein Versprechen nicht gehalten hab'. Das war für mich auch ein Thema, was ich wirklich aufarbeiten musste...das mir bewusst war, dass ich doch Hilfe geholt habe." Autor Damals war sie 25 Jahre alt. Vier Monate später verließ sie die Schule, die Stadt und kehrte in ihre Heimat nach Nordhausen zurück. Silke Bonda, Lehrerin "Ich hab natürlich mit meiner Familie 'n super Rückhalt gehabt, ich konnte immer reden, ich konnte immer weinen, wenn mir danach war. Da hat nie einer gesagt, zum hundertsten Mal hören wir's uns an, es ist jetzt gut. Im Gegenteil, den Rückhalt hatte ich immer, aber es ist einfach so, dass nur drüber reden nicht hilft, sondern das, wenn Dinge so tief sitzen, dass die bearbeitet werden müssen." Autor Ein Freund, der als Therapeut arbeitet, half ihr dabei, hilft ihr immer noch. Vor drei Wochen führte sie wieder ein langes Gespräch mit ihm. Sie plant ihren Umzug. Zurück nach Erfurt, zusammen mit ihrem Mann. Das wühlt auf. Silke Bonda, Lehrerin "Also wenn ich therapeutisch dran arbeite, dann ist es wirklich so, dass ich richtig auch schlimm weine, mich schwer beruhigen kann und natürlich zittere und ja, dass die Bilder alle ganz intensiv sind. Die Gefühle ganz intensiv sind und wenn ich da durch bin, was auch oft sehr schmerzhaft ist - und was einen auch manchmal körperlich total lähmt, aber wenn man so dadurch ist, dass es einem danach viel besser geht. Und dass man sich irgendwie neu aufstellt im Leben." Autor Sie hat eine Ausbildung zur Therapeutin gemacht. Das hilft ihr weiter in vielen Situationen, gerade wenn Schüler Schwierigkeiten haben. Silke Bonda, Lehrerin "Irgendwie ist man aufmerksamer immer und immer wieder, man gibt auch nicht so schnell auf, und gibt anderen auch noch mal 'ne zweite oder dritte Chance, schaut einfach mal dahinter, warum jemand so ist wie er ist. Ja. Das, ich glaub das, das waren auch die Antworten, die ich gebraucht habe, um weiterzuarbeiten." Atmo: Schultür eines Klassenzimmers fällt zu/ Schritte durchs Schulhaus. Silke Bonda entdeckt die Abi Bilder Autor An der Wand in der vierten Etage, hängen die Abschlussfotos vieler Jahrgänge. Silke Bonda, Lehrerin "Hier, die alte Fassade noch." Autor Die meisten Fotos entstanden nach dem Abschlussball. Jungen Frauen tragen Ballkleider, die Männer einen Anzug. Ein Bild fällt aus dem Rahmen, es ist deutlich kleiner als die anderen. Die Schüler tragen Jeans, nichts Festliches. Es sind die Schüler, die damals, 2002, ihr Abitur gemacht haben. Auch Katja Förster ist auf dem Bild. Sie lächelt. Katja Förster, ehemalige Schülerin "Der Abi-Ball hat ja nicht wirklich stattgefunden, das war ja mehr 'ne Zeugnisübergabe. Und das, das merk ich zum Beispiel auch heute noch, wenn man mit anderen die der gleiche Jahrgang sind ...und die sprechen über die Abi-Feier oder über Lehrer oder ähnliches, ich halt mich da total zurück und da, da verfall ich wirklich in Gedanken und Emotionen, die ich nicht nach außen hin zeigen, die sich aber schon in mir drinnen abspielen, weil ich dann auch denke, ja, meine Lehrer leben nicht mehr. Und dann denk ich das so in mich rein und ärger mich, dass dieser Amoklauf so die letzte Erinnerung eigentlich an die Schule ist. Man ist mit diesem negativen Erlebnis da rausgegangen und das find ich schade." Autor Katja Förster - groß, sportliche Figur, die blonden Haare zum Zopf gekämmt. Sie lebt inzwischen in Düsseldorf. Das Biologiestudium hat sie hinter sich, steht nun seit drei Monaten selbst vor Schülern. Sie ist Lehrerin geworden, wie ihre Eltern, wie ihr Vater, der immer noch am Gutenberggymnasium unterrichtet. Ihr Vater war es, der die Polizei damals durchs Haus gelotst hat. Katja Förster, ehemalige Schülerin "Wenn ich grade merke, dass mich das emotional berührt, geb ich`s mir immer so ganz. Da sag ich, ich brauch jetzt ein bestimmtes Lied, ich brauche den Text, ich brauch Erinnerungen, die mich dann zwar noch weiter runterziehen, aber ich hab das Gefühl, ich brauch das dann in dem Moment. Dann muss ich auch heulen, aber es ist weniger geworden, also dass ich schon dran denke in gewissen Momenten, aber nicht mehr, dass ich mich dann so arg damit konfrontieren muss in dem Moment, um zu weinen." Autor In einem dicken grauen Ordner hat Katja Förster ihre Erinnerungen gesammelt. Schon lange hat sie nicht mehr darin geblättert. Atmo: blättern, rascheln. Katja Förster, ehemalige Schülerin "Das sind die Fotos...dass sind Lehrer, die noch leben." Katja Förster, ehemalige Schülerin "Ich muss sagen, es war für mich manchmal unheimlich hart, weil ich selber gemerkt habe, wie war sie nochmal, oder wie sah sie nochmal aus? Ich hab manchmal ganz bewusst mir auch nochmal Fotos angeguckt mit den Lehrern oder Lehrerinnen, weil ich Angst hatte zu vergessen. Und dann schließ ich die Augen und denk da ganz arg an diese Person und versuche mir die so vorzustellen, weil ich wollte nicht vergessen, es war mir ganz wichtig. Ich weiß noch, Frau Hajna ist immer mit 'nem Schlüsselbund rumgelaufen, immer durch die Schule. Die hatte glaub' ich zwanzig Schlüssel oder dreißig, wenn nicht sogar noch mehr an ihrem Schlüsselbund. Und das war lange so, dass ich wenn ich so'n Schlüsselbund gehört hab, das war für mich immer Frau Hajna. Das hab ich nie vergessen." Autor An der Schule, in der sie jetzt unterrichtet, weiß niemand von diesem einschneidenden Erlebnis in ihrer Biographie. Sie möchte nicht, dass die Vergangenheit Vorurteile auslöst, falsche Rücksicht genommen wird. Mit einigen Schulfreundinnen, die auch in Düsseldorf leben, kann sie sprechen, ohne viel erklären zu müssen. Zum Beispiel über ihre Angst vor der Dunkelheit, vor Stille, vor Krach. Davor, dass bestimmte Wörter gesagt werden. Katja Förster, ehemalige Schülerin "Und es ist auch heute noch so, dass wenn ich alleine zu Hause bin, oft mit dem Fernseher einschlafen muss. Wenn ich hier Geräusche höre oder jemand die Treppe hochgeht, ich stell mir immer vor, wie diese schwarzen Stiefel vor meiner Tür stehenbleiben und sich gleich da am Schloss was tut. Und ich versuche das aber gerade zu umgehen, weil ich denke, du kannst nicht dein Leben lang vorm Fernseher einschlafen. Du musst es lernen und schaff das auch. Aber es gibt auch Tage, wo ich dann schwach bin." Autor In ihrem Tagebuch hat die ehemalige Schülerin Katja Förster alles festgehalten. Auch das hat sie in dem dicken grauen Ordner verstaut. Dann Fotos, Zeitungsartikel, die Trauerrede, Abschiedsbriefe. Atmo: Blättern im Ordner Katja Förster, ehemalige Schülerin "Trauerkarten der Familien, auf deren Beerdigung wir es nicht geschafft haben, die liegen hier immer noch mit Adresse ..." Katja Förster, ehemalige Schülerin "Aus meiner Familie ist zum Glück auch noch niemand gestorben. Und ich habe Angst vor den Momenten, wo jemand stirbt, weil die einzigen und ersten Beerdigungen auf denen ich war, waren die der Lehrer und ich glaube sobald ich, also glaub ich jetzt, dann hat man vielleicht andere Emotionen, wenn das jemand aus den Familie ist, aber da kommen wieder andere Dinge hoch." Autor Sie treibt Sport, sagt, das Auspowern tut ihr gut. Sie ist froh ihren Freund zu haben. Fühlt sich wohl in Düsseldorf, erlebt viele glückliche Momente. Und dennoch glaubt sie, dass jeder Tag der letzte sein kann. Katja Förster, ehemalige Schülerin "Ich glaub mein Freund hat jegliche Hoffnung aufgegeben, dass ich nochmal ein Optimist werde. Er versucht alles aber ich sehe einfach irgendwie alles negativ und arbeite da selber schon seit Jahren dran, hab auch schon einen Glücksworkshop besucht, aber irgendwie kommt das nicht so ganz bei mir an. Ich hoffe nochmal irgendwann einfach unbeschwert glücklich zu sein." Autor Die letzten Schüler, die den Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium miterlebt haben, verließen vor drei Jahren die Schule. Viele von ihnen leben inzwischen nicht mehr in Erfurt. Sie studieren, einige sind ins Ausland gegangen. Etliche sind Lehrer geworden. Ingenieure sind dabei, mit einer Ärztin haben wir gesprochen, einer Journalistin und einem Fotografen, der inzwischen bei einer Tageszeitung arbeitet und von sich selbst sagt, jetzt auf der anderen Seite zu stehen, Tragödien des Alltags fotografieren zu müssen. Über den 26. April 2002, das Leben danach, wollen die meisten nicht reden. Hannes Niemann war damals zusammen mit seinem Zwillingsbruder in der 10. Klasse. Er ist sofort bereit zu erzählen, wie er mit der Vergangenheit umgeht. Offen über Ängste zu reden, das hat er sich zum Lebensmotto gemacht. Hannes Niemann, ehemaliger Schüler "Man lebt damit zehn Jahre, man merkt, man verändert sich. Man geht an die Sachen anders ran, wenn man drüber nachdenkt, man hat oft drüber nachgedacht, man wächst auch damit, natürlich und die zehn Jahre es ist Teil von einem gewesen und es ist aber auch mit einem erwachsen geworden." Autor Hannes Niemann studiert in Magdeburg, wohnt dort in einer WG. Erst vor vier Wochen gab es wieder so einen Moment, der ihn plötzlich in die Vergangenheit zurückschleuderte. Eine knallende Tür im Lehrgebäude war der Auslöser. Hannes Niemann, ehemaliger Schüler "Ich hatte jetzt zur Prüfungszeit erst wieder ne Art Panikatacke, weil soviel zusammenkam, soviel Ähnlichkeiten mit dem Erlebten damals. Wo ich mir dachte, so, was passiert hier eigentlich. Ja. Ich konnte es mir natürlich erklären, wollte es natürlich nicht publik machen weil tendenziell ist man am Ende doch immer so schieb nicht alles darauf, ja es sind zehn Jahre vergangen, du brauchst doch nicht alles, eigentlich möchte man ja psychisch stabil sein, man möchte damit umgehen können." Autor Gleich danach rief er seinen Zwillingsbruder an. Hannes Niemann, ehemaliger Schüler "Ich hab danach mit meinem Bruder geredet, wie man dann reagieren soll oder wie er reagiert und er meinte dann auch, es ginge ihm immer noch ähnlich und er macht sich dann halt einfach Fluchtpläne vorher, und diese Taktik werde ich wahrscheinlich auch anwenden." Autor Nach dem Amoklauf gehen er und die anderen Schüler und Lehrer auf eine Übergangsschule, im Süden von Erfurt - eine Plattenbausiedlung. Dort schreiben sie zwei Jahre später ihr Abitur, unter Polizeischutz. In dieser Zeit wird das Gutenberggymnasium aufwendig umgebaut. Hannes Niemann kehrt nicht an seine alte Schule zurück. Das findet er gut so. Er denkt viel darüber nach, warum Robert Steinhäuser das getan hat. Hannes Niemann, ehemaliger Schüler "Gut Steinhäuser hat sich eingeschlossen, in sich, er hat nur Computerspiele gespielt.... man kann natürlich auch ne Parallele ziehen, dass man sagt, man möchte nicht so enden. Ja, man möchte sich nicht einschließen, das ist der falsche Weg. Es hat einem gezeigt, das es der falsche Weg ist. Man sollte sich öffnen zu anderen, ja, öffnen zur Welt." Autor Hannes Niemann wurde zum Weltenbummler. Sieben Jahre lebte er im Ausland, im Zivildienst arbeitete er mit Behinderten in England, studierte auch dort. Die Erinnerungen, seine Gefühle nahm er überall mit hin, brauchte auch noch einmal psychologische Hilfe. Hannes Niemann, ehemaliger Schüler "Also ich hatte viele Freunde, wo ich mir dachte, der schafft die Prüfung nicht oder die schaffen die Prüfung nicht und drehn dabei durch. Also der Abstand hätte dann nichts geholfen, wenn ich diesen wirklich so bewusst gesucht hätte Ich hab das einfach mir rausgenommen. Es war da und ich hab damit gelebt. Und mal ging's super, es hat mir viel mitgegeben, viel Bewusstsein viel Reflexion, viel Beobachtungsmöglichkeiten, wie ich mit anderen Leuten umgehe - hat aber natürlich auch die negativen Seiten. Art ying und yang." Autor Der Psychologe in England konnte nicht helfen. Hannes brach die Behandlung ab und versuchte selbst klarzukommen. Er reiste, engagierte sich für soziale Projekte. In Guatemala baute er eine Schule mit auf. Hannes Niemann, ehemaliger Schüler "Was mir speziell im Umgang mit Gutenberg geholfen hat, war diese, diese Art von Ruhe, die ich in Guatemala erlebt habe. Wie man an Sachen ran geht und zwar mit Überlegung, aber stressfreier. Ohne, ohne diesen gewissen Druck dass es, dass irgendetwas perfekt sein muss oder das irgend etwas zu einem gewissen Zeitpunkt fertig sein muss. Sondern man hat einfach angefangen und irgendetwas ist passiert nicht wie hier alles ist von a bis z durchgeplant ja, und man hat diesen unheimlichen Druck so reagieren zu müssen." Autor Leistungsdruck. Zeitdruck. Erwartungen, von Freunden, Eltern, Lehrern. Der Täter Robert Steinhäuser wurde mit seinem Druck nicht fertig, griff zur Waffe. Warum? Stand auf den vielen Andachtsbriefen, die in den folgenden Tagen an der Schule abgelegt wurden. Eine Frage, an die sich niemand wirklich herantraut, findet Hannes Niemann. Hannes Niemann, ehemaliger Schüler "Ich habe mir die Frage eher gesellschaftlich gestellt, ich habe gesagt, wie kann es sein, dass die Gesellschaft oder dass die Freunde drumrum, ihn so falsch einschätzen können oder diese Situation nicht kommen sehen. Wo ist da dieses..., ich habe dieses Mitmenschliche vermisst und das war genau der Punkt wo ich ansetzten wollte." Autor Nach dem Erfurter Amoklauf war der Schrei nach Veränderungen groß, aber viel ist nicht passiert. Eltern werden jetzt informiert, wenn es Probleme an der Schule gibt, auch wenn die Schüler 18 Jahre alt sind. Das Waffenrecht wurde verschärft, wer eine Waffe haben will, muss einen Persönlichkeitstest ablegen. Vielen geht das nicht weit genug. Hannes Niemann, ehemaliger Schüler "Wenn jemand an eine Waffe kommen will, kommt er an ne Waffe. Wenn es keinen Markt dafür gibt, gibt es einen Schwarzmarkt. Also ist es egal, was für Regulationen hier kommen oder was für Strafen. Wenn jemand wirklich töten möchte, wird er dies schaffen. Aber die Waffen sind nicht der Grund. Der Grund ist, warum möchte er die Waffe in die Hand nehmen? Was treibt ihn dazu an? Ist es Rassenhass, ist es Angst vor dem Staat, übt der Staat eine Macht auf einen Menschen aus und er fühlt sich nicht frei? Das sind Gründe die selten behandelt werden. Ich bin ein großer Fan von den Menschenrechten und der Idee dahinter, dass jeder den anderen respektiert, und ich muss ehrlich sagen mir fehlt dieser Grundrespekt, den seh ich nicht." Autor Hannes Niemann ließ sich nach der Mordtat am Gutenberg-Gymnasium nicht mehr die Haare schneiden. Er trägt Rastalocken. Hannes Niemann, ehemaliger Schüler "Und ich meine wir sind nun, durchaus nicht die einzigen traumatisierten Menschen auf dieser Erde. Wir haben einen Schusswechsel miterlebt, ich möchte nicht an die Leute denken, die weltweit den Scheiß jeden Tag mitmachen müssen. Also auch durch diese Relationen, die man sich dann einreden kann zu sagen, es ist doch gar nicht so schlimm, wir leben in einem der sichersten Länder der Welt. Ja. Sowas passiert dir nicht nochmal." Autor Dunblane, Littleton, Erfurt, Winnenden. Silke Bonda hat auch an ihrer neuen Schule eine Amokdrohung erlebt. Ein Schüler kündigte an, sich selbst und andere zu töten. Silke Bonda, Lehrerin "Also es war für mich wie ein Déjà-vu, wie, das ist jetzt nicht wahr, das is irgendwie wie im Film. Das wollt ich überhaupt nicht realisieren und da sind auch sofort die Symptome wieder da, also, das Herzchen bubbert, du bist aufgeregt du hast`n trockenen Mund. Also das so was überhaupt einem selber noch mal passiert. Also du gehst von einer Schule wo Du sagst, ich war noch nicht dran und dann kommst du wieder in so eine Situation rein." Atmo: Klassentür fällt zu/ Schritte im Schulhaus Autor Silke Bonda freut sich auf Erfurt, auf die Berufsschule, in der sie unterrichten wird. Am Gutenberg-Gymnasium zu lehren, kann sie sich nicht vorstellen. Auch wenn ihr der Gang durch das Schulgebäude gut tut. Silke Bonda, Lehrerin (Sie redet beim Gehen) Also ich glaube einfach auch, dass das auch heute einfach für mich nochmal was bringt, für mich selber auch. Das ich mich dem stelle. Und ich kann auch diejenigen verstehen, die einfach sagen, ich hab das für mich irgendwie abgeschlossen und ich möchte darüber einfach nicht berichten, oder erzählen, kann ich gut verstehen. Atmo: Schritte Autor Das Leben vieler Menschen in Erfurt wurde an einem einzigen Tag verändert. Innerhalb von Minuten. 16 Biographien endeten abrupt. -ENDE Beitrag-