COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel Sendung vom 23.6.2013, 17.30 Uhr Wenn der Sponsor stiften geht Sportvereine im Revier bangen um ihre Existenz Autor: Günter Herkel Musik anspielen, unterlegen, zwischen Take 1, 2 und 3 kurz frei stehen lassen Take 1 (0:21) Jasinski: Auf einmal ist die Situation natürlich komplett eine andere. Wo man davon ausging, dass man über zwei, drei Jahre abgesichert ist, mindestens bis den Olympischen Spielen, steht man auf einmal vor der Entscheidung, wenn die dieses Jahr aussteigen, was machen wir dann weiter? Und das ist schon sehr beunruhigend, nicht nur für die Mitarbeiter, auch für die Athleten und für den gesamten Verein. Take 2 (0:18) Huke: ...diese Entscheidungen werden dann ja im Aufsichtsrat getroffen, und da war halt der Tenor, dass man den Sportetat der Stadtwerke deutlich reduzieren muss, und das über alle hinweg, das heißt, auch wir sind oder wären dann sicherlich mit einem sechsstelligen Betrag gekürzt worden. Und das hätte uns das Genick gebrochen. Take 3 (0:18) Oediger: Natürlich sollte immer das Ansinnen sein eines professionell geführten Vereins, die Abhängigkeit nicht an einen einzelnen Sponsor zu koppeln, die Last auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Der Ausstieg oder auch ne Insolvenz, die ja durchaus auch mal möglich ist bei einem Unternehmen, lässt natürlich möglicherweise die Räder komplett still stehen. Autor: Der Trainer, der Vereinsmanager, der Experte - drei Meinungen zu einem Vorgang, der in den vergangenen Monaten Teile der Sportszene in Atem hielt. Es geht um das Schicksal eines besonders traditionsreichen Leichtathletik-Vereins, des TV Wattenscheid 01. Dessen Hauptsponsor, die Stadtwerke Bochum, geriet nach Luxus-Honorarzahlungen an Prominente in die öffentliche Kritik. Jahrelang zahlten die Stadtwerke hohe Summen an Gesprächsgäste beim so genannten Atrium-Talk aus. Auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück kassierte für einen Auftritt 25.000 Euro. In einer Zeit notorisch klammer Kommunen gerade im Revier sorgte das für eine Welle der Empörung. Take 4 (0:04) Hansch: Diese Geschichte mit dem Steinbrück-Talk hat ja einen Riesenwirbel (...) ausgelöst. Autor: Sportreporter und Revierkenner Werner Hansch. Er moderierte jenes Gespräch, das zum Eklat führte. Take 5 (0:13) Hansch: Diejenigen, die da Verantwortung tragen, sind ganz schön unter Druck geraten, und dann haben sie natürlich auch Prüfungen im Hause gehabt. Da wird natürlich jetzt insgesamt geprüft, wie ist das alles zu vereinbaren mit dem Auftrag der Stadtwerke. Autor: Die Stadtwerke Bochum sind ein 100-prozentig kommunales Unternehmen. Bernd Wilmert, Sprecher der Geschäftsführung: Take 6 (0:31) Wilmert: Wir sehen uns in der Pflicht, für den Standort Bochum etwas zu tun als Unternehmen aus Bochum für Bochumer Bürger und Unternehmen, und da ist beispielsweise der VfL Bochum als ehemaliger Erstbundesligist, jetzt noch Zweitbundesligist, vielleicht irgendwann wieder Erstligist, ein wichtiger Imagefaktor für die Stadt. Das Gleiche gilt aber auch für einen der größten Leichtathletik-Vereine in Deutschland, nämlich den Verein Wattenscheid 01, den wir ebenfalls sehr unterstützen. Autor: Rund viereinhalb Millionen Euro beträgt der Etat, den die Stadtwerke Bochum derzeit jährlich in ihre verschiedenen Sponsoring-Aktivitäten stecken. Allein zwei Millionen davon bekommt der VfL Bochum. Auf die Leichtathleten vom TV Wattenscheid 01 entfielen an die 600.000 Euro pro Jahr. Dass neben rein privatwirtschaftlichen auch kommunale Unternehmen als Förderer von Kultur und Sport auftreten, ist nicht ungewöhnlich. Florian Oediger vom Sportmarketing-Magazin Sponsors: Take 7 (0:21) Oediger: Da gibt's durchaus prominente Beispiele, wo die regionalen Stadtwerke, wo der Energieanbieter aus der Region als Sponsor auftritt. Und natürlich ist der Aspekt, den das jeweilige Unternehmen verfolgt, ist in erster Linie die Präsenz bei dem lokalen Fan dann zu zeigen und zu sagen: Hier, ich bekenn mich zu dem Klub, der auch dir am Herzen liegt. Autor: Werner Hansch geht noch einen Schritt weiter. Take 8 (0:36) Hansch: In diesen Städten zwischen Duisburg und Dortmund gibt es im Grunde nur zwei kommunale Institutionen, die im Grunde wie Privatunternehmer agieren, also professionell geführt werden - das sind die Sparkassen und die Stadtwerke. Und die engagieren sich an einer breiten Front in diesen Städten - also nicht nur, weiß Gott, nicht nur im Fußball, sondern auch im kulturellen Bereich. Und wenn sie das nicht mehr täten, dann ging dat Licht aus hier im Ruhrgebiet, da bin ich ziemlich sicher, dass dies so wäre. Autor: Anderswo scheint das schon der Fall zu sein. Im nicht weit entfernten Duisburg hat der dortige Fußball-Zweitligist den monatelangen Kampf um das finanzielle Überleben vorerst verloren. Der Ligaverband verweigerte dem MSV soeben die Lizenz für die kommende Saison. Und das, obwohl die Stadtwerke Duisburg dem Klub Gelder in Höhe von 700.000 Euro stundeten. Zu wenig, um die Lizenzbedingungen der Deutschen Fußball-Liga zu erfüllen. Von solchen Verhältnissen sieht man sich in Bochum noch weit entfernt. Die Sportdezernentin der Stadt, Birgitt Collisi: Take 9 (0:25) Collisi: Wir nennen uns ja auch "Sportstadt Bochum", wir haben eine sehr ausgeprägte Sportlandschaft hier in Bochum. Wir haben, man weiß das kaum, eine Menge Bundesligisten in dieser Stadt beheimatet: im Wasserball, im Billard, da sind wir einer der führenden Vereine hier nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Von daher hat der Sport in Bochum eine sehr exponierte Rolle inne. Autor: Und das zu Recht. Viele Deutsche Meister, Europa- und Weltmeister, selbst Olympiasieger hat die Stadt schon hervorgebracht. Dass dies mehr mit dem Stadtteil Wattenscheid zu tun hat, wissen nur wenige. Take 10 (0:26) Anders: Die Wattenscheider werden nicht so wahrgenommen, auch die Leichtathletik wird in der Presse nicht so wahrgenommen. Aber der Stellenwert ist natürlich beachtlich, weil hier ja auch Weltklasseathleten anzutreffen sind, und das seit 40 Jahren. Das hat natürlich einen Namen. Und in der Leichtathletik an sich ist es ja so, dass der TV Wattenscheid mit Bayer Leverkusen eine der beiden Säulen der deutschen Leichtathletik ist. Diese beiden Vereine stellen fast 25 Prozent der Nationalmannschaft alleine. Autor: Hans-Peter Anders, 2. Vorsitzender des TV Wattenscheid 01. Atmo: Sportplatz, stehen lassen bis Take 12 Autor: Die Bilanz seines Vereins kann sich sehen lassen. An den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr in London nahmen acht Athleten aus Wattenscheid teil. Zu den bekanntesten Aktiven zählen Langstreckenläufer Jan Fitschen, Stabhochspringer Malte Mohr sowie die Top-Sprinter Alexander Kosenkow und Julian Reus. Hoffnungsträgerinnen bei den Frauen sind neben Weitspringerin Sosthene Taroum Moguenara auch die Sprinterinnen Esther Cremer und Maral Feizbakhsh. Der Verein hat ehrgeizige Ziele. Manager Michael Huke: Take 11 (0:14) Huke: Wir möchten mehr Finalisten bei den entsprechenden Jahreshöhepunkten haben, sprich: EM, WM, Olympische Spiele, und natürlich darüber hinaus auch die eine oder andere Medaille soll perspektivisch kommen. Und das ist das Ziel, das wir seit fünf, sechs Jahren verfolgen. Autor: Der Thüringer kam 1991 von Erfurt nach Wattenscheid und war Anfang der 90er-Jahre zweimal Deutscher Meister über 200 Meter. Seit vier Jahren ist er hauptamtlicher Manager des Vereins, außerdem Leistungskoordinator am Bundesstützpunkt. Die meisten Leichtathletik-Vereine konzentrieren sich auf bestimmte Disziplinen. Bei den Wattenscheidern sind dies neben den traditionellen Disziplinen Lauf und Sprung seit einiger Zeit auch Wurf, vor allem Diskus und Kugelstoßen. Take 12 (0:32) Huke: Das ist hier im Prinzip eine reine funktionale Trainingshalle, die auch ausschließlich von unseren Athleten hier genutzt wird. Das ist im Prinzip nur gebaut worden für den Bundesstützpunkt hier in Bochum-Wattenscheid, und diese Anlage wird im Prinzip von ca. 300 - 350 Athleten genutzt, das heißt, Schüler, Jugendliche und natürlich unsere Erwachsenen und Top-Leute, wie beispielsweise dort auch jetzt der Daniel Jasinski, der dieses Jahr schon 64,5 geworfen hat im Diskuswerfen und den Virgilius Alekna geschlagen hat ... Take 14 (0:22) Jasinski: Ich will unbedingt nach Moskau zur WM, und dafür trainier ich hier jeden Tag. Wie groß sind die Chancen? Ja, dieses Jahr können vier Leute starten, da der Harting ne Wildcard hat, von da aus eigentlich relativ hoch. Ich muss halt nur die Norm werfen, von 66 Metern. "Nur" ist leicht gesagt, das ist eigentlich schon ziemlich weit. Autor: Der junge Mann wird von seinem Vater Miroslaw Jasinski trainiert. Dieser kam 1984 als Diskuswerfer aus Polen ins Ruhrgebiet. Der 54-jährige Hüne betreut als hauptamtlicher Trainer Kugelstoßerinnen und Diskuswerfer. Mit seiner aktuellen vertraglichen Situation ist er durchaus zufrieden. Take 15 (0:12) Jasinski: Die ist jetzt zur Zeit sehr gut. Ich hab jetzt meine Verlängerung bis Olympische Spiele 2016, also eine der längsten Verlängerungen, die man bekommen kann, also für Olympiavorbereitung, und damit kann ich leben. Autor: Selbstverständlich ist das nicht. Ein Arbeitsplatz in der Leichtathletik wird in der Regel aus mehreren Quellen finanziert - zu einem Grundgehalt vom Verein addieren sich die Zuschüsse von Verbänden. Üblich sind ein- bis dreijährige Zeitverträge, bestätigt auch Sprinttrainer André Ernst. Take 16 (0:19) Ernst: Hab' momentan einen unbefristeten Vertrag beim Verein. Es hängt natürlich ab, wie man als Trainer finanziert wird. Wenn man direkt vom Deutschen Leichtathletikverband finanziert wird oder teilweise, dann denken die natürlich immer in Olympia-Zyklen, und da sind das dann immer kürzere Etappen, wo man eine gewisse Sicherheit hat, als Trainer in einem Angestelltenverhältnis zu sein. Autor: Eine langfristige abgesicherte Existenz haben die wenigsten. Daher wurde Miroslaw Jasinski auch nervös, als der Hauptgeldgeber seines Vereins nach dem Steinbrück-Skandal eine kurzfristige Verminderung seiner Sponsoringleistungen erwog. Angesichts der prekären Kassenlage hätte das vermutlich dramatische Folgen gehabt. Take 17 (0:24) Jasinski: Das wäre so wahrscheinlich gelaufen wie in sehr vielen kleineren Vereinen, die dann nur eben Honorartrainer haben, die dann nach ihrer getanen Arbeit nachmittags kommen und zwei, drei Mal die Woche Jugend oder sonstige Bereiche betreuen, und das hat dann unterm Strich nichts mit Leistungssport zu tun, natürlich oder Betreuung von Leistungssportlern. Das wär wahrscheinlich nicht mehr gegangen. Atmo: leise Straße Autor: Derzeit beschäftigt der Verein zehn hauptamtliche und 15 Honorartrainer. Der Gesamtetat liegt bei 1,2 Millionen Euro. Lange lebte der Klub von den Zuwendungen des Textilunternehmers Klaus Steilmann. Unter dessen Mäzenatentum blühte die Leichtathletik- Abteilung des Vereins seit 1970 zur heutigen Größe auf. Aber auch die Fußballer der SG Wattenscheid 09 erlebten Anfang der 90er-Jahre in der Ersten Bundesliga einen vier Spielzeiten währenden Höhenflug. Die 125 Erstligapartien, die der heutige HSV-Trainer Thorsten Fink in diesen Jahren für die Wattenscheider als defensiver Mittelfeldspieler absolvierte, bedeuten noch heute Vereinsrekord. Andere bekannte ehemalige Spieler des Vereins: Michael Preetz, Halil Altintop und Marius Ebbers. Später geriet die Steilmann- Gruppe im Gefolge der wirtschaftlichen Globalisierung ins Trudeln, Steilmann zog sich zurück. Die Fußballer der SG spielen mittlerweile in der Oberliga Westfalen. Die durch den Rückzug Steilmanns entstandenen Lücken schlossen die Leichtathleten wieder. Sie gewannen ab 2003 die Stadtwerke Bochum als neuen Haupt- und Trikotsponsor. Vom Gesamtbudget des Vereins trägt dieser Sponsor gegenwärtig etwa die Hälfte. Take 18 (0:22) Wilmert: Ich weiß nicht, ob's 50 Prozent sind oder sogar noch mehr sind. Ich halte das aber für eine nicht gesunde Entwicklung. Wir haben mal hier das Wort geprägt: Die deutsche Leichtathletik ist von zwei Unternehmen abhängig. Es gibt nämlich nur noch zwei Großvereine: Bayer 04 Leverkusen und Wattenscheid 01. Einmal von Bayer Leverkusen und einmal von Stadtwerke Bochum. Das kann es ja - auf uns bezogen - nicht sein. Autor: Stadtwerke-Geschäftsführer Bernd Wilmert. Was jahrelang kein Problem darstellte, ist aber erst nach der öffentlichen Erregung über das Luxus-Honorar an Peer Steinbrück zum Politikum geworden. Oder, wie es die Frankfurter Allgemeine Zeitung ausdrückte: Zitator 1: Der TV Wattenscheid, Kaderschmiede der Leichtathletik, könnte Opfer einer Provinzpolitik werden, die sich vom Promi-Glanz blenden ließ. Autor: Gegen den teilweise populistisch aufgeladenen Druck setzte sich der Klub mit eigener Öffentlichkeitsarbeit zur Wehr. Ralf Schumacher, designierter Schatzmeister des Vereins: Take 19 (0:24) Schumacher: Wir haben alle Aufsichtsräte dann angeschrieben, wir haben unsere Daten ermittelt (...), Einnahmen, Ausgaben, für was welche Beträge sind, haben wir dargestellt und den Aufsichtsräten zur Verfügung gestellt. Um da auch denen klarzumachen, wie wichtig ein Sponsoring ist, auch für den Gesamtverein, für den Behindertensport, Breitensport, etc. Wir haben 380 Schüler hier, das wussten die alle nicht. Autor: Der Klub ist berühmt für seine vorbildliche Talentförderung. Nicht nur Medaillenkandidaten werden hier ausgebildet. Leichtathleten und Fußballer teilen sich auch ein Internat, an dem der sportliche Nachwuchs schulisch betreut wird. Der Andrang ist groß, die Warteliste lang. Jan Fitschen, 10.000-Meter-Europameister von 2006, schrieb vor der entscheidenden Aufsichtsratssitzung der Stadtwerke einen Offenen Brief an die 720 Mitglieder des Vereins. Darin heißt es: Zitator 2: Durch die jahrelange erfolgreiche Arbeit des TV Wattenscheid 01, seiner Angestellten und seiner Athleten, hat in meinen Augen die Stadt Bochum einen riesigen Imagegewinn. Es sind einfach oft besonders zielstrebige junge Menschen, die für den Sport so viel investieren und dann dankbar für die Unterstützung des Vereins sind. Das sind für den Einzelnen speziell in der Leichtathletik minimale Summen und doch machen oft genug gerade diese den Schritt hin zum Spitzensportler erst möglich. Autor: Fitschen weiß, wovon er redet. Er selbst profitierte von den guten Trainingskonditionen, die ihm sein Verein jahrelang bot. Und das zahlte sich bei der Europameisterschaft 2006 in Göteborg aus. Take 20 (0:25) ZDF-Reportage EM 2006 Atmo Stadion, einige Sekunden frei stehen lassen Autor: Im Lohrheidestadion herrscht reger Trainingsbetrieb. Einzelne Sportler drehen ihre Runden, Gruppen von Jugendlichen lauschen den Anweisungen ihrer Trainer. Die Sportstätte ist seit Mitte der 60er-Jahre die Heimat der SG Wattenscheid 09. Dort, wo vor 20 Jahren noch Bundesligafußballer spielten, trainieren jetzt erstklassige Leichtathleten. Tag für Tag. Zum Beispiel Esther Cremer, Olympia-Starterin von London mit der 4x400-Meter-Staffel, in derselben Disziplin auch schon mal Vize-Europameisterin. Seit 2007 läuft die 25-jährige Sprinterin für den TVW, ist eine der 77 vom Verein geförderten Athletinnen und Athleten. Auch sie, so bekennt sie, sei von der plötzlichen Rückzugsankündigung des Hauptsponsors schockiert gewesen. Take 21 (0:09) Cremer: Ja, das war schon erschreckend, weil es wirklich jetzt nicht die Summen sind, die in anderen Sportarten fließen da beim Sponsoring, und auch die am Ende dann bei uns als Unterstützung ankommen. Autor: Gemessen an Handgeldern und Gehältern etwa im Fußball handelt es sich um geradezu lächerlich niedrige Beträge. Im Schnitt, so heißt es von Vereinsseite, erhielten geförderte Sportler und Sportlerinnen nicht mehr als 5.000 Euro pro Jahr. Im Grunde eher ein Art von leistungsorientierter Aufwandsentschädigung. Lediglich auf einige Spitzenathleten dürften höhere Beträge entfallen. Take 22 (0:20) Cremer: In meinem Fall ist es so, dass ich noch studiere, und halt darüber mir das Studium finanziere (weil ich halt zeitlich nicht die Möglichkeit hab, noch'n Nebenjob anzunehmen neben Sport und Studium). Es ist halt so, dass die Unterstützung quasi meinen Lebensunterhalt sichert, sodass ich den Sport in dieser Form überhaupt ausüben kann. Sonst müsste ich eben nen Nebenjob annehmen und müsste demnach halt im Sport dann kleinere Schritte machen und würde eben nicht zu den Erfolgen kommen am Ende. Autor: Die mehrfache Deutsche Meisterin Esther Cremer. Mit vergleichsweise wenig Geld organisiert der Verein für die Athleten darüber hinaus umfangreiche Angebote. Sprint- Trainer Ernst: Take 23 (0:35) Ernst: Man weiß in etwa (...), was kann man für den Bereich der Athletenverpflichtungen ausgeben? Was hab ich an Geld zur Verfügung, mit dem ich Sportler finanzieren kann? Da gehört ja nicht nur ne monatliche Unterstützung dazu, da gehört auch Finanzierung von Physiotherapie, Ärztesachen dazu. Da gehören natürlich auch Trainingslager dazu. Autor: Das Ganze mit einem Etat von gerade mal 1,2 Millionen Euro zu stemmen, erfordert sparsamstes Haushalten. Die Möglichkeiten, zusätzliche Gelder zu akquirieren, sind äußerst dünn gesät. Das gilt speziell für Sportvereine in klammen Regionen wie dem Ruhrgebiet. Wie viele andere Revier-Großstädte wird auch Bochum mit einem Nothaushalt verwaltet. Take 24 (0:08) Collisi: Die Fähigkeit von Kommunen, gerade auch von Kommunen, die finanziell nicht gut aufgestellt sind, diese Vereine zu unterstützen, sind natürlich auch begrenzt. Autor: Bochums Sportdezernentin Birgitt Collisi. Take 25 (0:11) Collisi: Unsere Möglichkeiten, zu fördern, zu unterstützen, besteht eigentlich darin, die entsprechenden Sporteinrichtungen zur Verfügung zu stellen und zu unterhalten. Das erfordert schon ein hohes Engagement. Autor: In einer ungleich günstigeren Situation befindet sich der andere Großverein der Stadt, Fußball-Bundesligist VfL Bochum. Der Klub schaffte in letzter Minute - auch dank des Feuerwehreinsatzes des kurzfristig verpflichteten Trainers Peter Neururer - den Klassenerhalt in der Zweiten Liga. Der Jahresumsatz beträgt 22 Millionen Euro, ein gutes Drittel davon wird durch Sponsoren abgedeckt. Auch der VfL bekommt von den Stadtwerken eine Finanzspritze - jährlich etwa zwei Millionen Euro. Gut angelegtes Geld, findet VfL- Finanzvorstand Ansgar Schwenken. Schließlich sei der Klub ein wichtiger Arbeitgeber, erziele für Bochum positive Imagewerte und mobilisiere bei jedem Heimspiel 20-25.000 Menschen, die Geld in der Stadt ließen. Take 26 (0:21) Schwenken: Deshalb bin ich schon der Ansicht, dass ne Stadt sich, insbesondere, wenn sonst die Entscheidung ist, dass es einen Verein nicht gibt oder womöglich nur in der Dritten oder in der Vierten Liga gibt, mit ner gewissen Investition über ihre kommunalen Betriebe dafür sorgen sollte, dass ein solcher Klub in der Fußball-Bundesliga spielt und somit diese Effekte für die Stadt auch wirklich gegeben sind. Autor: Der Löwenanteil der Stadtwerke-Millionen für den VfL fließt in das so genannte nameright- sponsoring. Das Ruhrstadion trägt den Namen einer Marke des kommunalen Energieversorgers. Take 27 (0:29) Schwenken: Der Stadion-Rechtsname läuft noch bis 2016, also noch ein Jahr länger als 2015. Aber wir wissen natürlich jetzt schon, dass wir uns etwas anders orientieren müssen, weil da die Signale der Stadtwerke schon so sind, dass die in diesem Umfang nicht mehr beim VfL sich engagieren werden. Aber für uns gibt es natürlich in dem Sinne jetzt mit gewissem Zeithorizont auch alternative Planungen, die wir jetzt voranbringen werden. Musik: Grönemeyer-Bochum (3. Strophe, ab ca. 2:50) Autor: Neue Sponsoren müssen also her, aber woher sollen die kommen? Zumal bei Vereinen, deren Popularität und Ausstrahlung kaum über das engere Einzugsgebiet hinausreicht. Stadtwerke-Vorstand Wilmert verweist auf die unterschiedliche Ausgangssituation von großen und kleinen Revier-Bundesligisten. Take 28 (0:22) Wilmert: Borussia Dortmund hat natürlich regionale Sponsoren, aber es ist - genauso wie Schalke 04 - ein Verein mit einer derartig überregionalen, nahezu nationalen Ausstrahlung, sodass die Sponsoren auch nicht nur aus der Region kommen. Das ist beim VfL Bochum und wahrscheinlich bei MSV Duisburg schon ein bisschen anders. Da müssen auch regionale Sponsoren helfen. Autor: Regionale Sponsoren wie eben Stadtwerke und Sparkassen. Was für kleinere Fußballklubs gilt, trifft erst recht auf einen Leichtathletik-Verein wie Wattenscheid 01 zu. Atmo: Sportplatz, bis Take 30 unterlegen Autor: In jüngerer Zeit sind hier sogar neue Hürden für die Suche nach Geldgebern entstanden, meint der stellvertretende Vorsitzende Hans-Peter Anders. Take 29 (0:15) Anders: In der Leichtathletik gab's ja in früheren Jahren immer so Vereine wie Quelle Fürth, Salamander Kornwestheim oder sowas - das gibt's ja gar nicht mehr. Im Rahmen dieser Globalisierung und der Fernsehrechte-Fokussierung auf Fußball wird's immer schwieriger, Firmen zu finden, die sich mit ihrer Region identifizieren. Autor: Daher schätzen sich die Wattenscheider glücklich, neben den Stadtwerken auch die Weltfirma Nike als Ausrüster und Sponsor gewonnen zu haben. Die restlichen Mittel stammen überwiegend aus den Etats des Bundesinnenministeriums und der Sport- Landesverbände. Die Abhängigkeit von einem Großsponsor hat einen weiteren Nachteil. Sie erschwert unter Umständen die Akquise neuer Geldgeber. Manager Huke zur Kehrseite der Medaille. Take 30 (0:15) Huke: Man muss sich da auch nichts vormachen. Das ist natürlich ungemein schwer, neben so nem großen Geldgeber noch jemanden zu finden, der dann nicht ähnlich im Rampenlicht steht, sondern einfach nur einen Bruchteil des Etats ausmacht und vielleicht auch mit auf dem Trikot erscheint, vielleicht aber auch nicht aufm Trikot erscheint. Autor: Um die Sportart besser zu präsentieren und zu bewerben, hat der Deutsche Leichtathletik- Verband eine eigene Vermarktungsorganisation gegründet, die Deutsche Leichtathletik Promotion- und Projektgesellschaft. Manager Frank Lebert weiß um die Grenzen dieser Vermarktung: Take 31 (0:26) Lebert: Die Sportart Leichtathletik findet dann statt, wenn eben die Vereinsathleten bei Olympischen Spielen, WM, in nationalen Einsätzen sind, und dann noch bei der Deutschen Meisterschaft. Dort kann der Verein, einmal im Jahr, bei der Freiluft, dann noch vielleicht bei der Hallen-Meisterschaft den Athleten präsentieren. Das ist gegebenenfalls für Wirtschaftspartner dann zu wenig, wenn es nicht Mäzenatentum ist, sondern wenn wirklich nachgerechnet wird: Was sind die Medienkontakte, die ich da generiere? Autor: Andere Sportarten leben von der ständigen Medienpräsenz, von einem regelmäßigen Spiel- oder Rennplan, von attraktiven Meisterschaften, die sich über eine ganze Saison erstrecken. Gemessen daran ist die Leichtathletik geradezu eine Randsportart. Und das, obgleich sie mit fast 900.000 Mitgliedern den sechststärksten Verband im Deutschen Olympischen Sportbund repräsentiert. Take 32 (0:26) Hansch: Wer will denn noch sponsern, wenn nicht irgendwo mal sein Logo erscheint? Bei einem Leichtathletik-Verein. Ich bin ein alter Freund der Leichtathletik, ich habe noch Länderkämpfe in den 60er-, 70er-Jahren besucht und war immer begeistert. Die gibt's ja heute gar nicht mehr. Im Grunde, wenn nicht gerade mal Olympia ist, ist der übrige Sport, Handball, können Sie nehmen, was Sie wollen, Eishockey, wenn da nicht internationale Meisterschaften sind, ist der Sport tot. Autor: Sportreporterlegende Werner Hansch. Wer die Verantwortung für diese Entwicklung trägt, steht für Hansch außer Frage. Take 33 (0:24) Hansch: Es wird ja heute auf Deutsch gesagt, jeder Furz auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, jeder Fußballfurz, übertragen. Und das hat die Folge, dass Gelder aus der Wirtschaft, von Sponsoren in gebündelter Weise in diesen Sportzweig fließen, und alles andere wird darunter am Boden zertreten, kaputt gemacht. Autor: Klingt übertrieben, hat aber einen realen Hintergrund. Gerade einmal sechs Jahre ist es her, dass die Bayer AG in Leverkusen beschloss, als Hauptsponsor der Profihandballer des TSV Bayer Dormagen auszusteigen. Man wolle, so hieß es damals, sich künftig ganz auf den Fußball konzentrieren. Eine Entscheidung mit fatalen Folgen, erinnert sich Florian Oediger vom Sponsors Magazin. Take 34 (0:19) Oediger: Vereine, die am Bayer-Konzern stark dran gehangen sind wie seinerzeit Bayer Dormagen im Handball, haben diesen Rückzug nicht verkraftet und sind in der Folge dann auch pleite oder in die Insolvenz gegangen. Das zeigt natürlich mal wieder, dass diese Abhängigkeit von einem einzigen Unternehmen für einen Verein auf Dauer nicht gut sein kann. Autor: Die Handballer mussten aufgrund von finanziellen Problemen später sogar die Lizenz für die 2. Bundesliga zurückgeben. In der Saison 2012/13 fand man sich in der Drittklassigkeit wieder. Ganz so schlimm dürfte es bei den Leichtathleten vom TV Wattenscheid nicht kommen. Mitte April fiel die Entscheidung über das neue Sponsoring-Konzept der Stadtwerke Bochum. Insgesamt wird das Budget von 4,5 auf rund drei Millionen Euro reduziert, mit fließendem Übergang. Geschäftsführer Wilmert: Take 35 (0:28) Wilmert: Wir wollen unser Sponsoring bei Wattenscheid 01 zunächst drei Jahre aufrecht erhalten, das sind immerhin 600.000 Euro im Jahr, und es dann runterfahren, nach drei Jahren. Uns schwebt da eine Summe vor von etwa 400.000 Euro. Ich finde, das ist immer noch ein ordentlicher Betrag. Und ich finde, dass man in drei Jahren auch einem so großen Klub wie Wattenscheid 01 zumuten und zutrauen kann, die 200.000 Euro vielleicht anderweitig zu erwirtschaften. Atmo: Sportplatz, unterlegen bis Take 37 Autor: Die Leichtathleten des Vereins nahmen diesen Beschluss mit einiger Erleichterung auf. Ganz beruhigt sind sie indes nicht. Noch hallt in den Ohren der Verantwortlichen eine Äußerung von Norbert Lammert, dem Präsidenten des Deutschen Bundestags, nach. Der CDU-Mann mit Wahlkreis in Wattenscheid hatte im Rahmen der Debatte über das großzügige Stadtwerke-Honorar an Peer Steinbrück grundsätzliche Kritik an der Förderungswürdigkeit bestimmter Spielarten des Sports geübt. Es sei die Frage, so Lammert, in welchem Umfang die Öffentlichkeit Sport fördern solle, der nicht mehr ehrenamtlichem Engagement entspringe, sondern hochprofessioneller Beschäftigung. Der 2. Vorsitzende Hans-Peter Anders kontert. Take 36 (0:21) Anders: Die Gesellschaft muss sich entscheiden: Möchten wir Medaillen in Deutschland, möchten wir Olympiateilnehmer, und wenn sie das wollen, wenn das Konsens ist, und das sieht so aus, dann muss dafür gesorgt werden. Und dann ist der Bereich zwischen ehrenamtlichen Tätigkeiten und Profisport, da ist natürlich noch'n riesiger Bereich dazwischen, der muss natürlich auch dann gefördert werden. Es sei denn, die Gesellschaft sagt, das wollen wir alles gar nicht. Autor: Anders hält nichts davon, Leistungs- und Amateursport gegeneinander auszuspielen. Take 37 (0:19) Anders: Nicht alle Kinder, die hier anfangen, werden auch Spitzensportler. Das müssen sie auch gar nicht. Aber auf dem Weg dahin, auf diesen paar Jahren, die sie hier begleitet werden, werden sie geformt, da erleben sie Sachen, die sie sonst nie erleben würden. Sie nehmen Sachen mit für's ganze Leben, und das ist ein gesellschaftlicher Beitrag, und den kann man eigentlich mit Geld nicht so aufwiegen. Autor: Auch wenn die akute Existenzangst beim TV Wattenscheid einstweilen gebannt ist - der Verein steht nun vor der Aufgabe, die ab 2016 fehlenden Mittel zu kompensieren. Gelingt dies nicht, führt kein Weg daran vorbei, die sportlichen Ziele zurückzuschrauben. Laut Vereinsführung sind inzwischen Gespräche mit einigen potentiellen regionalen Sponsoren in Sicht. In der finanziellen Zwickmühle sind kreative Lösungen gefragt. Take 39 (0:20) Anders: Wir wollen zum Beispiel ne eigene Stiftung gründen, ne TV-Wattenscheid-Stiftung, um den Verein auch nachhaltig aufzustellen, also nicht nur für unsere Generation, sondern für die nächste auch mit. Autor: Bochums Sportdezernentin Birgitt Collisi kann der Debatte auch etwas Gutes abgewinnen. Take 40 (0:22) Collisi: Das ist vielleicht eine Lehre auch, die man aus der ganzen Diskussion hier um die Stadtwerke Bochum ziehen muss, dass wir da die Öffentlichkeit noch besser informieren müssen, was dieses Engagement bedeutet und warum es stattfindet und wofür dieses Geld auch tatsächlich ausgegeben wird. Und deswegen finde ich, dass jetzt mit dem Konzept da ein guter Schritt in die richtige Richtung getan ist. 1