COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Sendung: DeutschlandRundfahrt Oberammergau , 12.12. 2009 Autorin: Nana Brink Redaktion: Sonja Scholz/ Margarete Wohlan Regie: Musik 1. O-Ton: Christian Stückl (Spielleiter) Man merkt bei uns in Oberammergau ganz klar, wie sie ihr Leben nach der Passion ausrichten, man sagt bei uns: Wann hast Du Dein Haus gebaut? Vor oder nach der Passion? Regie: Musik hoch 2. O-Ton: Colonel Baines (Chef der Nato-School) The local people here in Oberammergau are extremely friendly and receptive not only to Americans ... .wir haben viele Besucher zu the passionspiele von der ganze Welt. Regie: Musik hoch 3. O-Ton: Andreas Richter (Jesus-Darsteller) Also wir sind ja schon einmal gekreuzigt worden zur Vorbereitung ... es ist unfassbar unangenehm, da oben zu hängen. Regie: Musik hoch 4. O-Ton: Annelies Zunterer Es ist ein Opfer, vor allem für die Männer, also mein Mann, der hat so fürchterlich grade Haare (lacht) ... meine Schwägerin hat zu mir gesagt, sie geht mit ihrem Mann dieses Jahr nicht in Urlaub. Regie: Musik hoch SpvD: (Un)heilige Bärte ? der Passionsort Oberammergau in Bayern. Eine DeutschlandRundfahrt mit Nana Brink. Atmo 1: Musik aus Laden in der Dorfstraße Autor: Hier scheint die Welt noch in Ordnung. Der Himmel ist blau und die Bergspitzen weiß. Die Zwiebeltürme der Kirche leuchten golden und die Dächer der Häuser ziegelrot. Aus jedem zweiten Haus riecht es nach Mittagessen. Gemütlich. Ordentlich. Bayrisch. ? In neun von zehn Jahren stimmt das. Nur in diesem zehnten Jahr ist alles anders. In der Bank stehen Männer mit Anzügen und schulterlangen Haaren am Schalter und grüßen, als wäre nichts geschehen. Beim Metzger steht der Chef mit Pferdeschwanz hinter der Theke. Der Frisörgeselle hat einen Bart, der ihm das halbe Gesicht verdeckt. Seine Chefin lacht und fönt einem Herrn in Trachtenjacke das lange blonde Haar. Atmo 2: Fön im Salon Kretschmer 5. O-Ton: Gabi Daisenberger, Frisörmeisterin Also es ist allwei wieder interessant, wie die Bärte die Männer entstellen zum Teil, sodass man sagt, wer ist denn das? Den kenne ich ja gar nicht mehr? Oder das lange Haar bei manchen Frauen wirkt? Manchen steht es auch gut. Auch bei manchen Männern, die haben ein ausgesprochenes Bartgesicht, wenn der Bart gepflegt ist, also ich bin überzeugt, dass manche bei ihren langen Haaren bleiben, weil sie ihnen gut stehen. Autor: Gabi Daisenberger, die Besitzerin des Salon Kretschmer in Oberammergau, amüsiert sich über die Bartgesichter, die sie gerade sieht. Eigentlich müsste sie besorgt in die Zukunft blicken, denn ihr Frisörsalon ist wahrscheinlich das einzige Geschäft, das im Jahr 2010 nicht gerade boomen wird im bayrischen Passionsort Oberammergau. Alle zehn Jahre spielen die Oberammergauer die Leidengeschichte Christi. Auch die Frisörfamilie - seit 1925 in der Dorfstraße ansässig - spielt mit. Viermal war Gabi Daisenberger schon dabei. 6. O-Ton: Gabi Daisenberger, Frisörmeisterin Ich bin damit aufgewachsen, meine Familien ist sehr traditionsverbunden mit der Passion, da führt kein Weg daran vorbei ... Na na, es gibt für uns immer Arbeit, sei es die Bärte trimmen, Spitzen schneiden, formen, die Damen kommen mit ihren langen Haaren zur Haarpflege, Hochstecktipps, Haarschmuck und etliche sind ja auch bei de Passion dabei, die keinen langen Haare brauchen, zum Beispiel die Römer, die Sanitäter, das Bühnenpersonal, der Chor im Übrigen braucht auch keine langen Haare, insofern haben wir schon noch ein paar Kunden. Atmo 3: Fön im Salon Kretschmer Autor: Knapp ein halbes Jahr vor der Premiere am 15.Mai 2010 haben sich die Oberammergauer in eine Hippie-Gemeinde verwandelt, - zumindest äußerlich. Wer dem haarigen Geheimnis auf die Spur kommen will, muss den "Aufruf an die Mitwirkenden der Passionsspiele 2010" lesen, der auf großen Plakaten überall im Dorf hängt: Sprecher: Alle weiblichen und männlichen Mitwirkenden und alle Kinder, die an den Passionsspielen teilnehmen, werden vom Spielleiter und der Gemeinde Oberammergau aufgefordert, sich ab Aschermittwoch, den 25. 2. 2009 die Haare, die Männer auch die Bärte, wachsen zu lassen. Autor: Das ist kein Spaß. Die Oberammergauer nehmen das bierernst. Seit 1635 befolgen sie haarklein das Gelübde, das ihre Vorfahren abgelegt haben. Sie schworen, jedes zehnte Jahr ein Passionsspiel aufzuführen, wenn nur der Herrgott sie von der Pest befreien würde. Der Herrgott hatte ein Einsehen, - und die Oberammergauer spielten. Atmo 4: Kirchenglocken 7. O-Ton: Anton Preisinger, "Alte Post? Tradition hat etwas mit den Wurzeln zu tun, wo komme ich her und wo gehöre ich auch hin ... wobei Tradition nicht Steifes ist, das lebt ja auch immer in den jeweiligen Personen weiter, und entwickelt sich weiter und das ist auch das Wichtige bei der Tradition, das man nicht stehen bleibt und das man sich auch nicht von den Leuten entfremdet, sondern dass man ganz nah bei ihnen bleibt und dann kann sie auch gelebt werden die Tradition. Atmo 5: Telefon an der Rezeption Autor: Anton Preisinger leitet die "Alte Post", - das, wie man annimmt, mit 500 Jahren älteste Gasthaus in Oberammergau. Gleich neben dem Gastraum mit der jahrhundertealten Holzdecke ist ein Internet-Cafe. Gelebte Tradition meint Anton Preisinger und fährt sich durch die langen blonden Haare. Er ist der vierte Anton, der das Geschäft leitet, - der fünfte, gerade 11 Jahre alt, rennt über den Hof. Auf dem Familienportrait, das neben der Rezeption hängt, sieht man drei Anton Preisinger' mit langen blonden Haaren, Bärten und wallenden Gewändern. 8. O-Ton: Anton Preisinger, "Alte Post? Genauso ähnlich wie das Hotel eine Tradition hat, ist bei uns in der Familie auch das Passionsspielen eine Tradition, - warum immer so die Passionsspiel- Tradition immer in bestimmten Familien so stark ist, ich weiß es auch, ob es genetisch bedingt ist, das man da so ein Theaterspiel- Gen hat, vielleicht auf Grund dessen, dass man es vom Vater oder vom Großvater vorgelebt kriegt und man deshalb einen Bezug hat, - ich weiß es nicht. Aber Tatsache ist, dass schon mein Großvater Christus-Darsteller war und Spielleiter, mein Vater hat zweimal den Pilatus gespielt, eine Hauptrolle, und ich hab dann 1990 eine kleine Rolle, 2000 Judas und jetzt die Rolle des Hohen Priesters Kaiphas. Atmo 6: Kirchenglocken (mit Auto) Autor: Im nur fünfzehn Kilometer entfernten Garmisch-Patenkirchen sagt man: Die spinnen die Oberammergauer mit ihrem Theaterspielen. Ein bisserl Neid spielt da vielleicht auch eine Rolle. Alle zehn Jahre blickt die Welt auf das kleine Dorf am Rande der Alpen. Um die Pest geht es in den Zeiten von Hühner- und Schweinegrippe schon lange nicht mehr. 9. O-Ton: Annelies Zunterer Auf das Gelübde können wir uns nicht mehr berufen, 1634 meine Vorfahren waren ja sogar bei dem Schwören dabei. Jede liebgewordenen Tradition wird weitergeführt, auch wenn sie noch was bringt, früher waren sie arm und dann sind die Leut gekommen. Die Handwerker haben sich von dem Honorar ein kleines Haus gebaut. Die Begeisterung fürs Theaterspielen ist ja nicht nur bei uns, im Alpenrand haben es ja so viele gemacht, auch Passionsspiele, aber so durchgehend wie wir hat des niemand zusammengebracht, gell? Autor: Dass die Oberammergauer als bisweilen renitent gelten, kann man an Annelies Zunterer sehen. Zusammen mit ein paar Frauen hat sie sich vor 20 Jahren das Recht erstritten, mitzuspielen. Ein Recht, dass verheirateten Frauen bis dato vorenthalten worden war. Eine von vielen Merkwürdigkeiten, die sich um die Passionsspiele ranken. Oder besser gesagt: um Oberammergau, ein 5.000-Seelen-Dorf im tiefsten Bayern, in dem nicht nur Männer lange Haare tragen, sondern auch fremde Sprachen sprechen. 10. O-Ton: Colonel Mark Baines, Commandant Nato-School We are very lucky to be here in Oberammergau, - although we pride ourselves on the quality of the instruction we provide here in the Nato-School, the beautiful surroundings we have here in Oberammergau are clearly a benefit and when our students come they enjoy the beauty of nature and the ourdoors here as well. (eventuell unterlegen unter Autor) Autor: Zusammengefasst sagt Colonel Mark Baines: Oberammergau ist toll und wir sind total gerne hier. Die Amerikaner lieben Oberammergau. Seit der Besetzung der Gebirgsjäger-Kasernen nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie einen Koffer hier. Deshalb dreht sich auch kein Einheimischer nach den vielen Uniformträgern um, die das Dorf bevölkern. Heute residiert die Nato-Schule in den alten Gebäuden. High-Tech-Ausstattung im ehemaligen Pferdestall. Tradition nennt man das in Oberammergau. Die Kinder des amerikanischen Kommandanten dürfen sogar bei der Passion mitspielen. 11. O-Ton: Christian Stückl, Spielleiter Ich glaube schon, dass das Passionsspiel so etwas wie Heimat ist, dass da plötzlich Menschen beinand sind, der 17jährige mit dem 75jährigen in einer Gardarobe, die haben sonst nicht zum Tun miteinander, die proben miteinander, die spielen Theater miteinander, die gehen aber auch gemeinsam auf ein Bier, die erleben eine Geschichte, die erleben ihre eigene Geschichte innerhalb eines Theaterstücks, und man merkt bei uns in Oberammergau ganz klar, wie sie ihr Leben nach Passion ausrichten, man sagt bei uns: Wann hast Du Dein Haus gebaut? Vor oder nach der Passion? Wann hast Du Dein Kind gekriegt? Vor oder nach der Passion? Der Passion, wie es bei uns heißt, des ist so der Dreh- und Angelpunkt einer jeden Familie eigentlich. Autor: Keiner könnte Tradition besser erklären als Christian Stückl. Hier geboren, erfolgreich als Intendant des Münchner Volkstheaters, leitet er zum dritten Mal seit 1990 die Passionsspiele. Er hat sie revolutioniert und ? das ist nicht zuviel gesagt ? damit gerettet. Atmo 7: Kirchenglocken Musik Paul van Dyk, "Between", Take 1 "Haunted" Atmo 8: Im Café Autor: Ein kleines Café in Oberammergau. Ein großer Mann mit auffallend kurzen schwarzen Haaren stürmt herein, den letzten Rauch seiner Zigarette auspustend. Man sieht ihm an, dass er keine Zeit hat. Er kommt aus München zurück in sein Heimatdorf. 12. O-Ton: Christian Stückl, Spielleiter Manchmal verwundert man sich, wie schnell es gegangen ist, ich bin 1986 als jüngster, der jemals Passionsspiele gemacht hat, zum Spielleiter gewählt worden, mit 24 Jahren und jetzt bin ich 48 und ich denk mir, ja meine Güte, wie schnell ist die Zeit vergangen und ich stehe vor dem dritten Passionsspiel, ein richtiges Resümee kann ich gar nicht ziehen, denn das Spannende ist, wir machen alle 10 Jahre Passionsspiel und alle 10 Jahre fangst wieder neu an und alle 10 Jahre fragst dich wieder, wie erzähle ich die Geschichte von Jesus, wie gehe ich es an, man bildet das Team wieder, man setzt wieder an, man geht auf Darstellersuche, man weiß auch, der letztjährige Christus kann es nicht mehr werden, dann muss man einen neuen suchen und man ist immer neu dran an der Sache und deshalb will ich gar kein Resümee ziehen, wir sind direkt davor, etwas Neues zu machen. Atmo 9: Im Café Autor: In der Hand hält Christian Stückl ein kleines, unscheinbares, weißes Buch, - den Text für die diesjährigen Passionsspiele. Ein Jahr hat er zusammen mit dem Dramaturgen Otto Huber daran gearbeitet. Aber eigentlich schon viel länger. Seit seiner Jugend beschäftigt den waschechten Oberammergauer Stückl das Passionsspiel 13. O-Ton: Christian Stückl, Spielleiter Für uns Kinder war das eine verrückte Geschichte, ganz klein, wie wir waren, 1970 wie ich als 8jähriger dabei war, da war es spannend, zu erleben, wie der Jesus ans Kreuz genagelt wird, wie des funktioniert mit dem Blut hinmalen, da war es spannend, dass der Opa einen mitgenommen hat in die Kantine zum Würschtelessen, also da hat man das Theater erlebt als so was, da ist immer was los und ich glaube, ich habe die zweite Klasse in der Volksschule gar nicht miterlebt, die ist an mir vorbeigegangen, weil ich war ununterbrochen im Passionstheater draußen, und dann war mein Großvater Kaiphas, dann war mein Vater Kaiphas, und ich habe als Jugendlicher gemeint, Kaiphas ist ein Erbbauernhof, den kriege ich auch einmal und ich bin also mit einer langen Familientradition in dieses Spiel hineingewachsen. Atmo 10: Im Café Autor: Als das Würschtelessen nicht mehr so wichtig ist, guckt Christian Stückl über den Bergrand, geht nach München, macht Karriere und kehrt als berühmter Regisseur zurück. ? Klingt gut nicht? Er lacht und "gabelt" mit beiden Armen in der Luft. Das "Gabeln" ? das Rudern mit den Armen, eine beliebte Geste von Laiendarstellern ? hat er seinen Schauspielern schon bei der ersten Probe Ende November abgewöhnt. Stückl ist ein Theater-Besessener, - und die Passionsspiele sind seine Leidenschaft. Unter dem geht nix. Was erwarten Sie bei einem Stück, dass 375 Jahre alt ist, ruft er! Ist das nicht wahnsinnig? Ein Häuflein pestkranker Oberammergauer schwört 1632, alle zehn Jahre ein Passionsspiel aufzuführen. ? Und sie tun es immer noch. 14. O-Ton: Christian Stückl, Spielleiter Wir haben ja eine ganz ganz lange Geschichte mit dem Passionsspiel und durch ganz viele Zeiten gegangen, 1770 ist es verboten worden, weil die Aufklärung kam und man gesagt hat, das ist eigentlich was von vorgestern, das haben wir überlebt, ... und dann kam auch das Dritte Reich und das Dritte Reich war sicher nicht ganz rühmlich für Oberammergau, weil später hat es dann geheißen, das Spiel wurde von Hitler vereinnahmt, aber die Oberammergauer haben sich auch vereinnahmen lassen, das ist ja immer so ein Geben und Nehmen gewesen, und nach dem II Weltkrieg war natürlich klar, das Passionsspiele in ihrem Wesen schon mal von vornherein etwas Antijüdischen haben, weil die letzten Tage Jesus, man erzählt, wie der jüdische Mob um es einmal so zu nennen, ans Kreuz mit ihm schreit, .. und nach 1950 hat ein Umdenken eingesetzt, geht es darum, dass man gegen ein Volk etwas erzählt oder geht es um etwas anderes. Und meine Generation war wirklich die erste, die gesagt hat, wir müssen völlig umdenken. Atmo 11: Im Cafe Autor: Das "Umdenken? ist nicht gerade eine bayrische Tugend. Auch nicht in Oberammergau. In den 60er und 70er-Jahren schließlich boykottieren viele Amerikaner die Passionsspiele. Das American Jewish Committee und die Anti-Defamation League protestieren gegen die judenfeindlichen Passagen. Christian Stückl hat sie nicht nur entfernt, - er hat sozusagen gegen den katholischen Strich gedacht. 15. O-Ton: Christian Stückl, Spielleiter Ich bin dann mit den Hauptdarstellern nach Israel gefahren, wir haben gesagt, wir müssen ein anderes Verhältnis zur Sache kriegen, wir müssen kapieren, dass die Geschichte eine rein innerjüdische ist, das ist keine Geschichte Christen gegen Juden, sondern das ist eine rein innerjüdische Geschichte, Jesus war vom ersten Tag bis zum letzten Tag ? der hat keine Kommunion gehabt, sondern mit 13 Bar Mizwa gehabt ? er war vom Zehennagel bis ins Haarspitzerl Jude und das erst mal in die Köpfe reinzubringen, und da Änderungen zu bewirken, das ist eine Aufgabe, die bis heute nicht fertig ist. Musik (Passionsspiele 2000 ? Take 10, Musik zum Auftritt des Hohen Rates) Atmo 12: Musik auf der Bühne im Passionsstheater 16. O-Ton: Carsten Lück, Technischer Direktor Wir gehen jetzt vom Mitgliederbereich auf die Bühne, das geht relativ schnell, ganz schnell draußen ist, man kommt dann in den Freiluftbereich, ab hier regnets, wenn es regnet ... wie beim Fußballspiel, die Zuschauer sind unter dem Dach und die Spieler sind auf dem offenen Rasen ... es ist eine Besonderheit der Oberammergauer Bühne, dass wir selbst bei Regen noch weiter spielen. Atmo 13: Bühne ? ziehen Drahtseile hoch Autor: Es regnet zwar nicht auf der Bühne des Passionsstheaters, dafür nähern sich die Temperaturen der null Grad Marke. Carsten Lück, technischer Direktor im Passionsstheater, hat für den atemberaubenden Blick kein Auge. Über den neuen sandfarbenen Kulissen sieht man die Berge. Manchmal ist der Himmel so blau wie der Boden des Theaters. Und die Sterne funkeln! Carsten Lück grinst: Passionsromantik ... 17. O-Ton: Carsten Lück, Technischer Direktor Die Empfehlung ist, sich nicht unbedingt festlich anzuziehen, sondern warm anzuziehen und eine Decke mit zunehmen, und sich einzumümmeln, weil 5 Stunden zu sitzen, ist in den Bergen, ganz wenige Tage im Jahr, wo man wirklich abends ohne Decke auskommt. Atmo 14: Akkuschrauber auf der Bühne Autor: Der Wind pfeift eisig durch die Kulissen. Momentan wird an den Olivenbäumen gearbeitet, - meterhohe Stahlgebilde, die bald ihre Blätterwerk bekommen. Es riecht nach frischer Farbe. Ein kurzer Blick auf die Olivenbäume und Carsten Lück verschwindet eilig hinter der Bühne. 18. O-Ton: Carsten Lück, Technischer Direktor Passionsstheater Express ... . das ist der Mann ... (Werkstatt-Geräusch) ... Ingrid grüß Dich ... normalerweise sind hier immer auch Führungen für Touristen, die sich das Passionstheater anschauen, ständige Ausstellungen ... das ist der Abendmahlstisch, den man immer wieder hernimmt, der ist schon über 200 Jahre alt und das ist Tradition, dass man den immer wieder nimmt, das ist das älteste Teil, das hier verwendet wird und deswegen diskutiert man über diesen Tisch gar nicht, das ist einfach der Tisch, den man braucht. Autor: Auf dem mächtigen Holztisch steht ein siebenarmiger jüdischer Leuchter. 19. O-Ton: Carsten Lück, Technischer Direktor Man hat angefangen, der Christian Stückl, 1990 die 12 Apostel und den Jesus als Juden darzustellen, das waren nicht die ersten Christen, sondern sie waren Juden, die etwas verändern wollten im Judentum, wichtig, das man das darstellt, dass sie Gebetsschäle tragen, dass auf dem Abendsmaltisch die Menora steht, dieser jüdische Kerzenleuchter und das es nicht das Abendmahl ist, sonder das Peschamahl ... und es ist wichtig, dass man es merkt. Autor: Carsten Lück weiß ziemlich genau, wovon er spricht. Wenn die Olivenbäume fertig sind, schlüpft der Bühnenmeister in die Rolle des Judas. Eine Paraderolle, sozusagen der Gegenpart zu Jesus. Viel Zeit zum Sinnieren hat Carsten Lück momentan nicht, - es klemmt auf der "Eselsbrücke?. Atmo 15: Arbeiter tragen schwere Kiste hoch 20. O-Ton: Carsten Lück, Technischer Direktor Wir haben natürlich auch Tiere auf der Bühne, ist eine Besonderheit, wir haben Schafe und Esel, Ziegen und Hühner, eventuell dieses mal auch ein Kamel, deswegen ist auch die Eselstreppe mit der Tür auch etwas höher gemacht worden, damit ein Kamel reinpasst und das ist eine Besonderheit der Freilichtbühne, dass Tiere mit rausgehen können. Atmo 16: Musik auf Bühne Autor: Wie ihre menschlichen Kollegen, dieses Mal rund 2.500, - das ist die Hälfte der Bevölkerung. Wahrscheinlich ist Oberammergau das Dorf mit dem weltgrößten Laientheater. 21. O-Ton: Christian Stückl, Spielleiter Wenn man es von der Seite sieht, stimmt der Begriff total. In München bin ich am Volkstheater beschäftigt, aber in Oberammergau mache ich Volkstheater, also weil es wirklich so ist, dass ein ganzes Dorf, 2500 Menschen mit Kinder, Erwachsene, Alte, alle gemeinsam da auf der Bühne stehen, erst mal ein halbes Jahr proben und dann ein halbes Jahr aufführen, gemeinsam eine große Geschichte erzählen, gemeinsam Theater machen. Musik Manu Dibango, "Soul Makossa" ? "Sunday Morning" Take 8 Atmo 17: Gong der Nato-Schule und Stimmengewirr Autor: Deutschlandrundfahrt, Oberammergau in Bayern. - Am Rainenbichl 54, - so die offizielle Adresse der ehemaligen Gebirgsjäger- Kasernen, die sich ? aus der Ferne betrachtet ? wie kleine Streichholzschachteln an den Hang schmiegen. In einem umgebauten Pferdestall sitzt Colonel Mark Baines. 22. O-Ton: Colonel Mark Baines Ich werde mit der Bürgermeister in die erste Nacht gehen ... ja ist für mich eine Traum, das ist Spass und für meine Familie auch ... wir haben viele Besucher to the passionsspiele von der ganze Welt, glaube ich. Autor: Colonel Baines ist nicht, wie man vermuten könnte, ein Touristenführer für amerikanischen Passions-Fans, die immerhin bis zu 40 Prozent des Publikums ausmachen, dass 2010 auf eine halbe Million geschätzt wird. Colonel Baines, klein, drahtig, in oliv-grauer Flecktarn-Uniform, leitet die Nato-Schule in Oberammergau. 23. O-Ton: Colonel Mark Baines Die Amerikaner haben hier angefangen nach der Zweite Weltkrieg, 45 bis 75 wir haben besetzt diese Gebäude hier und eine kleine kleine Schule und dann von 75 bis heute das war mehr in Richtung Nato, eine deutsche und amerikanische Schule gebaut hat. Autor: Anscheinend muss in Oberammergau alles groß sein, - das Passionsspiel und ? natürlich auch die Nato-Schule. Über 10.000 Studenten aus den Streitkräften der Nato-Mitgliedsländer kommen jedes Jahr in das kleine Dorf Oberammergau. Seit 1953 finden hier Schulungen statt zu Politik und Strategie der Nato. 24. O-Ton: Colonel Baines Unsere Gesicht ist ein bisschen kompliziert, - aber sehr interessant, wir sind bei der USA und Deutschland organisiert, - wir haben direkt Kontakt mit Nato in Brüssel und so viele ideas und operational guidance comes from Nato itself. Autor: Colonel Baines Gesicht wird jetzt ernst, - die Passionsspiele, über die er eigentlich lieber spricht, sind "fun", - aber hier geht es um ein anderes "theatre", wie er auf Englisch sagt. 25. O-Ton: Colonel Mark Baines It is a priority, - the Nato nations support Nato operations in Afghanistan, it is very important for the school first to get a level of instructions prior to the deployment of the operation theatre and that's why we seeing so many students coming to the Nato School in Oberammergau this days (eventuell unter Autor legen). Autor: Viele Nato-Staaten, die sich militärisch in Afghanistan engagieren, schicken ihre Leute nach Oberammergau. Was sie hinter den oft verschlossenen Türen lernen, ist militärisches Geheimnis, - und das sol es auch bleiben. Nur manchmal kann man einen Blick auf die afghanische Landkarte werfen, die im Hintergrund eines hochmodernen Hörsaals flimmert. Atmo 18: Gong und Stimmengewirr (lauter) Autor: Mittags in der Kantine herrscht ein babylonisches Sprachengewirr. Zwischendurch ruft einer auf Englisch, - der offiziellen Schulsprache. Did you see the montains? Hast du die Berge gesehen? Heute ist Fön, eine gewöhnungsbedürftige bayrische Wetterlage, die allerdings viel Klarsicht ermöglicht. Eine kleine Gruppe von Uniformierten steht an der Fensterfront und ? bestaunt die Berge. 26. O-Ton: Colonel Mark Baines Meine Familie und ich findet alles hier in Oberammergau so wirklich schön, die Natur, wir machen viel Sport, Skifahren, Schwimmen, Spazieren, ich laufe jeden Tag, frische Luft, gute Restaurant, schöne Leute, - ist alles hier für uns super, wirklich ein Traum für uns, hier drei Jahre zu leben. Autor: Eigentlich, sagt Colonel Baines, ist Oberammergau ein kleines Stück Amerika in Bayern. Atmo 19: Kuckucksuhr 27. O-Ton: Claus Gründl, Eisenhower-Museum Ja bitte Ladies first ... .(Tür auf) ... .Hereinspaziert ... das ist der allererste Raum des Museums ... ..auf English heißt es ja gift shop, mein Büro, mein Arbeitsbereich, Postkartenkarten von Eisenhower gemischt mit Fotos und das wunderschöne Gemälde, der Mississippi Dampfer, - von meinem Bruder und mir. Autor: Wenn man von der Nato-Schule den Berg hinunterfährt, stößt man direkt auf den größten Fan der Amerikaner in Oberammergau, - Claus Gründl. In seinem Haus hat Gründl ein "Eisenhower-Museum" eingerichtet. 28. O-Ton: Claus Gründl Meine Welt war eh amerikanisch, meine Freunde, das Essen, die Gerüche, einfach alles, eine amerikanische Insel in Bayern und so habe ich mir Eisenhower als meinen Helden ausgesucht. Atmo 20: Big-Band-Sound im Raum Autor: Gründls Vater führte das "Haus Florian" in Garmisch Patenkirchen, - ein berühmtes Feriendomizil amerikanischer Befehlshaber seit dem Zweiten Weltkrieg. Auch Dwight D. Eisenhower wohnte hier mit seiner Familie, als er noch General und nicht Präsident der Vereinigten Staaten war. Penibel hat Gründl Eisenhowers Geschichte recherchiert, - von der kopierten Geburtsurkunde, Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg bis zu Stickern "I like Ike" aus seiner Präsidentschaft in den 50er-Jahren. Atmo 21: Stimme von Eisenhower Autor: Selbst Historiker sind beeindruckt von Gründls Sammlung, - sogar Eisenhowers Stimme hört man in einem Raum. Auf das Paradestück der Sammlung, ein Ölgemälde, ist Gründl besonders stolz, auch wenn es weniger einen historischen denn einen ideellen Wert hat. Auf dem Bild meint man Gründl selbst zu sehen: schmales Gesicht, blonde Haare, blaue Augen. 29. O-Ton: Claus Gründl Eisenhower kam, das war 1951, da war er Oberbefehlshaber der Nato, da kam er nach Garmisch Partenkirchen auf Urlaub, und da ging er Fischen ... er hat auch gern gekocht und auch das Malen von Ölbildern, seit 1948 und so kam er auf die Idee, meinen Papa zu malen, da sieht man jetzt hier das Bild, DE, Dwight Eisenhower. Autor: Stolz steht Claus Gründl vor dem Portrait seines "Papa". Und wirkt fast ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Seine Zeit, das wären die 50er-Jahre gewesen, als die Welt noch in Ordnung war für die Amerikaner und die Oberammergauer. In der Chronik der Passionsspiele gibt es ein Bild von 1950, dass Eisenhower mit seiner Frau Mamie beim Besuch der Passionsspiele zeigt. Angeblich. Nichts würde Claus Gründl lieber glauben: Sein amerikanischer Held zusammen mit Bundeskanzler Adenauer bei den ersten Spielen nach dem Krieg. 1940 nämlich fielen die Passionsspiele aus, - die Männer waren weg. Nur einmal sind die Spiele noch ausgefallen, - das war 1770. Man nimmt es hier in Oberammergau sehr genau mit diesen Daten. Nun also das Foto ? von Eisenhower und Mamie. Claus Gründl zweifelt, dass sein Held wirklich bei den Passionsspielen war, denn 1950 ... . 30. O-Ton: Claus Gründl ... kamen Eisenhower, Mamie und die Schwiegermutter in das Hotel Alois Lang nach Oberammergau, das war früher ein wunderschönes First-Class- Hotel, also jeder im Dorf kennt das noch mit dem schönen Garten davor und da haben wir ein Foto, wie Eisenhower und Mamie den Haupteingang verlassen, hier haben wir das Foto ... Foto passt nicht zur Jahreszeit. Musik (The Presidents of the United States of America, "These are the good times People?, Take 4, "More Bad Times") Atmo 22: Im Café Autor: Der Intendant des Münchner Volkstheaters rutscht unruhig auf seinem Cafehausstuhl herum. Neben ihm liegen zerfledderte Probenbücher. Hier in Oberammergau nennen sie ihn nur ? den Stückl, Christian. Zum dritten Mal schon leitet er die Passionsspiele. 31. O-Ton: Christian Stückl, Spielleiter Und oft fragen mich Leute, warum machst Du das immer noch, das bringt Dich doch künstlerisch gar nicht weiter, aber dann sage ich: Das versteht kein Mensch, das musst Du hinein gewachsen sein. Ich hab als Kind ? wir haben ein Wirtshaus ghabt ? immer am Stammtisch zugehorcht, wenn über die Passion geredet worden ist, also das war für mich total spannend für mich, was in Sachen Passion sich bewegt. Jetzt hat es 1970 ein Forderungskatalog von der Antidefamation League, der jüdischen Organisation gegeben, was die Oberammergauer zu ändern haben, ich bin mit dem Forderungskatalog umher gelaufen ganz geschäftig als 12jähriger, jaja ich habe kapiert, was Antijudaismus ist und ? ganz kapiert habe ich es natürlich nicht, aber man ist so richtig hineingewachsen, jeder auf unterschiedliche Weise. Atmo 23: Im Café Autor: Christian Stückl hat die Passionsspiele nicht nur vom Ruch befreit, ein anti-jüdischen Stück zu sein. Ganz nebenbei hat er den eher konservativen Oberammergauer auch etliche Neuerungen zugemutet. Neben ihm sitzt Abdullah Karaca, - sein Regieassistent. 32. O-Ton: Abdullah Karaca Der Christian hat mich dann in der Schule beim Chorsingen entdeckt sozusagen und hat mich dann gefragt, warum ich kurze Haare habe und dann meinte ich, dass ich nicht mitspiele, deswegen habe ich kurze Haare gehabt und er meinte dann, - wieso ich nicht mitspiele, ja weil ich Moslem bin und dann ist er zu meinen Eltern, meine Mutter hatte eine Schneiderei, gefahren und hat dann versucht, meinen Vater zu überreden, hat dann auch geklappt, na war super. und gleich dran: 33. O-Ton: Christian Stückl, Spielleiter Ach es war gar nicht so schwierig, ich bin dann zwei-, dreimal zu ihm gegangen und habe mir ganz genau gemerkt, die Mutter will es sowieso schon, - also ich habe die Mutter gleich auf meiner Seite gehabt, weil ich ihren Sohn gelobt habe, der Vater war ein wenig skeptisch, aber wenn der Chef sagt, der Abdullah soll spielen, dann soll der Abdullah spielen, aber er hat dann schon ganz klar gesagt: Mach ihn nicht katholisch! (Lachen) ... Also ich habe es ihm dann versprochen, er darf Moslem bleiben. Atmo 24: Im Café Autor: Auch Hürseyn Pekamarat, der Hausmeister der Schule in Oberammergau, ist natürlich noch Moslem. Als er ins Cafe kommt, grüßen ihn alle. Jeder kennt ihn hier im Dorf. Geboren in Istanbul, lebt Pekamarat seit 40 Jahren in Oberammergau. Theoretisch hätte er längst mitspielen können. Alle die hier geboren sind oder seit 20 Jahren hier leben, haben eine Spielberechtigung. Und es steht nirgends geschrieben, dass ein Moslem nicht bei den Passionsspielen dabei sein darf. Zumindest nicht auf Papier. 34. O-Ton: Hürseyn Pekamarat, Hausmeister Aber ich habe einfach nicht getraut, da spielen 2000 Leute mit und der eine oder andere hat vielleicht was dagegen, dass ich mitspiele und daher habe ich mich nicht so recht getraut und dann war der Christian Stückl mal eines Tages bei mir vor der Türe gestanden, ob ich meine Ängste schon abgelegt habe und ja , ich weiß und er, ja komm, mach da mit und wenn was ist, dann können wir immer noch reden und so kam es, dass ich mitgespielt habe ... Ich war Römer, ich bin Soldat ... (lacht) ... ich habe mir sagen lassen, die Römer waren früher auch so dunkel wie ich ... (lacht) ... Atmo 25: Im Café Autor: Heute lachen alle über diese Episode. Hürseyn Pekamarat und Abdullah Karaca haben Schlagzeilen in den Boulevardzeitungen geschrieben. Was die Oberammergauer dann auch stolz gemacht hat. Sogar Pekamarats Landleute haben es mit Humor genommen. 35. O-Ton: Hürseyn Pekamarat, Hausmeister Es war ein Gelächter, man hat gesagt, hey jetzt kommt der Jesus, wir haben ein türkisches Cafe, da trifft man sich auch oft, als sie es dann in der BILD-Zeitung gelesen haben, dass ich da mitspiele, da war dann Gelächter, hey Jesus Christi, hey ... (lacht) ... mit Spass und Gaudi verbunden, überhaupt nicht negativ. Jesus ist ja nicht irgendwie was Schlechtes, ist ja eine positive Erscheinung. und gleich dran: 36. O-Ton: Christian Stückl, Spielleiter Ich frage niemanden seinen Glauben ab, für mich ist es nicht wichtig, wie weit jemand glaubt, aber ich frage die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Figur schon ab, wenn ich merke, jemand distanziert sich ununterbrochen von der Geschichte, dann kommt er auch nicht hinein, es braucht einen Bereitschaft zum Aufmachen und eine Bereitschaft zum Umgang mit dieser Geschichte. Atmo 26: Kirchenglocken im Dorf Autor: Was den Andersgläubigen sozusagen in den Schoß fiel, dass mussten sich die Frauen in Oberammergau erkämpfen. Ein weiteres ungeschriebenes Gesetz besagte, dass verheiratete Frauen nicht mitspielen durften. Heute können auch Annelies Zunterer und Annelies Buchwieser darüber lachen. Die beiden Damen Mitte 70 sitzen auf einer Bank vor dem Pilatus-Haus, dem vielleicht schönsten Haus mit einer reichen bemalten Fassade, die Annelies Zunterers UrUrUrgroßvater geschaffen hat. 37. O-Ton: Annelies Zunterer, Annelies Buchwieser Die Gründe sind so banal, also die Frauen müssen daheim bleiben und kochen, weil die Passionsgäste müssen versorgt werden ... . es stimmt ja zu der Zeit, wo sie es beschlossen haben ... es ist ja offiziell nie so entschieden worden, es ist einfach 1880 eingeführt worden und da waren die Gäste mehr, da haben die Frauen mehr Arbeit gehabt und jeder hat vermietet, jeder hat gekocht, ich kann verstehen, dass die Frauen damals, aber die Zeiten haben sich ja geändert ... .die Männer waren schon sehr patriarchalisch, du musst da nicht auch nicht mitspielen, du bleib nur dahoam ... des ist so typisch Mann wie wir es auch noch 1990 gehört haben, die Reaktion der Männer, die san ja verrückt die Weiber, die müssen überall dabei sein. Atmo 27: US-Reisegruppe vor dem Pilatus-Haus Autor: Während die Touristen das Pilatus-Haus bestaunen ? das barocke Bild von Pilatus, der Jesus verurteilt ? erzählen sich die beiden Damen alte Geschichten. Beide haben schon als Kinder bei der Passion mitgespielt und ? den Ratschlag des damaligen Spielleiters ignoriert, besser nicht zuheiraten. 38. O-Ton: Annelies Zunterer Irgendwie hat man von 10 Jahren zu 10 Jahren gehofft, dass jetzt die verheirateten Frauen mitspielen dürfen, weil die Zeiten ja auch andere geworden sind, war aber nicht so, und dann haben die 88 beschlossen, wie das alles werden soll und ich war im Gemeinderat und habe zugehört und da war ein langer Brief vom Verwaltungsobersten, warum die Frauen nicht mitspielen können. u.a weil man neue Klos braucht und die Männer dann weniger verdienen und so weiter, also ich bin ein geduldiger Mensch eigentlich, also emanzipiert sind die Oberammergauerinnen früher auch schon gewesen, aber na, - des kann man sich nicht gefallen lassen. Autor: Schnell fanden sich 20 Oberammergauerinnen zusammen und reichten Klage ein. Die Männer, so erinnern sich beide, waren ziemlich erschrocken. 39. O-Ton: Annelies Zunterer Unser Annelies geht zu den Emanzen (lacht) ... ich bin ein verbindlicher Mensch, niemand gedacht, dass ich das mit so einer Härte durchdrücken kann ... aber manche haben schon gelitten, also ich bin Fotografin und uns haben sie gedroht, die Schaufenster einzuschmeißen ... .also manche haben schon gelitten, gerade die, die ein Geschäft hatten. Und 1990 haben wir gewonnen ... . (lachen) ... und durften dann mitspielen ... Gott sei Dank hat der junge Spielleiter, der Stückl zu uns gehalten, der war sogar mit im Gericht und hat gesagt, ja das bringt er schon unter, das macht er schon und es hat dann auch geklappt, und 2000 war es schon mehr und 2010 ist es jetzt halbe halbe, wie es normal ist. Musik Manu Dibango, "Soul Makossa" ? "Mimbo" Take 6 Atmo 28: Im Passionstheater ? Akkuschrauber auf Bühne Autor: Es dämmert, - die Berge erscheinen als dunkle Schatten über der offenen Bühne des Passionstheaters. Carsten Lück, der Bühnemeister, schleppt einen Werkzeugkasten hinter die Kulissen. 40. O-Ton: Carsten Lück, Bühnenmeister Das ist ein neues Kreuz, wir haben die alten Kreuze verändert und mussten eines neu bauen und es ist noch in seiner normalen Holzstruktur und das müssen wir noch bemalen und die Technik einbauen, die das Kreuz braucht ... Autor: Fachmännisch erklärt Carsten Lück die Tricks, die Jesus zwanzig Minuten am Kreuz hängen lassen. 41. O-Ton: Carsten Lück, Bühnenmeister Und den hat er an unter seinem Lendenschurz (hört Geräusch von Stift) und das sieht man nicht, und der legt sich dann auf das liegende Kreuz und hinter seiner Mitte wird dann dieser Nagel reingeschoben und ... dann hängt er erst einmal ganz sicher, er kann auf gar keinen Fall abstürzen, und dann kommen seine Füße auf die Fußplatten, die sieht der Zuschauer auch nicht und da drüber sind die Nägel ... . und das wird weggeschminkt. Autor: Eine beruhigende Vorstellung, dass Jesus nicht abstürzen kann. Er selbst sieht es ein wenig anders. 42. O-Ton: Andreas Richter, Jesus-Darsteller Also während wir es geprobt haben, war es sehr technisch, ich meine, da ging es darum, passt das Kreuz, ich bin ein bisserl größer als meine Vorgänger, wie sieht das aus, soll es so sein oder größer, da gings einfach um technische Sachen, mein Kollege der Fredy und ich wir sind einfach da oben gehangen und wurden begutachtet und zur Schau gestellt und das ist schon ? fast realer, als auf der Bühne, wenn wir es spielen, weil es war total ausgeliefert da oben, kann nicht weg, wir mussten auch nackt im Lendenschurz da oben hängen und das war ziemlich furchtbar, hat mich ganz schön lang beschäftigt im Nachhinein. Atmo 29: Gastraum "Alte Post" Autor: Andreas Richter ist einer von zwei Jesus-Darstellern. Abends sitzt er im Restaurant "Alte Post" über einem Glas Mineralwasser. Seine langen blonden Haare hat er zu einem Zopf zusammen gebunden. Nur manchmal huscht ein feines Lächeln über seine weichen Gesichtszüge. 43. O-Ton: Andreas Richter Aber man hat da schon ein sehr lebhaftes Bild, auch so als Christ, Du gehst in die Kirche, da hängt jemand am Kreuz, das ist eigentlich eine ganz furchtbare Sache und in Oberammergau ist das dann noch sehr viel lebhafter, weil man alle 10Jahre setzt man sich noch mal damit ganz anders auseinander, - das wird jemand gekreuzigt, wie wäre es, wenn ich da oben hänge? Atmo 30: Gastraum "Alte Post? Autor: Sein Beruf als Psychologe hat ihm geholfen, sich in die Figur des Jesus hineinzuversetzen. Ganz ihm Sinne von Spielleiter Christian Stückl ist der Jesus 2010 nicht mehr nur ein Leidender, sondern einer, der konsequent handelt. "Einer, der von uns ein Umdenken fordert", wie Stückl zu Beginn der Proben erklärte. Und das nicht nur auf der Bühne, fürchtet Andreas Richter. 44. O-Ton: Andreas Richter, Jesus-Darsteller Das wird auf uns zukommen, da bin ich ziemlich sicher und es ist tatsächlich auch so, wenn ich mich erinnere an meine Kindheit, derjenige, der den Jesus dargestellt hat, der Darsteller auf der Bühne, der wurde von mir, auch wenn er die Rolle abgelegt hat, anders wahr genommen, und es geht mir auch jetzt so, dass Kinder mit dem Radl vorbeifahren und drehen die Köpfe um und tuscheln miteinander und ich denke, was haben sie denn, habe ich was komisches an mir und im Nachhinein kommt mir, - vermutlich deshalb, weil ich den Jesus spielen werden. Es war bei mir so als Kind, dass ich einen anderen Respekt hatte vor den Beiden und bei den Leuten, die zu uns zu Besuch kommen, wird es ganz drastische Reaktionen geben, - die einen echt verwirren können. Atmo 31: Gastraum "Alte Post? Autor: Anton Preisinger, der Wirt der "Alten Post? kennt solche Geschichten. Sein Großvater spielte 1950 den Jesus. 45. O-Ton: Anton Preisinger, "Alte Post? Für mich war es immer ganz komisch, es kommen heute noch immer Leute ins Hotel, ja wir waren 1950 da und erinnern sich an meinen Großvater ... Dieses Interesse, gerade damals, als er Jesus-Darsteller war, es war gerade der II Wk vorbei, das spielt sicherlich eine Rolle, und dann auch ... dass es fast seltsame Auswüchse, würde man heute sagen, dass die Leute vor ihm auf die Knie gegangen sind, als ob er der Jesus war und nicht der Darsteller und kann man fast nicht mehr, - das passiert auch heute nicht mehr. Atmo 32: Gastraum "Alte Post? Autor: Hoffentlich, meint Andreas Richter, der wie Preisinger aus einer Familie kommt, die seit Generationen ihr "Theaterspiel-Gen" pflegt. Da frotzelt man dann schon mal gerne über die Rolle des anderen. Anton Preisinger schlüpft in die Rolle des Hohen Priesters Kaiphas, der Jesus verurteilt. 46. O-Ton: Anton Preisinger, "Alte Post? Es ist immer besser, einen Charakter zu spielen, der Ecken und Kanten hat als so einen weichgespülten Typ, weil man aus so einer Rolle viel mehr machen kann, also von da ist der Kaiphas ... und bei diesem Passionsspiel ist es ja so, dass der Text noch mal überarbeitet worden, dass der Judas ein bisschen mehr von der Schuld frei gesprochen wird in der Überarbeitung, dafür wandert ein bisschen mehr Schuld zum Kaiphas hin, von daher kann man aus der Rolle sicher was Tolles machen. Autor: Jesus lächelt milde. Fast könnte man meinen, er erstarrt zu einem Gemälde. Einem kitschigen. 47. O-Ton: Andreas Richter, Jesus-Darsteller Wenn man es von außen sieht, könnte man es schon sagen, - aber es fühlt sich halt überhaupt nicht so an als Oberammergauer. Also warum wir das spielen, es gibt ja Stimmen, ihr macht das ja eh nur wegen der Kohle, geht's da wirklich noch um ein Gelübde, - es ist so so tief in unserer Tradition drin, es würde mir wahnsinnig fehlen, das Leben dreht sich um das Passionsspiel, ich würde das nie so in Frage stellen, oder als Kitsch empfinden, vor allem das es immer neu ausgelegt, aktualisiert wird, es wird am Leben gehalten, ich finde es nicht kitschig ... - das ist wie ne große Gemeinschaft, das ist wie Kirche, genial, diese generationsübergreifende Passionstheater. Autor: Und diesmal lächelt er wirklich. Aber erst einmal freut er sich über ein anderes Ereignis. Er wird Vater. Wann? 48. O-Ton: Andreas Richter, Jesus-Darsteller Heiligabend ... ..(lacht) Musik 1