COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet wer- den. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonsti- ger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Zeitreisen 30. 1. 2013 Anatomie eines Tages Der 30. Januar 1933 von Winfried Sträter Regie evtl. Musik oder Stadtatmo aus der damaligen Zeit unter den Text legen Autor Montag. Ein eiskalter Wintertag. Zehn Grad unter Null in Berlin. Schaulustige warten vor dem Hotel Kaiserhof, ob er herauskommt. Das Hotel liegt am Wil- helmplatz, schräg gegenüber der Reichskanzlei, der Zentrale der Macht. Dort hat nicht nur der Kanzler seinen Amtssitz, dort residiert vorübergehend auch der Reichspräsident, Paul von Hindenburg. Zitator "Hitler heute beim Alten", Autor Schreibt Josef Goebbels, einer von Hitlers engsten Vertrauten. Zitator "Man wagt noch nicht, es zu glauben." Autor Hitler verlässt das Hotel in einem offenen Mercedes. Die Limousine biegt in die Wilhelmstraße ein, die Straße der Ministerien, die preußisch-deutsche Herr- schaftsachse seit Bismarck. Hitler verschwindet mit seinen Begleitern im Ge- bäude des Innenministeriums. Franz von Papen hat hier noch eine Wohnung, der ehemalige Reichskanzler, der jetzt keine Funktion mehr hat, aber einen guten Draht zum Reichspräsidenten von Hindenburg. Atmo Winterlich sparsames Vogelzwitschern Autor Hinter den wuchtigen Bauten der Ministerien liegen die weitläufigen Minister- gärten. Abseits der Öffentlichkeit führt Herr von Papen gegen 11 Uhr die Herren in dunklen Anzügen, weißen Hemden und Krawatte quer durch die Gärten zur Reichskanzlei. Zitator "Hitler heute beim Alten. Man wagt noch nicht, es zu glauben." Autor Josef Goebbels weiß, warum. Der Gang durch die Ministergärten ist kein Marsch auf Berlin, keine Eroberung der Macht wie einst Mussolini mit seinem Marsch auf Rom. Adolf Hitler ist eingeladen worden, diesen Gang zu gehen, um dann auf dem Chefsessel Platz zu nehmen. Aus eigener Kraft hat er es nicht ge- schafft. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt und verloren. Bevor er durch die winterlichen Ministergärten zum Hintereingang der Reichskanzlei schleicht, hat- te er sich und seine Bewegung in eine Sackgasse manövriert, aus der er sich selbst nicht mehr befreien konnte. Einen Monat war das her, zur Jahreswende 1932/33. Da stand er am Abgrund seiner politischen Karriere. Zitator "Wir sind alle sehr deprimiert, vor allem im Hinblick darauf, dass nun die Ge- fahr besteht, dass die ganz Partei auseinanderfällt. .. Der Führer geht stunden- lang mit langen Schritten im Hotelzimmer auf und ab .. und einmal bleibt er ste- hen und sagt nur: `Wenn die Partei einmal zerfällt, dann mache ich in drei Minu- ten mit der Pistole Schluss!´" Autor Notierte Hitlers Vertrauter Josef Goebbels in seinem Tagebuch. O-Ton 1 Hitler - dra So lange es in Deutschland ein politisches Leben gibt, ist noch nie eine solche Bewegung aus Nichts geschaffen worden. Sie können uns unterdrücken, sie können uns meinetwegen töten - kapitulieren werden wir nicht. - Jubel - Autor 6. November 1932: Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres wurde der Reichs- tag gewählt. Nach dem sensationellen Wahltriumph vom 31. Juli, als die NSDAP stärkste Partei im Reichstag geworden war, erlitt sie nun herbe Stimmenverluste. Die Dynamik der Bewegung war gebrochen. Auch die nächs- ten Wahlen gingen verloren: die Kommunalwahlen in Sachsen und Thüringen. Die innerparteilichen Spannungen brachen auf. Die Partei erhielt immer weniger Spenden und geriet in finanzielle Bedrängnis. Zitator "Der gewaltige nationalsozialistische Angriff auf den demokratischen Staat ist abgeschlagen." Autor Schrieb die liberale Frankfurter Zeitung zur Jahreswende. Die Weltwirtschafts- krise hatte die Nationalsozialisten stark gemacht. Ende 1932 aber gab es erste Anzeichen, dass der Höhepunkt der Krise überschritten war, dass sich die Wirt- schaft 1933 langsam wieder erholen würde. In seiner Neujahrsansprache vor dem diplomatischen Corps sprach Reichspräsident von Hindenburg die tiefe Krise an - die Lage war ernst, doch offenbar nicht mehr hoffnungslos: O-Ton 2 Hindenburg dra Noch ist die Krise nicht überwunden. Noch sehen sich Millionen arbeitsloser Volksgenossen ohne sichere Daseinsgrundlage. Noch haben auch die anderen Schichten der Bevölkerung hart gegen die Not der Zeit zu kämpfen. Autor Noch. Noch war die Krise nicht überwunden. Aber die Zeit arbeitete gegen Hit- ler. Wer die Republik vor dem Ansturm der Nationalsozialisten, vor dem Einzug des Führers in die Reichskanzlei bewahren wollte, musste im Januar 1933 auf Zeit spielen. Im Sommer 1932 war die Lage nach den Wahlerfolgen der NSDAP brenzliger gewesen. Im Grunde war kein allzu großes politisches Geschick mehr nötig, um Hitler zu verhindern. Denn Hindenburg machte keinen Hehl daraus, dass er Hitler nicht mochte, und das war wichtig, weil der Reichspräsident den Kanzler ernannte. O-Ton 3 SA-Umzug in der Wilhelmstraße dra Wir sind nun herübergegangen aus dem Zimmer, in dem wir den Herrn Reichs- präsidenten sehen konnten, in das Zimmer, in dem sich der neue Reichskanzler Adolf Hitler befindet. Wir stehen am offenen Fenster... als Atmo unterlegen und danach evtl. noch mal kurz hochziehen Autor Siegestrunkene Braunhemden in der Berliner Wilhelmstraße. Kein Tag hat sich auf die Weltgeschichte verhängnisvoller ausgewirkt als der 30. Januar 1933. Zitator "Wie war es möglich?" Autor Diese Frage hat, als der Spuk vorüber, das größte Zerstörungswerk der Mensch- heitsgeschichte gestoppt war, Generationen von Historikern beschäftigt. O-Ton 4a Fackelzug-Reportage dra O-Ton 4 b Hitler am 1. 2. 1933 dra Reportage: Wir hören immer noch die Menschenmassen jubeln und der Jubel verklingt nicht und verklinkt nicht und geht weiter und wird bleiben. Hitler: Der Reichspräsident, Generalfeldmarschall von Hindenburg, hat uns berufen mit dem Befehl, durch unsere Einmütigkeit der Nation die Möglichkeit des Wieder- aufstiegs zu bringen. .. Möge der allmächtige Gott unsere Arbeit in seine Gnade nehmen .. und uns mit dem Vertrauen unseres Volkes beglücken. Denn wir wol- len nicht kämpfen für uns, sondern für Deutschland. Autor Die normative Kraft des Faktischen erschlägt den Gedanken, dass sich der 30. Januar 1933 keineswegs mit zwingender Logik ereignet hat. Dass Hitler fast am Ende war, als ihm doch noch der Weg in die Reichskanzlei gewiesen wurde. Und dass Hitler, wenn man die Vorgänge im Machtzentrum der späten Weima- rer Republik nachvollzieht, eher eine unbeabsichtigte Nebenwirkung war, nicht das beabsichtigte Ergebnis politischer Manöver. Es lag etwas in der Luft, keine Frage. Die Parteiendemokratie der Weimarer Re- publik funktionierte nicht mehr. Die Weltwirtschaftskrise nährte die alten Zwei- fel an der ohnehin ungeliebten Republik. Eine autoritäre Staatsführung würde die Probleme vielleicht besser lösen als ein zerstrittenes Parlament: Daran glaub- ten viele Deutsche. Alfred Hugenberg, Führer der rechtskonservativen Deutsch- nationalen, hatte die Deutschen seit Jahren darauf eingeschworen: O-Ton 5 Hugenberg dra Persönlichkeitswert und Führerverantwortlichkeit - die Grundlagen eines jeden gesunden Staatswesens - müssen die Parlamentsherrschaft ablösen. .. Die si- cherste Gewähr für einen sauberen, starken und gerechten Staat liegt nach den Lehren unserer Geschichte im deutschen Kaisergedanken. Autor Die Geschichte, die nicht auf Hitler zielte und doch Hitler ins Amt brachte, be- ginnt im Frühjahr 1929 - mit einem Mann, der im damaligen Deutschland nicht besonders bekannt war: Kurt von Schleicher, General, der klügste Kopf in der Reichswehrführung, ein Meister der politischen Intrige. Dieser General Kurt von Schleicher trug im Frühjahr 1929 Heinrich Brüning, einem Politiker der katholischen Zentrumspartei, einen Plan vor, der den Zent- rumsmann überraschte: Er wollte das Parlament entmachten und stattdessen den Präsidenten mit Vollmachten für eine autoritäre Regierung ausstatten. Der Mann an der Spitze des Staates sollte ungefähr so regieren können wie früher der Kai- ser. Erstaunlich an dieser Unterredung ist der Zeitpunkt: Frühjahr 1929. Die Welt- wirtschaftskrise brach erst später aus. Dass der Reichswehrgeneral schon vor der Wirtschaftskrise einen Plan zur Überwindung der parlamentarischen Demokratie schmiedete, hatte einen anderen Hintergrund: Die konservativen Parteien hatten die letzte Reichstagswahl 1928 verloren, in Berlin regierte wieder ein sozialde- mokratischer Kanzler. Das hatte den Nerv derer getroffen, die die Republik ei- gentlich ablehnten, aber in den letzten Jahren halbwegs versöhnt waren. Denn seit 1925 war der alte Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg Präsident, und die nationalkonservativen Parteien hatten im Reichstag die Mehrheit. Die Wahl- niederlage 1928 hatte bewiesen, dass man böse Überraschungen erleben konnte, wenn man schutzlos dem Wählerwillen ausgeliefert war. Dieses Problem wollte General von Schleicher lösen - ganz im Sinne des Reichspräsidenten Hinden- burg wie auch der republikfeindlichen Deutschnationalen Volkspartei, über de- ren politische Philosophie Rundfunkhörer dies erfuhren: O-Ton 6 Rundfunkgespräch mit Frhr. v. Freytagh-Loringhoven dra Ich glaube, dass wir doch alle die Erfahrung gemacht haben, dass die breiten Wählermassen zwar ein sehr feines Gefühl für den Wert des einzelnen Mannes haben. Dass sie aber in der Beurteilung sachlicher Fragen oft genug versagen. Deshalb bin ich der Meinung, dass bei der Wahl des Reichspräsidenten der ge- sunde Instinkt des Volkes sehr viel stärker zur Geltung kommt als bei Reichs- tagswahlen, bei denen es doch weniger um Personen als um Programme geht. Autor Dass Demokratie Machtwechsel bedeutet, war für die Deutschnationalen und die Militärs nicht hinnehmbar. Am 1. Februar 1929 wurde General Kurt von Schlei- cher Staatssekretär im Reichswehrministerium. (Chef des Ministeramts, so hieß seine Position genau.) Damit begann die Zeit der politischen Manöver, deren Ziel die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie war. Die Weltwirt- schaftskrise, die mit dem Börsen-Crash an der Wall Street im Oktober 1929 ausbrach, schuf den nötigen Handlungsspielraum, um die Pläne in die Tat umzu- setzen. Denn die rapide steigende Arbeitslosigkeit und das soziale Elend unter- gruben das ohnehin nicht sehr ausgeprägte Vertrauen in die Demokratie. Im März 1930 brach die große Koalition des Sozialdemokraten Hermann Müller auseinander. Von diesem Zeitpunkt an folgte die Politik in Berlin der Logik des Generals Kurt von Schleicher. Die Krise sollte nicht bewältigt werden - nein, sie sollte genutzt werden, um die demokratische Republik durch eine autoritäre Herrschaftsform zu ersetzen. Ende März 1930, drei Tage nach dem Ende der großen Koalition des Sozialde- mokraten Hermann Müller, wurde Brüning Reichskanzler. O-Ton 7 Brüning dra Sie, Herr Reichspräsident, und Sie, meine Damen und Herren, bitte ich, mit mir einzustimmen in den Ruf: Das in der Republik geeinte deutsche Volk, es lebe hoch - hoch - hoch! Autor Heinrich Brüningwar Kanzler von Gnaden des Generals von Schleicher im Zusammenspiel mit Reichspräsident von Hindenburg. Das Spiel funktionierte so: Zitator Normalerweise hat ein Kanzler in der Demokratie die Mehrheit des Parlaments hinter sich. Brüning hat das nicht. Das heißt: Mit dem Parlament kann er nicht regieren. Um den Reichstag zu umgehen, legt der Kanzler seine Vorlagen dem Reichspräsidenten vor. Der unterschreibt die Vorlage, die nun als Notverordnung in Kraft tritt. So kann der Kanzler am Reichstag vorbei regieren. Wenn er den Streit mit dem Parlament satt hat, kann er den Präsidenten bitten, den Reichstag aufzulösen. Diese beiden Hebel bieten die Möglichkeit, den Reichstag zu entmachten. Autor Das war der Plan, den General von Schleicher insgeheim verfolgte. Aber Schleichers Rechnung ging nicht ganz auf. Denn Brüning nahm sich Zeit, und seine Wirtschaftspolitik verschärfte die Krise derart, dass die Nationalsozialisten 1930 einen spektakulären Wahlerfolg bei der Reichstagswahl erzielten. Sie zogen mit 107 statt zuvor 12 Abgeordneten in den Reichstag ein und waren nun ein Faktor der deutschen Politik, voran ihr Führer, Adolf Hitler. Sein Gefolgsmann Josef Goebbels konfrontierte Brüning im Reichstag öffentlichkeitswirksam mit den Folgen der desaströsen Wirtschaftspolitik: O-Ton 8 Goebbels dra Ein Heer von nahezu 5 Millionen Arbeitslosen zeichnet den Weg Ihrer Politik. Ein Bauernstand, der in den Ost- und Nordprovinzen zur offenen Rebellion übergegangen ist, zeichnet Ihre Politik. Ein zertretener Mittelstand, der nicht mehr weiß, von einem Tag in den anderen zu kommen und durch einen unerhörten Steuerdruck zu Tode gepresst wird, das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Zitator (Sebastian Haffner, Von Bismarck zu Hitler, Knaur, S. 217) "Die Not war der erste Grund, der Hitler die Massen zutrieb. .. Ein zweiter Grund lag in einem plötzlich wieder erstarkenden Nationalismus. Er ist längst nicht so greifbar wie die wirtschaftliche Not jener Jahre, und auch nicht so leicht zu erklären. Es scheint sogar widerspruchsvoll, dass gerade das Elend und die wirtschaftliche Verzweiflung von einer Art nationaler Aufbruchsstimmung be- gleitet waren. Aber so war es; jeder, der die Jahre 1930 bis 1933 noch bewusst miterlebt hat, kann es bezeugen." Autor Schreibt der Publizist Sebastian Haffner. Als im Frühjahr 1932 der Reichspräsident gewählt wurde und Hitler bei der Stichwahl gegen den hochbetagten Amtsinhaber Hindenburg antrat, rief selbst die SPD dazu auf, Hindenburg zu wählen, um das größere Übel, Hitler, zu ver- hindern. Für General von Schleicher war mit Hindenburgs Wiederwahl als Reichspräsi- dent das Problem allerdings nicht gelöst, denn Hindenburg war inzwischen 84 Jahre alt, die Zeit drängte, um mit ihm die Restauration politischer Verhältnisse durchzusetzen, die den Vorstellungen der Militärs entsprachen. Im Mai 1932, nach zwei Jahren, verlor Schleicher die Geduld mit seinem Schützling im Kanzleramt, Heinrich Brüning. Er sorgte dafür, dass Brüning ent- lassen wurde. Der Mann, den Schleicher nun aus dem Hut zauberte, war eine völlig unbekannte Figur auf der politischen Bühne: Franz von Papen, ein Politi- ker vom rechten Rand der katholischen Zentrumspartei. Zitator "Nur politisch ungewöhnlich Versierte hatten diesen Namen schon einmal ge- hört." Autor Schreibt der Historiker Helmut Heiber. Franz von Papen war willens, mit einem sogenannten "Kabinett der Barone" die Verfassungsänderungen voranzubringen. Er schien genau der richtige Mann für die Umsetzung der Pläne des Generals und Staatssekretärs von Schleicher. O-Ton 9 Papen dra Wir wollen, meine Herren, eine machtvolle und überparteiliche Staatsgewalt schaffen, die nicht als Spielball von den politischen und gesellschaftlichen Kräf- ten hin- und hergetrieben wird, sondern über ihnen unerschütterlich steht. Uner- schütterlich! Autor Papen ließ den Reichstag auflösen. Allerdings mit dem Ergebnis, dass bei der Wahl am 31. Juli 1932 die NSDAP zur stärksten Fraktion im Reichstag wurde. Für General von Schleicher war nun klar: Hitler musste in sein politisches Spiel eingebunden werden. Er sollte im Kabinett des Franz von Papen Vizekanzler werden. Zitator 13. August 1932. Autor An diesem Tag entschied sich eigentlich das Schicksal Adolf Hitlers. Reichsprä- sident von Hindenburg empfing ihn, um ihm das Amt des Vizekanzlers anzubie- ten und ihn einzubinden: Hitlers machtvolle Bewegung sollte Teil der Restaura- tion eines autoritär regierten Deutschlands werden, in dem die Reichswehr den Ton angab und vielleicht eines Tages wieder ein gekröntes Oberhaupt durch das Brandenburger Tor reiten würde. Hitler war auf dem Höhepunkt seiner Macht, jetzt bekam er die Chance, in die Regierung einzutreten. Aber er lehnte das Angebot ab. Alles oder Nichts war seine Strategie. Vizekanzler wollte er nicht werden, sondern Kanzler. O-Ton 10 Hitler dra Die Gegner werfen uns Nationalsozialisten vor und mir insbesonders, dass wir intolerante, unverträgliche Menschen seien. Ich habe hier eines zu erklären: Die Herren haben ganz recht! Wir sind intolerant! Zitator (Rudolf Olden, Hitler, Gerstenberg Verlag S. 249) "Der uralte General empfängt den Parteiführer, auf seinen Stock gestützt. So braucht er ihm keinen Stuhl anzubieten. Hitler ist .. ein linkischer, unsicherer Mensch, der sich immer wieder an der eigenen Rede aufrichten, enthusiasmieren muss, dessen Haltung mühsam, krampfhaft ist, bis er sich in Hitze gesprochen hat. Dazu hat er diesmal keine Gelegenheit. Der Reichspräsident fragt ihn, ob er bei der `nationalen´ Regierung Papen mitarbeiten wolle. Hitler hat sich auf eine Formel festgelegt: Er wird dieselbe Stellung verlangen, die Mussolini nach dem Marsch auf Rom einnahm. .. Hindenburg sagt nun, was er vorbereitet hat: Sein Gewissen und die Pflicht gegenüber dem Vaterland verbieten ihm, einer Partei die ganze Macht zu überlassen. Dann fährt er den Gast an: `Ich empfehle Ihnen, die Opposition wenigstens ritterlich zu führen.´" Autor Der zeitgenössische Journalist Rudolf Olden, der diese Szene beschrieben hat, resümiert: Zitator "Der Aufstieg Hitlers war vorüber, bevor er in die Regierung berufen wurde. Von der Schlappe, die der uralte Hindenburg ihm in der historischen Audienz am 13. August 1932 beibrachte, hat er sich aus eigener Kraft nicht mehr erholt." Autor Nach dem Eklat mit Hindenburg folgte erst einmal die Abrechnung durch den Kanzler Franz von Papen: O-Ton 11 Papen dra Das Angebot des 13. August gab der nationalsozialistischen Bewegung einen Anteil an der Macht im Reiche und in Preußen, der ihr entscheidenden Einfluss gesichert hätte. Herr Hitler hat dieses Angebot nicht angenommen, weil er glaubte, als Führer einer Bewegung, die sich auf 230 parlamentarische Mandate stützt, den Kanzlerposten beanspruchen zu müssen. Er hat diesen Anspruch erhoben aus dem Prinzip der Totalität, der Ausschließlichkeit heraus, dem seine Partei huldigt. Es ist bekannt, meine Herren, dass der Herr Reichspräsident, dem allein die Berufung des Kanzlers zusteht, diesen Anspruch der Totalität, der Ausschließlichkeit, abgelehnt hat. Autor Papen ließ - über Hindenburg - den Reichstag wieder auflösen. Und die NSDAP bekam die Quittung, indem sie erstmals seit ihrem kometenhaften Auf- stieg erheblich an Stimmen verlor. General von Schleicher und sein Kanzler von Papen hatten es nun in der Hand, ihren Traum von der Restauration vordemo- kratischer Verhältnisse ohne Hitler zu verwirklichen. Doch statt diesen Weg zu Ende zu gehen, geraten die beiden Verbündeten in Streit. Schleicher will weiter Hitler instrumentalisieren und nicht dem Untergang preisgeben, Papen fühlt sich stark genug, nun auch gegen Hitler Front zu ma- chen. Ein halbes Jahr nach Brüning lässt Schleicher nun Papen fallen und sorgt für seine Entlassung als Reichskanzler. Jetzt hat der Magier des Intrigenspiels kein Kaninchen mehr, das er aus dem Hut zaubern kann. Schleicher selbst muss Kanzler werden. Und sein ehemaliger Verbündeter von Papen, tief gekränkt, sinnt auf Rache. Das ist die unverhoffte Chance, die Hitler bekommt, während die liberale Frankfurter Zeitung schreibt, der gewaltige nationalsozialistische Angriff auf den Staat sei abgeschlagen. Zitator (Olden, Hitler, S. 263) Der Endkampf, den Schleicher und Papen einander liefern, ist reich an kunstvoll gesponnenen Listen. .. Mit Politik im tieferen Sinn hat er nichts zu tun." Autor Schreibt der Journalist Rudolf Olden. Nun hofiert Papen Hitler, denn nur mit ihm kann er Schleicher aus dem Amt hebeln. In diesen Tagen gelingt der NSDAP mit äußerster Anstrengung in einem deut- schen Zwergstaat, Lippe, ein kleiner Wahlerfolg, der groß ausgeschlachtet wird. So kann Hitler bluffen: Er ist noch nicht am Ende. Zugleich gelingt ihm mit Glück und Geschick, eine Spaltung der Partei zu verhindern, als sich sein lang- jähriger Weggefährte Gregor Strasser von ihm abwendet. Derweil beunruhigt ein drohender Subventionsskandal den Reichspräsidenten: die sogenannte Osthilfe. Sehr viel Staatsgeld ist an die ostelbischen Großgrund- besitzer geflossen - und die Zeitungen berichten von Missbrauch. Der Reichstag nimmt sich der Sache an. Zitator "Die größten Namen des preußischen Adels waren in den Skandal verwickelt." Autor Berichtet Rudolf Olden. Hindenburg muss fürchten, dass auch seine eigene Fa- milie wegen Unregelmäßigkeiten in Misskredit gerät. Er verlangt von Kanzler Schleicher, dass er dem Treiben ein Ende setzt. Schleicher widersetzt sich und verliert das Vertrauen Hindenburgs. Zur selben Zeit verhandelt Papen fieberhaft mit Hitler, um Hindenburg das An- gebot einer nationalen Regierung zu unterbreiten. Anders als früher ist er jetzt bereit, Hitler zum Kanzler zu machen, wenn er selbst Vizekanzler wird und die meisten Kabinettsmitglieder aus dem nationalkonservativen Lager stammen. Wenn Hitler so fest eingebunden ist, kann er nicht viel machen: Das ist Papens Kalkül. Am Ende ist es die Intrige Papen gegen Schleicher, eine Intrige aufgrund ge- kränkter Eitelkeiten im unmittelbaren Umfeld des Reichspräsidenten von Hin- denburg, die Hitler den Weg ebnet... O-Ton 12 Reportage vom 30. 1. 1933 dra Reporter: Aufbruch der Nation... Autor Papen will Schleicher stürzen, umgarnt den immer noch reservierten Reichsprä- sidenten von Hindenburg, gewinnt dessen Umfeld für seinen Plan, nun doch Hit- ler in die Chefposition zu lassen, arbeitet mit List und Lügen und profitiert da- von, dass der noch amtierende Kanzler Schleicher Fehler macht und zu spät be- greift, dass Hindenburg nicht mehr ihm vertraut, sondern dem viel charmanteren Papen. Als Schleicher den Präsidenten bittet, wieder einmal den Reichstag auf- zulösen, lehnt dieser ab. Damit ist Schleicher als Regierungschef erledigt. Eine Mehrheit im Reichstag hat er nicht - regieren könnte er nur mit Hilfe Hinden- burgs. Es ist der 28. Januar 1933. Schleicher erklärt seinen Rücktritt. Hinden- burg gibt Papen gegenüber zu erkennen, dass er einen Kanzler Hitler akzeptieren würde. O-Ton 13 Fackelzug vom 30. 1. 1933, Hermann Göring dra Göring: Wir danken heute nicht nur dem Führer dieser großen Bewegung, wir danken auch dem greisen Generalfeldmarschall von Hindenburg, der heute mit der jun- gen Generation einen Bund geschlossen hat. So steht der ehrwürdige Feldmar- schall aus dem großen Kriege der Führer Deutschlands an seiner Seite und unter ihm, der junge Führer Deutschlands, der nunmehr wieder Volk und Reich zu neuen, besseren Zeiten entgegenführen wird. Autor Berlin, Wilhelmstraße, 30. Januar 1933. Am Morgen dieses Tages hat Franz von Papen Hitler durch den Hintereingang in die Reichskanzlei geführt. Seine politi- sche Konstruktion ist so wacklig, dass sie fast zusammengestürzt wäre. Der Deutschnationale Hugenberg ist ein Eckpfeiler des Kabinetts. Als Hugenberg erfährt, dass Hitler rasche Neuwahlen anstrebt, sagt er nein. Eine Einigung ist nicht in Sicht, denn Hugenberg fürchtet, dass die Nationalsozialisten ihre Macht ausnutzen werden, um die Wahl zu gewinnen. Er ahnt, dass er dann ins Abseits gedrängt wird - genau das wird später geschehen. In dieser Situation betritt Hindenburgs Staatssekretär Otto Meißner den Raum. Zitator "Meine Herren, die Vereidigung durch den Herrn Staatspräsidenten war um 11 Uhr angesetzt. Es ist 11.15 Uhr! Sie können den Herrn Reichspräsidenten nicht länger warten lassen!" Autor Diese Zeitansage entscheidet über den Gang der Geschichte. Hugenberg fügt sich, das letzte Hindernis ist aus dem Weg geräumt, Hitler wird Reichskanzler. Und Papen frohlockt, er habe Hitler engagiert. In grotesker Verkennung der Per- son und der politischen Ambitionen Hitlers glaubt er, dass der neue Reichskanz- ler in einem deutschnational dominierten Kabinett keinen großen Spielraum ha- be und dass er sich bald abnutzen werde. Zitator "Wir alle hatten gespürt, hier ist eine Wende", Autor Urteilt rückblickend der Literaturwissenschaftler Hans Mayer über den 30. Ja- nuar 1933. Zitator (Knopp, Die Machtergreifung, S. 73) "Aber niemand hat ahnen können, dass es der Schicksalstag des ganzen Jahr- hunderts sein würde." Autor Die Reaktionen auf den Machtwechsel in Berlin sind zunächst verhalten. Scheinbar hat Papen aus der Stellvertreterposition heraus die Fäden in der Hand - Papen, das Kaninchen, das General von Schleicher vor wenigen Monaten aus dem Hut gezaubert hat und das nun glaubt, selber zaubern zu können. Aber er unterschätzt - wie ein Großteil der zeitgenössischen Beobachter - Hitlers erbar- mungslosen Willen, alle Macht an sich zu reißen. O-Ton 14 Hitler dra Allmählich entstand im Staat der Demokratie der Staat der Autorität, im Reich der jammervollen Gesinnungslosigkeit ein Kern fanatischer, hingebungs- und rücksichtsloser Entschlossenheit. O-Ton 15 Fackelzug-Reportage dra Reporter: Adolf Hitler steht mit todernstem Gesicht am Fenster .. und doch leuchtet es in seinen Augen über dieses erwachende Deutschland, diese Massen von Menschen.... unter den Autor-Text als Atmo legen Autor Am Anfang des Endes der Weimarer Demokratie stand der Plan, einen autoritä- ren Staat zu errichten, in dem ein - möglichst gekröntes - Oberhaupt die Nation verkörpert und befehligt. Diesen Plan verfolgten Paul von Hindenburg und Kurt von Schleicher seit 1929. Zwei führende Militärs der preußisch-deutschen Reichswehr, die den Untergang des Kaiserreiches und den Bedeutungsverlust der Reichswehr nicht verwunden hatten. Ihr Versuch, die "gute, alte Zeit" wie- deraufleben zu lassen, endete nicht mit dem Ritt eines Monarchen durch das Brandenburger Tor, sondern mit dem Fackelzug der Hitler-Anhänger durch die Wilhelmstraße. Hitler verband die Sehnsucht nach dem alten Deutschland der Kaiserzeit mit dem neuen, extrem aggressiven Nationalismus. Letztlich ist die erste deutsche Demokratie vom preußisch-deutschen Militär zerstört worden. Dass nicht das Kaisertum wiederbelebt, sondern die alte Welt bis auf die Grundmauern zerstört würde: das hätten sich die preußisch-deutschen Militärs nicht träumen lassen. Und: In den ehemaligen Ministergärten - durch die Papen Hitler den Weg in die Reichskanzlei wies - stehen heute die Stelen des Holocaust-Mahnmals, das den Zivilisationsbruch markiert. Wie viele Deutsche bereit sein würden, willige Vollstrecker der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu werden: Auch das hat am 30. Januar 1933 niemand geahnt. 1