Deutschlandradio Kultur Länderreport COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nur weg aus Hamburg - Die Kulturpolitik, die Abwanderung von Künstlern und so mancher Schließungsplan - Autor Verena Herb Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 17.11.2010 - 13.07 Uhr Länge 18.59 Minuten Moderation Gibt Hamburg genug Geld für die Kultur aus? Die Frage ist so neu nicht, der Streit darüber hat schon einige Generationen an der Alster überlebt. Überliefert sind auch polternde Abgänge aus der Hansestadt - Brahms zum Beispiel, Gustav Mahler ... Doch noch nie in der Geschichte Hamburgs wirkte die Stadt so angeschlagen wie in diesen Tagen und Wochen. Ein zuvor abgesetzter Kulturpolitiker kommt wieder zu Würden, dann gar als Kultursenator. Gleichzeitig bucht mancher Künstler das raus-aus-der-Stadt- Ticket. Frust auf beiden Seiten - in der Behörde, in der Kulturszene. Und dann noch das Problem-Sahnehäubchen: Das Renommierprojekt Elbphilharmonie läuft finanziell aus dem Ruder, andere Projekte landen auf dem Trockenen. Verena Herb nahm sich des wenig erbaulichen Themas an. -folgt Script Sendung Script Sendung M 01 Atmo Musik "Adiemus" darauf O-Töne Alhaus E 01 (Alhaus) "Notwendig für eine attraktive Millionenmetropole ist auch eine lebendige und facettenreiche Kunst und Kulturszen.." REGIE Musik kurz Frei E 02 (Alhaus) "Kultur ist kein Luxus für Schönwetterperioden, der in Zeiten knapper Kassen verzichtbar ist." REGIE Musik kurz Frei E 03 (Alhaus) "Bestandteil der notwendigen Grundausstattung einer Stadt, die sich international behaupten will." REGIE Musik langsam abblenden unter Text Autorin AUT Kunst und Kultur - wichtig für Hamburg. So die Botschaft des ersten Bürgermeisters Christoph Ahlhaus. Als er zum Regierungschef gewählt wird, kommt auch ein neuer Kultursenator ins Amt: Reinhard Stuth. E 04 (Stuth) Ich will Anwalt für die Kultur sein! AUT Erklärt sogleich der Mann mit den Markenzeichen Hornbrille und Fliege. Ein neues Dreamteam an der Elbe, das die Kulturpolitik in der Stadt nach vorne bringt? Das die Bedeutung von Museen, Theater und Musik, sprich künstlerischer Vielfalt, verstanden hat? Wagen wir einen Rückblick. G 01 Atmo Wind - kurz Frei, dann unter Text Autorin abblenden AUT Der Herbst beginnt stürmisch für die Hamburger Kultur: E 05 (Nachrichten) Friedrich Schirmer, der Intendant des Hamburger Schauspielhauses verlässt fluchtartig sein Haus. Mit einer Frist von zwei Wochen räumt er seinen Schreibtisch. Seine Begründung: Eine gravierende Unterfinanzierung seines Hauses. REGIE O-Ton abblenden unter Text Autorin AUT So geschehen am 14. September. Der Rücktritt von Friedel Schirmer, dem Chef von Deutschlands größter Sprechtheaterbühne, stößt bei vielen auf Verständnis, bei einigen auch auf Kritik. Joachim Lux, Intendant des Hamburger Thalia Theaters, kann seinen Kollegen verstehen, aber: E 06 (Lux) Schwierigkeiten habe ich damit, wenn jemand Mitte des Monats sagt, dass er Ende des Monats nicht mehr da ist. Das klingt nach ner Panikreaktion. AUT Für Friedrich Schirmer scheint diese Panik berechtigt gewesen sein. Ein Akt der "Selbstverbrennung" sei seine plötzliche Kündigung gewesen, eine Selbstverbrennung, die im Schauspielhausteam Energien freigesetzt habe, so Schirmer im Rückblick. E 07 (Schirmer) Die haben jetzt die Delfinflagge eingeholt und haben die Piraten-Haifischflagge gehisst. Und die können viel, viel härter, viel kampfbereiter auch mit der herrschenden politischen Klasse umgehen, als ich das tun konnte. AUT Doch erst einmal löst der Weggang Schirmers eine Debatte über eine Generalintendanz für beide staatlichen Theater in der Stadt aus: Ein Mann, gemeinsam für Schauspielhaus und Thalia Theater. Schon da regt sich Widerstand - und in kürzester Zeit rudert die Politik zurück. Dies sei eine Überlegung von vielen gewesen, so Christoph Ahlhaus, der Bürgermeister. Senator Stuth schweigt zu dem Thema, macht aber seine Art von Kulturpolitik deutlich: E 08 (Stuth) Bei aller Freundschaft zu den Intendanten, Direktoren und anderen - ich mache die Kulturpolitik nicht, damit die Intendanten glücklich sind, sondern damit das Publikum sich angeregt fühlt und zufrieden ist. AUT Verglichen zu den Protesten gegen eine Generalintendanz an beiden Schauspielhäusern, lernen die Politiker wenige Wochen später wirklich, was Widerstand bedeutet. Der schwarz-grüne Senat legt seine Sparbeschlüsse vor. Eine halbe Milliarde Euro muss die Stadt pro Jahr einsparen. Bei der Pressekonferenz Ende September zum Sparpaket erklärt Christoph Ahlhaus: E 09 (Alhaus) Um Hamburg auch in Zukunft handlungsfähig zu halten, mussten wir teilweise auch sehr schmerzhafte Einschnitte beschließen. AUT Auch im Kulturetat. Nicht alle Institutionen sind betroffen, dafür aber drei besonders. Das auf hamburgische Kulturgeschichte spezialisierte Altonaer Museum soll geschlossen werden, die öffentlichen Bücherhallen müssen 1,5 Millionen Euro einsparen und Standorte zumachen und dem Schauspielhaus wird die Hälfte des künstlerischen Etats gekürzt. CDU-Politiker Christoph Ahlhaus setzt halt Prioritäten: E 10 (Alhaus) Ich habe als Bürgermeister entschieden, dass das Polizeiorchester erhalten bleibt. Punkt. AUT Nicht nur die Kulturszene in der Stadt ist empört. Bundesweit melden sich Künstler zu Wort. Daniel Richter, Ex- Hamburger, Maler und Kunstprofessor geht hart ins Gericht mit der politischen Elite, vor allem mit Reinhard Stuth. Der wirtschafte die Hamburger Kultur mit "neoliberaler Logik" herunter. In der Hansestadt ist der Widerstand - zumindest der kunstinteressierten - Bürger gegen die Sparpläne enorm. Denn E 11 (Torkild Hinrichsen) Die Lage ist durchaus ernst. Sie ist dramatisch. AUT Wie Torkild Hinrichsen, der Leiter des Altonaer Museums, nicht müde wird zu betonen. G 02 Atmo Pfiffe, Tröten... AUT Viele sind an diesem Nachmittag nach Altona gekommen - bewaffnet mit Pfeifen, Pauken und Tröten. Manche der 350 Protestler vor dem gläsernen Eingangsbereich des Museums heben weiße Stoffbanner hoch. Darauf in schwarzer Schrift zu lesen: Das Altonaer Museum bleibt. Ausrufezeichen. E 12 (Torkild Hinrichsen) Es ist gut, dass Ihr gekommen seid. Herzlichen Dank dafür. AUT Dröhnt die Stimme von Torkild Hinrichsen durch das Megafon. Der Mann mit dem weißen Rauschebart kämpft: Für sich, für seine Mitarbeiter und für die 640.000 Schätze seines Museums. E 13 (Torkild Hinrichsen) Was vorgesehen ist, ist die völlige Demontage und Liquidation des Altonaer Museums. G 03 (Pfiffe, Applaus Atmo) AUT Nicht nur die Museumsmitarbeiter demonstrieren, auch Einwohner des Stadtteils Altona und andere Kulturschaffende aus der Stadt sind dabei. Auch die Gewerkschaften und die Oppositionsparteien schließen sich den Protesten an, prangern die Sparpolitik des schwarz-grünen Senats an. So auch die SPD- Bürgerschaftsabgeordnete Gabriele Dobusch. E 14 (Dobusch) Wir stehen hier in der Museumsstraße. Seit über 100 Jahren steht hier ein Museum. Hier ist eine kleine Perlenkette der besonderen Art, der anderen Art, nämlich eine kulturelle Perlenkette. Das ist es, was wir wollen und das gilt es zu bewahren. Und ich hoffe, dass wir alle zusammen stehen um das auch hinzubekommen. G 04 Atmo Applaus... überblenden Text Autorin) AUT An der neobarocken Fassade des Deutschen Schauspielhauses, gleich hinter dem Hauptbahnhof, flattert ein riesiges Bettlaken: "Die Kampfansage" steht in großen Lettern darauf geschrieben. M 02 Musik Hey Jude, don´t make it bad (instrumental unter Text Autorin) AUT Aus Solidarität treffen sich sämtliche Kulturschaffende auf der Thalia-Bühne und demonstrieren Geschlossenheit gegen die Sparvorhaben des Senats. "Hey Stuth, don´t make it bad" singt, angelehnt an den Beatles-Klassiker, vom Ballettchef bis zur Opernintendantin, die gesamte Szene. Warum? E 15 (Stuth) "Ja, das frage ich mich, ehrlich gesagt, auch..." AUT Wundert sich Reinhard Stuth ob der Kritik an seiner Person. E 16 (Stuth) Ich finde das auch nicht berechtigt, nicht angemessen... ich bin vielleicht das Gesicht, das geradestehen muss. Das ist auch richtig so. Aber es wird jetzt sehr auf meine Person verengt, aber es war ein Beschluss von GAL und CDU." AUT Es sind Aussagen wie diese, die Reinhard Stuth zum Schuldigen aller Misere machen. Als Anwalt für die Kultur versagt er. Seine Mandantin, die Kultur, würde ihn lieber heute als morgen seines Amtes entheben. Denn: Er hat sie ohne Widerstände hingenommen, die Sparvorschläge seiner Senatskollegen. Und: Er scheint keine Ahnung von seinem Metier zu haben. Als er dem Deutschen Schauspielhaus vorschlägt, man könne doch zukünftig auf Gastregisseure verzichten, um das Budget zu schonen, sind die verantwortlichen Theaterleute erst einmal sprachlos. Es ist die Chefin der Kulturfabrik Kampnagel, Amelie Deuflhard, die die entsprechenden Worte findet für das "absolute Highlight der Stuth´schen Politik", wie sie sagt: E 17 (Deuflhard) "Das ist halt ein bisschen schwierig. Regisseure am deutschen Stadttheater sind niemals angestellt. Regisseure am deutschen Stadttheater oder in der Oper sind immer freiberufliche Künstler die engagiert werden müssen. Und klar, wenn man dem Schauspielhaus die Regisseure wegnimmt, dann gibt´s eben nie wieder neue Produktionen, dann kann man`s eben auch einfach direkt zumachen." AUT In Hamburg mache man Kulturpolitik wie in einer "Feudalherrschaft", sagt Sabrina van der Ley, eine der beiden Leiterinnen der Galerie der Gegenwart. Dem kann Amelie Deuflhard nur zustimmen: E 18 (Deuflhard) "Was hier passiert in der Stadt - und was so schockierend ist, finde ich für alle Kulturschaffende - ich glaube das eint uns alle in Hamburg und überall in der Republik: Ist, dass ohne jede Kommunikation mit den betroffenen Institutionen und ich finde tatsächlich mit großer Inkompetenz Geld weggenommen wird." AUT Ganz im Gegenteil, meint Kultursenator Stuth und weist darauf hin, dass in Hamburg doch bald eine Kulturtaxe erhoben werden soll. Eine Abgabe von fünf Prozent auf Hotelübernachtungen, das macht - laut den Berechnungen der Politiker - 7,5 Millionen Euro, die dann pro Jahr zusätzlich für Festivals, Theaterproduktionen und Ausstellungen ausgegeben werden können. Stuth: E 19 (Stuth) "Ich habe im Augenblick keine Zweifel, dass die Kulturtaxe kommt, der politische Wille ist da." AUT Je länger Reinhard Stuth für die Belange der Kulturschaffenden zuständig ist, desto klarer wird: Mit dem 54jährigen Juristen hat sich Christoph Ahlhaus ein Parteimitglied ins Boot geholt, dem die Anordnungen "von oben" wichtiger zu sein scheinen, als für die richtige Balance zu sorgen. Sein Verhalten leuchtet ein, wenn man sich die berufliche Historie des Kultursenators einmal genauer anschaut.Man erinnere sich an den März vergangenen Jahres. Eben jener Reinhard Stuth, seines Zeichens Staatsrat in der Kulturbehörde, wird vom damaligen Bürgermeister Ole von Beust in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Ein Grund: Der Personalrat der Kulturbehörde beschwerte sich in einem offenen Brief über den Führungsstil des Juristen: Der sei häufig nicht erreichbar, sein Umgangston sei harsch und er verfüge nicht über die nötige Konfliktlösungskompetenz. Ein weiterer Grund: Die Chemie stimmte nicht zwischen der damaligen Kultursenatorin Karin von Welck und Staatsrat Stuth. Stuth musste also gehen. Dann, ein Jahr später: Der geschasste Staatsrat kehrt zurück - an die Spitze der Behörde. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen: Die Zeichen standen nicht gerade Richtung erfolgreicher Neuanfang. Und nach seiner Feuerprobe in den ersten Monaten seiner Amtszeit wird deutlich: Als Anwalt der Kultur hat er sich wahrlich nicht profilieren können. Auch nicht bei dem Kulturgipfel, der nach Wochen negativer Schlagzeilen und Protesten vom Hamburger Bürgermeister Christoph Ahlhaus einberufen wird. Die Führungsspitze der Politik trifft auf die Haute Volée der Kultur in der Stadt. 28. Oktober, kurz vor 20 Uhr. Vor dem Gästehaus des Hamburger Senats haben sich Bürger zu einer Mahnwache versammelt, halten Kerzen in der Hand und Plakate in die Höhe. G 05 Atmo Pfiffe, Buhrufe AUT Als die Politiker in ihren Limousinen vorfahren, werden sie von Pfiffen und Buhrufen ins Haus begleitet. Und einen trifft es wieder besonders hart: M 03 Atmo Gesang - Hey Stuth, don´t make it bad AUT Vier Stunden später, kurz nach Mitternacht. Nach den Gesprächen treten die Beteiligten vor die Mikrofone. Der Bürgermeister ergreift als Erster das Wort: E 20 (Ahlhaus) Wir waren uns einig, dass die für den Kulturstandort Hamburg schädlichen Diskussionen und Debatten der letzten Wochen beendet sein müssen, um das Image, den Ruf Hamburgs an dieser Stelle nicht zu schädigen. Wir sind uns auch einig, dass wir stolz sein können auf das, was an kulturellen Einrichtungen und Institutionen in dieser Stadt geleistet wird. Und wir haben deshalb dann in einem zweiten Teil des Gesprächs sehr konkret über die Entscheidung des Senats gesprochen...- AUT Und sind zu einer gemeinsamen Lösung gekommen. Das Ergebnis: Der Senat rudert zurück. Zwar sind die Einsparungen nicht vom Tisch, aber sie sind zeitlich gestreckt. Die Kulturinstitutionen haben selbst Vorschläge unterbreiten können, wie die Maßnahmen am besten durchzuführen sind. Stichwort Schauspielhaus: Die Kürzungen in Höhe von 1,2 Millionen Euro, die Deutschlands größter Sprechtheaterbühne für die kommende Spielzeit drohten, werden nun zeitlich gestreckt. In der nächsten Spielzeit 600.000 Euro einsparen, im Jahr drauf 900.000 - also 1,5 Millionen Euro insgesamt. Das könne man schaffen, so der kaufmännische Leiter des Hauses, Jack Kurfess. Das heißt: Weniger Gastschauspieler, weniger Inszenierungen. Aber wenigstens keine Schließung. Die neuen Zahlen erleichtern zudem die Suche nach einem neuen Intendanten. Das hat jetzt auch der CDU-Politiker Ahlhaus verstanden. E 21 (Ahlhaus) Ich möchte vor allem die Suche nach einem Intendanten mit Strahlkraft nicht dadurch behindert wissen, dass wir hier Vorfestlegungen machen, die möglicherweise interessierte Leute, die Hamburg gut tun, die dem Schauspielhaus gut tun, dann wegen dieser Vorfestlegung möglicherweise Abstand nehmen. AUT Nicht nur bei den Kürzungen des Schauspielhauses rudert der Senat zurück, auch im Fall der Historischen Museen wird es Veränderungen geben. Ursprünglich hatte der Senat beschlossen, das Altonaer Museum, das zur Stiftung Hamburgische Historische Museen gehört, Ende des Jahres zu schließen. Christoph Ahlhaus: E 22 (Ahlhaus) Das Museum Altona wird zum 1.Januar des kommenden Jahres nicht geschlossen, sondern die Stiftung historischer Museen wird bis zum 1.April des kommenden Jahres eine Neukonzeption für die Museumslandschaft der historischen Museen in Hamburg vorlegen. AUT Was im Klartext bedeutet: Die Schließung ist erst mal vom Tisch, gespart werden muss auch hier trotzdem. Kirsten Baumann, Alleinvorstand der Stiftung: E 23 (Baumann) Ich bin auch sehr froh, dass wir eine Streckung des Prozesses erreichen konnten. Das halte ich für eine professionelle Umsetzung der Maßnahmen für unbedingt erforderlich. Insofern kann man natürlich nie glücklich sein, nach solchen Kürzungsbeschlüssen, das hat sicherlich auch niemand erwartet, aber ich denke, wir können jetzt alle mit diesem Ergebnis anfangen zu arbeiten. AUT Zwar gibt es keinen Grund zu allzu großer Euphorie, doch die Kulturschaffenden in der Stadt fühlen sich jetzt ernstgenommen. Auch durch das verhaltene "Mea Culpa" des Regierungschefs Ahlhaus: E 24 (Ahlhaus) Der Senat hat verstanden auch insoweit, dass es vermutlich, und das sage ich durchaus auch selbstkritisch, und an meine eigene Adresse und an die Adresse der Hamburger Politik, dass es eben nach einem Bürgermeisterwechsel und nach einem Wechsel des Kultursenators nicht möglich ist, innerhalb von drei Wochen die nötige Kommunikation zu führen, die nötig ist, um mit den betroffenen Einrichtungen über derart einschneidende Sparmaßnahmen auch einen Konsens zu erzielen. AUT Also letzten Endes alles ein Kommunikationsproblem? Nicht ganz, denn die Einwohner gehen wieder auf die Straße, um ihrem Unmut Luft zu machen. Das hat weniger damit zu tun, dass jetzt in der Hansestadt eine "Hamburg21" Bewegung aufkommt, so weit ist man an der Elbe nicht, doch die Erfahrungen mit dem Gängeviertel - als Widerstände von Künstlern und Bürgern dafür gesorgt haben, dass die ursprünglichen Pläne historische Gebäude abzureißen und Platz für einen weiteren gesichtslosen Bürobau zu machen, revidiert wurden, dürfen die Bürger in ihrer Protestlaune gestärkt haben. Das Zurückrudern des Senats beim Sparpaket oder die erfolgreiche Besetzung des historischen Gängeviertels können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Stadt - abgesehen von der Hochkultur - die Künstler davonlaufen. Gerade der künstlerische Nachwuchs, der "Humus" - wie der Maler Daniel Richter erklärt. Er ist selbst vor wenigen Monaten von Hamburg nach Berlin gezogen. E 25 (Richter / (telefonisch) Der Humus sind die jungen Künstler und Künstlerinnen, die praktisch noch gar keine Karriere haben. Das sind die Leute, die experimentieren, die das Experiment möglich machen. Die sich die Räume offen halten. Und nur, wenn es diese Räume gibt, kann es eine Kunst geben. In dem Moment, wo die alle etabliert sind, gibt es diese Räume nicht mehr. Und dann gehen die Künstler auch alle weg. AUT Florian Tampe ist Teil dieses "Humus": Er studiert Kunst und überlegt ebenfalls, von Hamburg nach Berlin zu ziehen. E 26 (Florian Tampe) In Hamburg ist es sehr schwer, ein bezahlbares Atelier zu finden. Man kann nicht 300 Euro für irgendein WG-Zimmer bezahlen, was man eigentlich auch gar nicht haben will, und noch mal 400 Euro oder 300 Euro für ein Atelier und dann noch arbeiten gehen, ein Studium zu Ende bringen, und zwischendurch Kunst machen? Wie soll das funktionieren? AUT Des Problems des Platzmangels ist sich die Stadt bereits seit längerem bewusst. Schon seit Juni 2009 wird geplant, weitere Atelierräume zu Verfügung zu stellen. Und auch in der Speicherstadt gebe es zahlreiche Initiativen, die mit Hilfe von Mäzenen Platz für künstlerisch nutzbaren Raum schaffen wollen. Es tut sich also etwas in der Stadt, doch es reicht nicht. Die Kulturpolitik setze sich, das haben die Geschehnisse der vergangenen Wochen wieder gezeigt, lieber für konsumistische Großveranstaltungen ein, als für wahre Kultur - ist sich Daniel Richter sicher. E 27 (Richter) Die Kulturpolitik der Stadt im weitesten Sinne ist ja eine, die auf den Tourismus fixiert ist. Unterm Strich ist die Kulturpolitik die Harley Davidson-Tage und das Fleetinsel-Fest und das Kirsschblütenfest und das Alsterfest und das Elbfest... und das sind alles immer nur Konglomerate aus Mist, in denen man Currywurst essen kann und nen Hamburger essen kann, wo ne Blues-Rockband spielt oder ein Feuerwerk stattfindet. Es ist immer die gleiche abgeschmackte Art von Konsum und Massenunterhaltung. AUT Zwar sollen die Erlöse aus der Kulturtaxe, die der Senat durchbringen will, in die Kultur fließen - aber mehrheitlich in große Festivals und vereinzelte Großausstellungen. Das Ökonomische hat hier Vorrang: Effiziente Kultur sei, was Touristen anziehe. Nach Meinung des neuen CDU-Bürgermeisters Christoph Ahlhaus soll beides möglich sein: E 28 (Ahlhaus) Dabei muss Kulturförderung aber immer beides beinhalten: die großen Leuchttürme mit Ausstrahlungswirkungen weit über die nationalen Grenzen hinaus und den "kreativen Humus", die Identität stiftende kulturelle Basis in dieser Stadt. AUT Die Elbphilharmonie ist ein solcher Leuchtturm, erklärt Ahlhaus und: E 29 (Ahlhaus) Sie wird ein Wahrzeichen Hamburgs werden, und deshalb ist es richtig, dass sie auch bei unseren finanziellen Anstrengungen ein Schwerpunkt ist. AUT Während sämtliche kulturellen Einrichtungen unterfinanziert sind, leistet sich der Senat dieses Millionen-Prestige-Projekt. 77 Millionen Euro - so viel sollte den Steuerzahler das Prestigeprojekt ursprünglich kosten. Eine Fehlkalkulation, wie sich schnell herausgestellt hat. Immer wieder hat der Baukonzern Hochtief zusätzliche finanzielle Aufstockungen geltend gemacht und mittlerweile sind die Kosten für den Hamburger Haushalt auf 323 Millionen Euro explodiert. Die Eröffnung der Elbphilharmonie war zuletzt für Mai 2012 geplant - seit kurzem steht fest: Daraus wird nix. Der neue Termin ist Mai 2013 - also ein Jahr später. Das kostet, aber: E 30 (Ahlhaus) Nennen Sie mir bitte ein Projekt in dieser Größenordnung, was am Ende nicht länger gedauert hat und viel teurer geworden ist, als ursprünglich geplant. AUT Es ist ein Kraftakt für alle Beteiligten, dieses Wahrzeichen zu einem guten Ende zu bringen. Die Streitigkeiten zwischen der Stadt und Hochtief werden zwischenzeitlich vor Gericht ausgetragen. Doch möglicherweise hat Christoph Ahlhaus Recht, wenn er sagt: E 31 (Ahlhaus) Unsere Elbphilharmonie in Hamburg wird Weltruf erlangen. Und spätestens in 10 Jahren werden alle Hamburgerinnen und Hamburger voller Stolz auf dieses neue Wahrzeichen blicken. AUT Allein: 10 Jahre sind eine lange Zeit. Dann wird Christoph Ahlhaus wahrscheinlich nicht mehr im Amt sein. Deshalb sollte er sich jetzt auf die vielen kleinen Leuchttürme - die Museen, Theater und Musikinstitutionen - in der Stadt konzentrieren, um Hamburgs kulturelle Identität wieder zu schärfen. -ENDE Herb- 1