COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport vom 1.11.2011 Kein Pregnant Hill - Familienleben in Hellersdorf Autorin: Katja Bigalke Atmo Anziehen Autorin Heute war sie extrem früh dran, sagt Anja Rülke und verdreht die Augen: Schon um fünf Uhr ist ihre zweieinhalbjährige Tochter Valeska in ihr Bett gekommen. Da hilft dann auch kein Kuscheln mehr, sagt die Mutter. "Die ist dann putzmunter." Atmo kurz hoch Autorin Um halb neun haben die beiden schon lange gefrühstückt. Valeska ist angezogen, das in Rosa gehaltene Kinderzimmer aufgeräumt. Anja Rülke macht den Fernseher aus, hilft ihrer Tochter in Schuhe, Mantel, Mütze, setzt ihr den Rucksack auf. Los geht's in die Kita. Atmo Treppen Autorin Auf dem Dreirad strampelt das Mädchen den gepflasterten Weg entlang, vorbei an grauen Plattenbau-Fassaden. Sie steigt immer wieder ab, hüpft von Treppenstufen herunter oder schiebt das Dreirad wie einen Kinderwagen vor sich her. Atmo "Können wir weiterfahren?" Autorin Anja Rülke lacht, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: O-Ton Man muss mit nem Kind auch geduldig sein, weil Geschrei erzeugt Gegengeschrei hab ich gelernt. Autorin Anja Rülke und ihr Kind - das ist ein ständiges Learning by doing. Als die robuste, 26-jährige Frau vor knapp drei Jahren von einem Mann, den sie kaum kennt, schwanger wurde, lebt sie noch bei ihrem Vater. Der arbeitet nachts im Schichtbetrieb, die Mutter ist früh verstorben. Ohne Ausbildung absolviert Rülke eine Beschäftigungsmaßnahme nach der anderen. In den Zeiten dazwischen schläft sie bis mittags, geht spät ins Bett. "Nach dem Hauptschulabschluss war irgendwie die Motivation weg", sagt sie. Mit dem Kind wird alles anders, auch wenn der Vater bis heute seine Tochter nicht sehen will und keinen Unterhalt zahlt. Sie sucht Hilfe beim Familientreff um die Ecke, beginnt ernsthaft nach einer Ausbildung zu suchen, und findet eine, die sie bald anfangen wird. O-Ton Ich sag mal so, sie hat meinem Leben wieder einen Sinn gegeben. Egal wie oder wo, aber sie ist immer da, was schön ist, sie zickt immer rum, was nicht so schön ist. Aber das machen wohl alle Kinder. Ich sag mal so, wenn ich meine Ausbildung geschafft habe, sind meine Ziele erfüllt - ne Familie, Arbeit, ... Valeska fahren! ... weg vom Amt ... Atmo Ankunft an der Kita Autorin Die beiden sind in der Kita angekommen. Ein von innen renovierter, zweistöckiger Plattenbau: hell und freundlich. Anja Rülke ist froh, dass es nach einem Jahr Nachhaken doch noch geklappt hat mit einem Kitaplatz. Als Hartz IV Empfängerin steht man ganz hinten auf den Wartelisten, erklärt sie. Ein Teufelskreis: Denn ohne Kitaplatz klappt es weder mit einem Job noch mit einer Ausbildung. Atmo "sagste Mama Tschüss" - Kuss - "bis nachher" Autorin Anja Rülke ist in Hellersdorf geboren und wohnt gern hier. Das Einzige, was sie wirklich stört, sind die heruntergekommenen Spielplätze in den Innenhöfen der Großraumsiedlung. Dreckig und veraltet seien die, dazu voll Hundekot. Doch jeder Ausflug in die Stadtmitte zeige ihr, dass sie da nicht hingehört: O-Ton Ich bleibe hier. Ich war mit meinem Vater mal in Berlin Mitte und da sind wir in einer Straße vorbei gelaufen und da war da ein Gucci-Laden und Prada und ich so: Wo bin ich? Das war total Neuland für mich, weil so was kennt man hier nicht. Da biste dann an nem Autoladen vorbei, da war dann Lamborghini, Ferrari und da klebste dann an der Scheibe - kennste hier gar nicht. Trenner Draußen Schritte Autorin Hellersdorf, ein in den 80er-Jahren am nordöstlichen Rand Berlins schnell hochgezogenes Neubaugebiet, gilt als einer der sozialen Brennpunkte der Hauptstadt: Überdurchschnittlich viele Menschen leben hier von staatlichen Transferleistungen. Schaut man auf die Situation der Kinder und Jugendlichen sieht es noch viel schlechter aus: Nach einer Studie des Kommunalpolitischen Forums wächst knapp die Hälfte von ihnen mit Hartz IV auf, mehr als 60 Prozent leben bei alleinerziehenden Eltern. Und die haben es immer schwerer, Betreuungsplätze für ihre Kinder zu finden: O-Ton Lange Zeit gab es hier mehr Kitas und Schulplätze als Kinder, weil nach der Wende hat sich die Zahl der Kinder halbiert. Viele Schulen und Kitas wurden dann auch abgerissen. Aber mittlerweile gibt es eine Nachfrage, die nicht mehr ganz befriedigt werden kann. Autorin Für Elke Herden vom örtlichen Quartiersmanagement verschärft sich die Situation vor allem deshalb, weil immer mehr Familien mit niedrigen Einkommen an den Stadtrand ziehen. Sie weichen von den hohen Mieten in der Innenstadt auf die günstigen, unsanierten Plattenbausiedlungen aus. So wird der lange unter Abwanderung leidende Stadtteil zunehmend wieder bevölkert: von jungen Familien mit unterdurchschnittlichen Aussichten im Berufsleben und überdurchschnittlich vielen Kindern. Vor allem an sie richten sich die Projekte des Quartiersmanagements. O-Ton Zum Beispiel gab es eine ehrenamtlich geführte Kinderbetreuung im Quartier und die haben wir unterstützt, dann haben wir eine Kindereinrichtung ins Leben gerufen mit Leseangeboten. Dann ist es uns gelungen, ein Kinderforscherzentrum vorzubereiten und mittlerweile hat auch der erste Spatenstich stattgefunden. Atmo draußen Autorin Trotzdem wirkt der junge Stadtteil bei einem Rundgang ganz anders als der ebenfalls für seinen Kinderreichtum berühmte Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Statt Familiencafés mit Indoorspielzimmern, in denen Eltern und Kinder Latte Macchiato und Babylatte trinken, gibt es hier den "kleinen Bierkrug", den Pussy-Cat-Private- Club und eine Spielhalle für über 18-Jährige. Statt Spielzeuggeschäften, Kinderboutiquen und -Buchläden stehen in der Hellersdorfer Promenade viele Läden leer, ansonsten dominieren Geschäfte für Gebrauchtes und Billigware. Weil die braungrauen Plattenbauten nur Ausgänge auf die Höfe haben, wirkt die Hauptstraße auch an einem sonnigen Tag verlassen. Aber obwohl der äußere Eindruck des Viertels oft kein guter sei, fühlten sich viele durchaus wohl hier, sagt Elke Herden. Diese Identifikation müsse man stärken. Und so versucht ihr Büro Angebote im Viertel zu unterstützen, die die Menschen zusammenbringen und die kostenfrei sind, damit sich alle daran beteiligen können. Zum Beispiel den Bau eines neuen Wasserspielplatzes: O-Ton Das ist der Drache, der bei diesen Temperaturen natürlich kein Wasser speit, der hier raumgreifend liegt und von den Bewohnern gemeinsam gestaltet wurde. Aus den Nüstern kommt dann Wassernebel. Das Wasser läuft die Rutsche runter. Hier aus dem farbigen Flügel stürzt eine Wasserwand. Also es gibt verschiedene Wasserelemente. Autorin Elke Herden ist sichtlich stolz auf den Wasserspielplatz. Wie sie sich insgesamt immer freut, wenn ihre Projekte gut angenommen werden. Schwierigkeiten bei ihrer Arbeit sieht sie vor allem darin, dass sie viele Bewohner gar nicht erst erreicht. Ein Problem, dass sie mit anderen Einrichtungen, wie zum Beispiel den Schulen teilt: Atmo Schule / Unterricht Autorin In der ersten und zweiten Klasse der Wolfgang Amadeus Mozart Schule steht Deutsch auf dem Programm. Die Kinder schauen sich Zeichnungen an, überprüfen anschließend, ob die Sätze darunter zu den Bildern passen. Atmo kurz hoch Autorin Die meisten Kinder wirken motiviert, beteiligen sich, arbeiten selbständig an den Aufgaben, die Martina Sommer, die Lehrerin, sie allein machen lässt. Atmo "Samantha kann schon lesen - lies mal die Aufgabe ..." Autorin Martina Sommer schaut den Kindern über die Schulter, hilft, wenn es stockt, beantwortet Fragen. Sie arbeitet gern an der Schule, die im Kiez besonders beliebt ist, weil sie einen Musikschwerpunkt hat und jedes Kind ab der ersten Klasse ein Instrument lernen kann. Aber die Situation in den Klassen habe sich deutlich verschlechtert, sagt die Lehrerin: Schon in der Grundschule hätten jetzt immer mehr Kinder Konzentrationsschwierigkeiten. O-Ton Insgesamt in diesem Wohngebiet - seit 95 arbeite ich in Hellersdorf - ist der Prozentsatz gestiegen. Damals waren die Kinder auch noch besser vorbereitet auf die Schule. Aber das soziale Umfeld hat sich geändert. Dass mehr einkommensschwache Familien hierher gezogen sind. Man hat zunehmend mehr Kinder, die nicht nur Lernprobleme haben, sondern auch Verhaltensauffälligkeiten, und man hat mehr Kinder, die der Förderung bedürfen. Wir hatten auch schon Kinder, die unter dem Tisch saßen und überhaupt nicht mitarbeiten konnten. Autorin Oft fehle es bei diesen Kindern an familiärer Unterstützung, um Hausaufgaben zu erledigen, oder insgesamt besser in der Schule mitarbeiten zu können. O-Ton Viele Eltern sind bemüht, dass die Aufgaben gemacht werden. Die Kinder, die im Hort sind, haben ja die Möglichkeit die Aufgaben hier zu machen, aber die Eltern, die das nicht auf die Reihe kriegen, dass die Aufgaben gemacht werden, mit denen muss man das Gespräch suchen, damit dem Kind nicht zu viele Nachteile entstehen, weil der Hortplatz nicht allen Kindern zur Verfügung steht - nur denen, deren Eltern Arbeit haben. Autorin Sommers Wunsch wäre es, dass alle Kinder in die Kita gehen könnten, um besser auf den Schulalltag vorbereitet zu sein. Und dass in den Grundschulen auch die Hortbetreuung am Nachmittag für alle zur Verfügung stünde. Damit wäre nicht nur den Kindern, sondern auch vielen Eltern geholfen, sagt sie. Fragt man Sibylle Stottmeyer, Schulleiterin der Mozart Schule, dann stünde auch die Finanzierung von mehr Sozialpädagogenstellen auf dem Wunschzettel. O-Ton Wir haben jetzt an der Schule einen Sozialarbeiter, aber nur weil wir eine Gemeinschaftsschule sind. Aber eigentlich würde es mir helfen, wenn wir in einigen Klassen mitunter zwei Kollegen hätten, wenn wir einen Kollegen immer hätten, der sich gezielt im Unterricht um solche Kinder kümmert, wenn die dann angesprochen werden, dann könnte der andere sich um den Unterricht kümmern. Autorin Sibylle Stottmeyer ist eine sehr engagierte Schulleiterin. Sie hat ihre Schule in eine Gemeinschaftsschule umgewandelt, in der die Kinder von der ersten bis zur zehnten Klasse gemeinsam lernen und in Kooperation mit einer Oberschule später auch Abitur machen können. Sie hat sich einen Partner an Boot geholt, der an der Schule nun für alle Kinder Frühstück anbietet. Sie lässt Konzentrationstrainings und Musiktherapien schon für die allerkleinsten Kinder anbieten. Doch auch Sibylle Stottmeyer muss feststellen, dass Kinder ohne elterliches Engagement selten große Sprünge machen können: O-Ton Wir hatten letztens über das Berlin der 20er-Jahre gesprochen, aber die kommen teilweise nicht mal raus in Berlin. Ich hatte als Hinweis gegeben das Deutsche Historische Museum, da kommen Schüler umsonst rein. Und dann sagen die: Da kommen wir mit den Eltern nie hin, die chillen hier, wie sie sagen, die kommen nicht raus. Autorin Häufig ist Stottmeyer mit der Situation konfrontiert, dass in der siebten Klasse beim ersten Elternabend nur die Hälfte der Eltern kommt. Der Rest interessiere sich schlicht nicht dafür, den neuen Klassenlehrer kennenzulernen. Viele Eltern wüssten auch gar nicht, in welcher Klasse ihr Kind überhaupt sei. O-Ton Das ist häufig der Fall. Ich muss dann in die Klassenlisten schauen und dann find ich die Namen: Die Eltern wissen manchmal nicht mal, wie der Klassenlehrer heißt. Atmo Kantine Autorin Statt frühkindlicher Förderung und Karriereplanung ab dem 5. Lebensjahr sind in diesem Teil von Hellersdorf viele Kinder schon von klein an sich selbst überlassen, verbringen ihre Nachmittage in Eigenregie. Wenn sie Glück haben, nehmen sie Eltern oder Freunde in Einrichtungen wie die Arche mit, einem christlichen Träger. Er sitzt in einem ehemaligen Schulgebäude und bietet nachmittags eine Betreuung für gut 300 Kinder und Jugendliche an. Es gibt Kurse von Theater bis Skateboard, Hausaufgabenhilfen und ab 12:30 Uhr Essen für alle, die es wünschen. Atmo Kantine Autorin Heute steht Wiener Schnitzel mit Salat und Kartoffeln auf dem Menü. An den langen Kantinentischen sitzen ein paar vereinzelte Mütter vor den Tabletts, essen mit ihren Kindern zu Mittag. Mandy Richter zum Beispiel, 36 Jahre alt und Mutter zweier Töchter, zehn und 15 Jahre alt. Die Hartz-IV-Empfängerin kommt fast täglich hierher. O-Ton Vier Tage die Woche bestimmt, heutzutage ist es sehr schwer klarzukommen mit dem Geld: Lebensmittel und Mittagessen helfen über den Monat hinweg. Man kriegt hier Hausaufgabenhilfe, viele Veranstaltungen finden statt. Find ich besser, als wenn die Kinder auf der Straße sind. Autorin Mandy Richter ist es gewohnt mit zwei Kindern und einer schwierigen finanziellen Situation klar zu kommen. Die alleinerziehende Frau macht das im Prinzip, seit sie mit 20 ihre erste Tochter bekam. Denn mit der Arbeit funktionierte es nie so recht. Die Ausbildung fehlte, als Reinigungskraft konnte sie mit zwei kleinen Kindern lange Zeit nicht mehr arbeiten, wie sie sagt. Nun hat sie zwar eine Ausbildung als Altenpflegerin, ist aber wegen rheumatischer Beschwerden krank geschrieben. Früher, zu DDR Zeiten, war das Leben einfacher im Viertel, sagt sie: O-Ton Ich wohne, seit ich zwölf bin, in Hellersdorf. Also im Gegensatz zu meiner Zeit ist es ganz anders. Wir hatten regelmäßige Schulveranstaltungen, das konnte man sich auch leisten. Vieles wurde auch abgebaut. Jugendclubs zum Beispiel, und wenn man sein Kind zum Leichtathletik anmelden will, das kann man kaum bezahlen die Trainingscamps und so muss man ja alleine bezahlen. Autorin Die Hoffnung auf einen beruflichen Aufstieg und mehr Geld scheint Mandy Richter abgeschrieben zu haben. Auch ein bisschen selbst verschuldet, gibt sie zu. Umso mehr wünscht sie sich, dass ihre Kinder es besser haben. O-Ton Meine Kinder sind gut in der Schule. Meine Große ist sich noch nicht so sicher, was sie werden möchte, ich sag auch immer: muss fleißig lernen und die Ausbildung auch beenden, damit sie rein kommt ins Arbeitsleben auch mit nem Beruf, der gesucht wird. Autorin Ein Satz, den ihre Tisch-Nachbarin, eine 24-jährige Mutter mit zweijährigem Sohn sofort unterschreiben würde. Das Problem sei aber, sagt sie, dass es einfach nicht klappt. Seit Monaten bemüht sie sich um einen Ausbildungsplatz als Medizinische Fachangestellte, aber trotz Realschulabschluss hagelte es bislang nur Absagen. O-Ton Ich krieg nichts. Ich hab die Qualifikationen dafür, krieg aber nichts. Autorin Und so gleichen sich ihre Tage seit Monaten wie ein Ei dem anderen. O-Ton Ich versuche nicht in den Hartz-IV-Trott reinzukommen, nicht so um zehn aufstehen wie die meisten und Fernseher anzumachen. Ich stehe meistens um 7 auf, mach Frühstück für mich und den Kleenen. Dann gehe ich raus, dann mache ich den Einkauf fertig, dann gehe ich hierher Mittagessen, dann gehe ich zum Spielplatz bis 17/18 Uhr, dann geh ich nach Hause, dann Badewanne, Abendessen und dann geht er schlafen und in der Zeit versuche ich dann, dass ich das erledige, was liegen geblieben ist und dann gehe ich vor den Fernseher. Recht langweilig. Ich möchte das gerne anders haben. Ist ziemlich eintönig. Autorin Janine ist eine hübsche Frau: modisch gekleidet, sorgsam zurecht gemacht. Sie gibt sich Mühe mit ihrem Kind, spricht ganz ruhig mit ihm, achtet auf gutes Benehmen am Tisch. Dass sie schwanger wurde, war damals ein Unfall, sagt sie. Eine Abtreibung brachte sie nicht über sich. Irgendwann zog sie dann von Rügen an den Berliner Stadtrand, weil sie sich hier mehr Chancen ausrechnete, etwas aus sich zu machen. Heute denkt die junge Frau oft, dass das ein Fehler war, dass sie in diesem Umfeld nicht weiterkommt. O-Ton Viel zu viele Kinder und viel zu viele junge Mütter. Die sind 18,19 und haben meist schon ein Kind. Die machen sich keine Birne. Das ist verantwortungslos, wenn man arbeitslos ist. Hier gibt es viele Mütter, die nichts mit dem Tag anfangen zu wissen, aber Kinder haben und arbeitslos sind. Wenn ich das manchmal so sehe, frag ich mich schon, in was für einem Bezirk bin ich hier gelandet. Autorin Sagt es und packt sich noch ein paar frische Lebensmittel ein, die heute in der Arche zum Mitnehmen auf einem Tisch bereitliegen: Bananen, einen Kohlkopf, Brot. Atmo Buntes Haus Autorin Kathrin Rother, die Leiterin des Bunten Hauses, einem Familientreff ein paar Straßen weiter, kann es verstehen, wenn die Eltern, vor allem die alleinerziehenden Mütter, aufgrund der aussichtlosen Situation zunehmend resignieren. Dennoch versucht sie, zu helfen. Mit einem guten Dutzend 1,50-Euro-Jobbern betreibt sie in einem Ladengeschäft der Hellersdorfer Promenade einen Leseclub. In dem werden gemeinsam Bücher gelesen, es gibt einen Kreativtag, an dem eine Kunstpädagogin mit Eltern und Kindern bastelt und malt. Der große Innenraum ist wie ein Indoorspielplatz gestaltet. Hier kann auch im Winter gespielt werden. Vorn im Café gibt es Snacks sowie viele Informations- und Beratungsangebote zu Ernährung, Verhütung, Unterstützung beim Jobcenter. Kommen Kinder und Eltern regelmäßig, sagt Rother, bemerke man schnell Fortschritte: O-Ton Wenn wir Kinder ein dreiviertel Jahr drin haben, merken wir, dass sie besser sprechen, sich auch mehr zutrauen zu sprechen. Man merkt, dass die auch andere Themen angehen. Die können sich auch anders streiten, auch verbal Konflikte austragen. Wir merken auch an den Eltern, dass die sich entwickeln, dass die rausgehen für ihre Rechte kämpfen, wenn sie es dann noch schaffen Kitaplatz zu bekommen. Autorin Natürlich erreicht auch Rother nur einen Bruchteil der Eltern im Viertel. Viele Kinder kommen ohne Begleitung und selbst wenn sie schon länger kommen, taucht niemals ein Erziehungsberechtiger auf. Die Leiterin des Hauses bedauert das. Aber sie würde auch diesen Eltern niemals unterstellen, dass sie sich nicht das Beste wünschen für ihr Kind. Das sagen sie nämlich alle, sowohl die 24-jährige Mutter ohne Ausbildung und Zukunftspläne, die wie sie sagt "aus Versehen" sechs Kinder bekommen hat, als auch die alleinerziehende Mutter, die schon mit einem Kind überfordert ist. O-Ton Unsere Erfahrung ist, dass sich die Eltern wünschen, dass die Kinder den Armutskreis durchbrechen. Sie sind aber oft dazu nicht in der Lage, die Kinder auch dazu befähigen. Autorin Rother meint, die verschiedenen Institutionen im Viertel müssten noch viel enger zusammenarbeiten, die Sozialträger mit den Schulen, mit dem Jugendamt. Das Netz sei zwar da. Aber es würde eben überall gespart. An den Schulen fehlten Lehrer, an den Kitas Erzieher und beim Jugendamt Familienberater. Das Budget "Soziale Stadt", aus dem Einrichtungen wie das Bunte Haus und das Quartiersmanagement bezahlt werden, wurde zuletzt um die Hälfte gekürzt. Das bekommt auch Rother zu spüren. 40 Mitarbeiter hatte sie im letzten Jahr. Seit Beginn 2011 muss sie mit 16 Leuten auskommen. Was auf der Strecke bleibt, sind die Träume der Kinder: O-Ton Die Träume und Wünsche der Kinder sind die der anderen Kinder, auch geliebt zu werden von den Eltern, mit dem Papa mal nen Ausflug zu machen. In Bezug auf die Eltern ist es immer, dass die froh sind, ne Arbeit bekommen, Die kriegen das ja mit, alles mit, dass sie sich nicht alles leisten können und dass es ne unglückliche Familie ist. Wenn wir ein Fest veranstalten, ist das immer die Frage: Kostet das was oder kann ich was gewinnen? Das macht uns immer sehr traurig, weil woanders muss es wohl eine Ausgrenzung nach dem Preis geben. 8 8