COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Deutschlandrundfahrt, 2.8.2008, 15.05 Uhr ?Drachenblut und Kirschen. Auf der Spur der Sagen im Odenwald? Von Sabine Korsukéwitz OPENER MIT MUSIK O-Töne über die Musik 01 Scheele Dieser Unhold hat durch einen Blitzschlag das Leben erhalten, die Tür des Labors eingetreten, seine tückischen gelbblinzelnden Augen geöffnet, seinem Erzeuger ein paar zwischen die Lichter gegeben, sich in die Wälder verdrückt und da streunt er heute noch rum! 02 Hiller Es gab früher den Glauben, dass jedes Haus einen Hausgeist hat, den Kobold, der auf dem Dachboden lebte und sich von Lebensmitteln ernährte, die in der Küche nicht abgedeckt wurden. Deshalb wurde auch immer was zu essen hingestellt, wo kein Deckel drauf war, damit die Kobolde was zu essen vorfinden konnten. 03 Naumann Das sind sogenannte Feierabendziegel, die nach Abschluss des Tagewerk hin und wieder mal gemacht worden sind. Man hat Verzierungen reingemacht, hier hat man das als Hexenbesen bezeichnet, Abwehrzeichen, die gen Himmel gerichtet das Haus schützen sollten. 04 Mittenhuber Ja, die Familie Daum, die hat ja in der Folge von mehreren Generationen immer wieder berichtet, dass das wilde Heer durch die Scheune zog und auch Einzelheiten dazu: Kettengeklirr, Hundegebell, Hussarufe, Pferdegewieher... G 1 Wilde Jagd (kurz, muss gebaut werden) Spr.v.D. ?Drachenblut und Kirschen. Auf der Spur der Sagen im Odenwald?, eine Deutschlandrundfahrt mit Sabine Korsukéwitz Openermusik geht über in Atmo 1 (nur unter erstem Autorentext) Atmo 1: Straße mit Musik aus einem Laden/ vorbeifahrendes Auto/ Kirchenglocke Autorin Das Mittelgebirge auf dem Dreiländereck Hessen, Bayern und Baden-Württemberg: Friedlich und aufgeräumt erscheint dem Reisenden der Odenwald, wenn er mittendrin irgendwo dem Zug entsteigt: eine Kirche aus rotem Buntsandstein; hübsche, alte Fachwerkhäuser mit Geranienkästen drängen sich an die alte Schlossmauer; Holzspielzeug und Krippenfiguren in den Schaufenstern; kaum ein Ort, den nicht ein romantischer kleiner Bach durchteilt. An den Sommerabenden sitzt, wer kann, in der Wirtschaft, im Biergarten und schwatzt bei Weißbier oder Apfelwein. Und doch ist diese Gegend ein Nest von Märchen und Sagen, eine Brutstätte für Schauergeschichten. Die deutschen Märchen der Brüder Grimm ? so heißt es, stammen allesamt von hier. 05 Kaffenberger Das steckt in der Luft, ja? Das hängt zusammen mit der Natur und den vielen Gebäuden die?s gibt, Schlösser, Burgen, Ruinen aber auch Naturgegebenheiten wie Felsen, es gibt verschiedene Gesteinsmassen, die aufeinander treffen, es gibt eine Spannung. Und ja, da klingt die Fantasie an und da werden Geschichten drum erfunden und gesponnen. Autorin Alexander Kaffenberger ist selbst das beste Beispiel dafür. Er veranstaltet als Regisseur Freilufttheater mit Laiendarstellern aus der Gegend und eigenen Stücken, deren Zutaten er sich in Pfarrbüchern und Stadtarchiven zusammensucht. Dabei stieß er auf ein Odenwälder Original, den Raubacher Jockel: 06 Kaffenberger Mit nem Kollegen vom Theater ?Kurz und bündig? waren wir jahrelang unterwegs mit der Jockelgeschichte, bei Festen, bei Veranstaltungen, bei Geburtstagsfeiern, oft auch in Gaststätten und wo wir hinkamen im Odenwald gab?s immer wieder ältere Leute, die kannten den noch: Bis 1941 hat der gelebt, 1866 geboren, und es kamen immer wieder ältere Leute die gesagt haben: Ah! Der Jockel war auch einmal bei uns. Und so hatten wir am Anfang zwanzig Anekdoten und zum Schluss ? einen Reichtum von Dingen, ne? Autorin Ein Tagelöhnerkind aus Raubach, war der Jockel ein Alleskönner und Herumtreiber. Als Köhler und Leichenbestatter hat er gearbeitet, als Tierheiler, Uhrmacher, Soldat, Gemeindediener, am liebsten aber als Musikant und Spaßvogel auf Kirchweihfesten ? ?Kerwe?, wie das hier heißt. In der berühmtesten Jockel-Anekdote ist er mal wieder Köhler: 07 Kaffenbacher Und zwar der Raubacher Jockel war im Fürstenauer Forst beim Holz machen. Auf einmal kam ein feiner Herr vorbei und hat gesagt: ?Sie da, können Sie mir sagen, wie ich den Weg in die Raubach finde?? Da hat der Jockel gesagt: ?Ganz einfach, da musst du den Buckel nuff, de Buckel wieder runner, de Buckel wieder nuff, de Buckel wieder nunner und dann siehst du?s schon.? Der Herr war brüskiert und hat gesagt: ?Wissen Sie denn nicht, wen Sie vor sich haben?? ?Ja, no!?, hat der Jockel gesagt. ? Ich bin sein Herr, der Graf von Erbach-Fürstenau!? Der Jockel: ?Und wenn du fünf mal der Graf bist, da musst du doch de Buckel nuff, wieder nunner, de Buckel nuff, wieder nunner.? Musik 1 Ausschnitt Ouvertüre Freischütz kurz freistehend/dann unter Autorin Interpret: Berliner Philharmoniker/Herbert von Karajan Titel: Der Freischütz/Overture CD: 2 Track: 1 Komponist: Carl Maria von Weber Text: LC/Best.-Nr.: 4769012 DLR-Archiv#: 50-12899 Autorin Die Anekdote beschreibt auch schon die typische Landschaftsform des Odenwald: Den Buckel rauf und wieder runter und wieder rauf und wieder runter. - Aus rundlichen Hügeln besteht er; auf jedem Berg ein Wäldchen, in jedem Grund ein Hof oder ein Dorf. Landstraßen, die zum Trödeln einladen, schlängeln sich durch Wiesen und Felder, durch Sonnenflecken und durch die Schatten hoher Buchen und Fichten. An den Wegrändern blühen Fingerhut, rosa Türkenbund und weißer Mädesüß ? eben eine Märchenlandschaft in der man jeden Augenblick erwartet, ein Rotkäppchen um die Ecke biegen zu sehen. Die vielen kleinen Buckel sind durch dieselben geologische Störungen entstanden wie der Oberrheingraben, erklärt der Geo-Ranger Michael Hahl, den wir auf dem größten dieser Buckel treffen ? auf dem Katzenbuckel, einem ehemaligen Vulkanschlot, wenig beeindruckende 600 Meter hoch? 08 Hahl Wenn wir im kristallinen Odenwald sind, also im Westen, da haben wir?s mit Granit zu tun und dieser Granit ist entstanden als zwei Kontinente die es inzwischen längst nicht mehr gibt, aufeinander zugerauscht sind und dabei Glutflüssige Gesteinsmasse aus dem Erdinneren nach oben emporgestiegen ist. G 3 Vulkanexplosion 09 Hahl Im Buntsandstein-Odenwald hatten wir eine weite Ebene, wüstenhaft, zum Teil aber immer auch von verschiedenen Flüssen durchflossen. Diese Flüsse haben über viele Jahrmillionen hinweg Sand abgelagert und Kies und Ton auch, und aus diesem Sand wurde später der Sandsstein. Der wurde später erst wieder zugedeckt, da kam dann noch die Muschelkalkzeit, wo auch wieder Meere die Landschaft mitgeformt haben. Autorin So teilt sich der Odenwald in den kristallinen, den Buntsandstein-Odenwald und das sogenannte Bauland ? von ?Anbau? - die fruchtbare Muschelkalkzone. Und weil der Odenwald nicht nur landschaftlich schön, sondern auch geologisch besonders interessant ist, hat die UNESCO ihm ein Gebietszertifikat verliehen: Geo-Naturpark. Dafür gibt es ausgewiesene Wanderwege, Infozentren an allen besonderen Punkten, und Führungen mit Geo-Rangern wie dem gelernten Geografen Michael Hahl, der aber auf Nachfrage auch mal eine Sage parat hat: 10 Hahl Bekannt ist zum Beispiel der Nöck, das ist ein Wassergeist, der im Neckar gelebt hat, der hatte auch ein paar attraktiveTöchter, das waren die Nixen. Und eines Tages soll einmal ein Flößer sich etwas zuviel mit diesen Nixen beschäftigt haben, was dem Vater, dem Nöck nicht gefallen hat. Daraufhin hat der Nöck diesen Flößer ins Wasser gezogen, der ist ertrunken, irgendwann sind aber mal seine früheren Kollegen mit einem Floß über den Neckar gefahren und haben eine seltsame Gestalt aus den Neckar herausschauen sehen, behangen mit grünen Algen und das ganze Gesicht hatte keine menschliche Farbe mehr aber sie haben in den Gesichtszügen doch noch ihren ehemaligen Gefährten erkannt, haben den angesprochen, aber er hatte nur ein unheimliches Lachen für sie bereit und dann wieder in den Fluten abgetaucht. Und da er aber immer noch seine Hakenstange in der Hand hatte geht seither die Sage um, dass der Hakenmann, der ?Hokemann? im Neckar spukt. Und den Kindern hat man wohl früher immer erzählt: Geh net so no an den Neckar, sunscht holt euch der Hokemann!? Musik 2: 2:00 Interpret: de Phazz Titel: virgin forest CD: Tales of Trust Track: 5 Komponist: Pit Baumgartner Text: Pit Baumgartner LC/Best.-Nr.: Musik geht über in Atmo 4: Waldvögel (nur unter erstem Autorentext) Autorin Von einem stumpfen Rot, ochsenblutfarben bis altrosa ist der Stein im Buntsandsteinodenwald, der etwa zwei Drittel des Gebiets einnimmt, armer Boden, spät besiedelt, hier hatten es die Bauern eher schwer: 11 Hahl In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, da haben manchen Dörfer auch keine Überlebenschance mehr gehabt, es gab auch einige verlassene Dörfer, weil die Bevölkerung umgesiedelt wurde, zum Teil auch nach Amerika ausgewandert ist. Man hatte es natürlich auch mit einem rauen Klima zu tun. Da hat sich der Begriff Winterhauch heraus kristallisiert, weil?s hier besonders kalt war, manche sprechen auch heute noch scherzhaft von badisch-Sibirien. Geräusch 4 Glöckchen (leise, nur ein Hauch ca unter ?Wandlung?) Autorin Von der Landwirtschaft allein konnte man kaum leben und so kam den Leuten ein Wunder durchaus gelegen: 1330 stieß ein Walldürner Pfarrer aus Unachtsamkeit nach der Wandlung (!) den bereits konsekrierten Kelch um. Das vergossene Blut Christi zeichnete daraufhin auf dem Altartuch das Bild des Gekreuzigten und darum verteilt 13 Häupter Christi mit deutlich erkennbarer Dornenkrone. Das ?Blutwunder? wurde bekannt und Pilger begannen nach Walldürn zu strömen. Wallfahrtsleiter ist der Franziskaner Pater Josef Bregula, ein Schlesier, der erst seit 1990 in einem deutschen Kloster lebt; ein durchaus moderner Priester. Zum Interview kommt er in einer Pferdekutsche gefahren ? frisch vom Fototermin mit dem Bürgermeister, um für die Pferdewallfahrt zu werben. 12 Bregula Mit der Wallfahrtszeit ist es so, dass es immer nach Pfingsten am Dreifaltigkeitssonntag ist die vierwöchentliche Wallfahrtszeit. Da wird (der) Blutschrein geöffnet, da kommen viele Pilger, also da ist richtig vier Wochen was los. Autorin In dieser Zeit muss die kleine Stadt Walldürn auch heute noch an die 80.000 Pilger unterbringen und versorgen ? keine leichte Aufgabe. Was erwarten diese Menschen? 13 Bregula Auf jeden Fall die erwarten hier ein bisschen Ruhe zum innerlich beruhigen und etwas Energie zu stärken und erwarten einen Gottesdienst gemeinsam zu feiern, Andacht ist gut angenommen, die Lichterprozession in der Wallfahrtszeit, und die wollen eine Gemeinschaft hier in Walldürn erleben, die haben (das) schon vor Jahren gemacht und machen immer wieder. Autorin Das Blutbild auf dem alten Tuch ist nicht mehr zu erkennen. War es je da und wenn ja, könnte die Abbildung nicht Zufall gewesen sein, ein seltsam geformter Fleck? 14 Bregula Zufall kann nicht sein, das wurde mehrmals bestätigt, dass nach der Wandlung von diesem Wein sind elf Köpfe von Jesus Christus abgebildet und in der Mitte war Corpus Christi. Mit normalen Augen kann man das nicht sehen aber mit dem Ultraviolett kann man das noch bestätigen und die letzte Untersuchung war 1959 und hat bestätigt, dass es nicht mit einer Farbe so gemalt (ist), sondern das ist richtig vom Blut Christi abgebildet. Autorin Um die Wallfahrtsbasilika drängen sich Geschäfte, in denen man Kerzen, Heiligenbilder, Handy-Rosenkränze und allerlei Kitsch kaufen kann. Jesus und die Händler? Pater Josef hat damit kein Problem. 16 Bregula Ich finde das nicht schlecht. Auf jeden Fall ist das nicht in der Kirche, Basilika, das war die Sache damals mit Jesus; das ist (ein) Andenken, und da finde ich ganz gut, zum Beispiel vor dem Bild sich Gedanken zu machen über Gott, Maria und die anderen Sachen, oder wenn wir die Kerze anzünden dann machen wir (das) nicht um zum Beispiel eine Zigarette daran anzuzünden, sondern zum Beten oder vor ein Bild oder vor dem Kreuz zu stellen ? auf andere Gedanken kommen wir mit solchen gesegneten Andenken. Autorin Die Händlerin versicherte übrigens, dass man die gekaufte Kerze nur in der Basilika mit etwas Weihwasser beträufeln müsste, dann sei sie gesegnet. Das war geschwindelt ? hoffentlich hat sie?s inzwischen gebeichtet. G 5 Putzmühle (als Akzent kurz stehen lassen, dann unter Autorin wegblenden) Autorin Diese Mechanik gehört zu einer alten Putzmühle, mit der man früher die Spelzen vom Weizenkorn getrennt hat und ist im Freilandmuseum Gottersdorf, nahe Walldürn. Hier stehen an einem Dorfteich Bauern- und Tagelöhnerhäuser aus dem 16. bis späten 19.Jahrhundert, Fachwerk, teils verputzt und in leuchtendem Ultramarin oder dunkelrot bemalt. Auch innen haben noch die ärmlichsten Hütten Wandbemalungen in kräftigen Farben: 16 Naumann Das ist selber gemacht worden oder auch in Auftrag von Tünchern gegeben worden seit der Mitte des 19.Jh.. Hat gar nichts mit Reichtum zu tun, das war damals erschwinglich. Das sind sogenannte Kaseinfarben ? Käsefarben, da ist verwendet Kalk, Milch und dann ein chemischer Zusatz, der diese kräftige Farbe hervorbringt. Diese Pulverfarben wurden in Fässern angeliefert, das haben sich die Tüncher von den Bahnhöfen geholt und sind dann mit dem Leiterwagen über die Dörfer gezogen und haben ihre Dienste angeboten. Autorin Zu Recht stolz führt der Leiter des Museumsdorfs, Thomas Naumann, durch die geretteten Häuser. Die ehemaligen Bewohner verdienten sich ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft und in der Devotionalienfertigung für die Walldürner Wallfahrt: 17 Naumann Da entwickelte sich eine Wachsindustrie, eine Zuckerbäckerindustrie, und wohl das bekannteste Gewerbe für Walldürn: Die Papierblumenmacherei. Diese Papierblumen-industrie hat sich beliefern lassen mit vorgefertigter Ware, das war Frauen-, Kinderarbeit in den Häusern für wenige Pfennige oder Kreuzer früher hat man da tagelang gearbeitet und das dann beim Blumenfabrikanten abgegeben, der es dann weiter verarbeitet hat. Das sind zum Teil halbfertige Blumen, da ist sogar ein fertiges Sträußchen, Rosenstrauß, typische Sträuße wie sie früher auf dem Jahrmarkt waren in der Schießbude drin. Man muss sich hier vorstellen, um den kleinen Tisch saßen vielleicht acht Leute und haben den Abend über ein Teil nach dem anderen gefertigt. G 6 Stroh häufeln Autorin 2 Kisten Papierblumen für ein Brot. Winzig und niedrig sind die Tagelöhnerhäuschen, aus Bruchholz und Zweigen geflochten, mit Lehm und Stroh verputzt. Große Bretter waren zu teuer, Steine auch ? wer sich leisten konnte mit Stein zu bauen war ? stein-reich. Ziegel, anfangs auch ein Privileg, wurden im 18 Jahrhundert für alle frei gegeben, um Waldbrände durch die Strohdächer zu vermeiden. Thomas Naumann zeigt eine Besonderheit: Ton 18 beginnt mit Treppen steigen (schon unter Autorentext legen) 18 Naumann Das sind die sogenannten Feierabendziegel, die nach Abschluss des Tagwerks hin und wieder mal gemacht worden sind, man hat Verzierungen reingemacht. Hier das hat man früher als Hexenbesen bezeichnet, Abwehrzeichen, die gen Himmel gerichtet das Haus schützen sollen, so fächerartige Figuren, die dann da drauf sind. Es gibt aber auch Sprüche ... also wenn ein Bauherr geizig war, dann kann es auch vorgekommen sein, dass ein Spruch drauf drauf geschrieben wird: Alois Ehrhard ist ein Pfannenflicker und ein Saukopf! Und das wurde dann eben auf?s Dach gesteckt und der Hausherr hat davon nie was erfahren. Autorin Der Kulturwissenschaftler Thomas Naumann hat das Freilandmuseum zusammen mit einem Trägerverein und zum Teil mit Landesmitteln aufgebaut in bis ins Detail liebevoll ausgestattet. Inzwischen sind alle stolz auf den Tourismusmagneten, aber das war nicht immer so: 19 Naumann Als wir damit angefangen haben und darauf bestanden haben, dass eben die gesamte soziale Palette des Hausbaus in ein Freilichtmuseum aufgenommen werden muss, nicht nur die großen schönen Bauernhäuser, da war auch Unmut in der Bevölkerung zu verspüren. Man sagte: Diese alten Buden, warum müsst ihr die ins Museum stellen, und also diese Geschichte von uns zeigen, da blamiert man sich ja! Diese gibt?s jetzt in der Realität so gut wie nirgends mehr. Da war gerade noch ein Zipfel der Geschichte zu erwischen vor zwanzig Jahren! Musik 3 Interpret: Quintette Aquilon Titel: Sechs Bagatellen , 1. Satz CD: (Aufnahme Dradio: 230.7.08 Katharinenkirche Lenzen) Track: - Komponist: György Ligeti Text: LC/Best.-Nr.: - DLR-Archiv#: Bandnummer DB 101-742 S Autorin Deutschlandradio Kultur auf Rundfahrt im Odenwald, dem ?Sagen?-wald. Im Mühltal gut versteckt in dichtem Wald, nur über eine sich schlängelnde, schmale Bergstraße zu erreichen, liegen die Reste einer Burg, die ihren Namen für eine Schauergeschichte aus dem frühen 19. Jahrhundert hergeben musste: Mary Shelleys ?Frankenstein?. Die Sonne scheint auf zwei verbliebene Türme und einen Teil des früheren Burghofs. Man hat einen fantastischen Blick von hier oben über den ganzen Odenwald, über die Pfälzer Berge bis ins Rheintal und alles sieht eigentlich ganz freundlich aus. Wurde hier tatsächlich ein Monster erschaffen? Burgführer Walter Scheele sagt ?nein?, aber ganz geheuer war?s hier nicht... G 8: Gewitter (zwischen 20, a, b Donnerkrachen/Einschlag) 20 Scheele 1673 wurde Johann Konrad Dippel von Frankenstein hier geboren. Er hat bei einem der berühmtesten Anatomen seiner Zeit Anatomie studiert in Gießen und er hat dann natürlich auch weiterhin anatomische Studien getrieben und zu dem Zweck hat er die Leichen auf dem Friedhof in Niederbeerbach geraubt. Er war also ein Grabräuber. Und weil der Pfarrer von Niederbeerbach, Moritz Krieber, ihn hier nicht loswerden konnte, hat er eine Schauergeschichte in die Welt gesetzt, vielleicht sogar das erste mobbing überhaupt: 20a Er hat nämlich erzählt, der Alchimist Dippel ist ein Blutsbruder des Teufels und hat mit dessen Hilfe einen Unhold erschaffen und dieser Unhold hat durch einen elektrischen Schlag, durch einen Blitzschlag das Leben erhalten, seine tückischen gelbblinzelnden Augen geöffnet, hat die Tür des Labors eingetreten, seinem Erzeuger ein paar zwischen die Lichter geschlagen, sich in die Wälder verdrückt und da streunt er heute noch rum! 20b Und diese Schauergeschichte hat die Leute maßlos beeindruckt. Die haben dann anschließend haben sie die immer weiter erzählt, und so kam die an die Brüder Grimm als die noch Märchen gesammelt haben. Und Jakob Grimm hat das 1813 an die Übersetzerin der Märchen ins Englische, an Mary Jane Clairmont kolportiert. Mary Jane Clairmont ist die Stiefmutter der späteren Mary Shelley gewesen. Autorin Auf mindestens einer Reise hat Mary Shelley dann ja Burg Frankenstein besucht und das Monster war geboren. Aber schon im Mittelalter war die Burg gut für Gruselmärchen: 21 Scheele Der Ritter Schorsch ist einer der Herren von Frankenstein gewesen, hat hier im Wohnturm der Burg gewohnt und sein Zimmer ging auf das Tal nach Niederbeerbach runter. Und dabei hat er sich aus dem Fenster guckend in des Försters Töchterlein, die schöne Annemarie verliebt. Und da er ja ein Adliger, ein Ritter war und die schöne Annemarie war nur die Tochter des Försters, da durfte das nicht sein. Aber die beiden hat das wenig gestört und immer wenn die Luft im Forsthaus rein war, sprich der Förster auf Jagd oder sonst wo war, hat sie drei Kerzen im Fenster angemacht, das hieß: Ritter, kannst kommen, Gelegenheit ist günstig. Dann hat er drei Kerzen angemacht, das hieß: Lichter gesehen, Ritter im Anmarsch. Autorin Ausgerechnet, als der Ritter dann aber mal auf Kriegszug war, hat sich ein Drache am Katzenborn eingenistet und angefangen, die Jungfrauen des Ortes eine nach der anderen zu verspeisen. Und als die Reihe an der schönen Annemarie war, kam wie durch ein Wunder der Ritter nach Hause... 22 Scheele Und da war der Ritter Schorsch entsprechend dagegen, weil er meinte, dass er mit der schönen Jungfrau was Besseres anzufangen wüsste als so ein dämlicher Drache. Und da isser rausgeritten an den Brunnen am nächsten Morgen und hat sich mit dem Drachen in die Wolle gekriegt, der hat ihn fürchterlich mit dem Schwert attackiert, der Drache hat den ganzen Wald mit seinem Feuerspucken angesteckt und schließlich hat der Schorsch ihm eine mit seinem Schwert verpasst, dass er blutend niedersank. Und dann hat der Drache mit seinem Giftigen Stachel an seinem Schwanz den Schorsch ins Knie gestochen. Und daran ist er gestorben. Und die schöne Annemarie, anstatt sich einen Jüngeren zu suchen, hat se drei Tage gejammert, geklagt und geweint und ist dann auch gestorben. Autorin Und da spukt sie heute noch. Das Blut des Drachen aber ist in eine Quelle am Katzenborn gelaufen und hat diese Quelle so verfärbt, dass sie seither ?Dunkelbach? genannt wird. Auf Burg Frankenstein sitzt heute eine Restaurant-Event GmbH, veranstaltet gruseliges Dinnertheater, Hochzeiten in der Burgkapelle, auf Wunsch erscheint auch Fräulein Annemarie mit Kerze in der Hand. Musik 4 Holzmichel (bis 1. Refrain) G 9 Baum fällen Autorin Es war einmal ein armer Köhler, der lebte im tiefen Wald ? so beginnen viele deutsche Volksmärchen. ?Arm? und ?Köhler?, das ging wie selbstverständlich Hand in Hand. Im Odenwald, besonders im kargen Buntsandstein-Teil, war Holz oft das einzige Zubrot zur Landwirtschaft, die auch nicht allzu viel einbrachte. Bis zum Beginn des 19.Jahrhunderts war der ehemals dichte Urwald so ausgeplündert, dass sich die Landesherren zu Schutzmaßnahmen gezwungen sahen. Es wurde wieder aufgeforstet, so dass heute das Verhältnis zwischen Wald und Ackerland wieder so ist wie im Mittelalter. Forstwirtschaft spielt eine wichtige Rolle im Odenwald, aber die Köhlerei wird heute nur noch als Hobby betrieben. 23 Sauer Die Köhlerei liegt bei mir in der Familie, mein Vater war schon Köhler gewesen und dann auch, wo das dann zu Ende gegangen ist hat mein Schwiegervater, der Adam Knopf diese Tradition fortgesetzt. Autorin Joachim Sauer ist KfZmechaniker und fährt jeden Tag 60 Kilometer zu seinem Arbeitsplatz in Darmstadt. Alle zwei Jahre nutzt er seinen Urlaub, um mit Freunden bei Waldmichelbach einen großen Meiler zu bauen. 24 Sauer Als erstes stellen wir einen Kamin, den sogenannten Quandel , das ist also ein Schacht, über diesen Schacht wird auch der Kohlenmeiler entzündet, und um diesen Quandel wird dann senkrecht konusförmig die Holzscheite gestellt. Autorin Wir stehen auf einer abgeflachten Lichtung, nahe einem Bach und dem Gedenkstein für Adam Knopf, den letzten professionellen Köhler der Region. Die kreisrunde, geschwärzte Stelle, das ist die sogenannte Köhlerplatte. Es riecht nach Erde, Rauch und würzigem Buchenholz. 25 Sauer Mir zünde den dann an, also, bevor das Holz dann steht, da wird er mit Gras oder Laub abgedeckt, dann kommt diese Erde drüber, dass er also luftdicht ist, und dann wird er oben angesteckt über diesen Quandelschacht. Das brennt dann von oben nach unten und von innen nach außen. Die ersten zwei Tage brauchen wir, bis sich da Hitze entwickelt und dann werden wir die ersten Löcher setzen, das heißt über diese Löcher, Kopflöcher wird dann der Meiler gesteuert. Also wir geben dann Sauerstoff dazu und aus dem Rauch der dann austritt von diesen Kopflöchern sehen wir wie weit unser Meiler ist. Mir unterscheiden dann zwischen weißer Rauch und blauer Rauch. G 10 Holzfeuer Autorin Weißer Rauch bedeutet: Der Meiler ist noch nicht ganz durchgekokt. Der Köhlerberuf ist nicht ganz ungefährlich... 26 Sauer Ich hab schon Geschichten gelesen: Früher haben sie sehr große Meiler gemacht und da kann?s schon passieren dass manche Köhler da spurlos in dem Meiler verschwunden sind. Das ist dann sehr labil, diese Masse Holzkohle, und wenn der dann auf diesen Kohlenmeiler drauf geht, wenn man nicht aufpasst, ruckzuck ist man dann in dem Meiler versunken. Da herrschen Temperaturen so zwischen 350 und 500 Grad. Und man muss da drauf! In der ersten Zeit muss man auch immer wieder diesen Quandelschacht, diesen Kamin wieder mit Holz nachfüllen. Autorin Wenn der Rauch sich nach etwa 10 Tagen blau färbt und die Holzkohle ?geerntet? werden kann, dann gibt?s ein Fest für Freunde und Touristen. Der Erlös aus dem Verkauf der hochwertigen Buchenholzkohle geht in die Vereinskasse. Köhlergeschichten kennt er keine, aber Touristen foppt er gern: 27 Sauer Das Holz besteht ja aus mehrere Bestandteilen, also Holzessig, Teer und so weiter, Und wenn Leute kommen und sagen: Was macht ihr denn mit dem Holzessig? Dann sagen wir, des tun wir weiter verarbeiten zu einem guten Holzschnaps. Musik 6 Instrumental (6:51) Interpret: Franz Waxman Titel: The bride of Frankenstein CD: Legends of Hollywood Track: Komponist: Waxman Text: LC/Best.-Nr.: LC 6083 VSD 5257 DLR-Archiv#: 90-42032 G1 Wilde Jagd/Geisterheer entweder hier kurz auftauchen lassen, dann Instrumental weiter unter Zitat oder/und später mehrmals.... Zitator OC Sehr verborgen, nicht leicht zu finden, liegt im Walde die Burgruine Rodenstein. Und es ist wirklich ein recht wunderlicher Wald, sehr kraus, sehr verschlungen, vieler Wälder Eigenarten in sich vereinend. Eichen und Buchen, Erlen, Tannen und Lärchen stehen mächtig und schwer über mannshohem Gestrüpp, rote Beeren leuchten giftig durch riesige Farnkräuter, ..., schwarzgelbe Feuersalamander huschen über grünumwucherte Steine, ..., und fällt einmal ein Sonnenstrahl in die Dämmerung, so flammen sie rostrot auf wie Bruchstücke von vergessenen Mordwaffen...OC Autorin So schrieb 1927 Werner Bergengruen. In Fränkisch Crumbach wird eine Sage lebendig gehalten, die es auch in anderen Gegenden und Kulturen gibt, die vom Geisterheer, das durch die Lüfte zieht. Wenn Kriege drohen steigt Junker Hans von Rodenstein aus seinem Grab und reitet, um die Menschen zu warnen. In der Kirche von Fränkisch-Crumbach, umgeben von roten Sandstein-Epitaphen mit den überlebensgroßen Gestalten der Rodensteiner Ritter, treffen wir den Lehrer Karl-Heinz Mittenhuber, der mehrere Bücher und Texte über das Phänomen veröffentlicht hat. Er nennt Zeugen für das Phänomen: 28 Mittenhuber Ja, die Familie Daum muss zunächst genannt werden, die den Hahl-Bauernhof unterhalb des Schnellertsberges bewohnt, die hat ja in der Folge von mehreren Generationen immer wieder berichtet, dass das wilde Herr durch die Scheune zog und auch Einzelheiten dazu, Geräusche: Kettengeklirr, Hundegebell, Hussarufe, Pferdegewieher und auch undefinierbare Geräusche bis hin zu feiner Musik die immer wieder eigenartiger Weise bei den Erscheinungen des Wilden Heeres auftaucht. Autorin Zuletzt hat der Junker 1939 und dann wieder bei Kriegsende 1945 von sich hören lassen ... 29 Mittenhuber Zeugenaussagen aus jüngerer Zeit gab es hier in Fränkisch Crumbach zumindest von zwei Personen die ich kannte und die haben eben dann etwa Folgendes berichtet: ?Ich stand mit meinem Mann in Beerfurt in der Nähe des Friedhofs und auf einmal hörte ich ein Rollen und Grollen und Brausen direkt über mir und wir schauten hoch und mein Mann und ich schauten uns an und wir sagten beide: Der Rodensteiner!? G 1 Wildes Heer ... Autorin Tatsächlich lässt die Sache sich nicht als vereinzeltes akustisches Phänomen abtun, denn es gibt Zeugenaussagen aus verschiedenen Zeiten. Im 18. Jahrhundert ordnete der Graf von Erbach an, solche Aussagen aufzuschreiben, die sogenannten Reichenbacher Protokolle. Eintrag vom 19. Januar 1763: Musik 7: Doors ?Riders on the storm? (44 sec Vorspiel unterlegen) Zitator Gestern Abends sey sein Knecht vom Hof herein in die Stube gekommen, welchem seine, Deponentens, Weibsleute voller Ängsten nachgefolget, und hätten gesagt, dass in der Gegend des Schnellarts ein großer Lermen sey, und ihn sodurch veranlasset, hinauszugehen, um zu sehn, ob dem also sey. Als er nun vor die Thür hinaus in den Hof gekommen, habe er ein erstaunliches Getös und Geräusch in der Luft gehöret, welches die quer über seine Güter vorbei, und gegen des Conrad Rauschen Haus sich gewendet, und habe es Deponenten diesesmal nicht anders gedünket, als wenn viele große Hunde zusammen bellten, und eine Stimme, welche immer gerufen, Hou! Hou! dieselbe aufhetze. Autorin Das Heer folgt immer derselben Linie, möglicherweise einer alten Zeremonialstraße der Kelten, meint Karl-Heinz Mittenhuber: 30 Mittenhuber Die geht vom Schnellerts aus und geht über Brensbach, Brensbacher Kirche und dann rüber über Fränkisch Crumbach zum Rodenstein. Oder vom Schnellerts auch direkt über Fränkisch Crumbach zur Burgruine Rodenstein. Und das hat auch mit geologischen Bedingungen in der Erde etwas zu tun: Mit Kraftlinien, die damit in Verbindung stehen. Autorin Kraftlinien, gibt?s denn so was? Der Geograf Michael Hahl, des Mystizismus völlig unverdächtig, sagt: 31 Hahl Kraftlinien würde ich jetzt nicht als Mythos bezeichnen; das ist eine Form wie man auch versucht mit mehr oder weniger wissenschaftlichen Methoden, Kraftfelder, Kraftlinien nachzuweisen... da gibt?s sehr wohl Untersuchungen, die vermuten lassen, das es so was ähnliches gibt. Es geht sicher über den bereich Mythos raus. Musik 7: Doors ?Riders on the storm? (hier sollte der Gesang einsetzen) Interpret: The Doors Titel: Riders on the storm CD: Track: Komponist: The Doors Text: The Doors LC/Best.-Nr.: LC 00192 DLR-Archiv#: 91-53650 Musik einkürzen/Schluss belassen ? Übergang zu Atmo 5 Quelle Autorin Was hier plätschert ist die Siegfriedsquelle, an der Siegfried von Hagen ermordet worden sein soll. Es ist allerdings eine von 13 Siegfriedsquellen im Odenwald. Welches die richtige ist, wird man nicht mehr feststellen können. Diese ist immerhin besonders sehenswert, denn sie entspringt dem Felsenmeer in Lautertal, einer weiteren geologischen Attraktion. Ulrike Kiehne vom Geo-Naturpark: 32 Kiehne Bei der Kontinentkollision ist ein Vulkan entstanden, bloß dass dieser Vulkan nicht ausgebrochen ist und wir stehen hier quasi in dem Pluton drin. Und durch Witterungseinflüsse wurde nach und nach dieser Pluton zerlegt. Durch Regen und Erosion und Windabtrag, dadurch sind dann die Blöcke zuerst ans Licht gekommen und nach und nach wurde das Material außen um die Felsen zerkleinert und abgetragen. Autorin Wie ein Fluss von mehreren hundert Metern Breite schieben sich die gerundeten grauen Granitklumpen einen langen Abhang herunter. Ein bisschen verbeult sehen sie aus, eine Rundung hier, eine Delle da... 33 Kiehne Diese Art der Verwitterung nennt man Wollsackverwitterung weil die Blöcke dann aussehen wie Wollsäcke. Das kommt von dem Schäfer her: Der Schäfer schert die Schafe und stopft die Wolle in so Jutesäcke und die Jutesäcke werden dann genauso rund wie unsere Steine hier. Atmo 6 Felsenmeer (im Folgenden immer unter Autorin) Autorin Wem Geologie pur zu langweilig ist, der kann sich von Kobolden durch das Felsenmeer führen lassen, zum Beispiel von Kobold Kieselbart alias Marita Hiller. Hiller 34 Es gab früher den Glauben, dass jedes Haus einen Hausgeist hat, den Kobold, der auf dem Dachboden lebte und sich von den Lebensmittel ernährte, die in der Küche nicht abgedeckt wurden. Deswegen wurde auch immer was zu essen hingestellt, wo kein Deckel drauf war, damit die Kobolde was zu essen vorfinden konnten und in Haushalten wo das gut klappte, da haben diese Hausgeister auch für Hausfrieden gesorgt, für Ordnung, für Gesundheit, Freundschaft, alles was Positiv ist, und das war so die Anregung, die uns dazu gebracht hat zu sagen: Das Felsenmeer braucht ein paar Kobolde. Autorin Marita Hiller hat sich zusammen mit drei Anderen durch die Führungen ein Auskommen geschaffen. 35 Hiller Wir haben angefangen vor zehn Jahren mit Sagenwanderungen und da kam immer mehr dazu: Wir haben Felsformationen gefunden, die einfach in der Fantasie was zum Klingen brachten, und jetzt ist es so, dass wir Kobold-Touren machen, die dauern ca. zwei Stunden für Kinder aber auch für Erwachsenen, wir machen eine Schatzsuche, die durch das ganze Felsenmeer von unten bis oben geht, wo dann der Schatz des Riesen gefunden werden kann, und zu den römischen Werkstücken so haben wir verschiedene Touren. Autoren Den Buckel rauf geht es durch dichten Wald, wo unter Moos und Wurzeln immer wieder die merkwürdig geformten Wollsack-Felsen durch schimmern. Wertvoller Granit und Diorit sind schon im Altertum abgebaut worden. Ein unfertiger Sarkophag ist da zu sehen, eine riesige zerbrochene Säule und man gewinnt Einblick in die Arbeitsmethoden antiker Steinmetze. 36 Hiller Das nennt sich der geschrammte Stein, weil da solche Riefen drin sind, die sind gemacht worden zum Sondieren, ob der Stein gesund ist. Denn der Steinhauer kann am Klang des Steines hören, ob er innere Risse hat oder ob er heil bleibt und so spaltet, wie man das gerne hätte. Und die Steinhauer hier vor Ort, die haben den ungesunden Klang des Steines so bezeichnet: Die haben gesagt: Er babbelt. Aber dieser Stein war gesund, hier ist was anderes passiert, hier haben sich die Römer an der Arbeitsteilung versucht. Sie haben von zwei Seiten auf einander zu gearbeitet aber der eine war ein Profi und der andere war ein Anfänger ? und so ist auf der einen Seite keine gerade Keilnut entstanden und die beiden Keilnuten hätten sich in der Mitte auch gar nicht mehr getroffen, so dass man irgendwann dieses Werkstück aufgegeben hat (Stimme oben) Autorin Ja, so geht?s eben, wenn man mit schlecht bezahltem Personal billig arbeiten will. Musik. Artie Shaw, Whistle while you work, Bear Family Records, LC 05197 Autorin Vom kristallinen Odenwald ein Sprung zurück in den Buntsandstein-Odenwald nach Höchst-Annelsbach. Die Odenwälder waren zwar keine reichen Leute, aber sie wussten aus dem, was sie hatten das Beste zu machen: Die Küche ist deftig. Man isst viel Fleisch, Braten, oft mit Obst kombiniert. Dazu wird gern Apfelwein serviert und einer, der sich darauf versteht, ist der Gastwirt Peter Merkel: 37 Merkel Mein Urgroßvater, der war Bierbrauer von Beruf und hat allerdings kein Bier gemacht sondern wahrscheinlich schon Appelwein aber dokumentiert ist noch Limonade-Herstellung 1903, es gibt einen Gewerberegisterauszug von Höchst im Archiv: Es wurden zwo Webstühle abgemeldet und eine Mineralwasserfabrikation mit nicht mehr als elf Mitarbeitern angemeldet. Ja, ist klar: Er, seine Frau und die hatten dann noch neun Kinder! (lacht) Also es gab wohl dann die Vorgeschichte der Leinweberei noch, mit den Webstühlen, die scheinbar dann niederging und dann hat man was Neues gesucht. Dann hat man Limonade hergestellt und diese Limonade war dann Waldmeister und Himbeerlimonade. Aber die Appelweinherstellung ungefähr seit 1935, 36 ? man hatte das verwegene Ansinnen, hier in Annelsbach Appelwein zu machen und den ? weil man gehört hatte: In Frankfurt wird Appelwein getrunken ? denselbigen dann nach Frankfurt zu verkaufen! Das Projekt ist dann auch mehr oder weniger gescheitert, aber damals wurden die Baumpflanzungen gemacht, von denen wir ja heute noch zehren und die heute noch weiter geführt werden. Autorin Die alten Baumpflanzungen beinhalten Schätze, die jeden Gärtner neidisch machen. Peter Merkel stellt daraus nicht nur den gemischten Most ?quer durch die Obstwiese? her, sondern er hat sich spezialisiert. 38 Merkel Einmal haben wir sortenreine Appelweine, dass wir eben dann bestimmte Appelsorten für sich keltern, hier haben wir dann zum Beispiel einen Bohnappel sortenrein, nur von dieser Sorte, rheinischer Bohnappel, oder vorn hab ich noch einer Erbachhofner mit Zuccalmaglio ? also da wurden diese beiden Apfelsorten verkeltert zu einem Apfelwein oder das geht eben auch von ?nem Winterrambour oder auch von nem Brettacher Appel oder ein Erbachhofner allein für sich. Wir haben auch im Odenwald ganz interessante Sorten: Das ist also der Odenwälder Kurzstiel oder der Reichelheimer Weinapfel, der Fränkisch-Crumbacher Mostappel, der Beerbacher Taffetappel oder auch im Spessart drüben der Lohrer Rambour, na gut, nur um so ein paar Sorten mal zu nenen, oder eben Geheimrat Dr.Oldenburg, was ganz feines, so ne Appelsorte nur für sich gekeltert! Autorin Nussaroma, füllig, kräftig mit einer guten Apfelnote ? sagt der Fachmann. Und weil der Nährstoff arme Boden für Tafelobstplantagen ungeeignet ist, sind die Apfelweine ?Bio? ... 39 Merkel Es ist so dass dieses Hochstammobst gar nicht zu spritzen oder zu bearbeiten ist. Das Einzige wäre wahrscheinlich so ne Bodenmaßnahme also ne Düngung und die findet auch nicht statt. Das Gras wird weggefuttert von Schafen oder von Rindern, vielleicht wird mal gemulcht. Autorin Und dann gibt?s zum Apfelwein einen schönen Lammbraten... 40 Merkel Ja, genau! (lacht) Autorin Und wo kriegt man solch guten Apfelwein her? 41 Merkel Herkomme, kaafe, mit hemm nemme! Und hier noch ein bisschen konsumieren vorher und probieren und schmecken, erschmecken. Also man kann ihn auch verschicken, es gibt einige Kollegen auch und kleinere Keltereien und auch größere, die ihre Produkte versenden, muss man dann schauen wo man was bekommen kann, weil es ja ein regionales Produkt ist, auch in dem Sinn: vor Ort gemacht, vor Ort gekauft. Autorin Eine Geschichte, Herr Merkel, bitte, wir sind doch im Sagenwald! Was hat es zum Beispiel mit diesem Neidkopf auf sich, der an der Breuburg zu sehen ist, dieser Fratze, die dem Betrachter die Zunge rausstreckt? 42 Merkel Was wir als Kinder als Geschichte überliefert bekommen haben, da war das also so, dass die Burg wieder mal belagert wurde von den Otzbergern und die wollten also diese Breuberger aushungern in der Burg und die Breuberger hatten noch ein Schwein. Und dieses Schwein haben sie jeden Tag aus dem Stall geholt und im Burghof gequengelt ? sagt man ? dass es laut gequietscht und geschrien hat, so dass also die Otzberger draußen vor dem Tor den Eindruck hatten: Die können jeden Tag noch eine Sau schlachten, denen muss es noch gut gehen. Dann gibt es noch die Geschichte von dem Breilecker, der jeden Tag auf der Burgmauer genüsslich aus seiner Breischüssel futterte, und dann hätten irgendwann beim Beschuss diese Otzberger dem Breilecker eine Kanonkugel in seine Schüssel gefeuert, das hätte ihn aber überhaupt nicht irritiert, der hätte die Schüssel weiter genüsslich ausgekratzt und hätte den Otzbergern die Zunge rausgestreckt, den Belagerern. 12 Kanonenkugel/Einschlag/Scherben Zäsur Ausschnitt aus Atmo 3 ?Erbach? mit instr. Musik Autorin Ganz im Zentrum des Odenwalds liegt Michelstadt, mit seiner Fachwerk-Altstadt und seinem gotischen Rathaus aus dem 15. Jahrhundert. Schräg gegenüber dem Rathaus ist ein Weltmeister ansässig, Trainer der deutschen Nationalmannschaft ? der Koch-Nationalmannschaft, Bereich Patisserie: Bernd Siefert. An seinem Schaufenster kommt kein Schleckermaul vorbei ? er selbst hat einen eher einfachen Geschmack: 43 Siefert Ein schönes Stück Streuselkuchen und für mich ist die Welt in Ordnung. Streuselkuchen und Zimtkuchen, so ganz einfache Sachen, die es halt früher hier mal gab... (Stimme oben) Autorin Wenn er nicht gerade in Japan seine Filialen besucht, berät er Lebensmittelfirmen und Süßwarenhersteller. Was ist der Trend diesen Sommer? 44 Siefert Im Moment ist alles so ein bisschen in Richtung Kräuter, auch im Schokoladenbereich, da ist es so, dass die Industrie inzwischen ein bisschen mutiger geworden ist. Das hat man jetzt bei diesen ganzen Chiligeschichten gesehen, mittlerweile gibt?s ja Chilischokolade wie Sand am Meer in meistens ganz grausiger Zusammensetzung, also es ist nicht immer lecker, was die Industrie da nachbaut (Stimme leicht oben) Autorin Bleiben wir also doch lieber bei den einfachen Dingen des Lebens. Für in den 50er und 60er Jahren im Westen Aufgewachsene zum Beispiel verbindet sich das Wort Odenwald mit dem Geschmack von Kirschen aus dem Glas. Was fällt dem Konditorenweltmeister zu Kirschen ein? 45 Siefert Man kann mit Kirschen unheimlich leckere Sachen machen! Ich persönlich würde immer ne Stange Vanille dazugeben, also ne Vanilleschote, frisch aufgeschlitzt ? ist auch wichtig, weil, wenn man mit richtiger Vanille arbeitet, da können die Glücksgefühle die Vanille auslöst auch wirklich wahr genommen werden, das künstliche Vanillin wird von unserem Körper so in der Art nicht wahr genommen. Dann würde ich noch ein bisschen Orangen- und Zitronenschale dazugeben, ganz fein, dass auch ja nix Weißes dabei ist, und vielleicht noch ein Stückchen Marzipan dazu, weil die Kirschkerne innen drin, die haben ja so ein ganz feines Mandelaroma und die passen da sehr sehr gut dazu. Autorin Tipps vom Weltmeister. Er jettet auf der ganzen Welt herum und ist doch immer wieder froh, nach Hause zu kommen. Warum? 46 Siefert Das ist hier so ein Stückchen heile Welt, das man sonst nirgendwo findet. G 2 Theaterprobe noch mal kurz anklingen lassen Autorin Im Schlosshof Erbach wird mittlerweile fieberhaft für die Premiere geprobt. Der Laienspiel-Regisseur Alexander Kaffenberger erzählt in der Pause noch eine Anekdote von seiner Lieblingsfigur, dem Raubacher Jockel, einem bekannten und regional-typischen Odenwälder Original: 47 Kaffenberger Der Jockel, der ging am Gasthaus Zum Hirschen in Rotenberg vorbei - da haben wir auch gespielt, da kommt die Oma raus und erzählt uns die Geschichte von damals, da war sie noch ein Mädchen gewesen - jedes Mal ging er rein, hat nen Äppelwein getrunken. Jeden Tag ist er eingekehrt. Und eines Tages, der Jockel ging am Gasthaus vorbei! War draußen auf der Chaussee, und die Oma stand am Fenster und sagte: ?Kann das sein? Der Jakob Irisch, der Jockel der wird doch net bös mit uns sein, der geht vorbei!? Und a halb Stund? später geht die Tür uff, der Jockel kommt rein, da sagt sie: ?Ah, Jockel, was war denn?? Da sagt der Jockel: ?Ich hab mir seit Jahren gesagt, mir geschworen, ich probier?s: Heut geh ich mal an der Wirtschaft vorbei. Und heut hab ich?s gepackt. ? Und jetzt hab ich einen Ebbelwoi verdient.? Schlussmusik Spr.v.D. ?Drachenblut und Kirschen. Auf der Spur der Sagen im Odenwald?, eine Deutschlandrundfahrt mit Sabine Korsukéwitz Schlussmusik zum Ausblenden überstehen lassen. Zum Verlängern ggf: Kaffenberger Der Odenwald ist eine Region, der hatte viele Besucher. Und zwar, also das Dreieck Rhein, Main, Neckar ? da drin war der Weg, da sind alle Heere durch. Das fing schon an bei den Römern, die hatten ihre Wege von Fluss zu Fluss, die hatten auch hier einen Teil des Limes gebaut, in späteren Kriegswirren und Jahren waren es die verschiedensten von Franzosen bis hin zu Russen, alle sind hier durch gekommen und alle haben hier ein Stück gelassen. Der Odenwald war nach dem 30jährigen Krieg zum Beispiel halb ausgestorben, es gab Hugenotten die hierher kamen, Zuwanderer, da gibt?s Traditionen, Schweizer die kamen um die Landschaft zu bewirtschaften und das ist halt ein großer Reichtum. Es gibt eine große Vielfalt unter den Odenwäldern und eine Offenheit auch gegenüber Gästen. Hahl Kalkstein zeichnet sich dadurch aus, dass sich Höhlen bilden, und auch im Bauland haben wir Tropfsteinhöhlen, kilometerlange; über einer solchen Höhle haben wir öfters mal Einsturztrichter , Dolinen, da kann?s auch schon mal vorkommen, dass vielleicht ein Bauer mit seinem Traktor gerade seinen Acker pflügt und der Erdboden also nachgibt und vielleicht einige Meter einbricht. Der Sagenschatz hat das aufgegriffen, indem sich Begriffe wie ?Teufelsloch? erhalten haben, weil man auch herging und diese natürlichen Grundlagen, .auf irgendeine Weise erklären wollte. 22