Dein Nachbar, Dein Feind Leben in einer jüdischen Siedlung Eine Reportage von Fredy Gareis, Regie: Einstieg Atmo Baustellenlärm Für Ron Nachman ist Baulärm Musik in den Ohren. Der bullige Bürgermeister von Ariel verschränkt die Hände vor dem Bauch und lächelt. Auf der Baustelle hebt ein Bagger gerade trockene Erde aus der Grube, Sand wirbelt durch die Luft. Atmo Baustelle hoch Baulärm, das bedeutet neue Wohnungen, neue Häuser in Ariel, einer Siedlung im Westjordanland. Nach Meinung vieler dürfte es hier gar keine Häuser geben, aber für den 69-jährigen Ron Nachman, der sich um die Meinung der anderen nicht kümmert, bedeutet der Krach, dass er recht hat. O-Ton Nachmann (englisch) Ein Baustopp wird keinen Frieden bringen. Den gibt es nur, wenn mein Nachbar dazu willens ist. Du kannst Kanzlerin Merkel, Sarkozy, Blair und Obama zusammen bringen, aber Frieden bringt das noch lange nicht. Atmo Baustelle Nachman blickt über sein Reich, über die hunderte von Häusern mit den roten Dächern. Von weitem sieht das hügelige Ariel gezackt wie ein Aligatorrücken aus. Von West nach Ost verläuft die Stadt und ragt wie ein Finger ins Westjordanland, 20 Kilometer hinter der grünen Linie. Ein stacheldrahtgesäumter Zaun riegelt Ariel von den umliegenden palästinensischen Orten ab; Sicherheitskräfte mit Maschinengewehren bewachen die beiden Eingänge zur Siedlung, kontrollieren den Verkehr und können bei Bedarf die Zufahrt mit gelben Rolltoren verschließen. Ariel ist mehr als nur eine Siedlung, eine jüdische Stadt auf palästinensischem Territorium; sie ist ein Ausrufezeichen und wird oft als Hindernis auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung bezeichnet. Ron Nachman findet allerdings, dass es in seiner Stadt derzeit viel zu leise zugeht. Atmo hoch Nur 227 Einheiten hat die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bewilligt. Viel zu wenig, sagt Nachman. Ariel hat Zukunft, die anderen, die Palästinenser dort drüben mit ihrem Traum vom eigenen Staat, die haben keine. O-Ton Nachman (englisch) Mein Nachbar da drüben auf dem nächsten Hügel will keinen Frieden, weil er glaubt der neue Staat wird ein Himmel auf Erden. Aber was machen die Palästinenser morgen, wenn sie ihren Staat haben? Wo sollen sie arbeiten? Welches Wasser sollen sie trinken? Länge: 53'' Regie: Atmo Büro Nachman Nachman winkt in sein Büro, eine Art Container. Er zupft an seinen Hosenträgern und holt ein Fotoalbum aus der Vitrine. Darin sind Dokumente aus der Zeit des Anfangs, wie er mit Schlaghose und steifem Kragen auf einem Hügel zwischen Felsen steht und Richtung Horizont zeigt. Der Bürgermeister blättert in den Seiten, die alten Fotos biegen sich unter der Klarsichtfolie auf. Im August 1978 kommt Nachman ausgestattet mit einer Erlaubnis der Regierung in diese Hügel. Der damalige Verteidigungsminister Moshe Dayan, ruft die Jugend dazu auf, zwei Fahnen hochzuhalten: die des Zionismus und die der Verteidigung. Diesen Auftrag will Nachman erfüllen. Erzählt er heute davon, schleicht sich immer noch Ehrfurcht in seine dröhnende Stimme. O-Ton Nachmann (englisch) Ein Helikopter landete hier auf diesem Hügel und Fuad Ben Eliezer stieg aus, ein Brigadegeneral und Minister der Arbeiterpartei. Zusammen haben wir dann den ersten Felsen bewegt. Hier war alles karg, es gab hier gar nichts. Das war öffentliches Land, Staatsland, wir mussten für die Siedlung den Palästinensern kein Land wegnehmen. Länge: 52'' Regie: Atmo Büro Nachman Zunächst hausen auf dem Hügel gerade mal vier Familien, untergebracht in Armeezelten. Die Fotos in Schwarz-Weiß ähneln denen eines Campingtrips. Dann reist Ron Nachman durch Israel und versucht, Menschen davon zu überzeugen, ein neues Leben in einer Siedlung zu beginnen, die weder Wasser noch Strom hat. Ein Foto zeigt ihn vor einer Karte der Gegend, ein paar Leute sehen ihn aufmerksam an. O-Ton Nachmann (englisch) Ich habe sie gefragt: Was wollt ihr mit eurem Leben anfangen? Ihr seid jung genug, um noch etwas bedeutsames zu machen. Etwas, das euch befriedigt. Die Regierung ruft uns auf eine nationale Mission, die Armee zu unterstützen und die Existenz Israels zu stärken. Also lasst uns zusammen Soldaten für die Nation sein. Länge: 41'' Regie: Atmo Büro Nachman Nachman redet sich warm. Fast 35 Jahre sind vergangen, aber die Erinnerungen an damals sind stark. Er blättert durch das Album, zeigt die ersten Wassertanks, die ersten Orangenbäume, die erste Schule. Der erste Zaun um die Siedlung wird noch mit Kamelen gezogen, weil Autos auf dem Hügel nur schlecht vorwärts kommen. Der Bürgermeister seufzt. O-Ton Nachmann (englisch) Ich will ihnen was sagen: Die Stimmung der Menschen war einfach unglaublich. Jeden Tag ist etwas Neues passiert. Damals hatten wir noch nicht die Autobahn, auf der man 25 Minuten nach Tel Aviv braucht, sondern mussten durch die ganzen kleinen Gassen über die arabischen Dörfer gondeln. Länge: 35'' Regie: Blende zu Atmo Verkehr, Checkpoint Dieses Problem gibt es für die Bewohner von Ariel heute nicht mehr. Eine Autobahn verbindet die Küstengegend mit diesem äußersten Hinterland. Ariel ist wie die meisten Siedlungen, von denen es heute mehr als 100 mit insgesamt 300 000 Einwohnern gibt, als zivile Festung konzipiert. In den 90er Jahren erlebt Ariel einen großen Wachstumsschub. Gut eine Million russische Juden aus der zusammengebrochenen Sowjetunion machen Aliyah. Übersetzt heißt das "Aufstieg" und meint die Einwanderung nach Israel. 6000 davon holt Ron Nachman nach Ariel. Die meisten Siedler kommen nicht aus Überzeugung, sondern aus wirtschaftlichen Gründen. Das Leben in Jerusalem oder Tel Aviv ist teuer, in den Siedlungen dagegen ist Wohnraum vor allem für junge Familien bezahlbar. Regie: Atmo Autotüren, Zündung, Motor Reuven Franks steigt in den Wagen und fährt los. Der schlanke 32-Jährige trägt sein Hemd über der Jeans und ist einer der wichtigsten Menschen in Ariel: Er arbeitet für die Stadt und ist als Aliyah-Direktor zuständig für frisches Blut in Ariel. O-Ton Franks (englisch) Mein Job besteht aus zwei Teilen. Der erste ist das Marketing von Ariel im Ausland, vor allem in Nordamerika, Südafrika und England. Das geht zum größten Teil über die Organisationen Jewish Agency oder Nefesh Bnefesh. Der zweite Teil macht wesentlich mehr Spaß und beinhaltet alles, was zur Integration der Immigranten hier in Ariel dazu gehört: von Wohnungssuche über Schule für die Kinder bis zur Jobplatzierung. Länge 40'' Regie: Blende zu Atmo Autofahrt Seit fünf Jahren wirbt er um Einwanderer für Ariel und hilft ihnen, wenn sie schließlich da sind. Gerade ist er unterwegs zu einer Einwanderin aus den USA; er muss sich um ihre Stromrechnung kümmern, hebräisch ist für sie noch eine Ansammlung von fremden Lettern. O-Ton Franks (englisch) Mit dem Internet hat sich die ganze Einwanderung, die Aliyah, total verändert. In den 90ern zum Beispiel hieß es noch Aliyah Metzukah, also Einwanderung aus Not. Die Leute wollten einfach raus aus der Sowjetunion, egal in welche Stadt. Also hatten wir auf einmal eine Million neue Immigranten im Land; das war ihr Ticket nach draußen. Heute aber reden wir von der freiwilligen, der bewussten Aliyah. Die Einwanderer suchen sich ihre Orte gezielt aus, recherchieren und machen sogar einen Vorbereitungstrip. Mittlerweile haben fast alle Städte jemanden, der zuständig für die Einwanderungs- PR ist. Länge: 55'' Regie: Atmo Autofahrt Franks fährt vorbei am Kulturzentrum, dann an dem immer weiter wachsenden College, das inzwischen 12 000 Studenten hat. Der Job, sagt Franks, habe ihm auch dabei geholfen, seine eigene Vergangenheit besser zu verstehen. O-Ton Franks Ich will nicht väterlich klingen, aber es macht mich sehr stolz, wenn jemand seine Füße auf den Boden bekommt, Arbeit findet, es den Kindern gut geht. Denn Einwanderung ist wirklich sehr, sehr hart. Ich verstehe erst jetzt, nachdem ich beruflich damit zu tun habe, was meine Eltern damals durchgemacht haben. Länge: 47'' An einem Zebrastreifen lässt Franks eine junge Frau mit Kinderwagen passieren. Er lässt das Fenster runter, für einen kurzen Plausch. Regie: Blende zu Atmo Franks trifft Svetlana (hey..."manischma" wie geht's...), stehen lassen. Ein paar Minuten später ist Franks am Ziel und steigt aus. Regie: Atmo Telefonat, kurz stehen lassen Während er noch telefoniert, sieht er Natalie Zacks schon, wie sie vor ihrem zwei-stöckigen Haus mit Giebeldach in der Barak-Straße steht und winkt. Im angrenzenden Garten beginnt gerade der Jasmin zu blühen. Die junge Zuwanderin aus den USA trägt einen langen Rock und hat ihr Haar in ein Kopftuch gewickelt. Regie: Atmo Begrüßung Franks/Natalie Natalie bittet ihn rein und zeigt ihm das Haus. Gerade erst ist sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern umgezogen. Jetzt hat die Familie Zacks einen Garten und genügend Platz für die Kleinen zum Toben. O-Ton Natalie (englisch) Schon seitdem ich mit 17 zum ersten Mal in Israel war, wusste ich, dass ich hier leben will. Das ist unsere jüdische Heimat und hier gehören wir hin. Mein Mann wollte damals gar nicht, aber ich habe ihm gesagt, hör zu: das ist mein Plan. Er hat wohl gehofft, dass ich es irgendwann vergesse, aber irgendwann sind dann seine Geschwister nach Israel gezogen und so führte eines zum anderen. Länge: 47'' Regie: Atmo Haus, Kinder spielen Das Paar macht einen sogenannten Pilot-Trip und schaut sich an, wo der zukünftige Lebensmittelpunkt sein könnte. Sie träumt von einem ruhigen Ort, in dem ihre Kinder barfuss auf den Hügeln rumtollen können; er möchte Restaurants und ein bisschen Leben. Die beiden einigen sich auf Ariel. O-Ton Natalie (englisch) Als wir hörten, dass Ariel hinter der grünen Linie liegt, haben wir jetzt nicht gesagt: da müssen wir hin! wir müssen dieses Land besiedeln! Wir haben aber auch nicht gesagt: lieber nicht, das ist viel zu gefährlich. Nein, wir wollten einfach nach Israel. Ab und zu fährt Natalie an den Stadtrand und kauft in den arabischen Geschäften ein, die sich dort niedergelassen haben. Sie will in Frieden leben, von Politik will sie am liebsten nichts wissen: O-Ton Natalie (englisch) Eigentlich versuche ich alles Politische zu vermeiden. Die Nachrichten schaue ich auch nicht, das erzeugt alles nur zusätzlichen Stress. Ich will einfach nur mein Leben leben. Für ihre unspektakuläre Lebensplanung sucht sich Natalie einen spektakulären Ort. Ariel, die jüdische Trutzburg im Westjordanland, umgeben von Feinden. Das wirft Fragen auf. O-Ton Natalie (englisch) Klar, die Frage hat sich schon gestellt, zumindest von Familienangehörigen. Als wir nach Ariel zogen meinten sie: Habt ihr keine Angst, dass eines Tages alles weggegeben werden kann? Dann müsst ihr weg Länge: 59'' Natalie glaubt nicht daran, dass sie irgendwann weg muss. Sie ist glücklich in Ariel, sagt sie noch, streicht ihren Rock glatt und steht auf. Sie muss sich wieder um die Kinder und den Haushalt kümmern. Regie: Blende zu Atmo Gespräch/Verabschiedung Natalie bedankt sich noch bei Reuven für seine Hilfe bei der zu hohen Stromrechnung; dann verabschieden sich die beiden und Reuven Franks fährt wieder in sein kleines Büro durch die kleine Stadt, die so oft in den Schlagzeilen ist. Regie: Blende zu Atmo Kulturzentrum Zuletzt wegen eines neuen Kulturzentrums. Im Jahr 2010 öffnet es seine Pforten und sofort hagelt es Kritik: die Siedler wollen Fakten schaffen, heißt es, sie gaukeln Normalität vor, wo es keine gibt. Dazu rufen etwa 100 Schauspieler zu einem Boykott auf und unterschreiben, dass sie nie in Ariel auftreten werden. Regie: Atmo Kulturzentrum hochziehen, kurz stehen lassen An diesem Morgen ist von Boykott nichts zu merken. Etwa 500 Schulkinder aus der Umgebung drängeln sich am Eingang des Kulturzentrums, lachen und kreischen. Ariel Totschemain läuft durch die Gänge, immer das Funkgerät in der Hand, spricht mit den Schauspielern, hält die Kinder unter Kontrolle. Regie: Atmo Leiter bringt Kind zur Räson, kurz stehen lassen Der 47-Jährige Leiter des Kulturzentrums folgt 2010 einem Anruf des charismatischen Bürgermeisters Ron Nachman nach Ariel. Damals arbeitet er in Jerusalem, auch am Theater in Haifa ist er beschäftigt. Ein Kulturzentrum in Ariel zu leiten klingt nicht besonders verheißungsvoll. Aber das täuscht. O-Ton Ariel (englisch) Es ist unglaublich; die Menschen kommen von überall um sich diese Bühne anzuschauen. Wahrscheinlich wollen sie sehen, worum so gestritten wird. Ich liebe das; ich lade die Leute in mein Büro ein und zeige ihnen das Theater. Fast jeden Tag kommt jemand. Und natürlich die Journalisten: aus China, aus Chile, aus Peru. Was? Aus Chile und Peru? Ich frage mich wirklich was die Leute dort an einer Bühne in Ariel interessiert? Länge: 54'' Im Schatten der öffentlichen Debatte darum, ob eine Siedlung im Westjordanland ein Kulturzentrum haben darf oder nicht, bekommt die kleine Bühne in Ariel internationale Aufmerksamkeit. Und schon reißen sich Schauspieler um ein Engagement - vergessen ist der Boykottaufruf der ersten Stunde. Zwei Jahre nach dem Start verweist der Leiter stolz auf 200 Shows pro Saison. Regie: Atmo Theater/Konzert, kurz stehen lassen Während auf der Bühne ein Ensemble aus der Stadt Beer Sheva die Kinder spielerisch über die Gefahren von Drogen aufklärt, sinniert Ariel darüber wie es wäre, wenn sich alle einfach nur die ganze Zeit mit der schönen Kunst beschäftigen würden. Dann wäre endlich Frieden, ganz klar. Er würde auch gerne eine palästinensische Truppe einladen; es darf nur nicht allzu politisch werden. Er will einfach eine gute Show sehen, genauso wie sein Publikum. O-Ton Ariel (englisch) Wenn deine Kinder gut aufwachsen sollen, musst du ihnen Kultur geben. Das ist doch ganz normal. Es kann schon sein, dass die Regierung irgendwann mal entscheidet, dass die Menschen hier weg müssen, aber bis dahin brauchen sie doch Kultur. Es ist genauso eine Dienstleistung wie Banken und die Polizei. Es gibt hier noch nicht mal ein Kino in der Gegend, und die Gegend ist ziemlich groß. Länge 33'' Ariel versucht eine normale Stadt zu sein mit Bürgern, denen Politik nicht wichtiger ist als anderswo. Das unterscheidet Ariel von den Siedlungen weiter im Norden, wo Überzeugungstäter wohnen und wo es ständig zu Konfrontationen zwischen Palästinensern und Israelis kommt. Regie: Blende zu Atmo Büro Peace Now Lior Amichai, kurze schwarze Haare, Strickpulli und randlose Brille, legt das Telefon zur Seite und schüttelt den Kopf. Normalität in einer Siedlung mitten im Westjordanland, die kann es nicht geben. Eine solche Siedlung ist per se politisch. Der 27-Jährige arbeitet für die Nichtregierungsorganisation Peace Now im "Settlement Watch Team", die den Bau und das Wachstum der Siedlungen im Westjordanland beobachtet. Lior greift in einen Karton, zieht eine Karte heraus und faltet sie auf. Dann fährt er mit dem Finger die blauen Punkte entlang, alles Siedlungen. O-Ton Lior. Die Siedlungen sind vor allem ein Hindernis für einen palästinensischen Staat. Die meisten befinden sich an strategischen Orten und fragmentieren das Westjordanland. Was wir auch sehen, ist dass die Siedlungen tief im Westjordanland immer weiter wachsen, immer mehr Menschen ziehen dort hin. Vor allem unter der Netanjahu-Regierung werden immer mehr solcher Projekte bewilligt. Das ist natürlich unglücklich für diejenigen, die immer noch an eine Zweistaatenlösung glauben. Länge 48'' Lior zeigt auf die Linie von Siedlungen, die zwischen dem Westjordanland und Jordanien liegen. Dann deutet er auf die Blöcke im Süden und schließlich bleibt sein Finger bei Ariel stehen. O-Ton Lior Ariel ist eine sehr problematische Siedlung, weil sie 20 Kilometer hinter der grünen Linie liegt. In Israel-Palästinensischen Verhältnissen ist das eine Menge, denn das Land hier ist sehr klein. Wenn man sich also die Karte anschaut, sieht man wie Ariel das nördliche Westjordanland zweiteilt, und das ist das größte Problem. Denn die Palästinenser werden niemals einem Frieden zustimmen, der vorsieht, dass Ariel genau dort bleibt, wo es ist. Länge 47'' Regie: Atmo Büro Peace Now In vergangenen Friedensverhandlungen wird um Ariel ebenso geschachert wie um Jerusalem, sagt Lior. Strategisch wichtig und in der innenpolitischen Diskussion Konsens. Vor allem die Autobahn Nummer 5, die Ariel mit der Küstenregion um Tel Aviv verbindet, strahlt solch eine Normalität aus, dass die Pendler kaum merken, dass sie 20 Kilometer hinter der Waffenstillstandslinie von 1949 sind. Hinzu kommt die gute PR seitens Ariel, und damit meint Lior hauptsächlich den Bürgermeister Ron Nachman. Er kennt dessen Argumente vom guten Miteinander und vom Land, das damals - als er und die ersten Siedler kamen - keinem gehörte. O-Ton Lior (englisch) Wenn man in Frieden leben will eines Tages, dann geht das nicht mit einer Siedlung im Herzen des Westjordanlandes. Es war auch gar nicht sein Land. Man kann argumentieren, ob es privates palästinensisches Land war oder nicht, aber es war auf jeden Fall palästinensisch. Israel hat die Gegend auch nicht annektiert und sein Recht auf die Bürger angewendet. Wer regiert also dort? Das Militär, die haben das Land unter Kontrolle. Länge 55'' Regie: Atmo Begrüßung David Gruss, Architekturstudent Im kleinen Stadtzentrum von Ariel - ein paar Kebab- Läden neben Supermarkt und Tierbedarf - kommt David Gruss gerade von einem Termin und begibt sich auf den Weg nach Hause. Regie: Atmo Stadtzentrum Der 27-jährige geht zur Straße und steigt in den nächsten Bus. Seit über acht Jahren lebt der schlaksige junge Mann in Israel, hat Aliyah aus Deutschland gemacht, aus einer kleinen Stadt im Norden. O-Ton David (deutsch) Mir hat es nicht mehr so gut in Deutschland gefallen, aus einigen Gründen, hauptsächlich wollte ich die Welt entdecken und andererseits komme ich aus einem kleineren Ort und man hat schon den Antisemitismus gemerkt. Wir waren die einzige jüdische Familie im Ort. Länge 22'' Regie: Atmo Busfahrt Zunächst landet er in Tel Aviv, dann zieht ihn das Studium nach Ariel. Das Leben hier ist viel erschwinglicher als in der teuren Metropole. Aber damit kommt er in ein Gebiet, das mitverantwortlich für den stockenden Friedensprozess gemacht wird. O-Ton David (deutsch) Du bist natürlich von dem Ort beeinflusst, an dem du wohnst. Es ist nicht so, dass ich jetzt die ganze Situation verstehe, die in Israel abläuft, aber ich verstehe schon wesentlich besser beide Seiten, wie es läuft. Eher als damals, als ich noch in Deutschland war. Weil die Medien in Deutschland das doch schon in einem bestimmten Licht darstellen, nicht dass die Israelis das anders machen, aber weil man im Zentrum des Geschehens ist, kriegt man einfach mehr von beiden Seiten mit. Länge 44'' Regie: Atmo Campus Ein paar Minuten später hält der Bus an der Universität und David steigt aus. Sein Heimweg führt über den Campus, auf dem viele der Studenten in Containern wohnen. David gefällt das, man findet schnell Anschluss, sagt er, grillt zusammen, trinkt Bier. Regie: Atmo Treppe, führt den Berg hoch Steil führen die Treppen den Hügel hinauf. David wohnt ganz oben, der Stadtteil heißt Moria. Mit seinem Architektur-Studium ist er fast fertig, doch ob er bleiben will, weiß er noch nicht. Israel ist kein Land für Architekten, sagt er. Die Frage, ob er nicht die uniforme und auf Schnelligkeit ausgelegte Siedlungsbauweise revolutionieren wolle, lässt ihn schmunzeln. "Eigentlich ist diese Bauart nicht schlecht, sagt David, denn man kann sie auch schnell wieder abreißen." Die Siedlungen sind ein Thema, das David auch immer wieder mit seinen Kommilitonen diskutiert. O-Ton David (deutsch) Gerade die Studenten sprechen gerne über politische Themen, ob sie Ahnung haben oder nicht. Meistens macht man sich darüber lustig und lebt weiter. Die meisten Studenten kommen nicht aus Siedlerfamilien und die meisten Araber kommen nicht von Farmern, denen man das Land weggenommen hat. Es wird also nicht persönlich. Länge 37'' Regie: Atmo Baustelle Von seinem Balkon kann David bei gutem Wetter bis zum Meer schauen. Ein starker Wind kommt auf und David macht sich Gedanken um das Bild Israels in der Welt, darüber dass die Medien selten die Nuancen zur Geltung bringen. Darüber, dass die Politiker das eine sagen, und etwas anderes machen. O-Ton David (deutsch) Es ist ein politisches Schauspiel, insofern, ich habe hier gegenüber von der Baustelle gewohnt, und gerade als die Gespräche angefangen haben, dass nicht weitergebaut wird und die ganzen Maschinen werden abgezogen, für ganze anderthalb Tage, dann waren sie wieder da. Das ist genauso ein Schauspiel wie Al- Jazeera, das im TV ein verwundetes Kind zeigt, das aber in Wirklichkeit von einem Araber angefahren wurde. Es sind dieselben Schauspiele von beiden Seiten, bei denen der Welt ins Gesicht gelogen wird. Regie: Atmo Baustelle wieder aufnehmen Einen Kilometer Luftlinie von Davids Balkon entfernt, sitzt der Verantwortliche für diese Baustelle, der Bürgermeister Ron Nachmann. Offiziell läuft gerade seine sechste Amtszeit, inoffiziell seine achte. Ariel ist sein Baby. Langsam versinkt die Sonne hinter den Hügeln und der Wind bläst durch die Straßen. Die Baggerfahrer beenden ihre Schicht auf der Baustelle, Ron Nachmans Musik verstummt, zumindest für den Moment. O-Ton Nachmann Wenn die Palästinenser und die EU und die deutsche Regierung mich ignorieren, mich, den Bürgermeister von Ariel und seine 20 000 Einwohner, wird es nie einen Frieden geben. Die müssen hier her kommen, so wie Sie. Kein Botschafter kommt her, nur ein paar Journalisten. Wer glaubt, einfach nur mit dem Premier in Jerusalem zu reden sei genug, der hat sich geschnitten. Sie müssen zu uns kommen! Länge 43'' Ron Nachman blickt auf sein Lebenswerk, auf Ariel. Lauter müsste es sein, mehr Baustellen, mehr Wohnraum - das ist Nachmans Vorstellung von Frieden. 200 bis 300 Familien will er jedes Jahr nach Ariel holen, in zehn Jahren will er 30 000 Einwohner in seiner Stadt haben. Ganz egal, was die Politiker in Jerusalem erzählen, und vor allem die im Westen.