COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur: Die Reportage Titel: Im Abseits - Junge Afrikaner hoffen auf eine Fußballkarriere in der Türkei Autor: Luise Sammann & Fatih Kanalici ______________________________________________________________________ Atmo 1 Clubhaus, afrikanische Stimmen Es riecht nach Schweiß in dem kleinen Clubhaus am Rand von Istanbul. Ein vielleicht zwanzigjähriger Afrikaner in Shorts und khakigrüner Mütze auf dem Kopf, zuckt entschuldigend die Schultern. "Sagen wir einfach, es riecht nach Hoffnung", schlägt er grinsend vor und rollt ein Paar knallrote Strümpfe an den Schienenbeinen hoch. Atmo 1 (afrikanische Stimmen) kurz frei Das muffige Clubhaus steht am Bosporus - nicht irgendwo in Afrika. Trotzdem laufen jetzt ausschließlich Afrikaner hinter dem Jungen mit der Mütze durch eine kleine Tür nach draußen. Atmo 2 Afrika-Cup (draußen, Fußballspiel, grölende Fans etc.) Zweiundzwanzig schwarze Fußballer flitzen in leuchtend grünen und gelben Trikots über den abgenutzten Rasen. Gut zweihundert afrikanische Fans drängeln sich auf der kleinen Tribüne rundherum. Brüllen und singen, schwenken Flaggen und trommeln. In Anzug und Krawatte stehen ehrenamtliche Trainer und selbsternannte Teammanager am Spielfeldrand, wo drei Ersatzspieler schwitzend auf und ab hüpfen. "Willkommen in Afrika", ruft ein Schwarzer lachend von der Seite, als wäre diese kleine Clubhaustür der Eingang in eine andere Welt. O-Ton 1 Mohammed (alle O-Töne orig. auf Englisch) Wir haben ein Sprichwort in Afrika. Wir sagen, dass man bei uns Fußball sogar isst und trinkt. Fußball bedeutet ein Geschäft, bedeutet Geld! Und so träumt jede einzelne Familie in Afrika von einem Fußballer in ihren Reihen. Jeder junge Afrikaner will deswegen Fußballer werden. Der 25-jährige Mohammed sitzt mit Eisspray, Verband und Pflaster an der Seitenlinie, lässt das Spiel vor sich nicht aus den Augen. Zuhause in Ghana, erzählt er beiläufig, hat er mal beim Internationalen Roten Kreuz gejobbt. Deswegen haben sie ihn hier beim jährlichen Afrika-Cup von Istanbul gleich zum Chef-Sanitäter gemacht. "Das hier", bemerkt er jetzt und zieht vielsagend die Augenbrauen hoch, "ist mehr als nur ein Spiel. Hier geht es um Alles!" O-Ton 2 Mohammed Türkische Fußball-Scouts kommen hierher, um sich die Spieler anzugucken. Und ich weiß, dass schon mehrere hier wirklich einen professionellen Vertrag bekommen haben. Vielleicht nicht in der ersten Liga, aber in der zweiten oder dritten. Und das ist ein guter Start, ein wirklich guter Start! Mohammed zeigt mit einer Rolle Mullbinde auf die schwitzenden Spieler vor sich. Viele von denen, erklärt er, haben in der Türkei keine ordentliche Aufenthaltsgenehmigung, arbeiten illegal für einen Hungerlohn in Textilfabriken oder auf Baustellen. Für diejenigen, die Fußball spielen können, ist der Afrika-Cup die Chance auf ein besseres Leben. Atmo 3 (Fans grölen usw.) Reich ist hier noch keiner geworden - "aber Vertrag ist Vertrag", brüllt ein kahlköpfiger, kleiner Mann in afrikanischem Englisch-Slang gegen das Fangeschrei an. Textilhändler Prince, in strahlend weißem Hemd und bunter Krawatte, stellt sich mit selbst ausgedruckter Visitenkarte als ehrenamtlicher Manager vom Team Ghana vor. O-Ton 3 Prince Viele der Spieler hier haben wirklich große Qualitäten. Aber sie scheitern an den Möglichkeiten, die sie bekommen. Die Jungs, die ich hier habe, die spielen besser als so mancher Spieler in den echten, großen Teams. Sie brauchen nur eine richtige Chance! Während er spricht, grüßt Prince aufgeregt in alle möglichen Richtungen, grinst und winkt. Seit neun Jahren organisieren die Afrikaner Istanbuls ihren Cup. Prince war von Anfang an dabei. Beim ersten Turnier 2003, erinnert er sich, gab es kaum 11 Spieler, die ein Land vertreten konnten, geschweige denn professionelle Fußballer waren. Nigerianer spielten für Senegal, Ghanaer für die Elfenbeinküste... Hauptsache Afrikaner! Dieses Mal sind gleich acht komplette Teams inklusive Ersatzspieler dabei. Das Niveau, meint Manager Prince mit Fußballkommentatoren-Blick, ist so hoch wie nie. - Genau wie die Zahl der jungen afrikanischen Fußballspieler, die am Bosporus feststecken... O-Ton 4 Prince Vor vielleicht zehn Jahren haben sie Schwarzen in der Türkei nicht mal erlaubt, Amateurfußball zu spielen. Aber inzwischen tun sie es - und deswegen kommen jetzt so viele hierher, um ihr Glück zu versuchen. Ich kann nur hoffen, dass auch meine Jungs irgendwann zu einem der großen Teams wechseln, so dass die Welt sie sehen kann... Atmo 4 (Tor fällt...) etwas frei stehen lassen Tor! In der letzten Spielminute geht Team Ghana in Führung - und wird zum ersten Mal Meister beim Istanbuler Afrika-Cup! Manager Prince wirbelt herum, fliegt dem nächst besten Ersatzspieler in die Arme. Eine kugelrunde ghanaische Zuschauerin im bunten Kleid führt am Spielfeldrand jubelnd einen Freudentanz auf (hört man in der Atmo). Auch die anderen Fans sind aufgesprungen und umringen die Spieler auf dem Rasen, einige wollen Autogramme. Fast wie beim echten Afrika-Cup. Harter Schnitt von Jubelatmo 4 zu: Atmo 5 Fußballplatz Am nächsten Morgen nieselt es, ein grauer Schleier hängt tief über Istanbul. Der Fußballplatz liegt grau und matschig da. Die Tribünen sind leer, keiner jubelt, keiner fragt nach Autogrammen, kein Scout weit und breit. Ein paar schwarze Spieler laufen einsam an der Linie auf und ab. In Jeans und Kapuzenpullover kommt der Junge mit der Khakimütze angeschlendert, über der Schulter einen Turnbeutel. O-Ton 5 Samuel Mein Name ist Opera Samuel Santos. Ich bin Stürmer, aus Nigeria. Ich bin 19 Jahre alt und lebe seit sieben Monaten in der Türkei. Samuel macht seinen Beutel auf, zieht ein paar abgewetzte Fußballschuhe heraus. O-Ton 6 Samuel Ein Manager hat mich hierhergebracht. Er meinte, er hätte eine Absprache mit einem türkischen Verein für mich. Aber als ich hier ankam, habe ich plötzlich diese ganzen afrikanischen Spieler hier gesehen, die alle keinen Vertrag haben, und die teilweise sogar noch besser spielen als ich selbst. Samuel zuckt mit den Schultern, grinst breit. Istanbul - das sollte sein Tor nach Europa sein, sein Sprungbrett nach ganz oben. 1500 Dollar zahlte er dem so genannten Manager, der in seiner Heimat plötzlich auf dem Platz stand, sein Talent lobte und ihm einen Spielervertrag am Bosporus versprach. Die türkische Süper Lig - das klang schon fast wie Bundesliga oder Premier League... "Ich dachte, jetzt bin ich ganz nah dran", murmelt Samuel, während er umständlich die Schuhe zubindet. Der Mann nahm das Geld und besorgte ihm ein Touristenvisum für die Türkei. Doch er stand nicht wie versprochen am Flughafen in Istanbul. Auch kein Vertrag wartete hier auf Samuel, keine Arbeitsgenehmigung, nicht mal eine Unterkunft. Statt zum Fußballprofi wurde er zum Illegalen. So, wie fast alle der Spieler beim Afrika-Cup in Istanbul. O-Ton 7 Samuel Jetzt komme ich drei Mal in der Woche auf diesen Platz, um mich fit zu halten und zu trainieren. Fußball ist mein Leben, ich kann nicht damit aufhören. Ich muss trainieren - auch, wenn wir manchmal nicht genug Geld zum Essen haben. Atmo 6 "Coach" spricht in Handy Samuel trabt davon, um sich aufzuwärmen. Ein Ghanaer im himmelblauen Trainingsanzug steht lässig an einen Torpfosten gelehnt da und guckt ihm hinterher. "Der da", sagt er und zeigt auf einen Stürmer im ausgewaschenen Bayern-Trikot, "der hat für die U20 in Ghana gespielt. Und das da war mal der Kapitän der Jugendmannschaft von Kamerun." O-Ton 8 Coach Afrikaner haben Talent, wenn es um Fußball geht... Wenn du mich fragst, müssten solch gute Spieler in der türkischen Liga spielen. Aber einige von denen spielen schon seit drei Jahren hier und haben immer noch keinen Verein. Der "Coach", wie sie ihn hier nennen, nimmt einen zerknitterten Zettel aus der Tasche, fängt an die Spieler auf dem Platz durchzuzählen. Er selbst trainiert längst nicht mehr. Der Kugelbauch, der sich unter der blauen Trainingsjacke wölbt, beweist es. Stattdessen versucht er Neuankömmlingen zu helfen, organisiert dreimal in der Woche das Training und stellt, wenn möglich, Kontakte zu türkischen Vereinen her. Samuels Geschichte könnte seine eigene sein. Es gab eine Zeit, da träumte auch er von der großen Fußballkarriere, die ihm ein Agent versprochen hatte. O-Ton 9 Coach Das ist alles nur Abzocke! Sie wissen, wie man an eine Einladung fürs Visum kommt und dafür lassen sie sich von dir bezahlen. Manchmal nehmen deine Eltern dafür extra eine Hypothek auf ihr Haus auf oder einen Bankkredit. Alle hoffen, dass du dann im Ausland einen Verein findest und das Geld zurückzahlst... Atmo 7 Training Während der Coach erzählt, füllt sich der Platz langsam. Zwanzig, dreißig Afrikaner in Shorts und Fußballtrikots laufen sich warm oder stehen in Grüppchen herum. Ein paar Meter entfernt kickt sich Samuel mit einem anderen Spieler den Ball zu. Noch während der Coach 22 Spieler für die erste Partie des Tages auswählt, kommen immer weitere aus der kleinen Tür, die vom Clubhaus auf den Platz führt. O-Ton 10 Coach Jeden Tag kommen neue, mit immer neuer Hoffnung. Sie verlassen Afrika, weil sie große Spieler wie Drogba oder Samuel Eto'o sehen. Afrikaner, die es geschafft haben. Und dann denken sie, dass sie es auch schaffen können, gehen jedes Risiko ein und kommen. Atmo 7 Training etwas stehen lassen Eineinhalb Stunden dauert das Training, die Platzmiete beträgt 20 Euro. Mehr können sich die Spieler nicht leisten. Atmo 8 Clubhaus Nach dem Training sitzt Samuel aus Nigeria frisch geduscht auf einer Holzbank im Clubhaus, wartet auf seine Freunde. Die meisten anderen Spieler sind schon gegangen. Samuel hat keine Eile. O-Ton 11 Samuel Ich verlasse das Haus kaum, nur jeden Morgen, um hier zu joggen. Sonst nichts. Es ist extrem schwer für uns einen Job zu finden, weil wir kein Türkisch können. Sogar ein kleines bisschen Geld zu verdienen, ist kompliziert. Mein Bruder schickt mir ein bisschen Geld, für Miete und Essen. Samuel grinst wieder breit, als hätte jemand einen Witz gemacht. "Eigentlich", sagt er, "wollte ich Geld nachhause schicken. Jetzt kann ich noch nicht mal meine eigene Miete bezahlen..." O-Ton 12 Samuel So ist das Leben! Im Fußball gibt es viele Herausforderungen, und das hier sind eben unsere schwierigen Tage. Aber wer weiß, vielleicht gehören wir schon morgen zu den Spielern da oben. Man muss leiden, bevor man etwas erreicht. Samuel zuckt mit den Schultern. Das, sagt er, hat er so von seiner Mutter gelernt - die ihn auch stets ermahnt sich nicht zu beklagen. Nur manchmal, gesteht er, fällt das schwer... O-Ton 13 Samuel Ich hatte mal ein Probetraining, ich habe 30 Tage bei einem Verein verbracht. Die haben mich geliebt, ich durfte ständig spielen, weil ich als Afrikaner so viel Energie mitgebracht habe. Aber das Problem waren wieder meine Papiere. Eine Spielerlizenz für mich zu kriegen kostet 2500 Euro! Und dann brauche ich für den Vertrag auch noch eine Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr. Sie haben gesagt, ich soll nachhause fliegen und sie von dort beantragen. Nachhause??? Wer soll das bezahlen? Und wie bekomme ich dann ein neues Visum? Atmo 9 (Samuel und Freunde verlassen Club, Unterhaltung) Samuels Freunde kommen, junge Nigerianer wie er, mit kurzen Dreadlocks und freundlichen Gesichtern. Wenn sie wie jetzt in ihren weiten Hosen und Kapuzenpullis durch die Gassen des Viertels rund um den Istanbuler Fußballplatz ziehen, fallen sie auf. O-Ton 14 Samuel Manchmal drehen die Leute sich nach uns um, weil wir schwarz sind. Aber es ist uns egal, wir wissen ja selbst, dass wir anders sind. Ich war mal in Ankara, da haben sie mich auf der Straße angehalten, weil sie ein Foto mit mir schießen wollten! Atmo 10 Samuel & Co. auf der Straße Lachend schieben sich Samuel und seine Freunde über den Bürgersteig, vorbei an Sesamkringelverkäufern, türkischen Teehäusern und bunten Gemüseständen. Immer wieder treffen sie andere Spieler, andere Afrikaner. Feriköy, das Viertel rund um den Fußballplatz, ist ihr Viertel - Klein-Afrika nennen sie es. Die vielen Menschen, die windschiefen Häuser und bröckelnden Bürgersteige - manches hier, sagt Samuel, erinnert ihn an zuhause. O-Ton 15 Samuel Natürlich sind die Häuser hier anders als die in Afrika. Und bei uns sieht man auch oft Straßen, die nicht so gut sind, wie diese hier. Staubiger... Aber die Stadt, aus der ich komme, ist wie Istanbul eine große Stadt. Ich bin in Lagos geboren. Kurz Atmo frei O-Ton 16 Samuel Natürlich vermisse ich mein Zuhause, jeden Tag, jederzeit... Ich spreche zwei, drei Mal in der Woche mit meiner Familie. Es kostet nicht viel von hier in Nigeria anzurufen, sie haben überall diese kleinen Call-Shops. Von da rufe ich meine Mutter an und erzähle ihr von den schwierigen Bedingungen hier in Istanbul. Es gibt einige Jungs, die schon seit drei, vier Jahren so wie ich hier leben. Drei oder vier Jahre ohne einen Schritt nach vorn. "Die Welt, von der wir geträumt haben, bemerkt uns gar nicht", murmelt einer von Samuels Freunden hinter ihm. Samuel nickt, zum ersten Mal verschwindet das Grinsen aus seinem Gesicht. Aber aufgeben und zurückgehen? Niemals, Samuel schüttelt den Kopf. O-Ton 17 Samuel Du kannst nicht einfach genauso nach Afrika zurückkehren, wie du aufgebrochen bist! Du musst etwas erreichen, einen Verein finden! Irgendwie wird alles gut werden. Mein einziges Opfer ist, dass ich hart trainieren muss. Niemals aufhören... Atmo 11 (Samuel ruft etwas) Samuel bleibt plötzlich vor einem einzelnen roten Häuschen stehen, kramt nach seinem Schlüssel. In der steil ansteigenden Gasse mit ihren selbst zusammen gezimmerten Hütten, ist es still. Auf einer Treppe ein paar Meter entfernt sitzen zwei Frauen in weiten geblümten Röcken, knacken Sonnenblumenkerne und binden Blumensträuße. Samuels Nachbarn sind vor allem Kurden. Migranten aus dem Südosten der Türkei, die ähnlich wie er auf der Suche nach Erfolg an den Bosporus kommen. Atmo 12 Treppen steigen (evtl. schon unter vorherigem Text einblenden) Atmo 13 Samuels Haus O-Ton 18 Samuel Das hier ist unser Zuhause. Hier leben wir, meine afrikanischen Brüder und ich, alle Fußballer. Du kannst nicht mit jemandem zusammenleben, der eine normale Arbeit hat. Du lebst am besten immer mit anderen Fußballern, dann kannst du sicher sein, dass du am nächsten Tag keine Probleme kriegst. Atmo 14 Afrikanische Handy-Musik Samuel steht in einem schmalen, leeren Flur, der in ein noch leereres Zimmer führt. Ein alter Röhrenfernseher, zwei Matratzen auf dem Boden, eine Schnur, an der frisch gewaschene Fußballtrikots und Socken baumeln. Ein Mitbewohner sammelt schlaftrunken sein Bettzeug auf und verschwindet in den Flur. Zurück bleibt nur sein altes Handy, das nigerianische Popmusik dudelt... Zwei Matratzen für fünf Bewohner - wir wechseln uns ab, erklärt Samuel. Einer seiner Freunde kommt ihm zur Hilfe. O-Ton 19 Daniel Wir sind wie eine Familie. Wenn einer Geld hat aber ein anderer nicht, dann teilen wir, so dass es keinem schlecht geht. Daran sind wir gewöhnt. Wir kommen schließlich alle vom gleichen Ort. Wenn es einem gut geht, geht es uns allen gut. Manchmal, erzählt der schlacksige Spieler, der jetzt im Schneidersitz auf einer der Matratzen sitzt, kann einer von ihnen die drei Lira für das Training nicht aufbringen, oder gar seinen Mietanteil für die zwei Zimmer, die sie sich zu acht teilen. Dann springt ein anderer ein. Afrikaner halten zusammen, verkündet Larry, der erst vor ein paar Tagen in Istanbul gelandet ist. O-Ton 20 Larry Ich bin nach meiner Ankunft hier zu Mc Donalds gegangen, hab mich hingesetzt und einfach darauf gewartet, dass ein Schwarzer vorbeikommt. Auch wenn ich jetzt in Deutschland ankommen würde, würde ich einfach den ersten Schwarzen ansprechen, den ich sehe: Kommst du aus dem Senegal? Oder vielleicht aus Somalia? Oder: Ich suche nach Ghanaern hier... Derjenige wird mir schon weiterhelfen... Atmo 15 (Nigerianer unterhalten sich) Samuel nickt zustimmend. In ihrer kleinen Wohnung gibt es keine Heizung, ihre Trikots waschen sie jeden Tag mit der Hand aus, zu Essen gibt es nur das Billigste. Zuhause in Lagos könnte er vielleicht besser leben, er nickt. "Wir kommen nicht aus dem Afrika, das ihr aus den Abendnachrichten kennt", sagt er. Und dann: "Bei uns haben die Kinder keine Hungerbäuche!". Samuel und seine Freunde sind keine Flüchtlinge, das ist ihnen wichtig. "Wir sind hier, weil wir gut sind", sagt er und zeigt auf die armselige Einrichtung rund herum, "All das ist egal, solange es nur dem einen Ziel dient." O-Ton 21 Samuel Alles, wovon ich träume, ist Fußball zu spielen. Wenn ich nicht spielen kann, weiß ich nicht, was ich machen soll. Deswegen kämpfe ich so sehr darum, weil ich es liebe! Ich denke noch nicht mal über Mädchen nach. Alles, was zählt, ist ein Verein. Atmo 16 Fußballplatz Der nächste Morgen. Eigentlich ist heute trainingsfrei - zähe, langweilige Tage sind das, an denen Samuel und die anderen zuhause sitzen oder ziellos durch die Straßen wandern. Doch heute haben sie ihre Trikots von der Wäscheleine genommen und sind auf den Fußballplatz gekommen. Samuel sieht nachdenklich aus. Er kramt umständlich ein paar Münzen aus der Tasche, schmeißt sie in eine Mütze, die von Hand zu Hand wandert. Sie wollen ein Abschiedsspiel spielen, erklärt er, während er die Fußballschuhe anzieht. Einer von ihnen geht zurück, für immer! O-Ton 22 Samuel Sein Name ist Ginedu (gespr.: Dschinedu!), auch aus Nigeria. Er war ein super Kerl, eine Art großer Bruder für uns, der uns immer ermutigt hat. Er hat so gut gespielt, wir haben nie verstanden, warum er keinen Verein gefunden hat. Trotzdem hat er uns immer ermutigt, die Hoffnung nicht zu verlieren. Wir sollten weitermachen und trainieren. Alles werde gut, hat er immer gesagt... Nichts ist gut, Samuel schnaubt. Ginedeu geht im Sarg zurück nach Nigeria, das Geld in der Mütze sammeln die Spieler für seinen Rücktransport. O-Ton 23 Samuel Wir spielen heute ein Match zu seinen Ehren, weil er einer von uns war. Das sind wir ihm schuldig. Samuel schweigt einen Moment. Monatelang kam Ginedeu mit Husten zum Training, erinnert er sich. Irgendwann tauchte er dann gar nicht mehr auf. Als seine Freunde ihn in letzter Minute ins Krankenhaus bringen wollten, brach er auf der Treppe zusammen. Der Krankenwagen kam zu spät. O-Ton 24 Samuel Wenn du kein Geld hast, kannst du noch nicht mal ins Krankenhaus gehen. Und wenn du gehst, fragen sie dich da vielleicht nach deinem Pass und dann sehen sie, dass du kein gültiges Visum hast. Dann kriegst du Probleme. Deswegen sehe ich immer wieder Jungs, die krank sind und lieber ein paar Pillen aus der Apotheke holen als zum Arzt zu gehen. Samuel steht auf, geht zu den anderen Spielern, die sich jetzt mitten auf dem Platz in einem großen Kreis aufstellen. Sie beten vor jedem Training - alle zusammen, erst christlich, dann muslimisch. Sie beten dafür, dass Gott ihnen hilft, eine Aufenthaltsgenehmigung in der Türkei zu bekommen, sie beten dafür, dass sie ein Tor schießen, sie beten für einen Vertrag. Heute beten sie für Ginedeu. Atmo 17 Gruppengebet auf Fußballplatz O-Ton 25 Samuel Ich glaube daran, dass Gott eines Tages sagen wird: "Du, komm her, heute helfe ich dir!" Wir alle glauben daran. Solange ist unsere einzige Chance das Training. Wir wissen nicht, was morgen sein wird. Wir wissen nur, dass wir immer noch Fußball spielen werden... Atmo Gebet etwas stehen lassen 1