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Der geometrische Barockpark à la Francaise entstand, der bald überall in Europa kopiert werden sollte ? als sichtbares, weithin verstandenes Zeichen für ein zentralistisches Gesellschaftssystem, ja das auch, vor allem aber für eine ganz bestimmte Ästhetik, für einen Blick auf die Welt, der den Dingen Vernunft und Ordnung unterschob. Die Philosophie jener Zeit fand ihr vielleicht schlagendstes Abbild in den Gärten der Epoche. Und das war auch zu anderen Zeiten so, fast immer eigentlich in der europäischen Kulturgeschichte: in den mittelalterlichen Klostergärten, in den Villengärten der Renaissance, in den naturnahen Landschaftsgärten der englischen Aufklärung oder in den weitläufigen Parks der Romantik. Musik aus der Zeit Diese historischen Gartenmodelle waren mehr als bloße Moden, sie waren Ausdruck einer jeweils aktuellen Weltanschauung. Sie setzten sich unmittelbar mit der Natur auseinander. Die wollten sie verständlich machen, für den Menschen greifbar und begreiflich, sie wollten das Wesen der Natur mit den Ideen der Zivilisation und der Philosophie versöhnen. Stadt-Atmo Dann ? kam die Stadt. Mit der Stadt kam der Stadtpark. Im Gegensatz zu ihren historischen Vorgängern, in denen Philosophie, Architektur und Botanik zu neuen Kunstformen verschmolzen, folgten die Stadtparks des 19. und 20. Jahrhunderts in ihrer Gestaltung zunehmend pragmatischen Anforderungen. Sie sollten das Stadtklima verbessern, gelangweilten Bürgern an arbeitsfreien Sonntagen Beschäftigung bieten und zur Gesunderhaltung geschundener Arbeitskräfte in den im Zuge der Industrialisierung anschwellenden Metropolen beitragen. Das Gegenüber dieser Gärten war nicht mehr die Natur, sondern die Stadt, nicht mehr die Landschaft, sondern die Architektur. So wurden aus Gartenkünstlern Landschaftsarchitekten. Im 20. Jahrhundert verkam die einst für die abendländische Kultur so bedeutende Kunstform Garten, in der sich die Epochen gespiegelt und wiedererkannt hatten, vollends zur ?horizontalen Grünplanung? ? so ein Verwaltungsbegriff der alten Bundesrepublik. Man kann das 20. Jahrhundert als das gartenlose Jahrhundert in der abendländischen Kulturgeschichte bezeichnen ? zumindest wenn man unter Garten nicht ein mehr oder weniger vernachlässigenswertes Zierelement hinterm Haus versteht, sondern ein gesellschaftlich relevantes Medium an der Schnittstelle zwischen Natur und Kunst. O-Ton Urban Gardening Manifest: In vielen Sta?dten entstehen seit einigen Jahren neue, gemeinschaftliche Gartenformen. Autor: Deutschland, Anfang des 21. Jahrhunderts. O-Ton Urban Gardening Manifest: Diese urbanen Gemeinschaftsga?rten sind Experimentierra?ume fu?r ein gutes Leben in der Stadt. Autor: ? heißt es in einem Manifest privater Garteninitiativen in deutschen Städten. Nie war in den Medien so viel von Grün, vom Gärtnern und von Gartenlust die Rede wie in den letzten anderthalb Jahrzehnten. Ist das etwa als Indiz dafür zu werten, dass der Garten wieder da ist? Dass die Gartenkunst zu Beginn des neuen Jahrhunderts in die Mitte der Gesellschaft zurückgefunden hat? Wobei die Mitte der Gesellschaft derzeit in der Mitte der Städte zu suchen ist, entsprechend auch der neue Garten. Das Stichwort lautet: Urban Gardening. O-Ton Anja Rillcke: Urban Gardening ist erstmal Gärtnern in der Stadt. Und natürlich macht man das nicht allein und hinter einem Zaun, sondern in Gemeinschaft. Das heißt, man bringt Leute zusammen, die sich dafür begeistern, die gern was lernen wollen, die gern selber machen und etwas ausprobieren, und die dann zusammen einfach buddeln und säen und ernten und Spaß haben. O-Ton Philipp Sattler: Ich glaube, Urban Gardening ist, Hauptsache, die Beschreibung eines Phänomens mit sehr vielen verschiedenen Ausschlägen. Aber was denen gemeinsam ist, ist, glaube ich, dass man als Stadtbewohner wieder im wahrsten Sinne des Wortes selber eingreift. O-Ton Georg von Gayl: 00:26 ? 01:23 Für mich ist Urban Gardening eine Art von Try und Error. Also, man versucht, Pflanzen und Gemüse zu kultivieren, Blumen zu kultivieren, unter ungewöhnlichen Bedingungen und stellt dann fest, was funktioniert und was nicht funktioniert und hat dann so den Anspruch, mit der Zeit eine Kompetenz zu entwickeln, die einem dann gärtnerische Anerkennung bringt. Es ist ein Prozess, der immer weitergeht und wo die Leute sich ausprobieren können. Das ist das Entscheidende, glaube ich. Autor: Städte sind komplexe soziale Konstrukte, die den Eingriff Einzelner in ihre Strukturen traditionell nur in engen Grenzen und nach strengen Regeln zulassen. Die Anlage eines wilden Gartens gehört gewiss nicht dazu und wurde bis vor kurzem allenfalls vorübergehend geduldet. Der öffentliche ist der öffentliche, der private der private Raum. Das hatte lange gegolten in den europäischen Städten. Doch um die Jahrtausendwende begannen private Interventionen im Stadtraum sich zu häufen, und das überall auf der Welt. Baumscheiben wurden bepflanzt, Mittelstreifen gestaltet; Gruppen taten sich zusammen, die Obstbäume auf öffentlichem Grund für die Allgemeinheit bewirtschafteten; Brachflächen und Hausdächer wurden mit Gemüse bepflanzt. Mit Seed Bombs genannten Samengranaten bescherten selbsternannte Guerilla Gardener den naturfernen Metropolen farbenfrohe Blüherlebnisse, wo keine Verwaltung sie vorgesehen hatte. Mit der medienwirksamen Etablierung eines Namens, nämlich: Urban Gardening, für diese weltweit aufkeimende Bewegung hatte das Guerilla- Gärtnern den Weg aller anarchischen Ideen genommen, denen ein gewisser Erfolg beschieden ist: den in die Projektphase. O-Ton Urban Gardening Manifest: (Anfang) Die Stadt ist unser Garten. Ein Manifest. Autor: Während das Urban Gardening sich andernorts immer wieder ironisch der Vereinnahmung durch ein hippes Establishment zu entziehen versuchte, entwickelten sich in Deutschland, mit Berlin als blühendem Zentrum, alternative Vereinsstrukturen, anarchische Lenkungsausschüsse sozusagen und stadtgärtnerische Basislager, die die Bedürfnisse bündelten und das Phänomen organisiert vorantrieben. O-Ton Urban Gardening Manifest: Wir setzen uns fu?r eine lebenswerte Stadt und eine zukunftsorientierte Urbanita?t ein. Autor: Während etwa eine Aktivistengruppe eine mobile Picknick-Wiese durch Londons Straßen schob und sich die Designerin Vanessa Harden mit allerlei Gadgets für richtig heimliche Pflanzaktionen unter Referenz an James Bonds Erfinder-Kollegen als ?Q? unter den Guerilla Gärtnern profilierte, oder während unter dem Label Guerilla Knitting überall auf der Welt bunte Pullover für innerstädtische Bäume gestrickt wurden, organisierten sich die Stadtgärtner hierzulande in Stadtgarten-Initiativen und Allmende-Korporativen, von denen einige im Jahr 2014 gemeinsam das Urban Gardening Manifest verabschiedeten. O-Ton Urban Gardening Manifest: Urbane Gärten sind Freira?ume, die gemeinsam gestaltet, erhalten und gepflegt werden und damit Orte, die Teilhabe ermo?glichen. In ihnen gedeiht eine kooperative Stadtgesellschaft. Autor: Tatsächlich handelt es sich beim Urban Gardening, einem der ersten identifizierbaren wirkungsmächtigen neuen ästhetischen Phänomene des 21. Jahrhunderts, zunächst einmal um eine Intervention, eine akute Intervention privater Personen und kleiner Gruppen im öffentlichen Raum. Und das ist tatsächlich neu, Ausdruck einer neuen, einer anderen Lebenskultur. Es ist etwas, das später einmal als frühes 21. Jahrhundert in den Kulturgeschichtsbüchern stehen wird. ? Auch in den Büchern über die Geschichte der Gartenkunst? O-Ton Georg von Gayl: Gartenkunst ist für mich ganz persönlich ein ganz altmodischer Begriff. Autor: Georg von Gayl ist Inhaber eines Landschaftsarchitekturbüros, und er berät Städte und Gemeinden in gartenspezifischen Fragen. O-Ton Georg von Gayl: Das ist ein Begriff, der nicht mehr ganz in unsere Zeit passt, weil die Gartensprache oder die Gestaltungssprache heute eine ganz andere ist, mit anderen Anforderungen. Man kann das vielleicht reduzieren auf den Privatgartenbereich, aber im öffentlichen Raum von Gartenkunst zu sprechen, das ist höchstens in den historischen Anlagen möglich, in den rekonstruierten Anlagen, wo man das wirklich versucht hat, historisch nachzuahmen im Rahmen der Gartendenkmalpflege. Da würde ich schon von Gartenkunst sprechen, aber zeitgenössisch fällt mir das schwer. O-Ton Philipp Sattler: Wir hatten mal im BDA immer den Witz gemacht, dass es das Bonmot gab: Landschaftsarchitektur ist keine Kunst. Autor: Philipp Sattler hat in Versailles und Berlin studiert. Er lehrt und arbeitet als Landschaftsarchitekt und ist Vorsitzender des Landesverbandes Brandenburg der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur. O-Ton Philipp Sattler: Das war genau zu der Zeit, als schon diese temporären Gärten aufkamen und es eine Bewegung gab sozusagen der Demokratisierung des Umgangs mit Pflanzen im öffentlichen Raum. Aber ich finde, Gartenkunst ist eben etwas, was sich auf so ein Phänomen, auch wenn es nun schon eine Weile dauert wie Urban Gardening nicht wirklich anwenden lässt. Für mich ist bei Urban Gardening immer noch stark dieser Verlaufscharakter dabei und auch dieses nicht zufällig englische Wort, was diesem Ganzen eben etwas sehr Modisches verleiht. O-Ton Georg von Gayl: Also, das würde ich nie als Kunstform bezeichnen. Es ist vielleicht eine Lebenskunst. O-Ton Urban Gardening Manifest: Urbane Gemeinschaftsga?rten sind Gemeingu?ter, die der zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung des o?ffentlichen Raums entgegenwirken. Sie sind Orte der kulturellen, sozialen und generationenu?bergreifenden Vielfalt und des nachbarschaftlichen Miteinanders. Autor: Das Stichwort lautet also erst einmal nicht Gartenkunst sondern: Aneignung. Das ist ein wichtiger Begriff der Landschaftsgestaltung, den eine junge Generation, die zuvor bereits gelernt hatte, Wohnungen, Autos, Arbeitsplätze und andere Lebensgrundlagen zu teilen, nun auf ihre unmittelbare städtische Umgebung anwandte und dabei eine elementare Trennung überwand, die Stadtplanung und Stadtleben über Jahrhunderte geprägt hatte: die Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum. O-Ton Philipp Sattler: Ich finde schon, dass zum Beispiel die berühmtesten in Berlin, die Prinzessinnengärten oder auch das Himmelbeet, als Integrationsorte und als Wiederöffentlichmachung von Ecken und Gegenden der Stadt, die eigentlich bisher nicht lebenswert waren, gelungene Beispiele sind. Inwieweit das dann ästhetisch dauerhaft gelingt, das muss man immer im Einzelfall betrachten. Autor: Das Himmelbeet ist ein Urban Gardening Projekt im Berliner Stadtteil Wedding. O-Ton Anja Rillcke: Ursprünglich war der Plan, es auf einem Dach zu machen, auf dem Dach eines Supermarktes, ... Autor: ? erklärt Anja Rillcke vom Organisationsteam des Projekts Himmelbeet. O-Ton Anja Rillcke: Daraus ist nichts geworden, da gab es Probleme mit dem Brandschutz. Daher kommt aber der Name, Himmelbeet, der diese beiden Elemente Luft und Erde zusammenbringt. Atmo Straßenverkehr Autor: Umstanden von einem wuchtigen Schulgebäude, einer Brandwand, einer Backsteinkirche und einem Wohnblock aus den Siebzigerjahren verwandeln Hütten, Wege und hölzern gefasste Hochbeete einen klar umgrenzten städtischen Raum in einen Garten. Es ist, wenn auch eingezäunt, öffentlicher Raum. O-Ton Anja Rillcke: Wir sind ein Gemeinschaftsgarten, und hier kommt auch jeder aus verschiedenen Motiven her. Ich glaube, das ist vor allem das Wichtige, dass wir den Zugang für alle möglich machen und dass wir das partizipativ gestalten. Autor: Ganz so neu, wie es vielen erscheint, ist das Phänomen des partizipativ gestalteten Stadtgartens nicht. Entscheidend ist jedoch, was eine Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit aus einer Idee macht, die ihr eingepflanzt wird. Und offensichtlich kommt die Idee, dass private Personen sich des öffentlichen städtischen Raums bemächtigen, um ihren Natur- und Kulturbegriff des 21. Jahrhunderts zu formulieren, den Bedürfnissen unserer Gegenwart entgegen. Zu den Säulenheiligen des Urban Gardening gehörte der 1930 geborene David Lloyd Wilkie, der sich Adam Purple nannte. Seine Biographen führen ihn als ersten Guerilla Gardener oder auch, was zu den eingangs zitierten Paradies-Assoziationen des Gartens als Kunstform passt, als Urban Edenist. In den siebziger Jahren, also vor dem Boom, der die Stadt zum Mekka für Investoren werden ließ, verwandelte er, der hier in einem Interview von 2006 zu hören ist, eine Reihe brachliegender Grundstücke in der New Yorker Lower Eastside unter tatkräftiger Mithilfe der Kinder aus der Nachbarschaft in einen Garten. O-Ton Adam Purple: We had cucumbers and cherry tomatoes and aspergus and black raspberries on the wall and 45 trees including eight black walnut trees, half of which were fruiting. It was very productive in terms of food. Autor: Der aus Sicht der Stadtverwaltung wilde Garten wurde weit über die Grenzen New Yorks hinaus berühmt. Sein Schöpfer taufte ihn The Garden of Eden. Seine Lebensgefährtin hieß Eve, er selbst trug vorzugsweise Lila, und so nannte er sich Adam Purple. ? Seinen Garden of Eden gibt es längst nicht mehr. O-Ton Adam Purple: Of course the city saw what was happening and decided: We´re going to kill this, for sure. ... It was on January 8 of 1986, a large rubber tired highway construction vehicle with a scoop in the front ran over the garden for an hour and fifteen minutes. Overvoice: Die Stadt sah, was da passierte, und entschied: Das kommt wieder weg. Am 8. Januar 1986 machte eine große Straßenbaumaschine mit einer Schaufel vorn dran den Garten in einer Stunde und fünfzehn Minuten platt. Autor: Betrachtet man heute Fotos des Garden of Eden, im Internet sind sie einfach zu finden, fällt dessen strenge künstlerische Form auf: Er ist rund. Abgezirkelte Ringe aus gleich großen Beeten und regelmäßige Wege legen sich abwechselnd um den innersten Kreis. Damit zitiert der Garden of Eden nicht nur die formale Strenge eines Barockparks, sondern auch die Grundform der ersten Botanischen Gärten aus der Zeit der Renaissance. Diese historischen Bezüge reicherte Adam Purple um eigene Assoziationen an ? wodurch sich sein Garden of Eden eindeutig und selbstbewusst als Kunstwerk ausweist. Adam Purple selbst legte durchaus Wert auf den Kunstwerkcharakter seines Gartens. O-Ton Adam Purple: So it was circular, and it will expand, and the circle would bump into buildings and knock the buildings down, metaphorically, which of course they did, the buildings fell down. Overvoice: Er war rund. Und er würde sich ausdehnen. Und der Kreis würde gegen Häuser stoßen und sie umschmeißen, metaphorisch gesprochen. Und genau das geschah. Immer mehr Häuser fielen um. O-Ton Adam Purple: If you throw a rock in the water, circles go out. And the circle is historically a universal symbol. And you break the circle because you make it like a labyrinth. Overvoice: Wirft man einen Stein ins Wasser, breiten sich Kreise aus. Der Kreis ist ein universelles Symbol. Und wenn Du den Kreis aufbrichst, hast du ein Labyrinth. Autor: So schickte Adam Purple seine Gartenbesucher, um sie vor der Gnadenlosigkeit der Stadt zu retten, in ein streng komponiertes Gartenkunstwerk. Nur innerhalb der Regelmäßigkeit der Beete durfte und sollte sich die Natur dort frei entfalten. ? Strenge und Wildwuchs, die beiden Antagonisten der Gartenästhetik, seit es Gärten gibt, sollten so im Garden of Eden zu einer Einheit verschmelzen. O-Ton Anja Rillcke: Das liegt auch im Auge des Betrachters. Nicht jeder mag Unordnung. Und nicht jeder mag den Garten einfach mal vor sich hin wachsen lassen. Das machen wir hier aber zum Teil auch. Natürlich in einem begrenzten Rahmen, denn wir haben diese Hochbeete, und das ist die Fläche, auf der die Pflanzen wachsen können. Autor: ? sagt Anja Rillcke vom Himmelbeet. Strenge Ordnung, naturbelassenes Wachsen ? in der Formensprache der neuen stadtgärtnerischen Interventionen scheinen die unterschiedlichen ästhetischen Positionen der Gartengeschichte immer wieder durch. Rechteckige Hochbeete zwischen Holzplanken prägten die mittelalterlichen Gärten. Indem sie philosophische Ruhe im Schatten städtischer Gebäude suchen, zitieren die neuen Gärtner, wenn auch wohl eher unbewusst, die hortikulturelle Grundidee der Renaissance. Die symmetrisch angeordneten, von Wegekreuzen getrennten Einzelbeete erinnern an die schlichte Variante einer Barockanlage. Und das gelegentlich zugelassene wilde Wachstum auf begrenztem Raum geht auf die Landschaftsgartenbewegung der Aufklärung und der Romantik zurück. Musik Wie Unkraut scheint jeder Gedanke, der die historische Gartenkunst einmal belebt hat, immer wieder irgendwo durchzukommen, so auch jetzt im Urban Gardening des 21. Jahrhunderts. Es ist tief verwurzelt in der Geschichte der Gartenkunst ? was umso mehr auffällt, als das 20. Jahrhundert dem Garten eben deutlich weniger Raum gegeben hat als andere Epochen der abendländischen Kulturgeschichte. Dass diese Wurzeln den Protagonisten nicht unbedingt bewusst sein müssen, liegt auch daran, dass die Ästhetik eines Gartens immer einerseits künstlerisch-philosophischen und andererseits pragmatischen Ursachen folgt. So geben die rechteckigen Hochbeete den Stadtgärten häufig eine vergleichsweise strenge Struktur. Sie sind aber schlicht einfach zu handhaben, und: O-Ton Anja Rillcke: ?Ich glaube, das hat bei uns einfach damit zu tun, dass wir diese Rahmen haben, die sind gleich groß, und natürlich weil wir Pachtbeete anbieten, ist das tatsächlich auch eine Gerechtigkeitsfrage. Denn wer dafür einen bestimmten Beitrag bezahlt, der erwartet auch, dass der nebenan, der denselben Beitrag bezahlt, eine gleiche Fläche hat.? O-Ton Jonas Flötotto: Und sie haben Palettengröße. Das heißt, bei dem Umzug damals war das sehr praktisch, einfach die Paletten hierher zu bringen.? Autor: Was auf ein weiteres Charakteristikum des Urban Gardening verweist: die Idee des temporären oder auch mobilen Gartens, eines Garden to go. Traditionell gehört zum Garten nachgerade zwingend die Idee des Stationären, die Ausrichtung an einem Besitz, an einem Ort; es ist die dauerhafte, kontinuierliche Bewirtschaftung eines und desselben Areals. Die meisten Urban Gardening Projekte besetzen Flächen im Wissen, dass die Dynamik der Stadtentwicklung dafür sorgen könnte, dass diese irgendwann für eine andere Nutzung gebraucht werden. Vielleicht erweckt der Begriff Garten ja falsche Erwartungen. Offensichtlich geht es beim Urban Gardening mehr ums Urban als ums Gardening, also weniger um Hortikultur als um Stadtentwicklung, Mikroklima, Umweltbewusstsein, Ernährung und Quartiersmanagement. Jonas Flötotto vom Himmelbeet-Projekt erklärt es mit dem Begriff der Multicodierung. O-Ton Jonas Flötotto: Multicodierung ist eine Frage der Flächenkonkurrenz, was ja in Berlin sehr ansteht und sehr en vogue ist deswegen. Da geht es darum, dass verschiedene Akteure auf einem begrenzten Raum, auf einem sehr gefragten Raum zusammen aktiv werden. Autor: Urban Gardening bietet die bislang originellste und der Verfassung unserer Städte ohne Frage zuträglichste Antwort auf die Herausforderung der Multicodierung. Dabei prägen die neuen Initiativen zunehmend auch das Bild unserer Städte. O-Ton Anja Rillcke: Der soziale Aspekt spielt hier schon eine große Rolle. Soziales, Kulturelles und Ökologie zusammenzubringen, das ist unser Ansatz. Da geht es nicht um schöne Gärten. O-Ton Georg von Gayl: Also, ich habe Schwierigkeiten, daran wirklich sehr, sehr Schönes zu finden. Was die Materialität betrifft, was die Pflanzenauswahl angeht, ist sehr viel Laienhaftigkeit dabei, die jetzt nicht besonders ansprechend ist. Das ist aber auch egal. Die Leute machen das aus anderen Gründen, das sind nicht Leute, die jetzt aus ästhetischen Gründen unbedingt gärtnern, sondern weil sie einfach Spaß haben, in der Erde zu wühlen, Pflanzen anzubauen, Früchte zu ernten und Blumensträuße zu pflücken. O-Ton Philipp Sattler: Ich glaube auch, dass jemand, der sich, um mal einen Vergleich zu wagen, in seinem Kleingarten selbst eine Gartenhütte baut, nicht unbedingt mit dem Anspruch auftritt, Architektur zu produzieren. Nur beim Gärtnern ist es schnell so, dass man das Laienhafte sozusagen auf eine Ebene hebt. Und das ist manchmal eben dann auch das Problem, das Professionelle mit solchen Bewegungen haben. O-Ton Georg von Gayl: Sich ein bisschen beraten lassen, fände ich gar nicht schlecht. Dass man nicht einfach nur draufloslegt und vor sich hin dilettiert, sondern dass man sich ein bisschen Anregungen holt von Menschen, die etwas davon verstehen. O-Ton Philipp Sattler: Ich finde, dass es für viele Bilder evoziert und damit vermeintlich auch ein Begriff ist, aber im schlechtesten Sinne eben auch ein Sammelbecken für die ungelungenen, zum Teil auch sehr hilflosen oder spießeigen Versuche, mit Pflanzen in Stadträumen rumzudoktern. O-Ton Anja Rillcke: Den Vorwurf würde ich gern umdrehen ? Autor: ? kontert Anja Rillcke vom Himmelbeet-Kollektiv. O-Ton Anja Rillcke: Denn es klingt so, als gäbe es da auch ein Sendungsbewusstsein. Wenn Landschaftsplaner gerne wollen, dann sind die herzlich eingeladen, vorbei zu kommen und ihr Wissen zu teilen. Dazu ist dieser Ort auch gedacht. Wir holen uns natürlich immer Leute ins Team, die gärtnerisches Know How mitbringen. Aber dieser Ort ist ein Lernort und auch ein Begegnungsort, und hier kommt ganz viel Wissen zusammen, auch aus ganz vielen Kulturen, und da gibt es natürlich unterschiedliche Ansätze des Gärtnerns oder des gemeinsamen Gestaltens. Autor: Inzwischen treten die gärtnerischen Initiativen im Rahmen der innerstädtischen Multicodierung mit großem Selbstbewusstsein auf. So heißt es im Urban Gardening Manifest von 2014: O-Ton Urban Gardening Manifest: Wir fordern Politik und Stadtplanung auf, die Bedeutung von Gemeinschaftsga?rten anzuerkennen, ihre Position zu sta?rken, sie ins Bau- und Planungsrecht zu integrieren und einen Paradigmenwechsel hin zu einer ?gartengerechten? Stadt einzuleiten. So wie in der ?autogerechten? Stadt alle das Recht auf einen Parkplatz hatten, sollte in der gartengerechten Stadt allen ein fußla?ufiger Zugang zur Stadtnatur garantiert werden. Autor: Adam Purple hatte im New York der siebziger und achtziger Jahre auf Seiten der Stadtverwaltung noch mit völliger Ignoranz zu kämpfen, im wahrsten Sinne des Wortes, er wurde ignoriert: O-Ton Adam Purple: If you look at the city maps there was a so called `community garden´ across the street, and on the maps for that particular block it said `garden´. On the map for the block I was in it was labelled `vacant´. It was never officially recognized by the city as existing. They called it `vacant´. But in fact there was work of art there, an earth work, so that was a work of art, it was also ecologically based in terms of a human right to make earth and grow food. Overvoice: Auf alten Stadtplänen sieht man, dass auf der anderen Straßenseite so ein Gemeindegarten war, und da stand ?Garten?. Unser Block war mit ?vakant? bezeichnet. Die Stadt hat die Existenz unseres Gartens nie anerkannt. Da stand ?vakant?, in Wirklichkeit war da aber in Kunstwerk, ein Kunstwerk auf der Grundlage der Ökologie und des Menschenrechts, mit der Erde zu arbeiten. Autor: Heute werden Urban Gardening Projekte fast überall nicht nur geduldet, sondern oft unterstützt und sogar gefördert. So auch das Berliner Himmelbeet. O-Ton Jonas Flötotto: Die Fläche gehört dem Bezirksamt, das ist eine Vorbehaltsfläche für eine Schulhalle. Es wird temporär genutzt von uns. Und wir müssen auch keine Pacht bezahlen. Und das ist eine ganz klare Unterstützung. Autor: Was aber ist mit anderen Optionen im Rahmen der Multicodierung? Ein Raum, in dem gegärtnert wird, steht anderen Nutzungen nicht zur Verfügung. Sind Reibungen da nicht programmiert, je erfolgreicher das Konzept in den Städten aufblüht? Schließlich haben die urbanen Gärten vorgemacht, wie man sich als private Initiative öffentlichen Raum aneignet. O-Ton Anja Rillcke: Das dringt nicht so an uns heran. Allerdings, natürlich müssen wir uns auch dem Vorwurf aussetzen, dass wir gentrifizieren. Oder dass wir hier einen Raum besetzen und damit auch Leute anziehen, die vielleicht ihre Kinder lieber in einen Garten schicken als jetzt hier auf die Straße. Und die haben einen bestimmten Bildungshintergrund, und die haben ein bestimmtes Einkommen. - Ich weiß nicht, ob Sie das hier gesehen haben: ?Still not Loving Gentrification?. Autor: Anja Rillcke und Jonas Flötotto deuten auf einen Schriftzug hoch oben auf einer Brandwand, die das Himmelbeet an einer der Schmalseiten begrenzt. Still not Loving Gentrification steht da in großen Lettern wie ein Menetekel, wie eine Überschrift oder wie ein Motto über dem Himmelbeet. O-Ton Jonas Flötotto: Normalerweise gibt es im ganzen Wedding Texte, die sind immer in Schwarz. Und dieser hier ist in Blau. Und da das Himmelbeet-Logo auch blau ist, nehmen wir an, dass wir damit gemeint sind. - Aber ob wir jetzt Treiber sind oder Opfer dieser Bewegung, das können wir selbst nicht entschlüsseln. Autor: Die Entscheidung, die Flächenkonkurrenz im öffentlichen Raum in einem gärtnerischen Sinne zu lösen, ist derzeit en vogue, der städtische Gemeinschaftsgarten die beliebteste Antwort auf die Herausforderungen der Stadt. Die Stadt definiert diese Idee vom Garten. Er ist ein Spiegel der Bedürfnisse der Städter des 21. Jahrhunderts. O-Ton Georg von Gayl: Das Tolle an dem Urban Gardening ist eigentlich, dass das so gepusht worden ist von der Presse, von Fernsehanstalten und vielen anderen Medien, dass das ein Begriff geworden ist, mit dem viele Menschen etwas anfangen können. Und das Gute daran ist, dass diese neue Gartenbewegung dadurch eine große Aufmerksamkeit bekommen hat. Das ist etwas Gutes, per se schon mal. - Gartenbewegungen sind ja historisch etwas ganz Anderes als diese Form von Urban Gardening, aber es ist eben eine Art Aufbruch oder war eine Art Aufbruchsgefühl, und das ist etwas Gutes. Autor: Also doch ein Aufbruch in eine neue Epoche der Gartengeschichte? ? Eine Epoche, in der eine Generation junger Städter Grenzen auflöst: die Grenze zwischen öffentlichem und privaten Raum, zwischen Stadt und Land, zwischen Spaß und Nachhaltigkeit, zwischen Stadtplanung und Selbstversorgung, zwischen Ernährung und Erholung, zwischen Kunst und der Befriedung des konfliktreichen multicodierten Soziotops Stadt. Der Garten ist wieder da, als Ausdrucksform, als zeitgenössisches Medium, als soziales Projekt. Aber offenbar noch nicht so recht als ästhetische Ausdrucksform oder gar als Kunst. Das aber, Kunst, ist der Garten im öffentlichen Raum über die Jahrhunderte seinem Selbstverständnis nach und in der allgemeinen Wahrnehmung gewesen. Aber das 21. Jahrhundert hat ja gerade erst begonnen. Das Urban Gardening ist die erste, sicherlich nicht die letzte Antwort unserer Zeit auf die Rückkehr des Gartens in die Mitte der Gesellschaft. Ein Adam Purple müsste heute wohl nicht mit ansehen, wie sein Garden of Eden dem Erdboden gleich gemacht wird. Im Gegenteil, mit der Highline, einem von Anwohnern vor dem Abriss bewahrten, begrünten Stück Hochbahn ist ein Stadtteilgarten vorübergehend zur wichtigsten Sehenswürdigkeit von Manhattan avanciert. Das Aufblühen des Urban Gardening hat Adam Purple noch mitbekommen. Er starb am 14. September 2015. 84jährig, fiel der Mann mit dem weißen Rauschebart tot vom Fahrrad, als er gerade die New Yorker Williamsburg Bridge überquerte. 2005 hatte er zu Protokoll gegeben: O-Ton Adam Purple: I said at the time and I still feel: it would have been better to kill me and leave the garden, because, well, that´s the way I view it. Overvoice: Es wäre besser gewesen, sie hätten mich umgebracht und meinen Garten bestehen lassen. Sprecher: ?Wer in meinen Garten schaut, schaut in mein Herz?, Autor: ? notierte der romantische Gartenkünstler Hermann Fürst von Pückler-Muskau. So gesehen, wandelt sich das Herz vieler Städte gerade. Doch Pückler sagte auch: Sprecher: ?Ein Garten ist ein Gegenstand der Kunst allein.? Autor: So betrachtet, steht der Aufbruch ins 21. Jahrhundert noch bevor. 1