COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Michael Lange Forschung und Gesellschaft DeutschlandRadio Kultur Red.: Kim Kindermann Sendung: 3. Juni 2010 Der Mensch als Schöpfer Vor zehn Jahren wurde das menschliche Genom entschlüsselt Musik 1 (Feierstundenmusik zur Ankündigung eines wichtigen Ereignisses) Darüber: Sprecherin: Auf diesen Moment hat der amerikanische Wissenschaftler Craig Venter fünfzehn Jahre hin gearbeitet. O-Ton 1 We are announcing the the first synthetic cell, the first synthetic species that has been made with digital code in the computer ..... Sprecher: Wir geben bekannt: Die erste künstliche Zelle. Das erste synthetische Lebewesen, hergestellt nach einem digitalen Code aus dem Computer. Sprecherin: 20. Mai, 2010: Ein kahlköpfiger Mann, Anfang sechzig, kurzer Bart, strahlend blaue Augen blickt in unzählige Kameras, und er wählt immer wieder die gleichen großen Worte. Wie hier in einem Interview mit der BBC. O-Ton 2 It is a completely synthetic cell... Sprecher: Es ist eine absolut künstliche Zelle, die sich bereits eine Million mal geteilt hat. Ihr Erbmaterial, ihre D.N.A., ist durch und durch synthetisch. Das ist die erste Lebensform auf unserem Planeten, die von einem Computer abstammt. ....to have ist parent being a computer. Sprecherin: Das künstlich hergestellte Bakterium ist der Nachbau einer natürlich vorkommenden Spezies: Des Bakteriums Mycoplasma mycoides. Es ist klein, nur unter dem Mikroskop zu sehen und bildet, wenn es im Labor vermehrt wird, blaue Kolonien. In der Natur verursacht Mycoplasma mycoides eine Lungenkrankheit bei Ziegen, Schafen und Rindern. Craig Venters Forschungsteam hat das Erbgut, den biologischen Bauplan, dieses Bakteriums genauestens analysiert und im Labor nachgebaut. Dann haben die Forscher das synthetische Erbgut in eine verwandte Art eingeschleust und diese so in Mycoplasma mycoides verwandelt. Ein künstlich zusammengebautes Erbgut - synthetisiert nach einem natürlichen Vorbild - wurde also in anderes ein Bakterium eingeschleust und dort zum Leben erweckt. Ein kleiner Schritt für ein Bakterium, aber ein großer für die Menschheit. Menschen konstruieren Erbmoleküle und schaffen daraus erstmals Leben. Für Craig Venter wird eine Vision Wirklichkeit. O-Ton 3 Our experiments now over the last 15 years have shown that DNA is in fact the software of life.... Sprecher: Unsere Experimente in den vergangenen 15 Jahren haben gezeigt, dass die D.N.A. tatsächlich die Software des Lebens ist. Wir können diese Software selbst schreiben und in Bakterien hinein pflanzen. Wir verwandeln eine Bakterienart in eine andere und beweisen so, dass die D.N.A. das Wesen einer Art bestimmt. Das wäre als wenn man aus einem Computer die Software herausnimmt, eine neue installiert, und plötzlich hätte man einen anderen, viel besseren Computer vor sich stehen. So funktioniert Biologie. Die Software regiert die Hardware. Mit neuer Software verwandeln wir eine lebende Zelle in eine neue Art. ....write a chemical software and put it into a living cells and that cell would morph into a new species. Sprecherin: Die Herrschaft über das Erbgut, das Genom, das ist das Lebensthema des Craig Venter. Das machte ihn zum umjubelten und umstrittenen Star der Wissenschaft, der sich durch nichts aufhalten lässt. Schon einmal hatte er die Weltbühne betreten. Das war am 26. Juni 2000 - an der Seite von Bill Clinton. O-Ton 4 Today we are learning the language in which god created life. Sprecher: Heute lernen wir die Sprache, in der Gott das Leben schuf. Sprecherin: Das Jahr 2 000 war eine Zeitenwende - für die Wissenschaft vom Leben, aber auch für die ganze Menschheit. Der Mensch riskierte einen Blick auf seinen eigenen Konstruktionsplan. O-Ton 5 (Beitrag ARD-Hörfunk): Amerikanische Fernsehanstalten hatten Bilder von der Mondlandung aus dem Archiv geholt, um anzumerken, dass die fast vollständige Entschlüsselung des Buchs des Lebens und die erwartete Revolutionierung der Medizin in ihrer Bedeutung weit über die Landung auf dem Mond hinausging. Sprecherin: Als der damalige US-Präsident im East Room des Weißen Hauses vor die Presse trat, demonstrierte jede Geste, jeder Satz die besondere Bedeutung dieses Moments. Musik 1 (Feierstundenmusik zur Ankündigung eines wichtigen Ereignisses) O-Ton 6 Without a doubt this is the most important, most wondrous map ever produced by human kind. Sprecher: Ohne Zweifel ist dies die wichtigste, die geheimnisvollste Karte, die die Menschheit jemals hervorgebracht hat. Sprecherin: Zur linken des Präsidenten stand Francis Collins. Er repräsentierte die weltweite Gemeinschaft der Human-Genom-Forscher - jener mehr als tausend Wissenschaftler aus den USA, Großbritannien, Japan, Frankreich und Deutschland, die das menschliche Erbgut in zehn Jahren mühevoller Arbeit Baustein für Baustein analysiert hatten. O-Ton 7 It is an incredibly detailed blueprint for building a human cell and it is a transformative textbook of medicine. Sprecher: Es ist ein detaillierter Bauplan für den Aufbau einer menschlichen Zelle und ein Lehrbuch, das die Medizin verändern wird. Sprecherin: Und rechts vom Präsidenten stand Craig Venter - nur körperlich der kleinste der drei. Damals Geschäftsführer des Biotechnologieunternehmens Celera Genomics. Er hatte die Weltgemeinschaft der Genomforscher herausgefordert. O-Ton 8 This work has tremendous implication on our understanding of disease, it tells us who we are and how we as a species came to be. Sprecher: Diese Arbeit hat eine gewaltige Auswirkung auf unser Verständnis von Krankheit. Sie sagt uns, wer wir sind und wie wir als Art entstanden sind. Sprecherin: Immer wieder in dieser "historischen Stunde" wurde der Begriff "Buch des Lebens" verwendet. Von einer "Entschlüsselung" der menschlichen Biologie war die Rede. Beide Begriffe sind jedoch fragwürdig. Sie leiten in die Irre. So als müsse man nur das Buch aufschlagen und könne die Geheimnisse des Lebens Buchstabe für Buchstabe kennenlernen, oder man müsse nur einen Schlüssel herumdrehen und wisse nun Bescheid, wie der Mensch funktioniert. Was die Wissenschaftler jedoch in ihren Computern vorfanden, war zunächst eine gewaltige Datensammlung: Mehr als drei Milliarden Informationseinheiten, die sie mit automatisierten Analysemethoden gewonnen hatten. Musik 2 (Futuristische Musik zur Darstellung riesiger Datenmengen) Sprecherin: Die kostbare biologische Information besteht aus den vier Basen des genetischen Codes, wie er im Innern des Erbmoleküls gespeichert ist: Der D.N.A - oder zu deutsch: DNS. Das steht für Desoxyribo- Nukleinsäure. Das Molekül sieht aus wie eine in sich gewundene Strickleiter. Im Innern dieser "Doppelhelix" dienen vier einfache Biomoleküle als Informationsspeicher: Die zu Paaren angeordneten Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin - A, T, G und C. Die Reihenfolge dieser Basen, Sequenz genannt, lässt sich entziffern oder lesen - Buchstabe für Buchstabe. "Sequenzieren" heißt das in der Sprache der Wissenschaftler. Musik 2 (Futuristische Musik zur Darstellung riesiger Datenmengen) Sprecherin: Das Genom ist die Gesamtheit der genetischen Informationseinheiten eines Lebewesens. Zwei mal drei Milliarden davon speichern die Erbinformation eines Menschen. Drei Milliarden von der Mutter und drei Milliarden vom Vater bilden gemeinsam das biologische Erbe jedes Menschen. Genome sind aber auch das Arbeitsmaterial für Wissenschaftler wie Hans Lehrach vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. Der aus Österreich stammende Forscher gehört zu den Pionieren der Genom-Analyse. O-Ton 9 Wir konnten das Buch des Lebens lesen, aber nicht verstehen. Das war vielleicht nicht allen klar, aber es war den Eingeweihten klar, dass wir nicht plötzlich anhand der Genom-Sequenz alle Vorgänge, alle Krankheiten sofort entschlüsseln können. Es ist ein enorm wichtiges Hilfsmittel, um darauf aufzubauen, um dann wichtige medizinische Probleme zu analysieren, aber es ersetzt nicht die Analyse der medizinischen Probleme. Wir müssen auf der Basis der Information dann ganz gezielt die Sachen analysieren, die wir wissen wollen. Sprecherin: Von einer Revolution der Medizin durch die Genom-Forschung sprechen Wissenschaftler nicht mehr. Was sich seitdem geändert hat, ist vor allem die Arbeitsweise in den Labors. Der Umgang mit großen Informationsmengen ist für viele Forscher zum Alltag geworden. Statt mit einzelnen biologischen Stoffen oder einzelnen Genen, beschäftigen sich Forscher immer häufiger mit ganzen Genomen. Immer schneller wurden die Buchstabenfolgen der D.N.A. entziffert und nach Informationen durchsucht. O-Ton 10 Wir haben jetzt Techniken in der Hand, mit denen wir an einer Maschine ein bis drei Genome in vierzehn Tagen sequenzieren können. Also mehr Sequenzierleistung als wir im gesamten Genom- Projekt in zehn Jahren erbracht haben. Und die Maschinen der nächsten Generation sind bereits in Entwicklung und könnten es uns ermöglichen, das gesamte Genom des Menschen in fünfzehn Minuten zu sequenzieren in ein paar Jahren. Sprecherin: Wer im Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin sehen will, wie die riesigen Datenmengen aus winzigen biologischen Proben gewonnen werden, muss in einen kleinen Raum gehen. O-Ton 11 Atmo: Das Innere des Sequenzierraums Darüber: Sprecherin: Im Innern ist es laut. Die Klimaanlage rauscht, und die Lüftungen der Maschinen kühlen um die Wette. Die kostbaren Sequenzier- Automaten der neuen Generation sind nicht größer als Kühlschränke. Nichts bewegt sich in ihrem Innern. Nur die farbigen Bilder auf den Computermonitoren mit vier Farben für die vier Basen ändern sich gelegentlich. O-Ton 12 (mit Atmo) Hier in diesem Raum sind gerade vier Maschinen. Wir haben noch einen Raum, wo sechs Maschinen stehen. Insgesamt im Institut haben wir 14 Maschinen mit dieser neuen Technologie. Sprecherin: Ralf Sudbrak und seine Wissenschaftlerkollegen kommen nur selten in diesem Raum vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Einmal pro Woche werden die High Tech Geräte mit neuen Proben beladen. Das reicht. Dann wird automatisch Tag und Nacht sequenziert. O-Ton 13 (mit Atmo) Im Prinzip gibt es hier eine Art Scanner, der immer auf einer Art Glasscheibe hin- und herfliegt. Auf der ist die D.N.A. gebunden. Diese wird dann mehrfach abgelesen. Dieser Scanner ist auch beweglich. Der fährt wie ein Schlitten immer auf diesem Objektträger hin und her. In dieser Maschine sind zwei Objektträger nebeneinander, und man kann acht verschiedene DNAs gleichzeitig analysieren, mit einem sequencing run, der dann sieben bis zehn Tage dauert. (Atmo Ende) Sprecherin: Kein anderes Forschungszentrum in Deutschland entziffert so viele menschliche Genome, wie das Max-Planck-Institut in Berlin. Dennoch handelt es sich im internationalen Vergleich um ein eher kleines Genom-Zentrum. Die größten Sequenzier-Anlagen der Welt arbeiten in den USA, China und Großbritannien. Sie wollen in den nächsten Jahren dafür sorgen, dass die Genom- Forschung in die medizinische Routine Einzug hält. Der US-Wissenschaftler George Church hat deshalb ein Projekt für persönliche Genomik initiiert. O-Ton 14 We want personal genomics.... We want to have a gapless one for every person that wants it for thousands of dollars. Sprecher: Wir wollen das Genom für jedermann. Eine vollständige, lückenlose Version für jeden, der sie haben möchte - für wenige tausend Dollar. Sprecherin: Durch die großen Fenster in seinem kleinen Büro blickt George Church auf den modernen Campus der Harvard Medical School in Boston. Der bärtige, große Mann Mitte fünfzig ist ein Vordenker der Genomik. Immer wieder äußert er umstrittene Zukunftsvisionen, die ihn zu einer Art Guru der Biowissenschaften gemacht haben. Fast schon so bekannt wie Craig Venter. Beide sind inzwischen "gläserne Menschen". Im Jahr 2000 beim ersten Human-Genom hatte Craig Venter bereits Teile seines eigenen Erbguts analysiert. Sieben Jahre später, 2007, veröffentlichte er dann seine vollständige Sequenz im Internet. Das war das erste persönliche Genom. Auch George Church kennt inzwischen die Buchstaben seiner Erbinformation. O-Ton 15 My genome is just a part of the personal genome Project.... Sprecher: Mein Genom ist lediglich ein Teil des "Persönlichen Genom-Projektes". Ich nehme nicht an, dass es etwas Besonderes ist. Wir haben das einmal durchgecheckt mit einer speziellen Software und mehrere Genome verglichen. Meines erwies sich als nicht allzu interessant, aber das ist ok. .....and mine end up in being not interesting which is ok. Sprecherin: Über das Internet sucht George Church nach freiwilligen Spendern für das "Persönliche-Genom-Projekt". Sie sollen Blutproben zur Genom- Entzifferung zur Verfügung stellen. Hunderttausend Genome will er entziffern, um die Technik aus den Speziallabors in den medizinischen Alltag zu bringen. O-Ton 16 In those five years it is draft by a million folds .... Sprecher: In den letzten fünf Jahren konnten die Kosten für die Genom- Entzifferung bereits um den Faktor eine Million gesenkt werden. Aus sechs Milliarden Dollar, wie beim Human-Genom-Projekt, wurden sechs Millionen beim Venter-Genom, und jetzt erreichen wir bald die Marke, an der ein Genom nur noch 6 000 Dollar kostet. Die Reagenzien sind schon für 1.500 Dollar zu haben. Wir sind also bereits dicht dran am 1.000-Dollar-Genom, und danach wird der Preis wahrscheinlich weiter sinken. ....thousand dollar genome is very close and it will probably keep dropping after that. Sprecherin: Fortschritte in der Computertechnik machen es möglich, dass schon bald jeder sein persönliches Genom bei sich tragen könnte, sagt George Church. O-Ton 17 Ten megabytes is not that big a deal..... Sprecher: Zehn Megabyte sind doch keine große Sache mehr. Diese Menge an Informationen kann jeder auf seinem Mobiltelefon speichern. Dein Handy liest den Barcode auf einer Medikamentenpackung und sagt dir, ob du die Wirkstoffe verträgst. Es weiß alles über dich. Es kennt dein Genom und auch die Umwelt, in der du lebst, und deine Familiengeschichte. ... knows about your environment and your family history as well. Musik 2 (Futuristische Musik zur Darstellung riesiger Datenmengen) Sprecherin: Aber nicht nur mit dem Lesen und Speichern von Erbinformationen beschäftigen sich Vordenker wie Craig Venter oder George Church. O-Ton 18 Our ability to sequence or read DNA has improved a million fold... Sprecher: Wir lesen Erbmoleküle heute eine Million mal schneller als noch vor fünf oder sechs Jahren. Gleichzeitig hat sich auch unsere Fähigkeit, D.N.A. selbst herzustellen und zu schreiben nahezu um den Faktor eine Million verbessert. ....raw DNA has also improved by factors of almost a million. Sprecherin: Um es in der Sprache Bill Clintons zu sagen: Der Mensch liest nicht länger nur die Sprache, in der Gott das Leben schuf. Er schreibt selbst mit den gleichen Buchstaben. So ist in den letzten Jahren ein neuer Wissenschaftszweig entstanden: Die synthetische Biologie. Einzelne Gene werden nicht länger nur analysiert, verändert oder von einer Art in eine andere verpflanzt. Sie entstehen neu im Labor. Gene sind Abschnitte der Erbsubstanz D.N.A. - durchschnittlich tausend Mal kleiner als die Erbsubstanz eines Bakteriums, wie Craig Venter sie geschaffen hat. Einige Firmen haben sich auf die Herstellung künstlicher Erbsubstanz spezialisiert. Weltmarktführer ist ein Biotechnologieunternehmen aus dem bayerischen Regensburg. O-Ton 19 Bei uns kann man synthetische Gene kaufen. Solche, die Sie in der Natur nicht finden. Maßgeschneidert auf unterschiedliche Kundenanforderungen, beispielsweise für die Pharmaindustrie, für die chemische Industrie, zum Beispiel um Waschmittelenzyme zu verbessern, für die grüne Biotechnologie, für Forschung und Entwicklung im Allgemeinen. Sprecherin: Ralf Wagner ist Mitbegründer und Geschäftsführer der Firma Geneart - zu deutsch: Gen-Kunst. Sie beschäftigt circa 200 Mitarbeiter und wurde innerhalb weniger Jahre zum Weltmarktführer für künstliche Gene. Kürzlich wurde das Unternehmen Geneart an den US-Konzern Life Technologies aus Kalifornien verkauft, der die Genproduktion in Regensburg weiter ausbauen will. O-Ton 20 So ein Gen, ein Bauplan für ein Eiweiß, besteht im Wesentlichen aus vier Komponenten: A, C, G und T. Das sind die Buchstaben unseres genetischen Alphabets, und diese vier Buchstaben, die werden in einer definierten Reihenfolge zunächst zusammengehängt. Wir sagen als einzelsträngige DNS-Sequenz, A, C, G und Ts. Also 50 bis 70 dieser A,C, G und Ts in Reihe geschaltet, wenn Sie so möchten. Und diese kann man dann, dreißig, vierzig und fünfzig davon, in ein Töpfchen schmeißen, und die organisieren sich dann selbst zu Fragmenten: entweder dem kompletten Gen oder Teilen von Genen, bis zu tausend, eventuell zweitausend Basenpaaren. Sprecherin: Die meisten der Geneart-Kunden brauchen einzelne künstliche Gene für ihre Forschung. Die Produkte aus Regensburg helfen ihnen dabei natürliche Gene zu verstehen, Impfstoffe zu entwickeln oder neue biologische Moleküle zu produzieren. Eine Woche nach der Bestellung erhält der Kunde das bestellte Gen. Die Reihenfolge der einzelnen Basen sieht genau so aus, wie er sie bestellt hat. O-Ton 21 Wenn das hier raus geht, dann hat das in einem kleinen Briefumschlag Platz und ist extrem leicht. Atmo: Maschinen für Oligo-Synthese. Sprecherin: Markus Graf leitet die Produktion bei Geneart. In einer kleinen Fabrikhalle im Regensburger Gewerbegebiet arbeiten nur wenige Mitarbeiter im weißen Kittel. Stattdessen viele Geräte, in denen kleinste Flüssigkeitsmengen hin- und her gepumpt werden. Alles computergesteuert. O-Ton 22 (GeneArt 42) (Atmo) Wir sind hier in unserer größten Synthese-Halle: Der Oligo- Nukleotid-Synthese. Atmo: Maschinen für Oligo-Synthese. Sprecherin: Zunächst entstehen rein chemisch kleine Genabschnitte mit 40 bis 50 genetischen Buchstaben. Das sind die so genannten Oligos oder Oligo-Nukleotide. O-Ton 23 Also wie man ein Gen herstellt, das in der Natur nicht existiert, das geht eigentlich nur dadurch, dass man kurze Abschnitte der DNA künstlich synthetisiert und zwar über organische Chemie. O-Ton 24 Atmo: Stanzen der Platten für Oligo-Synthese Sprecherin: Aus vielen Oligo-Nukleotiden werden dann in einer anderen Halle ganze Gene zusammengesetzt. Insgesamt hängt Geneart Monat für Monat mehrere Millionen Basen hintereinander und produziert tausende Gene. Aneinander gehängt entsprechen sie der Erbgut- Menge eines mittleren Bakteriums. Möglich wurde das durch Automatisierung. So gelang es Ralf Wagner und seiner Firma, die Produktionsmenge jährlich zu verdoppeln. O-Ton 25 Alles kleiner, alles schneller, alles höher parallelisiert als Sie das in normalen Labors vorfinden können. Also in einem Satz gesagt: Das übersetzen von einem manuellen Prozess auf einen Fließbandprozess, und das Fließband wird immer kleiner und kleiner und kleiner, von Gensynthese-Generation zur nächsten. O-Ton 26 Man kann heute das Genom von einem Mikroorganismus künstlich herstellen. Und damit ergeben sich eine Reihe von neuen Fragen. Sprecherin: Markus Schmidt arbeitet bei der Organisation für internationalen Dialog und Konfliktmanagement. Sein Spezialgebiet sind Sicherheitsfragen der synthetischen Biologie. O-Ton 27 Beispielsweise kann man das Genom von einem Virus synthetisieren, rein auf der Basis der genetischen Information. Jemand mit schlechten Absichten könnte zum Beispiel ein Grippe-Virus synthetisieren. Sprecherin: Die Erbinformation des Erregers der Spanischen Grippe von 1918 ist seit einigen Jahren bekannt. Nach diesem Bauplan könnte dieses gefährliche Virus neu konstruiert werden. Das Polio-Virus wurde bereits 2003 auf diesem Wege im Labor hergestellt. Wie groß das Risiko ist, zeigte ein Experiment der Londoner Zeitung The Guardian. Ein Journalist bestellte bei einer Firma für Gensynthese in Australien Teile des Pockenvirus und bekam sie tatsächlich per Post zugestellt. O-Ton 28 Es wird die gleiche Software und Hardware benutzt, die die Natur benutzt. Das heißt wir kommen in den Konflikt, dass wir an unserem eigenen Betriebssystem herumbasteln. Da gibt es heute schon Überlegungen, wie man damit umgehen kann. Und zwar, in dem man eine Art Parallelwelt entwickelt. Also einen genetischen Code, der chemisch anders ist als unser eigener, und die nicht miteinander kommunizieren können. Man würde dann eine parallele Welt erschaffen, ein paralleles biologisches Universum, mit Organismen, mit denen man Dinge ausprobieren kann, die man neu programmieren kann, ohne dass sie ein Sicherheitsrisiko darstellen für die Natur oder für den Menschen. Sprecherin: Vielleicht werden synthetische Biologen in Zukunft tatsächlich einen anderen Code verwenden als die Natur. Dann würde eine zweite Biologie entstehen. O-Ton 29 Also die Idee ist, dass die Organismen nicht nur unterschiedlich sind, sondern dass sie die verwendeten Bausteine auch nicht selbst produzieren können. Also die müsste man ständig von außen zugeben. Dann könnte man das nur in einem Labor, in einer sehr kontrollierten Umgebung machen. In dem Moment, wo man aufhört, diese Substanz zuzugeben, würde der Organismus automatisch sterben, weil die Substanz in der Natur nicht vorkommt. Sprecherin: Solange die Natur jedoch als Ideengeber für die Wissenschaft unerlässlich ist, werden Forscher in der gleichen Sprache schreiben, in der auch unser eigener Bauplan gespeichert ist und den auch gefährliche Krankheitserreger verwenden. Ralf Wagner kennt das Risiko. Um Bioterroristen nicht in die Hände zu spielen, beliefert Geneart grundsätzlich keine Privatpersonen. Außerdem vertraut er auf freiwillig durchgeführte, sorgfältige Kontrollen der ausgelieferten Erbsubstanz. O-Ton 30 Wir sehen definitiv, wenn zum Beispiel Pockenvirussequenzen bei uns bestellt werden, dann schrillen bei uns tatsächlich die Alarmglocken. Und das ist der Punkt, wo wir dann intensiv einsteigen in die Analyse: Wer ist denn das, der diese Sequenz tatsächlich bestellt. Sprecherin: Genug Erbmaterial für einen größeren Organismus, eine Pflanze, ein Tier oder gar einen Menschen können die Genhersteller bislang nicht produzieren. Sie würden viele Jahre brauchen, um die Erbinformation für ein Säugetier zusammen zu setzen. Das Erbmaterial des Menschen, das Genom, besteht aus zwei mal drei Milliarden genetischen Buchstaben. Das ist tausend Mal mehr als gesamte Monatsproduktion der Firma Geneart. Ralf Wagner hält es aber für möglich, dass in zehn oder zwanzig Jahren genug Erbmaterial für eine Säugetierzelle hergestellt werden kann. Also im Prinzip auch für eine menschliche Zelle. O-Ton 31 Diese Fragmente dann aber zusammenzusetzen zu funktionellen Genomen, Chromosomen, richtig organisiert, mit den richtigen Signalen versehen, so dass daraus auch vermehrungsfähige Zellen entstehen können, das halte ich aus Sicht von jetzt und heute für eine Utopie. Sprecherin: Wer jedoch mit einfachen Organismen beginnt und die Natur zu Hilfe nimmt, kann bereits heute vollständige künstliche Genome erzeugen, wie es jetzt der Genompionier Craig Venter getan hat. O-Ton 32 This ist he first synthetic cell that has been made... Sprecher: Das ist die erste jemals hergestellte synthetische Zelle. Wir nennen sie synthetisch, weil sie von einem künstlich hergestellten Genom gesteuert wird, entstanden aus vier Flaschen mit Chemikalien und der Information aus einem Computer. .....with the information on the computer. Sprecherin: Ob das Bakterium aus Venters Labor in Rockville Maryland wirklich künstliches Leben ist, bleibt Definitions-Sache. Tatsache ist: Ohne den genetischen Bauplan eines natürlichen Bakteriums als Vorlage, wäre dieses Lebewesen nicht entstanden. Im Grunde ist es kein künstliches Lebewesen, sondern ein natürliches Lebewesen, das von einen künstlich zusammengesetzten Genom gesteuert wird. Dennoch führt diese Forschung unweigerlich dazu, dass sich unser Verständnis von Leben ändert. Craig Venter erläuterte seine Philosophie in einem Gespräch mit der Wissenschaftszeitschrift Science. O-Ton 33 It changes definitely the definition of life and how life works ... Sprecher: Das ändert unsere Definition von Leben und wie Leben funktioniert. Wenn man die D.N.A. eines Lebewesens austauscht, die Software, und eine neue installiert, dann verschwindet das ursprüngliche Lebewesen und ein neues entsteht. Bisher betrachteten wir Lebewesen als Einheiten. Jetzt erkennen wir, wie wandelbar sie sind. Und das alles als Ergebnis eines Informationsaustausches. Das beweist: Der genetische Code ist unsere Software. ..... our genetic code is our software. Sprecher: Noch kann Craig Venter die genetische Information nicht nach eigenen Vorstellungen programmieren. Er ist auf Vorbilder aus der Natur angewiesen, wie beim Malen nach Zahlen. Es klafft eine große Lücke zwischen den Möglichkeiten, ein Genom zusammenzusetzen, und der Fähigkeit, ein Genom zu gestalten. Aber diese Kluft wird kleiner werden, davon ist Craig Venter überzeugt. O-Ton 34 So this becomes a very powerful tool for trying to design what we want biology to do.... Sprecher: Das wird ein mächtiges Werkzeug werden, um die Biologie nach unserem Willen umzuformen und zu gestalten. Es wird zahlreiche Anwendungen geben. Wir haben einen Vertrag mit dem Ölkontern Exxon Mobil abgeschlossen, dass wir Algen konstruieren, die CO-2 aus der Atmosphäre filtern und Kohlenwasserstoffe produzieren sollen, die Exxon Mobil in seinen Raffinerien dann zu Kraftstoffen verarbeiten kann. Algenöl statt Erdöl. Natürlich vorkommende Algen schaffen das nicht im nötigen Ausmaß. Wir wollen deshalb mit synthetischer Genomtechnik natürliche Algen so verändern, dass sie das leisten können, oder neue Algen schaffen, mit all den Fähigkeiten, die wir haben wollen. .....that have all the parameters that we want. Sprecherin: Bakterien, die die Umwelt reinigen, einfache Organismen für die biotechnische Produktion und bessere sowie schnellere Impfstoffproduktion verspricht Craig Venter - wenn nicht in den nächsten Jahren, so doch in den nächsten Jahrzehnten. Synthetische Säugetiere oder gar synthetische Menschen sieht er nicht in absehbarer Zukunft Musik 1 (Feierstundenmusik zur Ankündigung eines wichtigen Ereignisses) Darüber: Sprecherin: Craig Venter hat die Welt verändert. Was daraus werden wird, weiß niemand. Auch er selbst kann nur spekulieren. O-Ton 35 We have been digitising biology .. Sprecher: Wir haben die Biologie digitalisiert. Und nun beginnen wir, den digitalen Code so zu formen, dass wir selbst neues Leben schaffen. Dies ist keine neue Genesis, keine zweite Schöpfung. Alles fußt auf der biologischen Evolution. Vielleicht starten wir eine neue kambrische Arten-Explosion, ein Zeitalter der Entstehung neuer biologischer Arten - basierend auf digitalem Design. ...where there is massive new speciation based on this digital design. 1