DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 15.01.2008 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr Achtzehn Jahre nur malocht - Der Kampf eines Bio-Milchbauern um 40 Cent Von Thomas Hartwig URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musikakzent STEFAN MANN Ich seh das immer an meinen Söhnen. Die sind jetzt, der Große wird achtzehn, und der Kleine ist, wird jetzt sechzehn. Denke ich, wo sind'n die achtzehn Jahre geblieben? Machst dir schon Gedanken, wenn ... aber jetzt ist es zu spät. Achtzehn Jahre nur malocht, ja, is vorbei. [...] Unter den Vorzeichen sieht's schlecht aus. Kann ich ihm nicht empfehlen, weiterzumachen, wenn's so weitergeht. Dafür kämpfen wir aber beim BDM, dass wir einfach unseren Söhnen Betriebe übergeben, die erstens mal 'ne Zukunft haben. Und die vor allen Dingen auch arbeitswirtschaftlich in das Umfeld, in das gesellschaftliche Umfeld passen. Ansage Achtzehn Jahre nur malocht Der Kampf eines Bio-Milchbauern um 40 Cent Ein Feature von Thomas Hartwig GERÄUSCHE Arbeitsgeräusche im Stall, zwitschernde Schwalben, Kühe "muhen". SPRECHER Dienstag, 21. März 2006, offizieller Frühlingsanfang. Es ist noch kalt. Zu kalt, um mit der Frühjahrsaussaat zu beginnen, meint Stefan Mann. Außerdem schneit es - seit Stunden. Ich bin heute Nachmittag in Ilschhausen eingetroffen, einem kleinen Dorf zwischen Marburg an der Lahn und Gießen. Hier betreibt der einundvierzigjährige Bauer einen Bio-Hof mit einhundert Kühen. Er ist Mitglied im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, BDM genannt, die einen "fairen" Preis von 40 Cent für einen Liter Milch von den Molkereien fordern. Ich habe mir vorgenommen, die Manns zwei Jahre lang bei ihrem Kampf um einen höheren Milchpreis zu begleiten. STEFAN MANN Fairer Preis heißt das, was wenn jede Stunde zum fairen Durchschnittslohn entlohnt ist, weil die Kosten gedeckt sind, und dass du vielleicht noch 'nen halben Cent oder 'nen Cent über hast für dich als Betriebsgewinn. Dann finden wir, dass wir fair entlohnt worden sind. SPRECHER Momentan zahlt die private Molkerei in Coburg 34 Cent bei 4.2 Prozent Fettgehalt für ein Kilogramm Bio-Milch. GERÄUSCHE Im Melkstall. SPRECHER Mittwoch, 22. März 2006, sieben Uhr morgens. Die Kühe werden von Stefans Mutter, Marie-Katherine, und dem jungen Angestellten Philipp gemolken. Am Abend besorgt Claudia Mann, die Frau des Bauern, die Arbeit. Im sogenannten Fischgrätenstall stehen jeweils sieben Kühe, ausgerichtet wie Fischgräten, sich mit den Hinterteilen gegenüber. Dazwischen ist ein tiefer gelegener Gang, wo die Melker arbeiten. Während Marie-Katherine die Melkgeschirre ansetzt, meint sie zur momentanen Situation der Milchbauern. AUTOR (Melkgeräusche im Vordergrund.) Wie steht's mit den vierzig Cent? MARIE-KATHERINE MANN Ja, ich hoffe, dass sie sie kriegen. Aber so konnt's aber doch net weitergehen. Es kann doch net sein, dass das Wasser billiger ist wie die Milch. Das kann doch nit auf Dauer so gehen. Und da werden, also, die Bauern wegfallen, is ja klar. [...] Ja, ich bin schon optimistisch, muss ich doch, so kann's doch nicht weitergehen, sonst können wir zumachen hier. SPRECHER Im großen Boxenlaufstall hat Stefan Mann das Füttern der Kühe mit dem Heu aus dem Silo beendet und kümmert sich um die neugeborenen Kälber. STEFAN MANN Ja, die eine hat gekalbt gestern, ein Rind, und heute hat die andere Kuh auch gekalbt. Die bleibt jetzt noch 'ne Nacht in der Abkalbebucht mit ihrem Kalb. Und dann tun wir se morgen rüber. (Kälber blöken.) Einfach sicherstellen, dass alles gut gelaufen ist, dass die Nachgeburt ab ist. (Kälber blöken.) Neunzig Prozent gehen die Kälber, fünfundneunzig alleine raus. Da braucht man überhaupt nix zu machen. Gar nichts. Der beste Weg ist der natürliche ohne, ohne Zugriffe, ohne alles. (Kälber blöken.) SPRECHER Das langgestreckte, neue Stallgebäude "Oberer Hansehof" liegt auf einer kleinen Anhöhe mit angrenzendem Mischwald. Von hier kann man den tiefer gelegenen Hof der Manns sehen und hat einen weiten Blick auf die Ebene des Ebsdorfer Grund mit dem dahinter ansteigenden Mittelgebirge. Ilschhausen ist ein abgelegenes Dorf. Jeden Morgen wird nach dem Melken gemeinsam in der Wohnküche im Erdgeschoss gefrühstückt. Hier leben die Eltern des Bauern, während er im ersten Stock mit seiner Frau Claudia und den beiden halbwüchsigen Söhnen Jakob und Thomas wohnt. Marie-Katherine wird "Mary" genannt. 1959 hat sie auf den Hof eingeheiratet. MARIE-KATHERINE MANN Und wie ich hier geheiratet hab' hier, dann hatten wir zehn Kühe, also, die Schwiegereltern. Und das war damals guter Mittelstand, ne. Und was ist das heute? [...] Da brauchste hundert, und da denken viele, oh ja, die müssen ja Geld haben, nie wahr. Aber dass du die hundert brauchst, nur um zu leben, also eine Familie, das is heute so. Das geht doch nur, weil wir alle mitarbeiten, ne, unentgeltlich praktisch, ich und der Gotthard macht nicht mehr so viel. [...] Und das ist ja auch das, weil jetzt der Stefan so kämpft für den BDM, dass der bessere Milchpreis, ne. [...] Da geht kein Weg dran vorbei, wenn der Milchpreis nit steigt. SPRECHER Es ist wärmer geworden. Im Innenhof des Bauernhauses sonnt sich Claudia Mann auf einer kleinen Bank. CLAUDIA MANN (Vogelgezwitscher im Hintergrund) Ich warte auf den Thomas. Dann setze ich mich hin und warte, bis der kimmt. Lachen. [...] Ich nutze halt die Zeit, weil mein Kleiner kommt. Das mach' ich im Sommer immer ganz gerne, wenn ich dann das Essen vom Tisch hab', und dann setz ich mich so lange hin, bis die Kinder aus der Schule kommen. Das ist dann so meine Mittagspause in der Sonne. [...] Ja, der Kleine. (Lachen) Fünfzehn. (Lachen) Aber das wird immer der Kleine sein, egal wie alt der ist. SPRECHER Ich möchte wissen, woher sie stammt. "Nächstes Dorf, erstes Haus." antwortet sie schnell. CLAUDIA MANN Sacht der Stefan immer, er hätt nit genug Spritgeld gehabt, und dann wär er immer ins nächste Dorf, erstes Haus, zu mehr hätt's nit gereicht. (Lachen) Ja, nee, ich bin hier aus Hachborn. Wenn man Hachborn reinfährt, gleich das große weiße Haus auf der linken Seite. Das ist mein Elternhaus. [...] Ja, ich bin ja eigentlich eine Hessin, ja. Mein, mein Vater, der stammt ja aus Ungarn. [...] Also, ich fühl mich schon auch so'n bisschen ungarisch, weil ich immer furchtbar nach Sonne lechze. Für mich ist der Winter immer so furchtbar schlimm. Besonders in dem kalten Stall da oben. Ich sag' dann immer, da oben ist Sibirien. (Lachen) SPRECHER Stefan, kommt und setzt sich zu uns. Er ist mit anderen Dingen beschäftigt. STEFAN MANN Man muss was machen, sonst is alles, was wir uns erarbeitet haben über Generationen zunichte gemacht. Es läuft gegen die Wand. Die Politik, [...] die gibt Rahmenbedingungen vor, die kannst du nit mehr erfüllen, bist abhängig vom Staatstropf. Wennste du se nit erfüllst, dann entziehen sie dir die Mittel. Also, du bist völlig abhängig. Du hast keinen Einfluss auf'n freien Markt. Wir kriegen Preise wie vor dreißig Jahren. Und die Kosten sind gestiegen wie bei jedem anderen Bürger auch. Ob das Energie, egal was. Da geht einfach die Schere, die geht so schnell und so weit auseinander, dass du das nicht mehr kompensieren kannst. SPRECHER (Ticken der Wanduhr im Hintergrund) In der Wohnküche hat am späten Nachmittag der Tabakgeruch den Kaffeeduft verdrängt. Stefans Vater Gotthard ist 78, er liegt auf dem kleinen Sofa unter der Wanduhr und raucht Pfeife. GOTTHARD MANN Ich hab net lang gemacht. Ich hab fünfzehn Jahre gemacht. Der Sohn hat's mit [...] achtzehn Jahre hat er den Betrieb übernommen, weil ich nit mehr konnt, die Knochen kaputt war. Hab' schon drei Hüftoperationen, Wirbelsäulenoperationen, Schilddrüseoperation in 52 schon, hatte Muskelschwund, und was nicht alles. Hilft ja nix, die Arbeit muss ja gemacht werden. SPRECHER Als ich am nächsten Morgen gegen sieben Uhr in den Melkstall komme, ist Stefan, der Bauer, nicht da. Sein Sohn Jakob füttert die Kühe und kann deshalb nicht zur Schule gehen. GERÄUSCHE Eine Tür knallt zu, schlurfende Schritte, Becher wird auf den Tisch gestellt, schlurfende Schritte, erneutes Knallen der Tür, die Wanduhr tickt, Kaffee einschütten, Löffel auf den Tisch, Gotthards Stimme im Hintergrund. SPRECHER Mary deckt den Frühstückstisch. MARIE KATHERINE MANN Ach, jetzt habe ich es bisschen zu voll gemacht. Na ja, heute morgen ist mein Sohn ganz plötzlich ins Krankenhaus gekommen. Also, er hatte schon paar Wochen immer mit der Galle zu tun. Und heute Nacht hat er so'ne Kolik, dass er heut morgen mit 'nem Notfallwagen ins Krankenhaus gekommen is. CLAUDIA MANN Jedenfalls der Notarzt der hat gesagt, wir sollen bis acht Uhr warten und sollen zum Hausarzt gehen. Sag' ich, wie bitte, sag' ich, das halt ich nit aus. Sag ich, der liegt hier und krümmt sich vor Schmerzen und sag' ich, wie soll'n das gehen? Ich kann doch nit noch zwei Stunden warten, bis der Hausarzt da ist... BETRIEBSHELFER ...hm... CLAUDIA MANN ... na ja, gut, dann schicken wir 'nen Wagen. Und die kamen dort und haben dann gleich auch Sauerstoff gekriegt. Es ging ihm echt schlecht. Also, der war kurz vor'm kollabieren. SPRECHER Claudia, ein Betriebshelfer und Mary sitzen am Küchentisch und frühstücken, während Stefan sich nach der Untersuchung im Marburger Krankenhaus hingelegt hat. Es ist noch nicht eindeutig klar, dass die Schmerzen nur von der Galle kommen. MARIE-KATHERINE MANN Und passiert is heut morgen gleich (Lachen), hab' ich Wasser im Milchtank gelassen von der Spülung, aber ist nur klares Wasser. Das tat mich schon aufregen. Dann hab ich Stefan angerufen, kann man es lassen, oder muss man die ganze Milch weg lassen. Is mir noch nie passiert. Aber heut morgen is es passiert (Lachen). Aber, das hat gut gegangen. Das war die Aufregung von heute. (Lachen). Es gibt keine gleichen Tage. Also, das gibt's einfach gar nit. (Lachen) CLAUDIA MANN Meine innere Antenne, die hat's schon gemeldet. Ich hab's gewusst. Ich wusst' es ganz genau... BETRIEBSHELFER ... musste irgendwann kommen? CLAUDIA MANN Weil sich das jetzt schon über ein gutes halbes Jahr hinzieht. Der macht schon über ein halbes Jahr damit rum, mit der Galle. BETRIEBSHELFER ... ja, erst war's harmlos ... CLAUDIA MANN ... erst war's harmlos. Erst kam der Anfall einmal alle vier Wochen, dann alle vierzehn Tage, dann einmal die Woche, dann waren wir bei drei Mal die Woche. Dann hat es wieder ein Mal die Woche eingependelt, und jetzt hier die letzten vierzehn Tage war es ... BETRIEBSHELFER ... einmal die Woche ... CLAUDIA MANN ... oder mehr und auch noch schlimmer. Und die Medikamente, die er dann verschrieben kriegte, die haben alle nit geholfen. [...] Der kann ja kaum noch was essen. Der isst ja schon so vorsichtig, er hat ja vor allem Angst. [...] Wir haben ja alle auf ihn eingeredet, 'nun mach' , nun geh' doch ins Krankenhaus. Das kannst du nit lassen. Nee, ich hab' noch so viele Termine, die muss ich erst alle abarbeiten. Und ich kann jetzt net, und ... SPRECHER Freitag, 24. März 2006. Ich bin gegen halb acht Uhr morgens im Melkstall und suche Mary. CLAUDIA MANN [Im Melkstall] Ja, die Mary, die hat sich gestern abend erbrochen, hat mir mein Mann gesagt. Und ja heut morgen hab' ich gedacht, ich wart's mal ab, was passiert. Und dann hab' ich aber gehört, dass sie nicht aufgestanden ist, und da ich mich dann angezogen, hab' ich gedacht, na, dann lass sie in Ruh. Weil die steht immer auf, wenn sie kann, steht se auf. Und wenn se halt nit aufsteht, dann is irgendwas. STEFAN MANN Morje ...(Becher knallen auf den Tisch) CLAUDIA MANN ... guten Morje. Was hast du gestern mit der Mary gemacht? SPRECHER Stefan hatte seiner Mutter von den Untersuchungen im Krankenhaus berichtet. CLAUDIA MANN Ich war ja nit dabei, ... jedenfalls war es ganz ... ich hab das gemerkt, wie du es erzählt hast, da war sie noch ganz aufgeregt. (Kaffee einschütten.) [...] Dass ihr das auf den Magen geschlagen ist oder etwas anderesch hat. [Tür knallt zu.] SPRECHER Mittwoch, 26. Juli 2006. In glühender Hitze bin ich wieder nach Ilschhausen gefahren. Stefan Mann ist noch im März an der Galle operiert worden und hat jetzt keine Beschwerden mehr. Heute morgen ist der Milchkontrolleur gekommen. Einmal im Monat prüft er die Reinheit und den Fettgehalt der Milch von jeder einzelnen Kuh. Die Heuernte konnte in diesem Jahr erst Ende Juni beginnen. STEFAN MANN Seit Pfingsten haben wir hier so zwanzig Liter Regen gehabt. Und das ist nicht viel. [...] Aber, na ja, ich mein', solang die Viecher noch was zu knabbern haben, hier auf'n Wiesen, da geht's, ne. Ja, war genau dasselbe wie letztes Jahr. Erst nass, und das Wetter war unbeständig und Anfang des Jahres hier, so Anfang Mai da gab es Schönwetterperiode, da hätte man mähen können. Nur da war es vorher so kalt und so trocken, da ist auch kein Gras gewachsen. Wenn's so weiter trocken bleibt, wird's eng. Und dann müssen wir an die Vorräte. Wenn noch welche da sind. [...] irgendwann gibt's ja wieder Regen, ja mal sehen, abwarten. GERÄUSCHE Lauter Mähdrescher. SPRECHER Auf den Feldern wird seit Tagen Getreide gedroschen. Stefans achtzehnjähriger Sohn Jakob hat Ferien und fährt den Mähdrescher. Sein Vater hat verschiedene Flurstücke gepachtet, auf denen Futtergetreide angebaut wird, ohne Kunstdünger. Das Getreide ist nicht gespritzt. Ein amtlich bestellter Kontrolleur entnimmt Getreide- und Bodenproben. Am Rande des Feldes macht Jakob eine Pause und isst Streuselkuchen, den Grossmutter Mary gebacken hat. Es riecht nach Stroh und trockenem Korn. JAKOB MANN Na ja, man muss schon aufpassen, wenn 'nen Stein da liegt, wenn der in die Trommel gerät oder so. Aber, na ja, musst du schon konzentriert fahren die Zeit. Aber hier beim Weizen geht's eigentlich, da lässt sich das schön fahren. AUTOR Aber, man kann nicht zu schnell fahren ... JAKOB MANN ...nee, zu schnell darfst du auch nit fahren, sechs Kilometer lässt sich hier schon fahren oder sieben. Aber dann ist Schluss. SPRECHER Bis zum Einbruch der Dunkelheit wird gedroschen. Doch am nächsten Morgen ist der Mähdrescher kaputt, Baujahr 1982. Er muss repariert werden, was den Erntevorgang verzögert. Stefan befürchtet, das sonnige Wetter könnte umschlagen. Ob er seinen großen Maschinenpark auf Kredit bezahlt habe, möchte ich wissen. STEFAN MANN Da musst sie ja doppelt bezahlen, wennste se finanzierst. Aber, wennste das erst anfängst, dann kannste aufhören. Also, ich hab' keine finanziert. Aber wenn Du erst anfängst, in die Schuldenfalle, sag' ich immer, reinzutappen, dann bist Du ganz schnell fertig. [...] [Ja, ja], das ist 'nen langes Sterben. Da wird erscht das Maschinenkapital verfrühstückt. [...] Dann werden die Löhne nicht mehr bezahlt. Dann geht das über Jahre. So'n Betrieb stirbt über Jahre, Jahrzehnte manchmal. Bis er richtig im Arsch is. Ruhig schlafen kannste nie. Weil, du hast ja immer was, weil jeden Tag gibt's irgendwas Unvorhergesehenes, was de nicht abwägen kannst. Geht das kaputt, geht jenes kaputt. SPRECHER Gegen Mittag ist der Mähdrescher repariert. Jakob kann die Arbeit wieder aufnehmen. Danach wird das Korn in den Speicher geblasen. Grossvater Gotthard steht im Hof und kontrolliert den Vorgang. Das dauert Stunden. GOTTHARD MANN Die Bauern kriegen doch nix für... die kriegen doch ihre Produkte gar net bezahlt. 'Nen Doppelzentner Weizen kost' acht Euro. Ich hab fünfzig, fünfzig Mark dafür gekriegt und noch mehr. [...] Stimmt doch was nit. Ich sag ja nur die Franzosen, die streiken. Wenn die streiken, jedenfalls die streiken richtig. Aber die deutschen hier nit, die deutschen Bauern, die haben keinen Mumm. Die halten nit zusammen. Da kriegen sie nit drei Mann unter einen Hut. Da müsse se zwei tot schlage. (Die Wanduhr schlägt.) Ja, is auch so. Musikakzent SPRECHER Im Sommer finden nur wenige Versammlungen statt. Dennoch hält Stefan Mann beinahe jeden Tag Telefonkonferenzen mit dem Vorstand ab. Inzwischen sind etwa 20.000 Milchbauern Mitglied im BDM und unterstützen den Kampf um einen höheren Milchpreis. Sie verlangen mindestens 40 Cent pro Liter Milch. Heute Abend findet in Marburg eine Veranstaltung statt. Kurz vor zwanzig Uhr trifft Stefan dort ein. Etwa zwanzig Bauern sind gekommen. STEFAN MANN Die Linie heißt, wir müssen als Erstes unsere Macht in Form von Mitgliedern, von Milchmengen ausbauen, um das Ziel der 40 Cent Milchpreis näher zu kommen, brauchen wir die Mitglieder. Wir werden dadurch, wenn wir diese 40 Cent erreichen, den Strukturwandel vielleicht abfedern aber nicht aufhalten. Strukturwandel hat es gegeben, wird es geben. Wir arbeiten ... nur gegen solche Molkereien, die auf Kosten der Bauern Dumpingangebote beim Handel abgeben. Gegen diese müssen wir arbeiten, weil das in unserem Interesse als Milchviehhalter ist. Alle anderen haben vom BDM nichts zu befürchten. SPRECHER 1984 wurde in der Europäischen Union die Milchquote eingeführt, um die Milchseen und Butterberge abzubauen. Jedes Land bekam eine Quote zugeteilt, die wiederum auf die Bauern umgelegt wurde. Über zwanzig Jahre später hat sich die Situation auf dem Milchmarkt gewandelt. Wurde einst Überfluss produziert, so herrscht heute Mangel. Die EU erwägt, die Milchquote abzuschaffen. Es wird händeringend, vor allem nach Bio-Milch gesucht. STEFAN MANN Die Entscheidung, die jetzt ansteht, ob der Ausstieg für die Quote beschlossen wird oder nicht, der ist jetzt eingeläutet. Es wird immer suggeriert, dass der Ausstieg aus der Quote beschlossene Sache wäre, stimmt in keinem Fall. Der politische Beschluss ist gefasst, die Quote bis 2015 fortzuführen. Es gibt keinen Markt auf der ganzen Welt, der ohne eine Mengenregulierung, gleich welcher Art, funktioniert. Und es wird auch bei uns keinen Tag geben ohne diese. Ich denke, wir werden nachher in der Diskussion einfach nochmal darauf eingehen müssen, um einfach zu zeigen, dass der Ausstieg aus der Quote für uns als Bauern das absolute Chaos bedeuten wird. MILCHBAUER Schau'n Sie, wenn die Quote weg is, wir wissen ganz genau, wieviel Fremdkapital in der Landwirtschaft, in den Stallbauten und so weiter drin steckt. Und die Banken, die verleihen, die wollen Sicherheit haben, und die Quote ist eine Sicherheit. Stellen Sie sich das mal vor. Ich mein', da hat man bei den ganzen Diskussionen noch kein einziges Wörtchen gehört. Wie soll denn das funktionieren? [...] STEFAN MANN Ist ja schön. Nur wir haben das ja festgestellt ... MILCHBAUER ... ja, aber, das muss denen eingebracht werden, Stefan. Du musst mit denen darüber reden. Hast noch nie Wort davon gehört, dass ein Wertverfall, das heißt doch eine Sicherheit, die die Banken für ihr geliehenes Geld haben wollen, weg bricht. So deutlich muss ich es nochmal sagen. STEFAN MANN Wenn die Banken diese Macht haben, da gebe ich dir Recht, dann könnte man doch mal eine Initiative starten, dass die Banken sich auch engagieren, mit uns solidarisch erklären, weil das Argument, das haben auch schon gebraucht. Das ist völlig richtig. SPRECHER Nach der Veranstaltung sitzen die Bauern noch bis Mitternacht zusammen und diskutieren weiter leidenschaftlich über die nächsten Schritte. Ich fahre mit Stefan und seinen Kollegen im Auto zurück nach Ilschhausen, wo wir gegen zwei Uhr nachts eintreffen. Am nächsten Morgen fährt ein Viehhändler auf den Hof, um Kälber zu kaufen. VIEHHÄNDLER Wir probieren auch nur, davon zu leben von dem Geschäft. Und durch die höheren Kosten heute ist auch der Dienst kleiner bei uns, und es werden immer weniger Landwirte. Das Einzugsgebiet wird immer größer, das wir haben, höhere Kosten dadurch. Und das ist einfach nicht mehr umsetzbar. AUTOR Was verdienen Sie denn am Kalb? VIEHHÄNDLER Danach (Stöhnen) irgendwo 10, wenn's gut geht, 15 Eurouro, wenn's gut geht.[...] Die gehen jetzt in Kälbermastbetriebe, zum Teil nach Holland, aber auch ins Münsterland, also Nordrhein Westfalen hoch, je nachdem. [...] Bullenmast auch, ja. Vor'm halben Jahr ham wir 220, 230 Eurouro bezahlt. SPRECHER Achtzig Euro pro Kalb zahlt der Viehhändler heute. Damit habe er noch nicht mal die Kosten wieder drin, sagt Stefan. STEFAN MANN Das is halt unser Los, ne, dass wir immer da sein müssen, wenn die Kühe was brauchen, ne. Das is ja das, was die ganze, Milchviehhaltung eigentlich so anstrengend macht, das ist schlecht zu technisieren das Ganze. [...] Aber die persönliche Betreuung, die brauchen die Tiere. Und die Stunden, Betreuungszeiten pro Kuh in einem Jahr, ne. Die Experten reden immer, wer das gut organisiert, der kommt da mit 25 Stunden zurecht, dann kommt man uch mit dem Einkommen hin. Das ist aber ein Fehlschluss. Weil, wenn's wirklich gut läuft, dann kommt man auf 40 hin. CLAUDIA MANN Also, momentan zumindest ist für mich das Schwierige, dass der Stefan halt so oft weg ist. Ja, is immer mit'm BDM viel unterwegs. Das sind manchmal Tage, wo er halt schon bei Tag weg is. Neulich da waren's dann auch noch zwei Tage hintereinander mit Übernachtung, da war er dann ganz weg. [...] Also, ich will mal sagen, das bisschen Zeit, was er dann so hat, das geht dann schon für den Betrieb hin, und so für die privaten Sachen is eigentlich, bleibt überhaupt nix mehr. Da muss man schon als, als Frau und auch finde ich die Kinder, die müssen ganz schön zurückstecken. SPRECHER Claudia Mann ist gelernte Köchin und hat erfolgreich die Hauswirtschaftsschule absolviert. "Und dann bin ich ins Melkgeschäft eingestiegen," sagt sie lachend. STEFAN MANN Die Zeit rennt. Man rennt der Arbeit hinterher, man rennt hinter dem BDM her, nur am rennen. Ja, und so geht das Jahr ganz schnell vorbei. Im Winter da hast du wieder die ganzen Viecher drin. Da musst du Holz machen. Da hast Winterversammlungen vom BDM, und da is auch jede Woche manchmal zwei, drei Versammlungen. So wie es vor, sagen wir mal, vor 15, 20 Jahren war, is es nicht mehr. Da hast du zum Winter , hast 'nen bisschen Holz gemacht und da, da war's ruhiger. Wesentlich ruhiger. Heut is das alles viel stressiger. Und so, so richtig zur Ruhe kommst du überhaupt net mehr. Weil das erzählen alle, weil wir haben zu viel Vieh. Zu wenig Arbeitskräfte. Das is einfach so. SPRECHER Als Stefans Mutter Mary mit ihrem Mann Gotthard den Hof führte, war vieles anders, aber die Arbeit genauso intensiv. MARIE-KATHERINE MANN Wie ich dann sechzehn war, starb meine Mutter. So, jetzt hatten wir die Landwirtschaft, ich hab' überhaupt keine Ausbildung, verstehste. Ich hab' gar keine Ausbildung gemacht. Also, wir hatten dort so zwei Kühe und noch so'n bisschen Jungvieh. Vielleicht im Ganzen unter zehn oder acht Stück oder so. [...] Da bist erst hingelaufen oder mit dem Fahrrad gefahren, hast abgemäht. Dann heim, Kühe eingespannt, hingefahren, Futter aufgeladen, heimgefahren. Da musste füttern, gelle, musste melken, da haste schon den ganze Morgen zu tun gehabt. (...). Das war schon anstrengend, gelle. Und dann hab' ich noch richtig gepflügt mit zwei Kühen, kann ich. Und das hat Spaß gemacht. (Lachen) Musikakzent SPRECHER Freitag, 1. Dezember 2006. Seit gestern Abend bin ich wieder in Ilschhausen. Heute Morgen fahre ich mit Stefan Mann nach Margaretenhaun, einem kleinen Dorf bei Fulda. In der Gaststätte "Zum Grünen Baum" findet die Jahresversammlung der Vereinigten Hagelversicherung statt. Etwa einhundert Bauern sind gekommen. Nach dem Jahresbericht nimmt Agrarexperte Professor Folkhard Isermeyer Stellung zu Problemen der Landwirtschaft. PROFESSOR ISERMEYER Ich fange am Besten mal an, indem ich 'ne Einschätzung gebe, was eigentlich grundsätzlich wichtig ist, nämlich die Zukunftsperspektiven bestimmen sich im Wirtschaftsleben ganz generell zum einen durch die Märkte, zum anderen durch die Politik und zum dritten durch die Stimmung. Aber die Stimmung in Berlin ist positiv und die Stimmung unter den Landwirten ist auch im großen und ganzen positiv, deutlich positiver jedenfalls, als ich das in den letzten Jahren so gespürt habe. SPRECHER Stefan Mann macht sich Notizen . PROFESSOR ISERMEYER Die Milchquotenregelung macht eigentlich dann nur Sinn, wenn sie Menge knapp hält und nur mit knapper Menge wir den Preis nach oben bringen können. Europa ist mit Abstand der größte Milchproduzent der Welt. Deutschland ist in Europa der größte Milchproduzent. Deutschland ist der fünftgrößte Milchproduzent der Welt. [...] Alle [...] zehn Jahre hört die Hälfte der deutschen Betriebe, die Milchviehhaltung betreiben, mit der Milchviehhaltung auf. Der Strukturwandel hat sich im Zeitalter der Quote beschleunigt. Vor diesem Hintergrund würden wir empfehlen bei Milch, trotz der Einkommensnachteile, das muss man deutlich sagen, trotz der Einkommensnachteile, den Weg raus aus der Quote zu beschließen. STEFAN MANN Viele Betriebe glauben, wir werden nicht dabei sein, wenn der Strukturwandel zuschlägt. Ich kann da nur absolut vor warnen. SPRECHER Stefan Mann nimmt Stellung gegen die These, dass man aus Gründen des freien Welthandels die Milchquote abschaffen sollte. Es gebe durchaus Möglichkeiten, sich gegen Dumping-Importe von agrarischen Produkten zu wehren und verweist auf die Polen. Die hätten es nämlich geschafft, einen Schutzzoll von 34 Prozent für Erdbeer- Importe aus China zu ermöglichen. STEFAN MANN Des weiteren sind die Plastiktüten-Hersteller in Europa denselben Weg gegangen, haben auch die Billig-Exporte aus Fernost gestoppt und dadurch einen 5 Cent höheren Kosten für eine Plastiktüte ermöglicht. Das wird kommen. Und da sagen Sie uns, wir sollen bei dem Zuckermarkt die Quoten beibehalten und für den Milchmarkt sollen wir die Quoten abschaffen. Es sind immer diejenigen, die uns Landwirten besser erzählen können, was kommt denn. Ich warne davor, und wir haben 'ne Macht als deutsche Milchviehhalter. Das haben Sie übrigens sehr gut erkannt und auch andere europäische Milchviehhalter. Und die Politik richtet sich immer nach der Macht und Macht haben wir infolge von unseren Milchmengen. Wir müssen nur irgendwann mal gebündelt, diese einsetzen können. [...] (Applaus.) SPRECHER Seit einigen Monaten ist von einem Milchstreik die Rede. Die Bauern überlegen, die Molkereien zu bestreiken, um einen besseren Preis zu erzwingen. Im Winter ist Stefan Mann jede Woche zwei bis drei Mal abends unterwegs, um neue Mitglieder zu werben. CLAUDIA MANN Ich wär' auch gar net so unzufrieden damit, wenn ich wüsste, dass geht jetzt nochmal, was weiß ich, also, 'nen halbes Jahr, und dann wird's besser. Aber die Aussage is ja net da. Im Gegenteil, ich glaub' nit dran. Wenn ich an den Milchstreik denke, wenn der wirklich auf uns zukommt, was da an Arbeit auf uns zukommt, da kann ich noch gar net dran denken. Er sacht ja auch selber, dass er eigentlich weiß, dass er nicht allem gerecht werden kann, einmal dieses ehrenamtliche, dann ist's der Betrieb und die Familie. Das passt alles nicht unter einen Hut. Er weiß das ganz genau. Und er hat mir immer versprochen, er setzt sich 'nen Limit von zwei Jahren, jetzt sind wir aber schon im dritten Jahr und ich registrier das sehr wohl. (Lachen) SPRECHER [Stallgeräusche] Sonntag, 3. Dezember 2006. Am frühen Morgen im Kuhstall. Mary ist allein beim Melken. Neben dem Stallgebäude sind riesige Heuballen aufgestapelt und mit schwarzen Plastikplanen abgedeckt. Zum ersten Mal muss Stefan an die Vorräte, um die Kühe zu füttern. Auf den Äckern ist die Wintersaat schon aufgegangen. Seit März 2006 begleite ich die Familie Mann nun schon und habe gesehen, wie wenig Zeit für Entspannung bleibt. Bis zum Winter 2006 hat Stefan Mann einmal acht Tage Urlaub gemacht - und fand das "unnütz". STEFAN MANN Entspannung ist, wennste Mittag, nach em Mittagessen legste di halbe Stunde aufs Ohr, und dann auch fest und tief schlafen, ne. Das geht, auch im größten Stress. Da stehste auf und haste 'nen zweiten Tag vor Dir. Das ist meine Entspannung. So, wennste morgens dann aufhörst im Stall, es läuft alles, und es ist alles glatt. Und du gehst dann durch den Stall und siehst die Kühe, wenn sie gesund sind, und es is alles in Ordnung. Mann, das is Beruhigendes, is 'ne innere Befriedigung. Da haste was, oder wennst mal 'nen ganz kleinen Acker gepflügt hast. Der liegt am Abend da, der is fertig gesät, der liegt so schön, das hat alles wunderbar funktioniert. Das is Entspannung. SPRECHER In der Familie Mann wird meistens Platt geredet, für Außenstehende schwer verständlich. MARIE-KATHERINE Müssen wir Hochdeutsch reden, ne?! AUTOR Ja, bitte schön ... MARIE-KATHERINE ... ja. (Lachen) Aber das is anstrengend für uns, können wir nit richtig. [...] Ah, ja, das versteht ja auch sonst keiner. [...] So, jetzt fällt uns nix mehr ein. [...] STEFAN MANN Wenn man Dialekt spricht, ist man schon privilegiert, ne?! [...] MARIE-KATHERINE Aber, es wird aussterben. Weil, die Kleinen können's nit mehr, die kleinen Kinder. Kriegen die auch nit gelernt von de Eltern. Sind das nich gewohnt, ne. Jetzt ärgern sie sich. CLAUDIA MANN ... ich kann nur Hochdeutsch, ich kann kein Platt, ich kann nur Hochdeutsch. MARIE-KATHERINE Aber es war also in den sechziger Jahren, in den siebziger, war das total verpönt, da [...] Platt zu sprechen. Die Leute haben sich geschämt für die Sprache, wirklich wahr, wirklich wahr. Ist schwachsinnig. [...] CLAUDIA MANN Also, wenn man mal irgendwie weiter weg is, und auf einmal schwätzt da jemand Platt, da freust du dich total, ne. MARIE-KATHERINE Oder wenn ich auf größerer Tour bin, komm' dann heim, ach, was bin ich da froh, wenn ich wieder Platt schwätzen kann. Is wirklich wahr. Und Brot essen. (Lachen) [...]... STEFAN MANN ... das kannst Du Dir so vorstellen, wenn'n Deutscher irgendwo in'n USA lebt, der muss nur Amerikanisch sprechen oder Englisch ... MARIE-KATHERINE ...ja, ja ... STEFAN MANN ... und dann kommst nach Hause, und sprichst Deine Muttersprache. So ist das Gefühl. Musikakzent GERÄUSCHE Atmosphäre auf der ICC-Veranstaltung SPRECHER Samstag, 27. Januar 2007. Im Internationalen Kongresszentrum in Berlin findet anlässlich der Grünen Woche das Symposium "Zukunft Milch" statt. Die Säle sind rappelvoll. Es herrscht Volksfeststimmung. Über 2.000 Bauern aus ganz Deutschland sind gekommen, alle Mitglieder des BDM. Manche Bauern haben die Nacht über im Bus verbracht. Auch Stefan und Claudia Mann sind angereist. CLAUDIA MANN Wir erwarten hier vollen Erfolg. [...] Das Jahr 2007, das soll das Jahr der Entscheidung sein. [...] Die Milchviehhalter werden auch langsam ungeduldig mit ihrem Versprechen. .. wann geht's denn los? Wir sind bereit. [...] Aber wenn wir das so hinkriegen, dass wir ohne Streik auskommen, ist sicherlich auch ganz gut. Einen Streik organisieren, ist auch keine kleine Sache. [...] Ja, die Leute sind begeistert von den Ideen, und dass es vorangeht. [...] Wenn's jetzt nicht klappt, dann wird's überhaupt nichts mehr. SPRECHER Am späten Morgen eröffnet Vorstandsmitglied Walter Peters mit einer Bestandsaufnahme die Veranstaltung. WALTER PETERS Das Licht am Ende des Tunnels ist sichtbar. Wir haben mittlerweile 20.000 Mitglieder, die ein Drittel der deutschen Milchmenge repräsentieren. [...] In den letzten Wochen waren es pro Woche 3-400 neue Mitglieder. (Applaus) Ich fordere alle Verantwortungsträger in unserer Gesellschaft auf, sich mit Zivilcourage für eine gerechte Entlohnung der Milchviehhalter einzusetzen und sich nicht dem Druck einiger Konzerne zu beugen. Unsere Gesellschaft ist daher sehr gut beraten, die Ernährungssouveränität nicht der zügellosen Globalisierung zu opfern. (Applaus) SPRECHER Peters stellt die Frage, warum es auf dem Markt zu Versorgungsengpässen bei der Milch gekommen sei, wo doch angeblich eine Überversorgung von 20 Prozent herrsche. WALTER PETERS Oder die zweite Frage: warum ein so beliebtes Nahrungsmittel wie unsere Milch, das unter hohem Qualitätsstandard und mit sehr hohem Aufwand erzeugt wird, teilweise billiger verkauft wird als Mineralwasser. [...] Und warum werden diese Missstände nicht öffentlich angeprangert oder nur von uns angeprangert? Fehlt es hier etwa an Zivilcourage? [...] Wenn die Ungerechtigkeit zur Normalität wird, dann wird der Widerstand zur Pflicht. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Applaus) SPRECHER Der Wirtschaftswissenschaftler Franz Rademacher erklärt die internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen und die gegenseitigen Abhängigkeiten der Staaten untereinander. Beim Kampf um einen höheren Milchpreis gibt er zu bedenken, dass die Milchbauern sich in einer denkbar schlechten Ausgangslage befänden, weil sie mit einer schnell verderblichen Ware handelten. PROFESSOR RADEMACHER Ich muss sagen, in schweren Situationen muss man kämpfen. Wenn man kämpft, muss man aber den Verstand richtig einsetzen, weil die andere Seite arbeitet mit unglaublichem Verstand. Also, muss man mit einem glühenden kämpferischen Herz, einen kühlen analytischen Verstand behalten. Und wenn man das richtig kombiniert, ist die Lage nie hoffnungslos. Vielen Dank.(Applaus) SPRECHER Es gibt eine Aussprache über die Referate. Verschiedene Milchbauern melden sich zu Wort. 1. MILCHBAUER Aber ich glaub', dass wir mittlerweile in eine Situation gekommen sind, wo wir nicht mehr allzu viel Zeit haben, zu diskutieren. Und darum isch auch die Lage ziemlich angespannt, glaube ich, und die Emotionen sind sehr hoch. [...] Wir müssen aber was tun. [...] (Applaus) 2. MILCHBAUER Über die Hälfte der Betriebe isch finanziell nicht mehr handlungsfähig. Und dann frag i mi, was sollen wir entscheiden, nisch 2015, wir müsse die näkschten acht Jahre Geld verdienen. (Applaus) 3. MILCHBAUER Es geht doch nicht um Strukturwandel. Das kann doch keine Zielsetzung sein. Zielsetzung muss sein, dass die Leute, die Milch produzieren, Geld verdienen. (Applaus) [...] Wir können mit dieser Lösung, wie sie jetzt ischt nich zufrieden sein, obwohl in der Vergangenheit viele Vorzeichen gar nich schlecht gestanden haben. Wir haben zugelassen, dass die Quote vermurkst worden ist von anderen und das muss sich ändern.(Applaus) 4. MILCHBAUER Wir müssen sagen, was wir wollen. [...] Und da sollten wir zu den Unternehmereigenschaften, die uns Bauern bisher auszeichnen, wir sind sehr fleißig, wir sind ideenreich, wir sind bodenständig, das heißt, wir sind bestrebt, nachhaltig zu produzieren. [...] Wir können nicht dauerhaft unter unseren Kosten Milch verkaufen oder Milch abgeben, was ja noch viel schlimmer ist. Konsequenz an den Tag legen, dann können wir die Probleme ... auch lösen. (Applaus) SPRECHER Stefan Mann ist mit dem Verlauf der Veranstaltung bisher sehr zufrieden. STEFAN MANN Die Leute sind gut drauf, wider Erwarten. [...] Ich denke, dass heut' 'nen Zeichen gesetzt wird, und dass es nach vorne geht. [...] Die Erwartungen sind erfüllt mit dem heutigen Tag. Aber, das große Ziel ist immer noch ein Stück weg, da müssen wir halt noch was tun, ne. SPRECHER Nach der Pause beginnt die Jahresversammlung. In den nächsten Monaten soll ein so genanntes BDM-Milch-Board gegründet werden, das mit den Molkereien direkt über den Preis verhandeln wird. Grundlage sind die Verhandlungsmandate der Bauern, die sie bis zum 30. April 2007 unterschreiben sollen. Romuald Schaber, Vorstandsvorsitzender, erläutert das weitere Vorgehen. ROMUALD SCHABER Da werden sicherlich noch 'nen paar solche Anker und Sicherheitsmechanismen mit drin stehen, die von den Leuten unterschrieben werden müssen. Beispielsweise auch, dass während des Streiks Vertreter des BDM ungehindert Zugang zu den Milchkammern bekommen. Es darf keine Milch im Tank sein. [...] Leute, die nicht bereit sind, diese Mindestanforderungen zu unterschreiben, denen ist es nicht ernst unseren Weg konsequent bis zum Schluss mitzugehen. Und auf solche Leute können wir verzichten ... (Applaus) SPRECHER Romuald Schaber ruft dazu auf, die Zahl der Mitglieder auf 40.000 zu verdoppeln, um genügend Druck auf die Milchwirtschaft ausüben zu können. Falls die Preisverhandlungen mit den Molkereien scheitern, soll über einen Milchlieferstopp per Urabstimmung entschieden werden. Als möglicher Beginn des Milchstreiks ist Oktober 2007 im Gespräch. STEFAN MANN Das war meines Erachtens die größte Bauernveranstaltung, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. [...] Die Beschlüsse, die da gefasst worden sind, waren mit einer Einstimmigkeit, so was hab' ich noch nicht erlebt. Und auch die Stimmung, die da war. Das muss man einmal mitgemacht haben. Musikakzent SPRECHER Mittwoch, 21. März 2007. Als ich in Ilschhausen ankomme, beginnt es zu schneien - genauso wie vor einem Jahr. Am nächsten Morgen geht der Schnee in Regen über. An solchen Tagen denkt Mary sehnsüchtig an ihre nächste Fernreise. Sie ist das einzige Familienmitglied, das etwas von der Welt gesehen hat. In den letzten Jahren besuchte sie mehrere Länder Nordafrikas, den Iran, Pakistan und Irak. "Deutschland hebe ich mir auf, wenn ich älter bin," sagt Mary. Sie hat gerade ihren 75. Geburtstag gefeiert. MARIE-KATHERINE MANN Die Kultur, die reizt mich. Und also, die, [..] die Gebäude und erstens mal war ich ja im Irak. Und Irak galt ja immer als die Wiege der Menschheit, ne, Mesopotamien, die alten Sumer. [...] Es war schon sehr interessant. [...] Also, am schlimmsten fand ich die Pakistani. Also, die konnt ich net gut einschätzen. [...] Also, ich weiß nit, das ist das einzige Volk, ob wo ich so'n bisschen 'nen schlechtes Gefühl hatte, kein gutes Gefühl. Während im Irak, die Leute waren so freundlich. Und so hab' ich noch keine auf der ganzen Welt getroffen. SPRECHER In der ehemaligen Scheune der Manns steht ein altes, angestaubtes Motorrad. Es könnte eine Geschichte erzählen. Die Geschichte vom jungen Stefan, der mit seiner Claudia oft in Hessen herumgekurvt ist, zum Eis essen oder einfach nur, um die Landschaft und das Gefühl von Freiheit zu genießen. STEFAN MANN In dem Alter denkst noch nicht dran, was se werden willst. Die haben mich ja immer gefragt, was willst'n werden? Da hab' ich gesagt: Landstreicher. Da gab's so'n Heimatfilm damals, hat mir so gefallen, die Landstreicher, die hatten [...], so'n Bündel, hatten 'nen Spazierstock über der Schulter hängen und sind durch die Lande gezogen, haben hier und da mal 'nen Huhn geklaut und haben sich's gut gehen lassen. Und wir mussten ja immer ran, ne. Ob's bei der Getreideernte oder im Herbst kommste von der Schule nach Hause, da musste Rüben die Köpfe abhacken, wurden noch mit der Hand gerupft. Das war halt schon, von Klein auf haben wir das gemacht. Sie waren ja drauf angewiesen, dass man hilft, schon zur damaligen Zeit ohne mit Hilfe von de Familie 'nen Betrieb überhaupt nit gelaufen is. SPRECHER Montag, 30. Juli 2007. Sonniges Wetter in Ilschhausen. Jakob Mann wird heute neunzehn. Am Nachmittag findet eine kleine Geburtstagsfeier im Familienkreis statt. CLAUDIA MANN Ja, der Name das war eigentlich überhaupt nicht klar, weil, wie gesagt, er kam vier Wochen zu früh, und da hatten wir uns noch gar nit irgendwie groß unterhalten so. Der Jakob Mann, das war halt irgendwie, weil das auf dem alten Schran unten steht, achtzehnhundert, [...] nee 1888, glaube ich. Und da haben wir den Jakob dann ganz genau hundert Jahre später ist, 1988, und irgendwie, ich weiß auch nicht, lag dann nachher im Krankenhaus, da kam die Schwester irgendwann, ja, wir wollen sagen, wie das Kind heißt. Da fiel mir dann spontan ein: "Jakob", und dabei sind wir geblieben. SPRECHER Dienstag, 31. Juli 2007. Mary sitzt in der Wohnküche und strickt. Ihr Mann Gotthard ist auf der kleinen Couch unter der Wanduhr eingeschlafen. Hinter dem Esstisch steht ein hölzerner Kleiderschrank. "Jakob Mann aus Kena 1888" lautet die Inschrift. Das ist der Großvater von Gotthard. Mit sechsundzwanzig Jahren hat Mary 1959 auf den Hof der Manns eingeheiratet. Damals lebte noch die Schwiegermutter, mit der es zu ständigen Streitereien kam. Sie wollte bestimmen, was gemacht wird. MARIE-KATHERINE [Ticken der Wanduhr] Es war schlimm. Also, die Zeit möchte ich nit mehr mitmachen, gelle. [...] Und dann war das so, also, so allein gegen alles, so wie 'ne Wand, verstehste. Ich war neu. Und ich sollt mich ja jetzt total irgendwie unterordnen oder so. Und das war ich überhaupt nit gewöhnt. Und da bin ich auch vielleicht zu, weiß nit, zu selbstständig oder wie, verstehst du. [...] Aber ich war total abhängig. Kein Geld. [...] Und dann hab' ich gekämpft, und ich hab' auch gewonnen. Gewonnen will ich nit sagen. Aber ich hab' meinen Weg gemacht. SPRECHER Mittwoch, 1. August 2007. Seit eineinhalb Jahren begleite ich nun die Manns. Anfangs war Gotthard Mann zurückhaltend. Inzwischen hat er seine Schweigsamkeit überwunden und erzählt von den dreißiger Jahren, als noch jüdische Viehhändler auf dem Land verkehrten. GOTTHARD MANN Natürlich, die kamen hier auf'm Hof. Wir hatten ja während im Krieg noch'n Jude hier im Hof. [...] Wir habe die Scheune gebaut, die alte Scheune abgerissen. Da hatte wir hier 'ne Jude aus Frankfurt, war ein Buchdrucker. Der musste in Frankfurt (pfeift) abgehen. Da haben wir ihn hier aufgenomme, w eil er vom Nachbardorf war. Der hatte hier geschafft, ne. [...] Leo Vanella hiess der. Das war ... hatte Geschwister, Schwester oder zwei Geschwister, waren anständige Mädchen. [...] Dann is er weg nach Amerika, nach England. Der kam hier nach'n Krieg, kam hier auf'n Hof und war bei meinem Vater und hat gesagt, Peter, du hast mir das Leben gerettet. Musikakzent SPRECHER Im August 2007 erhöht der Einzelhandel in Deutschland die Preise für Milch und Milchprodukte um vierzig bis fünfzig Prozent. Die Hoffnungen der Milchbauern, etwas von der Erhöhung zu bekommen, werden enttäuscht. MARIE-KATHERINE MANN[Melkgeräusche] Aber der Handel will den großen Gewinn einstreichen. Und die Bauern kriegen nix. [...]. Jetzt wär's ja ganz gut, wär' der richtige Zeitpunkt. Jetzt müssen die Bauern, so kann's doch net weitergehen mit den Billigpreisen, ne?! Ja, ja, das ist der Druck, der irgendwie ausgelöst wird auch vom BDM, weißte der Druck. Aber, sonst wär doch das net im Fernsehen so hoch geputscht, kannst mir doch glauben, oder? AUTOR Und wird's zum Streik kommen? MARIE-KATHERINE MANN Der Stefan sagt "ja". Oder vielleicht, dass se doch zuletzt einlenken, gelle. Wir müssen jetzt richtig was fordern, ne. [...] Na ja, die Lokführer, die wollen auch 32 Prozent. Aha, siehste. SPRECHER Samstag, 1. September 2007. Die Molkereien zahlen 48 Cent pro Kilogramm für die Bio-Milch und 40-41 Cent für konventionelle Milch. Ein gewisser Erfolg für den Kampf der Bauern. Ob aber der höhere Milchpreis im Jahresdurchschnitt auf diesem Niveau bleiben wird, erscheint fraglich. Mittwoch, 21. November 2007. Die Europäische Kommission plädiert für eine schrittweise Freigabe der Milchquote bis 2015 und will im Frühjahr 2008 mit den Verhandlungen beginnen. Von 2005 auf 2006 haben fünftausend Milchbauern in Deutschland aufgegeben. Gleichzeitig nahm der Kuhbestand um über 100.000 Tiere ab. STEFAN MANN Wir hatten 1901 den ersten Milchkrieg in Deutschland. Der war in Berlin. [...] Die Parallelen von damals 1901 zu heute die sind so groß, wennst du nur ein paar Worte veränderst, die alte Schreibweise wegdenkst, und die heutige Zeit drauf projizierst, es gibt keinen Unterschied, wennste das liest, denkst du wärst im Heute. Musikakzent Absage: Achtzehn Jahre nur malocht Der Kampf eines Bio-Milchbauern um 40 Cent Ein Feature von Thomas Hartwig Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2008 Es sprach: Wolfgang Rüter Ton und Technik: Hans-Martin Renz und Petra Pelloth Regie: Susanne Krings Redaktion: Karin Beindorff 27