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Die thront - in hellblauem Mantel und mit Rosen an den Füßen und ihrer Krone - auf einem kleinen Altar zwischen unzähligen Blumengestecken. In der vorletzten Bank knien zwei Pilger und beten gemeinsam einen Rosenkranz. Plötzlich herrscht Stille. Beide wissen offenbar nicht mehr, wie es weitergeht. Atmo 3 Stocken Autorin Die Kapelle auf dem Hügel steht rund um die Uhr offen - auch nachts. In der letzten Bank liegen Listen aus, in die sich die Nachtanbeter stundenweise eintragen können. So ist garantiert, dass immer jemand bei der Madonna von Heroldsbach wacht. Und wer mindestens eine Stunde übernimmt, der darf kostenlos im Pilgerheim am Fuß des Hügels übernachten. Atmo 4 Rosenkranz beginnt wieder mit Glaubensbekenntnis Autorin Seit über sechzig Jahren halten die Menschen hier Wache bei der Madonna - um sie vor der katholischen Kirche zu schützen. Die hat den inoffiziellen Wallfahrtsort lange verboten und ihn sogar mehrmals zu räumen versucht, weil sie sämtliche Erscheinungen von der Muttergottes, von Engeln und Heiligen, in Heroldsbach für unglaubwürdig hält. Die Pilger schreckt das nicht ab - im Gegenteil. Atmo 5 Busse Autorin Kurz nach der Dämmerung rollen die ersten Reisebusse auf den Parkplatz am Fuß des Hügels. Schwer beladen mit Handtaschen, Plastiktüten und leeren Wasserkanistern klettern die Pilger aus dem Bus und strömen den Hügel hinauf zur Gebetstätte. Zwei ältere Frauen winken einem Herrn aus einer anderen Reisegruppe zu, der grüßt galant mit seinem Hut zurück. Wer nicht mehr gut laufen kann, stützt sich auf den Arm eines Mitreisenden. Direkt an der blickdichten Buchsbaumhecke, die das Wunderland umgrenzt, hat die katholische Kirche allerdings einen Warnhinweis angebracht: Das Bistum Bamberg, heißt es dort, erkennt die Erscheinungen von Heroldsbach nicht an. Die Pilger gehen vorbei und würdigen das Schild keines Blickes. Atmo 6 Stimmengewirr und Glockenläuten Autorin Nur ein Mann Anfang 70, in Flanellhemd und Kordhose, bleibt verloren vor dem Schild stehen und schlägt ein Kreuz vor seiner Brust. Seine Hände erzählen von einem Leben auf dem Acker, die Fingernägel sind braun und rissig. "Das ist unser Wunder", ruft er. Sein breites Schwäbisch ist kaum zu verstehen, so aufgebracht ist er. O-Ton 1 Franz Lechler Das ist traurig, dass die Menschheit das gar nicht mehr weiß, um was es geht und dass man das Allerheiligste verehren muss. Und, auf Deutsch gesagt: Auf die Knie gehen muss, um nach oben die Verbindung herzustellen. Weil das Negative ist zurzeit dominierend. (LS110029, 6.25) Autorin Franz Lechler hat sein Leben lang geschuftet, hat den Hof bewirtschaft und jetzt reicht seine Rente nicht mal für das Nötigste. Der Landwirt kommt aber nicht, um für sich zu beten. Er ist überzeugt davon, dass der Weltuntergang naht und will die Muttergottes um Gnade für seine Mitmenschen bitten. Die drängeln an dem alten Mann vorbei, um sich zur Beichte anzustellen. O-Ton 2 Franz Lechler Leider Gottes ist immer so ein Andrang hier - ich habe zu Hause Gelegenheit, ich drängle mich nicht vor. Aber wir sind alle Menschen. Auch der Gerechte fällt siebenmal. Und durch die Beichte ist es halt so, dass man halt mit Gott wieder den Frieden hergestellt hat. (LS110029, 8.05) Autorin Auf die Reise nach Franken hat der Landwirt aus Schwaben lange gespart. Er ist zum ersten Mal in Heroldsbach, ins Ausland zu pilgern kann er sich nicht leisten. Deshalb wünscht er sich so sehr einen anerkannten Wallfahrtsort in seiner Heimat. All seine Hoffnung hat er in die Madonna von Heroldsbach gesetzt. Wofür er heute beten wird? O-Ton 3 Franz Lechler In allererster Linie, dass der Ort bald anerkannt wird. Dass unser Land auch eine Gnadenstelle hat. (LS110029, 8.05) Atmo 7 Prozession (Gesang) Autorin Alles beginnt im Jahr 1949: Vier Mädchen erblicken auf einem Acker am Dorfrand die Jungfrau Maria. Und nicht nur sie. Auch das Jesuskind, Heilige, Engel und sogar eine Vierfaltigkeit aus Vater, Sohn, Heiligem Geist plus Muttergottes. Bei so vielen Wundern muss sich die Kirche einschalten. Das Bistum Bamberg schickt eine Prüfungskommission aus Geistlichen, die die "Sehermädchen", wie sie bald genannt werden, verhören und zu ihren Visionen begleiten. Wie all die anderen Gläubigen, die sich auf dem Hügel drängen, sehen sie - nichts. Dennoch wächst die Zahl der Pilger von Tag zu Tag. Die Bundesbahn setzt Sonderzüge ein. Aber das Wunder fällt durch. Und die katholische Kirche verbietet ihren Mitgliedern, auf dem Hügel zu beten, Geistliche dürfen dort keine Messen mehr abhalten, die sogenannten "Sehermädchen" werden sogar exkommuniziert. Atmo 7 (leises Gebet) Autorin Doch das Verbot hält Pilger wie den Landwirt Lechler nicht ab. Im Gegenteil. Sie suchen und brauchen einen Wallfahrtsort. Und der Acker ist ihnen heilig. So zimmern sich die Laien selbst eine Gebetsstätte, ein Zuhause für ihre Frömmigkeit. Keine nüchterne Kirche aus Sichtbeton, sondern eine Kapelle Marke Eigenbau: Hier ein hölzerner Unterstand, dort ein Blumenbeet rund um jene Stelle, an der die Muttergottes nicht nur erschienen, sondern zum ersten Mal auch tatsächlich den Boden betreten haben soll. Atmo 8 Vögel Autorin Emmi Kestner blickt übers offene Feld, die Morgensonne scheint ihr direkt ins Gesicht. Die Hausfrau aus der Nähe von Ingolstadt trägt einen Windblouson und einen ebenso praktischen Kurzhaarschnitt. Heute früh ist sie noch vor Sonnenaufgang aufgebrochen. Ihr Wohnort ist gerade mal 130 Kilometer von Heroldsbach entfernt, unterwegs aber war sie fast vier Stunden. Denn der Bus ihrer Pilgergruppe fährt im Zickzack über die Dörfer, um auch alle Pilger einzusammeln. Jetzt genießt die 57-Jährige für einen Moment die frische Luft. Sie zeigt auf einen Baum mitten im Acker. O-Ton 4a Emmi Kestner Das ist der Apfelbaum, da ist sie erschienen.- Autorin Und die Sehermädchen, denen die Muttergottes erschienen sein soll? O-Ton 4b Emmi Kestner Na, die sind ja vertrieben worden, die sind ja richtig bestraft worden. Wenn die sich weiter am Berg getroffen haben. Das kann man sich heute ja gar nicht mehr vorstellen, wie das damals war. Exkommuniziert waren die. (LS110037, 8.37) Autorin Das hätte auch Emmi Kestner längst passieren können. Seit 22 Jahren pilgert sie zur Muttergottes von Heroldsbach. Das Verbot hat die 57-Jährige nie abgeschreckt: O-Ton 5 Emmi Kestner Man kommt zum Glauben meistens durch eine große Not. Mein Sohn ist damals verunglückt. Und da bleibt ja nur mehr beten. (LS110027, 1.35) Autorin Emmi Kestner ist fromm, aber das heißt noch lange nicht, dass sie alles glaubt. Als Handelsvertreter hätte man es sicher nicht leicht an ihrer Haustür. Beten ist für sie ein Hausmittel, zu dem sie greift, weil es sich bewährt hat. Als ihr Sohn schwer krank war, hat Emmi Kestner die Madonna von Heroldsbach um Fürsprache beim Herrgott gebeten. Ihr Sohn ist wieder aus dem Koma erwacht, also ist Emmi Kestner Heroldsbach bis heute treu geblieben. O-Ton 6 Emmi Kestner Und das ist der Stein, wo die Muttergottes draufgestanden ist. Autorin Auf dem Stein stapeln sich Tüten und Rucksäcke O-Ton 6 a Emmi Kestner Da haben die Leute was gekauft und da wollen sie, dass da der Segen auf die Sachen übergeht. Und jeder kniet sich dahin, wo die Muttergottes gestanden war. Ich habe heute auch schon da gestanden. Das ist halt das I-Tüpferl. Da müssen Sie sich auch noch hinknien. (LS110037, 10.46) Atmo 9 Gemurmel bei Gnadenkapelle Autorin Beten, sagt die Hausfrau, verbindet. Und in der Pilgergruppe trifft sie Gleichgesinnte. Heute begleitet Emmi Kestner eine Bekannte, die die Madonna von Heroldsbach um Fürsprache bei Gott anflehen möchte. O-Ton 7 Emmi Kestner Elisabeth ihre Tochter ist schwer krank, die hat Lymphdrüsenkrebs. Und da ist schon - aber wir beten trotzdem und schauen, was die Muttergottes macht. So hat jeder seine Sorgen und Probleme. Aber du brauchst ja einen Halt im Leben, gell Elisabeth? (LS110027, 10.10) Autorin Elisabeth Hoigl nickt tapfer. Sie trägt eine kleinkindgroße Marienstatue im Arm. Es ist eine Immaculata aus Lourdes samt duftendem Rosenkranz. Im Bus darf die jeder reihum mal auf den Schoß nehmen. Außer wenn wir vorne sitzen, scherzt Emmi Kestner, um ihre Bekannte etwas aufzumuntern. O-Ton 8 Emmi Kestner Die kommt nicht weit. Die hinten sitzen, die kriegen sie wahrscheinlich nie. (lacht) (LS110038, 3.20) Atmo 11 Ave Maria (erst aus Lautsprecher, dann in Kapelle) Autorin Fürsorglich bietet Emmi Elisabeth ihren Arm an, die hakt sich unter und gemeinsam gehen die beiden Frauen zur Gnadenkapelle. Die ist bis auf den letzten Platz besetzt, Rosenkränze gleiten durch die Finger, schwerer Lilienduft vermischt sich mit Weihrauch. Mehrere Lautsprecher übertragen den Gottesdienst nach draußen. Auch dort sind sämtliche Bänke voll belegt. Am Eingang der Kapelle zögert Emmi Kestner kurz, ob sie sich tatsächlich mit der mitgebrachten Madonnenstatue durch die Betenden drängeln soll. Aber sie draußen stehen zu lassen, das bringen die beiden Frauen nicht übers Herz. O-Ton 9 Emmi Kestner und Elisabeth Hoigl Elisabeth, willst Du sie in die Kapelle hineinstellen oder soll ich sie hierhin stellen? - Stell sie lieber in die Kapelle, hier steht sie so einsam. (LS110028, 2.25) Autorin Also platziert Emmi Kestner ihre kleine Madonna aus Lourdes behutsam neben der großen Madonna von Heroldsbach, um sie mit deren Segen aufzuladen. Nachher wird sie sie wieder abholen. Aber jetzt wollen sich die beiden Frauen erstmal zur Beichte anstellen und gehen hinunter zu der großen, steinernen Kirche gleich unterhalb der Gnadenkapelle. Atmo 10 in Kirche Autorin Die Schlange ist lang. In der Kirche sitzen die Pilger auf einer Holzbank vor dem Beichtstuhl. Das kleine Lämpchen über dem Verschlag brennt. An Festtagen wie heute nimmt Pater Dietrich von Stockhausen bis zu zehn Stunden am Tag die Beichte ab. Vor zwölf Jahren hat seine Ordensgemeinschaft den besonnenen Mittfünfziger nach Heroldsbach geschickt, um das Beten im Kornfeld wieder in kirchenkonforme Bahnen zu lenken. Ohne den eigenmächtigen Volksglauben wirklich anzuerkennen. Für den Pater bedeutet das eine tägliche Gratwanderung: Er versteht sich als treuer Diener der Kirche, aber er will auch für die Pilger da sein. Die fragen ihn oft nach den Erscheinungen - und der Seelsorger weicht nicht auf theologische Floskeln aus. O-Ton 10 Pater Dietrich Ich glaube, dass hier etwas stattgefunden hat, wenn es die Kirche auch nicht festgestellt hat. Und im Übrigen glaube ich auch den Menschen, die das hier erlebt haben. Das sind für mich Personen, die nicht krankhaft wirken oder abgehoben sind oder fanatisch wären, sondern es sind ganz einfache, glaubwürdige Zeugen für mich, dass ich das annehmen kann für mich, dass das stimmt. (LS110024, 2.44) Autorin Aber das, betont der Pater mit warmer, von der Anstrengung müder Stimme, ist meine persönliche Meinung. Er muss das dazu sagen. Denn die katholische Kirche bestimmt darüber welche Ereignisse sie als übernatürlich anerkennt und welche nicht. Sie fungiert als Türsteher zum Wunderland - auch wenn die Pilger glauben, dass der Himmel das Wunder direkt zu ihnen geschickt hat. Und der Prüfkatalog ist streng: Erscheinungen und Wunder müssen nicht nur die Naturgesetze außer Kraft setzen, sondern auch theologisch stimmig sein, also der Bibel entsprechen. Pater Dietrich von Stockhausen legt lieber sein eigenes Maß an: seine Menschenkenntnis. Mehrmals hat der Pater mit den "Sehermädchen" von damals gesprochen, vier von ihnen leben auch heute noch in Heroldsbach. 1949 waren sie noch Kinder. O-Ton 11 Pater Dietrich Sie waren damals zwischen zehn und zwölf Jahren alt. Das waren vier, dann später sieben und dann neun Mädchen. Alles Mädchen. Die haben zunächst die Muttergottes gesehen, wie sie sagen. Dann haben sie nach ihren Aussagen viele Heilige gesehen, sie haben die heiligste Dreifaltigkeit gesehen, sie haben große Scharen von Engeln gesehen, sie haben Prozessionen miterlebt, die auf der so genannten Himmelswiese stattgefunden haben sollen - was meines Erachtens eine kindliche Phantasie in diesem Alter weit übersteigt. Und von daher kann ich das glauben, dass sie das nicht erfunden, sondern wirklich erlebt haben. (LS110024, 3.59) Autorin Nach all den Demütigungen durch die katholische Kirche - nachdem sie exkommuniziert, von ihren Nachbarn für verrückt erklärt und von den Medien als unzurechnungsfähig abgestempelt wurden, will sich heute keine von ihnen mehr öffentlich äußern. Der Pilgerverein dagegen geht an die Öffentlichkeit und kämpft weiter dafür, dass die Wunder von Heroldsbach offiziell vom Vatikan anerkannt werden. Atmo 12 im Pilgerheim (laut) Autorin Zur Mittagszeit wird es eng im Pilgerheim, das unterhalb des Erscheinungshügels liegt. Die Menschen stehen mit ihren Tellern bis in den Gang. Es gibt Eintopf mit Würstchen aus einem riesigem Kochtopf, dazu einen Apfel und eine Scheibe Brot. Allein der Altersdurchschnitt unterscheidet das Pilgerheim von einer Jugendherberge. Und die lebensgroße Marienstatue im Flur. Viele Besucher streicheln ihr ehrfürchtig über die gefalteten Hände. Einige fallen sogar auf die Knie, mitten im überfüllten Flur. Denn vor vier Jahren soll sich hier ein weiteres Wunder ereignet haben. Atmo 13 Küche Autorin Ingrid Fleischmann steht in Kittelschürze neben dem Kochtopf und schaut nicht mal vom Kartoffelschälen auf, während sie erzählt. O-Ton 12 Ingrid Fleischmann: Da soll halt die Muttergottes geweint haben. Die im Haus steht. Hier, gleich da draußen. Da ist jemand reingekommen und hat gesagt: Die Muttergottes weint. Ich habe dann auch bloß gesehen, wie es da nass war. Die haben das alles untersucht, aber da ist nichts bei rausgekommen. (LS110016, 1.30) Autorin Die Köchin spricht zwar fromm ein Gebet, wenn sie an der Muttergottes im Flur vorbei muss, aber den Aufruhr kann sie nicht nachvollziehen. O-Ton 13 Ingrid Fleischmann Ich bin da nicht so wie die Pilger, die wie dann so über - ich bin halt normal. (lacht) (LS110016, 3.10) Autorin Ihre Kollegin schüttelt missbilligend den Kopf, als sie das hört. Hedwig Kirsch hat die Tränen der Madonna sogar fotografiert. Resolut wischt sich die gebürtige Schlesierin ihre Hände an der Schürze ab. O-Ton 14 Hedwig Kirsch Jeder glaubt, was er glaubt. Ich bin überzeugt, dass die Muttergottes weint. Ist doch so schlimm in der Welt. (LS110016, 6.03) Atmo 12 Pilgerheim Autorin Pater Dietrich von Stockhausen aber reagiert damals pragmatisch. Er tupft der Madonna die Tränen mit einem Taschentuch ab und übergibt es dem Bistum Bamberg zur Prüfung. Das Ergebnis: Das Taschentuch weist fast den gleichen Salzgehalt auf wie das Wasser aus den Waschräumen nebenan. Bei einem schnellen Teller Suppe erzählt der Pater davon. O-Ton 15 Pater Dietrich Das war sicherlich eine Manipulation, davon bin ich überzeugt. Aber wenn die Statue wirklich geweint haben sollte: Erstmal wundert es mich dann, dass es die Statue war, die hier im Flur steht und nicht eine von denen, die oben in einer der Kapellen steht. Dazu kommt, dass fünf Meter daneben der Wasserkran ist. Dann habe ich sofort die Frage gestellt: Wer hat gesehen, dass die Flüssigkeit aus den Augen herausquillt? Und das hat niemand gesehen. Von Anfang nicht. (LS110024, 11.17) Autorin Die Sehnsucht der Menschen nach einem handfesten Wunder ist groß. Vielleicht wollte da auch jemand der Gemeinde Heroldsbach einen guten Dienst erweisen und zur Anerkennung als Wallfahrtsort verhelfen. Mehr als drei Souvenirläden, eine Imbissbude und einen Devotionalienhändler, der auf einer Motorhaube Madonnenfigürchen verkauft, gibt es zwar nicht. Aber im Ort sind die Menschen stolz darauf, von ganz oben auserwählt zu sein: Viele Häuser ziert gut sichtbar eine kleine Gebetsnische mit einer Madonnenstatue darin. Atmo 11 in Kirche Autorin Obwohl im Pilgerheim das Mittagessen bereit steht, verlässt vor dem Beichtstuhl niemand seinen Platz in der Schlange. In der Kirche ist es kühl und dunkel, die Buntglasfenster lassen nur wenig Licht herein. Die meisten Pilger sitzen still nebeneinander auf der Bank, viele sind in Gedanken versunken. Nach fast zwei Stunden sind endlich auch Emmi Kestner und ihre Bekannte Elisabeth Hoigl an der Reihe, um ihre Beichte abzulegen. Trotz der langen Wartezeit wirken die beiden Frauen nicht ungeduldig. Im Gegenteil. Lieber stellen sie sich hier an, als in ihrem Heimatort zur Beichte zu gehen. Emmi Kestner grinst etwas verlegen. O-Ton 18 Emmi Kestner und Elisabeth Hoigl Ich beichte nicht gerne beim eigenen Pfarrer, weil ich bin lieber bei einem fremden. Du? - Ja. Immer schon. (lacht) Oder sagen wir mal so: Ich habe auch schon gebeichtet, wenn wir im Altersheim zu Besuch waren und da war gerade ein Pfarrer da, da habe ich gefragt: Kann ich schnell beichten? Ohne Beichtstuhl geht auch. (LS110027, 4.40) Autorin Zu Hause, im Alltag ist oft auch gar keine Zeit, fügt Elisabeth Hoigl noch hinzu. Und dann kann man hier ja auch gemeinsam warten und ein Schwätzchen halten. O-Ton 19 Emmi Kestner und Elisabeth Hoigl Wenn wir drankommen, ist es gut, wenn nicht auch. So viele Sünden haben wir dann auch nicht. - Es sind ja immer die gleichen. (beide lachen) (LS110027, 5.30) Atmo 14 Vögel und Glockenschlag Autorin Heinz Hoff stellt sich erst gar nicht zur Beichte an. Der Versicherungsvertreter aus Mettmann steht am Rande des Parkplatzes an seinen Campingwagen gelehnt, raucht eine Zigarette und schaut sinnend über Feld und Hügel. Den Campingbus hat er komplett selbst ausgebaut und bemalt: Unten springen Delphine in den Sonnenuntergang, darüber schweben die Engel. Während seine Frau am Gottesdienst in der Gnadenkapelle teilnimmt und zur Beichte geht, bevorzugt Heinz Hoff eine Freestyle-Variante des Wallfahrens. O-Ton 20 Heinz Hoff Ich mache das lieber für mich, weil wenn das alles so starr vorgegeben ist, dann ist da wieder so ein Zwang hinter. Also ich kann mich da eine Stunde hinsetzen und mir vorstellen: Ja, vielleicht kam hier mal die Maria oder auch nicht - aber ich rede dann so, wie der Schnabel gewachsen ist. Und das kann nicht mal mehr unser Papst. Der muss sich auch für alles entschuldigen. (LS 110014, 5.15) Autorin Der Versicherungsvertreter geht gerne auf Wallfahrt - aber von morgens bis abends nur beten? Heinz Hoff fährt sich mit den Fingern über den gestutzten Schnauzer und schüttelt den Kopf. Das ist nichts für ihn. Er kombiniert das Pilgern lieber ganz praktisch mit Urlaub. O-Ton 21 Heinz Hoff Es gibt ja zum Beispiel Pilger, die machen stundenlang Rosenkranzgebete und so was. Also da würde ich bei einschlafen. Weil ich sage mir: Wenn es einen Schöpfer gibt - ob ich jetzt hundert Gebete mache oder eins, der hört das eine genauso wie hundert. (LS 110014, 4.43) Autorin Heinz Hoff war schon an vielen berühmten Wallfahrtsstätten: In Lourdes sind ihm die Leute zu fromm, in Kevelaer gibt es zu viel Nepp, Fátima gleicht einem einzigen Parkplatz. In Heroldsbach dagegen lässt sich die schöne Natur gleich mit genießen. Der Vatikan, findet er, sollte Heroldsbach endlich anerkennen. Schon der Gerechtigkeit halber. Und weil die Deutschen es sowieso viel schwerer haben als die Italiener. O-Ton 22 Heinz Hoff Es gibt in Deutschland keinen Wallfahrtsort, der von Rom anerkannt ist. In Italien haben sie an jeder Ecke einen. Autorin Da, ergänzt er, braucht nur mal Wasser aus dem Brunnen zu kommen - und schwupp, ist es ein Wallfahrtsort. Atmo 15 Brunnen Autorin Auch Heroldsbach hat seinen Brunnen. Der steht etwas versteckt unter Bäumen hinter der Gnadenkapelle. Die Pilger füllen sich hier Gnadenwasser in Flaschen ab, um den Segen der Muttergottes mit nach Hause zu nehmen. Der Landwirt Franz Lechler hat gleich eine ganze Schubkarre mitgebracht. Ehrfürchtig füllt er Kanister für Kanister und hievt sie vom Brunnenrand in die Schubkarre. O-Ton 23 Franz Lechler Das ist das Wasser von der Muttergottes. Ja, das nehmen wir mit heim. Wasser braucht man ja im Alltag. Das ist mit das wichtigste Lebensmittel. (LS110029, 1.14) Autorin Nur ein Kanister ist für ihn selbst, die anderen füllt er für Mitreisende aus seiner Pilgergruppe ab, erklärt er Emmi Kestner, die mit ihrem Becher in der Hand geduldig am Brunnen wartet. Und dann erzählt er ihr noch von seinen Obstbäumen, wie anfällig die gegen Spätfrost und Hagel waren. Dass er sie verloren und trotzdem immer am Glauben festgehalten hat. Sie nickt verständnisvoll. O-Ton 24 Emmi Kestner Man muss auch ausharren. Man kann nicht sagen: Jetzt habe ich gebetet und jetzt hat es doch nicht geholfen. Aber das ist halt schwer. (LS110027, 8.25) Autorin Der Landwirt unterbricht sie aufgeregt. Wenn die jungen Leute doch einen Garten hätten, ruft er verzweifelt, dann würden sie wenigstens ab und zu mal Richtung Himmel schauen. O-Ton 25 Franz Lechler Also ich als Landwirt nehme die Sache mit Gott sehr ernst, weil ich sehr vom Himmel abhängig war. (LS11029, 3.00) Atmo 16 Schubkarre schieben Autorin Dann verabschiedet er sich und schiebt das Gnadenwasser durch die Pforte zum Reisebus. Als er an der Muttergottes vorbeikommt, stellt der Landwirt die Schubkarre mit den Kanistern noch einmal ab, geht wacklig in die Knie und bekreuzigt sich. 1