COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 20. April 2009, 19.30 Uhr Die stille Macht - Der Vermittlungsausschuss als Nebenparlament Von Katja Bigalke Spr. vom Dienst Die stille Macht - Der Vermittlungsausschuss als Nebenparlament Von Katja Bigalke Atmo Schritt Deubel im Bundesrat Autorin Berlin, Anfang März. Ein kleiner Mann mit großer Aktentasche kommt durch die Tür des Bundesrats, läuft energisch die Treppen hinauf zu den Länderzimmern. Ingolf Deubel, Finanzminister von Rheinland-Pfalz, hat einen straffen Zeitplan: eben erst mit dem Flugzeug gelandet, erscheint er auf den Punkt genau zum Interview. In 15 Minuten muss er in den Sitzungssaal der SPD - eine Stunde später beginnt der Vermittlungsausschuss. Wichtigstes Thema heute: Das Gesetz zur Kfz-Steuer. Es ist Deubels Thema: Für den Verzicht auf die Kfz-Steuereinnahmen fordert er im Namen der Länder mehr Ausgleichszahlungen, als der Bund ihnen zugesteht. O-Ton Wir wollen die 55 Millionen Euro haben, die an Steuerausfall angefallen sind. Gravierender ist der zweite Punkt: vor zwei Jahren ist die Maut erhöht worden - und zum Ausgleich ist die Kfz-Steuer für LKWs abgesenkt worden. Da die Kfz-Steuer den Ländern zusteht, die Maut aber dem Bund hat der Bund dann im Gegenzug uns Mauteinnahmen abgegeben. Und der Bundesfinanzminister hat dann ins Gesetz locker reingeschrieben, dass mit dem Tausch der Kfz-Steuer auch die Geschäftgrundlage für die Anteile der Länder an der Maut wegfällt. Und dann hat eben der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen, um diese Dreistigkeit des Bundes wieder zu korrigieren. Autorin Für das laufende Jahr fehlen den Ländern 200 Millionen Euro, rechnet Deubel vor. Der SPD Mann hat alle Zahlen im Kopf, und noch besser: in seiner Argumentation weiß er diesmal auch die CDU Länder hinter sich. Mit großer Mehrheit hatte der Bundesrat zwei Wochen zuvor die Umstellung der Kfz-Steuer gestoppt und den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat angerufen. Für Deubels Forderungskatalog gab es Applaus von Berlin bis Bayern. O-Ton Es gab allgemeine Zustimmung von der Länderseite und zwar parteiunabhängig und die Abfrage in den letzten Tagen: müssen wir ein Vorgespräch haben? führte zu dem Ergebnis: Nein, die Position ist unsere gemeinsame Position für den Vermittlungsausschuss und damit gehen wir auch rein. Autorin Obwohl die SPD im Bundesrat in der Minderheit ist, haben die Länder Deubel bei diesem föderalen Konflikt zu ihrem Verhandlungsführer bestimmt. O-Ton Das hängt mit meiner Position zusammen: ich bin im Finanzausschuss der stellvertretende Vorsitzende - und im Vermittlungsausschuss sind wir eine bunte Mischung - und wenn es um reine Finanzfragen geht, läuft meistens die Vertretung der Länderpositionen auch auf mich zu. Atmo Schritte durchs Haus Autorin Nächster Termin - von 16 bis 17 Uhr tagen A und B Seite - SPD und CDU in getrennten Konferenzsälen. Hier werden erste Einigungsmöglichkeiten ausgelotet, erklärt Deubel auf dem Weg in den zweiten Stock. Für ihn steht fest: den größeren Schritt müssen heute seine Kollegen aus der Bundestagsfraktion machen: O-Ton Ich habe in den letzten Tagen Einzelgespräche geführt. Das einzige was ich gelernt habe, dass die Bundestagsabgeordneten nicht genau wussten, über was sie da entschieden haben und das gibt mir Hoffnung. Über die 150 Millionen Euro kann man sich nicht ernsthaft streiten, hier hat der Bund den Versuch gemacht, die Länder über den Tisch zu ziehen. Anders ist die Situation bei den 55 Millionen Euro aus der Kfz- Steuer-Befreiung. Dies ist eher ein Thema, wo man nicht unbedingt auf einer Maximalposition beharren muss. Autorin Deubel wirkt wie ein Schachspieler, der seine Züge strategisch geplant hat und sich freut, wenn sie aufgehen. Atmo Tag Herr Böhmer, wollen Sie zu uns kommen.... Autorin Gut gelaunt verabschiedet er sich, ganz Berufsoptimist. Atmo So, dann sehen wir uns heute Abend, hoffentlich kann ich dann nur Erfolge verkünden. Atmo Saal Autorin Eine Stunde später beginnt im Saal 1128 die Sitzung des Vermittlungsausschusses. Auf der rechten Seite des hufeisenförmigen Tischs haben die Vertreter des Bundestags Platz genommen, geordnet nach Fraktionszugehörigkeit. Unter ihnen die Parlamentarischen Geschäftsführer von CDU/CSU und SPD, Norbert Röttgen und Thomas Oppermann. Auf der linken sitzen die Repräsentanten der Länder, darunter prominente Ministerpräsidenten wie Christian Wulff oder Horst Seehofer. Den Vorsitz führt der Bremer SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen. Er sitzt am Kopf des Hufeisens, neben ihm Abgesandte der Bundesregierung und Mitglieder der Geschäftsstelle. Punkt 17 Uhr werden die Saaltüren geschlossen. Ab jetzt tagt der Ausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Atmo Tür zu Sprecher v. Dienst Grundgesetz, Artikel 77, Absatz 2: Der Bundesrat kann binnen drei Wochen nach Eingang des Gesetzesbeschlusses verlangen, dass ein aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates für die gemeinsame Beratung von Vorlagen gebildeter Ausschuss einberufen wird. Autorin Dieser Ausschuss, seit 1949 fester Bestandteil des politischen Systems der Bundesrepublik, heißt Vermittlungsausschuss. Zugrunde lag die Idee, einen Ort zu schaffen, an dem Bundestag und Bundesrat möglichst pragmatisch ihre Konflikte bei der Gesetzgebung lösen sollten. Pate stand damals das Verfassungssystem der USA. Im Unterschied zu Amerika, wo der Vermittlungsausschuss bei jedem Konflikt neu zusammengesetzt wird, entschied sich die Bundesrepublik für eine personell stabile Institution. Eine gute Entscheidung, meint Christoph Gusy, Professor für Staatsrecht an der Universität Bielefeld. O-Ton In Deutschland gibt es eine spezifische Gemengelage aus föderalistischen und parteipolitischen Fragen, welche sich in hohem Maße überlagern. Diese Fragen können in einem Gremium, welches relativ stabil zusammengesetzt ist, wo man sich untereinander kennt, sinnvoll abgehandelt werden. Autorin So werden die Mitglieder des Gremiums fest für eine Legislaturperiode entsandt. Bundesrat und Bundestag sind gleich stark vertreten: Jedes Land hat einen Sitz, oft vom Ministerpräsidenten oder einem von ihm bestimmten Vertreter wahrgenommen. Die anderen 16 Ausschussmitglieder stellen die Fraktionen. Beide Institutionen sowie die Bundesregierung haben das Recht bei umstrittenen Gesetzen den Ausschuss anzurufen. Dieser muss dann zügig einen Änderungsvorschlag erarbeiten. Was in der politischen Praxis immer häufiger geschieht. O-Ton Unser Föderalismus besteht aus einem kooperativen System von Bund und Ländern - und je stärker kooperiert wird, desto stärker sind natürlich auch mögliche Konfliktfelder und in diesen Konfliktfeldern hat der Vermittlungsausschuss sein Nest. Dies lässt sich weniger als schlagartiges Ereignis denn als schleichenden politischen Prozess beschreiben. Ein gewisser Meilenstein war allerdings die Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern 1968/1969. Damals ist das Grundgesetz geändert worden und die wechselseitige finanzielle Abhängigkeit von Bund und Ländern deutlich gesteigert worden. Trenner Bundesrat: "Wir rufen den Vermittlungsausschuss an" Autorin Die Arbeit des Vermittlungsausschusses organisiert dessen Geschäftsstelle. Das bescheiden eingerichtete Büro im Seitenflügel des Bundesrats besteht aus einem Geschäftsführer, einem Büroleiter, zwei Mitarbeitern und zwei Sekretärinnen. An normalen Tagen übertragen sie ins Juristendeutsch, was die Ministerpräsidenten vereinbaren. Tagt der Vermittlungsausschuss, herrscht hier Ausnahmezustand, sagt Klaus Koggel, Leiter der Geschäftstelle. O-Ton Unsere Aufgabe ist es, die Sitzungen vorzubereiten. Das heißt wir laden ein zu Sitzungen. Wir versenden eine Tagesordnung. In den Sitzungen selbst beraten wir den Vorsitzenden, was z.B. Fragen der Geschäftsordnung betriff und unsere Aufgabe ist es nachher den Kompromiss dann umzusetzen in konkrete Gesetzesänderungsbefehle. Autorin Das umstrittene Gesetz passiert mit den Änderungsvorschlägen dann erneut Bundestag und Bundesrat. Nehmen es beide Häuser an, kann es in Kraft treten. Wie oft das in der 15. Legislaturperiode der Fall war, hat Klaus Koggel fein säuberlich in einer Ausgabe des Bundesanzeigers aufgelistet: O-Ton Das ist ein sehr effizientes Gremium. Wenn Sie überlegen in der letzten Legislaturperiode hatten wir 100 Gesetze die im Vermittlungsverfahren waren. Von diesen hundert Gesetzen konnten insgesamt 99 Gesetze nachher in Kraft treten. Nur ein einziges Gesetz ist gescheitert: es ging um das so genannte Verfütterungsverbotsgesetz. Um Regelungen zum Tierfutter. Autorin Koggel deutet auf eine Grafik, die die Zahl der Anrufungen seit 1949 zeigt. O-Ton In den ersten Wahlperioden sehen wir hier eine sehr hohe Anzahl von Anrufungen, die dann allmählich zurückgeht. Die Zahl der Anrufungen nahm dann wieder sehr stark zu 1972 bis 1976. Damals gab es eine SPD- FDP Bundesregierung und einen Bundesrat, in dem die CDU-Länder eine Mehrheit hatte. In der achten Wahlperiode auch noch relativ hoch und dann ging es zurück und zwar hier in der neunten, zehnen und elften Wahlperiode: Es gab es eine CDU/FDP-Bundesregierung und auch einen Bundesrat mit einer entsprechenden Mehrheit. Und dann hatte der Ausschuss wieder deutlich mehr zu tun in der 12. und 13. Wahlperiode. Damals hatten die CDU geführten Länder ihre Mehrheit im Bundesrat verloren, da ging es mit der Zahl der Anrufungen wieder deutlich nach oben. Autorin Seit Beginn der neunziger Jahre wurde der Vermittlungsausschuss mindestens 75- mal pro Legislaturperiode angerufen. Mit 100 Anrufungen stellten die letzten drei Jahre der Regierung Schröder dann einen neuen Rekord auf, was an den unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen in Bund und Ländern lag. In der jetzigen Legislaturperiode geht es wieder relativ ruhig zu. Typisches Symptom einer großen Koalition: O-Ton In der 16. Wahlperiode, der aktuellen, sind wir bei insgesamt sechs Vermittlungsverfahren. Autorin Die Sitzungen laufen im Prinzip immer nach demselben Schema ab, erzählt Koggel: Der Vorsitzende ruft die Tagesordnung auf, dann werden die einzelnen Punkte abgearbeitet. Manchmal richtet man zu bestimmten Fragen auch Arbeitsgruppen ein oder vertagt bei schwierigen Themen auch mal eine Sitzung. Was aber am Schluss immer kommt, ist die Abstimmung. Die einfache Mehrheit beschließt den Kompromiss. Mehr verrät Koggel nicht. Sobald es inhaltlich wird, malt er mit dem Zeigefinger einen Querstrich in die Luft. Nein, heißt das - ab hier herrscht die Schweigepflicht: O-Ton Die Verhandlungen des Vermittlungsausschusses sind vertraulich. Und über alles, was im Ausschuss selber passiert, darüber bewahren wir absolutes Stillschweigen. Es wird eine Niederschrift angefertigt über diese Sitzung. Die Sitzungen liegen zwei Legislaturperioden des Bundestags unter Verschluss und werden dann frei gegeben. Trenner Bundesrat: Wir rufen den Vermittlungsausschuss an ... Autorin Für die Öffentlichkeit frei gegeben sind in Bibliotheken derzeit die Protokolle bis zur 14. Wahlperiode. Manche Mitschriften lesen sich wie reale Comedy: Etwa die Verhandlungen über das Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde vom 7.2.2001. Zwischen dem FDP-Abgeordneten Jörg van Essen und der SPD- Landesjustizministerin Karin Schubert entspann sich folgender Dialog: Sprecher 1 Ich habe in einer Vorbesprechung vorhin auf die Erfahrungen eines Kollegen aus meiner Fraktion hingewiesen - er ist Tierarzt - der hat gesagt, dass Dackel bis hin zu schweren Verletzungen.... Sprecherin Herr van Essen, ich warne Sie! Sprecher 1 Ich weiß Frau Schubert! Ich habe mir das lange überlegt, denn natürlich kenne ich auch ihre Dackelin. Sprecherin Das ist ein Rüde Sprecher 1 Ach das ist ein Rüde! Dann weiß ich auch, warum er so lieb ist. Der Kollege hat darauf hingewiesen, dass Dackel weit überproportional zu ihrer Verbreitung, Verletzungen, und zwar zum Teil durchaus schwere Verletzungen, hervorrufen... Sprecher vom Dienst Nur bis zum Knie! Sprecher 1 Das kommt auf die Größe dessen an, der angegriffen wird. Autorin Die Einigung über das Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde nimmt vier Protokollseiten in Anspruch. Der Vorsitzende Heribert Blens weist am Ende noch einmal darauf hin, dass von dem Gesetz neben Dackeln auch Hamster und Kaninchen ausgenommen sind. Als Berichterstatterin im Bundesrat wird Frau Schubert angefragt. Sprecherin Aber nur wenn mein Dackel nicht mehr beleidigt wird! Autorin Nicht alle Protokolle sind so amüsant zu lesen. Besonders gespannt verfolgten die Medien zum Beispiel den Versuch, einen Kompromiss bei den Steuerreformgesetzen 1998 und 1999 zu finden. Ab 1996 stand der Regierung Helmut Kohl eine rot-grüne Mehrheit im Bundesrat gegenüber - die Meinungen zur Reform gingen ziemlich weit auseinander. In erster Linie sollten die Reformpläne eine Steuerentlastung für Unternehmen erwirken, die im Prinzip alle Parteien bis auf die PDS unterstützten. Die von der Regierung geplante Senkung des Spitzensteuersatzes lehnte die Opposition aber grundsätzlich ab. Außerdem gab es Differenzen über den Ausgleich der Einnahmenausfälle. Ein klassischer Fall für den Vermittlungsausschuss, der zu einer Art unendlichen Geschichte mutierte. Sprecher vom Dienst Am 10. Juli 1997 fand die erste Sitzung des Ausschusses zu den Steuerreformgesetzen statt. Die Sitzung dauerte fünf Stunden. Am 30 Juli wurde die Sitzung fortgesetzt. Die Sitzung dauerte 15 Stunden. Die zweite Fortsetzung der Sitzung fand am 4. August statt und endete mit einem so genannten unechten Einigungsvorschlag. Die Opposition setze die Ablehnung der Steuerreformgesetze und die Umbenennung in ein Gesetz zur Senkung der Lohnnebenkosten durch. Dieser falsche Kompromiss wurde anschließend vom Bundestag abgelehnt, woraufhin erneut der Vermittlungsausschuss angerufen wurde: Autorin 18. September 1997. Erste Sitzung des zweiten Vermittlungsverfahrens zu den Steuerreformgesetzen 1998/99. Aus den Protokollen: Peter Struck -SPD- hat das Wort: Sprecher 1 Wir sind beim letzten Mal nach einer Grundsatzdiskussion mit der Vorstellung der A- Seite auseinandergegangen, dass wir von der Bundesregierung einen neuen Vorschlag - am besten schriftlich - erwarten. Wir waren in den vergangenen Tagen sehr gespannt darauf, ob dieser Vorschlag bei uns eingehen würde, damit er noch gegengerechnet und überprüft werden kann Das ist nicht erfolgt. Sprecher 1 liest weiter - (Autorin drüber) (Deshalb meine konkrete Frage an Herrn Finanzminister Waigel: Welche neuen Vorschläge legt die Bundesregierung vor? Wir kennen bisher nur Äußerungen mündlicher Art von Herrn Schäuble im Plenum, von Herrn Repnik, Herrn Waigel und Herrn Kohl in verschiedenen Interviews.) Autorin Der Ton bei diesem zweiten Sitzungsmarathon des Vermittlungsausschuss ist deutlich schärfer als bei den vorhergehenden Sitzungen des Ausschusses. Gleich zu Beginn moniert Struck, dass der anwesende Finanzminister Theodor Waigel seine Vorschläge zur Gegenfinanzierung der Steuerausfälle nicht schriftlich eingereicht hat. Dieser Vorwurf wird im Verlauf der Sitzung immer wieder thematisiert und zeigt neben gegenseitigen Blockadeunterstellungen und Unmutsäußerungen über das ständige Einbeziehen der Presse deutlich, wie starr die Fronten zwischen Opposition und Regierungslager verlaufen. Im Sitzungsprotokoll, das sich über mehr als 70 Seiten erstreckt, geht es immer wieder um dieselben Grundsatzfragen - es gibt kein Aufeinanderzugehen. Schließlich endet die Sitzung mit einem Dialog zwischen Peter Struck und dem CDU-Abgeordneten Hans-Peter Repnik, der die Opposition auffordert, noch einmal über ihre generelle Verhandlungsbereitschaft nachzudenken: Sprecher 2 Also ganz konkret zum Thema Steuern - wenn es überhaupt einen Sinn machen soll, dass wir uns in der nächsten Woche noch einmal treffen, dann würden wir Sie nachhaltig bitten, dass Sie in ihrem Parteipräsidium, damit Sie in der nächsten Runde verhandlungsfähig sind... Sprecher 1 Hören Sie doch auf damit. Das ist wirklich lächerlich! Sprecher 2 Herr Struck ich würde Sie bitten, dass Sie das notieren. Sprecher 1 Nein wir brauchen niemanden zu fragen, wir haben alles abgeklärt. Sprecher 2 Wir brauchen von Ihnen Antworten auf die Fragen: 1. Sind Sie bereit mit uns über eine Tarifabsenkung über alle Stufen zu sprechen, wie wir es in den letzten Tagen von der einen oder anderen Stelle vernommen haben? 2. Sind Sie bereit mit uns über eine Nettoentlastung auch in 1998 zu sprechen wie es Scharping jetzt angekündigt hat 3. Sind sie bereit mit uns darüber zu sprechen, die Überkompensation in einer Größenordnung von 8 bis 10 Milliarden DM) abzubauen, indem wir sie in eine Tarifstrukturveränderung einfließen lassen? Autorin A- und B-Seite entscheiden sich schließlich für eine Vertagung der Sitzung auf die folgende Woche. Aber auch die zweite Sitzung bringt die unterschiedlichen Positionen zwischen Bund -Ländern und den beiden großen Parteien nicht zueinander. Schließlich stellt Struck - offensichtlich genervt - zwei Anträge zur Abstimmung: einmal die Aufhebung des Steuerreformgesetzes 1998 und zum zweiten ein - wie der Vorsitzende des Gremiums umschreibt - "von der SPD umfrisiertes und umbenanntes Steuerreformgesetz 1999, das faktisch nur noch ein Mantelgesetz sei. Beide Anträge werden mit einer Stimme Mehrheit angenommen. Der Bundestag lehnt daraufhin den Vorschlag des Vermittlungsausschusses erneut ab. Der Bundesrat verweigert ein zweites Mal die Zustimmung zu den Steuerreformgesetzen, die damit vollständig scheitern. Trenner Autorin Dass die Vermittlungsbemühungen im Ausschuss zu keinem Ergebnis führen, ist allerdings eher die Ausnahme. Im Schnitt kommt es nur in zehn Prozent der Fälle zu einer Nichtverkündung des Gesetzes. Und das selbst dann, wenn die Mehrheiten in Bundesrat und Bundestag unterschiedlich sind. Die starke Konfrontation in den letzten Jahren der Regierung Kohl war jedoch keine historische Einmaligkeit, deutet der CDU-Bundestagsabgeordnete Joachim Hörster an, damals einfaches Mitglied des Vermittlungsausschusses und heute dessen Vorsitzender. O-Ton Also wenn ich die Steuerreform betrachte, da waren da halt eben Teile dabei, die haben den Sozialdemokraten und den Grünen nicht geschmeckt - die waren zu wirtschaftsfreundlich und da waren sie da schon mal dagegen. Und dann ging es außerdem darum der Regierung und der Öffentlichkeit deutlich zu machen: die Regierung ist blockiert, die kann nicht mehr. Bei der rot-grünen Regierung war die Situation ähnlich - wobei CDU und CSU und FDP es von sich weisen, dass sie Obstruktion betrieben hätten. Autorin Letztlich, erklärt Hörster, kann man bei einem Gesetzesentwurf, der vor dem Vermittlungsausschuss landet, auch selten lupenrein bestimmen, wo die Fronten verlaufen. Wenn es nicht ausschließlich um die Finanzen von Bund und Ländern geht, gibt es über parteipolitische Gegensätze hinaus etliche Faktoren, die im Kompromissfindungsprozess eine Rolle spielen. Mit wem koaliert ein Ausschussmitglied in seinem Bundesland? Wie verhärtet sind die Fronten schon vor den Ausschusssitzungen, und inwieweit sind die Positionen schon der Presse bekannt? Besteht die Möglichkeit, das Gesetz im Parlament so umzugestalten, dass es der Zustimmung des Bundesrats nicht mehr bedarf? Alle Mitglieder des Ausschusses wissen um diese komplizierte Gemengelage, entsprechend gelassen wird verhandelt: O-Ton Da sitzen ja keine Philosophen beieinander, die da Wolken hin und herschieben. Da sitzen Leute zusammen, die machen praktische Politik - Verbiestert sein ist keine Reaktion. Autorin Auch wegen dieser prinzipiellen Gesprächsbereitschaft hält Joachim Hörster den Vermittlungsausschuss für eine absolut sinnvolle Einrichtung. Vor allem in Zeiten, in denen der Vermittlungsausschuss viel zu tun hat. O-Ton Das kann ja nur dann der Fall sein, wenn sich während der Regierungszeit einer Koalition im Bund die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zum Nachteil dieser Regierungsmehrheit verändern und dann ist das ja meistens eine Reaktion nicht nur auf Landespolitik, sondern auch auf Bundespolitik. Und ich glaube nicht, dass die Bürger das für schrecklich halten, dass man dann doch versucht möglichst viele einzubinden in das was entschieden werden muss. Autorin Paradebeispiel für solch einen Einigungsprozess waren die Hartz-Gesetze, die Ende 2003 den Vermittlungsausschuss passierten. In der Geschäftstelle des Gremiums sind die vielen Sitzungen, die sich oft bin in den frühen Morgen hinzogen, noch als "Highlight" in Erinnerung. Auch Joachim Hörster kommt gern auf diesen außergewöhnlichen Fall zu sprechen: O-Ton Das wichtigste war ja: wo wird der Kompromiss gefunden? Die Regierung Schröder hatte ja damals die Absicht alle Parteivorsitzenden zu einem großen Show-Down ins Kanzleramt einzuladen. Und am Schluss hat sich schwarz gelb durchgesetzt: die Sache wird im Vermittlungsausschuss entschieden. Das hatte dann zur Folge dass der FDP Vorsitzende Guido Westerwelle noch in den Vermittlungsausschuss gewählt werden musste damit er dabei sein konnte, Schröder konnte dabei sein weil er zur Bundesregierung gehört, Joschka Fischer ist unter Zudrücken mehrerer Augen auch als Bundesregierung akzeptiert worden, während Angela Merkel stellvertretendes Mitglied des Ausschusses war und Stoiber auch. Und dann ist man im Vermittlungsausschuss zusammengetreten und dann hat man sich versucht über das Prozedere der weiteren Verhandlungen zu verständigen und danach haben dann die bedeutenden Menschen den Ausschuss verlassen und dann ist dieser Kompromiss heraus gekommen, der dann zu Hartz IV geführt hat Trenner: irgendetwas musikalisch gebasteltes Autorin Die Hartz-Gesetze sind auch ein Beispiel dafür, wie das Gremium seine Kompetenzen immer wieder überschreitet. Weil der Ausschuss laut Verfassung keine Gesetzesinitiative hat, darf er sich eigentlich nur mit Dingen beschäftigen, die im Gesetzgebungsverfahren zuvor schon einmal thematisiert worden sind. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wurde aber schon zu mehreren Gelegenheiten angerufen, da das Gremium in seinen Kompromissvorschlägen diesen Rahmen deutlich gesprengt hatte. Christoph Gusy, Professor für Staatsrecht an der Universität Bielefeld: O-Ton Sie haben sogar Dinge besprochen, die noch gar nicht in Gesetzgebungsprojekte gemündet sind. Der bekannteste Fall ist der der Hartz IV Gesetze im Gesetzgebungsvorhaben ging es um das Prinzip: Leistung aus einer Hand - also die Arbeitssuchenden sollten in Zukunft statt von zweien nur noch von einer Behörde betreut werden. Im Zusammenhang mit der Organisationsänderung hat dann die Kostenfrage eine eigenständige Bedeutung erlangt, weil die Mehrbelastungen für den Bund zu groß erschienen und man die Gemeinden auch ein wenig an den Kosten, die neu entstehen würden, beteiligen wollte. Das war ursprünglich nicht vorgesehen und Gemeindevertreter waren im Vermittlungsausschuss ja auch nicht vorhanden und wurden hierzu auch gar nicht angehört. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dieser Frage beschäftigen müssen, weil zahlreiche Landkreise mit der Regelung nicht einverstanden waren und tatsächlich hat das Gericht eine Reihe dieser Regelungen moniert Autorin Diese und andere Klagen führten dazu, dass das Gremium immer öfter in das Blickfeld von Staatsrechtlern geriet. Auch die Rolle des Bundesrats wird hier immer wieder thematisiert. Zwar ist die Bundesrepublik auch auf dem Papier keine rein parlamentarische Demokratie - Der Bundesrat muss einem Teil der Gesetze immerhin zustimmen. Trotzdem kommt der Länderkammer im Vermittlungsverfahren verhältnismäßig viel Gewicht zu, meint Christoph Gusy. Führende Landespolitiker seien inzwischen auch führende Parteipolitiker, so dass die Landesregierungen im Gremium fast wie Gegenregierungen verhandelten. O-Ton In der Gesetzgebungsarbeit ist es aber so, dass Bundestag und Bundesrat keineswegs gleichgewichtig sind. Durch die Landesregierungen im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss wirkt also die Exekutive an der Gesetzgebung beschließend mit. Das ist eine Form der Gewaltenkooperation und in diesem System der Länder kommt den Ministerpräsidenten tatsächlich ein starkes Gewicht zu. Autorin Zwar sieht Gusy gegenwärtig keine Alternative zur Zusammensetzung des Gremiums. Aber Mehrheitsdemokratie sieht für ihn anders aus: O-Ton Tatsächlich ist es so dass dieses System aus Bundestag und Bundesrat zu einer Art Allparteienregierung führt. Und diesen Sachverhalt kann man natürlich unterschiedlich deuten: die einen sagen, es ist gut, es ist nämlich sozusagen das Prinzip der vollständigen Aushandlung und am Ende das Konsensprinzip, die anderen sagen, es handelt sich um das Prinzip des kleinsten gemeinsamen politischen Nenners. Anders ausgedrückt eine Art Blockadeprinzip. Autorin Ein Prinzip, das besonders stark zum Tragen kommt, wenn der Vermittlungsausschuss übermäßig viel Gewicht hat. Also wenn sich die anderen politischen Organe nicht einigen können. In diesem Zusammenhang fallen dann oft die Stichworte Nebenregierung oder Überparlament. Für Gusy liegt genau hier der Ansatzpunkt seiner Kritik. Dafür, dass das Gremium heute so viel Macht habe, arbeite es zu wenig transparent. O-Ton Es gibt hier insbesondere auch das Element der Verantwortungsverwischung. Man weiß am Ende gar nicht mehr wer für welche politische Entscheidung verantwortlich war. Gesetzgebungsarbeit ist ja nicht nur Konsensfindungsarbeit, sondern immer auch Konsensdarstellungsarbeit. Man muss der Öffentlichkeit klar machen, wer will was und wer will an welcher Stelle sich wie durchsetzen. Und dies bedeutet im Klartext dann natürlich diese Herstellung von Transparenz ist ein ganz wesentliches Strukturelement parlamentarischer Gesetzgebungsarbeit. Der Vermittlungsausschuss muss in seiner Arbeit den demokratischen Gepflogenheiten unterzogen werden und es geht nicht, dass sich die demokratischen Gepflogenheiten sich an den Arbeitsweisen des Vermittlungsausschusses orientieren. Atmo Vermittlungsausschuss Flur Autorin Berlin, Anfang März. Seit zwei Stunden tagt der Vermittlungsausschuss im Bundesratsgebäude hinter dunklen Holztüren. Von den Ministerialbeamten, die mit gezückten Handys in den Fluren warten, sickert durch, dass es gerade um die Kfz- Steuer gehe. Sie wurde auf den Schluss verschoben, weil sie der heikelste Punkt der Verhandlung war. Atmo hoch Autorin Endlich öffnen sich die Türen, Christian Wulff kommt heraus, gibt Fernsehinterviews. Joachim Hörster hastet eilig vorbei, dann erscheint Ingolf Deubel - Finanzminister aus Rheinland Pfalz. Es lief gut, sagt er: O-Ton Ja, genau wie erwartet. Man merkte deutlich, dass auch auf der Bundesebene die Argumente der Länder als zutreffend empfunden wurden. Natürlich hat der Bund versucht zu vermeiden, dass er mehr Geld zahlen muss. Am Schluss haben wir uns aber genau auf das geeinigt, was ich vorher erwartet hab: Das heißt 150 Millionen mehr Festbetrag vom Bund an die Länder zur Kompensation und das schon ab diesem Jahr, das ist ein gutes und faires Ergebnis. Autorin Statt null Euro gibt es künftig 150 Millionen: ein klarer Erfolg für die Länder gegen den Bund. Man sieht es Ingolf Deubel und seinem feinen Lächeln an: O-Ton Wir wollen am Freitag im Bundesrat das Gesetz dann passieren lassen. Da alle einverstanden sind, gehe ich davon aus, dass es am Freitag auch problemlos laufen wird. Autorin Er schaut auf die Uhr - halb acht - seinen für halb neun gebuchten Flieger schafft er spielend. Bleibt noch Zeit für eine letzte Frage: Was hält er von der Idee den Ausschuss öffentlich tagen zu lassen? Deubel schüttelt energisch den Kopf. O-Ton Der Vermittlungsausschuss ist relativ hierarchiearm. Es gibt auch keine echte Lagerbildung. Der Vermittlungsausschuss gehört ja zu den wirklich vertraulichen Sitzungen, so dass man seine Worte nicht so abwägen muss. Und das tut der Gesprächsatmosphäre sehr gut, weil die Öffentlichkeit fast immer dazu führt, dass man eine Bewegung häufig dann nicht vornimmt, weil man Sorge hat, dass das gleich als eine Art Niederlage empfunden werden könnte. Das heißt also: um gute Kompromisse zu machen, ist die Vertraulichkeit zwingend notwendig. Autorin Sagt es und verlässt den Vermittlungsausschuss als Sieger im Ring. Deubel hat einen guten Kompromiss durchgeboxt: Sämtliche Kfz-Angelegenheiten liegen jetzt in der Hand des Bundes. Es ist Licht in das Dickicht sich überlagernder Verantwortungen gekommen. Und die Länder gehen finanziell trotzdem nicht leer aus. Spr. vom Dienst Die stille Macht - Der Vermittlungsausschuss als Nebenparlament Von Katja Bigalke Es sprachen: die Autorin sowie Solveig Müller, Gerd Grasse und Joachim Schönfeld. Ton: Ralf Perz Regie: Roswitha Graf Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 19