Deutschlandrundfahrt "Unerhört schön" Schostakowitsch und das Bergdorf Gohrisch in Sachsen Von Lotta Wieden Sendung: 12. November 2011, 15.05h Ton: Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 Jingle und Kennmusik O-Ton 01 Uwe Kunze Natürlich wusste ich, dass Schostakowitsch hier war, aber das hätt' ich nie geahnt, dass solche Musik soo schön sein kann! O-Ton 02 Singender Koch La, la, la, la, laaaaahaha! O-Ton 03 Tobias Niederschlag Wir haben eben keine Carnegie Hall dort, aber es geht trotzdem. Und es erreicht die Menschen vielleicht sogar noch tiefer als bei mancher Veranstaltung in einem etablierten Konzertsaal. O-Ton 04 Klaus Kurt Und vielleicht in drei Jahren oder fünf Jahren pilgert vielleicht ganz Europa hierher. Weiß man ja nicht! Hahah! Sprecher vom Dienst: "Unerhört schön" - Schostakowitsch und das Bergdorf Gohrisch in Sachsen Eine Deutschlandrundfahrt von Lotta Wieden O-Ton 05 (08) Heidrun Ryback Es ist ja ein bisschen sehr unbeständiges Wetter. Wir fahren schnell durch'n Wald, dass uns der Baum nie erschlägt, weil ja ne Unwetterwarnung raus gekommen ist. Also bin ich weg. Tschüss! Atmo 01 (03): Tür einsteigen / 02:44 Autogeräusche. Autorin 01 Es ist ein kühler Septembermorgen. Heidrun Ryback, ganz in weiß gekleidet, steigt in ihren dunkelbraunen BMW, schaltet den Motor ein. Langsam biegt die 57-Jährige Ärztin auf die Dorfstraße von Gohrisch ein: Links und rechts schmucke Landhäuser aus der Gründerzeit - Hotels und Pensionen. Dahinter: Berge, Felsen - Wald soweit man gucken kann. 1050 Einwohner zählt Gohrisch, ein kleiner Kurort im Osten der Sächsischen Schweiz, nahe der tschechischen Grenze. Unten im Tal fließt die Elbe, manchmal tönt das Nebelhorn eines Dampfers herauf. Atmo 02 (04): Auto Radio - Popsong bei 00:11 sec Autorin 02 Heidrun Ryback ist auf dem Weg zu ihren Patienten, Hausbesuche machen. Noch einmal will sie nach dem Rechten sehen, bevor am Freitag die ersten Konzertgäste anreisen, die Praxis geschlossen bleibt. Seit Wochen schon geht es zu Hause nur noch um das Schostakowitsch-Festival. ((Freunde und Verwandte haben angekündigt, es wird eng werden, aber Heidrun Ryback freut sich: Einen Sektempfang soll es geben, und sie, die Frau Doktor, wird ihn ausrichten.)) O-Ton 06 H. Ryback während der Fahrt 02:07: Unsere Tochter kommt heute Abend, dann kommen noch zwei Helfer aus Leipzig und ein befreundetes Ehepaar aus Thüringen kommt auch noch - also ich hab dann auch noch fünf Gäste! ((Atmo 05: Das ist die Festung Königstein, traumhaft: Sie haben dort den Pfaffenstein und die Festung Königsstein - sieht doch toll aus!))?? Autorin 03 Es geht talwärts. Drüben auf der anderen Elbseite leben zwei von Rybacks Patienten in einem Pflegeheim. Heidrun Ryback schaut kurz nach hinten: Auf der Rückbank liegt ihre Arzttasche, daneben die Kiste mit den Karteikarten. Alles da. Jetzt muss nur noch das Wetter halten. O-Ton 07 (09) H. Ryback Hier gibt's eben öfters mal Windeinbruch. Gerade nach Gewitter. Deshalb vermeide ich das, wenn starker Sturm ist, durch Waldgebiete zu fahren. Also mir ist das wirklich echt passiert, dass hinter mir, dass ich das im Rückspiegel gesehen habe, wie der Baum (RADIO AUS) geflogen kam und ich war gerade durch. Also das hab ich wirklich schon erlebt. Atmo 03 (06): Autogeräusch. 09:46: MOTOR AUS, AUTO HÄLT. O-Ton 08 (10) H. Ryback So, jetzt gehen wir ins Pflegeheim und da sind zwei Patienten, und ich muss denen Blut abnehmen. (AUTOTÜR AUF) Das eine ist die // Frau Schräger, die ist auch eine ganz liebe: Wenn sie mich sieht, dann soll ich sie immer mit nach Gohrisch nehmen: Atmo 04 (07) Tür zur Station geht auf. "Morgen! - Ich geh zu Frau Schräger Blut abnehmen. Ich seh se bloß nicht. Ob sie hier ist? / Wenn man drin sitzt in dem Saal und man sieht die Künstler, wie die sich engagieren, dann findet man das toll. Autorin 04 Heidrun Ryback begleitet ihre Patientin aufs Zimmer. Seit 3 Jahren lebt die 65- Jährige Frau Schräger im Pflegeheim St. Joseph. Während sie den linken Arm frei macht, erzählt ihr die Ärztin das Neueste aus Gohrisch: Dass es jetzt mitten im Dorf einen kleinen Dimitri-Schostakowitsch-Platz gibt. Und dass auf der Wiese vor der alten Scheune gerade ein riesiges Zelt errichtet wird: Atmo 04 (01): Baulärm O-Ton 09 (05) U. Kunze Und mit diesem Schostakowitsch, mit dieser Möglichkeit, dass der nun mal hier / war, hier sein richtungweisendes Werk geschrieben hat, das einzige außerhalb von der Sowjetunion, das ist ein Pfund, mit dem muss man einfach wuchern. Das bedeutet wahnsinnige Arbeit, bedeutet aber auch wahnsinnige Freude. Autorin 05 Uwe Kunze steht in Jeans und frisch gebügeltem Hemd auf einer Wiese - ringsum Berge: Der Papststein, der Pfaffenstein - und der Gohrisch natürlich. Normalerweise hört man hier oben nur den Wind und das Summen der Bienen. Jetzt aber: Kommandorufe, Hammerschläge, Motorenlärm. Das Konzertzelt wird aufgebaut. Acht Männer schrauben ein dreiarmiges Gerüst zusammen. Es soll das kreisrunde, schneeweiße 19 Meter hohe Zelt wie eine Krake von außen umklammern und mit Seilen festhalten. Am Boden, Durchmesser etwa 30 Meter, stehen in einem Halbrund schon die Gerüste für die Sitzreihen. 600 Besucher sollen hier mal reinpassen. Dazu eine Bühne für die Musiker von der Sächsischen Staatskapelle - bis zum Wochenende muss alles fertig sein. Uwe Kunze rückt seine Designerbrille zurecht. Seit zwei Tagen überwacht der 61-Jährige Architekt den Zeltaufbau, ehrenamtlich, wie jeder hier, der beim Festival mithilft. Laut Zeitplan müssten sie schon viel weiter sein. Aber Kunze winkt ab. O-Ton 10 (06) U. Kunze 03:41: Viele Leute sind da ganz nervös, wenn das noch ganz so chaotisch aussieht. Das ist auf dem Bau immer so. Bis zur letzten Minute sieht das aus, wie nach einem Tornado. Aber wenn die letzte Minute vorbei ist, hat alles seinen Platz gefunden / Das wird hier ganz genauso sein, bin ich komplett optimistisch. Atmo 05 (02): Hämmer, Akkuschrauber Autorin 06 Optimistisch, das war Uwe Kunze vom ersten Tag an. Noch immer kommt er ins Schwärmen, wenn er an die Anfänge zurück denkt, damals 2009, als der Anruf aus der Semperoper in Dresden kam. Ob man in Gohrisch eigentlich wüsste, dass Dimitri Schostakowitsch hier im Sommer 1960 sein berühmtes achtes Streichquartett geschrieben habe - und ob man das nicht vielleicht ein wenig feiern könnte, 50 Jahre danach, mit einem kleinen Konzert, in Gohrisch, an authentischem Ort sozusagen. Bis zu diesem Anruf, sagt Kunze, habe er nicht allzu viel gewusst über Schostakowitsch, um ehrlich zu sein: O-Ton 11 (07) U. Kunze Null! - Null! Natürlich wusste ich, dass es Musik gibt von Schostakowitsch, aber ich hätte sie mir nicht angehört. Weil man Schostakowitsch nicht abends am Radio oder auf CD abends hören kann. Geht nicht! Also für mich nicht. Also Schostakowitsch muss man im Konzert hören. Und dann ist das so eine bewegende Musik! Die ist so was von wunderbar... Das hätt' ich gar nicht geahnt, dass solche Musik - und das ist ja keine einfache Musik, das ist ja nicht 0815 - das solche Musik soo schöön sein kann! MUSIK 1: Ausschnitt 8. Streichquartett ( 4. Satz ab 3:26 - 1 min., eventuell bis Ende ) O-Ton 12 (11) T. Niederschlag Also es ist sicher eine Musik, die diesen tragischen Zustand, in dem sich Schostakowitsch damals befand in den 60iger Jahren, doch sehr deutlich zum Ausdruck bringt. Also wirklich eine sehr nachdenkliche Musik, eine sehr schwermütige Musik auch, in der Schostakowitsch aber sein eigenes Leben reflektiert. Autorin 07 Tobias Niederschlag sitzt am Schreibtisch seines Büros, im Verwaltungstrakt der Semperoper in Dresden. Müde fährt er sich durch die dunklen Locken. Ringsum ihn herum: Stapel von Büchern, Konzerthefte. Auf dem Boden die aufgerissene Verpackung eines neuen Mobiltelefons, Kartons mit Briefumschlägen, Plakate mit Fotos von Schostakowitsch. Mit keinem anderen Komponisten hat sich der 34- Jährige Konzertdramaturg in den letzten Monaten so intensiv beschäftigt wie mit dem Russen, der 1960, im Alter von 54 Jahren zum ersten Mal nach Dresden und Gohrisch, in die damalige DDR reiste. Eigentlich war Schostakowitsch gekommen, um in Dresden Musik für einen sowjetischen Spielfilm zu schreiben. O-Ton 12 T. Niederschlag Ein Film, der die Rettung der Dresdner Kunstschätze zum Thema hatte durch die Rote Armee. Natürlich ein Propagandafilm - für den Schostakowitsch die Filmmusik schreiben musste. Er hat viele Filmmusiken geschrieben, um Geld zu verdienen. Das war der eigentliche Anlass gewesen hierher zu reisen und er ist dann noch weiter nach Gohrisch gereist und hat sich hier einquartiert.... MUSIK: Ausschnitt 8. Streichquartett ( 4. Satz ab 04:50 - bis Ende ) - kurz Autorin 08 Statt der Filmmusik schreibt Schostakowitsch in nur drei Tagen ein Streichquartett, das aus fünf Sätzen besteht, die ohne Pause ineinander übergehen. Eine Musik, die aus dem Nichts zu kommen scheint und wieder im Nichts verschwindet. Für Tobias Niederschlag gehört sie zu den persönlichsten Werken des Komponisten überhaupt. O-Ton 13 T. Niederschlag Das erkennt man an zwei Dingen: Zum einen daran, dass er die musikalische Chiffre für seinen Namen immer wieder in diesem Werk als Hauptmotiv / anklingen lässt. Und zwar ist das das Motiv D - S - C H. D für Dimitri und SCH für Schostakowitsch. Das ist das Hauptmotiv dieses Werkes, das wirklich alle Sätze durchzieht. Und dann gibt es auch viele eigene Zitate von Schostakowitsch, also wo er frühere Werke zitiert, die teilweise in der Sowjetunion verboten waren oder heftig kritisiert worden waren, wodurch er wirklich große Probleme hatte, Todesängste ausgestanden hat. Weil es sein konnte, gerade in den 30iger Jahren, dass er wirklich von heue auf morgen abgeholt würde oder in ein Lager verschleppt würde, oder umgebracht würde, das war damals ja alles ..., das passierte ja, auch Freunden von Schostakowitsch, er hat auch viele Freunde verloren, also es war eine große Angst, die da die Leute umtrieb, und das hört man auch in dieser Musik. MUSIK 2: Konzert für Trompete & Klavier 1. Satz, die ersten 4 sec weglassen + 5:25 Sprecher: Dimitri Dimitrijewitsch Schostakowitsch, geboren 1906 in Leningrad, ist 19 Jahre alt als ihm mit seiner ersten Symphonie gleich einen Welterfolg gelingt. Zehn Jahre und zwei weitere Symphonien später fällt er bei Stalin in Ungnade. Einige seiner Werke dürfen nicht mehr aufgeführt werden, viele andere lässt der Komponist von sich aus in der Schublade verschwinden. 1937 wird seine Schwester in die Verbannung geschickt, sein Schwager verhaftet. Für Schostakowitsch beginnt ein Leben zwischen drohendem Gefängnis und hohen Auszeichnungen für Werke, die Stalins Politik zu huldigen scheinen. Er darf ins Ausland reisen, nach Warschau, New York und Leipzig, muss aber in die KPdSU eintreten. 15 Jahre vor seinem Tod komponiert Schostakowitsch in Gohrisch sein achtes Streichquartett, das einzige Werk in seinem umfangreichen Schaffen, das er außerhalb der Sowjetunion geschrieben hat. O-Ton 14 T. Niederschlag Es gibt um dieses Werk auch immer ein großes Missverständnis, zudem Schostakowitsch auch selber beigetragen hat. Er konnte natürlich nicht sagen in der Sowjetunion, ich hab hier ein Stück geschrieben, wo ich mein eigenes Schicksal und mein Leiden unter dem Sowjetregime zum Ausdruck gebracht habe. Das ging natürlich nicht, das musste viel subtiler passieren. Und er hat dieses Werk ganz allgemein den Opfern von Krieg und Faschismus gewidmet. Das ist also der Untertitel dieses Werkes und wenn man sich das genau überlegt, merkt man natürlich schnell, dass er sich damit auch selber meint. Warten Sie mal, ich kann mal ganz kurz nachgucken. Ich hab das Buch nämlich hier: Autorin 09 Tobias Niederschlag holt ein Buch aus dem Regal: Eine Sammlung von 300 Briefen, die Schostakowitsch an seinen Freund Isaac Glikman, Professor am Petersburger Konservatorium, geschrieben hat. Atmo 08: Blättern O-Ton 015 T. Niederschlag Isaac Glikman war der beste Freund Schostakowitschs. / BLÄTTERN / Also das ist wirklich ein sehr intimer Briefwechsel, sehr privat und war auch zu Sowjetzeiten auch gar nicht erhältlich. MOMENT JETZT HABEN WIRS GLEICH: 16:26: ich les mal vor, also er hat geschrieben am 19.7.1960 war das, da war er schon wieder zurück in Russland: "Ich dachte darüber nach, dass ..." Darüber ein männlicher, etwas älterer Sprecher: Lieber I(z)saak Daw(i)ydowitsch, ich dachte darüber nach, dass, sollte ich irgendwann mal sterben kaum jemand ein Werk schreiben wird, dass meinem Andenken gewidmet ist. Deshalb habe ich beschlossen selbst etwas Derartiges zu schreiben. Man könnte auch schreiben: Gewidmet dem Andenken des Komponisten dieses Quartetts. O-Ton 016 T. Niederschlag ...Gewidmet dem Andenken des Komponisten dieses Quartetts! Grundlegendes Thema des Quartetts sind die Noten D- eS- C-H , das heißt, meine Initialen: Dimitri Schostakowitsch.//. Und dann listet er die Themen auf, die er selber also hier zitier hat, und schreibt dann ironisch, wie man das in all seinen Briefen findet: "Ein netter Mischmasch. Dieses Quartett ist von einer derartigen Pseudotragik" - auch das ist ironisch gemeint - "dass ich beim komponieren so viele Tränen vergossen habe, wie man Wasser lässt nach einem halben Dutzend Bieren." Aber man weiß, dass es wirklich ein Werk ist, er hat sich später auch immer wieder darüber geäußert, dass er sehr geschätzt hat, und wo er selber sich vielleicht auch immer wieder gewundert hat, was ihm da gelungen ist, in welcher Konzentration er da sein innersten in Musik gesetzt hat - und das war in der Sächsischen Schweiz in Gohrisch... MUSIK 3: eventuell hier noch mal das Konzert für Trompete & Klavier 1. Satz (kurz!) Atmo 09: Lautes Telefon klingeln, rascheln, dann Frauenstimme: "Ryback!?". - Nein, nein. Besitze ich gar nicht. Die Geräte hat nur der Dr. Frenzel ... - Bitte. Tschüß. Das ist eine Patientin, die wollte nur wissen ob ich ein 24-Stunden EKG habe, aber die Frage hat sich jetzt geklärt, ich habe keins. Autorin 10 Pflegeheim St. Joseph: Heidrun Ryback packt ihre Sachen zusammen, zwei Röhrchen mit rotbraunem Blut, verpackt in einem durchsichtigen Plastikbeutel, verschwinden in ihrer Tasche. Dann wendet sich die Ärztin noch einmal ihrer Patientin zu: O-Ton 017 H. Ryback - So, Frau Schräger. Noch Wünsche? Noch irgendwas, was wir besprechen müssten? - "Dass mein Sohn bald kommt, mich mal besuchen". - Wird schon kommen. Der Sohn hat ne Gaststätte und hat natürlich wenig Zeit, es ist ja jetzt Hochsaison. Gohrisch hat viele Urlauber, sind alle Gaststätten immer schön besucht, die Pensionen sind ausgebucht. Vermietet er auch noch? Hat er noch ne Pension? - eine Ferienwohnung - Eine Ferienwohnung hat er noch! No, er wird schon kommen. Er lässt die Mutti nicht im Stich, das glaub ich nicht. MUSIK 4: Notwist: "Where in this world" - nur kurz anklingen lassen oder weglassen und gleich in die Atmo "Baumlärm" blenden) Atmo 10: Baulärm / Lutz Ryback am Telefon: "Alles klar. Und der Wasili? Hast du den Wassili an der Backe? Super, ich danke dir. Bis heute Abend, super Tschüßi. Autorin 11 Lutz Ryback läuft, das Telefon am Ohr, über die Festwiese von Gohrisch. Zelt und Vorzelt stehen schon, von weitem sieht die schneeweiße Konzerthalle aus wie ein Palast aus Tausend und einer Nacht. Ryback, ein schlanker, weißhaariger Mann, Ende fünfzig, wippt nervös auf den Zehen. Früher war er Stabsoffizier der Nationalen Volksarmee, Luftstreitkräfte, heute verlegt er CDs, Fachbücher zum Anhören. Und er ist, was technische Fragen betrifft, die rechte Hand von Landärztin Heidrun Ryback. Die beiden sind seit 30 Jahren verheiratet. Die Praxis seiner Frau aber hat Ryback seit Tagen nicht mehr betreten. Schostakowitsch ist ihm wichtiger. Jeder, der sich nur ein paar Minuten auf der Baustelle aufhält, kann sehen wie wichtig: Gäbe es so etwas wie eine offizielle Planungsstelle "Schostakowitsch-Festival", Lutz Ryback wäre ihr Chef. Gerade läuft er hinüber zum Hauptzelt, davor sortiert eine Gruppe älterer Damen die samtenen Stuhlbezüge. Es sind die Frauen von der Sportgruppe. Atmo 11: Arbeitsgeräusche: Frauen in der Diskussionen, lachend, zählend - am Ende Laufen (Ryback) O-Ton 18 Erika von der Sportgruppe 11:03: Wir machen Gymnastik unter Anleitung einer ausgezeichneten Physiotherapeutin. - Auf hohem Niveau! - Auf ganz hohen Niveau!! 04:35 Das sind die Frauen, die sich freiwillig bereit erklärt haben, hier mitzuhelfen. 05:23: (seufzt). Aber das das natürlich so ein großes Arbeitspensum ist, haben wir natürlich alle nicht gewusst! 06:17 Wir müssen sortieren, Sie sehen wie schlecht das Material ist, und dann müssen wir die ganzen Stühle bestücken ... Aber nun müssen wir durch und müssen es meistern. - Kaffee? - Oh ja, Kaffee brauchen wir! Autorin 12 Lutz Ryback weiß, dass die Frauen schimpfen, er weiß aber auch, wie dieses Schimpfen zu bewerten ist. Lächelnd geht er auf sie zu: O-Ton 19 L. Ryback und die Frauen - Schaffen wir es, das jeder Platz eine ... Nee? - Also ich würde sagen, dass wird nicht reichen... - - Dann vorn anfangen. - Wir wollten so. - - Fangen Sie vorne an! Weil die letzten Plätze sind ganz am Schluss zu verkaufen. Und zur Not haben wir auch noch nur Sitzkissen. - Herr Ryback: Jetzt machen wir die Arbeit, und dann kommt vielleicht der Herr Sarazni und sagt: das hätten wir doch selber gemacht! - Nee! Das ist unsere Aufgabe. - Ist auch Ihre Aufgabe? Das haben wir alles nie gewusst. - Ich hab das gestern gewusst! - Da haben sie es lieber nicht gesagt? - Nee, das hat sich ja wirklich jetzt erst gegeben. Nee. Sonst hätten Sie es nicht gemacht? - Ach Quatsch! - Ach, quatsch, so ein Quatsch! - Nein! Herr Kunze hat gesagt: Zwei Mann, eine Stunde. Und ich hab fünf Mann und jetzt sind wir schon zwei Stunden da!! - Um Gotteswillen! Hahahah. Und dann komm ich gerade noch wegen einer neuen Aufgabe: Nee, das ist bloß ein Zimmerchen! 2x3 Meter, mal auszukehren und mal den Tisch abzuwischen. - Autorin 13 Manchen im Ort gilt Lutz Ryback als heimlicher Bürgermeister. Zumindest was das Festival betrifft, laufen bei ihm alle Fäden zusammen. Ryback weist die Helfer ein, organisiert die Technik für Catering und Pressebüro und hält den Kontakt zur Semperoper. Nur fünf Minuten zu Fuß sind es vom Festzelt zum Haus der Rybacks. Atmo 12: Schritte /Treppe Autorin 14 Hier, in der zweiten Etage, direkt über der Arztpraxis, hat sich Lutz Ryback sein Arbeitszimmer eingerichtet. Vom Schreibtischfenster aus ist der Papststein zu sehen, unten auf dem Boden, zwischen Drehstuhl und Bücherregal, liegt ein offener Schuhkarton mit alten Musik-Kassetten. Atmo 13: Kramen im Schuhkarton: Das sind die Oldies, Beatles, alles was in dieser Ära mit uns aufgewachsen ist / Phil Collins. Silly / Jean Michel Jarre - die elektronische Musik. Also weniger Klassik. ... Autorin 15 Seit Monaten will Ryback die alten Aufnahmen digitalisieren, aber er kommt nicht dazu. Ryback lebt viel zu sehr im Jetzt, um sich mit Vergangenem zu beschäftigen. Das war nicht immer so. Der ehemalige NVA-Offizier befehligte in der DDR bis zu 3.000 Soldaten, war überzeugtes Parteimitglied. Erst mit der Wende gerieten seine Ideale ins Wanken. Für Lutz Ryback begann ein Prozess, der ihn viele schlaflose Nächte kostete, eine psychosomatische Erkrankung mit sich brachte und die ersten grauen Haare. O-Ton 20 L. Ryback 07:04. Die Ideale / die haben sich während der Armeezeit geändert: Weil man die Realitäten gesehen hat, die sich in den 80er Jahren in unserer Gesellschaft eigentlich entwickelt haben. Und auch was wir nicht erfahren haben über Geschichte wie z.B. Katyn in Polen, mit den polnischen Offizieren, und Geheimabkommen zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Das sind also auch so Geschichten, wo man doch sehr nachdenkt. Und hinzu kamen natürlich auch die ökonomischen Schwierigkeiten und ... die Ideale ... die sind dann einfach nicht mit der Wende geplatzt oder so was, sondern das ist auch ein schleichender Prozess. Wo man eigentlich nachdenkt, worin eigentlich der Sinn der militärischen Tätigkeit in der DDR bestand. Autorin 16 Ryback räumt den Schuhkarton zur Seite, macht Platz für einen Stapel CDs. Als im Dorf der Verein "Internationale Schostakowitsch-Tage Gohrisch" gegründet wurde, zählte er zu den ersten Mitgliedern. Zwei Jahre ist das her, seitdem hat Lutz Ryback viel über Schostakowitsch gelesen. Er kennt seine Biografie, hat mehrere Filme über Schostakowitsch gesehen und er hat sich mit seiner Musik beschäftigt. Den Symphonien und Quartetten, vertrauter aber sind ihm die anderen Sachen: Atmo 14: Das ganz populäre, 2. Walzer - das eine Stück .../ CD einlegen Autorin 17 Ryback legt eine CD ein: O-Ton 21 L. Ryback 17:54: Die Jazzsuiten von Schostakowitsch, das ist natürlich richtig gute, populäre Musik. Da hat man einen Zugang, das ist klar. Aber zu bestimmten Sachen kennt man den Hintergrund nicht, da muss man schon ein Stück weit Klassik-Fan sein um ein paar Sachen zu verstehen. Atmo 15: CD startet, Musik ist zu hören/ Überblenden zu MUSIK 5 MUSIK 5 Walzer Nummer 2 - Aus den Jazzsuiten. Nach 1:20 langsam abblenden. Atmo 16: Telefonat im Auto mit Freisprechanlage: Und hier ist Ryback, guten Morgen. Ist ihr Doktor zu sprechen. Ne! - Können Sie ihn erreichen, fährt der Hausbesuche? Ja - sagen Sie ihm, dass // er jetzt nie ins Pflegeheim fahren muss... // Und ab wann ist denn der Doktor wieder da? - Heute Nachmittag. Gut... da melde ich mich heute Nachmittag. - Gut geht klar, danke. Tschüß. / Fahrtatmo Autorin 18 Heidrun Ryback ist auf dem Weg zurück zu ihrer Praxis, fährt zügig Richtung Gohrisch. Der Wetterbericht meldet den Abzug der Gewitterfront. Die ersten Sonnenstrahlen kommen durch, Ryback fährt über die Dörfer, nickt den Leuten im Vorbeifahren zu. O-Ton 22 H. Ryback Ich kann ihnen hier überall sagen, wer wo wohnt. Ich kenne alle. (Auto stoppt kurz) / Mit Hausnummer und mit Name, und meistens auch mit Diagnose, mir fällt eher die Diagnose ein als die Namen der Patienten. Das ist einfach so, wenn man 20 Jahre seine Patienten kennt, hat man zu dem Gesicht sofort die Diagnose. Ich hab mich mit Kollegen unterhalten, denen geht das auch so. Also die wissen sofort Diagnosen und Vorerkrankungen und der Familienname fällt dann als letzten ein, und der Vorname als allerletztes, das ist so bei Praktikern offensichtlich. 07:33: Da Er ist ein ganz lieber, der hier grad gelaufen kommt. Die Mutter erst vor kurzem gestorben. hmmm. 12.25 Und er hatte einen Schlaganfall, hat sich aber ganz gut wieder erholt... Autorin 19 Heidrun Ryback gibt noch mal Gas, es geht bergan, dann taucht das Ortseingangsschild von Gohrisch auf. Direkt dahinter, auf der rechten Seite, liegt der Albrechtshof... MUSIK Nick Cave & Warren Ellis: Song for Jesse, langsam einblenden, unter den Text legen: Autorin 20 ... früher Gohrischer Hof, ein offizielles "Gästeheim des Ministerrates der DDR". Bis zum Herbst 1989 durfte man auf der Straße vor dem Heim nicht mal halten. Gleich auf der Einfahrt stand ein Wachhäuschen mit Schranke. Zutritt Verboten. An diesem Ort erholten sich hohe DDR-Funktionäre, Staatsgäste und hin und wieder auch "verdiente Künstler". Hier wohnte auch Dimitri Schostakowitsch, bei seinem ersten Besuch 1960 und dann später noch einmal 1972, aber da war der Komponist schon schwer krank. Regie: Musik langsam wegziehen Atmo 17: Schritte O-Ton 23 Alex 25:25: Wenn wir jetzt nach rechts gucken, da sehen wir eine alte, abgewrackte Gärtnerei, die zu DDR-Zeiten hier / für die Anlässe für Blumen gesorgt hat, weil im Haus selber war ja mehr oder weniger alles vorhanden, auch eine Sauna, ein Kino, ein Arzt, Kosmetik, Frisör - war alles am Platz, alles hier drin, alles vorhanden! - Alles abgebaut, nicht mehr da. Atmo 18: Schritte Autorin 21 Alexander Stör streicht sich das aschblondes Harr aus dem Gesicht. Der 34-Jährige Bürokaufmann schlendert durch das Gelände des Albrechthofs. Zehn Hektar Wald gehören zum Hotelkomplex, eine Kegelbahn, Tennisplätze und Garagen - das meiste ist inzwischen verfallen. Vorn, Richtung Hauptstraße liegen die beiden Bettenhäuser: Haus eins, erbaut Anfang der 50er Jahre, steht inzwischen leer. Haus zwei, etwas weiter zum Wald hin gelegen, wurde 1969 eröffnet, zum 20. Jahrestag der DDR - es ist noch immer in Betrieb, wenn auch momentan nur für 16 Urlauber. Zwischen den beiden Häusern liegt ein Park, in seiner Mitte: eine Rotbuche, darunter ein kleiner, nierenförmiger Teich. Hier hat Dimitri Schostakowitsch gesessen, erzählen die Leute, im Sommer 1960, als er sein achtes Streichquartett komponierte. In einem Brief an seinen Freund Isaac Glikman schreibt er später: Sprecher: Man hatte es mir hier sehr gut eingerichtet. Gewohnt habe ich in Gohrisch, auch Kurort Gohrisch, nahe dem Städtchen Königsstein, 40 Kilometer von Dresden entfernt. Die Gegend ist unerhört schön. Übrigens gehört sich das für sie auch so, die Gegend nennt sich Sächsische Schweiz. Ich habe dort mein 8. Streichquartett komponiert - ein niemanden nützendes und ideologisch verwerfliches Stück. O-Ton 24 T. Niederschlag Das ist natürlich auch sehr sarkastisch gemeint, weil er in den Jahren 1936 und 48 sehr scharf kritisiert wurde für seine Werke in der Sowjetunion, wo man ihm vorgeworfen hat, dass also die Werke ideologiefeindlich sind, deswegen schreibt er hier ideologisch verwerfliches Quartett, wo er wirklich das zum Ausdruck gebracht hat, was er fühlt! Autorin 22 Die Rotbuche, findet Konzertdramaturg Tobias Niederschlag, wäre der ideale Ort für einen Gedenkstein oder zumindest eine Plakette, ein Hinweis darauf, dass einer der berühmtesten Komponisten des 20. Jahrhunderts hier eines seiner wichtigsten Werke geschrieben hat. Aber die aktuellen Betreiber vom Albrechthof sind nicht an Publicity interessiert, und auch das Zimmer, in dem Schostakowitsch damals wohnte, darf nicht betreten werden. Alexander Stör hebt ratlos die Hände. Er hat längst aufgegeben, das Konzept der Geschäftsleitung zu verstehen. Früher, als der Albrechtshof noch Gästeheim des DDR-Ministerrats der DDR war, haben hier bis zu 90 Angestellte gearbeitet: Zimmermädchen, Köche, Handwerker, Gärtner, Nachtwächter und Chauffeure. Heute sind sie nur noch zu acht. Dabei könnte die Anlage leicht zum einem Touristenzentrum ausgebaut werden, nicht nur für Schostakowitsch-Verehrer, sondern auch für Kunstkenner und Design-Liebhaber. Architekt Uwe Kunze: Atmo 19: Schritte auf Kies O-Ton 25 U. Kunze im Gehen Es ist wirklich die klassische Architektur der 50er Jahre, und das war eben nicht ostdeutsche Architektur der 50er Jahre. In den 50er Jahren gab's in der Architektur Ost und West noch nie. / Das ist also / ein Zeitzeuge / und das Wunderbare daran ist, die ist noch nahezu unverfälscht erhalten. Im Original: die Türen, die Fenster, die Gewände von den Balkonen, die Handläufe -alles! Die Marmorverkleidung, die Marmorfußböden, die Treppen - man kann es reiner nicht bekommen! Atmo 20: Schritte: 1:23: Alex Stör: Erst Treuhand, dann ein Schweizer, dann Treuhand, dann kam ein Tscheche. Dann 1999 an eine Frau Rheinsdorf bis 2001 oder 2002? .... Autorin 23 Schon fünfmal ist der Hof seit der Wende verkauft worden. Ob auch der jetzige Besitzer bald Pleite geht? Fest steht: Vom einstigen Glanz des Gohrischer Hofs ist nicht mehr viel übrig. Zwar steht Haus eins inzwischen unter Denkmalschutz, doch der Eigentümer hat das Gebäude kurz darauf für Urlauber gesperrt. Jetzt gammelt es vor sich hin. Nur Journalisten dürfen noch rein. Atmo 21: Tür wird aufgeschlossen. /02:50 Stör: "Und das ist noch ein DDR Bad, Achtung die Platte!" Autorin 24 Alexander Stör schließt die Tür zu einem Appartement auf: Links geht es zum Bad. Geradeaus liegt das Wohnzimmer. Zwei dunkelrot bezogene Drehstühle im 50iger Jahre Design stehen da. Dahinter ein schlankes Sofa auf schmalen Holzfüßen, daneben der Fernseher - ein Staßfurter-Original mit Fernbedienung aus dem VEB Kombinat RFT. Im Schlafzimmer - Einbauschränke aus massiver Buche, Nachttischlampen im Bauhausstil. Das alles im besten Zustand: Kein Kratzer, kein Fettfleck, nicht mal ein Krümelchen liegt auf dem Fischgrätenparkett. Ein Raum wie eine Filmkulisse. Hier also erholte sich die Nomenklatur der DDR. Karin Polte hat das alles noch vor Augen. Das frühere Zimmermädchen steht vor der alten Großküche und lächelt: O-Ton 26 Karin Polte Sindermann, Stoph, den Postminister, die hab ich alle erlebt. Ich bin ja nun im Zimmerdienst gewesen, 15 Jahre ( bald 20 Jahre). Und ich muss Ihnen sagen: Die ganzen Minister die waren die besten, aber die Hutträger, die Mappenträger, die da die Sekretäre waren, die waren nicht so besonders. Vom Postminister hab ich sogar ein Album bekommen voller Briefmarken! Und seitdem hab ich // dann immer weitergesammelt. / Alle Briefmarkensätze hab ich, die Ersttagsbriefe hab ich und alles. 06: Und dadurch hab ich die ganzen DDR-Sätze noch alle da./ Vier volle Bücher - die ganze DDR als Briefmarken // und heute weiß ich nichts mehr damit anzufangen. Autorin 25 Der Gohrischer Hof hat viele Geschichten von Hut- und Mappenträgern, von rauschenden Festen, geheimen Tagungen und skurrilen Gästen. Eine dieser Geschichten hat sich trotz Schweigepflicht schon zu DDR-Zeiten im Dorf verbreitet. Es ist die Geschichte von Kim Il Sung und seinem Klo. Im Frühjahr 1984 besuchte der nordkoreanische Staatschef eine Reihe von Ostblockstaaten. Kim Il Sung reiste mit dem Zug. Er brachte nicht nur seine eigenen Köche mit sondern auch sein eigenes Mobiliar. Im Juni erreichte er die DDR und wurde am "Gohrischer Hof" empfangen, und dann passierte es. Atmo 22: Leiter klappert O-Ton 27 Bernd Schreiber 32:41 Ja Gott, das gab natürlich erst mal eine unheimliche Auffuhr, erst mal die ganzen Vorbereitungen. Der hatte ja nun seine Sicherheitsleute, das ganze Haus wimmelte ja davon. Das war natürlich hier der Höhepunkt. Autorin 26 Bernd Schreiber steht, die Leiter in der Hand, vor dem Eingang zum Kühlraum . Der 72-jährige Rentner wird noch immer gerufen, wenn kleinere Reparaturen anfallen. 29 Jahre lang war Schreiber Hauselektriker am Gohrischer Hof. An den Besuch des Nordkoreanischen Staatschefs erinnert er sich noch ganz genau. Schon in der ersten Nacht wurde Schreiber alarmiert, er solle dringend kommen, man habe ein technisches Problem. O-Ton 28 Bernd Schreiber Und jedenfalls kam da jemand runter und meinte: Du musst unbedingt hier hoch kommen, bei denen brennt kein Licht mehr in dem sein Appartement. Ich sage: Na muss ich dort nei?! Nee, nei, darfst du nicht! Na, ich muss doch an die Sicherungen ran! Ich muss ja sehen, was für ein Defekt vorgelegen hat. Und dann sagen die mir: Ja, hier das Gerät hier, das hat diese Sache ausgelöst. Da hab ich mir das angeguckt und da war das echt eine Art Toilette, eine Wandertoilette, wo ein Schockfroster drin war. Also sein Kot wurde sofort, wie er aus dem Darm kam, schockgefrostet.... Wir hatten eine ordentliche Anlage mit 10 Ampere abgesichert und das Ding nahm schon fast 16 Ampere auf. Da musste die Sicherung also kommen. Können Sie mir folgen? Autorin 27 Warum der "Große Führer" eine Toilette mit Schockfroster brauchte, ist vielen Gohrischern bis heute ein Rätsel. Am häufigsten hört man im Dorf eine Erklärung, die auch Karin Polte, das frühere Zimmermädchen, überzeugt: O-Ton 29 Karin Polte Wenn bei uns ihm was passiert wäre, war sein ganzer Stuhlgang eingefrostet. Und da konnte man im Nachhinein noch nachforschen, wo er was gegessen hat. Heute kann ich drüber reden, weil ich ja heute sicher bin in meiner Welt. MUSIK 6. "Notwist" Atmo 23: Baulärm: Autorin 28 Uwe Kunze und Lutz Ryback stehen mit einem der Lastwagenfahrer vor dem Konzertzelt. Es geht um die Tieflader, die großen LKW müssen während der drei Festivaltage irgendwo bleiben. Lutz Ryback runzelt die Stirn: O-Ton 30 Ryback/Kunze - Ach du willst die Tieflader hier oben hinstellen? - Stellen wir gleich hier oben hin, das ist doch der beste Platz - Du weißt, dass ich da immer ein Problem habe: wegen der Sicht? - Naja, aber: Schostakowitsch war ja auch mehr oder weniger ein proletarischer Künstler, das passt. Produktion und Kultur haben bei ihm zusammengepasst, die hat er auch auf die Bühne gebracht, wenn wir hier das jetzt hier als äußeren Rahmen wieder bringen, dann tun wir ihm mit Sicherheit einen guten Gefallen. Wenn wir das jetzt alles wegräumen und kaschieren und so tun als wäre hier alles Natur und Landschaft ... - Nee, das gehört dazu. - Da können wir ein paar Strohballen davor stellen. - Nu. Autorin 29 Donnerstag, der Tag vor dem Eröffnungskonzert: Seit Wochen schon widmen Ryback und Kunze jede freie Minute dem Festival. Warum sie das alles machen? Lutz Ryback zieht überrascht die Augenbrauen hoch. Für Gohrisch natürlich. Damit auch in zehn, zwanzig Jahren noch neue Urlauber kommen. Und außerdem: O-Ton 31 L. Ryback ... das ist doch fantastisch, wenn man so ein großes Ding stemmen kann! Dass man plötzlich von einer destruktiven Tätigkeit zu einer absoluten, kreativen, konstruktiven, auch nach außen wirkenden Tätigkeit kommt. / Dass man was schafft, was Wirkungen zeigt, da draußen und dass man völlig andere Leute kennen lernt, wo man sonst nie einen Zugang gehabt hätte, ne Uwe! Dass man mit nem Dirigenten ganz persönlich ein Gespräch führt oder mit Leuten wie dem Tobias Niederschlag oder anderen. Autorin 30 Uwe Kunze nickt. O-Ton 32 U. Kunze 22:05: Das ist ein Geschenk, das ist ein kulturelles Geschenk, dass man Zugang bekommt einfach zu einer neuen Sichtweise. Natürlich wusste ich dass Schostakowitsch hier war, dass es Musik gibt von Schostakowitsch, aber ich hätte sie mir nicht angehört. / da braucht man einen gewissen Zugang dazu und den haben wir bekommen. Autorin 32 Nach dem Festival-Debüt 2010 war die Presse voll des Lobes, die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb: den Mitwirkenden sei etwas Einzigartiges gelungen, etwas, das man in dieser Ausgewogenheit sonst eher von Festivals wie in Salzburg oder Bayreuth erwarten würde. Der Artikel wurde in Gohrisch tagelang gefeiert. Salzburg oder Bayreuth - für Uwe Kunze war das, als hätte jemand auf die Liga verwiesen, in der man künftig spielen würde. O-Ton 34 U. Kunze 24:09: Das Jahr Eins war ein Erfolg. Ein grandioser. / Und wenn wir das so noch drei, vier Jahre hinkriegen, dann haben wir uns etabliert und dann wird die ganze Geschichte hoffentlich ein Selbstläufer. Autorin 33 Mehr als 100.000 Euro kostet ein Festivaldurchgang. Um Ausgaben zu decken: Reisekosten, Druckkosten, Transportkosten, Gelder für Zeltmiete und Zeltaufbau, für Heizung, Wasseranschlüsse und Catering. Bezahlt wird das alles mit Hilfe von Sponsoren und dem Geld, das durch den Kartenverkauf reinkommt. Das Fest wäre aber mindestens doppelt so teuer, und damit unbezahlbar, wenn die Musiker der Sächsischen Staatskapelle, Dirigent und Solisten, nicht auf ihre Gage verzichten würden. Die Künstler hätten eben sofort erkannt, dass es sich hier um etwas Besonderes handle, meint Konzertdramaturg Tobias Niederschlag: O-Ton 35 T. Niederschlag 06:16 Und / es war uns von Anfang an wichtig, dass, wenn man das macht, dass man das auf allerhöchsten Niveau macht. Wo natürlich auch international bedeutende Musiker mitwirken, und es war uns wichtig das Ganze so zu etablieren, dass man es tatsächlich auch überregional wahrnimmt. Das es nicht nur eine kleine Sache ist, die da stattfindet, wo das künstlerische Niveau sich vielleicht noch verbessern kann in den nächsten Jahren, sondern das klar ist: Die Staatskapelle als sächsisches Staatorchester engagiert sich dort, weil sie davon überzeugt ist, weil es wirklich ein besonderer Ort ist, eine besondere Idee, Schostakowitsch dort zu würdigen. Auf der anderen Seite glaube ich auch, dass es für unsere Musiker auch für mich selber eine große Bereicherung ist, einfach zu sehen, auf was eigentlich ankommt. / Weil wir haben eben keine Carnegie Hall dort, es sind viele Dinge einfach anders / aber es geht trotzdem und es erreicht die Menschen, vielleicht sogar noch tiefer als bei mancher Veranstaltung in einem etablierten Konzertsaal. MUSIK 7: evtl hier noch mal ein Auszug aus dem Konzert für Trompete & Klavier Atmo 24: Kassentippen. kurz O-Ton 36 H. Frenzel Ich stand kurz vor dem Verkauf, und dann kam das Schostakowitsch-Festival, und da dachte ich, du machst hier noch mal was Gutes rein. Und dann kam das mit der Ausstellung /und das hat mir dann so viel Spaß gemacht, und die Umsätze kamen // Das hat sofort funktioniert Autorin 34 Hannelore Frenzel, 58 Jahre alt, sitzt in Strickpulli und Jeans, an der Kasse ihres kleinen Ladens - "Frenzels Einkaufszenter" steht draußen über der Tür: Drinnen gibt es Limo, Bier und Süßes, eine Ecke für Postkarten, ganz hinten: Lottoscheine und Paketannahme. Ein ganz normaler Tante Emma Laden, wäre da nicht das Regal in der Mitte. Auf drei Etagen Ostprodukte: DDR-Waschlotion, DDR-Sonnencreme, DDR-Einkaufsnetze. Dazwischen ein Schildchen mit dem schlichten Hinweis: "Ausstellung". O-Ton 37 H. Frenzel Das sind wirklich viele Ostprodukte die ich hier habe. Unser Kaffee: Mokkafix: 125 g für 8,75. Ne 500g Packung gab's bei uns nicht. Da zeig ich doch ganz gerne, was gut und was nicht so gut war. Ich tue nicht einseitig berichten, sondern beide Seiten. Autorin 35 Letztes Jahr im Juni war Hannelore Frenzel so gut wie pleite, 10.000 Euro minus pro Jahr - irgendwas musste passieren. Dann kamen zwei Männer vom Verein DDR- Alltagskultur aus Berlin vorbei: Wissen Sie eigentlich, was für eine Halle Sie hier haben? Frau Frenzel weiß es jetzt - und sie wird nicht müde, es ihren Kunden zu erklären: O-Ton 38 H. Frenzel 05:01 Thunfisch haben wir nicht. Aber ich begrüße Sie ganz herzlich in meinem Laden, in der Raumerweiterungshalle. Wissen Sie was das ist? Eine Raumerweiterungshalle? Am besten, ich zeig Ihnen das. Hier ist der Tieflader. (weiter laufen lasse, darüber Text) Autorin 36 Hannelore Frenzel erzählt von früher von einem DDR-Ingenieur, der 1959 eine transportable Halle entwickelte. Ein Gebäude, das aus acht Tunnel-Elementen besteht, die sich wie ein Teleskop auseinander ziehen lassen, ohne Kran, ohne Hebetechnik - nur durch Muskelkraft. Aus 16 Quadratmetern werden innerhalb weniger Stunden Räume von bis zu 128 Quadratmetern, die je nach Bedarf als Eisdiele, Postamt, Konsum oder Kino dienen können. Wird die Halle nicht mehr gebraucht, lässt sie sich wieder zusammenschieben, auf einen Tieflader setzen und zum nächsten Standort bringen. 3.500 dieser so genannten Raumerweiterungshallen standen bis 1989 übers ganze Land verteilt in der ehemaligen DDR - heute gibt es noch neun. Eine kam 1972 nach Gohrisch. O-Ton 39 H. Frenzel / Kollegin Die Bauunterlagen zeigen mir nur, dass das 1972 gewesen ist. / Und die Kollegin, die ich jetzt hier habe, die hat die Eröffnung damals mitgemacht: - Kollegin: Da war schon was los hier. Mir brauchten eine Verkaufsstelle und die Gemeinde konnte sich nichts anderes leisten, das war praktisch die einzige Lösung, die es damals gab, die sollte ja nur 10 Jahre stehen bleiben, das sollte nur vorüber gehend sein, und ist eben immer noch. Atmo 25: Aber dann würde ich Ihnen noch gerne was anders zeigen. Badusan, und nun dürfen sie mal schnuppern... (weiter laufen lassen, darüber:) Autorin 37 Die Sache mit der Halle brachte Hannelore Frenzel auf die Idee mit den Ostprodukten. Auf die Ausstellung und auch darauf, all das zum Verkauf anzubieten, was an DDR-Artikeln heute noch hergestellt wird: Bautzner Senf, Rotkäppchen-Sekt, Spreewald-Gurken, Pfefferkuchen aus Pulsnitz, Schaumbad von Badusan, DDR- Kinderbücher - jetzt läuft der Laden wieder. So gut, dass Hannelore Frenzel überlegt, demnächst auch Biografien von Schostakowitsch anzubieten - schließlich steht das Konzertzelt nur 500 Meter von hier, immer die Dorfstraße hoch, rechts halten. Atmo 26 Kassentippen Übergehen zu Atmo Baulärm O-Ton 40 U. Kunze am M-Telefon Ja, hier ist noch mal der Uwe. Du ich hatte Kollegen von dir den Schlüssel gegeben für die Toiletten nachzufüllen. -Er mir in die Hand gedrückt?? Oh, da hab ich den einstecken. Jetzt reicht's langsam. In ca. einer halben Stunde reisen die Musiker an und dann ist Probe. Aber mir fehlen noch ein paar Handgriffe an den Außenanlagen. Und das macht Krach und das ist was ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen kann. - Schau'n mir mal. Autorin 38 Uwe Kunze steht im Vorzelt vor den Besuchertoiletten, geht noch einmal alle Taschen durch: Jacke, Hemd, Hose. Die Frauen von der Sportgruppe wollen endlich mit der Arbeit anfangen - irgendwo muss doch der Schlüssel für die Behälter mit den Papierhandtüchern stecken. Endlich zieht Kunze einen kleinen silbernen Schlüssel aus der Hosentasche. O-Ton 41 U. Kunze / Frauen Kunze: Also ich hab jetzt den Schlüssel! - Frau: Dann wollen wir das bestücken! Kunze: Dann geb ich Ihnen den Schlüssel Frau: Ja. geben Sie mir den an' Mann, den nehm' ich in volle Verantwortung!! Hier muss was rein! Kunze: Geht nie. Frau: Da müssen wir's hier liegen lassen. Kunze: Das ist die Männertoilette, die Männer waschen sich doch sowieso nie! Hahah! (Singt laut): "Männer sind Schweine!" (Lachen). Atmo 27: Geräusche von Rollkoffern, Gemurmel. Anspielprobe im Konzertzelt Autorin 39 Freitag-Nachmittag, drei Stunden vor der Eröffnung der 2. Internationalen Schostakowitsch- Tage. Auf der Dorfstraße von Gohrisch parkt ein Reisebus: Die Musiker sind angekommen. Normalerweise gastieren sie in Wien, Tokio, Berlin oder New York - jetzt also Gohrisch, Konzertzelt: Schostakowitschs Klavierkonzert Nummer 1 in c-Moll und die Symphonie Nummer 9 in Es-Dur stehen heute Abend auf dem Programm, dazu eine Kammersymphonie. Anspielprobe: Atmo 28: Anspiel-Probe im Konzertzelt Autorin 40 Der Klang ist ein wenig trockener als gewohnt, aber das hat Tobias Niederschlag auch nicht anders erwartet. Ohnehin hat der künstlerische Leiter des Festivals momentan ganz andere Sorgen: Gleich beginnt der Sektempfang für die Ehrengäste, das Lokalfernsehen will ein Interview und jetzt fehlt auch noch der Frack des Dirigenten: O-Ton 42 T. Niederschlag am M-Telefon Genau. Nein in Gohrisch. Bitte dringend ins Waldparkhotel fahren, er braucht seinen Frack, dringend! Fahren Sie mal hin. Geben Sie den Frack da für ihn ab, bitte, es eilt sehr. Vielen Dank. Danke. Autorin 41 Es sind die Stunden, in denen die Zeit für die Festivalmacher zu rasen scheint, während das Dorf gleichzeitig in größter Ruhe vor sich hin döst. Hannelore Frenzel vom Einkaufscenter macht ihren Laden dicht. 400 Euro Umsatz heute, das ist nicht schlecht, aber schließlich muss sie jetzt für die touristenarme Zeit im Winter mitverdienen. Langsam stiefelt sie nach Hause - aufs Enkelkind aufpassen. Sohn und Schwiegertochter wollen zum Eröffnungskonzert. Atmo 30: Sektempfang im Gemeinderat, Gläser klirren, Lachen. Autorin 42 Heidrun Ryback, die Landärztin, hat sich unterdessen umgezogen. Im schwarzen, ärmellosen Abendkleid eilt sie hinüber zum Gemeindezentrum, wo gleich der Sektempfang beginnt, und eine neue Aufgabe für sie: Gläser füllen, Mineralwasser reichen, eine gute Gastgeberin sein. Eigentlich keine große Sache, aber wenn man so aufgeregt ist? O-Ton 43 H. Ryback: 03:27: Eigentlich müsste ich ja Sekt trinken, damit ich auf höre mit Zittern, aber ich werde wahrscheinlich Apfelschorle trinken. Autorin 43 Eine halbe Stunde später beginnt sich das ausverkaufte Konzertzelt zu füllen. Tobias Niederschlag schüttelt noch ein paar Hände, dann setzt er sich ins Parkett, letzte Reihe. Schräg hinter ihm, nur weiter oben, auf der Empore, nehmen die Frauen von der Sportgruppe Platz. Ganz außen, links: Uwe Kunze mit seiner Frau. Und in der Mitte Landärztin Heidrun Ryback mit Tochter, Mutter und Schwiegermutter Nur ihr Mann, Lutz Ryback, kann jetzt einfach nicht sitzen. Nervös auf den Füßen wippend steht er ganz allein, direkt vor dem Seitenausgang. Dann wird es dunkel im Saal - die Musiker betreten die Bühne, der Dirigent hebt den Taktstock: MUSIK 7 - 2. Satz der Kammersymphonie op.49a nach dem Streichquartett Nr. 1 Regie: Musik kann bis 1:30 min stehen bleiben, dann: Überblenden in die Kennmelodie Sprecher vom Dienst: "Unerhört schön" - Schostakowitsch und das Bergdorf Gohrisch in Sachsen Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Lotta Wieden Ton: ?? Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2011 Manuskript und eine Online-Version der Sendung finden Sie im Internet unter dradio.de 2