Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 06. Juni 2011, 19.30 Uhr Basta! Über die Sehnsucht nach einem Machtwort Von Thomas Klug Effekt/Regie: Löwe Autor: Raubtiere brauchen Beute. Es geht nicht ohne. Effekt: Löwe Autor: Parteien brauchen Wähler. Es geht nicht ohne. Effekt: Politiker-Rhetorik (Archivtöne) Autor: Raubtiere sind auf der Jagd. Und die Parteien sind es. Das muss man nicht mögen. Aber will man Raubtieren ihren Jagdinstinkt vorwerfen. Und Parteien den Willen zur Macht? Kreuzblende: von Löwengebrüll zu Politiker-Rhetorik und zurück Autor: Raubtiere lauern ihren Opfer auf, schleichen sich an oder verfolgen sie. Die Beute wird nach erfolgreicher Jagd verschlungen. Die Parteien gehen ein wenig anders mit ihren Wählern um, denn die werden ja noch gebraucht - bei der nächsten Abstimmung. Die Parteien umgarnen ihre Wähler. Sie versprechen ihnen vieles. Sie schleimen sich an sie heran. Dazu haben sie haben Strategien. Und sie haben sogar Prinzipien. Eines lautet: Geschlossenheit - vom einfachen Mitglied bis zur Chefetage der Partei. Oder: Wer anders denkt, soll die Klappe halten. Sonst kommt ein Alphatier und sagt: Spr. v. D.: Basta! Autor: Eines scheinen Parteien nämlich so gar nicht zu mögen: Streit. Effekt/Regie: Sp. v. D.: Über die Sehnsucht nach einem Machtwort. Take 01 Merkel Und ich halte dieses Vorgehen für alternativlos. Sp. v. D.: Ein Feature von Thomas Klug Take 02 Schröder Freuen Sie sich darüber und sitzen nicht nur miesepetrig rum und machen alles schlecht. Das bringt doch nichts. Autor: Mensch und Staatsbürger hat es nicht leicht, wenn er die Reden der Obrigkeit hört: Take 03 Stoiber Ich mache nicht nur leere Versprechungen, ich halte mich auch daran. Autor: Ständig soll der Mensch abgeholt oder mitgenommen werden, ständig will die Politik nah am Mensch sein, am liebsten in seiner Mitte. Da darf man sich nicht wundern, wenn Mensch und Staatsbürger einfach die Tür schließt und fest verriegelt, weil er keine Lust hat, Politiker so nah an sich heranzulassen und schon gar nicht von ihnen abgeholt werden will. Und will sich wirklich noch jemand etwas versprechen lassen? Take 04 Merkel Zum Kotzen ist, wenn man vor der Wahl das eine verspricht und anschließend das Gegenteil macht. Autor: Doch es kommt noch schlimmer: Mensch und Staatsbürger, im "Politikersprech" einfach nur der Wähler genannt, wird zum Augenzeugen der politisch Mächtigen erkoren. Weil die nicht so recht wissen, wer dieser Wähler ist, das aber nicht zugeben wollen, taucht der Mensch und Staatsbürger in ihren Reden auf: In Form des Taxifahrers oder der schwäbischen Hausfrau. Take 04a Steinmeier Oder die Verkäuferin beim Bäcker oder beim Fleischer bei der wir einkaufen, oder die beim Schlecker, Aldi oder Lidl. Autor: Das soll Nähe suggerieren. Und Einigkeit mit ihm - dem Wähler. Ist das nicht ein Gegenentwurf zur demokratischen Debatte? Und vor allem: Wer soll das aushalten? Take 05 Staeck Ich komme aus einer Kleinbürgerfamilie, Sprecher: Klaus Staeck Take 06 Das habe ich nie vergessen und kenne die Ängste und Sorgen der Kleinbürger glaube ich ganz gut. Deshalb kann ich auch mit meiner Satire da ansetzen, um sie zu treffen. Aber die Sehnsucht der Kleinbürger nach notfalls fauler Harmonie, es gibt ja auch so was, ist immens. Und sie sind immer leicht zu beunruhigen, sie sind sehr schnell zu erschrecken. Effekt: (der die beiden Zitate immer einrahmt) Sprecher : Ein Abend, an dem sich alle Anwesenden einig sind, ist ein verlorener Abend. Albert Einstein. Sprecher : Wenn wir uns einig sind, gibt es wenig, was wir nicht können. Wenn wir uns uneins sind, gibt es wenig, was wir können. John F. Kennedy Effekt: Autor: Über die Einigkeit kann man sich also schon einmal uneins sein. Und dann? Wer entscheidet nun, was richtig ist? Oder falsch. Soll man solange diskutieren, bis der letzte überzeugt ist? Oder bis alle eingeschlafen sind? Parteien wollen Macht. Und das ist nicht nur ein Wort. Sprecher: Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste: Take 07Staeck Eine Partei, die immer nur wartet, bis sie den letzten auch der eigenen Leute überzeugt hat, ja, wie um Himmels willen, wollen die denn andere dazu bringen, wenigstens bei einer Wahl ihr Kreuzchen an ihrer Stelle da zu machen. Die Sache ist viel komplizierter, wenn man sich wirklich mal der Sache stellt und die menschlichen Eigenschaften mit berücksichtigt. Archiv-Ton Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Er als künftiger Bundesvorsitzender hat nur einen Schuss. Autor: Gut, manchmal ist die Sehnsucht verständlich. Dann, wenn die Metaphern mal wieder mit den Parteimitgliedern durchgehen. Dann, wenn die kleine Partei mit Selbstzerfleischung beschäftigt ist. Dann ist es vielleicht unvermeidbar - das Machtwort. Es wird gefordert, es müsse endlich gesprochen werden, es sei unabdingbar, unumgänglich. Denn ein Streit, eine Diskussion könnte ja schaden. Das Machtwort soll das Ende einer Debatte aufzeigen und wirken wie ein Zauberspruch. Das Machtwort als die Lösung aller Probleme. Die Forderung nach einem Machtwort hat ihren Stammplatz in der Floskelabteilung der politischen Rede. Sprecher: Ottmar Schreiner, direkt gewählter SPD-Bundestagsabgeordneter: Take 08 Schreiner Ich weiß nicht genau, was ein Machtwort ist. Möglicherweise ist das Wort "Basta" ein Machtwort. Sprecher: Bärbel Höhn, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen: Take 09 Höhn Ach, ich bin eigentlich gar keine, die wirklich Machtworte spricht, weil ich einfach gelernt habe, dass es viel sinnvoller ist, die Leute zu überzeugen, wenn ich sie wirklich mitnehmen will. Effekt: Take 10 Merkel Das sind aber Dinge, über die darf man nicht diskutieren, die muss man einfach machen. Autor: Machen versus diskutieren. Dabei ist doch Diskutieren eine der Aufgaben der Politik. Reden, überzeugen, streiten - stellvertretend für das Wahlvolk und mit ihm. Doch Streit ist mühsam - in der eigenen Partei und mit den anderen Parteien. Archivtöne Zusammenschnitt Effekt/Regie: Schlag Regie: ruhige Musik einblenden, z.B. Harfe Autor: Endlich Ruhe. Alles wieder auf Anfang. Keine Debatte. Keiner, der dazwischenredet. Keiner der Fragen stellt. Ruhe, ruhiger als ein Sommermorgen auf dem Lande. Geschlossenheit wie auf einem SED-Parteitag. Friede, Freude. Und der unvermeidliche Eierkuchen. Was aber dann? Regie: Paukenschlag Autor: Ruhe wird auf Dauer langweilig. Außerdem gibt es immer einen, der die Ruhe stört. Der nicht der Harmoniesucht verfallen ist. Abweichler wird dann gesagt. Take 11 Staeck Wer von Abweichlern spricht, der hat in der Regel Kaderparteien im Blick. Da ist das so. Autor: Abweichler freundlicher ausgedrückt heißt: Störenfried. Take 12 Staeck Muss man sehr aufpassen, dass man Leute, die stören, nicht als Störer bezeichnet. Wir hatten in der Partei in Heidelberg mal jemand, der hat es darauf angelegt, ein bisschen die anderen, auch die Vorsitzende, zu ärgern, ganz vorsichtig, in dem er immer dagegen stimmte, was auch immer beschlossen wurde und versuchte, Leute hinter sich zu bringen. Sprecher: Klaus Staeck, Künstler und Mitglied der SPD. Take 13 Staeck (Fortsetzung) Bis ich mal eines Tages zu ihm gesagt habe, Gerd, ich glaube, du könntest jetzt eine Abstimmung herbei führen, wer für den Weltfrieden ist. Aber weil du den Antrag stellst, wäre wahrscheinlich eine große Mehrheit gegen den Weltfrieden, obwohl sie für den Weltfrieden sind. Wenn Sie in einer Gemeinschaft leben, in einer Gemeinschaft, die versucht, miteinander auszukommen. Solange Sie ein Individualist sind und durchs Leben huschen, stellen die Fragen sich in der Regel doch gar nicht. Aber wenn Sie in einer Gruppe sind und die Gruppe hat etwas vor, es muss doch gar keine Wahl sein, das kann man doch in jeder Gruppe lernen und studieren und die Gruppe etwas erreichen möchte und es gibt Leute, die auch nach langen Diskussionen nicht bereit sind, dann doch mal den Weg mitzugehen, den man mühsam beschlossen und gefunden hat, dass dann die Gruppe sagt, jetzt geh lieber deine eigenen Wege, mit uns nicht mehr - das ist einfach für mich verständlich, obwohl auch ich immer zu der Minderheit gehört habe. Autor: Die Frage ist: Wann ist das Ende eines Streits erreicht? Das Machtwort wird dann verlangt, wenn die politische Diskussion unübersichtlich ist. Mit einem Machtwort kann sich die Politik schwieriger Debatten entziehen. Und die Bürger können sich in klaren, geordneten Verhältnissen wähnen. Das Machtwort aus Ausdruck einer Sehnsucht nach Übersichtlichkeit. Und das Machtwort ist so ziemlich das Gegenteil von einem guten, produktiven Streit. Doch was ist ein guter Streit überhaupt? Effekt: Sprecher: Beim Streit gibt es keine Schonung: Wer sich vom Gegner mit ganzer Kraft angegriffen fühlt, der muss sich mit all seiner Kraft verteidigen und so gewinnt der Geist an Genauigkeit und Schärfe. Jean-Jaques Rousseau Sprecher: Ein langer Streit beweist, dass beide Seiten Unrecht haben. Voltaire Take 14 Staeck Es gibt wenn man den Bundestagsdebatten aufmerksam zuhört, gibt es viele Auseinandersetzungen, wo man das Gefühl hat, ja da wird wirklich um eine Meinung gerungen und der andere nicht von vorn herein so ins Abseits gestellt, dass seine Meinung als exotisch gilt. Es geht ja in der Regel immer voraus, dass der Fraktionszwang aufgehoben wird, was ja schon ein seltsames Wort ist in der Demokratie. Fraktionszwang widerspricht ja eigentlich dem freien Willen des Parlamentariers, den ja jederzeit praktizieren soll. Es gibt verschiedene Debatten, wenn es um Verjährung geht, seinerzeit gab es mal eine Debatte um Verjährung der Nazi-Verbrechen, da wird dann doch viel differenzierter gesprochen und nicht nur für die Mikrofone, die dann in die Öffentlichkeit verlängert werden sollen. CD/Regie: treibende Musik im Hintergrund Sprecher: links/rechts, schnell nacheinander Hartz IV, Atomkraft, FDP, Leiharbeit, Bankenrettungsschirm, Sarrazin, Gesundheitsreform, Steuergesetzgebung, Euro-Rettungsschirm, Bundeswehrreform, Stuttgart 21, Staatsverschuldung, Wirtschaftsförderung. Autor: Es lässt sich über vieles streiten. Trefflich. Und weniger trefflich. Der Themen gibt es reichlich. Manche sind alt, uralt. Manche nur für Augenblicke interessant. Doch es gibt wohl nichts, wozu es nicht wenigstens zwei verschiedene Meinungen geben kann. Take 15 Staeck Einen guten politischen Streit macht aus, dass die beiden Partner, wenn sie sich denn streiten, nicht von vornherein von einem Vernichtungswillen des anderen ausgehen. Sprecher: Klaus Staeck, Grafiker, Karikaturist und Präsident der Akademie der Künste Take 16 Staeck (Fortsetzung) Also nach dem Motto: Ich habe 100 Prozent Recht, der andere muss durch welche, auch falsche Argumente überzeugt werden, meiner Meinung zu folgen. Das wäre der schlechte Streit. Take 17 Schreiner Dass er möglichst in solidarischer Form ausgetragen wird Sprecher: Ottmar Schreiner, Bundestagsabgeordneter der SPD Take 18 Schreiner (Fortsetzung) und das dann zu guter Letzt die Mehrheit entscheidet. Entscheidend ist für mich, dass es nicht zur Diffamierung genutzt wird, dass es nicht unter die Gürtellinie geht, dass es fairen Regeln folgt. Dann kann ein solcher politischer Streit einer Partei nutzen. Autor: Ein Streit, der einer Partei nutzt. Die oft beschworene offene und ehrliche Auseinandersetzung. Die gibt es in der Politik. Manchmal sogar zwischen unterschiedlichen, also konkurrierenden Parteien. Und manchmal gibt es diese offene und ehrliche Auseinandersetzung nicht einmal in der eigenen Partei. Effekt: Autor: Die Geschichte von Ottmar Schreiner. Ehemals Bundesgeschäftsführer der Sozialdemokraten. Es ging schnell, in den oberen Partei-Gefilden ein Ehemaliger zu werden. Dort meinten sie es nämlich ernst mit einem, der brummelte, statt mitzuziehen, dem eine eigene Meinung mehr wert war als Geschlossenheit. Take 19 Schreiner Eine der härtesten Drohungen war ja in den stürmischen Zeiten der Agenda 2010, dass man darauf hinwirken würde in den Wahlkreisen, dass es nicht zu einer Wiedernominierung kommen würde. Ich habe das für lächerlich gehalten, weil bei mir die Wahlkreispartei souverän genug gewesen wäre, das entschieden abzuwehren. Gleichwohl ist es versucht worden und als Drohinstrument benutzt worden. Bei einigen anderen mag das dann in den Wahlkreisen möglicherweise anders ausgesehen haben. Es ging sogar soweit, dass von einigen gefordert worden ist, die Bundestagsmandate niederzulegen. Autor: Die SPD-Führung hatte eine Idee. Der Idee gaben sie den Namen Agenda 2010. Reformen sollten das sein - angeblich dringende, ganz nötige Reformen. Das Wort "alternativlos" verwendete man damals noch nicht. Ottmar Schreiner sah die Wirkungen der Reformen: Altersarmut, Billigjobs. Und obendrein Stimmenverlust für die SPD. Schreiner und eine Handvoll weiterer SPD-Bundestagsabgeordneter sagte nein zu den Vorhaben. Müntefering sagte zu ihnen: "Abweichler": Take 20 Schreiner Das ist auch eine diffamierende Vokabel. Die Frage ist, wer weicht von etwas ab. Ich kann nachweisen, dass in den zentralen Politikfeldern, die ich kritisiert hatte, das war die Agenda 2010, das war die Rente mit 67, das war die so genante Rentenreform nach 2001, die aus meiner Sicht zu mehr Altersarmut führen werden, wenn die Maßnahmen in allen Konsequenzen realisiert werden, die sind über Stufen angelegt. Das die Führung der Partei in Gestalt der damaligen Bundesregierung jeweils von den Beschlüssen der SPD massiv abgewichen ist und die eigentlichen Abweichler da ganz woanders gesessen haben oder diejenigen, die die Beschlüsse der Partei vertreten hatten, als Abweichler beschimpft worden sind. Autor: Ottmar Schreiner beugte sich nicht - trotz der Verunglimpfung. Gegen die Gremien- Mehrheit in der SPD konnte er sich nicht durchsetzen. Die einfachen SPD-Mitglieder glaubte er hinter sich. Aber konnte er sich sicher sein? Manchmal hatte er Zweifel an seinem Kurs: Take 21 Schreiner Die hat man ohne jede Einschränkung auf den langen Strecken eines solche Prozesses häufiger, nach dem Motto: Spinnen die anderen oder spinnst du selbst. Das prüft man schon hin und wieder mal durch. Autor: Abgeordnete sind nur ihrem Gewissen unterworfen, sagt das Grundgesetz. Das Gewissen von Ottmar Schreiner gefiel den Fraktionskollegen nicht. Sie wechselten die Straßenseite. Manche fanden, einer mit so einem Gewissen, müsse nicht noch einmal in den Bundestagstag gewählt werden. Das waren die Parteifreunde. Effekt: Sprecher: Lass dich nur in keiner Zeit zum Widerspruch verleiten! Weise fallen in Unwissenheit, wenn sie mit Unwissenden streiten. Johann Wolfgang von Goethe Sprecher: Den Menschen lass ihr widerspenstig Wesen! Ein jeder muss sich wehren, wie er kann, vom Knaben auf, so wird's zuletzt sein ein Mann. Johann Wolfgang von Goethe Autor: Vielleicht schadet Streit? Dann, wenn man gerade die Regierung stellt? Dann, wenn die Entscheidungen getroffen werden müssen? Take 22: Höhn Gerade wenn man in der Regierung ist, wird das auch erwartet. In der Zeit, als ich da Ministerin war, habe ich da bestimmt 600 Entscheidungen fällen müssen, jede Woche. Sprecher: Bärbel Höhn, ehemalige Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen Take 23 Höhn (Fortsetzung) So dass man auch guckt, wie macht man möglichst wenig Fehler. Wenn wir z.B. am Montagmorgen in der Runde mit den Abteilungsleitern, wenn ich da gesessen habe und wir die Sachen für die Woche durchgegangen sind, dann hat einer mal gesagt, wir diskutieren das immer und am Ende fasst das die Frau Ministerin zusammen und das ist dann doch wieder ihre Position gewesen. Da hat er sozusagen das Machtwort etwas angesprochen. Am Ende muss dann die Entscheidung stehen und die Person, die am Ende, die dafür verantwortlich ist, muss es dann auch tun, muss dafür notfalls auch den Kopf hinhalten. Aber das ist noch etwas anderes, wie das kommt. Ob ich jetzt sage: Basta, es wird so gemacht. Oder ob ich das einfach ausdiskutiere, mir noch mal die Argumente der anderen anhöre, weil ich könnte ja selber auch etwas nicht richtig gesehen haben und deshalb ist es schon ganz gut, auch die Gegenargumente mitzubekommen. Autor: Die Grünen sind bekannt für ihre Basisdemokratie. Belächelt. Geschätzt. Manchmal gefürchtet. Und die Grünen selbst haben sich nicht geschont: Archiv-Ton Bielefelder Parteitag der Grünen Take 24 Höhn Sogar bei der Diskussion, die wir da in Bielefeld geführt haben, da hat ja sogar der Joschka Fischer so einen Farbbeutel an den Kopf gekriegt. Das sind natürlich so Sachen, die gehen nicht, die muss man auch wirklich ablehnen. Ich hatte auch eine sehr emotionale, auch persönlich, es war für mich eine harte Entscheidung, eine Rede gehalten. Und der Joschka war total sauer, weil er plötzlich gemerkt hat, dass ein großer Teil der Delegierten mit da zugestimmt hat und ihm nicht folgen wollte und da hat er dann irgendwie gesagt: Diese Frau wird in der Partei nie mehr was. Das geht dann schon immer hart zur Sache. Trotzdem finde ich, kann man daraus lernen. Wir Grüne haben ja nicht diese platten Positionen, ich sag mal: Privat vor Staat oder andersrum alles verstaatlichen und alles wird gut, sondern wir versuchen ja gerade, durch diese Debatten alles etwas differenzierter zu sehen, vielleicht auch realistischer, denn die Welt ist ja nicht nur schwarz und weiß, sondern bunt. Und dieses Bunte auch ein Stück nachzuvollziehen - das versuchen wir auch in diesen Debatten, auch in diesem Streit. Streit ist auch nichts Schlimmes, finde ich, wenn es nicht zum Zank wird oder zur persönlichen Beleidigung, dann finde ich Streit eigentlich wichtig und notwendig, gerade in einer politischen Partei. Solange es eine Streitkultur gibt, ist das ja auch noch in Ordnung. Sprecher: Gehorch der Obrigkeit und lasse die anderen über sie streiten. Matthias Claudius Sprecher: Mit Churchill habe ich mich viel und bitter gestritten, aber wir sind immer miteinander ausgekommen. Mit Roosevelt habe ich mich niemals gestritten, aber ich bin niemals mit ihm ausgekommen. Charles de Gaulle Autor: Eigentlich scheint der Streit ein gesellschaftliches Hobby zu sein. Menschen streiten sich, wie die Kesselflicker. Man befrage Nachbarn, Polizisten, Anwälte. Und doch scheint der Streit wenig anerkannt. Ruhe sei die erste Bürgerpflicht. Und die erste Pflicht für Parteimitglieder sei Geschlossenheit. Warum soll es keinen Streit geben? Take 25 Schreiner Weil offenkundig das Missverständnis verbreitet ist, dass ein politischer Streit einer Partei auf jeden Fall und zwingend schadet. Dieser Auffassung bin ich nicht. Sprecher: Ottmar Schreiner, SPD-Bundestagsabgeordneter: Take 26 Schreiner (Fortsetzung) Wenn die SPD im Beispielsfall in den frühen 80er Jahren sich gestritten hat, intern, sehr heftig, über die zivile Nutzbarkeit der Kernenergie, dann war das ein Streit, der stellvertretend für die gesamte Gesellschaft in der Partei ausgetragen worden ist. Denn genau diese Auseinandersetzung wurde auch in der gesamten Gesellschaft geführt. Wenn also die Bevölkerung den Eindruck hat, es geht um ein außerordentlich wichtiges Thema, das auch von der Bevölkerung selbst kontrovers gesehen wird, möglicherweise bis hinein in die Familien usw. Unterschiedlich diskutiert wird und ein solcher Streit innerhalb einer Partei dann fair geführt wird, dann kann dieser Streit produktiv sein und einer Partei nutzen. In dem Fall ist die Auffassung, ein politischer Streit schadet einer Partei, halte ich für absurd. Autor: Also Bühne frei für den nächsten Streit? Die Wirklichkeit ist komplizierter: Take 27 Staeck Der Streit wird bis zu einer gewissen Grenze ertragen, wenn es zwischen den Kämpfern im Ring, wenn also die große Partei X die große Partei Y bekämpft. Sprecher: Klaus Staeck, Graphiker und Karikaturist Take 28 Staeck (Fortsetzung) Wenn jetzt die kleine Partei, die an derselben Front arbeitet, die andere Partei bekämpft, empfinden wir schon als komisch. Jedenfalls, wenn die Linke die SPD bekämpft und umgekehrt, dann sagen viele Leute, das sind zwar zwei Parteien, aber eigentlich sollten sie sich doch irgendwie einig sein, denn schließlich erwartet man von denen, wie soll es denn anders gehen, mal die Regierung übernehmen. Also da fängt es ja schon an, dass die Leute nicht bloß den internen Parteienstreit als lästig empfinden und die eigenen Leute, das weiß ich nun nach 50jähriger SPD- Mitgliedschaft auch, dass sie die Mitglieder die vertrauen auf die Führung in der Hoffnung, dass sie es besser weiß, dass die, zumindest dann, wenn sie in die Öffentlichkeit treten, eine Meinung vertreten, der man sich anschließen kann, weil sie selbst nicht in der Lage sind, alles zu durchschauen. Take 29 Höhn Die inhaltliche Auseinandersetzung, also ohne den anderen wirklich zu verletzen, das ist ein ganz wichtiger Teil auch der Demokratie, weil genau das macht die Demokratie auch aus, dass da nicht einer hingeht wie in einer Diktatur und sagt "So wird es jetzt gemacht und basta", sondern, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen versuchen, zu einem Konsens zu kommen. Sprecher: Bärbel Höhn, stellvertretende Bundestagsfraktionsvorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen Take 30 Höhn (Fortsetzung) Der kann manchmal schwierig sein, wenn Sie jetzt erleben, wie wir über die Energiepolitik und den gesellschaftlichen Konsens eines Atomausstieges reden, dann müssen Sie sehen, wir haben damals diesen Energiekonsens gemacht mit den Konzernen, den Atomausstieg. Das war für uns auch eine richtig harte Nummer. Das hat auch dazu geführt, das ganz viele die Grünen verlassen haben, gesagt haben, ihr seid den Energiekonzernen zu weit entgegen gekommen, das können wir nicht mit tragen und das ganz viele auch enttäuscht waren. Das ist in der Tat im politischen Geschäft dann, ja, manchmal schmerzhaft. Sprecher: Denn ich verachte die Menschen, die sich innerlich abstumpfen, um zu vergessen, oder einen Drang ihres Herzens ersticken, um in Frieden zu leben. Denn du musst wissen, dass dich jeder unlösbare Gegensatz, jeder unheilbare Streit dazu zwingt, größer zu werden, damit du ihn in dich aufnehmen kannst. Antoine de Saint-Exupéry Sprecher: Zwei Hähne lebten friedlich stets zu zweit, bis eine Henne kam - und da begann der Streit. Jean de La Fontaine Autor: Der Volksmund weiß von dem Dritten zu berichten, der sich freut, wenn zwei sich streiten. Der Dritte - das müssen wohl wir sein - die Medien. Wir sind wohl nicht ganz unschuldig, wenn manche zur Geschlossenheit mahnen. Medien neigen mitunter zu Übertreibungen. Und die politischen Kommentatoren haben ihrerseits einen beträchtlichen Floskelvorrat. Jede kleine Meinungsverschiedenheit wird zum Machtkampf oder zur Zerreißprobe. Und wie dergleichen ausgehe, das "wird die Zukunft erweisen". Und: dieser oder jene solle doch endlich "ein Machtwort sprechen". Die Kommentatoren getrauen sich tatsächlich noch, diese Floskeln zu verwenden. Take 31 Staeck Der politische Streit kann jederzeit missbraucht werden. Ich wende mich immer dagegen, dass der Streit auch in den Medien immer gleich sehr oft als Streiterei denunziert wird. Sprecher: Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste Take 32 Staeck (Fortsetzung) Es gibt Dinge, da muss einfach auch gestritten werden, wenn man nicht so einen faulen Frieden bewahren möchte oder herstellen möchte. Aber sowie das dann auch innerhalb der Gruppen losgeht, wird sofort der Verdacht laut, die wissen nicht, was sie wollen. Es gibt jetzt eine Debatte um den Parteiausschluss von Herrn Sarrazin. Wie oft habe ich jetzt gelesen, ja die Partei wird kritisiert für ihren Zickzackkurs. Ja, wenn man Meinungen austauschen will und auch akzeptiert, dass man seine Meinung gelegentlich ändern kann, manchmal sogar muss, dann frage ich mich, wieso wird das dargestellt als Zickzack. Der gerade Weg zu einer Meinung passiert relativ selten. Wenn ich alleine meine Meinungsbildung mir vorstelle, dann gehe ich oft auch über große Umwege. Umwege, Irrwege, um dann doch, nachdem ich mich mit vielen Leuten ausgetauscht habe, viel gelesen habe, mich viel gestritten habe, komme ich dann doch am Ende in der Regel, bin ganz vorsichtig, zu meiner Meinung, die ich dann auch natürlich, wenn ich merke, die anderen haben die besseren Argumente oder die Zeit hat sich so geändert, dass ich hoffnungslos altmodisch bin, dann muss ich die Meinung auch ändern. Sprecher: All unsere Streitigkeiten entstehen daraus, dass einer dem anderen seine Ansichten aufzwingen will. Mahatma Gandhi Sprecher: Ein Zitat ist besser als ein Argument. Man kann damit in einem Streit die Oberhand gewinnen, ohne den Gegner überzeugt zu haben. Gabriel Laub Autor: Ein Streit, wenn er denn gut sein soll, verträgt keine Machtworte. Aber was ist das Ende eines Streits, was kommt heraus, wenn der Streit geschlichtet ist. Es ist ein Übel, aber vielleicht nur ein kleines: Take 33 Staeck Das Dilemma der Demokratie besteht für mich darin, dass die höchste Form der Auseinandersetzung, wenn sie denn mal beendet wird, der Kompromiss ist. Sprecher: Manche tanzen manchmal wohl ein Tänzchen immer um den heißen Brei herum, kleine Schweine mit dem Ringelschwänzchen, Bullen mit erschrecklichem Gebrumm. Freundlich schaun die Schwarzen und die Roten, die sich früher feindlich oft bedrohten. Jeder wartet, wer zuerst es wagt, bis der eine zu dem andern sagt: "Schließen wir nen kleinen Kompromiss! Davon hat man keine Kümmernis. Einerseits - und andrerseits - so ein Ding hat manchen Reiz... Sein Erfolg in Deutschland ist gewiss: Schließen wir nen kleinen Kompromiss! Kurt Tucholsky Take 34 Staeck Der Kompromiss wird bei uns immer denunziert als die falsche Lösung, die unbequemste, die für keine Seite wirklich befriedigende Lösung. Und da versuche ich immer dagegen zu halten, in dem ich sage: Einen guten Kompromiss zu finden, der keine Seite beschädigt, der möglichst die Beteiligten einigermaßen befriedet, ist die höchste Form der Demokratie. In der Kunst eine Katastrophe, also wenn man da eine Parallele ziehen möchte. In der Kunst ist der Kompromiss die allerschlechteste Lösung in der Regel. Das immer wieder neu zu vermitteln, ist ein großes Kunststück, wie überhaupt die Kunst in der Regel für mich so etwas wie die Probebühne der Demokratie ist. Hamlet im Gemeinderat kann eine Katastrophe sein, aber es kann eine gute Aufführung auf der Bühne sein, also dieses immer wieder einüben, den anderen zu ertragen und auszuhalten. Das ist eigentlich den Menschen nicht von Natur aus gegeben. Jeder möchte, glaube ich jedenfalls, dass seine Meinung die Meinung wird, die sich irgendwann durchsetzt als Mehrheitsmeinung. Menschen möchten in der Regel lieber bei der Mehrheit sein als eine Außenseitermeinung vertreten müssen oder können. Das ist ein Riesenproblem der Demokratie. Wo bleibt die Faszination, die man braucht, um auch eine Staatsform zu akzeptieren. Autor: Nein, es gibt keine Wahrheit: Ist Streit gut, ist er schlecht? Zumindest taugt ein Streit, um die Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken. Das Machtwort ist da ohnehin kontraproduktiv. Sprecher v. D.: Basta! Take 35 Höhn Diese Sendung hier hat mich in der Tat ein bisschen davon überzeugt zu sagen, ja, Machtworte von anderen zu fordern, ist vielleicht auch nicht so gut, wenn man selber gar nicht bereit ist, Machtworte zu sprechen. Sprecher v. D.: Über die Sehnsucht nach einem Machtwort Take 01 Merkel 2' Ich halte dieses Vorgehen für alternativlos. Sprecher v. D.: Ein Feature von Thomas Klug Autor: Nach einem Machtwort gibt es nur Verlierer. Manchmal verliert genau das Alphatier, das glaubte, ein Machtwort sprechen zu können. Effekt: Löwe Take 36 Höhn Insofern: Ich habe jetzt während des Interviews auch was gelernt. Spr. vom Dienst Es sprachen: Guido Lang und der Autor Ton: Hermann Leppich Regie: Beatrix Ackers Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 18