Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) DeutschlandRadio Ich bewerbe mich ohne Foto. Alltagsrassismus in Deutschland Von Adama Ulrich Es sprachen: Ilka Teichmüller und die Autorin Ton: Alexander Brennecke Regie Giuseppe Maio Redaktion: Martin Hartwig Musik O-Ton Angelika Du bist ständig in Alarmbereitschaft. Und dann wundern sich die Leute, dass du schwache Nerven hast (lacht). Sprecher Angelika Nguyen. Filmemacherin und Autorin O-Ton Andrés Nader Was mir auch pa ssiert ist, dass sie fragen, willst du hier bleiben? Wo ganz klar ist, ich lebe seit Jahren hier, zahle Steuern, arbeite und was weiß ich. Sprecher Andrés Nader. Leiter der "Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie" O-Ton Ama und Amatu Dass wir anderes Blut in unseren Adern haben, dass wir nicht nach Deutschland gehören, ... solche Sachen halt. Dass wir hässlich sind wegen unserer Hautfarbe. Sprecher Ama und Amatu. Schülerinnen O-Ton Betül Ulusoy Ich bewerbe mich grundsätzlich ohne Bewerbungsfoto, damit ich eine Chance habe, zum Gespräch eingeladen zu werden. Sprecher Betül Ulusoy, Juristin. O-Ton Adama Als ich so fünf war, hat eine junge Frau zu ihrem etwa Sohn gesagt: Wenn du dich immer nicht waschen willst, dann siehst du bald aus wie das Mädchen hier. Dabei lächelte sie mich augenzwinkernd an. Sprecher Dr. Adama Ulrich, Journalistin Autorin Das bin ich. So unwichtig ich den Doktortitel vor meinem Namen auch finde, muss ich doch gestehen, dass es mir einen diebischen Spaß bereitet, zu beobachten, wie verdattert die Leute gucken, wenn in vollen Wartezimmern bei Ärzten oder in Ämtern "Frau Dr. Ulrich" aufgerufen wird und ich dann aufstehe. Allein dafür haben sich die Strapazen der Dissertation gelohnt. Damals, als ich als abschreckendes Beispiel dienen sollte, rannte ich nach Hause, stellte mich vor den Spiegel und war entsetzt, denn mir fiel zum ersten Mal mit schockierender Klarheit auf, dass ich anders aussah als alle anderen Menschen um mich herum. Verglichen mit mir, waren sie kreidebleich. Sie hatten rote, braune oder blonde, auf jeden Fall glatte Haare und einen Ponny, der ihnen bis zu den Augenbrauen reichte. Meine Haare waren kraus und störrisch. Als ich mir gegen den Willen meiner Mutter auch so einen coolen Ponny schnitt, stand er mir wie ein Vordach oder ein Sonnenschutz vom Kopf ab. Ich musste ihn mit etlichen Haarklämmchen zurückstecken, was die Sache nicht besser machte. Ja, ich sah anders aus als die anderen. Aber schmutzig war ich nicht! O-Ton Saraya Das fängt im Kindergarten, Schule an. Da tragen wir weiter, was wir von der Familie etc. kennen. Es ist, glaube ich, ganz wichtig zu wissen, dass man nicht unbedingt "eine böse Absicht haben muss", dass es ein netter Mensch sein kann, um bestimmte Rassismen weiter zu tradieren, weil man das erlernt hat. Die und diejenigen sind so und so. Ob sich das auf Religion, Kultur, Ethnie bezieht ist völlig belanglos. Autorin Saraya Gomis ist bildungspolitische Aktivistin. Sie meint, dass man nicht unbedingt rechtsradikal oder Neonazi sein muss, um andere Menschen zu diskriminieren. Meist handelt es sich um Alltagsrassismus. Also um eine oft unbewusste, anerzogene und erlernte Form von Rassismus. Autorin In der Veröffentlichung "Normalität des Rassismus: Messen mit zweierlei Maß" beschreibt die Diplom-Theologin Anne Broden, wie ähnliche Vorkommnisse in den Medien oft unterschiedlich bewertet werden. Auch so etwas kann zur Manifestation von Alltagsrassismus führen. Sprecherin "Als (...) Mitarbeiter eines christlichen Verlags in der Türkei ermordet wurden, wurde diese Tat von vielen Kommentatoren als Indiz dafür gewertet, dass die Türkei nicht bereit sei für eine Aufnahme in die EU. Wurde die EU-Tauglichkeit Deutschlands infrage gestellt, als im Mai 1993 in Solingen fünf türkischstämmige Migrantinnen ermordet wurden? Sprecher Es geschieht ein sogenannter "Ehrenmord" an einer jungen türkischstämmigen Frau in Berlin und die Forderung nach Ausweisung der gesamten Familie wird laut. Der Islam wird einmal mehr als rückständig, frauenfeindlich und unaufgeklärt diffamiert. Werden Kinder von "deutschen" Müttern und Vätern sexuell misshandelt, geprügelt, vernachlässigt oder ermordet, so hat das soziale Sicherungssystem (Jugendamt etc.) versagt. Niemand kommt auf die Idee, die christliche Religion, der die Eltern womöglich angehören, die sie zumindest ethisch geprägt haben soll, als rückständig, kinderfeindlich und unaufgeklärt zu titulieren. O-Ton Saraya Wir machen Menschen immer wieder zu anderen und hierarchisieren die und drücken damit Herrschaft aus. Das heißt, wir haben dann die Macht jemanden zu benennen und die sich nicht selber benennen zu lassen. Da würde ich zurückkommen auf das N-Wort oder bestimmte Bezeichnungen für Sinti und Roma. Musik "Don't Call Me Nigger, Whitey" - Sly & The Family Stone Autorin Saraya Gomis ist Afrodeutsche. Sie ist in Berlin geboren und hat bereits in vielen Ländern gelebt. Jetzt ist sie in Berlin-Wedding zuhause. Hier arbeitet sie als Lehrerin. O-Ton Saraya Ich arbeite ... an einer integrierten Sekundarschule, einer sogenannten ISS mit gymnasialer Oberstufe. Diese Schule hat bestimmt in den Medien auch mal dieses Label "Brennpunkt- Schule" bekommen. Wir haben viele Schülerinnen und Schüler mit dem Label "nicht deutscher Herkunftssprache". Autorin Saraya Gomis unterrichtet Geschichte, Darstellendes Spiel und Französisch. Immer wieder hat sie es mit einer ganz versteckten Form von Alltagsrassismus zu tun. O-Ton Saraya Wenn ich zum Beispiel sage, ich bin Lehrerin, dann kommt als erstes, ah in der Grundschule? Das hat einen Grund, dass ich gefragt werde, ob ich Grundschullehrerin bin. Und dann größtes Erstaunen, wenn ich sage, dass ich Gymnasiallehrerin bin. Weil damit eben andere intellektuelle Anforderungen verbunden werden, die mir nicht zugeschrieben werden. Autorin Zum Alltagsrassismus gehört auch der sogenannte positive Rassismus. Das sind meist unbewusst angewandte Zuschreibungen, die sich zwar nett anhören, es aber eigentlich nicht sind. O-Ton Saraya Zum Beispiel, wenn ich irgendwo hingehe und davon ausgegangen wird, dass ich Sängerin bin, weil Schwarze so gut singen können, oder dass ich Basketball spielen kann unbedingt. Oder, oder, oder. Damit sage ich nicht, ob ich es kann oder nicht kann, aber dass grundsätzlich davon ausgegangen wird. Was eigentlich aber heißt, wenn man sich anschaut, was die Zuschreibungen eigentlich sind, dass es niemals Zuschreibungen sind, die die Intelligenz betonen oder Know How oder Wissen, sondern rassistische Vorurteile rekurrieren, die eben existieren. Musik Autorin Zurück zur Schule. Über die Vermittlung der Lerninhalte hinaus, ist es Saraya Gomis wichtig, auch herrschaftskritisches Wissen anzuwenden. Zum Beispiel im Geographieunterricht. O-Ton Saraya ... Wenn wir Kartenarbeit machen, den Schülern Karten zu zeigen, die ganz anders aussehen. ... Dass es gesetzt ist, dass es gemacht ist, auch so ein Nord- Südgefälle von Menschen gemacht ist, was es mit uns macht, wenn man Norden und Süden immer mit oben und unten verbindet, was das eben in unserem Denkprozess und unserer Begrifflichkeit macht und eben das zu hinterfragen. Autorin Auch Schulbücher vermitteln bis heute Stereotype, die dazu beitragen, Vorurteile zu verfestigen - wenn auch mit wohlmeinenden, freundlichen Formulierungen. Die Sprache, die oftmals benutzt wird, suggeriert Primitivität. In westlichen Zusammenhängen spricht man beispielsweise von "Volksgruppe", "Vorstand" und "Glaube", auf Afrika bezogen von "Stamm", "Häuptling" und "Aberglaube". Abwertende koloniale Bezeichnungen wie "Buschmänner" oder "Pygmäen" werden kommentarlos verwendet. Auch damit setzt sich Saraya Gomis in ihrem Unterricht auseinander. O-Ton Saraya Das heißt zu gucken, wer spricht wie über wen. Kritisch zu sein, was mit solchen Begriffen wie Zivilisation gemeint ist. Klar zu machen, dass viele Dinge, die wir besprechen aus einer eurozentristischen Perspektive sind. Dass es ganz viele Perspektiven und Geschichten gibt. 08.11 Ihre Sprachen wertzuschätzen. Dass eben nicht nur Französisch und Englisch relevante Sprachen sind, neben dem Deutschen, sondern eben auch Arabisch. O-Ton Andrés Nader Das Problem ist nicht, dass die Schulklasse heterogen ist, sondern das Problem ist, dass die Schule nicht auf die Heterogenität vorbereitet ist. Dann soll man nicht die Heterogenität bekämpfen, sondern man soll die Schule so entwickeln, dass sie mit der Heterogenität gut umgehen kann, alle fördern kann. Das Kinder ohne deutsche Sprachkenntnisse auch gefördert werden und dass sie als gleichberechtigte Teilnehmer an dem Bildungsprozess beteiligt werden. Autorin Andrés Nader leitet seit 2012 in Berlin die "Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie", kurz RAA genannt. Der gemeinnützige Verein wurde 1991 gegründet. Eine seiner wichtigsten Aufgaben besteht darin, in Schul- und Jugendarbeit Minderheiten zu stärken sowie Diskriminierung und Rassismus vorzubeugen und zu bekämpfen. O-Ton Andrés Nader Wir arbeiten mit Eltern, wir arbeiten mit Kindern, mit Lehrerinnen, Erziehern. Wir haben Sprachförderprogramme.... Es geht darum, Bildung inklusiver zu machen, auch die Schule inklusiver zu machen und den Kindern und Jugendlichen zu helfen, die dabei Hilfe brauchen. Autorin Nader ist in Argentinien aufgewachsen und hat in den USA Germanistik studiert. Er war oft in Deutschland, seine Mutter ist Deutsche. 2006 ist er endgültig hergezogen. Auch er hat mit alltäglichem Rassismus zu tun. O-Ton Andrés Nader Es sind subtile Botschaften, die ich bekomme, wo mir zu verstehen gegeben wird, dass ich nicht zu dem UNS gehöre in diesem Land, wo jemand fragt, was, du hast einen deutschen Ausweis? Das schließt mich aus, diese Überraschung. Ja, wie du hast einen deutschen Ausweis? Weil ich nicht arisch genug aussehe, wird mir so eine Frage gestellt. Alltagsrassismus ist die Unterstellung, du bist nicht wie wir. Autorin Mitte der 1990er-Jahre erhielt ich ein Forschungsstipendium vom DAAD, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst. Um die notwendigen Formulare ausgehändigt zu bekommen, musste ich in deren Geschäftsstelle gehen. Bevor ich etwas sagen konnte, erklärte mir eine Mitarbeiterin, die hinter einem klobigen Schreibtisch saß, mit überdeutlicher Aussprache, dass hier nur Deut-sche ihre For- mu-la-re ab-ho-len kön-nen. Ich müsse nach ne-ben-an. Als ich ihr entgegnete, nee, muss ich nicht, ich bin Deutsche, guckte sie überrascht. Entschuldigt hat sie sich nicht. Wer sich diskriminiert fühlt, kann sich seit einigen Jahren an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, kurz ADS, wenden. Sie wurde 2006 mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eingerichtet. Die ADS unterstützt Menschen bei der Durchsetzung ihrer Rechte, die wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Identität benachteiligt worden zu sind. O-Ton Franke Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet Diskriminierungen in zwei großen Bereichen. Das eine ist das Arbeitsrecht und das andere ist das Zivilrecht. In beiden Bereichen kommt es zu Diskriminierung. Berichten uns Menschen darüber, also bspw. im Arbeitsrecht, ... dass sie sich abgelehnt fühlen und deshalb keinen Job, keine Ausbildungsstelle bekommen haben. Dann haben wir den Bereich des Zivilrechts, der ganzen Alltagsgeschäfte. Da haben wir einen großen Bereich Freizeiteinrichtungen. Also Diskotheken, Fitnessstudios, Clubs ... Da werden oft Menschen, v.a. junge Männer nichtdeutscher Herkunft abgewiesen. Die wenden sich auch an uns genauso wie Menschen, die wegen Tragens eines Kopftuches keine Wohnung bekommen, aber auch Menschen, die wegen ihres Alters keinen Mietwagen mehr bekommen. Da gibt es ein vielfältiges Spektrum an Diskriminierungserfahrungen, die uns berichtet werden. Autorin Laut einer Studie, die die Antidiskriminierungsstelle 2013 veröffentlicht hat, gehört Diskriminierung an Schulen und Universitäten immer noch zum Alltag. Nach dem 450-seitigen Bericht, fühlt sich jeder vierte Schüler oder Student mit Migrationshintergrund diskriminiert. Musik O-Ton Angelika Ngyuen Ich war ja auch immer sensibilisiert für so etwas, wenn du ständig Zielscheibe von solchen Angriffen bist, das geht ja von ganz subtilen Äußerungen, bis hin zur Schlägerei. Das war ja die Bandbreite bei mir. Anstarren sowieso. Ich hab mich gewundert, wenn ich mal nicht angestarrt werde. Geht ja bis heute so, die Irritation. Insofern totaler Alltag und ganz breite Skala. Autorin Angelika Ngyuen ist Anfang der 1960er-Jahre in Ost-Berlin geboren. Mutter Deutsche, Vater Vietnamese. O-Ton Angelika Ngyuen Ich fand auch immer komisch dass die Kinder an Fasching als Indianer und Chinesen gingen. Das wurde immer so manifest, aber eben immer so nebenbei. Und dann gab es dieses Lieb von drei Chinesen mit dem Kontrabass, was das Pendant ist zu zehn kleine Negerlein. Immer alle: wieso, ist doch bloß ein Lied, ist doch nicht so gemeint. Aber mit irgendeiner Absicht wird es ja schon geschrieben worden sein. In irgendeiner Art von postkolonialer Abwertung, die so selbstverständlich ist, dass Leute, die gar nicht betroffen sind, das gar nicht merken. Autorin Die schlimmsten rassistischen Erfahrungen hat Angelika Ngyuen in ihrer Grundschulzeit gemacht. O-Ton Angelika Ngyuen Das war sehr intensiv. Das war auch so gemeint von den Kindern. Das fängt mit diesem Wundern immer an, Wunder, Wunder, Wunder. Überhaupt keine Selbstverständlichkeit im Umgang mit irgendwas, was anders ist, was von woanders kommt. Das passte irgendwie nicht in dieses Kleinfamilienraster der DDR, glaube ich. Autorin Als etwa 13jährige ging ich mit einer Klassenkameradin zur Schule. Wir unterhielten uns darüber, ob und wenn ja, wie viele Kinder wir später einmal haben wollten. Sie sagte, sie hätte gerne zwei und fuhr dann fort, dass ich ja sicherlich keine Kinder bekommen wolle. Warum nicht, fragte ich sie. Na, weil die dann so aussehen würden wie du, entgegnete sie allen Ernstes. 40 Jahre später, müssen sich meine 13jährige Tochter Amatu und ihre Freundin Ama noch immer in der Schule wegen ihrer braunen Haut anpöbeln lassen. O-Ton Ama & Amatu Wir saßen auf dem Schulhof, aßen und lasen etwas und haben gequatscht, dann kamen so Dritt- oder Viertklässler ... Dann haben die angefangen uns "braune Riesen-Kondome" zu nennen, Lesben. Ihr gehört hier nicht hin. Ihr habt kein rotes Blut ... dumme Sachen. Wir sagten dann, dass das nicht witzig sei und dass man so etwas nicht sagt, dann meinten die, dass sie das auch ernst meinen. Autorin An diesem Tag kauerten die sonst lebhaften Mädchen missmutig auf dem Fußboden im Zimmer meiner Tochter. Erst nach mehrmaliger Aufforderung erzählten sie, was weiter passiert ist. O-Ton Ama & Amatu Dann haben die uns mit Stöckchen beworfen. Das hat genervt und wehgetan. Wenn die Älter gewesen wären, hätten wir uns auch wehren können ... Wir konnten nichts machen, weil die eben viel kleiner waren. Die checken das nur, wenn wir richtig böse gewesen wären und Ältere sind immer schuld. Autorin Gab es keinen Erwachsenen in der Nähe, der hätte eingreifen können? O-Ton Ama & Amatu Dann sind wir zum Lehrer gegangen und haben ihm das erzählt und er hat das dann gar nicht ernst genommen und meinte dann, dass wir selbst daran schuld seien. Die wissen eben nicht was sie sagen, meinte er ... . Er hat uns nicht geglaubt. O-Ton Saraya Ich fände es ganz wichtig, dass ... es eine Beschwerdestelle gibt, für Schüler, Eltern, usw., wo die umgekehrte Beweislast die Regel ist. Nicht, dass Schülerinnen und Schüler beweisen müssen, dass ihnen Rassismus widerfahren ist, dass sie diskriminiert wurden.... Und ich denke, dass es auch in den Schulen selbst Kolleginnen und Kollegen geben müsste oder auch Leute von außen, die als Ansprechpartner und als Anwälte fungieren für Schüler.. Autorin Bislang existiert so eine Beschwerdestelle, wie sie sich Saraya Gomis wünscht, nur in der Berliner Schulverwaltung. In den meisten Schulen gibt es keine. Auch unabhängige Ansprechpartner sind dort oft nicht zu finden. Die Lehrerin, mit der ich an der Schule meiner Tochter gesprochen habe, meinte, die Mädchen sollten sich einfach sofort an irgendeine Lehrkraft wenden, falls so etwas noch einmal vorkommen sollte. O-Ton Ama/ Amatu Die glauben uns sowieso nicht. Wir werden einfach nicht ernst genommen von denen. O-Ton Franke Die Schulen sind auch sehr wichtig. Wenn Diskriminierungen auf dem Schulhof auftreten, ... dass auch die Schulen ihre Rolle ernst nehmen und solchen Beschwerden nachgehen und auch eingreifen und ganz klar erklären: hier ist Stopp, das dulden wir hier nicht und das hat auch für den Schüler oder die Schülerin Konsequenzen. Autorin Was würden sich Ama und Amatu wünschen? O-Ton Ama/Amatu Die Lehrer sollten auf jeden Fall mit den Schülern sprechen und auch mit den Eltern, weil von denen muss es ja wohl kommen. ... Ich finde, die sollten Pädagogen einladen, die erklären, was das bedeutet, was die zu einem gesagt haben. Ja. Autorin Ursprünglich stammt die Idee eines Gleichbehandlungsgesetzes aus den USA der 60er-Jahre, erzählt Bernhard Franke in seinem Büro in Berlin Mitte. O-Ton Franke Die Bürgerrechtsbewegung da, war ja in erster Linie Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung wegen der Hautfarbe. ... Aufgenommen wurde dann eben auch die Gleichbehandlung bei Diskriminierung wegen des Geschlechts. Das wurde damals parallel verabschiedet. Und in der Folgezeit sind dann immer mehr Merkmale aufgetreten also bspw. Lesben und Schwule die sich dann auf die erfolgreiche Bürgerrechtsbewegung berufen haben. Und letztlich auch die Diskriminierung des Alters. Autorin In den USA sorgt gerade die junge nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie für Aufsehen. Sie hat viele Jahre in den USA gelebt und wurde dort zum ersten Mal mit Rassismus konfrontiert. In Nigeria musste sie sich damit nicht auseinandersetzen. Da geht es eher um religiöse oder ethnische Konflikte, aber die Hautfarbe spielt kaum eine Rolle. In ihren Geschichten wirft Adichie auch immer einen analytischen und durchaus sarkastischen Blick auf das Thema Rassismus. Die Protagonistin ihres jüngsten Romans "Americanah" ist, wie die Autorin, zum Studium in die USA gegangen und hat sich dort als Bloggerin einen Namen gemacht. In ihren Bloggs dreht es sich ausschließlich um Alltagsrassismus. Sprecherin "In Amerika gibt es Rassismus aber keine Rassisten. Rassisten gehören der Vergangenheit an. Rassisten sind die schmallippigen fiesen Weißen in Filmen über die Zeit der Bürgerrechtsbewegung. Es ist so: Die Manifestationen von Rassismus haben sich geändert, aber nicht die Sprache. Wenn du nicht jemanden gelyncht hast, darfst du nicht Rassist genannt werden. Wenn du kein blutsaugendes Ungeheuer bist, darfst du nicht Rassist genannt werden. Jemand muss entscheiden, dass Rassisten keine Ungeheuer sind. Sie sind Menschen, die von ihrer Familie geliebt werden, normale Leute, die Steuern zahlen. Jemand muss entscheiden, wer Rassist ist und wer nicht. Oder vielleicht ist es auch Zeit, das Wort 'Rassist' zu verschrotten. Und sich etwas Neues auszudenken. Wie zum Beispiel Rassische Störung. Dann könnten wir an diesem Syndrom Erkrankten unterschiedliche Kategorien zuordnen: mild, mittel und akut." Autorin Auch deutsche Bloggs, widmen sich dem Thema. Zum Beispiel "#SchauHin". Da können Betroffene ihre Erfahrungen posten. Sprecherin Wenn ich erfolglos eine WG suche und mir dann geraten wird, in Emails einen deutschen Namen statt den eigenen anzugeben. (Bäumchen) Sprecher Drei Supermarktkassen offen & bei zwei endlos lange Schlangen. Eine Kasse ist fast leer: die, wo eine Frau mit Kopftuch arbeitet. (Kevin Culina) Sprecherin Meine Oma, die den Taxifahrer fragte, seit wann Türken "hier" Auto fahren dürfen. (Julia) Sprecher Wenn ich gefragt werde, ob ich wieder "nach Hause" gehe. (Tobias Zawisla ) Sprecherin Sätze, die mit "ich hab nichts gegen dich aber..." anfangen. (F.) Sprecher Auf Ämtern geduzt zu werden, nur weil man einen türkischen Namen hat. (Ali Utlu) Sprecherin Als ich mit 11 sagte: "Später will ich aufs Gymnasium.", hat die Lehrerin am lautesten gelacht. (Dilan) Sprecher "In Deutschland benimmt man sich mitteleuropäisch zivilisiert" hieß es, als ich mal zu spät in die Schule gekommen bin. (Khallad Swaid) Autorin Kübra Gümüsay hat den Blogg 2013 begonnen. Die Enkelin eines türkischen Gastarbeiters studierte Politikwissenschaften in Hamburg und London. Kübra Gümüsay ist praktizierende, kopftuchtragende Muslima, die sich selbst als Deutschtürkin und Feministin bezeichnet. Im Vorwort zu ihrem Blogg erklärt sie ihr Anliegen. Sprecherin: " ... Rassismus ist nicht etwas, auf das wir entspannt mit weit ausgestrecktem Finger in der weiten, weiten Ferne zeigen können. Etwas, das irgendwo am rechten Rand der Gesellschaft geschieht, wo die Glatzen glänzen und die Springerstiefel stampfen. Nein. Rassismus ist hier. Mitten unter uns. Jeden Tag. Überall. Musik Adriano. Letzte Warnung Brothers Keepers O-Ton Ulusoy Ich bewerbe mich grundsätzlich ohne Bewerbungsfoto, damit ich eine Chance habe, zum Gespräch eingeladen zu werden. Meist überzeugt mein Lebenslauf ja. Und ich habe dann im Vorstellungsgespräch auch die Chance, persönlich zu überzeugen und das gelingt mir eigentlich ziemlich gut. Autorin Es ist ihr Kopftuch, das Betül Ulusoy immer wieder Probleme bereitet. O-Ton Ulusoy Angefangen bei meiner Schulleiterin. Ich hatte eine Podiumsdiskussion organisiert und anschließend meinte sie, toll, super gemacht, aber wir müssen über dein scheiß Kopftuch reden. Das ist ein wörtliches Zitat von ihr. Oder, dass ich an Reisen nicht teilnehmen durfte, weil ich ein Kopftuch trug oder, weil ich am Sportunterricht nicht teilnehmen durfte, wegen des Kopftuchs. ... Also das sind dann Sachen, die einen schon prägen als Teenager. Autorin Um anderen muslimischen Mädchen solche Erfahrungen künftig zu ersparen, engagiert sich Betül Ulusoy bei JUMA. Die Abkürzung steht für Jung, Muslimisch, Aktiv. Träger des Vereins ist die Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie. Andrés Nader dazu. O-Ton Nader Eines der Ziele ist, dass die Jugendlichen selber ihre Meinung einbringen. Das weniger über sie gesprochen wird. Das kam aus der Zeit nach den Debatten um Sarrazin, um die sogenannte Nichtintegration. Unser Ansatz war, es wird über sie geredet, aber wer redet mit ihnen? Autorin Die Jumaner, so nennen sich die jungen, aktiven Muslime gerne selbst, gehen auch an Schulen und bieten dort verschiedene Projekte an. O-Ton Ulusoy Wir reden ja oft von christlicher Leitkultur, aber was ist das eigentlich und wer hat diese Kultur mit geprägt? Darum geht es uns, dass Kultur nicht statisch ist, sondern vielfältig geprägt wird. Andere Kulturen haben unsere geprägt und wir haben halt andere geprägt. Dafür ein Bewusstsein zu schaffen bei den Schülern, darauf kommt es uns an. Autorin Betül Ulusoy ist 26 Jahre alt. Sie hat an der Freien Universität Jura studiert und absolviert gerade ihr Referendariat mit Spezialisierung auf Wirtschafts-, Unternehmens- und Steuerrecht. Auch als Anwältin will Betül weiter ein Kopftuch tragen. O-Ton Betül Ulusoy Ich habe den Eindruck, ehrlich gesagt, je höher ich steige, desto offener reagieren die Leute auf mich. ...16:21 Was schwierig ist, ist das Alltägliche. Also in der BVG oder an der Supermarktkasse. Die Ungleichbehandlung dort fällt viel mehr ins Gewicht. Das zum Beispiel Leute, die vor mir an der Kasse stehen, begrüßt werden, angeschaut werden, denen wird das Geld ordentlich in die Hand gegeben. Bei mir gibt es weder eine Begrüßung noch ein Ansehen und das Geld wird mir so hingeschmissen irgendwie. ... im Alltag ist die Diskriminierung stärker. Ich trage ja meinen Lebenslauf nicht auf der Stirn. Musik Autorin Ein Allheilmittel gegen Rassismus scheint es wohl nicht zu geben. Dass das Gleichbehandlungsgesetz existiert ist sicher wichtig. Doch Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung lassen sich nicht per Gesetz abschaffen. Hier ist die Wachsamkeit jedes Einzelnen gefragt. Musik O-Ton Franke Das Gleichbehandlungsgesetz hat auch einen erzieherischen Effekt. Das soll Bewusstsein schaffen. Dazu gehört, dass Politiker mit Äußerungen vorsichtig sind, die Diskussionen auslösen können, die dann in rassistische Gefilde abgleiten können.. Musik O-Ton Angelika Ngyuen Eine Aufmerksamkeit im Alltag und den Finger draufhalten, halte ich für wirksamer als irgendwelche Antirassismus-Projekte, wo die Leute das dann so museumsmäßig wieder abhaken. Man muss im richtigen Moment die Geduld und die Courage haben. Autorin Als ich etwa 10 Jahre alt war, hat meine Klassenlehrerin darauf bestanden, dass ich bei einer großen, öffentlichen Schulveranstaltung im Kinosaal von Templin das Pionierlied "Unsere Heimat" singe. Autorin singt die erste Zeile? Musik weiter "Unsere Heimat sind auch all die Bäume in Wald ..." unter Autorin liegen lassen und weg Autorin Ich war sehr aufgeregt und habe öfter den Ton nicht richtig getroffen. Doch die Zuschauer haben begeistert applaudiert. Dass dort ein Mädchen steht, das anders aussieht als deren eigene Kinder, war plötzlich komplett unwichtig. Musik hoch O-Ton Betül Ulusoy Jeder Mensch hat Vorurteile - auch Muslime, auch ich habe Vorurteile, auch gegenüber Frauen mit Kopftuch. Das muss man sich auch mal vorstellen. Das Problem ist, dass man Vorurteile auf jeden Fall hinterfragen muss, man darf sich nicht auf ihnen ausruhen. O-Ton Amatu Ich finde, es sollte so sein, dass keiner so richtig aufs Aussehen achtet, sondern mehr so auf den Charakter. Und v.a. Dingen, wenn man denjenigen nicht kennt, dass man nicht so einfach sagen sollte, äh, du bist Scheiße, weil du anders aussiehst und wenn jeder auf andere Sachen achten würde am Menschen, dann würde das hinhauen, denke ich mal.