COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Gefährliche Gäste Neuroparasiten manipulieren das Gehirn ihrer Opfer ((Atmo Wiese, Vogelgezwitscher)) Sprecher 1 Konstanz am Bodensee. Abenddämmerung. Der Biologe Manuel Nagel ist auf der Jagd. Mit wetterfester Kleidung streift er durch Wälder und Wiesen. O-Ton 01 Manuel Nagel: Also, was ich hier mache, ist, ich gehe jetzt mit der Stirnlampe durch die Gegend und schau jetzt hier auf die einzelnen Grashalme und auch auf die Blüten, die obere Graskante, wenn man so will, um dann zu gucken, sind da irgendwo schwarze Flecken drauf, wenn ich eben Glück habe wie jetzt in dem Falle, sind es wirklich Ameisen. Sprecherin 2 Ameisen, die ein merkwürdiges Verhalten an den Tag legen. (( Musik Gil Mellé "Wildfire" schleicht sich leise rein)) Statt sich bei Einbruch der Dunkelheit mit ihren Artgenossen im sicheren Nest zu verstecken, klettern sie auf Grashalme, verbeißen sich in dem Halm und bleiben dort die ganze Nacht. Denn diese Ameisen sind von einem Parasiten befallen, dem kleinen Leberegel. Er dringt in das Gehirn der Tiere ein und manipuliert sie zu dieser gefährlichen Verhaltensänderung. So erhöht der Parasit die Chance, dass die infizierte Ameise von einem Schaf oder einem anderen Weidegänger gefressen wird, in dessen Leber er sich fortpflanzen kann. O-Ton 02 Manuel Nagel Wir wissen von dem Lebenszyklus des Parasiten, dass der im Weidegänger anfängt, das ist ein Tier, das Gras frisst und eine warme Leber hat, geeignet sind Rehe, Schafe, Kaninchen, also alles, was in die Richtung geht, auch Kühe, in der Theorie, und wir wissen, dass hier in diesem Bereich, hier am Waldrand,(...) dass es hier in der Ecke diese Parasiten gibt oder diese Ameisen haben wir hier gefunden, und das liegt eben daran, dass wie gesagt der Parasit selber erstmal als Kleiner Leberegel in den Säugetieren lebt, in den Weidegängern, und dann ja seinen Weg nimmt über Landschnecken, über die Ameise wieder zurück in den Weidegänger, um das ganz verkürzt mal darzustellen. ((Musik Gil Mellé "Wildfire")) Sprecher 1 Der Lebenslauf des gerade mal 10 Millimeter messenden Kleinen Leberegels wirkt geradezu unglaublich - Er umfasst zwei Zwischenwirte und einen Endwirt. Die Eier des Parasiten gelangen über den Kot der Schafe ins Freie. Dieser Kot ist für Schnecken eine willkommene Nahrung. Im Körper der Schnecke bilden die Eier dann Leberegel-Larven. Diese wandern bis in die Atemhöhle der Schnecke. Dort werden sie, in einen Schleimbrocken gehüllt, von dem Weichtier ausgehustet. Ameisen können dem Schneckenschleim kaum widerstehen, fressen ihn auf und verwandeln sich wenige Stunden später in willenlose Zombies. ((Atmo Wald )) Während die Fortpflanzungskette genauestens erforscht ist, wussten die Biologen über die Gehirnmanipulation durch den Neuroparasiten fast nichts. Mit neuen technischen Methoden hoffen sie, endlich herauszufinden, wie genau der Neuroparasit seine Opfer manipuliert. Deshalb muss Manuel Nagel die Ameisen nun "ernten". O-Ton 03 Manuel Nagel Also die gesammelten Ameisen kommen an die Uni, dort haben wir dann in einem Klimaraum die Möglichkeit, die Ameisen in künstlichen Nestern zu halten. Die künstlichen Nester sind ausbruchssicher und so eingestellt, so pflegeleicht, dass die Tiere darin gut gehalten werden können für ein paar Wochen, während wir sie immer wieder rausnehmen, um dann bestimmte Versuche zu machen. ((Musik J.M. Gauriat "Dread")) Sprecherin 2 Es ist, als drehe die Natur Zombiefilme: Der Parasit dringt in sein Opfer ein und übernimmt die Kontrolle. Das Opfer kann sich nicht mehr wehren und strebt einem fremden Ziel entgegen. Es ist häufig der eigene Tod. Erst durch die jüngste Forschung stellt sich heraus, wie viele Neuroparasiten in wie vielen Arten Mind Controlling ausüben und ihre Opfer zu vollkommen wesensfremden Verhaltensweisen anhalten. Mikrobiologe Professor Dirk Schlüter von der Universität Magdeburg: O-Ton 04 Prof. Dirk Schlüter Im Tierbereich gibt es ja einige Beispiele, da gibt es ja diesen Fischparasiten, wo die sich dann mit ihrer silbernen, schimmernden Fläche nach oben hin plötzlich hinlegen und dadurch von den Vögeln leichter aufgenommen werden können, da gibt es ja schon einige Beispiele, wie Parasiten das Verhalten von ihren Wirten beeinflussen können. Sprecher 1 Zum Beispiel das Baculovirus. Eine Infektion mit diesem Neuroparasiten setzt bei Raupen ein Enzym im Körper frei, das ein Hormon deaktiviert. Dieses regelt normalerweise das Fressverhalten der Raupen und gibt das Signal, wenn es Zeit ist, die Nahrungsaufnahme einzustellen und sich zu verpuppen. Die infizierten Raupen fressen jedoch immer weiter. Sie arbeiten sich in die Wipfel der Bäume vor, auf denen sie leben, bis ihre Körper im wahrsten Sinne des Wortes platzen. Ein Platzregen voller Baculoviren geht dann nieder und infiziert neue Opfer. ((Musik Gil Mellé "Wildfire")) Sprecherin 2 Die Tatsache, dass Neuroparasiten das Verhalten ihrer Wirte so effektiv steuern können, ist erschreckend und faszinierend zugleich - denn es ist kaum vorstellbar, wie so kleine und scheinbar primitive Wesen es schaffen, ihre meist viel größeren und höher entwickelten Wirtsorganismen so zu manipulieren, dass deren verändertes Verhalten dem Parasiten nützt. ((Atmo Universität Magdeburg)) Sprecher 1 An der Universität Magdeburg. ((Atmo Universität Magdeburg)) Sprecher 1 Hier untersucht das Team um den Biologen Dirk Schlüter die Wirkweise eines anderen Neuroparasiten, Toxoplasma Gondii. Dieser Neuroparasit ist in Katzen aktiv und infiziert vor allem Ratten und Mäuse. Ihr Verhalten ändert sich nach der Infektion schlagartig. Im Experiment werden der Maus vier Gerüche zur Auswahl vorgestellt. Einer davon ist der für Mäuse normalerweise angstauslösende Geruch von Katzenurin. Sprecherin 2 Zunächst die nichtinfizierte Maus. Sie meidet den Katzenuringeruch und ist auf der Hut. Die infizierte Maus hingegen zeigt nicht die Spur von Scheu vor diesem Geruch, ihr Risikoverhalten ist vollkommen verändert. In der Natur würde sie sich so in Todesgefahr bringen und riskieren, von der Katze gefressen zu werden. Und das alles nur, damit der Parasit wieder in den Darm der Katze zurückkehren kann, den Ort, an dem er sich vermehrt. Für ihren Versuch verwendeten die Magdeburger Wissenschaftler genetisch identische Mäuse. Sie testeten dieselben Mäuse vor und nach der Infizierung mit dem Parasiten. So konnten sie sicher sein, dass die beobachteten Verhaltensänderungen tatsächlich von dem Parasiten verursacht worden waren. O-Ton 05 Prof. Dirk Schlüter Das Ergebnis des Versuches war, dass die Mäuse, die infiziert gewesen sind, nicht mehr die Ecke mit dem Katzenurin vermieden haben, sie hielten sich zeitlich häufiger in diesem Bereich auf, und sie haben auch häufiger Besuche in dieser Ecke mit dem Katzenurin durchgeführt. Die Idee, einen solchen Versuch durchzuführen, hat sich daraus ergeben, dass einige Kollegen bereits zuvor publiziert haben, dass eine Toxoplasma-Infektion das Vermeidungsverhalten von Mäusen umpolt, dass sie sogar durch den Katzenurin, wenn sie infiziert sind, angezogen werden. Und das wollten wir gern überprüfen, ob das so stimmt, und wenn ja, Einblicke darin gewinnen, woran das vielleicht liegen könnte. Wie kommt es dazu? Wie schafft der Erreger es, ein solches Verhalten zu verändern, die Leistung des Gehirns zu beeinflussen? Sprecher 1 Die Wissenschaftler untersuchten das Gewebe des infizierten Mäusegehirns: O-Ton 06 Prof. Dirk Schlüter Eine Beobachtung, die wir gemacht haben, ist, dass Nervenzellen, die mit Toxoplasmose infiziert sind, ihre Funktionsfähigkeit verlieren, dass sie nicht mehr ihre Aufgabe wahrnehmen können, funktionell inaktiv sind, und da Neurone in ganz hohem Maße untereinander vernetzt sind, kann es sein, dass schon der Ausfall einiger weniger infizierter Neurone in diesem Netzwerk diese Verhaltensveränderung, diese Modulation von neuronalen Fähigkeiten bewirkt. Sprecher 1 Dieser Neuroparasit nistet sich insbesondere im Cortex des infizierten Tieres ein, der Hirnregion, die für kognitive Leistungen besonders wichtig ist, aber auch in der Amygdala, jener Hirnregion, die das Verhalten und die Verhaltensänderungen bestimmt. muss. Durch die gezielte Infektion dieser Hirnregionen kommt es dann zu den todbringenden Verhaltensänderungen. ((Musik Psychophysicists "Psr. 833 - 45")) Sprecherin 2 Und eine weitere Besonderheit: Der Neuroparasit Toxoplasma befällt auch den Menschen. Eine Infektion kann durch Exkremente von Hauskatzen oder schlecht gegartes Fleisch verursacht werden. So kann z.B. auch . selbstgezogenes Gemüse aus dem eigenen Garten belastet sein, wenn sich dort Katzen aufhalten. Auch im Muskelgewebe von Schweinen und Rindern lauert der Katzenparasit. Um eine Infektion zu vermeiden sollte man rohes Fleisch meiden und - vor allem selbstgezogenes Gemüse besonders gut waschen. O-Ton 07 Dirk Schlüter Die Toxoplasmen werden grundsätzlich vom Menschen oral erworben, und der Erreger vermehrt sich auch nur innerhalb von Zellen des Menschen, er kann sich nicht außerhalb von Zellen vermehren. Wenn man ihn oral aufgenommen hat, dringt er aktiv in Zellen der Darmwand ein, wird dort letztendlich von körpereigenen Abwehrzellen, Makrophagen, auch dendritischen Zellen aufgenommen, und in diesen Zellen wandert er dann durch den Organismus des Menschen, infiziert so verschiedene Organe, und gelangt auch innerhalb dieser Zellen ins Gehirn, um dort im Gehirn vor allem auch Neurone, Nervenzellen zu infizieren, und diese Nervenzellen sind eine besondere Nische für den Parasiten, denn dort kann er der Immunantwort entkommen, und in diesen Nervenzellen persistieren, mutmaßlich bis an das Lebensende eines Menschen. ((Musik Clock DVA "Final Program")) Sprecherin 2 Bereits 30 % aller Menschen sind von Toxoplasmose befallen. Sich zu infizieren ist jederzeit möglich. Bisher wurde dieser hohe Durchseuchungsgrad jedoch kaum als alarmierend empfunden, denn die Toxoplasmainfektion galt in der Regel als symptomlos. Und ob der Neuroparasit auch das menschliche Gehirn beeinflusst, ist unter Wissenschaftlern umstritten. O-Ton 08 Prof. Dirk Schlüter Es ist unzweifelhaft, dass bei Nagetieren Verhaltensveränderungen auftreten, das kann als sicher angenommen werden, jedoch ist die Übertragung dieser Ergebnisse auf den Menschen natürlich mit Vorsicht zu genießen. Denn das menschliche Gehirn ist um ein Vielfaches größer und völlig anders aufgebaut als das Gehirn einer Maus. Experimente bei denen sich die Wissenschaftler das lebende Hirngewebe anschauen können sind beim Menschen nicht möglich. ((Atmo Ameisenlabor)) Sprecher 1 Universität Konstanz ((Atmo Ameisenlabor)) Sprecher 1 Manuel Nagel hat die eingesammelten Ameisen sicher im Ameisenlabor der Uni untergebracht. Nun geht er gemeinsam mit Prof. Christian Kleineidam der Frage nach, wie der Kleine Leberegel die Manipulation des Gehirns bewerkstelligt. O-Ton 09a Manuel Nagel ...keiner konnte mir erklären, wie der Parasit das wirklich bei der Ameise auslöst, also wie steuert der Parasit, und da sind halt die Fragen offen nach der Kommunikation, also wie kommuniziert der Parasit mit seinem Wirt, was macht der wirklich im Gehirn, ((macht er das über Neurotransmitter)), macht er das über ((andere)) neuroaktive Substanzen, macht er das über einen anatomischen Eingriff, also dass er wirklich an der Gehirnstruktur was verändert, was dann zu einer Verhaltensänderung führt, das sind alles Dinge, die kann keiner beantworten, das hat sich keiner angeschaut. ((Atmo Konstanz)) Das Gehirn der Ameise unter dem Mikroskop. Und da ist er: Ein riesiges wurmartiges Gebilde, das hier nicht hingehört O-Ton 09 Manuel Nagel Also, das ist jetzt das ganze Gehirn, d.h., man findet links und rechts die optischen Bereiche, wo die visuellen Sachen reinkommen, oben die Hirnzentren, die auch für Erinnerung und so was konsolidiert werden, und hier unten im unteren Bereich sieht man halt sehr schön den verpackten, zusammengeknödelten Hirnwurm. Sehr weit unten im Gehirn. Also der ist wirklich, der hat einen ganz eigenen Bereich für sich und liegt an der Stelle und kann da dann eben Einfluss nehmen. Sprecher 1 Die Vermutung der Wissenschaftler: entweder übt der Kleine Leberegel mechanischen Druck auf das Gehirn aus, oder die Kontrolle erfolgt durch Ausschüttung von Botenstoffen, sogenannten Neurotransmittern. Deshalb haben sie einen bestimmten Neurotransmitter der Ameise grün gefärbt und beobachteten, dass sich derselbe grüne Neurotransmitter auch im Hirnwurm befindet. Derselbe Stoff wie im Ameisengehirn. O-Ton 10 Manuel Nagel Da sieht man auch hier, sieht man einzelne Zellen, die eben diesen Neurotransmitter herstellen, genau diesen Neurotransmitter findet man eben auch in dem Hirnwurm. Daher wäre das ein Ansatz, zu sagen, o.k., der Wurm hat das Potential, Neurotransmitter zu generieren oder halt Stoffe zu generieren und zu produzieren, die dann wiederum auf das Gehirn von ner Ameise wirken. Weil die Ameise ja diese Stoffe benutzt, um, oder die Neurone benutzen, um zu kommunizieren. Sprecherin 2 ((Musik Conrad Schnitzler "The Sinking of a Melting Drone")) Alle Parasiten müssen bei ihrem Angriff mit einer Hürde fertigwerden: dem Immunsystem, das dazu dient, Eindringlinge abzuwehren. Im Laufe ihrer evolutionären Entwicklung haben fast alle Parasiten die Fähigkeit hervorgebracht, die Immunantwort ihres Wirts zu unterdrücken oder auszutricksen. Häufig dadurch, dass sie selber Substanzen produzieren, die sie für das Immunsystem unsichtbar werden lassen. Damit ist bereits ein erster Schritt der Manipulation des Wirts vollzogen. Es brauchte im weiteren Verlauf der Evolution noch weitere Schritte, um die Manipulation so voranzutreiben, dass sie sich auch auf das Verhalten des Wirts auszudehnen begann. ((Atmo Uniklinik Prag, Labor Prof Flegr)) Sprecher 1 Universitätsklinik Prag. ((Atmo Uniklinik Prag, Labor Prof Flegr)) Sprecher 1 Im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen ist das Team um Prof. Jaroslav Flegr der festen Überzeugung, dass der Neuroparasit Toxoplasma Gondii, nicht nur das Verhalten von Ratten und Mäusen umpolt, sondern sich in ähnlich drastischer Weise auf das Verhalten von Menschen auswirkt: Voice-over Sprecher 3 Bernd Hörnle O-Ton 11 Jaroslav Flegr Es scheint, als gäbe es eine Reihe von psychiatrischen Krankheiten, die in sehr engem Zusammenhang mit Toxoplasmose stehen. Das geht von Schizophrenie über verschiedene Fälle von Epilepsie, bis hin zu bipolaren Störungen. Das kommt daher, dass Toxoplasmose die Ausschüttung des körpereigenen Neurotransmitters Dopamin erhöht. Außerdem gibt es viele Studien, die zeigen, dass Toxoplasmose das Selbstmordrisiko steigert. Bei diesem Phänomen liegt die Vermutung nahe, dass auch der Serotoninausstoß erhöht wird. Sprecher 1 Nach Meinung der Prager Wissenschaftler kann Toxoplasmose nicht nur psychische Krankheiten auslösen, sondern ganz konkrete Verhaltensänderungen beim Menschen herbeiführen. Prof. Flegr und sein Team haben das Blut von Blutspendern auf Toxoplasmen untersucht, dann führten sie einen Reaktionstest durch, bei dem die Zeit gestoppt wurde. Sobald die Testpersonen ein Quadrat in einer Box sahen, sollten sie so schnell wie möglich einen Knopf drücken. Die Abweichungen waren gering, aber aussagekräftig: Die Personen, die mit Toxoplasmen infiziert waren, hatten die schlechteren Reaktionszeiten. Der Gegencheck: Menschen, die sich mit Toxoplasmen infiziert haben, sind - den tschechischen Forschern zufolge - doppelt so häufig in Verkehrsunfälle verwickelt. Voice-over Sprecher 3 Bernd Hörnle O-Ton 12 Jaroslav Felgr Dass durch Toxoplasmose eine psychomotorische Veränderung eintritt, eine Verlängerung der Reaktionszeit, ist unbestritten Deshalb sollten Berufsfahrer, die Rhesus-Negativ sind, sich unbedingt regelmäßig auf Toxoplasmose testen lassen. Bei einer Studie, die wir mit 4.000 Militärfahrern durchgeführt haben, konnten wir folgendes feststellen: Diejenigen mit der Blutgruppe Rhesus-negativ hatten ein 6-fach erhöhtes Risiko, Unfälle zu verursachen, wenn sie frisch infiziert waren. Das ist ein ernstes Problem, weil die Fahrer sich vermutlich nicht so schnell auf die Veränderung ihrer Leistungsfähigkeit einstellen können. Und dann kann es richtig gefährlich werden, für sie und für uns. Sprecher 1 Die Ergebnisse der tschechischen Forscher entstammen allerdings sogenannten retrospektiven Studien: ein bestimmtes Verhalten von Menschen wird z.B. durch Fragebögen ermittelt und parallel wird korreliert, ob sie mit Toxoplasmose infiziert sind. Diese Methode ist unter Wissenschaftlern umstritten. Dirk Schlüter von der Universität Magdeburg: O-Ton 13 Dirk Schlüter Das Problem bei diesen Studien ist, dass man nicht sagen kann, ob zuerst die Infektion da war und sich dadurch das Verhalten verändert hat, oder ob ein verändertes Verhalten schon vorher vorlag, und dieses veränderte Verhalten auch eine erhöhte Risikobereitschaft bedingt, Toxoplasmose aufzunehmen, z.B. durch den erhöhten Verzehr von rohem Fleisch, durch eine mangelnde Küchenhygiene, durch eine vermehrte Katzenhaltung usw. Und deshalb ist es dringend notwendig, in Zukunft, und das ist auch schon geplant und ist auch schon begonnen worden, prospektive Studien durchzuführen, d.h., man untersucht Menschen auf ihr Verhalten zu einem Zeitpunkt, wo sie noch nicht infiziert sind, und wartet dann, dass eine bestimmte Gruppe dieser Menschen Toxoplasmoseinfiziert wird, um dann festzustellen, ob diese eingetretene Infektion das bereits vorher dokumentierte Verhalten verändert. Sprecherin 2 Doch über eines sind sich alle Wissenschaftler einig: Bisher wurde die Rolle der winzigen Schmarotzer stark unterschätzt. ((Musik J. M. Gauriat "Inhuman Eyes")) Nach den neuesten Erkenntnissen haben diese Organismen einen stärkeren Einfluss auf Ökosysteme, Physiologie, evolutionäre Prozesse sowie das Verhalten von Tieren und vielleicht sogar Menschen, als man bisher anzunehmen wagte. ((Musik Gil Mellé "Wildfire")) Saitenwürmer zwingen Heuschrecken, ins Wasser zu springen, damit die Würmer sich fortpflanzen können, die Larven des Wurms Pomphorhynchus laevis manipulieren Flohkrebse, bis sie den Flussbarschen nahezu von selbst ins Maul schwimmen, Stichlinge begehen reihenweise Selbstmord, weil ihre Hirne von Bandwürmern gekapert sind. ((Musik Conrad Schnitzler "The Sinking of a melting Drone")) Wespen betreiben das sogenannte Bodyguard-Parasitentum. Nachdem sie ihre Eier in den Raupen einer bestimmten Mottenart abgelegt haben, richten sie ihre Strategie danach aus, riskantes Verhalten ihrer Wirte zu minimieren. Sobald die Larven aus dem Körper der Raupe herausgekrochen sind und sich verpuppen, bleibt die Raupe vor Ort, um die fremde Brut zu beschützen. ((Musik Conrad Schnitzler "Buta Raga")) Eine Spinnenart wird von den Wespen derart manipuliert, dass sie beginnt, spezielle Netze zu spinnen, um dem Wespennachwuchs Schutz vor Witterungseinflüssen und Fraßfeinden zu bieten. Zum Lohn werden sie von den Jungwespen gefressen. Sprecher 1 Als das britische Wissenschaftsmagazin "Journal of Experimental Biology" den Neuroparasiten und ihrem Treiben seine gesamte Dezemberausgabe widmete, war es, als hätte das deutsche Feuilleton nur darauf gewartet. Fast alle großen Tages- und Wochenzeitschriften setzen sich mit dem Phänomen auseinander. Prof Kleineidamm, Uni Konstanz O-Ton 14 Prof. Kleineidam, Uni Konstanz Ich habe den Eindruck, dass solche prominenten Phänomene, dass die wieder mehr ins Zentrum kommen, weil auch der Bedarf oder das Interesse der Bevölkerung da ist, zu erfahren, woher kommt denn das. Woher haben wir diese große Vielfalt, nicht nur Artenvielfalt, sondern auch Vielfalt an Interaktionen zwischen den Organismen, und da sind die Parasiten eben ein Beispiel, was sehr offensichtlich ist. Sprecherin 2 Parasiten sind nicht nur wichtig, sie sind auch in der Überzahl: auf eine nichtparasitäre Lebensform kommen schätzungsweise vier parasitäre. Dabei passen sich nicht nur die Parasiten an ihre Wirte immer besser an, auch umgekehrt entwickeln die Wirte immer wieder neue Abwehrstrategien und Modifikationen, die die schädliche Wirkung der Parasiten einschränken und begrenzen. O-Ton 15 Prof. Kleineidam, Uni Konstanz Natürlich ist das ein Wunder der Evolution. Nicht in dem Sinne der Schöpfungsgeschichte, aber jeder von uns, der rausgeht und die Natur beobachtet, wird das als Wunder empfinden, und weil wir die Fähigkeit haben, Interaktion zwischen Organismen und die Vielfalt an Organismen zu schätzen. Dass Parasiten so erfolgreich sind, ist für uns eher ein Zusatz zu der Vielfalt, was uns zeigt, dass eine Koevolution, dass die Anpassung von Organismen zueinander eine Komplexität erreicht hat, die wirklich unglaublich faszinierend ist. ((Musik Conrad Schnitzler "Buta Raga")) Sprecherin 2 So erhöht sich für den Parasiten die Chance, wieder in den Endwirt zu gelangen, wenn er einen Zwischenwirt nutzt, der vom Endwirt bevorzugt gefressen wird. O-Ton 16 Dirk Schlüter Im Bezug auf den Menschen muss man sagen, dass der Parasit heutzutage eine Sackgasse darstellt in seiner Entwicklung. Er kommt aus dem Menschen nicht mehr heraus, wir scheiden die Erreger nicht als Oozysten aus, das können nur Katzen, und dadurch, dass der Mensch in Anführungsstrichen nicht verzehrt wird, kann er ebenfalls nicht mehr in den Kreislauf hineingelangen. Insofern stellen die Verhaltensveränderungen, die mutmaßlich auch beim Menschen auftreten können, keinen Entwicklungsvorteil für den Parasiten heutzutage dar. Sprecherin 2 Aber das war nicht immer so. Vor ein paar Tausend Jahren noch war die Wahrscheinlichkeit für einen Menschen, von einer Katze gefressen zu werden, durchaus gegeben. ((Musik Gil Mellé "Wildfire")) Und während die Wissenschaft sich streitet, ob Toxoplasma Gondii tatsächlich Verhaltensänderungen beim Menschen hervorbringen kann, stellen sich einige Forscher bereits die Frage: Ist dieser Parasit der einzige, der das kann? Könnte es noch andere Spezies geben, die in unserem Inneren leben und Einfluss auf unser Verhalten haben? Voice Over Sprecher 3 Bernd Hörnle O-Ton 17 Jaroslav Flegr: Ich bin sicher, dass es eine Vielzahl von Parasiten gibt, die das menschliche Verhalten manipulieren und zum Beispiel einen Einfluss auf das Risiko eines Verkehrsunfalls haben. Aber bis heute wurden diese Parasiten noch nicht systematisch und über einen langen Zeitraum hinweg erforscht. (( Musik Conrad Schnitzler "Buta Raga")) Die Neuro-Parasitologie war lange Zeit ein Stiefkind der Wissenschaft. Heute ist sie ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses gerückt, weil sich die Forscher neue Erkenntnisse über die Beeinflussung von Nervensystemen versprechen. Die Wissenschaftler hoffen später auch medizinischen Nutzen aus diesen Erkenntnissen ziehen zu können, was z.B. die Entwicklung neuartiger Psychopharmaka ermöglichen würde. Denn Neuroparasiten sind geniale Biochemiker, die nicht nur das Immunsystem überlisten, sondern auch noch genau die richtigen biochemischen Befehle geben können, die eine Kommunikation zwischen völlig unterschiedlichen Spezies möglich macht. Und zwar jeder auf seine ganz eigene, perfekt auf den jeweiligen Wirtsorganismus abgestimmte Weise ((Atmo Uni Konstanz, Labor)) Sprecher 1 Universität Konstanz ((Atmo Uni Konstanz, Labor)) Sprecher 1 Auswertung der ersten Arbeitsergebnisse der Biologen Kleineidam und Nagel. Klar ist bereits, dass der Ameisenparasit bei der Manipulation völlig anders vorgeht, als z.B. Toxoplasma gondii. Die Vermutung von Prof. Christoph Kleineidam und Dr. Manuel Nagel: der Kleine Leberegel aktiviert ein Programm, das in der Ameise schlummert. Dieses Programm bestimmt dann das merkwürdige Verhalten der Ameisen: O- Ton 18b Prof. Christian Kleineidam Die Ameisen zeigen ein atavistisches Verhalten, eine Verhaltensweise, die in der Entwicklungsgeschichte der Ameisen ursprünglich vorhanden war, eine Verhaltensweise, die diese Hautflügler früher ausgeführt haben und bei den sozialen Insekten unterdrückt ist. Bei den sozialen Insekten, die Nester bauen, diese Tiere haben die Möglichkeit, sich zu schützen, indem bei unwirtlichen Bedingungen, wie beispielsweise fallende Temperatur, oder auch im Winter sich zurückziehen können, und dadurch ist das Verhalten nicht mehr notwendig, sich an einem Blatt festzubeißen, sondern die Hypothese ist: dieses Verhalten ist unterdrückt, und die Tiere ziehen sich zurück in ihr Nest. Und der Parasit ist in der Lage, dieses Verhalten wieder auszulösen. Also, eine stammesgeschichtlich ursprüngliche Verhaltensweise wieder zu aktivieren. Sprecher 1 Dem winzigen Kleinen Leberegel könnte es also gelingen, das Protein zu produzieren, das dieses Schlafverhalten, was eigentlich evolutionär abgeschafft ist, wieder zu aktivieren. O-Ton 19 Manuel Nagel Angenommen, es fehlt da ein Protein, was eigentlich das Schlafverhalten braucht. Und dieses Protein ist in Ameisen nicht mehr da oder runterreguliert. Und nun schafft es der Hirnwurm, genau diesen Stoff, der benötigt wird in diesem Verhaltensplan oder in diesem Verhaltensmuster, zu produzieren, dann wäre das eben die Möglichkeit, dass aufgrund von so einem einzelnen Stoff dann ein Verhalten ausgelöst wird. Die Vorstellung geht eindeutig in die Richtung, dass eben ein Programm schläft im Gehirn, was einfach nur wenig Einfluss braucht, um dann wieder ablaufen zu können. ((Musik Conrad Schnitzler "The Sinking of a melting Drone")) Sprecherin 2 Neuroparasiten sind ein Wunder der Evolution. Wissenschaftler arbeiten daran, ihr Geheimnis zu ergründen, um ihrer Herrschaft über die Gehirne anderer Geschöpfe auf die Spur zu kommen. O-Ton 20 Dirk Schlüter Die Vorstellung, dass ein Parasit menschliches Verhalten, unser eigenes Verhalten manipuliert, ist natürlich sehr unangenehm. Jeder möchte selbstbestimmt sein Leben führen, sich nicht (()) von einem Parasiten hereinreden, was er denn zu tun hat oder zu lassen hat. Insofern ist die Vorstellung unangenehm, dass im Gehirn irgendetwas ist, was uns sagt, was wir zu tun haben, und da entscheidenden Einfluss drauf nimmt. Das kann man selber und sonst niemand! Die Macht der Neuroparasiten berührt die philosophische Frage nach dem Freien Willen des Menschen. Welche Rolle spielt der Mensch im evolutionären Kräftespiel von Parasiten und ihren Wirten? 1