Deutschlandradio Kultur Länderreport Das Bauer-Sein in Ost und West ... aus österreichischer Sicht Autor Stefan May Red. Claus-Stephan Rehfeld Sdg. 05.08.15 - 13.30 Uhr Länge 18'13" Unmut über Mißtrauen gegen Landwirte Autor Alexander Budde Red. Claus-Stephan Rehfeld Sdg. 05.08.15 - 13.30 Uhr Länge 02'12" Moderation (siehe Script Sendung) -folgt Script Sendung- Script Sendung MOD Das Bauer-Sein in Ost und West. Aus österreichischer Sicht. Am Mikrofon begrüßt Sie Claus-Stephan Rehfeld. E 01 "Mein Gott, die Arbeit war eigentlich schöner als wie bei uns zu Hause: Es waren mehr Leute da. Mit uns war das net vergleichbar, weil die haben sozusagen schon wie Arbeiter auch, sie waren nicht, was weiß ich, rund um die Uhr einsetzbar, wie das bei uns fallweise notwendig war." (18") MOD Ein österreichischer Agrarjournalist hatte in seinen Studienjahren, lang ist's her, auf einer Landwirtschaftsmesse in Oberösterreich ein Plakat entdeckt. "Wo die Bauern Millionäre sind" hieß es am Stand. Und der war aus der DDR. Dem wollte er auf den Grund gehen und bewarb sich um ein Praktikum in einer LPG in Sachsen. Der Antrag wurde genehmigt, und so kam der junge Mann im Sommer 1961 mit einem ihm bis dahin völlig fremden System in Kontakt. Und zwar just in der Zeit des Mauerbaus. Nach der Wende nun besuchte er weiterhin die Bauern, die inzwischen wählen konnten zwischen Genossenschaft und Selbständigkeit. Auch 2015 war Franz Hofer wieder zu Besuch in "seiner LPG". Er sprach mit den Gastgebern von damals und Landwirten von heute und erinnert sich an jene Zeit, als im tiefsten Sachsen Welten aufeinanderstießen. Unser österreichischer Kollege Stefan May hat ihn dabei begleitet. LR-l Bauer-Sein / May - 18'13" Zum Schluss braucht er kein Navi mehr. Die letzte Meile ist ihm vertraut. Der 79jährige Franz Hofer hat die Landwirtschaftsmesse agra in Leipzig besucht und befindet sich auf dem Weg dorthin, wo er vor 54 Jahren ein mehrmonatiges Praktikum in der Landwirtschaft absolviert hat. Hofer stammt von einem Bauernhof in Oberösterreich nördlich der Donau, dem klimatisch rauen Mühlviertel. Nachdem er die höhere Landwirtschaftsschule beendet hatte, arbeitete er bis zur Rente als Redakteur für eine österreichische Agrarzeitung. Jetzt parkt Franz Hofer sein Auto vor einem weitläufigen Anwesen, das ihm wohlbekannt ist. Die langgestreckten Bauten waren einst ein Rittergut, an deren Fassade heute in großen Lettern "Agrargenossenschaft Oberwiera" geschrieben steht. Hofer "Damals war das eine LPG, eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, die ein Aushängeschild war für die damalige Zeit. Das habe ich schnell bemerkt, dass alle Genossenschaften rundherum nicht in dieser Perfektion, soweit man das so sagen kann, gemacht waren oder in dem Leistungszustand wie diese hier. Ich habe mir sowieso was anderes erwartet, davon bin ich ausgegangen, dass man das nicht vergleichen konnte mit Österreich, nicht nur von der Größe her, sondern einfach von der Organisation." Man hat den damals 25jährigen Agrarstudenten also in einen Vorzeigebetrieb gesteckt. Dort durfte er auswählen, in welcher Sparte er arbeiten wollte. Er suchte sich die etwa zwei Dutzend Mann starke Traktoren-Brigade aus, weil er an Technik interessiert war, und wurde einem der drei Mähdrescher zugeteilt. Hofer erinnert sich an einen Lanz Bulldog, der dort noch im Einsatz stand, einen Ackerschlepper, der in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkriegs in Mannheim produziert worden war. 1740 Hektar groß war der Betrieb, später kam noch ein mächtiger Stall mit 400 Kühen dazu. Hofer "Mein Gott, die Arbeit war eigentlich schöner als wie bei uns zu Hause: Es waren mehr Leute da. Mit uns war das net vergleichbar, weil die haben sozusagen schon wie Arbeiter auch, sie waren nicht, was weiß ich, rund um die Uhr einsetzbar, wie das bei uns fallweise notwendig war. Allerdings, das hat´s auch hier gegeben, dass am Sonntag, wenn´s zur Erntezeit war, gearbeitet wurde. Es hat einen Acht-Stunden-Tag gegeben, im Prinzip, der allerdings variiert worden ist, was eh richtig ist." Zuschläge gab es für die Sonntagsarbeit normaler weise nicht, erzählt Franz Hofer. In der Produktivität sei Österreich aber selbst dieser Vorzeige-LPG in Oberwiera überlegen gewesen. Hofer "Das ist aber daran gelegen, dass die zum Teil zu wenig Dünger hatten, Pflanzenschutzmittel fast überhaupt nicht, gab´s auch bei uns damals noch wenige. Also man kann diese Situation nicht mehr mit heute vergleichen, aber es war bei uns besser." Das Ende des freien Bauerntums in der DDR lag noch nicht lange zurück. Die Kollektivierung hatte neun Jahre zuvor mit der Gründung der ersten LPGs begonnen und war erst ein Jahr zuvor abgeschlossen worden. Einige ehemalige Bauern waren mit Begeisterung dabei, doch der überwiegende Teil der Zwangs-Genossenschafter hatte sich in sein Schicksal gefügt. Das aber ließen sie den Praktikanten aus Oberösterreich anfangs nicht merken. Hofer "Die ersten paar Wochen nicht. Später haben sie mir das erst gesagt. Die haben nämlich geglaubt, ich wäre von der zuständigen, also in Österreich kommunistischen Partei delegiert. Und deswegen wollten sie nichts sagen, weil wirkliche Kommunisten waren wenige." Ein paar Wochen arbeitete Franz Hofer schon auf den Feldern der sächsischen LPG, da wurde mit einem Mal die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland gebaut. Hofer "13. August, das Datum vergess´ ich nie. Ich habe an dem Tag frei gehabt, das war nämlich auch ein Sonntag, und da bin ich halt mit dem Zug nach Leipzig gefahren, wollte mir Leipzig anschauen. Und da habe ich ja gar nichts gewusst, weil das ist ja, in der Nacht hat das begonnen. In Leipzig hat´s also noch diese öffentlichen Lautsprecher gegeben auf den Plätzen. Und da hat es eigentlich zwei Sachen gegeben: Marschmusik und Propaganda, warum man das macht: Weil aus dem Westen so viele Saboteure da sind, und die müssen ausgegrenzt werden - war genau umgekehrt. Ich habe ja gewohnt in einem Lehrlingsheim, und der das Lehrlingsheim betreut hat, das war ja ein begeisterter Kommunist. Was der alles befürchtet hat, was da jetzt passieren wird. Es ist nichts weiter passiert, weil wir weit weg waren. Es hat ja da keine Grenze gegeben. Einer, weiß ich noch gut, der hat gesagt - da haben wir uns ja schon gekannt, wirklich - hat er g´sagt: Mensch, Franz, wenn ich das gestern gewusst hätte, wäre ich gestern noch abgehauen." Zeit für den Besuch der ehemaligen LPG. Wir steigen aus dem Auto und die Stufen zum Verwaltungstrakt hinauf. - Franz Hofer ist hier noch immer gut bekannt, weil er nach seiner Praktikantenzeit immer wieder hier vorbeigekommen ist. - Und er hat jedes Mal Gastgeschenke dabei. Aus der LPG ist inzwischen eine Genossenschaft mit 1235 Hektar geworden, davon 100 Hektar Grünland und doppelt so viel Futterrübenanbau. Von der Fläche her ist der Betrieb also etwas kleiner geworden. Nach wie vor werden auch 400 Kühe gehalten. Knapp 30 Menschen sind in der Agrargenossenschaft Oberwiera beschäftigt, von den ehemaligen LPG-Genossen sind die meisten auch in der Nachfolgegesellschaft geblieben, erzählt Bringfried Berger, der derzeitige Leiter. Berger "Ganz wenige haben sich da verabschiedet. Das sind am Anfang drei, vier Betriebe gewesen. Die meisten haben auch schätzen gelernt: Es konnte mal Urlaub gefahren werden. Wenn jemand krank geworden ist, ist nichts passiert." Bringfried Berger kennt Franz Hofer nicht von dessen Praktikantenzeit, denn im Jahr des Mauerbaus war er noch ein Kind. Zur Wende war er 35 Jahre alt - für ihn und seine Frau das richtige Alter, um das Management des neuen Betriebs zu übernehmen, wie er sagt. Auf eine Diskussion Genossenschaft gegen Familienbetrieb will sich Berger nicht einlassen. Berger "Die entscheidende Frage ist nicht die Größe, die entscheidende Frage ist das Management. Wenn der Familienbetrieb gute ökonomische Ausbildung hat, da ist er unschlagbar. Wir haben hier nebenan in Schönberg, der Herr Butzik, das ist ein ganz starker Betrieb, der ist flexibel, der ist leidensfähig. Die sind leidensfähiger wie wir, wenn´s drauf ankommt. Wir sind immer die Strategie gefahren, dass wir versucht haben, jedes Jahr Reserven anzulegen, um die schlechten Jahre dann gut ausgleichen zu können. Also das ist Managementsache." Viel produktiver sei man inzwischen geworden, sagt Bringfried Berger. Wichtig sei, dass man heute selbst entscheiden könne, was man anbauen wolle und dies nicht mehr vorgeschrieben bekomme. Berger "Wir sind einer von vielen, allerdings von der Agrargenossenschaft im Vergleich eigentlich ein kleinerer. Aber durch diesen intensiven Kartoffelanbau vom Umsatz wie auch von der Ökonomie her, denke ich, sind wir schon ein relativ starker Betrieb." Wir sitzen wieder im Auto, sind ein Stück gefahren und blicken über schier endlose satt-goldene Rapsfelder. Franz Hofer vermutet, dass die Genossenschaft mit der Kartoffelproduktion inzwischen ein ausnehmend gutes Geschäft macht. Sie beliefert ein Kartoffel-Verarbeitungsunternehmen, dessen knallgelbes Werksgebäude von der nahen Autobahnabfahrt herüber leuchtet. Die Genossenschaft besitzt einen Anteil an dem Betrieb. Angesprochen auf den deutlichsten Unterschied zwischen "seiner" LPG von 1961 und der Genossenschaft von heute, nennt Hofer sofort den Wegfall der Planwirtschaft. Hofer "A Planwirtschaft in dem Sinn gibt´s ja immer, auch der einzelne. Nur der Heutige, der plant für sich oder für seinen Betrieb. Damals hat´ s ja a große Planung ´geben, eben in dem Fall: Die mussten Kartoffeln anbauen, obwohl sie es nicht wollten, weil´s zu wenig gebracht hat, aber das war vorgesehen für dieses Gebiet. Und die freie Entscheidung, die ist heute gegeben. Eigentlich im Prinzip wie bei uns, bei die Bauern, auch, nur halt der eine größer und der andere kleiner." In Oberwiera sind die einst ungeliebten Kartoffeln sogar zur Zugpferd des Betriebs geworden. Mitunter können sich Nachteile von einst zu späteren Vorteilen wandeln. In der LPG gab es nur geringe Spielräume, hat der österreichische Gast während seines Praktikums erfahren. Hofer "Leider haben ja damals vor allem Parteisekretäre den großen Einfluss gehabt. Und die, auch wenn sie wollten, waren meistens fachlich ungebildet und haben aus dem heraus, je nachdem wie gut sie den Kontakt dann gehabt haben mit den einzelnen Brigadieren und so, hat das so oder so funktionieren können. Ich weiß ja, ich hab´ ja alle diese Brigadiere gekannt. Und einzelne waren überhaupt keine Kommunisten beziehungsweise waren sogar Gegner, haben aber gesagt: Ja, aber in der Situation! Und das war schon, das waren Bauern, von der Erziehung und vom Herkommen her. Die haben sich zwar um die da oben nicht geschert oder versucht sich nicht zu scheren, aber das Bäuerliche, das haben sie gehabt. Es hat eine gewisse Individualität gegeben, und wenn die mit ihnere Leut´ umgehen haben können, dann haben sie auch was erreicht." Allerdings wusste man auch um die Nachteile, die nachlässiges Verhalten zeitigte. Hofer "Die Disziplin war nicht sehr freiwillig." Wir setzen unsere Fahrt fort und haben nach ein paar Kilometern Glauchau erreicht. Hier erwartet uns eine Frau, deren LPG wohl kein solcher Vorzeigebetrieb war wie jener in Oberwiera. Sie hatte jedenfalls nach der Wende die Nase voll von der unfreiwilligen Disziplin, der verordneten Planwirtschaft und den Brigaden. Am Rand der Kreisstadt führt ein schmaler Weg zwischen Obstbäumen zu einem Gehöft in der Senke zwischen Straße und Bahndamm. Barbara Seidl ist eine so genannte Wiedereinrichterin. Sie ließ 1991 den elterlichen Hof und dessen Grundstücke aus der LPG herauslösen, um ihn künftig allein zu bewirtschaften. Der Anfang war nicht einfach, auch wenn sie an der Karl Marx-Universität in Leipzig Tierproduktion studiert hatte. Seidl "Natürlich war´s halt schwierig, einzuschätzen am Anfang, was kann man sich denn zumuten, was schafft man denn, grade jetzt als Frau alleine, ohne Ahnung. Es war jetzt nicht so, dass ich nicht Traktor fahren konnte, das konnte ich als Kind eher wie Fahrrad. Ich komme auch von dem Hof hier. Meine Großeltern haben den noch, und meine Eltern später dann bewirtschaftet. Natürlich ist eine Generation ausgefallen. Also, ich hatte auch niemanden mehr, den ich fragen konnte. Mein Großvater ist gestorben, mein Vater ist gestorben, ich hatte nur meine Tante und meine Mutter noch, die mir da sehr den Rücken frei gehalten hat." Sie waren fünf Landwirte, die sich aus der LPG verabschiedet hatten und als Wiedereinrichter neu begannen. Trotz Kooperation waren sie sich einig: LPG machen wir nicht mehr. Seidl "Es hatte ja keiner was, außer ´ne Mistgabel und Karre, die waren vorhanden. Und sind damals auch sehr belächelt worden von unseren Ex-Arbeitskollegen, und so nach dem Motto: Na, lass´ ma´, im Herbst sind die wieder da, das wird sowieso nichts. So was spornt natürlich extra an, das ist klar, ja. Und das war wirklich in der ersten Zeit ganz super, wir haben uns geholfen untereinander, wir haben uns abgesprochen. Das hat uns allen wirklich auf die Beine geholfen." Anfangs investierte man auch zusammen, half sich gegenseitig mit den Maschinen aus. Franz Hofer lernt Barbara Seidl anlässlich der Vermittlung eines gebrauchten Steyr-Traktor aus Österreich kennen. Mit 26 Hektar hat sie angefangen, inzwischen hat sie zugekauft und zugepachtet. Seit mehr als sieben Jahren steht auch eine Blechkuh vor der Tür, wie Barbara Seidl die zwei grünen Türme ihrer Biogasanlage nennt. Reich geworden ist sie damit bisher nicht: Erst gab es lange Zeit Probleme mit dem Betrieb, dann ließ die Politik mit der jüngsten Novelle zum Erneuerbare Energiengesetz die Bioenergie insgesamt fallen. Und dennoch ist Barbara Seidl in ihrem Beruf glücklich. Seidl "100 Prozent. Man hat überall, in jeder Branche, mal Höhen und Tiefen, aber die Grundsatzentscheidung würde ich heute sofort wieder machen." Wieder sitzen wir im Auto, die Rückreise steht bevor. Franz Hofer zeigt großen Respekt für die Bäuerin aus Glauchau: Hofer "Erstens, dass sie überhaupt als einer der ersten direkt wirklich als Wiedereinrichter begonnen hat. Der Mut - es sind ja nicht sehr viele Wiedereinrichter überhaupt, weil es sich finanziell gar nicht aus´gangen hat. Die haben ja zum Teil trotzdem ganz wenig zurückgekriegt. Außerdem: Sie hat eine Ausbildung, die noch universal etwa ist, während die meisten LPG-Leute, die also dort gearbeitet haben, die waren lauter Spezialisten oder halt Traktorfahrer, das waren Melker, die haben einen Spezialzweig gehabt, und von dem anderen haben sie nichts mehr verstanden. Inzwischen sind ja 40 Jahre vergangen. Und das ist eine neue Generation. Die Alten, teilweise soweit die zur Zeit der Kollektivierung jung waren, die haben das daheim zum Teil noch gelernt, Zusammenhänge, ganze, und konnten dann im Alter noch an ihre Jungen was weiter geben." Den traditionell gewachsenen Bauernstand über Generationen gibt es aber nicht mehr. Nach der Wende war Franz Hofer oft mit Landwirten aus Oberösterreich in der ehemaligen LPG zu Gast, wo er praktiziert hatte, um den Kollegen aus Österreich dieses andere System von Agrarwirtschaft zu zeigen. Doch die Vorzüge von geregelter Arbeitszeit, Urlaub und Krankenstand in einer Genossenschaft konnten die meisten nicht überzeugen. Undenkbar, lautete der Tenor, wenn das nicht mehr mein Grund und Boden ist, den meine Familie seit Jahrhunderten bewirtschaftet hat. Eine Denkweise, der Franz Hofer nichts abgewinnen kann. Hofer "Das ist eine Ansicht, ja, die ist kulturell interessant, aber es hat mit Wirtschaft nichts zu tun. Das ist halt eigentlich dieses übertriebene Familiendenken auch: Unsere Familie ist so alt. Wie bei den früheren Grafen und so. Und ein wenig was hat ja das Bäuerliche mit diesen Kulturen zu tun." Der Agrarjournalist Hofer hat aber auch das Gegenteil erlebt, nämlich die ungeheure Faszination der anderen Wirtschaftsweise. Hofer "Welchem Bauern würden solche Betriebsgrößen net gefallen? Jeder möchte größer sein, das ist menschlich. Da waren die dann enttäuscht, weil ich dann gesagt hab` drauf: Ja, aber habt ihr euch überlegt, was da passiert ist, damit diese Betriebe entstanden sind, wie viele da aufgeben mussten, damals im kommunistischen System? Da haben sie mich groß angeschaut." Größer zu werden ist aber heute auch ein ökonomischer Zwang. Sowohl Bergfried Berger als auch Barbara Seidl hatten erwähnt, dass sie stets auf der Suche nach neuen Gründen seien, die sie kaufen oder pachten könnten. Doch Agrarfläche ist ein knappes Gut geworden. Immer weniger Menschen können heute immer mehr Fläche bewirtschaften. Wir sahen die Zeugen dieser Entwicklung auf unserer Fahrt von Leipzig ins Erzgebirge: Regelmäßig tauchten vom Grün überwachsene Gehöfte neben der Straße auf, romantisch verwunschen erscheinende Ruinen mit schiefen, bröckelnden Mauern, die sich die Natur zurückzuerobern im Begriff stand, einstige Bauernhöfe, die ganze Familien ernährt hatten. Heute ist die Landwirtschaft kein wichtiger Faktor für den Arbeitsmarkt mehr. Hofer "Wie viel sind denn das? Das sind ein paar Leute, die die noch beschäftigen. Als Arbeitsplatz haben diese Betriebe wenig Bedeutung. Wenig. Da haben unsere weit mehr. Obwohl, das muss man auch sagen, das ist bei uns auch, ich will nicht sagen, nicht ganz ehrlich, aber es ist sicher so, dass bei uns alle einen Nebenerwerb haben oder fast alle, zwangsläufig, weil´s sonst gar nicht überleben können, denn der kleine Betrieb, der verhältnismäßig kleine Betrieb, der bringt das nicht. Die Milchbauern, also bei uns, 60, 70 Kühe, das war früher gar nicht vorstellbar, das ist aber heute die untere Grenze, wenn sie davon leben wollen. Da ändert sich schon was. Da gibt es ja alleweil eine Zahl: Weiß ich, in die 30er oder 20er Jahre, da hat ein Bauer zehn oder zwölf Personen ernähren können, und heute, eh die letzte Zahl, die ich im Kopf habe, ist 140. Nur, das stimmt in der Form net." Es wird nämlich nicht das Zehnfache erzeugt, sondern viele Vorprodukte, die früher auf dem Hof hergestellt wurden, etwa für die Fütterung, werden heute importiert, beispielsweise Soja. Das Vieh wird bedarfsgerecht gefüttert, damit es die optimale Leistung bringt. Die Landwirtschaft ist zunehmend durch ökonomisiert. Im Vergleich dazu scheint Franz Hofers LPG-Praxis von 1961 Lichtjahre entfernt zu sein. Und doch, oder gerade deshalb, kehrt er immer wieder gerne hierher zurück. Es ist Zeit für die Heimfahrt geworden. Franz Hofer startet das Auto. Bis nächstes Jahr, rund um die Zeit der Agra in Leipzig. -ENDE Beitrag- MOD Das Bauer-Sein in Ost und West. Aus österreichischer Sicht. Stefan May kümmerte sich um das Thema. Und wir bleiben, nach der Musik, noch auf dem Lande und gehen der Frage nach, welchen Flurschaden Tierquälerei in der Massentierhaltung bei unbescholtenen Bauern anrichten kann. MUSIK vom Sender MOD Immer wieder Schlagzeilen und grausige Bilder über Tierquälerei in diesen oder jenen Ställen der Massentierhaltung. Solange es solche Praktiken gibt, solange wird er angeprangert werden müssen. Nur : Nicht jeder Bauer, der viele Tiere hält, muß gleich ein Tierquäler sein. Und da dem so ist, müssen sich alle, Verbraucher wie Bauern, auch mit dem Thema beschäftigen, daß unbescholtene Landwirte immer mehr mit dem Mißtrauen gegen d i e Landwirtschaft, Tierhaltung zu tun haben. Zum Beispiel in Niedersachsen, wie Alexander Budde zu berichten weiß. LR-k Unmut über Mißtrauen gegen Landwirte / Budde - 2'19" (Michaelis) "Bei uns kann jeder gucken - und die Türen stehen jedem jederzeit offen. Ich mache gerne Stallführungen. Und dadurch möchte ich auch einfach zeigen, dass es auch anders funktionieren kann." "Wir haben es satt!", so lautet der Schlachtruf gegen die so genannte industrielle Massentierhaltung. Im Mastland Niedersachsen protestieren Bürger zu Tausenden gegen Stallbauten und Schlachtfabriken. "Qualzucht", "Turbokühe": Konventionelle wirtschaftende Landwirte wie Michaelis sehen den ganzen Berufsstand pauschal an den Pranger gestellt. Michaelis listet auf, was aus ihrer Sicht zur Entfremdung beigetragen hat: Die aus Hygienegründen hermetisch abgeriegelten Ställe etwa; Schulbücher, die schon den Kleinsten eine Idylle vorgaukeln, die es in der modernen Produktion längst nicht mehr gibt. (Michaelis) "Auch wenn man die Verpackungen sieht, zum Beispiel auf den Molkereiprodukten: da ist immer die grüne Wiese mit den Butterblümchen du die frei laufenden Kühe. Und auf der anderen Seite ist es aber, glaube ich, auch, dass die Lobby der Landwirte immer kleiner wird. Wenn man das nicht mehr täglich vor Augen hat, glaube ich, entgleist es dann auch ein bisschen!" Künftig sollen die Ringelschwänze der Ferkel nicht mehr gekürzt werden, wie das bislang routinemäßig geschah, um Kannibalismus und Verletzungen vorzubeugen. Auch Michaelis wollte bei dem freiwilligen Verzicht mitmachen. Sie hat in teure Technik investiert, um sich für die Brancheninitiative Tierwohl zu qualifizieren. Ein Risiko, denn weil sie in ihrem rund eine Million Euro teuren Stall künftig deutlich weniger Schweine unterbringen kann, wird die Mast zwangsläufig teurer. Letztlich soll der Verbraucher die Bemühungen durch Preisaufschläge honorieren. Viele Landwirte wollten teilnehmen, doch das Geld reicht nicht für alle: wie Michaelis gingen die meisten leer aus. (Michaelis) "Wir waren eigentlich alle der Meinung, dass wenn wir da termingerecht diese ganzen Auflagen erfüllen, dass wir da auf jeden Fall eine gute Chance haben, reinzukommen. Also, man hat sich da schon ein bisschen verschaukelt gefühlt, das muss ich wirklich sagen!" Im nächsten Jahr will Michaelis den Hof vollends von ihrem Vater übernehmen. Keine Selbstverständlichkeit, sagt die 27-Jährige nüchtern. Denn immer mehr Jungbauern zweifelten inzwischen am wirtschaftlichen Sinn ihrer Arbeit. (Michaelis) "Es kommen immer Reglements von der Politik, dann wird zum Teil auch im Rahmen des "Greenings" jetzt vorgeschrieben, wie man die Fruchtfolgen zu gestalten hat, wie man zu düngen hat, wie man die Tiere zu halten hat - und da muss man halt neue Wege finden, mit der Politik und mit der Öffentlichkeit umzugehen." -Ende Beitrag2- MOD Mißtrauen gegen unbescholtene Landwirte in Niedersachsen - wie dem begegnen? Alexander Budde berichtete. Am Mikrofon verabschiedet sich von Ihnen Claus-Stephan Rehfeld. -ENDE Ablaufplan-