COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel am 1.Februar 2009 Büffeln und boarden Erkundungen im Wintersportgymnasium am Königssee Autor: Alexa Hennings Atmo Mädchen vor Bergen, erklären Aussicht 0.41 Also: der Kehlstein. Der Kehlstein und da oben das Kehlsteinhaus. Dann haben wir da den Jenner... Darauf Autorin Sonja und Steffi stehen auf ihrem Schulhof. Atmo hoch ...dann der Watzmann mit seiner Watzmannfrau... Darauf Autorin Und genießen die Alpen-Aussicht. Atmo hoch ...was gibt's noch? Den Grünstein, ja, und Vorderbrand und Hinterbrand und - keine Ahnung...lachen... darauf Autorin Sonja und Steffi gehen auf die höchstgelegene Schule Deutschlands: die Christophorusschule Berchtesgaden. Die Eliteschule der Wintersports. Atmo hoch ...dann gibt's noch so 'ne komische Alm, auf welchem Berg ist die?...lachen... Autorin Wie alle Mädchen in ihrem Alter haben die beiden 13jährigen viel zu kichern. Außerdem ist es gar nicht so einfach, einem Fremden hier die Aussicht zu erklären - so normal ist es für Sonja und Steffi, von dieser atemberaubenden Kulisse von schneebedeckten, fast 2000 Meter hohen Bergen umgeben zu sein. Ihre Schule liegt auf 1200 Meter, hoch über Berchtesgaden und dem Königssee. Doch, doch, es ist schön hier, meint Sonja - und verdreht gleichzeitig ein wenig die Augen. O-Ton Sonja 0.13 Aber manchmal ist es auch ein bißchen nervig, daß du hier oben so aufgeschmissen bist! Du bist halt wirklich abhängig von anderen Leuten. Das ist das, was mich manchmal ein bißchen stört. Aber sonst ist schon wirklich schön. Autorin Eine steile Zufahrtstraße, die sich den Berg hinaufwindet, oben ein Plateau mit Schul- und Internatsgebäuden, kein Laden, keine Imbißbude, kein Café, geschweige denn ein Kino - nichts von alledem, was ein Schülerherz sonst so begehrt. Es ist eine schöne Einsamkeit, in die es einen verschlägt, wenn man an diese Schule geht. Und wer mal etwas werden will im alpinen Sport im Berchtesgadener Land, der geht an diese Schule. So wie Sonja Höltscher, die auf dem Rennrodel sitzt, seit sie acht Jahre alt ist. Zuerst trainierte sie Zuhause und ging auch dort zur Schule. Je älter sie wurde, desto mehr wurde verlangt - in der Schule und im Sport. Um beides gut unter einen Hut zu bekommen, kam sie vor einem Jahr hierher, an die vom CJD, dem "Christlichen Jugenddorfwerk" getragenen Christophorusschule, der vom Deutschen Sportbund der Titel "Eliteschule des Wintersports" verliehen wurde. O-Ton Sonja 0.16 Die beste Freundin von meiner Mama, die hat das früher auch ganz gut gemacht, die war auch hier auf dem Internat. Dann hat deren Tochter, angefangen und meine Schwester hat auch angefangen. Dann hat noch der Bruder von meiner Freundin angefangen und da habe ich gedacht: Jetzt probier` ich es auch mal aus. Mittlerweile haben alle schon wieder aufgehört und ich bin jetzt die einzige, die übrig geblieben ist. Autorin Man braucht schon einen langen Atem und viel Kraft, um dabei zu bleiben. Wer hat schon mit 13 so einen Tagesplan wie Sonja? 6.45 Wecken, Frühstück, 8-13 Uhr Schule, Mittagessen, 13.30-15 Uhr Lernzeit, 16-18 Uhr Training, Abendessen, 18.30-20 Uhr Abendlernzeit. Freizeit? Eine Stunde vor der Bettruhe. Wenn man Glück hat, anderthalb. Atmo Mensa Darauf Autorin Sechs Schulstunden hinter sich, stehen die beiden Rennrodlerinnen Sonja und Steffi in der Schulmensa. Die Warteschlange ist lang, aber es geht schnell. Atmo Sonja Nudeln und Soße bitte!... Darauf Autorin Auch Fisch ist im Angebot und viele Salate. Auf jedem Tisch große Kannen mit Saft und Tee. So ein Schultag wie dieser ist schon fast die Ausnahme in diesen Winterwochen für die Mädchen. Wettkämpfe und Lehrgänge - so werden die Trainingslager genannt - wechseln einander ab. Bayerische Meisterschaften am Königssee, bayerischer Jugendcup, Rennsteigpokal in Oberhof, Deutscher Jugendcup in Altenberg - sieben bis acht Wochen fehlen die beiden jungen Rodlerinnen im Winter in der Schule. Den Abfahrts- und Slalomläufern, den Snowboardern, Skilangläufern und Biathleten, die an der Schule lernen, geht es nicht anders. Gerade sind zum Beispiel alle Snowboarder und Langläufer in einem Trainingslager. Im Schulalltag sitzen die jungen Leistungssportler mit Nicht-Sportlern in einer Klasse, und für die geht der Unterricht, das Schreiben von Tests und Klausuren - hier heißt es Schulaufgaben - unterdessen normal weiter. O-Ton Sonja in Mensa 0.37 Das Problem ist das Nachholen. Da mußt du auch so viele Schulaufgaben nachschreiben - jetzt im Winter vor den Ferien schreiben wir jede Woche eine Schulaufgabe. Und jetzt hatten wir insgesamt drei Lehrgänge hintereinander, da muß ich allein vier Schulaufgaben nachschreiben! Die andere Sache ist ja auch: Die Lehrer sind befugt, wenn du ´ne schlechtere Note hast wie ´ne Vier, daß sie den Arbeitszettel nicht unterschreiben - was bedeutet: Du darfst nicht auf den Lehrgang mitfahren, wenn du schlechter bis wie `ne Vier. Deshalb mußt du dich wirklich, wirklich anstrengen! Autorin Und das tun Sonja Höltscher und Steffi Pfnür auch nach Kräften. Heute nach dem Mittagessen, ist in ihrer "Lernstunde" genannten Hausaufgabenzeit auch Französisch dran. Atmo Sonja liest frz. Text, schon unterlegen 0.26 ...liest franz. Text... darauf Autorin Die beiden Achtklässlerinnen haben ein Ziel vor den Augen: Spitze sein im Sport und dennoch gut in der Schule. Sonja hat sich das Abitur zum Ziel gesetzt, Steffi die mittlere Reife. O-Ton Steffi, Sonja 0.34 Weil ich nicht weiß, wie lange ich noch meinen Sport machen kann. Vielleicht muß ich durch Verletzung oder Krankheit aufhören, dann muß ich ja einen normalen Beruf ergreifen. Und da wär' es schon gut, wenn ich einen guten Abschluß habe. / Sonja: Für mich ist es wichtig, einen guten Abschluß zu machen - erstens für meine Zukunft. Ich bin jetzt bis zur 12. Klasse hier. Und ich weiß ja nicht, wie es mit meinem Sport bis dahin ausschaut. Wenn ich vielleicht nicht ganz gut werde - es sind ja nur so und soviel Plätze frei bei den Guten. Und was mache ich dann? Autorin Fast jeder junge Sportler an der Schule träumt davon, nach seinem Abschluß einmal in die Sportförderung der Bundeswehr, der Polizei oder des Zolls zu kommen, um die sportliche Karriere fortsetzen zu können. Denn wenn es an der Schule auch schon Juniorenweltmeister gibt: Die ganz große Karriere, die bis zu den Olympische Spielen führt, beginnt meist erst nach der Schulzeit. Rennrodler wie Georg Hackel, Patrick Leitner und Barbara Niederhuber, die olympisches Gold und Silber holten und einst auch Schüler der Berchtesgadener Christophorusschule waren, sind Vorbilder für die 13jährigen Mädchen. Motivieren muß sie keiner, sie motivieren sich selbst. O-Ton Sonja 0.39 Erstens macht das riesig, riesig Spaß. Du willst ja auch unbedingt gut sein. Und dann denkst du dir immer, wenn du zum Beispiel mal keine Lust hast auf Training: Oh nein, ich will ja gut werden! Und dann gehst du auch wieder ins Training und strengst dich an - auch wenn du mal keine Lust hast. Du könntest viel mehr Sachen unternehmen. Und dann denkst du immer: Jetzt habe ich schon so viele Sachen aufgegeben, warum soll ich jetzt auf einmal aufhören? Deswegen verstehe ich auch viele Leute nicht, die aufhören. Weil: Man hat soviel schon aufgeben. Wenn man nicht mehr weiterkommt, okay. Aber nicht einfach so! Autorin Aufgeben ist nicht. Weder in der Schule, noch im Sport. Da sind sich die beiden Freundinnen einig. Schnell packen sie die Schulsachen zusammen, die sich auf dem Internatsschreibtisch türmen. Heute abend geht es damit weiter. Doch jetzt geht es mit dem Kleinbus, den ein Zivi steuert, erst einmal zum Training nach Berchtesgaden. In diesen Tagen ist Hallentraining dran, denn auf der Rodelbahn am Königsee, wo sie sonst trainieren, findet ein Jugendweltcuprennen statt - wofür Sonja und Steffi noch zu jung sind. Atmo Kraftraum, Gewichte auflegen, klappern 0.12 Darauf Autorin Im Kraftraum der Schule legen inzwischen die Abfahrtsläuferinnen die Gewichte auf. Kniebeugen mit 50 Kilogramm auf den Schultern. Langsam beugt die 16jährige Corinna ihre Knie. Aufmerksam schaut sie in den großen Spiegel. Ihre Trainerin Rosanksa Kinge steht mit ausgebreiteten Armen hinter ihr, bereit, die Gewichte aufzufangen. O-Ton Kinge 0.15 Wenn sie Gleichgewicht verliert und keine Kraft mehr hat, dann muß ich mithelfen. Aber ich sehe, daß sie es ganz gut macht und dann kann ich einen Schritt zurückgehen...Hopsen... Autorin Ab morgen geht es wieder zum Schneetraining an den Lift. Rosanska Kinge war selbst Abfahrtsläuferin, sie fuhr für die polnische Mannschaft bei Weltmeisterschaften mit. Ihre Ausbildung bekam sie an der Sportschule in Zakopane. Die polnische Ausbildung war härter als die deutsche, findet die junge Frau. O-Ton Kinge 0.06 Die Trainer sind viel strenger in Polen. Autorin Der jungen Trainerin, die die Landeskader des Bayerischen Skiverbands ausbildet, sind vor allem zwei Dinge wichtig. O-Ton Kinge 0.10 Daß sie Spaß haben am Skifahren erstens und zweitens, daß sie gesund bleiben und verletzungsfrei. Atmo Radfahren 0.32 Autorin Da, wo Victoria sich gerade befindet, auf dem Fahrradtrainer, kann eher weniger passieren. Auf der Piste schon. Doch Angst hat die 19jährige Abfahrts-und Slalomläuferin nicht. O-Ton Victoria 0.23 Ja mei, Angst kann man nicht sagen. Wenn man das hat, dann kommt nix bei raus. Ist halt immer schlimm, wenn sich am Hang jemand verletzt, eine Mannschaftskollegin. Dann ist das Training schon bißchen zach. Aber eigentlich nicht, sonst kann man nicht gescheit Ski fahren und schnell Ski fahren. Atmo Radfahren 0.28 Darauf Autorin 20 Minuten muß sich Victoria Rebensburg zum Aufwärmen einradeln. Zeit, die sie auch zum Lernen nutzt: Die Abiturientin, die im Sommer die Schule abschließen will, hat einen Hefter vor sich auf der Fahrradgabel liegen. Sporttheorie. Das Thema: O-Ton Victoria 0.09 Ausdauer. Was es so für Methoden gibt und die Inhalte. Man weiß ja schon vieles vom Sport selber, aber es sind trotzdem Notwendigkeiten, die man lernen muß. Autorin Victoria, die das vierte Jahr an der Christophorusschule ist, gehört zu den erfolgreichsten Schülerinnen: Sie ist Juniorenweltmeisterin, und fährt schon Weltcuprennen und Weltmeisterschaften der Damen mit. Dort wurde sie achte. Spitze im Sport und Spitze im Abi - das geht sicher nicht. Aber gut soll es schon sein, hat sie sich vorgenommen. - auch wenn es "zach" ist, was so viel heißt wie: heftig. O-Ton Victoria 0.12 Ja, g'schafft hat man`s noch net, das Abitur ist schon noch mal zach. Aber ich glaub, das werden wir irgendwie rumkriegen. Jetzt haben wir zwölf Jahre rum'kriegt, und dann geht das dreizehnte schon auch mit! Ganz gut wird es sicher net, aber ich möchte' schon Zwei-Komma-Schnitt haben! Autorin Alpintrainer Wolfgang Grassel vom Deutschen Skiverband schätzt den Ehrgeiz von Mädchen wie Victoria Rebensburg. Den schulischen wie den sportlichen, was übrigens meist zusammengeht, wie der Trainer aus Erfahrung weiß. O-Ton Grassel 0.32 Ab und zu merkt man, daß Mädchen ab einem gewissen Altern schon ein bissel zielstrebiger sind als die Jungs. Das kann man klar sagen, aber man kann es nicht für alle sagen. Und dann ist es im Alpinbereich einen gewissen Unterschied: Es gibt Mädchen, die werden mit 18 oder 19 schon Weltklasse sein und können in der Weltspitze mitfahren, und das gibt es bei den Herren fast nicht. Die Dichte ist bei den Herren größer und es dauert einfach länger, bis die an die Spitze kommen können. Da braucht man halt a bissel längeren Atem, daß man nach vorne kommt. Autorin Wenn einer seiner Sportler mal einen schlimmen "Hänger" hat in der Schule, muß Wolfgang Grassel als Trainer darauf verzichten, den Sportler mit ins Trainingslager oder zu Wettkämpfen zu nehmen. Dieses System findet der ehemalige Leistungssportler richtig, und wenn jemand mit Null-Bock-auf Schule kommt, dann rät er ihm nur eines: O-Ton Grassel 1.03 Der soll sich mal die Verletztenstatistiken im Ski-Alpin anschauen, und dann wird er ganz schnell die Schule fertig machen. Unsere Sportart ist halt extrem gefährlich, es ist ein hohes Verletzungsrisiko mit dabei. Und es kann sein, wenn jemand blöd stürzt, daß die Karriere vorbei ist, bevor sie überhaupt begonnen hat. Und wenn ich dann keine schulische Ausbildung habe - in der heutigen Zeit ist es nicht mehr so wie früher. Früher hat man mit der Hauptschule mehr oder weniger alles machen können, und heutzutage ist das nicht mehr so. Deshalb legen wir als Verband sehr großen Wert drauf, daß die Schule nicht zu kurz kommt. Im Zweifelsfall geht die Schule vor den Sport. Es muß nur gut organisiert sein, dann geht das alles! Atmo Pause in der Schule, Lärm 0.33 Darauf Autorin Den Trainersatz mit der guten Organisation würde Schulleiter Anton Kaunsner sofort unterschreiben. Er leitet den Grund- und Hauptschulteil der Christophorusschule in Berchtesgaden. Nicht alle Sportler können Abiturienten oder Realschüler sein - doch viele seiner Hauptschüler schaffen es dank der besonderen Förderung in kleinen Klassen in einem zusätzlichen Schuljahr doch noch bis zur mittleren Reife. Anton Kausner schaut auf den Schulhof, wo sich gerade in der großen Pause die Kinder tummeln. Und er weist auf eine Besonderheit seiner Schule hin - nahezu eine Einzigartigkeit in der deutschen Schullandschaft. O-Ton Kaunsner 1.02 Wir haben hier das CJD-Asthmazentrum, und eigentlich sind wir die Schule des Asthmazentrums. Wir sind vom Rechtstyp her eine Schule für Körperbehinderte - bezogen auf die chronischen Erkrankungen, die zu uns ins Asthmazentrum führen. Also Asthma, Neurodermitis, Diabetis, Adipositas usw. Und man hat dann entdeckt, daß diese spezielle Schulform mit den kleineren Klassen und dem größeren Förderangebot natürlich auch ideal geeignet ist, Sportler zu fördern. So daß man also dieses krankheitsspezifische Schulsystem auch für die Sportler geöffnet. Hat. Am Anfang war das etwas widersprüchlich, weil man gesagt hat: Was machen Leistungssportler an einer Schule für Körperbehinderte? Aber das integriert sich problemlos. Und wenn man so auf den Pausenhof schaut, man sieht gar keinen Unterschied zwischen Sportlern und unseren kranken Kindern. Hier steht z.B. eine mit dem weißen Käppi, die ist Leistungssportlerin, der daneben ist vom Asthmazentrum. Das spielt im Alltag keine Rolle. Autorin Kranke Kinder und Leistungssportler können viel voneinander lernen, ist sich der Lehrer sicher. Und was sich fast wie ein Märchen anhört, wurde am Asthmazentrum wahr: Vier Jugendliche wollten trotz Asthmas und Übergewicht beim Berchtesgadener Radmarathon teilnehmen, trainierten monatelang unter ärztlicher Aufsicht nahmen dafür ab und wurden fit. Alle schafften die 100- Kilometer-Strecke, bei der 2000 Höhenmeter zu überwinden waren. O-Ton Kaunsner 0.41 Die Kinder in dieser Kombination bieten sich als Vorbilder - sowohl für die Sportler als auch für die Kinder mit Handicaps - die sie so im normalen Leben vielleicht nicht treffen würden. Diese unmittelbare Begegnung, für die gehandicapten Kinder zu sagen: Mit Disziplin, mit einer guten Selbstbeobachtung, mit der Einhaltung von Regeln, auch mit der Aufsichnahme von Pflichten, mit Durchhaltevermögen kann ich Ziele erreichen. Das ist die eine Geschichte. Und für die Sportler ist es die andere Geschichte und sehr, sehr prägend für viele: Zu erleben, daß Gesundheit, Leistungsfähigkeit, ein funktionierender Körper keine Selbstverständlichkeit sind. Und das erzeugt hier ein ganz gutes Klima. Autorin Maximilian kommt von der Hofpause, einer der Leistungssportler der Schule. So wie dem 15jährigen Abfahrtsläufer erging es vielen an ihrer Heimatschule: Sie schafften wegen der hohen Belastung im Leistungssport die Schule nur schlecht. Die spezielle Förderung und vielleicht auch das Verständnis mancher Lehrer fehlte. Seit Maximilian Groll hier ist, geht es mit der Schule bergauf - muß es auch, denn sonst steht auch seine sportliche Karriere und die weitere Sportförderung auf dem Spiel. O-Ton Maximilian 0.32 Zoll ging nicht, da braucht man mittlere Reife. Dann hat der Deutsche Skiverband gesagt, ich soll hier hoch gehen ins Internat, noch mal die Neunte machen und dann die M 10 probieren. Ich hoffe, daß es klappt. Und dann will ich weiterschauen, ob ich zum Zoll gehe, in die Sportfördergruppe oder zum Bund. Und dann mit Ski fahren mein Geld verdiene. Man kann auch beim Bund oder Zoll nebenbei so verschiedene Ausbildungen machen. Autorin Anton Kaunsner glaubt fest daran, daß Maximilian es schafft. In Zeiten, wo viele die Schule ohne oder mit einem schlechten Abschluß verlassen, will er keinen auf halbem Wege stehen lassen. O-Ton Kaunsner 0.20 Besonders stolz bin ich auf alle die, die mit dem Sport - oder trotz des Sports, muß man ja manchmal fast sagen - gute Schulabschlüsse gemacht haben. Die meisten schaffen das auch - oder, bis jetzt, toi, toi, toi - alle. Autorin Früher konnte man als Hauptschüler nicht in das Fördersystem zwischen Leistungssport und Schule eintreten - daß es heute anders ist, liegt auch am Anspruch, den die Christophorusschulen haben. Kurz nach dem Krieg, 1947, wurde das CJD, das Christliche Jugenddorfwerk auf Initiative von Pastor Arnold Dannenmann gegründet. Der gemeinnützige Verein ist eingebunden in das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche Deutschlands und ist heute ein Jugend-, Bildungs- und Sozialwerk mit Schulen, Jugenddörfern, Behindertenwerkstätten, Förder- und Berufsausbildungseinrichtungen in ganz Deutschland. 150 000 meist junge Menschen werden in CJD-Einrichtungen an 150 Orten betreut - von Schulen für Hochbegabte bis zu Schulen für behinderte Kinder. Keiner darf verloren gehen - dies ist das Motto des CJD und seiner Christophorusschulen. Enno Reinicke-Liebel war einst selbst Christophorusschüler, heute leitet er das Internat, in dem Sportschüler und gehandicapte Kinder gemeinsam leben. O-Ton Reinicke 0.47 Das Schüler sein an der Christophorusschule hat mich dahingehend geprägt, daß ich einfach Gemeinschaft erfahren habe. Ich bin mit Lernschwierigkeiten an die Schule gekommen. Und man hat mir geholfen, daß ich meine Ziele erreichen kann - zum Beispiel das Abitur zu machen. Das ist natürlich der Grundgedanke vom Arnold Dannenmann, daß wir sagen: Wir schauen uns den gesamten Schüler, den gesamten Menschen an. Und wir versuchen, den gesamten Menschen, so wie er da ist, auch mit seinen gesamten Fähigkeiten und Talenten zu fördern. Oder dem Schüler, dem Jugendlichen zu zeigen: Mensch, guck doch mal hin! Oder: Wir helfen dir, daß du deine Talente entdecken kannst. Und entwickeln kannst. Bis dahin, daß du diese Talente für andere einsetzt, nämlich im Rahmen der Mitverantwortung. Autorin Die Jugendlichen können selbst mitbestimmen, was in ihrem CJD-Jugenddorf passiert, sie arbeiten im Jugendrat mit, entwerfen die neuen Jugenddorfordnung, bestimmen bei Festen und Feiern, bei Freizeitaktivitäten und Sportwettbewerben mit. Man macht gemeinsam Kanu- oder Fahrradtouren, Bergwanderungen und Klettertouren. Und nicht immer sind die Leistungssportler die Besten. O-Ton Reinicke 0.28 Wir bieten z.B. die sog. Hausmeisterschaften an. Hausmeisterschaften heißt, da spielen Sportler und Nicht-Sportler zusammen Fußball, Handball, Basketball, Volleyball. Und es kann schon sein, daß ein junger Mann, der beim Snowboard supergut ist, vorm Basketballkorb steht, 25 mal drauf wirft und nicht einmal trifft. Und dann sagen die anderen: Ich kann zwar nicht so gut Snowboard wie du, aber den Basketballkorb, den treff' ich auf jeden Fall! Autorin Sportler und Nichtssportler, Gesunde und Gehandicapte und auch: Junge und Alte - man hat gemeinsame Erlebnisse und Aufgaben und wächst daran. So bringt ein alter Herr, längst pensioniert, den Kindern das Malen bei, Leistungssportler, Asthmatiker und adipöse Kinder entdecken zusammen mit Rangern den Nationalpark Bayerischer Wald, der "Jugendkreis", früher Bibelkreis genannt, erlebt gerade eine Renaissance, es gibt eine Band und einen Chor - wo selbst Sportler, wenn sie es bei ihrem straffen Tagesplan noch schaffen, mitsingen. Gerade ist eine Probe. Atmo Chor, singen Winterlied 1.48 Darauf dann O-Ton Reinicke 1.07 Für die Jugendlichen ist es klar, daß sie hier im CJD leben und daß das schon was Besonderes ist. Es ist nicht irgendein Internat, das auf irgendeinem Berg liegt. Sondern da gibt's Dinge - wenn sie zum Beispiel mal Olympiasieger oder Weltmeister werden, dann sind sie meistens schon aus der Schule raus. Haben aber nach wie vor die Verbindung zur Schule und kommen wieder. Da gibt es zum Beispiel die Hilde Gerg, die war ja Olympiasiegerin und sie hat die Hilde- Gerg-Stiftung. Und da werden auch immer wieder Internatsschüler, Sportler von hier unterstützt. Die Hilde Gerg, die hat einfach gesagt: Das CJD ist so wichtig für mein Leben gewesen, ich möchte da gerne etwas weitergeben. Und schon nach kurzer Zeit - in diesem Sommer haben Leute Abitur gemacht - und schon kurz nach den Sommerferien stehen die wieder hier auf der Matte: Ich wollt' nur eben mal gucken! Weil das war der Lebensraum, in dem ich die letzten drei, fünf, sieben Jahre gewohnt habe. Und das ist so ein Stück Heimat geworden für mich. Atmo Lied hoch, verblenden mit Atmo Mathe-Unterricht, Schüler, Lehrer Liebenow 0.46 M x plus c - gut, da sehen wir das lineare Glied befindet sich darin... Darauf Autorin Vier Neunt-Klässler und ein Lehrer sitzen um einen runden Tisch. Mathe- Nachführunterricht bei Wolfgang Liebenow, dem Sportkoordinator der Schule. Jenem Lehrer, der organisiert, wie Verpaßtes nachgeholt werden kann, der Freistellungen von der Schule genehmigen muß, wenn Training oder Wettkämpfe es erfordern und der selbst mit den Schülern lernt, im sogenannten "Nachführunterricht". Der findet in Mini-Gruppen oder auch einzeln für die Sportler statt, wenn Klassenkameraden zum Beispiel Musik haben oder Sport; aber auch nachmittags, abends und in den Ferien. So fallen für einige, besonders für die Abiturienten, die Oster- und die Pfingstferien fast komplett aus, weil man in der Schule "nachsitzen" muß. Es klopft an der Tür. Victoria Rebensburg kommt herein, die Juniorenweltmeisterin, die vorhin beim Aufwärm-Training noch nebenher Sporttheorie büffelte. Atmo Unterricht, Klopfen an der Tür, Liebenow, Victoria 1.18 ...klopfen...Victoria! Du bist mir - ich will nicht sagen viel wichtiger als die anderen - lachen - aber du bis mir ganz wichtig! Weil, wir wissen ja, die Victoria ist sehr viel unterwegs momentan, sie fährt im Weltcup mit und da ist es schon sehr wesentlich, eine Abstimmung zu haben. Wie können wir es machen?... darauf Autorin Victoria braucht eine Freistellung von Wolfgang Liebenow und einen Termin zum Mathe-Nachholen. Das Abitur rückt näher. Atmo hoch bei 0.46 ...schaun wir mal. / Und was sagst zu Lisa? Ja, schlimm, schlimm. / Ich hab's im Videotext gelesen, vorgestern schon. Das passiert. Aber du bleibst verletzungsfrei! /Ja! Gut, Tschüß! / Andere Schüler: Was ist passiert? / Die Lisa, die hat sich beim Abfahrtstraining, da war schlechtes Wetter, da hat sie sich das Kreuzband gerissen - / Oh... / also gestürzt. Autorin Anna, die Skeleton-Fahrerin und Philip, der Biathlet, bedauern ihre Sportkameradin. Sie selbst sind bisher von schlimmen Verletzungen verschont geblieben, besonders Anna, die als Skeleton-Fahrerin kopfüber mit dem Rodelschlitten die vereiste Bahn hinterflitzt, weiß das zu schätzen. Bald warten auch auf sie wieder Trainingslager und Wettkämpfe. Während dieser Zeit halten sie auch Kontakt zu Wolfgang Liebenow und zu anderen Lehrern - per Fax und Handy. Eine Stunde lernen am Tag trotz Trainings oder Wettkampf wird gefordert. Philip und Anna schaffen es nicht immer. O-Ton Anna, Liebenow 1.09 Es ist halt einfach Wettkampfwochenende. Da ist der Kopf beim Sport, beim Wettkampf, und da hat man - also ich persönlich habe dann keinen Kopf mehr dafür, daß ich mich dann noch hinsetze und irgendwas mache. Ich versuch's immer wieder, aber ich werde nie fertig mit den Arbeitsaufgaben. Aber das ist bei jedem anders. Ich kann's nicht. / Liebenow: Und wann machst du es dann? / Anna: Dann mache ich es entweder, wenn ich wieder nach Hause komme oder ich sage dem Lehrer bescheid, ich hab's nicht geschafft. Und dann mache ich es halt noch zusätzlich zu den anderen Hausaufgaben. Aber dafür kannst du dich dann am Wochenende ganz auf den Wettkampf konzentrieren und man braucht auch viel Konzentration. / Liebenow: Das sagt die Anna was Wichtiges und was Richtiges. Wenn man sich vorstellt, die Victoria verhaut hier `ne Schulaufgabe und soll drei Tage später Weltcup fahren, sie ist in der 13. Klasse und macht ihr Abi dieses Jahr - das belastet schon, da muß man den Hut abnehmen, das ist eine Doppelbelastung. Und es ist gut, wenn das mit dem Schulischen so organisiert wird, daß es funktioniert. Daß die Sportler wissen: Halt mal, der Lehrer ist bereit, mit mir zusätzliche Stunden zu machen, gerade in der Abiturstufe. Dann ist das für die `ne Beruhigung, dann haben die tatsächlich einen freien Kopf. Autorin Einen freien Kopf braucht man für die Talfahrten, weder die Angst vor einem Sturz noch die Angst vor der Mathearbeit oder gar einer Prüfung dürfen einem im Nacken sitzen. Solche Bedingungen zu schaffen, dafür ist Wolfgang Liebenow als Sportkoordinator der Christophorusschule da und er ist damit fast so etwas wie ein Vater für die Kinder und Jugendlichen, die ja zumeist ohne Eltern aufwachsen, hier oben auf dem Berg im Internat. Der Lehrer kann sich gut in die Kinder hineinversetzen - denn seine Kindheit war ähnlich. O-Ton Liebenow, Anna 0.22 Ich war selbst mal Leistungssportler und ich weiß, was da dran hängt. Und daß man eben beharrlicher, konzentrierter, kontinuierlicher wird. Und man läßt sich halt nicht abbringen, man zieht seine Sache durch. Das lernt man schon. /Anna: Man lernt halt, daß man, wenn man was anfängt, dann muß man das auch durchziehen. Und man wird teilweise sehr ehrgeizig. Atmo Rodelbahn, Lautsprecher 0.30 21.25, die Zwischenzeit bei der Ausfahrt aus der Schlangengrube... darauf Autorin Während Anna und Philip noch weiter über den Parabeln schwitzen, haben die 13jährigen Rennrodlerinnen Sonja und Steffi nach ihrem Nachmittags-Training in der Halle nun frei. Sie nutzen die Zeit, um zur "ihrer" Rodelbahn an den Königssee zu gehen, wo gerade ein Junioren-Weltcuprennen stattfindet. Sie stehen am Rand und kommentieren fachkundig das Geschehen. Atmo an Bahn, Steffi, Sonja 0.18 ...Schlitten rodelt vorbei...Steffi: Der war schön! /Sonja: Ja, bloß die Fußhaltung war nicht so schön! Die muß ganz gesteckt sein, so weit gestreckt wie möglich. /Steffi: Daß das Knie - daß du es so machst, daß du wenig Luftwiderstand hast Atmo Schlitten fährt vorbei 0.21 Darauf Autorin Mit 100 Stundenkilometern eine Eisrinne hinunterrasen, dazu gehört ganz schön Mut mit 13. Ihre Bahn hier, am Königssee, kennen die beiden Mädchen schon sehr genau, die Schlangengrube und all die anderen scharfen Kurven, in die man tappen kann wie in eine Falle - in eine Schlangengrube eben. Also, hier am Königssee haben sie wirklich keine Angst mehr, nur Respekt , sagen die Mädchen. Auf anderen, fremden Bahnen sieht es manchmal schon anders aus, das geben die beiden zu. O-Ton Steffi, Sonja 0.13 Ja, doch, in Altenberg hatten wir beide wirklich Schiß. Das erste Mal, wir stehen unten und sagen: Ich will nicht fahren! / Sonja: da lenkst du halt, wo du denkst, es paßt, aber dann mußt du irgendwie das Gefühl für die Bahn kriegen. Atmo Rasseln, Rufen 1.53 Darauf Autorin Plötzlich fängt unweit der Rodelbahn ein Höllenlärm an. In Stroh vermummte Wesen und Typen mit Teufelsfratzen kommen Kuhglocken rasselnd und trommelnd näher. Überall im Berchtesgadener Land ziehen sie heute umher. O-Ton Sonja, Steffi, aufgeregt 0.10 Da, da, da sind sie!! Das sind die Buttenmandeln, die machen Stroh. /Ah, ich hab Schiß!/ Ich auch! Schnell, ruf mal deine Mama an!... Atmo hoch Darauf Autorin Es ist ein alter Brauch, um die Geister zu vertreiben und den Nikolaus, den es hier anstelle des Weihnachtsmannes gibt, zu begleiten. Das Volksfest ist auch für die Berchtesgadener Sportschüler immer eine Attraktion - wenn sie denn in ihrem strengen Zeitplan einmal eine Stunde haben, um es zu genießen. Einfach mal ein kleines Mädchen sein, das Angst haben darf. Wenn schon nicht vor 100 kmh bergab, dann wenigstens vor ein paar finsteren Unholden. Die nämlich schlagen alle, die kein Lied singen können, mit Ruten auf die Beine. Dieser Strafe - besonders gern vollzogen an jungen Mädchen - kann man nur entgehen, indem man laut singt. Und das tun Sonja und Steffi denn auch. Atmo Rasseln noch leise unter Atmo Lied, Mädchen singen in Mundart 0.27 Darauf dann Absage 1