COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Menschen und Landschaften 19.08.2007 Insel des Abschieds Irland 1995 Von Heide und Rainer Schwochow DeutschlandRadio Berlin 1995 ATMO Das Meer. Gläser klappern im Schiffspub. Schiffsmotor SPRECHERIN Irland zu verlassen bereitete mir keinen Trennungsschmerz. SPRECHER Jählings, nein allmählich, allmählich konnte ich nicht mehr, nicht mehr weiter. SPRECHERIN Ich nahm das Portschiff wie die meisten anderen auch, blieb die ganze Nacht auf, dachte daran, wie Mister Thakery und Mister Heinrich Böll mit dem Schiff hergekommen waren, um müßig über Irland zu schreiben... SPRECHER Ich werde den Ort beschreiben, das ist unwichtig. Die sehr flache Kuppe eines Berges, nein, einen Hügels; aber so wild, so wild, genug. Morast, kniehohes Heidekraut, kaum erkennbare Schafspfade, tiefe Ausfurchungen. In einer solchen Vertiefung lag ich, wirdgeschützt. Schönes Panorama, ohne den Nebel, der allos verhüllte, Täler, Seen, Ebene, Meer. Wie weiter? Man sollte gar nicht erst anfangen, doch, man sollte es. MUSIK Irische Folkore ATMO Das Meer SPRECHER Jemand fragte, warum sind sie weggegangen? SPRECHERIN Ich war entkommen. Das war mein Sieg. SPRECHER Samuel Seckett. Irische Wildgans. SPRECHERIN Edna O'Brian. Irische Wildgans. SPRECHER Sean O'Casey, James Joyce, Samuel Beckett, Thomas Moore, Edna O'Brien, Ann Devely, Jonathan Swift, Frank O'Connor, Oscar Wilde, Flann O'Brian? SPRECHERIN Wildgänse nennt man sie, die weggegangenen Dichter des Landes. Wir fahren in das Land der Wildgänse. ATMO Schiffssirene O-TON Schiffsdurchsage Attention please! We would like all passengers with cars and commercial drivers, please make your way to the car decks. May we take this opportunity to thank you for travelling B. and I. line! ATMO Autoradio, Werbung für Tennisschläger SPRECHERIN Ankunft In Irland. SPRECHER Insel der Weisen und der Heiligen. ATMO Autoradio, Werbung für Bank of Irland SPRECHERIN Sattes Grün, menschenleere Strände, zerklüftete Felsenküsten, weite Torfebenen, Schafe, Schafe, Schafe. ATMO Brachvogel SPRECHER Im Regen ersaufen. SPRECHERIN Den Rosenkranz beten. SPRECHER Warten auf Godot. MUSIK Irische Folklore a cappella SPRECHERIN Wir kannten das Land, bevor wir ankamen. Bilder im Kopf. Bücher im Gepäck. SPRECHERIN County Wexford. Ostküste. Wir sind im Godotland angekommen. Der Himmel ist wolkenlos, und die Winde schweigen. Nur das Wasser schmatzt vor sich hin. Der Rhododendron ist verblüht, die Fuchsien hängen noch in den Knospen. Wo ist der Ginster? Das Gras tut den Augen weh. Frühsommergrün. Es ist kalt. SPRECHERIN Samuel Beckett: Texte um Nichts. SPRECHER Alles ist Rauschen, schwarzer, übersättigter Torf, der noch mehr saufen muss, Welle aus riesigem Farn, Heidekraut mit Schlünden aus Stille, wo der Wind ertrinkt, mein Leben und seine alte Leier. ATMO Pub, zwei Frauen singen ein irisches Lied SPRECHERIN Ein feiner, durchsichtiger Regen legt sich auf die Landschaft von Blackwater .Bevor die Feuchtigkeit in Sally O'Haras Bed and Breakfast Stube kriecht, machen wir uns auf den Weg an einen trockenen Ort. ATMO Pub, Lachen, Trinken, im Hintergrund Singen O-TON Pat If it only didn't rain so much, but if it doesn?t rain, we won?t have the Shannon, we won?t have the lakes, the rivers, the people, the Guinness? SPRECHER In Pat's Pub stehen die Menschen dicht gedrängt vor dem dickflüssigen Bier. Wenn es nur nicht so viel regnen würde, sagt Pat, aber was soll?s! Der Regen ist gut für den Shannon, für die Seen und den Fluss, der Regen prägt die Menschen. Wenn es nicht so viel regnen würde, dann hätten wir kein Guinness. O-TON Pat Guinness is the most popular alcoholic drink in the whole country. It was made for us by accident. But you' re drinking it? Do you like i t? Does it make you talk? It's a relaxing drink, it's actually reportedly good for you, because in the hospitals in Dublin Guinness supplied them with a free ration of Guinness for patients and it's recommended by doctors to drink it in moderation. National beverage. SPRECHER Ab elf Uhr abends darf kein Bier mehr aus dem Zapfhahn fließen. Ein strenges irisches Gesetz, das Pat O?Kelly schlau zu überlisten weiß. Fürsorglich wie eine Krankenschwester bimmelt er die Glocke, alle stürzen an die Bar und holen sich die schwarze, dickflüssige Medizin auf Vorrat. Pat schließt die Tür zu, zieht die dicken Vorhänge vor das Fenster. Jetzt wird weiter getrunken, solange der Vorrat reicht. In Dublin, da wird das Bier im Krankenhaus an die Patienten ausgeschenkt. Ja, man soll es auf ärztlichen Rat trinken. In Maßen natürlich. Schmeckt es dir? Ja, es schmeckt. Ist doch klar. Guinness ist flüssiges Brot. Ein Nationalgetränk. ATMO Pub, Lachen, Singen SPRECHERIN Ich sehe in das große runde Gesicht, in das sich beim Lachen Grübchen einnisten, in die schelmischen wachen Augen, auf den stattlichen Bierbauch, die Tätowierung am Oberarm, auf die großen, kräftigen Hände am Bierglas, und ich denke an die Geschichten von James Joyce über die Dubliner. Warum eigentlich? Was hat Pat mit den Dublinern gemein? SPRECHER Der Dubliner verbringt seine Zeit mit Schwatzen und Rundgängen durch die Bars, Schänken und Spelunken, ohne je seine doppelten Quantitäten von Whiskey oder Home Rhule satt zu kriegen, und nachts, wenn nichts mehr reingeht, und er mit Gift angefüllt ist wie eine Kröte, stolpert er aus einem Nebenausgang und geht, geleitet vom instinktiven Wunsch nach Standhaftigkeit, an der geraden Häuserfront entlang und schrubbt seinen Rücken an allen Mauern und Ecken. Er ertastet sich den Weg "mit dem Arsch", wie wir auf englisch agen. Da haben sie ihren Dubliner. ATMO Pub, Singen O-TON Pat I don't like James Joyce. To many caricaturists? SPRECHERIN Pat mag den Dichter James Joyce nicht. Der macht die irischen Menschen zu Karikaturen, sagt er, zu Windbeuteln und Schnapsdrosseln. Pat liebt den Dichter Brendan Behan, den König der Dubliner Kneipen und der deftigen Sprache. Der ist immer Ire geblieben, sagt Pat, kein Europäer wie Joyce oder Beckett. Behan starb mit 41 Jahren am Alkohol. Ein echter Ire, sagt Pat und lacht. MUSIK Irische Folklore SPRECHER Wir fahren von der Ostküste in Richtung Westen. Hinein in die Midlands. SPRECHERIN Die Fahrt beginnt mit Erdbeeren. Ein wilder Duft von Früchten liegt über der Landschaft, halbwüchsige Mädchen verkaufen sie in kleinen Schalen. Hier in den Midlands ist die Erde fruchtbar. Die Fremden aber fahren an die Westküste, an die irische Riviera, den hohen Fuchsien und Rhododendronwäldern entgegen. Touristen verirren sich auch im Sommer nicht hierher. SPRECHER Edenderry. Eine kleine, verschlafene Stadt, etwa 50 Kilometer von Dublin entfernt. O-TON Sean Well, in this little town it is about 5000 people and there are 1500 people unemployed. 1500, nearly 20 %. it's a lot. Yes, young people who have never worked. They will turn to crime, to stealing, burglary, robbery and raising rows in pubs and creating disturbances at night. Yeah, we have that, we have that here. SPRECHER Sean ist in Edenderry aufgewachsen. Von 5000 Einwohnern sind 1500 arbeitslos, das sind viele, sagt Sean. Viele junge Leute haben nie gearbeitet. Kein Wunder, dass sie auf dumme Gedanken kommen, kriminell werden. Kriminalität, die haben wir hier, sagt er, ja, die haben wir hier. O-TON Sean In Edenderry they come out of the door, stand at the gate, you know, all they are looking up and down the road, then they go in in the evening they have their tea and they watch television, if they have money, they go to the Pub, but that is a terrible life. SPRECHER Arbeitslose in Edenderry. Sie kommen aus der Tür, stehen am Zaun, sehen die Straße auf und ab, auf und ab, abends gehen sie hinein, essen ihr Abendbrot, sitzen vor dem Fernseher, wenn sie Geld haben, gehen sie ins Pub. Das ist ein furchtbares Leben, sagt Sean. ATMO Amüsement O-TON Steven I suppose, that's waiting, yeah. That's waiting. Alright. Ireland very slow, slow life, you know, everyone takes it easy, you know. I have never been to a bigger city than Dublin. Just such a big place, you know, compared to Ireland just be sort of different that's what I imagine it to be like, you know, a lot of different from Ireland anyhow... SPRECHERIN Ein altes Haus, fast ein Schuppen, mit der Aufschrift: Amüsement. Drinnen Spielautomaten. Das ist der Treffpunkt der jungen Leute in Edenderry. In der Stadt gibt es kein Kino, keine Disko, aber fast so viele Pubs wie Wohnhäuser. SPRECHER Alle wollen weg hier, wenn sie die Schule beendet haben, sagt Steven. Er träumt von einem Leben auf Reisen: Disneyworld und Kalifornien, die Rocky Mountains, jobben, reisen, jobben, reisen. Irland ist zu still, sagt er, zu einfach. Steven ist 17 Jahre alt und hat nie eine größere Stadt als Dublin gesehen. Er will dahin, wo alles anders ist. Wo es Jobs und Abwechslung gibt. Er wünscht sich ein Traumleben im Traumland Amerika. Irgendwann will er wieder kommen. Wie sein Vater Sean. O-TON Steven I?d just like to see America. I?d just like to go and see Florida and California. All the big places, you know. Hopefully get work over there. I'd just like to sec it all, you know. I won't stay in Edenderry for the rest of my life. Go over there for a few years, you know. For the experience. I just hopefully get a job over there and stay there for five years travel all around you know. Just work someplace for a couple of month and than move on and than come back here. ATMO Pub in Letterfrack SPRECHERIN Der wahre Streit mit Irland aber begann erst damals in mir zu keimen. SPRECHER Schreibt Edna O?Brian. SPRECHERIN Ich hatte nicht daran gedacht, wie es mich verkorkst hatte, und alle um mich herum und deren Eltern vor ihnen, alle waren durch eine Vielzahl von Ängsten erniedrigt worden - Angst vor der Kirche, Angst vor dem Leihhaus, Angst vor Geistern, Angst vor der Lächerlichkeit, Angst vor Hunger, Angst vor Vernichtung und Angst vor der eigenen tief verwurzelten Aggression? ATMO Welle SPRECHER Liest man die Geschichte der drei Jahrhunderte vor der Ankunft der Engländer? SPRECHERIN James Joyce. SPRECHER ?so braucht man einen guten Magen, denn die mörderischen Auseinandersetzungen und Kämpfe mit Dänen und Norwegern, den schwarzen Fremdlingen und den weißen Fremdlingen, wie sie genannt wurden, folgten einander pausenlos und so brutal, dass sie die ganze Zeit als wahres Schlachtfeld erscheinen lassen. ATMO Meer SPRECHERIN Auch Mitleid kam in mir auf. Mitleid mit einem Land, das so oft entblößt wurde, Mitleid mit einem Volk, dem es widerstrebt zuzugeben, dass irgendetwas nicht stimmte. SPRECHER Die Engländer verachten heute die Iren, weil sie katholisch, arm und unwissend sind. Doch wird es manchen Leuten nicht so leicht fallen, diese Verachtung auch zu begründen. Irland ist arm, weil englische Gesetze die Industrie des Landes zugrunde gerichtet haben, weil die Gleichgültigkeit der englischen Regierung zur Zeit der Hungersnot die Besten des Volkes Hungers sterben ließ? SPRECHERIN James Joyce. ATMO Pferdemarkt in Dublin SPRECHER Wir Iren können nicht vergessen, sagt Sean. Unsere Geschichte nicht, unser Land nicht, unsere Stadt nicht und unser Haus und die Menschen hier schon gar nicht. Sean Dunne ist von Edenderry nach England ausgewandert, er ist von England nach Edenderry zurückgekommen, er ist immer wieder fort gegangen und immer wieder zurückgekommen. Wie eine Wildgans. 16 Jahre hat das gedauert. Dann blieb Sean in Edenderry. O-TON Sean I came back and forth and back and forth, about 16 years all together. You miss the fields and you miss country life, basically. Cities tend to be very overcrowded, very impersonal places, and a country boy withers and dies in a city, you know. SPRECHER Dir fehlen die Felder, dir fehlt das Leben auf dem Land. Ein Bauernjunge verwelkt und stirbt in der Stadt, sagt Sean. ATMO Stille mit Vögeln und Wasserrauschen SPRECHERIN Eine Bucht zwischen Goleen und Crookhaven. County Cork. Der südwestlichste Zipfel der Insel. Die Milde des Abends. Geräuschlose Nässe, die wie Sehnsucht in die Erde sickert. Über den Bergen flattern Seidentücher, Regenschwaden, die alies einhüllen. Plötzlich knistert der Wind in der Hecke, die Zweige rascheln, die Seidentücher knüllen sich zusammen, und schon haut das Wasser Ohrfeigen auf jeden Gegenstand, der ihm im Wege ist. Jetzt senkt sich die Stille wie eine Decke nieder. Das Gras ist saubergewaschen, duftig und pastellgrün. Der Himmel violett. Wer hier aufwächst, muss starke Wurzeln haben. ATMO Kühe blöken, Autos fahren vorbei O-TON Sean Ah, country life, well, up early in the morning, milk the cows and all that kinds of things, long days working in the fields, working with animals. Helping out the neighbours at the harvest time. A way of life that's gone, is no more. The Irish people are very warm, I think. SPRECHER Ach, das Leben auf dem Land! Früh aufstehen, die Kühe melken, ein langer Arbeitstag auf dem Feld, mit den Tieren arbeiten, den Nachbarn helfen in der Erntezeit. O-TON Sean When people go out here at night, they eat first, you know, may be, potatoes and butter, you know, all the money is for drinking, you know. That's normal, and they "yap, yap, yap", about football and sport and world politic. We sort out Bosnia, we sort out Somalia, we all talk our heads off, that's good. ATMO Folklore in einem Pub SPRECHER Die Leute essen zu Hause, bevor sie ins Pub gehen: Kartoffeln und Butter. Das Geld ist da fürs Trinken. Und dann schwatzen wir und schwatzen wir, über Sport, über Ful3bail, wir lösen die Probleme Bosnien, wir lösen die Probleme in Somalia, wir reden uns die Köpfe heiß. Das ist gut. O-TON Sean Drink keeps people sober, keeps them sane. People who don't drink, they worry too much they wind up in their lunatic asylum, you know, a lunatic asylum that's where non drinkers go. Ascertain amount. Four pints a night, every night, makes you sleep well. At the end of a hard day's work, you play cards, drink a few pints, tell a few lies, you sleep well. It?s the perfect end to a working day. SPRECHER Durch Trinken bleiben die Menschen nüchtern. Ja, die bleiben bei Verstand. Leute, die nicht trinken, machen sich zu viel Sorgen. Sie enden im Irrenhaus. Weißt du, ein Irrenhaus, das ist, wo Nichttrinker enden. Vier Pints, jede Nacht, dann schläfst du gut. Ja, jede Nacht. Du spielst Karten, trinkst ein paar Bier, erzählst ein paar Lügen, weißt du, das ist der perfekte Ausklang eines harten Arbeitstages. Das ist Seans Rezept gegen das Irrenhaus. ATMO Ländlich still, ein Bach SPRECHERIN Halbinsel Dingle, County Kerry, Westküste. Unter uns stürzen die Felsen zu der Ebene des Ozeans hinab, über uns, in den Bergen, klettern die Schafe behänd zwischen schroffen Steinen. Dazwischen windet sich die Straße wie eine Tänzerin. Wir fahren in den Abend hinein. Die Sonne ist untergetaucht und schleift einen bordeauxroten Schleier hinter sich her. Am Straßenrand sitzt ein Mann und dämmert vor sich hin. Alles an ihm ist alt, auch die Kleidung, die um seinen dürren Körper schlottert. "Hej du!" rufe ich ihm zu. "Worauf wartest du?" Er brubbelt etwas in seinen Stoppelbart, dann winkt er langsam ab. O-TON Alter Mann an der Straße Shit not, shit nat. No, no, no. That make Irish man is very lazy, you know, sleepy, very lazy. But the Germans are very good workers, very good men. English men? No, no! No, no, no? Right is right, justice is not here anymore in this country. Justice.. I know, I know! No, no, no! Ireland is alright, but it?s, bad people that's wrong. MUSIK Irische Folklore SPRECHER Den Krückstock hat er zwischen die Beine geklemmt, er stützt zuerst die Hände, dann den Kopf auf den Griff. Er trägt eine Schirmmütze - wie alle alten Männer hier. Braun pustelige Lederhaut. Der letzte Zahn, ein gelber Stummel. Die Augen sind eingebuchtet hinter hohen Backenknochen, blaugrün und klar wie der Ozean bei Sonne. Was für Hände! Von alten Wunden verkrustet. Doppelt dicke Nägel, Ränder wie schwarze Erde. Irland ist in Ordnung, sagt der alte Mann. Die Menschen sind schlecht, sagt er. Der irische Mann ist faul, der schläft und schläft, sehr faul. Der deutsche Mann ist ein guter Arbeiter, ein guter Mann. Der englische? Nee, nee. Was Recht ist, muss Recht bleiben. Es gibt keine Gerechtigkeit in diesem Land. O-TON Alter Mann I couldn't go seven miles away. I had nothing. I couldn't go seven miles. I hadn't a bicycle, I hadn't a wheel barrow. Only the spade out in the boat. Happy, happy! She was happy and I was happy. Five of the family, we had five, one died, he was 17. One in South Arabia, one in London, one in South Arabia... SPRECHER Der Alte schmunzelt mit den Augen, wenn er schimpft. Er ist keine sieben Meilen weggekommen von hier. Ohne Fahrrad? Ohne Schubkarre? Er hatte gar nichts. Na und? Er war glücklich, sie war glücklich. Sie waren fünf. Ein Kind ist gestorben, die anderen sind im Ausland. So ist das Leben. O-TON Alter Mann Happy, happy? That's life. I hope you'll enjoy your time! it's nice speakin' to you anyway? ATMO Kneipe, alte Männer SPRECHERIN Alte Männer in Irland. Sie sitzen am Straßenrand, wie abgelegt und vergessen. Wenn es regnet, werden sie nass, bis die Kleider dampfen. Der Wind pustet durch sie hindurch und trocknet ihre Haut. Bis der nächste Regen kommt. Sie kennen die Duftwolken des Sommers und den modrig nassen Gestank der kalten Tage. Sie hören das Winseln der Hunde und das heisere Kreischen der Möwen, wenn der Sturm wie ein Ungeheuer auf die Insel zurast. In die Gesichter der alten Männer ist die irische Landschaft eingezeichnet: Sie sind lieblich wie Cork und Kerry, rau und kantig wie Connemara, stolz wie die Berge in Donegal, unberechenbar wie das Wetter und unergründlich wie das Meer. ATMO Ein Lied wird im Radio angesagt, Nora von O'Casey O-TON Willy Bored. Nothing to do? SPRECHER Willys Wohnwagen steht einsam am Strand von Dingle. Wenn ihn die Langeweile ankommt, dann nimmt er den klapperigen Opel Kadett, sattelt sein Sommerhaus, fährt weg aus Dublin an die Westküste und sucht sich einen Platz am Meer. Der alte Mann kann stundenlang das Wasser beobachten. O-TON Willy Nothing to do, is that what you mean? But then again, old men, maybe that's their way of living. You don?t want to be running around wild when you're an old man. Where they winking at you, where they? That's the way it is now, it's a known fact that it?s mostly old people in Ireland now. Most of the young are gone away... SPRECHER Irland ist überaltert, sagt Willy. Wenn du ein alter Mann bist, kannst du nicht mehr wild in der Welt herumrennen. Und die jungen Leute gehen fort. Nichts zu tun haben, Langeweile, sagt Willy. Dann schenkt er Whisky ein. ATMO Brachvogel, Schafe SPRECHERIN Connemara. County Galway. Kahlknorrige, trotzig standhafte Bäume, glatte Felsen am Meer, eine Kraterlandschaft aus Stein und wenig Moos. Und dann die endlosen Felder, aus denen dis schwarze Erde wie bei einem Schokoladenkuchen stückchenweise herausgeschnitten wird. Torf, die irische Kohle. ATMO Wind fegt über die Torfebene O-TON Edward Yes, we start cutting the turf at the end of April. You have to wait then for the weather conditions. You see it all depends on the weather. If the weather is good, it'll dry in three weeks. If not, it can take maybe two month. So we?re depending on the weather. Oh, it must be dry, yes. It all depends on the weather. If you get the weather fine, it'll be dry in three weeks. Yes, we take it all in tractor loads. SPRECHER Wir stechen den Torf Ende April, wenn das Wetter uns lässt, sagt der Torfmann Edward Sweeney. Mit der Hand, ja. Der Torf muss drei Wochen trocknen, dann können wir ihn aufladen und nach Hause fahren. Wenn das Wetter gut ist. Hier ist alles abhängig vom Wetter. Wenn es regnet? Dann warten wir. Worauf? Auf besseres Wetter. ATMO Edward Sweeny zeigt, wie er Torf sticht O-TON Sean Well, somebody said, you know, you work on the bog to foot the turf they said they set on foot the turf in the pub, you know. They talk about work and on the bog next day they drink the beer, you know. "I drank six pints last night... I drank ten, you know..." So all day you talk about last night: And than, when you get to the pub you talk about what you have done all day. ATMO Lachen und Reden im Pub SPRECHER Sie sind im Moor mit dem Torf zu Gange. "Ich habe sechs Pints getrunken letzte Nacht", sagt der eine. "Och, das ist gar nichts, ich habe zehn getrunken!" sagt der andere. Darüber reden sie am Tag, wenn sie mit dem Torf kämpfen. Und dann, abends im Pub, reden sie darüber, was sie am Tag gemacht haben. Sie reden im Pub über das Moor und im Moor trinken sie das Bier. Das ist Irland, Seans Irland. ATMO Edward Sweeny gibt eine kleine Lektion in Gälisch, Schafe SPRECHERIN Achill Island. County Mayo. SPRECHER Ein Deutscher hat uns auf diese Insel gelockt. SPRECHERIN Hier auf Achill Island findest du alles, was du in Irland suchst. SPRECHER Schreibt Heinrich Böll. SPRECHERIN Wir finden das tote Dorf. ATMO Vögel SPRECHERIN "Philadelphia ich bin da, bin morgen in Amerika?, so singt es wie zum Trotz aus allen Steinen des verlassenen Dorfes. Sie warten noch heute auf die Rückkehr ihrer Bewohner, die längst in alle Winde verstreut sind. Das Dokument trotziger Beständigkeit. Sie sind bekränzt von Fuchsien und Heckenrosen, und die Schafe fressen sich satt an dem Gras, das saftig zwischen ihren Mauern wächst. SPRECHER In Irland wird nichts zerstört. Wenn ein neues Haus gebaut wird, stirbt das alte einen langsamen Tod, alles Fleischliche verfault, und die zu Stein gewordene Kultur stirbt öffentlich. Ganz langsam. "Ihr Deutschen seid Weltmeister im Vergessen! Ihr räumt eure Mauern so gründlich weg, als hätte es sie nie gegeben. Wir können nie vergessen!? säuseln die Grundmauern des verlassenen Dorfes auf Achill Island. Sie haben alles miterlebt, die englische Invasion, die Kartoffelpest und den tödlichen Hunger. Auch Demut, die aus Not erwächst. Und immer wieder Abschiede. ATMO Countrysänger im Pub von Achill Island SPRECHERIN Wir suchen Irland auf Achill Irland und finden Little Amerika. SPRECHER Die neu gebauten irischen Häuser sind weiß. Was im Süden Amerikas gegen die gleißende Hitze gebaut wird, steht hier im irischen Regen. Ein weißes Haus. O-TON Sharron A dream life in America. I'd like to get a good job in America, an office job. Yes, with a car and the limousine. SPRECHERIN Weiße Häuser. Sie verbreiten das Image von amerikanischen Ranches. Ein großes Tor für den langen, breiten Eingang zum Haus, Löwen, Hunde oder Gänse aus Stein oder Porzellan, die ihre Mäuler oder Schnäbel gen Himmel recken, Palmen und Blumenrabatten. Es riecht nach süßen Duftstoffen, es riecht nach Wohlstand. Brenda O'Cunningham aus Killibegs hat ein weißes Haus, aber Wohlstand? Sie lacht. O-TON Brenda ATMO Hafen Killibegs SPRECHER Killibegs, County Donegal, der größte Fischereihafen in Irland. Donegal ist das Armenhaus der Republik. Vor 30 Jahren gab es in vielen Dörfern noch keinen elektrischen Strom. Denen in Killibegs geht es gut, sagen die Menschen in Donegal. Die haben den Fisch. O-TON Fischer Good living? It's not good in the moment. The price is very difficult. Price is very bad. To much fish from Russia. Some fish goes to England and some fish goes to Spain, France. The Haring goes to Germany. And Holland. The same problem everything, no money for fish? SPRECHER Der Preis ist miserabel. Wir verkaufen den Fisch nach Spanien, nach Holland, nach Deutschland. Dort schimpfen sie auf unseren billigen Fisch. Die Engländer und die Russen verkaufen ihren Fisch nach Irland. Hier schimpfen wir auf ihren billigen Fisch. Es gibt einfach zu viel. Unsere Fischfabrik hier steht still. Na ja, die halbe jedenfalls. Geht in die Pubs, überall trefft ihr die Arbeitslosen. Was sollen sie tun? O-TON Brenda Yes, it's more difficult for the women to live in Ireand than it is for the men. Most women don't go to the pubs. The man goes out and has his pint. And his wife usually stays at home, goes out at the weekend. MUSIK Irisches Lied, a cappella SPRECHERIN Brenda Cunningham hat ihren Mann Michael zum Teufel gejagt. Die Klatschbasen stürzen sich wie Geier auf den Fraß. Killibegs lebt vom Fisch und vom Tratsch. Um das Fischen steht's schlecht in Killibegs, da bleibt nur der Tratsch. Brenda ist die Sensation im gottesfürchtigen Killibegs. Für Frauen ist das Leben hart hier, sagt sie. Die Männer gehen ins Pub, und die Frauen bleiben zu Hause bei den Kindern. Brenda hatte es satt mit Michael, denn der konnte saufen wie ein Fisch, sagt sie. Brenda Cunningham muss jetzt sehen, wie sie sich und ihre fünf Kinder durchbringt. Sie verkauft Bad and Breakfast und lebt mit den Kindern in der Küche und einem Zimmer. Es reicht gerade zum Leben. SPRECHER Nicht schwerer ist es zu verstehen, warum der irische Bürger reaktionär und katholisch ist, und warum er Satan und Cromwell verbindet, wenn er flucht. SPRECHERIN James Joyce. SPRECHER Für ihn ist der große Kämpfer für die Bürgerrechte eine wilde Bestie, die nach Irland kam, um ihren Glauben mit Feuer und Schwert zu vernichten. Tatsache ist, dass die englische Regierung den Katholizismus moralisch aufwertete, als sie ihn verbot. ATMO Kirche in Galway O-TON Brenda Most or all are Catholics in Killibegs. Your own faith. My faith, I prefer to go every week, every Sunday, yeah, you can go Saturday or Sunday. But I prefer to go I just prefer to go Sunday. I don?t know why. SPRECHERIN Auch Brenda ist gottesfürchtig. Trotzdem glaubt sie, Gott würde ihr verzeihen, dass sie Michael hinausgeschmissen hat. Die Gerüchte streuenden Klatschbasen in Killibegs aber sagen, sie habe eine schwere Sünde begangen. Das Lotterleben soll in Dublin bleiben, dort, wo sie jetzt schon Kondome in einem Spezialgeschäft vertreiben. Früher, vor fünf Jahren noch, da durften keine Pariser verkauft werden in Irland. In Familienberatungsstellen wurden sie kostenlos abgegeben, gegen eine kleine Spende, versteht sich. ATMO Kirche in Galway, Vaterunser SPRECHER Der Anfang vom Ende der Unschuld der katholischen Kirche war eine nationale Schande. In Galway kam es ans Licht eines verregneten Maitages 1992: Bischof Casey hatte vor 19 Jahren einen Sohn gezeugt, der in Amerika lebt. Und damit das arme Kind auch richtig ernährt werden konnte, griff der Mann der Kirche in die Kasse der Kirche und holte sich 70 000 Pfund heraus. Natürlich musste der hohe Geistliche das Land verlassen, aber er kommt einmal im Jahr nach Irland, um der heimatlichen Kirche seinen Besuch abzustatten. Der Putz hat Risse bekommen. Die Dubliner Regierungskrise des Jahres 1994 läutete ein neues Zeitalter auf der Insel ein. Der Ministerpräsident musste seinen Hut nehmen, weil er zu offensichtlich einen sündhaften Mann der Kirche vor dem Gesetz schützen wollte. Bisher lächelten die Iren verschmitzt, wenn es um die Sünden des geistlichen Standes ging. Trinken und Glücksspiel ? na ja. Iren im Talar sind auch nur Menschen. Die Vertuschung der Affäre um den homosexuellen Priester, der Kinder missbrauchte, hat die festen Säulen der irischen Gesellschaft ins Wanken gebracht: Seit 60 Jahren konnten die katholische Kirche und die Staatspartei Fianna Fail unangefochten regieren. Es galt, was sie für gut republikanisch-katholisch hielten. Heute regiert eine Dreiparteienkoalition, die Gottes Schafe entscheiden lassen will, ob Ehen auch in ihrer Herde geschieden werden dürfen. ATMO Brachvogel SPRECHERIN Deshalb gehen wir fort? SPRECHER Edna O'Brian. SPRECHERIN ?weil wir erflehen, anders zu sein. Weil wir uns fürchten, seelisch zu ersticken. Aber man geht nur unter Vorbehalt. Der Mensch, der du bist, ist nur die verhasste Kehrseite des Menschen, der du gern wärest. Belfast, Nordirland. Die Stadt ist nicht mehr, was sie war. Die Straßensperren am Stadtrand sind verschwunden. Keine plötzlich gesperrte Kreuzung in der Innenstadt mit Passkontrolle. Am Kaufhauseingang wühlt kein Soldat in meiner Tasche nach versteckten Bomben. SPRECHER Die Stadt ist immer noch, was sie war: Gepanzerte Jeeps patrouillieren durch die Straßen. Die Angst vor dem Terror der jeweils anderen Seite hockt immer noch in den Stadtteilen, die durch Mauern und Stacheldraht getrennt sind. Hier leben die Katholiken, dort die Protestanten. SPRECHERIN Eine Stadt zwischen Bombenterror und leiser Hoffnung. SPRECHER Eine Stadt zwischen Waffenstillstand und unsicherer Zukunft. MUSIK Irische Folklore SPRECHERIN Die Soldaten tragen keine Stahlhelme mehr, sie tragen Barrets. Ihre Maschinenpistolen sind nicht wie früher auf den Menschen gerichtet, sondern auf die Erde. Die Innenstadt erwacht auch nach Geschäftsschluss ganz vorsichtig aus dem Angstschlaf. Menschen bummeln an Schaufenstern vorbei und halten Ausschau nach einem Pub, das Tür und Zapfhahn geöffnet hat. Das ist neu in Belfast. SPRECHER Die Mauern in Belfast werden erst abgerissen, wenn die Angst aus der Stadt gewichen ist. Was in Jahrzehnten der Teilung gewachsen ist, kann keiner so schnell vergessen. Wir brauchen Zeit, sagen die Menschen. Wir sind nicht wie ihr Deutschen. ATMO Pub Letterfrack SPRECHERIN Der Abschied fällt schwer. Die Fähre gleitet langsam aus dem Hafen. Irland wird immer kleiner, jetzt verschwindet die Insel im matten Abendlicht. Wir werden wiederkommen. SPRECHER Es gibt dieses Irland. SPRECHERIN Schreibt Heinrich Böll. SPRECHER Aber wer hinfährt und es nicht findet, hat keine Ersatzansprüche an den Autor. ATMO Pub Letterfrack, Nationalhymne, Beifall 1