COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur DIE REPORTAGE Das Ende der Jugend Wie Cuxhaven mit dem demographischen Wandel kämpft von Johannes Nichelmann 01. Atmo: Krabbenkutter (1,48) - darüber: 01. O-Ton: Wetterlage (0,16) (Hinners) Wir müssen gleich mal den Wetterbericht abwarten. Im Moment sieht die Wetterlage nicht so optimal aus. Mit nordwestlichen Winden ist immer ganz ungünstig, weil die hier rein stehen, in die Elbe. Und für unsere kleine Kuttergröße ist das dann doch schon schwieriges Wetter teilweise. Autor Auf der Brücke des "Goedeke Michel", dem Krabbenkutter von Torben Hinners. Sein achtzehn Meter langer, blau-weißer Kahn liegt im neuen Fischereihafen. Eigentlich wollte Hinners - groß gewachsen, schwarzer Kapuzenpulli - heute Abend mit seinem Kollegen raus fahren. Der 36-jährige ist Fischer in dritter Generation und schon immer in der 50.000 Einwohner Stadt Cuxhaven zu Hause. Einer Stadt, die einst berühmt war für ihre große Fischindustrie. Einer Stadt, die fast ausschließlich vom Meer leben konnte. 02. O-Ton: Tradition (0,16) (Hinners) Tradition, Werte - das was Cuxhaven ausgemacht hat, die Fischerei. Cuxhaven ist durch die Fischerei groß geworden. Das interessiert heute nicht mehr. Cuxhaven war Europas größter Fischerei-Umschlageplatz. Was heutzutage Frankfurt am Main ist. Was man kaum glaubt. Autor Ab Mitte der 70er Jahre, erzählt Hinners weiter, bricht die Fischindustrie in Cuxhaven ein. Schuld sind Fangquoten, billigere Konkurrenzflotten. 03. O-Ton: Zukunft (0,07) (Hinners) Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht. Es werden mit Sicherheit einige Betriebe gehen. Das kann man ganz schwierig sagen. Autor Klar jedoch ist, dass der wenige Nachwuchs sich nicht mehr für die Fischerei interessiert. Zu anstrengend, zu unmodern. Hinners Blick geht zum Funkgerät, er dreht auf. 01. Atmo: Ende/ Blende 04. O-Ton: schlechte Nachricht (0,10) (Funkgerät) Hier ist "Cuxhaven Elbe-Traffic" mit der Lagemeldung. Die Zeit: 21 Uhr 36. Die Wettermeldung: wir haben eine Windwarnung für die deutsche Nordseeküste. Nordwest 6 bis 7, Böen 9. 02. Atmo: Funk (1,07) - darüber: 05. O-Ton: Verschieben (0,10) (Hinners) Ne, kein Grund unbedingt los zu fahren jetzt. Wenn man mal draußen Windstärke sechs bekommt, müssten wir nicht gleich nach Hause. Aber verschieben wir auf morgen früh. Autor Das heißt wieder zusammenpacken und die Wetterlage von zu Hause aus beobachten. Hinners blickt auf den dunklen Hafen, resümiert: mit dem Untergang der großen Fischerei, hat sich auch die Stadt verändert. Was jetzt noch da ist, ist der Tourismus, sagt er. Jedes Jahr kommen 3,5 Millionen Besucher - damit liegt Cuxhaven in Norddeutschland mit an der Spitze. Vor allem alte Leute kommen. 06. O-Ton: Vertrieben (0,17) (Hinners) Da gehört für mich längst ein Wandel her! Die jungen Leute sind aus der Grimmershörnerbucht vertrieben worden, weil sie Jet-Ski gefahren sind. Das ist zu laut! Ja, aber so was wollen wir jungen Leute. Wir wollen mit so einem Ding da durch düsen! Ob das Laut ist oder nicht und dann muss man uns auch Plätze und Möglichkeiten dafür geben. 02. Atmo: Ende/ Blende 01. O-Ton: Unterricht (0,45) (Block) So, ich wünsche Euch einen schönen guten Morgen! (Klasse) Guten Morgen, Frau Block. (Block) Okay, ich hab Euch eine Folie mitgebracht. Was meint Ihr denn dazu? Laura! (Laura) Also das ist eine Bevölkerungspyramide für Cuxhaven in 2025. Und da wird angezeigt, dass mehr Männer und Frauen älter werden. Also das es mehr ältere Menschen gibt in diesem Jahr und weniger jüngere. (Florian) Also das ist der demographische Wandel, den wir hier sehen. Joa. (Mädchen 1) Da, wo die dann ins Berufsleben einsteigen, sind ganz wenige nur in Cuxhaven. Also das hier nur junge Leute sind, die zur Schule gehen und später nur noch die Rentner, also am Meisten. 03. Atmo: Realschulklasse (1,30) - darüber: Autor Die zehnte Klasse der Realschule von Cuxhaven. Nadja Block, Lehrerin für das Fach Wirtschaft, steht hinter dem Pult. Ihre Schülerinnen und Schüler sitzen in einem Stuhlkreis, blicken zu ihrer Lehrerin. Eine Schülerin erzählt, dass sie gelesen hat, dass die über 70jährigen schon heute die größte Gruppe der Einwohner bilden. Wie, fragt ihre Lehrerin, könnte es hier mal aussehen, bei einem Klassentreffen in zwanzig Jahren? Viele Hände gehen hoch. 07. O-Ton: Zukunft (0,35) (Junge 1) In Sachen, die es hier in Cuxhaven momentan gibt, wie zum Beispiel das "Haus der Jugend", das könnte man höchsten auf "Haus der Alten" umtaufen später, weil es das eben nicht mehr geben wird. Weil es einfach nicht mehr genug Jugendliche hier in Cuxhaven geben wird. (Junge 2) Ich hab noch, das Haus der Jugend wurde ja jetzt auch schon umbenannt in "Mehrgenerationenhaus" und da sind auch schon Nachmittage mit Enkeln und den Großeltern. Spielenachmittage sind da jetzt mittlerweile. (Mädchen 2) Vielleicht gibt es ja dann auch mehr Altersheime hier in Cuxhaven. (Junge 2) Zum Beispiel im Feldweg wurden jetzt zwei neue gebaut. In Süderwisch ist jetzt ein neues, wo früher ein ALDI drinne war. Es wird jetzt auch immer mehr. Autor Insgesamt stehen fünfzehn Altersheime in der Stadt an der Küste. Mehr als es derzeit Schulen gibt. Und von denen werden wohl bald einige schließen müssen oder zusammengelegt, ergänzt Nadja Block. Einige ihrer Schüler zucken mit den Schultern. Ist eben so, meint einer. 08. O-Ton: Einkaufsstraße (0,35) (Block) Altenheime entstehen. Was passiert denn noch? Im Gegensatz dazu? (Junge 3) Wenn zu wenig junge Leute hier sind, dann gehen ja auch wenig in die Disko! (Junge 4, flüstert) Ü80! (Junge 3) Ü80-Party (lacht) (Block) Was machen ältere Leute denn in ihrer Freizeit? Wohin gehen die? (Junge 3) Also ich kenne das nur, das viele alte Leute dann im Fährhafencafé sind, von meiner Tante. Trinken Kaffee. (Block) Ja, es gibt immer mehr Cafés und die werden von Rentnern belagert. Und was interessiert Euch denn? Wenn Ihr dann mal nicht zu Hause herum sitzt. Wohin wollt Ihr denn gehen? (Mädchen 3) Na, shoppen gehen! Also das hier vielleicht auch ein paar neue Geschäfte, H&M oder sowas, kriegen. Also in die Richtung mehr. 03. Atmo: Ende/ Blende 04. Atmo: Einkaufsstraße (4,41) - darüber: Autor Diese neuen Geschäfte fehlen hier, in der Nordersteinstraße. Verschieden farbige Häuser mit Spitzdächern, Reihe an Reihe. Es ist Mittagszeit und nur sehr wenige Menschen gehen vorbei an den Bekleidungsgeschäften für ältere Kunden, den Bäckereien, den Handyshops und dem einzigen großen Eis-Café. Davor sitzt Virginia Stüben, rührt Zucker in ihren Tee, legt die Füße auf den anderen Stuhl, grüßt ab und an vorbei laufende Bekannte. 09. O-Ton: Diese Rentner (0,15) (Stüben) Diese Rentner haben nichts anderes zu tun, als hier herum zu spazieren. (lacht) Das ist ein ehemaliger Gymnasiallehrer. Ich dachte, der wäre immer noch an der Schule, sagt er "ich bin doch Rentner". Naja, gut. Autor Stüben ist ebenfalls Rentnerin, engagiert sich in verschiedenen Vereinen der Stadt und ist dadurch stadtbekannt. Ihr genaues Alter will sie nicht verraten. Nur soviel erzählt sie: In Cuxhaven aufgewachsen und vor fünfundzwanzig Jahren zurück gekommen. Wegen der Familie. Was ihr hier fehlt, ist das junge Leben. 10. O-Ton: Gartenlokale (0,12) (Stüben) Und früher soll es hier so richtige Gartenlokale gegeben haben. Am Wasser. Mit Tanz und Dollerei. Kann man sich auch nicht mehr vorstellen. Da hocken jetzt so ein paar Tauben und Möwen rum. 11. O-Ton: Altersheim (0,18) (Stüben) Der Mittelbau fehlt. Aber wie auch? Hier ist ja nichts. Wenn Leute hier mit der Schule fertig sind können sie... Was können sie werden? Altenpfleger und sonst müssen sie weg. Wir haben schon mal gesagt, man müsste einen Zaun herum ziehen und ein Schild dran machen "Altenheim". Wenn wir ganz gemein waren. Autor Die Rentnerin zeigt auf ein leeres Schaufenster, schräg gegenüber. Auf einem Plakat ist zu lesen "Liebe Kunden, wir bedanken uns für Ihre langjährige Treue. Leider mussten wir uns entscheiden, diese Filiale zu schließen. Wir wünschen Ihnen ein gesundes neues Jahr 2011". Das hängt da schon eine ganze Weile und hier in der Stadt können Sie eine ganze Menge solcher Schilder finden, erzählt die Frau kopfschüttelnd. Dann trinkt sie ihren Tee aus und will nach Hause gehen. Für heute hat sie hier alles gesehen. 04. Atmo: Ende/ Blende 05. Atmo: Klamottenladen (4,15) - darüber: 12. O-Ton: Anprobe (0,10) + (0,15 Atmoüberhang) (Annika) Aber ich würde es nicht nehmen. Von weitem sieht es zwar gut aus, aber nicht vom nahen. (Liesa) Ne. Meins ist es auch irgendwie nicht. Autor Nur wenige Meter vom Eiscafé entfernt, wollen Annika und Liesa, fünfzehn und sechzehn Jahre alt, Klamotten kaufen. Für uns gibt es hier gerade mal ein Geschäft auf der Straße, meint Liesa. 13. O-Ton: Nur ein Geschäft (0,22) (Liesa) Ich glaub, ich hab heute schon zwei gesehen, die das gleiche Oberteil wie ich anhaben. Ja, das ist dann halt wirklich knapp, weil hier wenig verschiedene Läden sind. (Annika) Also die meisten kaufen eigentlich in Bremerhaven ein oder auch in Hamburg manchmal, am Wochenende. Autor Cuxhaven brummt schon lange nicht mehr. Langsam, fast unbemerkt kommt eins zum anderen. Erst zieht die Marine ab, dann sterben die Werften. Nach dem Einbruch der Fischindustrie geht plötzlich nicht mehr viel in der Stadt. Arbeitsplätze gehen verloren. Junge Leute ziehen weg, Cuxhaven beginnt zu schrumpfen. Der Todesstoß für die Einkaufsstraße kam mit der Pleite des Karstadt-Konzerns vor zwei Jahren. Am Ende der Straße erinnert nur ein großer grauer Betonklotz an die Zeit, in der die Schülerinnen gerne durch die Innenstadt bummelten. Zur großen Filiale von "Hertie", die viele Kunden anzog. Annika und Liesa vermissen die Nachmittage von damals. 14. O-Ton: Hertie-Pleite (0,35) (Annika) Oh sehr! Also es hat ein Laden nach dem andern geschlossen, wirklich. Hertie war weg und dann... weißt Du, welcher Laden als erstes geschlossen hat? Nach Hertie? (Liesa) Äh... Oxy glaub ich. (Annika) Wer? (Liesa) Oxy! (Annika) Ja! Und dann, hinten ist gar nichts mehr. Gar nichts. Also da haben fast alle Läden zugemacht, bis auf ein Bäcker. Ja und früher konnte man auch den ganzen Tag in der Stadt verbringen. Eben wegen Hertie und jetzt ein paar Minuten? (Liesa) Halbe Stunde, wenn es hoch kommt, mal? (Annika) Ja... Autor Während Liesa, die Ältere der beiden, weiter ein paar T-Shirts anprobiert, erzählt sie, dass sie bald eine Ausbildung in Schleswig-Holstein beginnt. Noch ein paar Monate, sagt sie, dann bin ich eh weg. Wie so viele junge Leute. Knapp 30 Prozent der Einwohner Cuxhavens sind heute älter als 65 Jahre. Damit erlebt die Stadt an der nördlichsten Spitze Niedersachsens gerade, was Deutschland in 20, 30 Jahren blüht. Die Region ist dem Rest der Republik um eine Generation voraus. 06. Atmo: Einkaufsstraße (2,46) - darüber: Autor Die Mädchen wollen wieder nach Hause, gehen am Hertie-Gebäude vorbei. "Hertie gibt sein Bestes" ist noch auf den Werbebannern im Schaufenster zu lesen. 06. Atmo: Ende/ Blende 07. Atmo: Realschulklasse (1,30) - darüber: Autor In der 10 D der Realschule Cuxhaven wird weiter diskutiert. Lehrerin Nadja Block versucht erneut, das vermeintlich abstrakte Thema spannend und für die Schüler interessant zu machen, indem sie sie ganz gezielt auf ihre Zukunft anspricht. 15. O-Ton: Ausbildung (0,29) (Block) Für Euch gibt es ja eh keine Ausbildungsplätze. Es ist ja nichts los in Cuxhaven. Was meint Ihr denn dazu? (Junge 4) Vor allem im Hafen gibt es sehr viele Ausbildungsplätze und viele Interessieren sich halt nicht dafür. Das ist das große Problem dabei. Weil viele sich denken, ja ich will jetzt irgendwas mit PCs machen zum Beispiel was handwerkliches machen. Handwerkliches gibt es hier auch genug aber halt... (Mädchen 2) Also gerade Leute halt die die Häuser bauen, Dachdecker und so... Also man darf jetzt auch gar nicht mehr so viel in Cuxhaven bauen, weil jetzt auch so viele Häuser auch leer stehen und die jetzt halt auch alle aufgekauft werden sollen. Autor Die Lehrerin nickt, stichelt dann weiter. Und behauptet, dass viele ihrer Schülerinnen und Schüler gar nicht wüssten, dass es in Cuxhaven zum Beispiel im Tourismusbereich sehr wohl Ausbildungsplätze gibt. Aber kaum einer bewirbt sich. Was nicht an Cuxhaven liegt, sondern daran, dass Berufe wie Koch oder Restaurantfachfrau - oder -mann generell ein schlechtes Image haben. Auch Nadja Blocks Schüler können sich nicht vorstellen, sich in Cuxhaven dafür zu bewerben. Auf andere, attraktivere Stellen in Hamburg oder Bremen dagegen schon. Atmo hoch Der Blick der Lehrerin ist jetzt ernst. Man spürt: die Zukunft Cuxhavens - die liegt ihr am Herzen. Deshalb hat sich die 24jährige auch für ein Referendariat hier, in der Stadt, in der sie aufgewachsen ist, entschieden. In ihrer Altersgruppe eher untypisch. Für die Schule aber, sagt sie und lächelt, ein Glücksfall, oder? 07. Atmo: Ende/ Blende 08. Atmo: Autofahrt (1,33) - darüber: Autor Michael Müller ist vor vielen Jahren aus dem Rheinland nach Niedersachsen gekommen und seit sechs Jahren in Cuxhaven. Er ist der Stadtbaurat und muss sich somit auch um Probleme, die die Schrumpfung mit sich bringt, kümmern. Immer weniger Menschen - das bedeutet auch einen anderen Umgang mit Immobilien. Seinen sportlichen Mercedes lenkt er durch die Theodor-Storm-Straße. Die liegt am Rande des Zentrums. 17. O-Ton: Theodor-Storm-Straße (0,10) (Müller) Das ist erstmal, auf den ersten Blick... Sieht hier alles eigentlich putzig, heimelig, keine beginnenden Probleme. Autor Einfamilienhäuser mit Gartenzaun und spitzen Dächern. Müller fährt langsamer, setzt seine Sonnenbrille ab. Der 50-jährige zeigt auf eines der Gebäude. Die Stadt weiß, dass in diesem großen Haus nur noch eine ältere Person lebt. Vermutlich kommt die Immobilie in den nächsten Jahren auf den Markt. Nur ist kaum jemand in Sicht, der sie kaufen soll. 18. O-Ton: typische Straße (0,17) (Müller) Das ist eine typische Straße. So wie es hier aussieht, sieht es also... Freistehend große Grundstücksflächen.... Also als Ausrufezeichen für die gesamte Entwicklung, weil wirklich Cuxhaven geprägt wird, neben dem da wieder vorhandenen Geschosswohnungsbau auch durch den zunehmenden Einfamilienhausbau. 08. Atmo: Ende/ Blende 09. Atmo: Auto II (1,12) - darüber: Autor In Cuxhaven gibt es ganze Ecken mit leeren Häusern und öden Straßen. 2000 Wohnungen stehen leer, die Preise für Immobilien sinken und bis 2030 werden, so Müller, wohl zwei Drittel aller Einfamilienhäuser auf den Markt kommen. Sogenannte "Wohnlotsen" sollen helfen, den Trend zumindest zu verlangsamen. Das sind Cuxhavener - Architekten, Makler, Anlageberater - die unentgeltlich für ihre Stadt werben. Interessenten aus dem ganzen Bundesgebiet beraten, jungen Leute leere Immobilien schmackhaft machen. Atmo hoch Die Wackelfigur an der Windschutzscheibe, ein Fußballer, neigt sich zur Seite. Müllers Wagen steuert in eine der nächsten Straßen. Der Stadtbaurat erklärt weiter, wie die Kommune sich für die Zukunft wappnen will. Cuxhaven will sich voll und ganz auf die Alten konzentrieren und ihnen ein unbeschwertes Leben hier ermöglichen. Dazu zählt, dass viele Häuser altersgerecht umgebaut werden und Pflegedienste eingerichtet werden. Atmo hoch Es kommen vor allem die, erzählt Müller, die da leben wollen, wo sie früher Urlaub gemacht haben. Aber auch viele, die in Cuxhaven aufgewachsen sind und wieder zurück wollen in die Heimat. Müller zieht eine Notiz aus dem Mantel, auf die er "65 Jahre" gekritzelt hat. Ab diesem Alter, sagt er, wächst die Bevölkerungsgruppe stetig. Dann fährt er langsamer, durch eine Siedlung mit mehrgeschossigen Häusern. 19. O-Ton: Sanierung (0,15) (Müller) Und dann sieht man mal hier... Sehen Sie mal mit einer integrierten Tagespflege hier. Barrierefreiheit, sie können da links mit dem Aufzugschacht reinfahren. Also Sie sehen jetzt hier also, dass wir massiv diesen Bereich hier saniert haben und das ist nur ein Beispiel dafür. Autor Ein paar Meter weiter deutet Michael Müller auf den Gehweg. Besondere Muster auf den Steinen sorgen dafür, dass sich Menschen mit Sehbehinderung besser zurechtfinden. 20. O-Ton: Tagesbegegnungsstätte (0,12) (Müller) Aber da drüben sehen Sie schon Tagesbegegnungsstätte, wo man also auch sehr gut im "Kubi" verbilligt Mittag essen kann. Das ist zum Beispiel auch ein Seniorentreffpunkt. Autor Cuxhaven - ein Paradies für Senioren an der Nordsee. Junge Menschen sind bei der Rundfahrt durch die Stadt kaum zu sehen. Wie sollen sie hier ihren Platz finden? Wir haben eine Skaterbahn geplant und es gibt doch auch eine große Disko, verteidigt Müller sein Konzept. Ob Jugendtreff, Disko und Skaterbahn aber ausreichen, dass alle Generationen sich hier wohl fühlen, weiß er auch nicht. 09. Atmo: Ende/ Blende 10. Atmo: Zug (2,06) Autor Der Landkreis Cuxhaven ist ungefähr so groß wie Hannover. Auch vielen kleinen umliegenden Dörfern geht es so wie der Stadt. Sie altern und schrumpfen. Die Jungen ziehen weg, der Arbeit hinterher. Oder sie pendeln nach Hamburg, Stade, Bremen. Viele Kommunen sind pleite, und so verödet ein ganzer Landstrich zusehends. (Atmo) Guten Tag sehr geehrte Fahrgäste! Das Metronom-Team begrüßt Sie an Bord auf der Fahrt von Cuxhaven nach Hamburg und der nächste fahrplanmäßige Halt ist dann in wenigen Minuten Otterndorf. (0,12) - darüber: Autor Es gibt aber auch Ausnahmen, Leuchttürme inmitten der Probleme des demographischen Wandels. Otterndorf zum Beispiel. Ein Luftkurort mit 7000 Einwohnern, gerade mal elf Minuten mit der Bahn von Cuxhaven. 10. Atmo: Ende/ Blende 11. Atmo: Wind in Otterndorf (1,13) - darüber: Autor Ein windiger Nachmittag, fünf Minuten von der Nordsee entfernt. Frauke Zarte, 46 Jahre alt, kümmert sich um die Baugrundstücke im Ort. Sie steht am Ende einer Straße und blickt auf eine Fläche voller Schlamm und Baufundamenten. 21. O-Ton: Ende erreicht (0,08) (Zarte) Irgendwann ist natürlich das Ende erreicht, wenn man ringsherum alles ausgenutzt hat aber wir sind schon ganz schön gewachsen. Autor Rundherum neue Backstein- oder Holzhäuser mit kleinen, gepflegten Vorgärten. Idylle an der See. Die Gemeinde wächst und darauf bin ich stolz, sagt Frauke Zarte und weist auf eine Wiese hin, die ungefähr zweihundert Meter entfernt liegt. Das nächste Baugebiet, für das sie eine lange Warteliste vorweisen kann. 22. O-Ton: Zielgruppe (0,12) (Zarte) Aus der Erfahrung heraus, dass ich eben die Bauplätze verkaufe und weiß, wer meine Interessenten sind und die Käufer und da sind überwiegend die wirklich jungen Familien dabei. 11. Atmo: Ende/ Blende 12. Atmo: Otterndorf, ruhig (1,06) - darüber: Autor Offenbar möchten die lieber in einer kleinen, schmucken und intakten Ort leben, als in einer Stadt, in der die Spuren des demographischen Wandels schon allzu sichtbar sind. Es gibt ein Krankenhaus, mehrere Ämter, viele kleine Geschäfte und bald ein neues Gymnasium. Manchmal ist Frauke Zarte selbst noch überrascht, wie groß der Ansturm auf ihre Heimatgemeinde ist. 23. O-Ton: Komisch (0,14) (Zarte) Ja, manchmal ist das ein bisschen komisch. Ja, aber es ist natürlich schön für die Stadt Otterndorf. Wir freuen uns da drüber, dass es die Menschen hier her zieht und wir nach wie vor gefragt sind. Autor Trotzdem haben sie und ihre Kollegen im Rathaus vor einigen Wochen beschlossen, ein Konzept aufzustellen, wie Otterndorf mit den Problemen der Zukunft umgehen will. Damit es uns nicht erwischt, wie Cuxhaven, sagt Zarte. 12. Atmo: Ende/ Blende 13. Atmo: Realschule (1,30) - darüber: 24. O-Ton: Zukunft I (0,00) (Block) Jetzt denkt doch mal selber an Eure Zukunft! Ihr macht jetzt im Sommer Euren Abschluss. Wie sieht denn Eure Zukunft eigentlich aus? Könnt Ihr Euch in Cuxhaven eine Zukunft vorstellen? Autor In der 10 D an der Realschule Cuxhaven will Nadja Block es jetzt wissen. Ihre Schüler blicken sich an. Einige haben noch keinen Plan für die Zukunft, andere wissen genau, was sie wollen. Laura und Marcel zum Beispiel. Cuxhaven hat in ihren Plänen keinen Platz. 25. O-Ton: Zukunft II (0,25) (Laura) Also eher nicht, weil es gibt halt echt nicht so viele Möglichkeiten. Auch nicht zum Studieren. Also ich möchte dann erstmal ein Jahr in Ausland gehen oder ein halbes Jahr und dann möchte ich halt gerne in eine große Stadt mit vielen jüngeren Leuten gehen und da halt studieren. (Marcel) Als Kind war das schön für einen. Aber jetzt ist das nicht mehr so. Deswegen werde ich in die Großstadt gehen und da zur Bundeswehr gehen. Autor Es gibt aber auch die, die bleiben wollen. Diogo zuppelt mit der linken Hand an seinem Ohrring und erzählt, dass er zu sehr an seiner Heimat hängt, sie nicht verlassen will. Egal, wie es mit Cuxhaven weitergeht. Nadja Block nickt, muss ihn dann aber unterbrechen, deutet auf die Uhr. Die Unterrichtsstunde ist vorbei. 13. Atmo: Ende/ Blende 14. Atmo: Ende der Stunde (2,01) - darüber: Autor Die Lehrerin schiebt die Folie mit der Grafik zum demographischen Wandel zurück in ihre Tasche. Die Aussagen ihrer Schülerinnen und Schüler sind für sie keine Überraschung. Als sie vor einigen Jahren Abitur gemacht hat, sagt sie, haben ihre Freunde das auch schon so empfunden. 26. O-Ton: Lehrerin (0,22) (Block) Mein Abiturjahrgang, da sind drei Stück hier geblieben. Von 120. Die anderen sind alle gegangen. Natürlich auch um zu Studieren, wir haben ja keine Uni. Die FH, die nächste ist in Bremerhaven und davon sind auch ganz wenige wiedergekommen. Also ich bin da in der Unterzahl. Fünf Stück sind wiedergekommen. 14. Atmo: Ende/ Blende 15. Atmo: Hafen (1,54) - darüber: Autor Ein paar Kilometer entfernt, an der "Alten Liebe", einem Teil des Hafens, wirft ein Tourist ein Geldstück in eines der fest installierten Fernrohre auf der Aussichtsplattform. Er schaut auf einen Krabbenkutter in der Ferne. Vielleicht der von Torben Hinners. Dahinter ein großes Containerschiff, das die Elbstraße entlang, wahrscheinlich nach Hamburg, fährt. Am anderen Ende der Plattform steht Virginia Stüben, die ältere Frau aus der Einkaufsstraße. Auch sie blickt hinaus auf das Meer, erzählt noch einmal, dass sie hier geboren ist, dann viel durch die Welt reiste und letztendlich seit fünfundzwanzig Jahren wieder da ist. Früher als sie immer gedacht hat. 27. O-Ton: Fazit (0,47) (Wellen, Möwen) (Stüben) Ansonsten ist Cuxhaven sehr nett. (Schiffshorn) Ja, was soll man sonst zu dieser Stadt sagen? Weiß nicht. Also ich mag die, weil die am Wasser liegt. Das ist so. Das ist bei uns wie bei den Lachsen. Die kommen... Im Grunde kommen alle wieder her. Irgendwann. (Wellen, Möwen) 15. Atmo: Ende/ Blende - Ende - DKultur, Die Reportage - Das Ende der Jugend DKultur, Die Reportage - Das Ende der Jugend 12/13 13/13