DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 02.10.2007 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr Sanfte Waffen für harte Zeiten - Von Elektro-Tasern und Schallkanonen Co-Produktion WDR/DLF Von Albrecht Kieser URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo, Demo Pittsburgh Auf einer Demonstration skandieren Erwachsene und Kinder: "Shut it down!" Sprecherin 1 Pittsburg, Pensylvania. Ein kleiner Demonstrationszug zieht durch die Straßen der Stadt. Vorneweg wird ein Transparent getragen: "Shut down recruitment!" Stoppt die Rekrutierung! Nicht nur junge Leute, auch ältere und Familien mit ihren Kindern sind dabei. Die Demonstranten ziehen vor ein unscheinbares Gebäude. Hier wirbt die US- Army junge Männer und Frauen für den Dienst im Irakkrieg an. Vor dem Eingang drängen Polizisten die Demonstranten zurück. Ein Amateurfilmer hat die Szene eingefangen und ins Internet gestellt. Es fliegen keine Steine, keine Molotowcoctails. Trotzdem greift ein Polizist zur Waffe und zielt auf eine Frau, die bereits von zwei seiner Kollegen am Boden festgehalten wird. Aus nächster Nähe drückt er ab. Atmo, Tasereinsatz Schreie der Frau, aufgeregte Rufe drum herum. Sprecherin 1 Die Frau schreit vor Schmerz, zuckt einige Sekunden und bleibt dann regungslos liegen. Der Polizist kann ihr in Ruhe Handschellen anlegen. Atmo-Collage Titelansage: Sanfte Waffen für harte Zeiten. Von Elektrotasern und Schallkanonen. Ein Feature von Albrecht Kieser. Atmo-Collage O-Ton Rainer Wendt Wir haben uns das vorführen lassen, wir haben uns das ganz genau erklären lassen und deshalb wissen wir auch, dass diese Distanzwaffe, dieser Taser, nicht mit einem herkömmlichen Stromschockgerät vergleichbar ist. Hier wird ein ganz minimaler Stromstoß versetzt, der eben nicht auf Herz, Kreislauf oder gar Gehirnströme Einfluss nimmt, sondern ausschließlich auf die Muskulatur Einfluss nimmt. Das heißt die Muskulatur wird komplett ruckartig zusammengezogen und man wird sofort bewegungsunfähig. // Gesundheitliche Folgen sind ausgeschlossen, gesundheitlich negative Folgen. Im Gegenteil, es ist eher zu erwarten, dass sich die Erfahrungen auch in Deutschland durchsetzen werden, die man in Amerika längst gemacht hat. Dass nämlich die Verletzungen sowohl bei dem Täter als auch bei den Polizeibeamtinnen und -beamten rapide abnehmen. Sprecherin 2 Rainer Wendt ist Polizist und Funktionär der "Deutschen Polizeigewerkschaft" im Beamtenbund, die mit der größeren "Gewerkschaft der Polizei" im DGB konkurriert. Wendt plädiert dafür, dass alle deutschen Polizisten mit Non-lethal weapons, NLW, nichttödlichen Waffen, wie dem Taser ausgerüstet werden. Als "sanft" oder "human" bezeichnen ihre Befürworter sie gern. In immer mehr Ländern werden sie von Polizeiapparaten und vom Militär eingesetzt. In Deutschland sind bisher nur die Sondereinsatzkommandos mit der Elektroschockpistole Taser ausgerüstet. Aber auch die Bundeswehr hat nichttödliche Waffen, angeschafft und testet Neuentwicklungen auf einem speziellen Übungsgelände. Dr. Friedhelm Krüger-Sprengel, ehemals Ministerialdirigent im Bundesverteidigungsministerium über die Nachrüstung: O-Ton Friedhelm Krüger-Sprengel Die gibt den Streitkräften und natürlich auch der Polizei ein erweitertes Handlungsspektrum. Die können die Auffassung und ihre Aufgaben auch bei einer widerstrebenden Bevölkerung durchsetzen, ohne sofort auf tödliche Waffen zurückzugreifen. Und damit werden sie auch mehr respektiert werden in dem Sinne, dass ihre Gewalt doch weiter reicht und man nicht einfach gegen sie vorgehen kann. Die erweiterten Handlungsmöglichkeiten im zivilen Umfeld sind eben sehr wichtig für die Aufgabe von Streitkräften bei der Friedenssicherung. Interviewblockade Sprecher 2 Sehr geehrter Herr Oberstleutnant Bernhart! Bezugnehmend auf unser heutiges Telefonat möchte ich gerne mit jemandem aus Ihrem Hause darüber sprechen, welche NLWs von der Bundeswehr bei ihren Auslandseinsätzen genutzt werden beziehungsweise ihr zur Verfügung stehen. Mit freundlichen Grüßen Albrecht Kieser Journalist Sprecher 3 Sehr geehrter Herr Kieser! Wie bereits telefonisch erläutert, bitten wir derzeit von einem Interview zu diesem Themenfeld abzusehen. Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag Thomas Bernhart, Dipl. Ing., Oberstleutnant im Generalstab Sprecher Rüstung; Bundesministerium der Verteidigung Presse- und Informationsstab Sprecherin 2 Die NATO hat sich bereits 1999 für die Entwicklung und den Einsatz nichttödlicher Waffen ausgesprochen: Sprecher 1 "Diese Waffen werden hergestellt und entwickelt, um Menschen handlungsunfähig zu machen oder zurückzutreiben. Sie führen mit geringer Wahrscheinlichkeit zum Tode und verursachen in der Regel keine dauerhaften Verletzungen. Wird Material funktionsuntüchtig gemacht, produzieren nichttödliche Waffen nur geringe unverwünschte Schäden, auch in der Umwelt. Nichttödliche Waffen sollen militärische Einsätze ergänzen, bei denen der Gebrauch tödlicher Gewalt zwar nicht verboten, aber nicht nötig oder erwünscht ist. NATO- Truppen behalten in allen Fällen die Option, sofort tödliche Waffen einzusetzen." NLW-Einschub Sprecher 1 Aus dem Arsenal nicht-tödlicher Waffen: Sprecher 3: Laser-Projektile: Die Getroffenen erblinden vorübergehend, verlieren dadurch die Orientierung und werden handlungsunfähig. Sprecher 1: Ein NATO-Report von August 2006 schreibt über mögliche gesundheitliche Folgen: Sprecher 3: Laser-Projektile sind Blend- und Wuchtgeschosse, die aus komprimierter Laserenergie bestehen. Sie können das Augenlicht auslöschen. O-Ton Jürgen Altmann Wenn man zusammenfasst, gibt es eigentlich zwei große Gruppen, die an nichttödlichen Waffen Interesse haben und daran forschen und entwickeln: das eine sind die Streitkräfte, dort sind die USA am aktivsten, wie auch sonst in militärischer Forschung und Entwicklung. Und zum anderen sind es die internen Sicherheitskräfte, also von Polizei auf der Straße bis zu Gefängnispersonal. Und dann gibt es eben Überlappbereiche, wenn zum Beispiel das Militär in Kriegsgefangenenlagern im Irak Leute bewacht, da haben die manchmal eben auch ein Problem, dass die nicht so wollen wie die Wächter - und dort möchte man auch mehr Handlungsmöglichkeiten haben, die zu Wohlverhalten zu zwingen. Sprecherin 2 Jürgen Altmann, Diplomphysiker und seit 22 Jahren Abrüstungsexperte. Er gehört zu den wenigen Fachleuten in Deutschland, die sich mit nichttödlichen Waffen befassen - und darüber reden. Interviewblockade Sprecher 3 Sehr geehrter Herr Kieser! Für Ihre Anfrage zum Thema Nichtletale Wirkmittel vom 14.11.2006 danke ich Ihnen. Da Ihre Fragen bereits durch das Bundesministerium der Verteidigung beantwortet wurden, ist eine weitergehende Beantwortung durch das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung nicht vorgesehen. Mit freundlichen Grüßen im Auftrag Christian Pertermann Dipl.-Ing. Bauoberrat O-Ton Lars Lipke Wir haben hier den Taser X26. Das ist das aktuelle Gerät, das aktuelle Behördenmodell des Tasers, ein Distanzelektroimpulsgerät, was auf Deutsch bedeutet, dass das Handgerät einen Elektroimpuls erzeugt (er drückt ab, es knallt beziehungsweise knattert). Sprecherin 1 Lars Lipke ist Waffenhändler und deutscher Generalvertreter von Taser International. Im Schaft des Taser stecken Akkus, die ausreichen, um ein mögliches Gegenüber durch Stromstöße von 50.000 Volt außer Gefecht zu setzen. Weil die Stärke der Stromschläge relativ gering ist, werden Getroffene in der Regel nicht getötet. Ihre Muskulatur verkrampft sich, sie fallen zu Boden, sind für einige Sekunden komplett gelähmt. O-Ton Lars Lipke In dem Moment, wenn ich jetzt mit aufgesetzter, geladener Kartusche den Elektroimpuls auslöse, werden per komprimiertem Stickstoff, also per Gasdruck, zwei Pfeile verschossen. Und diese Pfeile - man muss sich die jetzt nicht vorstellen wie schwere Armbrustbolzen, sondern das sind kleine Nädelchen - die ziehen Kabel hinter sich her, feine Kabel, mit einer Reichweite von bis zu sieben Meter sechzig zur Zeit, im behördlichen Bereich, die es ermöglichen, diesen Elektroimpuls dann auf die Entfernung auf den Körper des polizeilichen Gegenübers zu übertragen. Das heißt diese Pfeile verhaken sich in Haut oder Kleidung des Getroffenen und über diese Kabel bleibt dann die Verbindung zwischen dem Handgerät und der Muskulatur des Getroffenen bestehen. Sprecherin 1 Die "kleinen Nädelchen", von denen Lars Lipke spricht, sind 13 Millimeter lang und mit Widerhaken versehen. Sie können feste Lederkleidung von bis zu zweieinhalb Zentimetern Dicke durchbohren und dringen in die menschliche Haut ein. Sie wieder zu entfernen, ohne größere Wunden zu hinterlassen, gehört zur Ausbildung an der Pistole. Der Beschuss mit Elektrizität ist außerordentlich schmerzhaft, hinterlässt aber kaum Spuren, allenfalls kleine Rötungen auf der Haut. Interviewblockade Sprecher 2 Sehr geehrte Damen und Herren! In Vorbereitung eines Radiobeitrages über nichtletale Wirkmittel möchte ich mit einem Vertreter der Bundespolizei gern ein Interview führen. Mit freundlichen Grüßen Albrecht Kieser Journalist Sprecher 3 Sehr geehrter Herr Kieser! Aussagen zu NLW bei der Bundespolizei sind nur für den Dienstgebrauch bestimmt. Ich bitte daher um Verständnis, dass ich Ihre Interviewanfrage insofern nicht positiv bescheiden kann. Mit freundlichen Grüßen Sven Möller Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit NLW-Einschub Sprecher 1 Aus dem Arsenal nicht-tödlicher Waffen: Sprecher 3: Bean Bags: Säckchen, die mit 40 bis 150 Gramm Bleischrot gefüllt sind, werden aus Gewehrläufen abgefeuert, um die Getroffenen durch physische Schmerzen außer Gefecht zu setzen. Sprecher 1: Der NATO-Report schreibt darüber: Sprecher 3: Die mit Schrot gefüllten Säckchen passen sich der Kontur der Getroffenen an und verursachen deshalb weniger schwere Verletzungen als harte Projektile. Je nach Wucht und Entfernung können solche Waffen jedoch unerwünschte Verletzungen zur Folge haben wie schwere Prellungen, Knochenbrüche, Gehirnerschütterungen und Augenschäden. Sie können auch tödlich sein. Atmo: vor Ceuta und Melilla (DVD "Zusammenprall der Zivilisationen") Schüsse und Sirenengeheul von Polizeifahrzeugen Sprecherin 1 Schauplatz Nordafrika. Vor den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla an der Küste Marokkos kampieren seit Jahren afrikanische Flüchtlinge. Sie warten auf eine Gelegenheit, nach Europa einzureisen, im Zweifel auch ohne Genehmigung. Im Herbst 2005 löste die marokkanische Polizei ihre Behelfsunterkünfte auf und deportierte viele der Flüchtlinge in abgelegene Wüstenregionen an der algerischen Grenze. Verzweifelt versuchten daraufhin Hunderte, die drei bis sechs Meter hohen Grenzzäune mit selbst gebastelten Leitern zu überwinden, um auf europäischem Boden, in Ceuta und Melilla, Asyl beantragen zu können. Die Menschenrechtsorganisationen Pro Asyl hat die Ereignisse in einem Dokumentarfilm festgehalten. Atmo: vor Ceuta und Melilla (DVD "Zusammenprall der Zivilisationen") Schüsse und Sirenengeheul von Polizeifahrzeugen Sprecherin 1 Neben Grenzschützern marschierten auf spanischer Seite Soldaten auf, um die Eindringlinge zu vertreiben. Die Uniformierten setzten Gummigeschosse ein, die zur ersten Generation nichttödlicher Waffen gehören. Viele Afrikaner wurden schwer verletzt, als sie die Zäune überklettern wollten. Doch es blieb nicht bei Verletzungen, 14 Flüchtlinge starben. Das führte zu heftigen Protesten in der Öffentlichkeit. Der Generalsekretär der spanischen Gewerkschaft CGT, Augustin Gomes Acosta: O-Ton Ceuta; Augstin Gomes Acosta/spanisch-deutsch (DVD "Zusammenprall der Zivilisationen") Im Prinzip ist der Zaun das Spiegelbild der Doppelmoral. Die Berliner Mauer hat uns damals erschrocken. Heute erschreckt uns die israelische Mauer. Aber diese Mauer, sie ist in diesem Fall aus Stacheldraht, alarmiert uns nicht. Das ist auch das Ergebnis der imperialistischen Politik, die heute Globalisierung heißt. Eine Politik, wo das Geld, die Waren der Schwarzen willkommen sind, aber die Schwarzen selbst sollen, bitte schön, zu Hause bleiben. Wenn man anfängt darüber nachzudenken, was hier geschehen ist: Es ist unglaublich. Hier in Melilla und in Ceuta wurde auf Menschen geschossen, es sind Menschen erschossen worden. Es sind Menschen erschossen worden, nur weil sie einen Zaun überwinden wollten. Jene 10 Meter, die das Elend und den Zufluchtsort trennen, der Europa für sie bedeutet. Sprecherin 2 Nicht nur an der spanischen Südgrenze kooperieren Polizei und Militär bei der Abwehr von Flüchtlingen. Derzeit baut die Europäische Union eine gemeinsame Grenzschutztruppe auf, genannt Frontex. Mit daran beteiligt: die deutsche Bundespolizei. O-Ton Lars Lipke Da die Presse ja meistens nicht so positiv reagiert, wenn Polizeibeamte den Schlagstock einsetzen - es sieht auch manchmal nicht schön aus, ist überhaupt keine Frage - ist es natürlich eigentlich eine sauberere Lösung, wenn man diese Scharmützel, diese Handgemenge in dieser Form eben vermeiden kann und aus der Distanz einwirken kann. Sprecherin 2 Auch die deutsche Firma Zeiss verspricht sich von nichttödlichen Systemen zur Grenzsicherung gute Geschäfte. Sie hat hochsensible optische Geräte entwickelt, mit denen sich Grenzen und Sperrgebiete, zum Beispiel rund um Armeelager, besser kontrollieren lassen. Kameras, die auf Körperwärme reagieren, melden auch nachts jede Bewegung an ein computergesteuertes Einsatzzentrum. Nähern sich Menschen, löst das System automatisch Gegenaktionen aus. Es wird allerdings keine scharfe Munition gezündet, sondern eine Luftdruckkanone. Sie wirft potentielle Eindringlinge mit komprimierten Luftstößen um. Zeiss entwickelt das Abwehrverfahren in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut, einer öffentlichen geförderten Forschungseinrichtung. Atmo: Pfeifen Sprecherin 2 Andere Sicherungssysteme halten Menschen mit Schallwellen auf Distanz, die auch über längere Strecken wirken. Jürgen Altmann: O-Ton Jürgen Altmann Insbesonders solche, die bei 1.000 Hertz sind. 1.000 Hertz, das ist eben so ein mittelhohes Pfeifen, dort ist das Gehör am empfindlichsten. Und dort kann man erstens Leute auch wirklich durch hohe Schallpegel schwerhörig machen, im Prinzip sogar taub, wenn es lang genug anhält und stark genug ist. Man kann Ohrenschmerzen erzeugen. Und vor allen Dingen, weil die Wellenlänge dann viel kürzer ist, sagen wir 34 Zentimeter bei 1.000 Hertz, kann man dann Schall auch wirklich bündeln mit einer Quelle, die zum Beispiel einen Meter Durchmesser hat. Und genau so was ist gebaut worden. Die USA haben entwickeln lassen, dann auch in großen Stückzahlen beschafft. Das sogenannte "Long Range Acustic Device", ein 80 Zentimeter großer, wenn man so will, Lautsprecher. Sprecherin 2 Allerdings sind Luftdruck- und Schallkanonen nur punktuell effektiv. Zur weiträumigen Sicherung langer Grenzverläufe werden deshalb sogenannte "sanfte" Landminen entwickelt. NLW-Einschub Sprecher 1 Aus dem Arsenal nicht-tödlicher Waffen: Sprecher 3: Elektro-Minen: Bei Annährung löst ein Sensor den Abschuss zahlreicher pfeilbewährter Kabel aus. In festgelegten Abständen werden so lange Stromstöße in den Körper geleitet, bis die Person festgenommen werden kann. Sprecher 1: Im Nato Report findet sich bislang kein Eintrag über diese Waffengattung. Sprecherin 2 An der englischen Leeds Metropolitan-Universität verfolgt der Wissenschaftler Steve Wright, wie die Rüstungsindustrie Landminen "modernisiert", seit die Kampagne zur Ächtung dieser Waffen in den letzten Jahren wichtige Erfolge verzeichnen konnte. Die Phantasie der Konstrukteure sei, so schreibt Steve Wright, fast unerschöpflich; die Kombinationsmöglichkeiten verschiedener "Wirkmittel" groß. Sprecher 2 Es gibt zum Beispiel die IMS-Mine, die mit Gummigeschossen gefüllt ist. Sie wird von den US-Firmen Alliant Techsystems und Textron hergestellt und heute bereits im Irak als Mittel zur Kontrolle von Menschenansammlungen eingesetzt. Interviewblockade Sprecher 2 Sehr geehrte Damen und Herren! Ich arbeite an einem Radiobericht über das Thema "nicht-letale Wirkmittel". Auch Zeiss Optronics ist ja in dieser Sparte tätig, zumindest schließe ich das aus einem Vortrag, den einer Ihrer Mitarbeiter auf einer Tagung im Juni in Leipzig gehalten hat. Ich habe deshalb Interesse an einem Interview. Mit freundlichen Grüßen Albrecht Kieser, Journalist Sprecher 3 Sehr geehrter Herr Kieser! Leider kann ich Ihnen nach Entscheidung unseres Hauses keine Möglichkeit für ein Interview geben. Da wir in einem sehr sensitiven Geschäft sowohl unsere firmenvertraulichen Aktivitäten als auch die besonderen Verhältnisse zu unseren öffentlichen Kunden beachten wollen und müssen, haben wir diese Entscheidung nach reiflicher Überlegung schweren Herzens treffen müssen. Mit freundlichen Grüßen Wolfgang Kaiser Carl Zeiss Optronics GmbH Carl Zeiss Gruppe Sprecherin 2 Die Befürworter der neuen Waffen halten ihren Einsatz angesichts der wachsenden Bedrohungen, denen die westlichen Staaten ausgesetzt seien, für unerlässlich. Der frühere Generalbundesanwalt Kay Nehm auf der Konferenz "Future Security" im Juli 2006 in Karlsruhe: Sprecher 1 "Die notwendige Bestandsaufnahme beginnt mit den gewandelten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen: Sprecherin 2 Erstens: Sprecher 1 Die mit der Globalisierung verbundenen wirtschaftlichen Umbrüche. Sprecherin 2 Zweitens: Sprecher 1 Die geringer werdenden finanziellen Spielräume von Bund, Ländern und Gemeinden. Sprecherin 2 Drittens: Sprecher 1 Die Diskrepanz zwischen den Wohlhabenden der Erbengeneration und Arbeitsplatzbesitzern auf der einen und den Habenichtsen unserer Gesellschaft auf der anderen Seite. Sprecherin 2 Und schließlich werden... Sprecher 1 ...die Schwierigkeiten zunehmen, den ohnedies gebeutelten Bürgern die mehrheitliche Zustimmung zu den notwendigen finanziellen Opfern abzuverlangen." Sprecherin 2 Nehms Fazit: Sprecher 1 "Alles dies birgt die Gefahr gesellschaftlicher Brüche, die, so lehren uns die geschichtlichen Erfahrungen, den Boden für radikale, extremistische und terroristische Entwicklungen bereiten." Sprecherin 2 Diesen Entwicklungen, so die Befürworter von nichttödlichen Waffen, könne schlecht mit Panzern und Pistolen begegnet werden. Um die Legitimität staatlichen Handels nicht zu untergraben, brauche es Waffen, die zwar effektiv seien, aber nicht töten. Die keine Blutbäder anrichten, aber dennoch diejenigen zurücktreiben, die an den Grenzzäunen und am Status Quo rütteln. Atmo-Collage Sprecherin 2 An der Konferenz in Karlsruhe nahmen Vertreter der Rüstungsindustrie, der NATO und verschiedener Forschungseinrichtungen wie des Fraunhofer Instituts teil. Für das Verteidigungsministerium sprach Ministerialdirigent Dirk Ellinger. Er stimmte Kay Nehm nicht nur zu, sondern benannte Bedrohungsszenarien auch außerhalb deutscher und europäischer Grenzen als handlungsleitend für die neue Sicherheitspolitik: Sprecher 1 "Armut, Unterentwicklung, geringe Bildung, Ressourcenknappheit, Naturkatastrophen, Umweltzerstörung und Krankheiten bilden Nährboden für illegale Migration, Extremismus und Instabilität, die nicht nur ferne Regionen, sondern auch Deutschland betreffen. (...) Sie bedrohen nicht nur die äußere Sicherheit Deutschlands, sondern in gleichem Umfang die innere Sicherheit. (...) Es ist tatsächlich unmöglich zwischen Innen und Außen zu unterscheiden." Sprecherin 2 Dass es sich hier nicht um die Privatansicht einiger "Scharfmacher", sondern um offizielle deutsche Politik handelt, zeigt ein Blick in das 2006 von der Bundesregierung beschlossene "Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands": Sprecher 1 "Unsere Sicherheitspolitik steht heute vor neuen und zunehmend komplexeren Herausforderungen. Grenzüberschreitende Risiken sowie inner- und zwischenstaatliche Konflikte fordern Deutschland auf neue Weise. Deshalb gilt es, Risiken und Bedrohungen für unsere Sicherheit vorzubeugen und ihnen rechtzeitig dort zu begegnen, wo sie entstehen. (...) Streitkräfte müssen darauf eingestellt sein, auch im Inland ihre Fähigkeiten unterstützend für die Sicherheit und den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung zu stellen." NLW-Einschub Sprecher 1 Aus dem Arsenal nicht-tödlicher Waffen: Sprecher 3: Markers: Durch versprühte Farbstoffe werden Einzelne oder auch Gruppen markiert und dadurch identifizierbar. Sprecher 1: Der NATO-Report schreibt darüber: Sprecher 3: Die Farbstoffe, mit denen Kleidung oder Haut der Getroffenen markiert werden, können sichtbar oder auch nur unter ultraviolettem Licht erkennbar sein. Sie können allergische Reaktionen auf der Haut und in den Augen hervorrufen. Sprecherin 2 Bereits kurz vor dem NATO-Beschluss von 1999 hat sich auf europäischer Ebene eine hochrangige Arbeitsgruppe zusammengefunden, um nichttödliche Waffen bekannt zu etablieren. Ihre Geschäftsstelle ist beim deutschen Fraunhofer Institut im baden-württembergischen Pfinztal angesiedelt; gefördert wird sie unter anderem mit Mitteln des Bundesverteidigungsministeriums. In diesem "Think Tank" arbeiten Lobbyisten der Sicherheits- und Rüstungsindustrie mit Wissenschaftlern und Ministerialbeamten verschiedener europäischer Staaten zusammen und versuchen einen möglichst großen Anteil des 200 Millionen-Etats zu gewinnen, den die EU jährlich für Sicherheitsforschung ausgibt. Natürlich geht es dabei nicht nur um angenommene oder wirkliche Bedrohungen. Es geht auch ums Geschäft, nicht zuletzt auf dem globalen Waffenmarkt. Eine im Jahr 2000 dem Europäischen Parlament vorgelegte Studie der Omega-Foundation in Manchester notiert: Sprecher 2 "Bereits die zur Zeit verfügbaren nichttödliche Waffen wie Reizgase und Plastikgeschosse werden besonders gern von Diktaturen in aller Welt eingekauft. Mindestens sechs EU-Staaten haben solche Waffen an Staaten geliefert, die für die Verletzung von Menschenrechten bekannt sind, darunter Ägypten, Guatemala, Indonesien, Jordanien, Kenia, Nigeria und Zimbabwe." Atmo-Collage Sprecherin 2 Die Einführung der neuen Waffen wird im gesamten Nato-Bündnis forciert. Die Bundeswehr hat eine Reihe von Systemen für ihre Auslandseinsätze angeschafft, möchte sich dazu aber genauso wenig im Interview äußern wie das Verteidigungsministerium. Auch ein Besuch des Testgeländes im bayerischen Oberjettenbach wurde dem Autor verweigert. Die Bundespolizei erklärt das Thema zu einer "internen Angelegenheit". Das Fraunhofer-Institut war zu keinem Gespräch über seine Waffenforschung bereit; genauso wenig wie die Firma Zeiss. Nach sechs Monaten Schriftverkehr willigte immerhin das Rüstungsunternehmen Rheinmetall in ein Interview ein. Und untersagte seine Verwendung einen Tag später. Interviewblockade Sprecher 3 Sehr geehrter Herr Kieser, nach Rücksprache mit Herrn Dr. Wollmann, mit dem Sie gestern ein Telefoninterview geführt haben, muss ich Ihnen mitteilen, dass wir das Interview nicht autorisieren können, weder vollständig noch in Auszügen. Wir wissen mittlerweile von Personen, die Sie uns als Gesprächspartner genannt haben, dass diese zu einer Zusammenarbeit im Rahmen Ihrer Recherche nicht bereit waren. Ich bitte Sie daher, von einer Verwendung des Materials - in welchem Zusammenhang auch immer - Abstand zu nehmen. Vielen Dank Mit freundlichen Grüßen Oliver Hoffmann Rheinmetall AG Atmo/Musik, Ansage (Präsentation ADS-System) https://www.jnlwp.com/ActiveDenialSystem.asp) "Our troops across the globe are involved ... Sprecherin 2 Im krassen Gegensatz zur Informationsblockade und Vermeidung öffentlicher Auseinandersetzung hierzulande steht die Situation in den Vereinigten Staaten, dem Mutterland der neuen Waffentechnologie. Hier werben Produzenten und Nutzer offensiv und öffentlich für ihre Produkte. Sprecherin 2 Die US-Streikräfte haben mit dem "Joint Non Lethal Weapon Directory" eine spezielle Behörde gegründet, die die Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie koordiniert. Im Zentrum des Interesses steht seit einiger Zeit das Active Denial System, ADS, auf deutsch: Aktives Vertreibungssystem. Atmo Präsentation ADS-System "Operational area system enclude... Sprecherin 2 Das US-Verteidigungsministerium wirbt in seiner Präsentation des ADS mit dem Argument, in den Kampfregionen würden die Anforderungen immer komplizierter. Die Truppen könnten bei ihren Auslandseinsätzen kaum zwischen bewaffneten Kräften, Aufständischen, Zivilisten, friedlichen und gewaltbereiten Personen unterscheiden. Menschenaufläufe dieser Art seien am besten durch Waffen zu bekämpfen, die alle gleichermaßen vertrieben, aber niemanden töteten. Denn das sei kontraproduktiv. Diese Einschätzung entspricht der offiziellen NATO-Doktrin. Aus einem Positionspapier des Bündnisses von 2006: Sprecher 1 "Die andauernde Präsenz der Medien auf den Schauplätzen militärischer Operationen hat zur Folge, das die unangemessene Anwendung tödlicher Gewalt eingeschränkt werden muss. Denn Fernsehzuschauer auf dem ganzen Globus werden umgehend zu Zeugen solcher Exzesse. Und sie reagieren geschockt auf das "barbarische" Konzept gewaltsamen Todes". Atmo Präsentation ADS-System "ADS uses a directed beam of millimetre ... Sprecherin 2 ADS nutzt die Energie von Millimeterwellen. Ähnlich einer Mikrowelle in einer modernen Küche, nur auf größere Distanz, heizt das Gerät auf, was an Haut, Fleisch oder Flüssigem in seinen Einflussbereich gerät. Im Falle von ADS sind das Menschen. Sie werden aus einer Art großer Sattelitenschüssel mit Hitzestrahlen abgeschossen. Maximale Entfernung: zwei Kilometer. Die Schüssel wird auf das Dach eines Geländefahrzeugs montiert und ist so überall einsetzbar. O-Ton Jürgen Altmann Das sind Millimeterwellen, die zwanzig, dreißig Mal höhere Frequenz haben - also die normalen Mikrowellen haben vielleicht 2 Gigahertz und die haben dann 95 Gigahertz und entsprechend kürzere Wellenlänge - dann ist es so, dass die nicht mehr sehr tief in Fleisch oder Lebewesen eindringen, sondern schon auf den obersten Zehntel Millimetern gestoppt werden durch das Wasser in der Haut. Und wenn die Intensität stark genug ist, dann wird durch diese Absorption das Wasser aufgeheizt und man kriegt eben eine heiße äußere Haut, wie wenn man gegen was Heißes fasst und kriegt dann eben einen Hitzeschmerz. Diese Waffe ist im Prinzip zuende entwickelt. Auch schon an ungefähr 1.000 Freiwilligen aus dem US-Militär und den Forschungsbetrieben getestet. Und es wird behauptet, wir können damit eben den Leuten einen unerträglichen Schmerz zufügen, sodass sie das, was sie gerade Übles vorhaben, ganz schnell sein lassen und sich aus dem Strahl bewegen. Atmo Präsentation ADS-System Sprecherin 2 Die Mikrowellenwaffe der US-Streitkräfte soll im Irak eingesetzt werden. Allerdings, so der stellvertretende Verteidigungsminister, werde sie vorher noch einen Praxistest durchlaufen: an US-amerikanischen Demonstranten. Atmo: Armeeübung in Stuttgart (https://www.jnlwp.com/Training.asp) Schüsse, Rufen; dann die Sprecherin: "Non lethal weapons. The US-Troops are using tools like this one... (ein Fangnetz wird über die Straße gelegt) Sprecherin 1 "American Forces Network", der Soldatensender der in Europa stationierten US- Truppen, berichtet, wie US-Soldaten die Aufstandsbekämpfung mit nichttödlichen Waffen proben. Einige GIs schwingen Schlagstöcke gegen Kameraden in Zivil, die Rebellen spielen müssen. Die Soldaten schießen mit Wuchtmunition auf Stoffpuppen und legen Fangnetze aus, die Fahrzeuge stoppen sollen. Oberstleutnant Laura Falkenbach, zuständig für die nichttödlichen Waffen der US- Streitkräfte in Europa, erklärt, Fangnetze fänden nicht nur bei Verkehrskontrollen sondern auch in Gefangenenlagern Anwendung, zum Beispiel im Irak: O-Ton Lt. Col. Laura Falkenbach, Eucom Non Lethal Weapon Manager Frequently I think we find them being employed in detainee facilities and vehicle checkpoints. Sprecherin 2 Der Irak dient den US-Streitkräften als umfassendes Versuchsfeld der "non lethal weapons". Ihr zentraler Zweck dort ist: "Crowd Control", die Kontrolle und Auflösung von Menschenmengen, die gegen die US-Truppen oder gegen die von ihnen etablierte Ordnung opponieren. Auch die Bundeswehr setzt nichttödliche Waffen im Ausland ein oder steht kurz davor. In einer schriftlichen Stellungnahme nennt das Bundesverteidigungsministerium zum Beispiel ein Schock- und Blendgeschoss, das durch grelle Blitze und lauten Knall abschreckt und vor oder über den Zielpersonen zur Explosion gebracht wird. Über den Stand der Erprobung heißt es. Sprecher 1 "Die Arbeiten sind weitgehend mit positivem Ergebnis abgeschlossen." Atmo-Collage Sprecherin 2 Eine Demonstration in Berlin eskaliert. Steine fliegen, Polizisten schlagen. Es wird später Anzeigen von beiden Seiten geben. Auch wenn nach Ansicht des Bundesverteidigungsministeriums in der Sicherheitspolitik "Innen und Außen nicht mehr unterscheidbar" sind, ist die Polizei noch vom Waffenarsenal des Militärs entfernt. Gestritten wird zur Zeit über die Einführung der Elektroschockpistole Taser im Streifendienst. Die größere der beiden Polizeigewerkschaften und die Mehrheit der Länderpolizeien sind dagegen; Solche Tasereinsätze würden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen und damit die Basis polizeilichen Handelns in Deutschland unterminieren. Atmo Demonstration in Berlin zum Zapfenstreich der Bundeswehr 2005 (http://www.interpool.tv/artikel/327/0) Rufe, "Es gibt kein ruhiges Hinterland", Schreie Sprecherin 1 Rainer Wendt von der "Deutschen Polizeigewerkschaft" im Beamtenbund fordert dagegen eine Aufrüstung aller Beamten. O-Ton Rainer Wendt Wir haben die Globalisierungsgegner, die mit einer unglaublichen Aggression gegen Einsatzkräfte vorgehen. Dieses Thema wird uns in den nächsten Jahrenin zunehmendem Maße beschäftigen. Wir haben ja nach den großen Demonstrationen der Friedens- und der Anti-AKW-Bewegungen in den 70er und 80er Jahren in den letzten 10, 15 Jahren eine relative Ruhe noch gehabt. Aber wir beobachten mit großer Sorge, dass diese Ruhephase zuende ist. Die Migrationsströme in der Welt, in Europa, tun ein Übriges. Das heißt wir gehen unruhigen Zeiten entgegen. Atmo: Demonstration in Berlin Schreie, Geklirr, "Dreckschweine"... Sprecherin 2 Auch der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, hält Tasereinsätze zum Beispiel gegen militante Demonstranten für denkbar. Das bayerische Innenministerium sieht sogar akuten Handlungsbedarf. Es will möglichst bald, den polizeilichen Streifendienst mit dem Taser ausrüsten. Rainer Wendt hofft, damit sei der Anfang gemacht. O-Ton Rainer Wendt Wenn Sie sich den 1. Mai in Berlin betrachten, dort werden Hundertschaften der Polizei jährlich einmal zur Steinigung freigegeben. Vom Berliner Innensenator. Genauso muss man das auffassen. Weil die Kolleginnen und Kollegen eben nicht vernünftig ausgestattet sind. Und deshalb brauchen wir auch in diesen Situationen Distanzwaffen, die nicht töten müssen, das ist völlig selbstverständlich. Aber sie müssen weh tun dürfen. Waffen, die wirken sollen, müssen auch weh tun dürfen. Und die müssen auch verletzen dürfen. Atmo O-Ton Jan van Aken Es gibt keinen Grund, den hier einzuführen. Und der einzige wäre eigentlich nur auch ein propagandistischer nach Innen, zu sagen, wir machen was für die Innere Sicherheit, wir haben jetzt die besten amerikanischen Waffen hier. Dass dann der ein oder andere auf der Strecke bleibt und stirbt, das darf man nicht einfach in Kauf nehmen. Sprecherin 2 Jan van Aken, ehemals Biowaffeninspekteur der UNO, arbeitet heute im internationalen "Sunshine-Projekt", einer unabhängigen Organisation, die sich mit den Folgen der neuen Waffen befasst. "Sanft" seien die nur in der Theorie und den Werbevideos der Anbieter, meint van Aken. Tatsächlich hat Amnesty International für die Zeit von 2001 bis 2004 74 Ereignisse in den USA dokumentiert, in denen Menschen mit dem Taser beschossen wurden und wenig später verstorben sind. Allein für 2005 nennt Amnesty 61 Tote. Die US- amerikanischen Polizeibehörden bestreiten diese Angaben. Sie behaupten, bisher sei nur ein einziges Mal ein Delinquent durch Taserbeschuss unmittelbar zu Tode gekommen. In allen anderen Fällen hätten Drogenmissbrauch oder andere Ursachen den Tod herbeigeführt. NLW-Einschub Sprecher 1 Aus dem Arsenal nicht-tödlicher Waffen: Sprecher 3: Betäubungsgase: Durch lähmende und einschläfernde chemische Substanzen werden Zielpersonen bewegungsunfähig gemacht und ruhig gestellt. Sprecher 1: Der NATO-Report schreibt darüber: Sprecher 3: Manche chemische Verbindungen dieser Art werden von Polizeikräften im Inneren genutzt. Ihr Einsatz in multinationalen Streitkräften und auf Kriegsschauplätzen ist durch Gesetze und Verträge eingeschränkt... Wenn die Gase in die Atemwege gelangen, können sie unerwünschte Nebeneffekte haben. Sprecherin 2 Auch mit Betäubungsgas liegen inzwischen praktische Erfahrungen vor. Die russische Polizei setzte es gegen tschetschenische Geiselnehmer ein. Sprecherin 2 Die Trennung zwischen tödlichen und nichttödlichen Waffen halten Experten wie Steve Wright ohnehin für fragwürdig. Eine Besonderheit der modernen "Erzwingungstechnik" sei eben ihre Flexibilität und Skalierbarkeit. Sprecher 2 "Die Auswirkungen vieler dieser Systeme - Taser gestützte Systeme, Netze, Klebeschäume, Mikrowellen, akustische und lasergestützte Systeme, Betäubungs- und andere Gase und automatische Roboterwaffen - können stufenlos von nichttödlich zu tödlich reguliert werden." NLW-Einschub Sprecher 1 Aus dem Arsenal nichttödlicher Waffen: Sprecher 3 Sticky foam: Klebeschaum, der sich in Sekunden aufbläht. Kann weiträumig versprüht werden und härtet schnell aus. Dient entweder als Barriere oder fixiert besprühte Personen längerfristig. Sprecher 1 Der Nato-Report führt diese Waffe nicht auf. Sprecherin 2 Ob die neue Generation von "Erzwingungsmitteln" tatsächlich dazu beitragen wird, Blutvergießen bei Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist strittig. Befürworter wie der mittlerweile pensionierte Ministerialdirigent Friedhelm Krüger-Sprengel sind davon überzeugt. Er hofft sogar auf internationale Konventionen, die den Einsatz nichttödlicher Waffen zur Verpflichtung machen und den Gebrauch tödlicher Waffen im klassischen Krieg reduzieren: O-Ton Friedhelm Krüger-Sprengel Mit einer Definition von nichtletalen Waffen würde auch eine gewisse rechtliche Verbindlichkeit geschaffen, diese Waffen auf einer Eskalationsstufe den so genannten konventionellen Waffen vorzuziehen. Und damit würde insgesamt - gerade beim Kampf - in neuen Formen des Konflikts die tödliche Wirkung von Waffen und damit auch das Töten selbst verbindlich zurückgedrängt. Sprecherin 2 Kritiker halten das für Träumerei. Nicht nur weil die NATO bereits 1999 erklärt hat, man werde sich durch die Existenz nichttödlicher Waffen nicht vorschreiben lassen, wann und wo man Schusswaffen einsetze. Abrüstungsexperte Jürgen Altmann: O-Ton Jürgen Altmann Wenn man das denn schaffen könnte, den Krieg von der tödlichen Stufe auf die nicht-tödliche herunterzufahren, und dann eben anschließend eine Entscheidung gefallen ist: Jemand hat verloren, der andere hat gesiegt, und es ist praktisch niemand ernsthaft zu Schaden gekommen - das wär natürlich irgendwie toll. Aber das ist, wie ich finde, relativ naiv. Selbst wenn man verabredet, wir fangen den Krieg an mit nichttödlichen Waffen: Spätestens, wenn eine Seite dabei ist zu verlieren, dann wird sie ihre Kalaschnikows oder G3s aus dem Keller holen, also die normalen Schießapparate, Maschinenpistolen usw. und wird dann zu tödlichen Waffen greifen... Einen Krieg auf der nichttödlichen Ebene zu halten, ist fast ein Widerspruch in sich. Sprecherin 2 Absehbar ist dagegen eine andere Entwicklung. Die neue Generation von Waffen wird häufiger und vor allem anders eingesetzt werden. Thomas Gebauer von Medico International weiß bereits von Debatten über einen "humanitären Waffen" zu berichten: O-Ton Thomas Gebauer Es ist jetzt mehrfach passiert, dass Hilfsgüter, die übergeben werden sollen, von hungernden Menschen angegriffen worden sind, also die Transporte, nicht die Güter. Die Hilfstransporte sind angegriffen worden. Und die Soldaten, die manchmal dabei waren, um diese Transporte zu sichern, fühlten sich bedroht. An dieser Stelle ist jetzt überlegt worden, sogenannte Betäubungswaffen einzusetzen. Waffen, die dann die Hilfesuchenden, die jetzt begehrlich sind und die Hilfsgüter dringend brauchen und die Lastwagen stürmen, dann zu betäuben und ins Koma zu versetzen, dass man die Hilfsgüter relativ leicht ablegen kann und sich dann wieder als Helfer davonmachen kann, ohne beschadet zu werden. Sprecherin 2 Die wohl weitreichendsten Bedenken gegen die neuen Waffen in der Hand staatlicher oder privater Sicherheitsorgane liegen in ihrer Natur selbst. Sie fügen heftigste Schmerzen zu, ohne sichtbar zu verletzten. Der Abrüstungsexperte Jan van Aken: O-Ton Jan van Aken Dieser Effekt wird bei der Mikrowellenwaffe ganz besonders betont. Das halt Menschen irgendwo stehen und plötzlich einen irren Schmerz verspüren, als ob sie in eine Flamme greifen, und gar nicht wissen, woher es kommt. Durch die Kleidung durch geht das ja. Und dieser psychologische Effekt: Ein Schmerz, der irgendwoher kommt, man weiß nicht, woher, führt automatisch zu einer Fluchtreaktion. Dort ist das sozusagen Teil des Gebrauchs dieser Waffe, dieser psychologische Effekt. Sprecherin 2 Der Autor und Künstler Olaf Arndt befasst sich seit vielen Jahren mit der gesellschaftlichen Funktion nichttödlicher Waffen. Sein Buch "Demonen" beschreibt und analysiert Entwicklungen in den USA, die jetzt Europa erreichen. Olaf Arndt spricht von... Sprecher 2 ..."politischen Technologien zur Steuerung unruhiger Massen". Atmo Sprecher 1 Aus dem Arsenal nicht-tödlicher Waffen: Sprecher 3 Elektrische Wasserwerfer: Der Wasserstrahl wird mit hoher Voltstärke aufgeladenen, um die Getroffenen durch Elektroschocks außer Gefecht zu setzen. Sprecher 1: Der NATO-Report schreibt darüber: Sprecher 3: Die elektrischen Schocks können Verbrennungen zur Folge haben und Herzschrittmacher außer Betrieb setzen. Sprecherin 2 Mediziner und Psychologen wissen - und auch Politik und Sicherheitsbehörden wird es nicht verborgen geblieben sein: Traumatisierte Menschen vermeiden Situationen, in denen sie mit Ereignissen konfrontiert werden könnten, die ihr Trauma ausgelöst haben. Dieser Effekt dürfte nicht nur für Diktatoren interessant sein. Aus Arndts Sicht besteht die eigentliche Aufgabe nichttödlicher Waffen letztlich darin, aus aufmüpfigen Bürgern mittels traumatischer Schmerzerfahrungen wieder gefügige Untertanen zu machen: O-Ton Olaf Arndt Wenn man dann solche Papiere wie die Training Documente der entsprechenden Abteilung "Joint On Nonlethal Weapon Directorate", die Abteilung im Amerikanischen Verteidigungsministerium, die weltweit Avantgarde ist in der Einführung von neuer Technologie - wenn man diese Training Documents liest, dann steht da drin: Wie bringe ich eine Gruppe dazu, gegen ihren eigenen Willen zu handeln. Und das ist natürlich das höchste Ziel der Crowd Control. Sprecherin 2 Dass solche Einschätzungen keineswegs aus der Luft gegriffen sind, zeigt die aktuelle Debatte innerhalb der deutschen Ordnungsbehörden. Obwohl sich zum Beispiel der Fachsprecher der "Gewerkschaft der Polizei", Wolfgang Dicke, durchaus für Elektro-Taser bei Spezialeinheiten einsetzt, fordert er strikte Beschränkungen und warnt vor einer Entwicklung, die die Demokratie bedrohen könnte. O-Ton Wolfgang Dicke Wenn Polizei eine Möglichkeit hätte, auf eine Menschenmenge einzuwirken, ohne dass die Veranlassung überhaupt Dritten bekannt wird, wäre das ausgesprochen bedenklich. Stellen Sie sich vor, da steht irgendwo eine Menschenmenge, die geht jetzt also über eine Linie hinweg, die berühmte Rote Linie oder die berühmte Bannweile rund um ein Parlament, und auf einmal bleiben die stehen, drehen sich rum und gehen. Und kein Mensch weiß warum. Ich hätte verfassungsrechtlich höchste Bedenken, ob das so okay ist. Unter dem Gesichtspunkt wäre es mir viel lieber, man würde sozusagen eine physische Beeinträchtigung, meinethalben auch eine Verletzung sehen. Dann habe ich einen Veranlasser und ich sehe eine Folge. Und kann dann auch als Bürger mir ein Bild darüber machen: War der Einsatz der Polizei rechtmäßig, war er verhältnismäßig? Während ich umgekehrt überhaupt nicht weiß, ob die Polizei eingeschritten ist. Da kämen wir an eine Grenze, wo ich sagen würde, dass das Rechtsstaatsprinzip ausgehebelt werden könnte. Sprecherin 2 Ob für den offensiven Einsatz oder den versteckten Gebrauch - Thomas Gebauer von Medico International sieht in der öffentlich kaum diskutierten Einführung der vorgeblich "sanften Waffen" ein Symptom wachsender Repressivität auch in den westlichen Demokratien. Für ihn sind sie vor allem ein Instrument der Herrschaftssicherung, überall da, wo es gilt, privaten Reichtum auf umgrenztem Raum zu verteidigen. O-Ton Thomas Gebauer Die Entwicklung von solchen Waffen setzt auf einen anderen Weg. Sie setzt darauf, die bestehende Ungleichheit, die in der Welt herrscht, zu zementieren, indem man technische Lösungen findet, um Grenzen zu sichern, um letztendlich die armen Menschen den reichen vom Leib zu halten. Darum geht es. Grenzen zu sichern, Bewegungskontrolle auszuführen - und das führt einfach weiter in die Katastrophe, anstatt es die Katastrophe löst. Das ist unsere fundamentale Kritik daran. Atmo: Autorgeräusche, Sprechfunk, Polizeiaufforderung / "put your phone off", "get out of the car or I taser you!"- heftige Schreie der Frau Absage Sanfte Waffen für harte Zeiten: Von Elektro-Tasern und Schallkanonen Ein Feature von Albrecht Kieser Es sprachen: Johanna Gastdorf Frauke Poolmann Reinhart Firchow Hartmut Stanke und Markus Scheumann Technische Realisation: Sascha John Regieassistenz: Christian Kosfeld Regie: Uta Reitz Redaktion: Thomas Nachtigall Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks Köln mit dem Deutschlandfunk 2007 28