COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel am 12.2.2012 Der Fluch der bösen Fans - Tatort Fußballstadion Von Claudia Altmann und Anke Petermann Anmod. Sportlicher Wettkampf auf dem Rasen, jubelnde, friedliche Fans auf den Rängen - so ist Fußball im Idealfall. Doch die Realität in und um deutsche Stadien sieht immer wieder mal anders aus: Fans zünden 1000 Grad heiße Fackeln an, prügeln sich vorm Stadion mit Anhängern gegnerischer Mannschaften, attackieren Polizisten. Dynamo Dresden wurde wegen seiner Krawallfans vom kommenden DFB-Pokal ausgeschlossen. Auch "Randalemeister" Eintracht Frankfurt hat Ärger mit dem Deutschen Fußballbund: Beim Spiel gegen Dynamo Dresden hatten die Gästefans ein Transparent "Bomben auf Dynamo" ausgerollt. Die Dynamo-Hools skandierten ihrerseits Sprechchöre wie "Judenverein". Wie reagieren Vereine und friedliche Fans auf diese Auswüchse? Script Anfang Atmo Musik Ultrakaos "Wenn der Adler einfliegt" Was ist los? Das ist Ultrakaos, schwarzer Kapuzenjogger an, steigen in die Bahn, fängt das Ende der Woche an. Schnapsflasche, Joint inner Hand, Komm in euerm Block an und stecken ihn heut' in Brand. Das ist UF-Rap, der hier zuschlägt, du wolltest doch rennen, aber jetzt ist es zu spät. Was ist mit dir, wenn der Adler einfliegt Und sich krallt, was er kriegt, bis er alles besiegt ... 0.23 Ultrakaos, die Kult-Rapper aus der Frankfurter Ultraszene, schwelgen in aggressiven Allmachtsfantasien. Doch die Realität bei Eintracht Frankfurt sah lange anders aus. Der deklassierte Bundesliga-Verein mit großer Erstliga-Vergangenheit schaffte erst am vergangenen Wochenende den Sprung auf einen Aufstiegsplatz. Vorübergehend abgestürzt war der Zweitligist mit einer Niederlage gegen den FC St. Pauli - keinesfalls zu erklären mit mangelnder Unterstützung der Fans bei diesem Auswärtsspiel an einem grauen Winter-Montag. Atmo Bahnsteig Take Burkhardt ... ich schätze zweieinhalbtausend Frankfurter - bei dem Wetter, nicht schlecht, ... meint Dietrich Burkhardt, Fan mit grauen Schläfen. Im schwarzen Anorak und schwarz-weißen Fanschal wartet er an diesem kühlen Montagvormittag auf die Abfahrt des Sonderzugs nach Hamburg. Anstoß auf St. Pauli um 20 Uhr 15. Organisiert haben den "Nordwest-Kurven- Express" die Ultras Frankfurt, abgekürzt mit ihrem Gründungsjahr "UF 97". Mit rund tausend Anhängern stellen sie die größte Gruppe unter den 17.000, die in fast 700 offiziellen Eintracht-Fanclubs organisiert sind. Mit schwarzen Jacken und Kapuzenpullis erinnern sie an Kreuzberger Autonome - wären da nicht die Adler-Aufdrucke auf den T-Shirts und das Kürzel "NWK" für Nordwest-Kurve auf den schwarzen Mützen. Michael Gabriel, Chef der bundesweiten Koordinationsstelle Fanprojekte, bezeichnet die Ultras als die Anhänger-Gruppe, die am meisten Aufmerksamkeit auf sich zieht. Take Gabriel Das hängt auch mit ihrer großen Sichtbarkeit zusammen, mit einem spezifischen Verstehen von Fankultur, das sind die Choreos zu nennen, da sind die Pyro-Shows zu nennen, aber auch der koordinierte support, klar.. Und es gibt innerhalb der Ultras auch Tendenzen, dass es zur Ultrakultur gehört, andere Ultragruppen anzugreifen, Banner zu stehlen, Schals zu stehlen, Busse oder Züge anzugreifen, und von daher ziehen sie auch, was Gewalt und was strafrechtlich relevantes Verhalten angeht, die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich. Dennoch sei es kontraproduktiv, die Ultras pauschal als Problemfans abzustempeln, meint Gabriel, der auch in der vom Bundesinnenminister einberufenen "Task Force Sicherheit" mitarbeitet. Damit schere man über einen Kamm, was mittlerweile zur attraktivsten Jugendsubkultur in Deutschland avanciert sei - mit vierstelligen Anhängerzahlen in den Großstädten. Über die Ultras sagt der Koordinator der fünfzig deutschen Fanprojekte: Take Gabriel Sie sind jung, ein Großteil der Ultras bewegt sich im Spektrum von 15 bis 22, 23, 24 Jahre, im Vergleich mit früheren Generationen von Fankultur ist der Ausbildungsgrad höher. Also, es sind oftmals Abiturienten oder Studierende oder Leute mit abgeschlossenem Studium. Eine Subkultur, die in die Verantwortung will, die Angebote macht an die Vereine, und wo es letzt endlich darum geht, dass die Vereine und die Gesellschaft diese Angebote auch ernsthaft wahrnimmt. Atmo Bahnsteig - wer braucht noch Zugtickets? Bernd Kassebaum freut sich jedenfalls, dass er mit dem Sonderzug der Ultras vom Frankfurter Südbahnhof nach Hamburg zum Spiel gegen St. Pauli fahren kann. "Unsere Ultras" sagt Kassebaum, soll heißen: die Fanszene lässt sich nicht auseinanderdividieren in "friedliche" Normalos und "gewalttätige" Ultras: Take Nein, nein, nein, das sind ja Stereotype ohne Ende. Also, unsere Ultras sind die, die heute den Zug organisieren, ja, unsere Ultras übernehmen ganz viel Verantwortung, und die Gewalt, die kommt von alten Leuten, die plötzlich nicht mehr an sich halten können und n Bierkrug werfen, die kommt von Leuten, die mit Ultras überhaupt nichts zu tun haben. Sie kommt auch aus der Ultragruppe. Man muss da wesentlich mehr differenzieren. Atmo Bahnsteig mischen mit Atmo Stadion 21.000 Fans sind trotz eisiger Kälte ins Dresdner Dynamo-Stadion zum Spiel gegen Greuther Fürth gekommen. Das Häuflein Anhänger der Gastmannschaft nimmt man kaum wahr. Dafür aber die 9000 Ultras im K-Block umso mehr. Atmo Stadion Sie nennen sich "Warriors Dynamo", "Gelbsucht", "Elb Kaida" oder "Yellow Madness". Auch die Ansagen auf den Transparenten sind deutlich: "Faust des Ostens", "Leben, Lieben, Leiden", "Dynamo - Die Legende im Osten". Das Outfit der vor allem jungen Männer gibt dem Block die Grundfarbe schwarz, getupft mit dem Gelb der Schals, dem weißen D auf rotem Grund und den Club-Logos auf unzähligen Fahnen - vom rotäugigen zähnefletschenden Fußball bis hin zu Pittiplatsch dem Lieben. Auf dem Podium am Zaun steht der Vorsänger, genannt Capo, der die stehende Menge übers Megaphon anheizt und als Master of Ceremony die Choreographie dirigiert. Ultra Stefan Lehmann ist hier seit zehn Jahren in seinem Element. Atmo Stadion Capo Wir alle kommen dorthin wegen dem Verein, wegen der Mannschaft, die dort unser Trikot trägt, wo unser Emblem drauf ist, dann müssen die Jungs och sich hundertprozentig den Arsch aufreißen. Darum geht's doch, um was anderes geht's doch nicht. Bei diesem Spiel geht es tatsächlich um nichts anderes. Es bleibt bei Schlachtrufen und Schlachtgesängen aus tausenden Kehlen, die ihre Mannschaft bis zum 3:1 Sieg begleiten. Aber Stadionschlachten haben der Fanszene in der Vergangenheit den Ruf des Randalierens an sich eingebracht. Gewaltexzesse vor allem in den 1990er Jahren hängen Dynamo bis heute an. Capo keine lieben Kinder Es ist ja nun in den letzten Jahren auch einiges passiert.. Es war ja auch viel Randale mit im Spiel. Es ist ja nicht so, dass wir alles nur liebe Kinder sind. So ist es ja nun nicht. Das ist halt bei Dynamo so. Allerdings ist die Anzahl von Stadionverboten und Gewaltdelikten rückläufig, sagt Torsten Rudolph vom Fanprojekt Dresden. Ein genereller Trend, der aber von der Öffentlichkeit einfach nicht wahrgenommen werde. Rudolph OktFest Es passiert kaum mehr was in der ersten und zwoten Liga. Wir dürfen ja nicht davon ausgehen, dass Fußball die heile Welt ist, wenn ansonsten die Gesellschaft irgendwo nicht so richtig funktioniert und Gewalt in dieser Gesellschaft auch drinsteckt. Ultra gleich Schläger? Dagegen wehren sich "Ultras Dynamo" und arbeiten daran. Capo Lieder Am Anfang waren es viele Lieder verbunden mit Gewalt, und jetzt mehr melodische Sachen, mehr mannschaftsunterstützend und mehr Fußballbezug. Früher wollten wir einfach mal neunzig Minuten bloß durchsingen. Aber das ist ja nicht mehr richtig Fußball. Haben wirs wieder so zum Ursprung zurück. Mehr Fußball, mehr Wert legen darauf, was wirklich gemacht wird aufm Platz und so die Emotionen begleiten. Extremer, bedingungsloser Fan zu sein, bedeutet heute viel mehr, als den gegnerischen Fans und der Polizei ständig "eins aufs Horn zu geben" und schon gar nicht im Stadion, sagt der Vorsänger. Capo Gewalt Gewalt is eben ein extrem schwieriges Themenfeld. Also was grundsätzlich für mich jetzt hier nicht zählt, ist halt dieses doofe Steine Geschmeiße oder mit Latten oder mit irgend einem Mist. Also das gehört für mich nicht dazu, gar nicht. (Kapo Kloppen) Wenn sich eine Gruppe und ne andere Gruppe nu auf der Wiese kloppt, dann sollen sie's machen. Die, die es wollen, die sollen doch auf die Wiese gehen und es machen. Dann macht's doch Jungs und gut und Arschlecken. Aber projiziert es nicht ins Stadion rein und gut. Ein echter Ultra ist - ja - kreativ und opfert die meiste Zeit für seinen Verein damit, im Fanprojekt in der Dresdner Löbtauer Straße Lieder zu schreiben und einzustudieren und Fahnen und Transparente zu basteln. Für die neue Blockfahne - die größte in Deutschland - wurde im K-Block solange gesammelt, bis die 15.000 Euro zusammen waren. Torsten Rudolph bedauert, dass diese Jugendkultur völlig unbeachtet bleibt, und kaum jemand weiß, Rudolph Leidenschaft ..dass es eben Wochen braucht, um Choreographien vorzubereiten, um die Doppelhalter zu basteln, um dort irgendwelche Ausmaße zu nehmen usw. Das sieht halt keiner... Und das macht Spaß, das mitzubekommen, zu beobachten, wie das ausgetüftelt wird, mit welchen Emotionen junge Leute dann auch dabei sind, mit welcher Leidenschaft man den Fußball, dieses Fandasein sogar als Lebensmittelpunkt sogar schon betrachtet, inwieweit die Kurve selbst mitunter Familienersatz dann auch ist. Und genau da solle man auch ansetzen, wenn man das Gewaltproblem junger Leute, die sich die Hörner abstoßen wollen, in den Griff bekommen will. Musik Ultrakaos Martialisch, anarchistisch - so formulieren die Rapper von Ultrakaos das Selbstverständnis zumindest eines Teils der Frankfurter Ultraszene. Atmo Musik Ultrakaos Angriff hochziehen, stehen lassen Auswärts lassen wir uns richtig geh'n , aggressiv - der Grund, warum wir nur noch Bullen statt Gegner seh'n. Wo wir steh'n, egal ob Rostock, Stuttgart, Bremen, jeden durch die eig'nen jagen, so wie Kölner wilde Hasen. Bullen - Schweine, haben immer was zu fragen, Wir haben euch nichts mehr zu sagen, labert übern Einsatzwagen ... Ein junger Eintracht-Fan im Kapuzenpulli hockt in einer Ecke des unterirdischen Frankfurter Südbahnhofs und betrachtet argwöhnisch die Polizisten in schwarzen Anzügen mit weißen Helmen am Gürtel. An den Treppen zum Bahnsteig werfen sie Kontrollblicke auf Blätter mit Fotos von Anhängern mit Stadionverbot. Auch die Kartons mit Proviant für die Fahrt nach Hamburg zum FC St. Pauli werden inspiziert. Take Was soll ich dazu sagen? - Und Schnaps. Mit einem vollständigen Satz ist dieser Fan geradezu auskunftsfreudig. "Presse auf die Fresse" zischen die meisten Frankfurter Ultras auf Journalisten-Fragen - die Medien stehen bei ihnen unter Generalverdacht, das Thema Fangewalt aufzubauschen und das Anzünden von bengalischen Fackeln zur Gewaltkriminalität hochzustilisieren. Also: kein Kommentar zu den Auswüchsen des vergangenen Jahres - vom Platzsturm in Köln bis zu Schlachten mit der Polizei vorm Pokalspiel gegen Kaiserslautern. Take im Endeffekt - wir reden nicht drüber. Ist schon viel Scheiße passiert - deswegen - lassen Sie's einfach gut sein, fragen Sie da drüben unsere Kollegen von Blau-Weiß Wiesbaden, keine Ahnung ... Autorin Blau-Weiß Wiesbaden - die hessische Polizei. Gerade bei Gastspielen der Offenbacher, Lauterer und Karlsruher ist sie gemeinsam mit der Bundespolizei mit rund tausend Beamten präsent am Frankfurter Waldstadion, das keiner in der Szene "Commerzbank-Arena" nennt. Hubschrauber inklusive. Vor dem Pokalspiel gegen Kaiserslautern versuchten Frankfurter Randalierer, auf die Fans der Gegner loszugehen. Polizisten, die sie davon abhielten, wurden selbst attackiert. Ein Gewalttäter warf einem Beamten einen schweren Stein in den Nacken und verletzte ihn, trotz Nackenschutz. Als Reaktion auf diesen Angriff verkündete der hessische Ressortchef Boris Rhein, CDU, auf der Innenministerkonferenz Ende vergangenen Jahres, dass Stadionverbote noch konsequenter verhängt und überwacht würden. Marc Francis, einer von drei Fanbeauftragten bei Eintracht Frankfurt, freut sich nicht über diese Ankündigung. Denn sie erleichtert dem Diplom-Soziologen die Arbeit als Ansprechpartner in der Szene kaum. Take Das größte Problem bei Stadion-Verboten ist tatsächlich, dass es keine einheitliche Regel gibt. Im einen Stadion bringt einer Pyro-Technik mit und hat sie noch nicht gezündet und bekommt ein Jahr, in einem anderen drei Jahre. Es wäre natürlich wünschenswert, dass gerade im Bereich Stadionverbote ne klarere Regelung reinkommt, viel mehr mit Bewährungsmodellen gearbeitet wird und teilweise überzogene Stadionverbote wegfallen, was nicht heißt, dass es keine Stadionverbote geben soll. Es gibt klare Fälle. Wenn ich jemanden zusammenschlage, brauche ich mich nicht zu wundern, wenn ich nicht mehr ins Stadion reindarf. Noch schärfer kritisiert die Verbotspraxis Michael Gabriel, der für die Deutsche Sportjugend die Fanprojekte der Jugendhilfe koordiniert. Take Das ist ein Umgang, das muss man so ganz offen sagen, der als absolut undemokratisch empfunden wird, der das Gerechtigkeitsgefühl nicht nur von jungen Menschen, sondern von ganz vielen auch mit Füßen tritt und natürlich mit dazu beiträgt, dass es auch Verhärtungen in der Fanszene gibt. Sanktionen verhängte übrigens auch der Deutsche Fußballbund gegen die Eintracht. Strafzahlungen in fünfstelliger Höhe musste der Verein 2011 für Fan-Randale entrichten, beschränkter Kartenverkauf brachte zu Saisonbeginn noch massivere finanzielle Verluste. Dazu der Imageverlust durch entgleiste Fan-Provokationen, wie den Bannern "Randalemeister 2011", entrollt in Dortmund, und "Bomben auf Dynamo", gezeigt in Dresden. Atmo Aufstiegsfeier Altmarkt Tausende Fans kamen im Sommer vergangenen Jahres auf den Dresdner Altmarkt, um den langersehnten Aufstieg in die Zweite Liga zu feiern. Zur Fete gehörten selbstverständlich auch Knallkörper. Dass Pyrotechnik dagegen im Stadion verboten ist, können viele Fans, darunter auch friedliche, nicht nachvollziehen. Fan zu Pyro legalisieren Bei manchen Spielen wird's erlaubt. Da sind unten, stehen in der Ecke welche, alles super, alles klappt. Warum verbieten sie's denn dann? Es ist einfach nicht machbar, alles zu kontrollieren, da gibt's noch so kleine Schlupfwinkel und von daher sollen sie sich doch zusammensetzen mit Leuten, die dafür ne Prüfung abgelegt haben und dann ist doch alles super. Sprecher Pyro ist wohl derzeit DAS Reizwort. Vor allem die Ultras sehen sich durch das Verbot in ihrer Kreativität eingeschränkt, denn es gilt als unverzichtbares Stilmittel in der aktiven Unterstützung der Mannschaft, erklärt Vorsänger Lehmann. Kapo Pyro Jedes Spiel zehn Bengalen, das ist ja total, das ist ja todlangweilig. Ich stells mir, wenn ich Spieler wäre, so vor: Ich komme aus'm Tunnel raus, sehe ne hammergeile Choreographie oder wenn ich irgendwo auswärts spiele, da komme ich aus'm Tunnel raus und sehe meinen Gästehaufen - da sind 2000 Dynamofans mitgereist - und da sind zehn Bengalen auf'm Zaun und da ist Feuer und Flamme für den Verein. Es muss auch passen. Sinnloses Pyroabfackeln zu jedem Spiel. Das wäre ja für mich gar nichts. Damit könnte ich mich ja gar nicht identifizieren. Diese Haltung hat Lehmann auch bei den Verhandlungen zwischen 60 Ultra- Gruppen aus ganz Deutschland und dem DFB vertreten. Er versteht nicht, dass der Verband die Gespräche abgebrochen hat. Auch Fanprojektleiter Rudolph beobachtet bei der Debatte eine Doppelmoral. Rudolph zu Pyro Was auf dem einen Kanal in Italien als südländisches Flair verkauft wird, switcht man um auf den nächsten Kanal im deutschen Fußball heißt es dann, da sind Gewalttäter dann plötzlich da. Man wirft da zuviel in einen Topf. Pyrotechnik und Gewalt. Ich glaube, bei dem Thema hat man mittlerweile die aktive Fußballfanszene deutschlandweit soweit vereint, soweit auch als kompetenter Ansprechpartner, dass es ja fast schon gefährlich ist, wenn ein Fußballverband verpasst, da auch in den Diskurs einzusteigen oder drin zu bleiben. Das wäre nicht zuletzt im Interesse des Vereins, der im Umgang mit den so genannten erlebnisorientierten Fans auf Vertrauen setzt. Das hat gefruchtet, sagt Dynamo-Fanbeauftragter Jan Männig. Männig Also hier in Dresden ist das jetzt mittlerweile mit verschiedenen Institutionen sehr eingespielt und das bewirkt natürlich, dass auch ja der Spieltag an sich deutlich angenehmer verläuft. Also wenn ich das mit so vor zehn, 15 Jahren vergleiche, da war das deutlich brisanter. Auch das ganze Leben ums Stadion rum zum Beispiel. Da haben, denke ich, alle ne Aktie dran. Also es ist von allen Seiten ein Aufeinanderzu- gehen. Das braucht Dynamo auch unbedingt, denn gerade für einen klammen Verein wie diesen, können Geldstrafen wegen ausgetickter Fans mal schnell Existenz bedrohend sein. Und das wäre gerade für Vereine mit einer außergewöhnlichen Geschichte tragisch. Atmo Ultrakaos Instrumental unter Sprecher hochziehen 0.08 - geht über in Atmo Eintracht-Museum Ortswechsel - von Dresden nach Frankfurt zu den Eintracht-Fans. Take (Fan) Es gibt einen Grund anzustoßen, auf diesen schönen Abend, auf die Geschichte der Eintracht und die Hoffnung der Fans. ... die haben's gut: Wenn es auf dem Platz mal nichts zu feiern gibt - bei einem Abend im Eintracht-Museum unter der Haupttribüne des Stadions können Anhänger ihr Herz wärmen - an vergangenen Erfolgen und der Kopie der Meisterschale von 1959. Bei den Abendführungen steigt Museumschef Matthias Thoma auch in die tiefe Vergangenheit ein, in die zwanziger Jahre, als der Fußball-Kreisligist zu einer der erfolgreichsten deutschen Mannschaften aufstieg. Auch deshalb, weil jüdische Schuh- Fabrikanten die Eintracht und ihre Spieler auf unkonventionelle Weise förderten. Take Thoma und die Inhaber der Schuhfabrik Schneider waren Riesen-Eintracht-Fans. Und die haben gesagt, na ja, wenn ihr einen Spieler habt, dann bringt den doch zu uns. Es gibt da ganz nette Geschichten: Walter Neumann, einer der Schuhfabrik-Schneider-Inhaber, ist mit Auto und Chauffeur am Hauptbahnhof vorgefahren, hat einen potentiellen Spieler eingepackt, ist mit dem an den Riederwald gefahren, hat gesagt, hier kannst du trainieren, dann ist er mit ihm zur Schuhfabrik gefahren, hat gesagt, hier kannst du arbeiten. Das hat gut funktioniert. Thoma deutet auf den vergilbten Schwarz-Weiß-Film, der über einen Museums-Monitor flimmert - sein Publikum schmunzelt. Take Thoma Von den elf Spielern, die so lustig über den Platz hier gerannt sind, können wir mittlerweile acht nachweisen, die bei der Firma Schneider gearbeitet haben, ohne viel arbeiten zu müssen. Wenn wir also heute über Werksmannschaften wie Wolfsburg oder Leverkusen lästern - wenn wir in unsere Geschichte schauen, hatten wir auch mal eine Werksmannschaft von der Firma Schneider, Die machte sich vor allem mit Hausschuhen einen Namen, also Schlappen. Take Thoma Firma Schneider war in Frankfurt auch bekannt als "Schlappe-Schneider", und so waren die Eintracht-Spieler auch ganz schnell die "Schlappe- Kicker". "Schlappekicker" oder auch "Juddebube". Das konnte mit Blick auf das effiziente Sponsoring der jüdischen Unternehmer auch anerkennend gemeint sein. Mit wachsendem Antisemitismus in Deutschland wurde der Spitzname aber zunehmend zur Schmähung, weiß Matthias Thoma, der darüber ein Buch verfasst hat, Titel "Wir waren die Juddebube". Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, blutete der sogenannte "Judenverein" zunehmend aus. Take Thoma Funktionäre, die jüdischen Glaubens waren, mussten zurücktreten, bei der Eintracht musste der Schatzmeister zurücktreten, Abteilungsleiter mussten zurücktreten. Die Inhaber der Firma Schneider sind geflohen, nach England und Amerika gegangen. Die Eintracht hatte in der Folgezeit nicht mehr die Möglichkeit, da Spieler unterzubringen, und so haben wir sportlich nach 33 einen Einbruch erlebt, einmal wurden wir noch Gaumeister, ansonsten während der Nazizeit keine großen Erfolge Atmo Eintracht Museum 0.03 mischen mit Atmo Aufstiegsfeier Für die Fans in Dresden war der Aufstieg Dynamos in die Zweite Liga nach Jahren der Talfahrt der schönste Moment. Dabei kann der erfolgreichste aller DDR-Vereine auf eine großartige Geschichte zurückblicken. Jens Genschmar trägt seit Jahren die Erinnerungen zusammen und stellt sie in den Räumen des neuen Stadions aus. Darunter ein großes Bild von Erfolgstrainer Walter Fritsch, dem Erfinder des Dresdner Kreisels - Inbegriff des attraktiven Kurzpassspiels. Mehrere hundert Objekte hat Genschmar mittlerweile gesammelt. Genschmar Vitrine Angefangen vom Bau der ersten Sportstätte 1896 mit dem Vereins-Casino, was erst 1945 beim Angriff zerstört wurde, wo wir beim Stadionneubau 2008 die Kellerräume dieses Vereins-Casinos gefunden haben und verschiedene alte Wein-, Bierflaschen bis hin zum Briefkasten vom Amt für Leibesübungen herausgeholt haben. Dann sind natürlich die beiden Trikots von der Stadioneröffnung von Dynamo Dresden und Schalke 04, die damals Gegner waren ausgestellt und in der Vitrine sind auch einige Erinnerungsstücke der langen Europa-Cup-Geschichte von 98 Cup-Spielen von 1967 bis 91 ausgestellt. Alle DDR-Fußballer waren bei Betrieben oder den Staatsorganen angestellt. Die Spieler von Dynamo bei der Polizei. Sie hatten zwar eine Uniform im Schrank, waren aber ansonsten Fußballer, sagt Genschmar. Es ist auch eine Geschichte von Ungerechtigkeiten, etwa wenn Staatssicherheitschef Mielke lieber seinen Club gewinnen lassen wollte. Und die von Schicksalen, wenn Spieler bei Auswärtsspielen nicht in die DDR zurückkamen oder sie gesperrt wurden, weil ihnen geplante Republikflucht unterstellt wurde. Das alles aber geriet nach der Wende schnell in Vergessenheit. Gensch Pokal u Trödel Ich sag mal, der Verein hat schon immer viel von Tradition gesprochen, aber die Vereinsoberen gerade Ende 80er, Anfang 90er Jahre haben da sehr sehr wenig drauf geachtet. Es ist vieles vieles weggekommen. Einen Teil hatte ich durch Glück durch intensiven Kontakt zusammentragen können. Einige Stücke hat er sogar auf dem Trödelmarkt gefunden, wie den Original - Meisterpokal, den Dynamo als letzter DDR-Meister erkämpft hatte. Zur Sammlung gehören viele Wimpel, wie der aus Bayern vom ersten deutsch-deutschen Spiel in Dresden und internationale Trikots, die die Spieler bei Auswärtsspielen unter Verbot heimlich in den Kabinen getauscht hatten. Und natürlich auch viele Bilder von Klasse-Fußballern. Wie das riesige Foto im Treppenhaus. Gensch Dörner Das ist ein großes Bild von einem der größten Spieler, wenn nicht gar dem größten Spieler, Hans-Jürgen "Dixie" Dörner, hundertfacher Nationalspieler der DDR. Es wird immer gesagt, es wäre der Beckenbauer des Ostens. Ich sage immer, Beckenbauer ist der Dörner des Westens. Mit Ostalgie habe das nichts zu tun. Darauf legt Genschmar wert. Gensch Ich hab immer ein sehr gespaltenes mit der Ostgeschichte, weil wir eben als Verein sehr beschissen wurden, weil das Leben in der DDR eben auch sehr unfrei war. Ich weiß aber ganz genau, dass viele von denen, die 89 gerade in Dresden waren, eigentlich mit schwarz-gelbem Schal zu den Montagsdemos gegangen sind und gegen das System gekämpft haben. Das beinhaltet doch eben durchaus was, was man eben hier im Fußball erlebt hat und wenn man die Schlachtrufe, die Spruchbänder zu DDR-Zeiten gesehen haben, die waren oft sehr staatsfeindlich. Für Oliver Ehlert von der Fangemeinschaft Dynamo sind nicht nur die einstigen Erfolge der Grund, warum die in über 150 Clubs organisierten Anhänger Dynamo heiß und innig lieben. Oliver Ehlert Zum anderen hat diese Traditionsbewusstsein noch einen anderen Aspekt: Ja, die Zeit nach dem Zwangsabstieg, wo auch ne ganz neue Facette an Dynamofans gewachsen ist, also diese neue Ära, die da war, als der Verein wirklich am Boden war, als wir hier über Dörfer getingelt sind. Eine Zeit, wo Jugendliche durch die Neustadt gerannt sind mit der Spendenbüchse, um den Verein zu retten. Da ist ne neue Tradition entstanden. Also das ist ein stückweit Tradition, was Dynamo - nicht freiwillig - aber doch anderen Vereinen voraus hat. Also wir können gemeinsam durch ganz, ganz, ganz schlimme Zeiten gehen. Geschichtsbewusstsein ist bei Dynamo-Fans besonders ausgeprägt. Umso heftiger waren die Reaktionen, als es beim Spiel gegen Eintracht Frankfurt zu bisher nicht gekannten Entgleisungen kam. . Musik Ultrakaos Angriff Das ist Ultrakaos, FfM, Schwarze Macht, das ist Ultrakaos, wir steh'n ein für'n Verein, das ist zugetaggt, egal an welchem Platz, UF im Visier, das ist zack, euer Banner eingepackt ... Banner klauen, Banner kopieren - vermeintliche Heldentaten in der Ultraszene. Beim Auswärtsspiel in Dresden katapultieren sich die Frankfurter Ultras mit ihrem Bomben-Banner allerdings ins Abseits. Fanbetreuer Marc Francis stellt mit Blick auf eine missverständliche Äußerung des Eintracht-Vorstandsvorsitzenden Bruchhagen klar: Take Francis Uns war bewusst, dass es ein Motto gibt, das hieß "Bomben auf Dynamo", es gab Graffitis in diversen Unterführungen, und das war auch, was Heribert Bruchhagen gemeint hat, als er gesagt hat, wir wussten darüber Bescheid. Ich kann zu dem Banner zum Beispiel ganz konkret sagen: Das wurde erst zwei Tage vor dem Spiel gefertigt, wie ich mittlerweile weiß, was auch ganz logisch ist, denn die Dresdner haben eine riesige Blockfahne gemacht, die ist drei Tage vor dem Spiel aufgetaucht, im Internet, weil irgendjemand ein Foto veröffentlicht hat, und daraufhin hat man quasi eine Kopie dieser Blockfahne erstellt, mit diesem Schriftzug oben drüber. Das hätte man also gar nicht wissen können. Immerhin kann sich Fanbetreuer Francis inzwischen erklären, wie es zu der Entgleisung kam: Take Francis Es hat den Hintergrund gehabt, dass es da eine rechte Szene gibt in Dresden, die auch an der Organisation von den Nazi-Demos zum Bomben- Gedenktag, "Bomben-Holocaust", wie sie es nennen, sehr aktiv mitwirken, und die singen öfters mal ein Lied, das heißt "Bomben auf Engelland", und denen galt dieses Banner, an die war das gerichtet. Das kann natürlich der Außenstehende nicht wissen, und der nimmt das natürlich sehr schwer wahr. Ich kann sagen, meine Mutter selbst hat mich daraufhin angerufen, weil unsere Familie in Dresden auch umgekommen ist und hat das sehr schlecht aufgenommen. Aber der Hintergrund ist dann ein anderer, und den erfährt man dann im Zweifelsfall aber erst danach. Ob die Gespräche und die Einmischung der Fanbeauftragten die Ultras selbstkritischer und sensibler machen, bleibt offen. Bernd Kassebaum und Thomas Ziegler, die am Südbahnhof in den Ultra-Zug nach St. Pauli einsteigen, meinen jedenfalls, das Bomben-Banner war voll daneben, ... Take Kassebaum und Ziegler - ... in ner Situation, die eh eskaliert. Wir haben ja im Moment so ne Schraube, es wird ja immer heftiger. Die Gewaltsymbolik nimmt ja zu auf beiden Seiten. Also in so ner Situation muss man schon n bisschen sensibel sein .. - "Bomben Auf Dynamo" geht überhaupt nicht. Wenn ich da nebendran gestanden hätte, dann hätte ich dem das Ding abgenommen. Das ist doch gar keine Frage. Wir sind da durchaus bereit einzugreifen, Wenn's übers Ziel hinaus schießt, ich glaube, das gehört auch dazu. Das ist vermutlich sogar sinnvoller als ein Polizeieinsatz. Atmo Bahnsteig 5 sec zum Unterblenden unter Und Dresdner Fans meinen zum Banner "Bomben auf Dynamo": Fans Provokation gewohnt Idioten. Absolute Idioten. Hooligans. Das hat beim Fußball nichts zu suchen. Ist halt schade, dass solche Leute immer ne Plattform finden, wo sie dann ihre nicht so tolle Meinung für so viele öffentlich machen. Größer als der Schreck darüber, dass die Frankfurter ihre nagelneue Blockfahne kopiert hatten, war die Entrüstung über den geschmacklosen Spruch. Die Wut ging durch alle Fanschichten, erinnert sich Fanprojektleiter Torsten Rudolph. Rudolph Aufschrift pietätlos Von der Aufschrift her ist es einfach pietätlos, muss man einfach sagen. Da trifft man natürlich den Dresdner an sich irgendwie im Mark und wir haben an der Stelle auch mitbekommen, wie tief das dann auch sitzt bei jetzt nicht unbedingt der aktiven Fußballfanszene, sondern wie viele Normalofans,, wie viele Familienväter und - mütter uns danach kontaktiert haben und gesagt haben, hier muss man doch was tun und beschwerden an den DFB geschickt haben. Da merkte man schon, da hat man etwas übertrieben. Ultra-Capo geht noch weiter. Kapo Tabu Das ist ein Tabu, was gebrochen worden ist. Alles, was Politik angeht, sind absolute Tabus. Politik im Stadion hat für mich nichts zu suchen. Es fängt an mit irgendwelchen rassistischen Gesängen. Es gab Lieder, wo wir gesagt haben, Jungs, das geht so nicht mehr. Daher kann er die Rufe "Judenverein", die daraufhin aus Dynamo-Reihen zu hören war, genauso wenig gutheißen. Capo Judenverein Das ist dann von Dynamoseite genauso unter der Gürtellinie. Aber das gehen wir auch offensiv an. Wie wir halt gesagt haben, wir machen jetzt diese Tafeln für den K- Block für die Eingänge, wo halt als erster Punkt ist: Keine rassistischen Gesänge. Torsten Rudolph hat der Zwischenfall erneut gezeigt, dass rechtes Gedankengut - wenn auch nicht organisiert - aber doch subtil in den Stadien präsent ist. Rudolph Ich will nix schönreden. Man nimmt so was auch während des Spiels wahr. Das Spiel Dynamo gegen Frankfurt ist da ein gutes Beispiel dafür. Aber ein gutes Beispiel ist eben auch, dass am Spieltag danach - ich glaub es war gegen den KSC - sich der Capo auf den Zaun hinstellt und sagt, er möchte solche Sätze wie da beim Spiel gegen FF in diesem Stadion nicht mehr hören und bekommt dafür eben auch Applaus. Das Projekt ermutigt antirassistische Fanclubs und unterstützt deren Zusammenarbeit mit dem Verein. Dieser bemüht sich, rechte Gesinnung im Stadion nicht nur zu unterbinden, sondern geht offensiv damit um. Auf der Anzeigetafel und auf jedem Ticket steht "Rassismus ist kein Fangesang". Die 2. Mannschaft läuft mit dem Spruch auf der Brust auf: Love Dynamo - Hate Racism. Rudolph Verein Vorbild Und das ist beeindruckend und ich glaube, das ist auch das, was ein Fußballverein nur tun kann. Er kann keine Gesellschaft komplett ändern in 90 Minuten. Er kann aber glaubhaft nach außen ein gutes Vorbild sein. Quellen: Ultrakaos SOLI EP 2009, Tracks "Angriff" und "Wenn der Adler einfliegt" Matthias Thoma: Wir waren die Juddebube. Eintracht Frankfurt in der NS- Zeit. Verlag Die Werkstatt. Göttingen. 2. Auflage 2009 1 1