DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 14.08.2007 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 ? 20.00 Uhr Verführung auf sieben Etagen - Das Kaufhaus des Westens und seine Geschichte Co-Produktion RBB/DLF Von Inge Braun und Helmut Huber URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musik: Mini Skirt, Kronos-Quartett. Aus: Nuevo Atmo KaDeWe am Infocounter: russischer O-Ton Kundin Beraterin am Infocounter: Do you speak english, sorry, I don?t speak russian...Kundin Yes I do, excuse me. So I would like to find shoes ... Oxana Ladwig Man geht rein in ein Reich, wo es alles gibt, was man sich wünschen könnte. Andrew Dean Each time I go it?s different. It?s, if you like an adventure like when I was young? Atmo: Luxusboulevard Schmuck Verkaufsberaterin: Es ist immer happy. Bei uns ist alles happy: happy spirit, happy bright? Patrice Wagner Das ist ein Inspirationsgefühl. Das ist ein Lebensgefühl, das ist ein Traumgefühl. Tatjana Ja man sagt immer, das ist antidepressives Mittel für Frauen. Atmo KaDeWe Beraterin am Infocounter: Ja, also wir haben einen Dior shop, gleich hier vorne, gleich hinter Chanel, Kundin: Ja ... Gad Granach Ich weiß noch genau, im KadeWe bekam ich meine ersten Schuhe mit dieser weißen Gummisohle. Na, das war was. Ansage: Verführung auf sieben Etagen Das Kaufhaus des Westens und seine Geschichte Feature von Inge Braun & Helmut Huber Atmo: italienische Stimmen am Infocounter: Herr Richter: ?Informazione piani con la bandiera italiana ...? Kunde: ?Dipende due...? Nils Busch-Petersen Es geht schon los, wenn Sie reinkommen und erst mal Herrn Richter in seiner Uniform da stehen sehen, hoch aufgeschossen und auf spanisch oder polnisch oder bulgarisch oder englisch oder französisch die Antworten gebend auf die Fragen, die die Gäste ihm stellen. Das hat schon was. Sprecherin: Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Berlin-Brandenburg Nils Busch-Petersen Es ist ein Ort, in dem ganze berufliche Lebensläufe stattfinden und wer da einmal angekommen ist, wohin sollte er noch wechseln in Deutschland? Ich wüsste es nicht, weil, das ist der Gipfel im Warenhausgeschäft und das ist einer der großen Gipfel in Europa. Patrice Wagner Also wir haben eine ähnliche Rolle in Deutschland wie Harrods in England und wie Galerie Lafayette in Paris. Sprecherin: Patrice Wagner, Geschäftsführer des KaDeWe Patrice Wagner Also das ist das für uns Wichtige. Wissen Sie, wenn Sie so wollen, wir sind ein Stück so ?Leuchtturm? bei den Warenhäusern, so wird es uns auch zurückgemeldet. So ?Leuchtturm? innerhalb von Deutschland. Musik: Willkommen aus Cabaret, Siegfried Mai und sein Orchester (Kander). Aus: Schlag nach bei Shakespeare. Sprecher 1: KaDeWe - größter Departmentstore auf dem Europäischen Kontinent ? seit der Fusion mit Hertie 1994 - im Besitz der Karstadt Warenhaus GmbH - Europas größtem Kaufhauskonzern - 64 Fahrtreppen, 26 Aufzüge, vier gläserne Panoramafahrstühle im Lichthof, 60.000m² Verkaufsfläche. Gad Granach Also meine Tante Rosel war Chefeinkäuferin im KaDeWe in der Lederwarenabteilung. Das war die so genannte berühmte Tante Rosel. Oder wie man sie früher nannte: Fräulein. Damals gab es ja noch Fräulein, Fräulein Gutmann oder Gutmännchen. Sie war petite, sie war klein, sie war sehr elegant und sah sehr gut aus. Und, wie man sagte, regierte im KadeWe in ihrer Lederwarenabteilung wie Napoleon. Sie fuhr einkaufen in ganz Europa. Sprecherin: Gad Granach, der 1936 nach Palästina emigrierte und heute in Jerusalem lebt Gad Granach: Rosel kaufte sich ihre Hüte in Paris. Ihre Kleider in Milano. Ihre Schuhe, ihre anderen Sachen, eleganten Sachen kaufte sie in London. Und so sah sie auch immer aus. Immer wie aus dem Ei gepellt. Und ihre Lederwarenabteilung war wirklich eine internationale Abteilung. Musik: Chronica, Sinfonieorchester Komische Oper (Berthold Goldschmidt). Aus: The Goldschmidt album ? Berthold Goldschmidt. Sprecher 1 Kaufhaus des Westens 1907 von Adolf Jandorf im Neuen Berliner Westen gegründet - vier Etagen, Verkaufsfläche: 24 000 m², Architekt: Johann Emil Schaudt Nils Busch-Petersen Die Namenswahl selber war ja, und das ist wohl gut belegbar, sehr bewusst getroffen, denn Jandorf selber ... Zitator : ... der Typ des modernen, sehnigen, widerstandskräftigen Selfmademan Nils Busch-Petersen ... Adolf Jandorf, betrieb unter seinem eigenen Namen als Marke mehrere kleinere typische Volkswarenhäuser. Und hier war eben der große Wurf, etwas Neues, etwas im gehobenen, im Luxussortiment, anzubieten ... Zitator : ... alle Lehren Amerikas und Deutschlands in sich vereinigend ... Nils Busch-Petersen ... und da war seine Entscheidung marketingtechnisch völlig klar: ?Das kann ich nicht mit der Billigmarke ??Jandorf? verbinden, hier muss ich einen anderen Begriff finden.? Und er fand diese elegante Bezeichnung des Kaufhauses des Westens, ein bisschen auch das Wort Warenhaus elegant umschiffend, obwohl es bei der Vielzahl der Sortimente immer ein Warenhaus war. Zitator ... märchenhafte Lichtfülle, glitzernde Kostbarkeiten ... das neue Kaufhaus ... dicht und unaufhörlich strömt man hinein ... der Herrscher ruft ? sie folgen gern ... Gad Granach Und dort kauften, so wie man so schön sagt auf Deutsch - ich weiß nicht, ob ich?s sagen soll? Hoch und niedrig, Arsch und Friedrich. Da kamen, Schauspieler kamen, Künstler kamen, Bohème kamen, Damen, Damen der oberen Welt und wahrscheinlich auch der Halbwelt kauften im KaDeWe. Musik: Chronica, Sinfonieorchester Komische Oper (Berthold Goldschmidt). Aus: The Goldschmidt album ? Berthold Goldschmidt. Sprecherin Szenen aus ?König, Dame, Bube? ? O-Ton Oxana Ladvig... karol, dama, walet ... Sprecherin des Romans von Vladimir Nabokov spielten im KaDeWe, dem Kaufhaus ?Dandy?. Wo sich der russische Schriftsteller in den 20er Jahren mit seiner Frau Vera am Schnell- automaten ablichten ließ. Wo Marlene Dietrich Anfang der 30er Jahre ihre ?Mouson Cremes? und Damenhandschuhe kaufte. Gad Granach Ich war schon mit elf Jahren war ich sehr empfänglich für all diese eleganten Sachen. Man fühlte sich irgendwie gehoben. Und da kam ich rein, und dann sahen mich die Verkäuferinnen und dann gingen sie schon rum, sagten sie: ?Fräulein Gutmann, Fräulein Gutmann, wo ist sie denn, wo?? ?Fräulein Gutmann, Fräulein Gutmann, Ihr Neffe ist da, Ihr Neffe ist da, der Neffe ist da!? Da ging das so wie ein Lauffeuer. Na, da kam Röschen an und guckte mich an. Wie bei ´ner Militärparade. Wurden meine Fingernägel beguckt und auch die Ohren und ob der Hals gewaschen ist und ob ich sauber bin. Und dann hat sie festgestellt: ?So kannste doch nicht rumlaufen! Wie siehst du aus! Komm rauf!? Und dann gingen wir in die Knaben-Abteilung. Und da wussten sie schon: Gutmännchen kommt mit ihrem Neffen. Na ja, da wurde ich eingekleidet, dann gab´s vielleicht auch noch was zu essen. Irgendwas, Süßigkeiten, irgendwas. Dann kam ich nach Hause und dann guckte mich meine Mutter an und sagte: ?Na, warste schon wieder bei Tante Rosel, ja?? Musik : It must be true, John Buzon Trio. Aus: Ultra Lounge. Cha Cha Cha de Amor. Patrice Wagner Was wir an Lebensgefühl, an Gefühl, wenn Sie so wollen, auch vermitteln wollen im KaDeWe, ist ein, erstmal ein Wohlfühlgefühl. Es ist ein Freiheitsgefühl. Das ist ein Inspirationsgefühl. Das ist ein Lebensgefühl, das ist ein Traumgefühl. Also ich denke, vom Gefühl her, also damit könnte man, glaube ich, müsste man auch ein Buch voll schreiben. Für die Definition, die wir vermitteln und versuchen auch zu vermitteln. Irene Gießmann Also ich als Chefin habe besonders darauf geachtet: Sauberkeit, Ehrlichkeit, Freundlichkeit. Diese drei Punkte waren das A und O. Sprecherin : Irene Gießmann, ehemalige Leiterin der Wurstwarenabteilung Irene Gießmann Freundlichkeit: den Kunden immer anlächeln. Der Kunde hat immer Recht und damit haben wir jeden Kunden zufrieden gestellt. Margit Götz Es wurde ja alles beobachtet: auch von Abteilungsleiter, das war so, dass immer mal jemand durch die Abteilung ging und nach dem Rechten geguckt haben, ob die Kunden auch gut bedient werden. Das war sehr wichtig, also das war im KaDeWe Primero, wie man so sagt, ja, dass ein Kunde zufrieden ist. Atmo KaDeWe Eingangshalle Nils Busch-Petersen Das Warenhaus hat damals begonnen, in seiner Entstehungsphase vor über hundert Jahren, so auch das KaDeWe, Handel zu demokratisieren. Allen Schichten zu öffnen. Und ein Haus, das die Spannbreite von einem guten Mittelklasse Sortiment bis ins Spitzensortiment hat, das demokratisiert nach wie vor und macht auch Produkte zumindest besichtigungswert und anfassbar, um die sonst vielleicht Menschen zwangsläufig mit niedrigen Einkommen einen Bogen machen würden. Atmo: Luxusboulevard Schmuck Verkaufsberaterin: Bei uns ist alles happy: happy spirit, happy bright?. Bei diesem hier handelt?s sich halt um 0,38 Karat Brillanten, auch wieder alles 18 Karat mit einem Happy Diamant noch zusätzlich: da liegen wir bei 2555.- Euro. Kundin: Nun ja, das ist ja nicht besonders viel, finde ich, für so ein Stück. Verkaufsberaterin: Aber für diesen hier zum Beispiel, da liegen wir dann bei 5190.- , haben natürlich viel mehr Karat. Kundin: Kann ich mich jetzt nicht entscheiden, ich komme mit meinem Freund, ja und ... Verkaufsberaterin: einfach ein bisschen Zeit mitbringen, auf ein Glas Champagner Gad Granach Und wenn du mit der Kauftasche rausgegangen bist, auf der draufstand ?KaDeWe?, hast du dich selber elegant gefühlt. Musik: Mini Skirt, Kronos-Quartett. Aus: Nuevo. Henriette Krumwiede Ja sicher, ich bin 1904 geboren. Das heißt ich bin 102 Jahre alt. Ende der zwanziger Jahre war ich ein armes Loit, da hatte ich kein Geld und keine Anstellung. Und konnte im KaDeWe auch nicht kaufen. Und war natürlich auch keine KaDeWe Kundin. Wozu sollte ich dahin gehen? Mir unnütze Wünsche ins Leben rufen, die ich nicht erfüllen konnte. Nee? Musik: Claire Waldoff Was war ich doch für ein unbescholtenes Mädchen. Muttis Nesthäckchen, Vatis Augenstern. ... Tat schwere Arbeit, doch ich tat sie gern ... Wegen Dir hab? ich meine jute Stellung bei Tietz aufgegeben ... wegen dir mein Freund ... Gad Granach 1925 war ich zehn, ja. Hm. Also war ich elf Jahre alt, da wurde das KaDeWe übernommen von Tietz. Musik: Claire Waldoff Wegen Dir hab? ich meine jute Stellung bei Tietz aufgegeben, wegen dir, wegen dir, wegen dir. Sprecherin - sang Claire Waldoff in den 20er Jahren. Der Familienkonzern Tietz, die Hermann Tietz GmbH, war mit zehn Filialen und 13 000 Angestellten die Nummer eins unter den Warenhausunternehmen in der Reichshauptstadt. Musik: Mr. Jelly Lord, Jelly Roll Morton. Aus: Jelly & James. Gad Granach Jandorf verkaufte. Na, das war ?ne Palastrevolution. Da tat sich was bei uns zu Hause: Was wird sein? Wird Tietz das so weiterführen wie Jandorf es geführt hat? Wird es exklusiv bleiben, das KaDeWe? Oder wird es ein Ramschladen werden wie die ganzen Tietz-Warenhäuser? Tietz war kein Ramschladen, aber es war eine Billig- Meile, ja. Und wird das KaDeWe genau so werden wie Tietz am Alex. Oder wird das KaDeWe bleiben KadeWe? Das KadeWe blieb KadeWe. Zitator Das KaDeWe, das ist so groß und mit Kleidern und Gold und an der Tür viele elegante Hunde an Leinen, die warten auf Damen, die kaufen drinnen ... (Irmgard Keun) Gad Granach Die Fahrstuhlführer waren junge Männer, hatten Uniformen an, ich glaube es waren braun mit rot abgesetzt ein bisschen, mit Silber, mit Gold, braun mit Gold war, glaube ich, abgesetzt. Die Schaufenster waren ein Fest, absolut. Die modernsten Puppen waren im Schaufenster. Da fingen ja die ersten Charakterpuppen an, dass die Puppen Gesichter hatten und nicht so langweilig aussahen. Carry Kloetzel Puppen, die sich bewegen konnten, das gab?s ja nicht woanders. Das war das KaDeWe. Nils Busch-Petersen Das Unternehmen Tietz expandierte heftig und so ist 1926/27 der Übergang der Jandorf-Geschäfte an das Unternehmen Hermann Tietz erfolgt. Die zweite Generation hat sehr schnell auch dort wieder investiert und das KaDeWe selber einer radikalen Verjüngung und Erneuerung unterzogen, die Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre stattfand, mit der Erweiterung um mehrere Etagen nach oben hin deutlich wurde und das KaDeWe endgültig in eine führende Position brachte, maßgeblich auch unter der Federführung von Dr. Zwillenberg ist das Haus damals ja grund- sätzlich und völlig modernisiert worden und erschien ab 1932 in einem völlig neuen Glanz. Patrice Wagner Also, wir brauchen nicht anzuknüpfen an diese Geschichte, weil wir sind ein Part der Geschichte, ob wir es nun wollen oder nicht. KaDeWe hat jedes Jahr, jeden Monat, jeden Tag, schreibt Geschichte. Was wir natürlich machen wollen ist, dass wir das KaDeWe, durch eine Neupositionierung an den früheren Image, früheren Erfolg auch heran-, herbeiführen wollen. Sprecherin Auf dem Flur der Geschäftsleitung oben im achten Stock hängt ein Porträt von Adolf Jandorf, nicht aber seiner Nachfolger Tietz und Zwillenberg. Im Krieg sind alle Firmenunterlagen verbrannt, ist im Pressebüro zu erfahren. Es existiert lediglich eine Festschrift von 1932. Henriette Krumwiede Das KaDeWe haben sie doch, wie soll ich sagen, arisiert. Weil das einem nicht gefiel, man ging dann eben auch nicht hin und hielt sich zurück, weil die ganze Nazirei einem irgendwie na ja gefährlich und auch unsympathisch war. Gad Granach Wenn du Tante Rosel gehört hast und gekannt hast, hast du geglaubt, das KaDeWe gehört ihr. Da waren natürlich die Nazis da, also das regte sie natürlich auch auf, aber das spielte keine Rolle! Verkauft musste werden, ja. Und die Lehrmädchen und die Verkäuferinnen würden sich doch keine antisemitische Bemerkung zu ihr erlauben. Außerdem sah sie nicht besonders jüdisch aus. Und außerdem arbeiteten die, wussten ja genau, wo sie arbeiteten. Sie hatten einen jüdischen Boss: Tietz. Aber natürlich war nachher, hatte Rosel Schwierigkeiten mit dem Arbeiterrat. Da gab es natürlich, dann von der NSDAP, gab es da gleich so ´ne Art nationalsozialistische Gewerkschaft, ja. No, und die fing an zu, zu, wie sagt man: Zorres zu machen. Zum Schluss wurde alles enteignet. Das kam aber dann von oben. Musik: Cortejo Funebre, Kronos Quartett. Aus: Caravan. Sprecherin Am ersten April 1933, dem Tag des reichsweiten Boykotts jüdischer Geschäfte und Warenhäuser, hingen am Eingang neben dem geschlossenen Eisengitter des KaDeWe Plakate: ?Deutsche kauft nicht bei Juden?, ?Tietz unterstützt Rot Mord?. Irene Gießmann Also es wurde über die Jahre von 33, überhaupt die Jahre, wo die Arisierung war, wurde überhaupt nicht gesprochen. Das fiel unter den Tisch. Da wurde nichts drüber verlauten lassen. Das hat Herr Karg für sich behalten. Er war eben der Besitzer für uns und da haben wir uns mit abzufinden gehabt. Wir haben auch nicht nachgefragt, denn jeder hat seine eigenen Erfahrungen ja durch Hitler gemacht. Sprecherin Georg Karg. Rosl Guttmann muss ihn gekannt haben. Wie sie war er bereits bei Jandorf angestellt. Wie sie blieb er nach dem Verkauf der Jandorf-Warenhäuser bei Tietz. Anfang der 30er Jahre war er noch Leiter des Textileinkaufs. Wie kam er an die Firmenspitze? Nils Busch-Petersen Das KaDeWe ist nicht eigenständig ?arisiert? worden, um diesen Begriff zu verwenden, sondern als Bestandteil des Tietz-Konzerns. Aber die Methoden waren natürlich grundsätzlich die gleichen, der Druck der Banken, das schändliche Verhalten der ehemaligen Hausbanken war überall das gleiche, in einer ohnehin krisenhaften Situation den Warenhäusern mit der Sperrung der Kreditlinien und dem Aufkündigen der Kredite zu drohen, wenn sie sich jetzt nicht dem Druck beugten und sich von den jüdischen Eigentümern, von den jüdischen Führungskräften und Mitarbeitern trennten, das heißt also, den Schritt vollzogen hin in die Hände der Bankenkonsortien und später einzelner, auch eben nicht jüdischer Unternehmer. Sprecherin Ein Kredit, den Tietz zur Rettung des Unternehmens gebraucht hätte, wurde kurzfristig storniert, dann aber unter der Bedingung ?der Herstellung eines arischen Übergewichts in der Geschäftsleitung? doch bewilligt. Das Bankenkonsortium bestellte Georg Karg in die Unternehmensleitung. Im Juli 1933 erfolgte die Gründung der ?Hertie Waren und Kaufhaus GmbH? als Nachfolgerin der Firma ?Hermann Tietz?. Im August musste Dr. Hugo Zwillenberg, der Schwiegersohn des Firmengründers Oskar Tietz, als Geschäftsführer ausscheiden. Ein Jahr später wurden die Söhne, Georg und Martin Tietz, gezwungen zu gehen. Nils Busch-Petersen Nicht nur aus dem Management, sondern natürlich dann auch sich von ihren Anteilen trennen mussten. Die, wie alle anderen jüdischen Unternehmer in dieser Situation auch, Summen erhalten haben, die einfach dieses Wortes nicht wert sind, gemessen an dem Wert, den diese Unternehmen darstellten. Und das meiste davon ging ja in all diesen Familien dann noch für die so genannte ?Reichsflucht-Steuer? drauf, so dass die eigentlich froh sein konnten diese Unternehmer, diese wichtigen Persönlichkeiten, die die Stadt geprägt und dann Deutschland vertrieben hat, wenn sie das nackte Leben retten konnten in den 30er Jahren. Und gerade in jüdischen Warenhäusern waren natürlich auch viele Beschäftigte jüdische Mitbürger, und auch die mussten innerhalb kürzester Zeit entlassen werden aus den Unternehmen. Erst dann galt ein Unternehmen als arisiert. Sprecherin Im gesamten Konzern wurden bereits im Sommer 1933 fünfhundert ?nicht arische Mitarbeiter? entlassen. Rosl Guttmann, im KaDeWe in gehobener Stellung, blieb. Erst 1938 versuchte sie aus Deutschland zu fliehen. Gad Granach Glaubte in ihrer Naivität, weil sie immer flog nach London, und nach Paris?Und am Flughafen in London, da hat man sie gar nicht reingelassen. Man hat sie wieder zurückgeschickt. Und da kam sie zurück in Tempelhof. Und da sagte einer, der im Tempelhof-Flughafen, einer, der dort(igen) Beamten, die sie gut kannte, sagte: ?Fräulein Gutmann, warum kommen Sie zurück?? Sagt sie: ?Die Engländer haben mich nicht reingelassen.? Da sagt der: ?Fräulein Gutmann, Sie kommen in den sicheren Tod. Sehen Sie zu, dass Sie rauskommen.? Musik: Snake 5, Elliot Goldenthal. Aus: Original Soundtrack & Music from The Good Thief. Sprecherin 1939 und 1940 kaufte Georg Karg in zwei Raten die Bankenanteile der Hertie- Gruppe, zu der auch das KaDeWe gehörte - eines der wenigen Warenhäuser, das nach der Arisierung seinen Namen behalten hatte. 1943 stürzte ein Bomber der Alliierten in das Gebäude. Das KaDeWe brannte aus. Bis zur Wiedereröffnung vergingen sieben Jahre. Irene Gießmann Also im Sommer 1950 ist das KaDeWe eröffnet worden. Und zwar Parterre mit einem Stock. Zitator ?Wie Raubtiere fielen die Frauen über die Ladentische im Lichthof her? Gudrun Blankenburg Die Stadt lag in Trümmern, wir waren abgeschlossen zum Rest der Welt. Und da war das KaDeWe für uns wie ein vom Himmel gefallener Stern, ein Versprechen: dass wir auch Glanz und Glammer haben. Musik: ?Zwischen Halensee und KaDeWe , ?Nein oder Nicht-Nein?, Stachelschweine 1953/54 Sprecherin Das Wirtschaftswunder setzte ein. Anfang der 50er Jahre kam es zu einem Vergleich zwischen dem Unternehmen ?Hertie? und den früheren jüdischen Eigentümern. Georg Karg, Profiteur der Arisierung, avancierte zum Warenhauskönig in Deutschland. Irene Gießmann Ich habe dort angefangen als erste Kraft in der Wurstwarenabteilung. Und als ich angefangen habe, da hat man darüber überhaupt nicht gesprochen, zu wem wir gehörten. Wir wussten nachher nur, dass Herr Karg das Sagen hatte und wir zum Hertie-Konzern gehörten. Und natürlich fürs Haus direkt war zuständig immer Karg, Georg Karg, der Alte. Hans-Dieter Werk Er fuhr dann auch durch die Häuser, hat sich manchmal sogar ohne Vorankündigung absetzen lassen, ist am Seiteneingang reingegangen und ist dann durchgelaufen, bis dann irgendwo einer dann gemeldet hat: ?Mensch der Herr Karg, der läuft durchs Haus.? Irene Gießmann Unsere D-Kontrollen, liefen dann natürlich, die Detektive, die liefen dann natürlich wie aufgescheuchte Hühner durch die Gegend, das ist klar, denn sie kannten ja Herrn Karg auch und der war wirklich hart, aber konnte auch sehr nett sein. Und sein Sohn hat von der Pike auf im Haus gelernt, der junge Herr Karg. Musik: Digital, Kronos Quartett. Aus: Short Stories. Gad Granach Also, mein erster Besuch in Berlin war 1966, genau 30 Jahre, nachdem ich Deutschland verließ. Und dann kam ich ins KaDeWe. Und da waren die vier Fahr- stühle links und die vier Fahrstühle rechts. Und da war das berühmte: ?Aufwärts, Glas, Porzellan, Lebensmittel, Spielwaren, Erfrischungen, Papier, Kinderkleidung, Putz und Schuhe, im Ersten, im Zweiten, alles für den Herrn, Frisier- und Rasiersalon? Und dergleichen und so weiter und die Silberterrassen: ?Vorsicht Stufe!? Da wusste ich: Jetzt bin ick zurückgekommen. Fehlte nur leider Tante Rosel. Sprecherin Rosl Guttmann, was ist aus ihr geworden? Nach ihrer mißlungenen Flucht 1938? Gad Granach Da heiratete dann Tante Rosel einen? Dänen. Einen dänischen Bürger, der sich ein Business daraus machte, jüdische Frauen für viel Geld zu heiraten. Und Rosel Gutmann hieß auf einmal Rosel Christensen. Und ging nach Dänemark. Musik: Gloomy Sunday, Kronos Quartett. Aus: Caravan. Gad Granach Aber in Dänemark konnte sie nicht lange bleiben, weil die Nazis kamen nach Dänemark. Und da fuhren fast alle dänischen Juden über den Sund mit Booten nach Schweden. Und Tante Rosel war auch? das kostete Geld. Ich meine, umsonst ist gar nichts. Und da fuhr Tante Rosel nach Schweden. Und in Schweden gab es ein großes Warenhaus, und die kannten Tante Rosel. Und Tante Rosel ging hin, und die organisierten ihr eine Lederwarenabteilung. Das war Tante Rosl. Und Tante Rosel lebte, endete ihr Leben friedlich in Stockholm. Sprecherin Und die jüdischen Eigentümer, was passierte mit ihnen? Die Brüder Georg und Martin Tietz konnten aus Deutschland fliehen. Georg Tietz starb 1953 in New York, Martin Tietz kehrte später aus dem Exil nach Deutschland zurück. Hugo Zwillenberg wurde von der Gestapo verhaftet. Trotz wiederholter Festsetzungen konnte er sein Leben retten. Er war Konsul von Nicaragua in den Niederlanden und starb 1966 in Bern. Musik: Arcavolo , The Barigozzi Group. Aus: The optical sound. Margit Götz In den 60er Jahren war ich im KaDeWe tätig. Und es gab, unten im Parterre war die große schöne Stoffabteilung und da gab es die wunderschönsten Stoffe aus aller Welt, kann man sagen, auch aus Lyon, diese reinen Seiden. Alles schöne Sachen. Sprecherin: Margit Götz, ehemalige Verkaufsberaterin in der Stoffabteilung Margit Götz Und wenn dann der Ausverkauf kam, dann war ja was im Gange. Dann stürmten, durch den Haupteingang stürmten die Massen und als Verkäuferin oder wo man da unten tätig war, da war das manchmal beängstigend. Denn es waren ja so viele Leute auch, die wollten, ballenweise schleppten die die Stoffe ab. Also ballenweise, sie haben sich fast, na ja wollen wir sagen nicht geprügelt, aber es gab schon echt schwere Sachen da. Und es war so, dass nachher vielfach alles weggeräumt war. Also es wurde gekauft, gekauft, gekauft. Irene Gießmann Wir sind so verführt worden, dass wir sehr viel Geld im KaDeWe gelassen haben. Ob es Wäsche war, Nachthemden, französische Unterkleider, die schönsten Nachthemden aus Amerika. Dann die Lederwaren, ich habe mehrere Krokotaschen, wo ich sagen kann: Ich konnte nicht dran vorbei gehen. Ich musste sie haben: Und dann ist das Geld im KaDeWe geblieben. Grips Theater Linie Eins: ?Wilmersdorfer Witwen? ?Aah, wir haben den Zusammenbruch überlebt, die Blockade, die Mauer, die APO und die Hausbesetzer ... und fünfunddreißig Jahre Sozialdemokratie? Margit Götz Also, es wurde gekauft, gekauft, gekauft. Chor: ?Wir sind die Diademe der Reichshauptstadt Berlin, die Butterkrem der Creme, die Queens der Tauentzien ... Vom KuDamm bis zum KaDeWe sind wir die Sahne im Café. Wie vor fünzig Jahren, Tiri tiri tirallala, Wie vor fünfzig Jahren, Terää terää terää.? Sprecherin Das KaDeWe - Schaufenster des Westens im Kalten Krieg ? lockte auch Kunden aus dem Osten. Unter ihnen Kuriere, die mit hauseigener Kreditkarte große Einkäufe tätigten. Irene Gießmann Es kamen viele Leute aus dem Osten, die rüberdurften, unter anderem Karl Eduard Schnitzler und seine Frau. Und Karl Eduard Schnitzler war uns aber als Westberliner ein Dorn im Auge, denn er ließ ja kein gutes Haar an uns. Er hat uns immer ganz schlecht hingestellt. Hans-Dieter Werk Also ich denke in der heutigen Zeit muss man darüber nicht mehr reden, lieber schweigen. Mancher Kaufmann muss schweigen. Margit Götz Na ja, da muss ich zu sagen: also gut, nachdem die Mauer war und so? Ich hab` ja, mein Mann hat ja alle Verwandten drüben gehabt in Ostberlin. Und meine Schwägerin, gut die war dann schon im Rentenalter, und die durfte dann mal rüber kommen. Und dann sind wir natürlich auch in, ins KaDeWe und, und da hab` ich dann gesagt: ?Du kannst doch mal, überall gucken wir uns das an, du kannst dir alles angucken?? Ja bloß, es war ein bisschen, ich denke, für Ostberliner war das, meine Schwägerin war einmal recht böse geworden. Weil ich gesagt habe: ?Guck mal Gertrud, das, ist das nicht schön! Und das!? ?Ja?, sagte sie, ?das können wir aber nicht kaufen!? Ja, sag ich: ?Das ist klar.? Musik: Mini Skirt, Kronos-Quartett. Aus: Nuevo. Atmo Eingangshalle: Kundin am Infocounter: ?Good afternoon ... we are searching for ... shoes ...? Oxana Ladvig Wenn man sich dazu gehörend fühlt, dann ist es schon ein tolles Gefühl. Patrice Wagner Luxus ist nicht eine Frage des Geldes. Luxus ist eine Frage der Lebenseinstellung. Von daher: Sie kriegen bei uns Ware oder Produkte, die Sie für ein paar Cent kaufen können bis hin zu Produkten, die sicherlich mehrere, viele Tausende von Euro auch kosten. Aber gerade diese Offenheit und dieses breite Angebot macht die Stärke des KaDeWes aus. Und ich kann nur hoffen, dass es keine Aggressionen oder keinen Neid oder keinen bösen Willen bei irgendjemand auch weckt. Ansonsten kann ich es nur bedauern. Musik: Purple Haze, Kronos Quartett. Aus: Kronos released 1985-1995. Heidelore Pahl Es gab schon, sag ich mal, viele Angriffe so auf dieses Haus, auf diese Dekadenz und was hier vorgeworfen wurde. Da gab es Aktionen, dass: zum Beispiel einmal wurden oben in der Lebensmittelabteilung ein Sack weißer Mäuse rausgelassen, um die ganzen Kunden zu verschrecken, nee. Das war einmal eine Aktion oder da gab es eine Demonstration vor dem KaDeWe eben gegen diesen ganzen Luxustempel hier. Da stand vor dem Haupteingang eine ganze Batterie Polizei aufgebaut. Die standen da, Mann an Mann mit Schildern vor, richtig in Kampfausrüstung, nicht. Und die Demonstranten wollten natürlich, die wollten unbedingt ins Haus rein. Und was haben die gemacht: Haben sich auf einmal alle splitternackt ausgezogen, sind alle splitternackt auf die Polizei los und die sind alle an die Seite gesprungen. Und die konnten?. Weiß ich, 100 Leute sind splitternackt durchs Haus gelaufen und sind an den Seitenausgängen wieder aus, ne? Jutta Rudzuk In den siebziger Jahren war das KaDeWe für mich politisch out, also ideologisch nicht zu verkraften, obgleich es immer ein Treffpunkt war für Demos, politisch anti- kapitalistische Demos, war das KaDeWe der Treffpunkt. Musik: Purple Haze, Kronos Quartett. Aus: Kronos released 1985-1995. Hans-Dieter Werk Es gab ja Zeiten, da war die politische Szene hier in Berlin ja auch etwas unruhiger. Sprecherin: Hans-Dieter Werk, Organisationsleiter, zuständig für Logistik und Sicherheit Hans-Dieter Werk Wenn ich an die vielen Studentenunruhe(n) - und nachher die Autonomen dann, die dann hier hoch und runter gelaufen sind, die Tauentzienstraße - uns die Scheiben eingeschmissen haben oder nachts, dass man uns hier - in Anführungsstriche - Knallkörper reingelegt hat, aus unterschiedlichen Gründen, ich denke da an Dagobert und ähnliche, das hat mich schon manche Nacht gekostet. Weil man dann kaum zuhause war, da kam ein Anruf oder es war nachts, tiefe Nacht und dann kam ein Anruf und dann war man wieder hier. Irene Gießmann Wir waren Kadewisten, wir haben für unser KadeWe gearbeitet. Und die einzelnen Abteilungen haben für ihre Abteilung gearbeitet und haben immer gesagt: Wir müssen mehr machen, mehr machen, mehr machen. Und wir haben immer mehr gemacht. Solange wie ich im KadeWe war, ja. Gad Granach Kadewe war für uns eine Begleitung unseres Lebens. Die Laune im Haus stieg und sank mit dem Erfolg der Verkäufe, der Verkäufe der Lederwarenabteilung des KaDeWes. Da lernte ich ein Wort kennen, was ich gar nicht begriff, was das war, Losung, die Losung. Ich weiß gar nicht, ob man das heute noch benutzt. Die Losung, das war: die Verkaufszahlen. Tante Rosl war immer in einer Spannung, die Spannung, die war: ?Hab ich das Richtige gekauft für die Saison? Sie gab den Ton an. Sie gab den Ton an. Dann auf einmal war das ganze Lederwarenfenster war rot. Rote Taschen, rote das, rote das, das war auf einmal die letzte Mode. Heute ist doch genau dasselbe. Aus Milano kommt dieses Jahr schwarz. Ja, ist schwarz. Alles schwarz, alles schwarz, und das war? so eine Einkäuferin musste das riechen. Was sind die letzten Modelle? Und sie musste auch mit den Fabrikanten in guten Beziehungen sein. Damit sie von den Fabrikanten hört, was wird nächste Saison. Martha Schenker Wir haben gearbeitet, als ob es unser Geschäft wär, alle Verkäuferinnen. Irene Gießmann Und dann wurde es immer weniger. Wollen wir mal sagen, wo die D-Mark wegkam. Also wenn ich heute mal freitags in die Wurstabteilung komme, dann ist sie leer. Atmo KaDeWe Heidelore Pahl Wir haben Umsatzvorgaben, die jeder eben schaffen sollte, ne? Es passiert nicht gleich was, wenn man den Umsatz nicht schafft, regelmäßig. Aber nach ´ner gewissen Zeit wird man denn doch schon mal zum Gespräch gebeten: Was ist denn los? Haben Sie ein Problem? Brauchen wir noch mal eine Schulung? Oder was machen wir? Ne? Atmo Gourmetstände Oxana Ladwig Wenn die Gäste aus Russland, aus der Ukraine, kommen, das ist ja genauso eine Attraktion wie (den) Reichstag zu zeigen. Oxana Ladvig Als mein Vater in Deutschland war, er hat mich besucht, ja, sind wir dann auch in (der) Abteilung gewesen, so Lebensmittelabteilung. Und mein Vater hat gesehen so die Preise und hat er es noch nicht verstanden. Sagt er: ?Was ist das denn?? ?Das sind die Preise?. ?Oh, Oh. Oh. Nein, nein, nein. Da müssen wir sofort weg!? Margit Götz Für Normalbürger, der marschiert da durch, der guckt sich alles an, aber kaufen kann er wenig. Weil es zu teuer ist. Sprecherin Mit dem klaren Bekenntnis zum Luxus hat die neue Geschäftsleitung des KaDeWe auf die schwindende Kaufkraft eines immer größeren Teils der Gesellschaft reagiert. Patrice Wagner Und Sie konzentrieren sich dann auf eine Zielgruppe, die ein höheres Einkommen zur Verfügung hat. Und wir haben uns für diesen zweiten Schritt auch entschieden. Sprich: klare Positionierung in diesem höherwertigen Segment. Sprecherin 2004 wurde der Luxusboulevard im Erdgeschoss eröffnet. Das neue Konzept heißt: Markendepartments und Erlebnisshopping. Heidelore Pahl Wir haben ganz viele neureiche Russen. Wir haben nach wie vor auch diese Wilmersdorfer Witwen, die natürlich auch finanziell die Möglichkeiten haben. Und ganz viele Touristen. Patrice Wagner Wir laufen auf eine Amerikanisierung der Gesellschaft, das heißt, es wird welche geben, die wenig haben werden, und es wird welche geben, die mehr haben werden. Alte Warteschleife KaDeWe ? nach Melodie von Willkommen (Cabaret) Gad Granach Ein Teil der Menschheit will raus, der andere Menschheit will rein, irgendwo will man immer raus, irgendwo will man immer rein. Atmo KadeWe: Einsteigen in den Fahrstuhl, Gesprächsfetzen Gad Granach Man drängelte immer, in Berlin drängelte man immer, ja. Auch heute noch, die Leute drängeln an den Autobushaltestellen, man stupst, wer zuerst kommt, kocht zuerst, ja. Und auch am Fahrstuhl wurde immer gedrängelt. Man stand doch immer da und wartete und man sah dann war doch so ein Zeichen: erster Stock, er ist jetzt im dritten Stock, er ist jetzt im zweiten Stock, jetzt kommt er gleich, jetzt kommt er gleich. Und dann ging es rein, dann sagt er nochmal: ?Noch reintreten, noch rein, ein bisschen, zurücktreten, ja, nicht mehr. Aufwärts, Glas, Porzellan, Lebensmittel, Spielwaren, im zweiten, im dritten Stock, Kinderkleider, Putz und Schuhe, im vierten Frisiersalon, alles für den Herrn, alles für die Dame, im sechsten Stock Silberterrassen, Erfrischungsraum: Vorsicht Stufe.? Atmo Gourmetstände: Christian Meiser Der Fahrstuhl geht auf, der Kunde kommt raus und sagt: ?Guten Tag, wo ist denn hier Ihre Delikatessen-Abteilung?? Und dann sagen wir: ?Na, Sie sind in der Delikatessen-Abteilung.? Ja, aber wo denn die Delikatessen speziell und dann fragen wir immer gegen: ?Was suchen Sie denn?? ?Na, wir haben in unserem Reiseführer gelesen, hier gibt es geröstete Ameisen.? Dann gucken wir uns den Reiseführer an und sagen: ?2006, der ist zwar sehr aktuell der Reiseführer, aber der Inhalt ist überholt, denn laut Artenschutz dürfen wir eben viele Sachen nicht mehr anbieten.? Sprecherin : Christian Meiser, Leiter der Gourmetstände Christian Meiser Aber das andere bieten wir eben alles an und wir bieten eben ein Koberind an, was ein Rind ist und was eben speziell zubereitet ist bzw. speziell aufgezogen ist, eben mit Massagen, mit Musik etcetera, etcetera , dass es zu einer Qualität kommt, die man eben vielleicht vergleichen kann mit irgendwelchen Sachen, die man früher angeboten hat, die man heute nicht mehr anbieten darf. Musik: Mini Skir, Kronos-Quartett. Aus: Nuevo. Norbert Könnecke Wir verkaufen 60.000 Flaschen Champagner im Jahr, wir schenken 223.000 Champagner im Jahr aus. Sprecherin: Norbert Könnecke, Leiter der Feinschmeckeretage und Gastronomie Norbert Könnecke Das sind alles Zahlen der Superlative und wenn Sie bedenken, dass wir über 6.000 Parmaschinken im Jahr verkaufen, ja, am Tag bis zu 3.000 Baguette, frisch gebacken vom Lenótre, also das sind Zahlen, die sicherlich für Außenstehende außergewöhnlich sind. Für uns ist es Alltag. Musik: Breakfast at Tiffanys, Henry Mancini. Aus: The best of Henry Mancini. Nils Busch-Petersen Ich lebe ja nun bekennend barock auch äußerlich und da hat selbstverständlich die berühmte sechste Etage einen besonderen Wert für mich und hat auch eine sehr hohe Verführungskraft. Christian Meiser Das ist wie einen Berg besteigen, der Mount Everest ist eben der höchste und den macht man zum Schluss. Und wenn man da eben obendrauf ist, dann sagt man: ?Jetzt hab` ich alles erreicht. Es gibt nichts mehr Höheres!? Bazon Brock Ist die Anordnung des Fresstempels ganz oben eben sozusagen eine touristische Zugabe? Hat man das systematisch geplant? Was ist damit vielleicht gemeint? Das Oben natürlich in der Sphäre der Engel, der Luftgestalten, shakespearisch ausgedrückt der Luftgeister, die mediale Transformation nach himmlischen Gesichts- punkten, also:??ich bin ganz verzückt, ich genieße, ich bin ganz weg vor Weinselig- keit?, also alles, was es da oben an Delikatessen der Transzendierung des eigenen Leibes durch Inkarnation gibt. Ist das bewusst da oben angelegt? Musik: Dream a little dream of me, Henry Mancini. Aus: The best of Henry Mancini. Atmo Austernbar, Austernknacken, Gesprächsausschnitt: ?Schön loslösen, ohne dass das Fleisch verletzt wird ... ? Andrew Dean For me oyster, champagne, yes, that?s some sort of paradise ... Ja, das war der schönste Tag im Kadewe, war Winter, war ganz schön mit Freunden. Wir haben pro Nase mindestens 25 Austern pro Nase gegessen. Vielleicht mehr. Ich denke, ich vielleicht mehr. Mit ganz schönem Wein und ein paar anderen Getränken. Es war ganz, ganz schön. Freunde, gute Essen, gute Getränk. Ganz, ganz schön. Patrice Wagner Und ich kann Ihnen sagen, dass wir sehr, sehr, sehr glücklich sind über die Umsatz- und die Ergebnisentwicklung auch sind. Also von daher, machen Sie sich bitte keine Sorgen, uns geht´s gut und es geht uns jetzt besonders gut, seitdem wir diese Veränderungen auch lanciert haben und umgesetzt haben, so dass es uns den Mut gegeben hat und auch gibt, da weiter in diese Richtung zu gehen. Hans-Dieter Werk Handel ist Wandel Patrice Wagner Handel ist Wandel. Und Wandel bedeutet Veränderung. Nils Busch-Petersen Auch in unsicheren Zeiten spielt das Warenhaus seine Rolle als die große Bühne des Einzelhandels, das große Theater, das eben auch nach Inszenierung verlangt und nach einer besonderen Darstellung verlangt, und diese Rolle auch, egal wie tief die jeweilige wirtschaftliche Krise war, in der sich Deutschland befand, diese Rolle hat das deutsche Warenhaus eigentlich immer gespielt. Atmo Luxusboulevard Schmuck: Verkaufsberaterin: Es ist immer happy. Bei uns ist alles happy: happy spirit ... Musik: Into the sunset, Charlie Chaplin: Modern Times Gad Granach Rosl Guttmann, Tante Rosl. Ist möglich, dass sie als Gespenst nachts durch die Lederwarenabteilung geistert und nachguckt, ob die Preise gut dran sind an den Taschen, wie sie dran sein müssen. Das war doch immer ein Theater: ?Die Tasche ist nicht ausgezeichnet, die Tasche muss ausgezeichnet sein!? Vielleicht geistert sie rum und guckt nach, ob die Preise dran sind. We`ll never know. Vielleicht wartet sie auf ´n kleinen Jungen, der reinkommt und eingekleidet werden will. Wir werden es nie wissen. Dieses Warenhaus, dieses KaDeWe, das war ihr Geliebter. Das war ihr persönliches Leben. Nils Busch-Petersen (atmet tief) Tja ... welche Geister da in diesem Haus alle umgehen, das kann man schwer einschätzen. Musik: Mini Skirt, Kronos-Quartett. Aus: Nuevo. Musik endet. Atmo KaDeWe Durchsage: ?Sehr geehrte Kunden, in wenigen Minuten schließen wir unser Haus...? Nils Busch-Petersen Andy Warhol und kein geringerer hat ja mal gesagt: ?Schließe ein Warenhaus heute zu und mach es in 100 Jahren wieder auf. Und du hast ein Museum für moderne Kunst.? Atmo KaDeWe ?Ladies an gentleman ...?; Mitarbeiterinnen beim Verlassen des Gebäudes über den Tunnel Sprecherin Über den Tunnel in der Passauerstraße verlassen die 2000 Mitarbeiter des KaDeWe das Haus. Sie gehen vorbei an einem Zufallsgenerator, wo auf ein Signal hin ihre mitgeführten Taschen und Tüten kontrolliert werden, bis zu den Stechuhren und weiter zum Ausgang. Musik: The funky chicken, Kronos Quartett. Aus: In Formation. Absage: Verführung auf sieben Etagen Das Kaufhaus des Westens und seine Geschichte Feature von Inge Braun & Helmut Huber Gad Granach Ich mach? das manchmal aus Spaß, wenn ich im KaDeWe bin. Dann stelle ich mich in den Fahrstuhl und dann flüstere ich so vor mich hin: Aufwärts, Glas, Porzellan, Lebensmittel, Spielwaren, im zweiten, im dritten Stock, Kinderkleider, Putz und Schuhe, im vierten Frisiersalon, alles für den Herrn, alles für die Dame, im sechsten Stock: Silberterrassen, Erfrischungsraum. Vorsicht Stufe Keiner weiß, keiner versteht, warum ich das mache. Heute werden die Stockwerke doch nicht mehr ausgerufen. Sprecher: Im Originalton hörten Sie: Gad Granach, Gudrun Blankenburg, Bazon Brock, Nils Busch-Petersen, Andrew Dean, Irene Gießmann, Margit Götz, Claudia Gruber, Carry Kloetzel, Norbert Könnecke, Henriette Krumwiede, Oxana Ladvig, Christian Meiser, Heidelore Pahl, Martha Schenker, Dieter Schiffer, Jutta Rudzuk, Patrice Wagner, Hans-Dieter Werk Sprecher: Britta Shulamith Jakobi, Friedhelm Ptok Ton: Bernd Bechtold, Vencke Decker Regieassistenz: Bettina Döbereiner Regie: Annette Berger Redaktion: Renate Jurzik Eine Produktion der Feature-Abteilung des Rundfunk Berlin-Brandenburg mit dem Deutschlandfunk 2007. 27