COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport / 3.2.10 (2) Kreative Milieus: Hamburg (9?07) Autorin: Verena Herb Red.: Claudia Perez Atmo Straße ?Schulterblatt?, Schanzenviertel Das Schulterblatt, die Hauptverkehrs- und Flaniermeile des Schanzenviertels. Was damals linksautonomes Wohnviertel war, ist heute das Szeneviertel von Hamburg. Immer noch derb, immer noch ein bisschen alternativ, aber vor allem hip. Und so haben sich im Laufe der Zeit immer mehr Künstler und Designer, Werbeagenturen und Kreativwerkstätten angesiedelt. In der Schanze lebt kreatives Milieu: O-ton Generell kann man sagen, dass diese kreativen Milieus aus heterogenen Nutzungsmischungen bestehen. Die räumlich sich an unterschiedlichen Orten der Stadt herausgebildet haben. Generell kann man sagen, dass viele Leute in kreativen Branchen arbeiten ? also als Designer, Schauspieler, Künstler ? aber auch in der Werbe- oder Softwareindustrie Definiert Klaus Overmeyer vom Studio Urban Catalyst. Der Berliner hat im Auftrag der Stadt Hamburg eine Studie erstellt. Der Titel: Kreative Milieus und offene Räume in Hamburg. O_Ton Wir haben versucht rauszufinden, was kreative Milieus sind, wo sie sich in Hamburg befinden, was künftige Potentialräume sind und wie sich die Stadtentwicklung in Zukunft ausrichten muss, um kreative Milieus nach Möglichkeit zu fördern. Rudolf Klöckner ist Teil des kreativen Milieus auf der Schanze. Zumindest wohnt und arbeitet er dort. Der junge Stadtentwickler ist ein Mitglied von SpaceDepartment, einem Kollektiv junger Stadtdenker ? Studenten und Absolventen, die Stadtplanung und Stadtentwicklung studieren oder studiert haben. Seiner Meinung nach lassen sich kreative Milieus nicht definieren, nicht festsetzen auf bestimmte Berufszweige und Gewerbe: O_Ton Wenn ich durch bestimmte Straßen gehe, dann kriege ich ein gewisses Gefühl von einem kreativen Milieu. Dann fühle ich, dass irgendwie Kreativität in der Luft von der Stadt ist. Ich glaube, das geht vielmehr darum, als um feste und vor allem messbare oder statistisch messbare Werte. In der Schanze, da spüre er dieses kreative Flair. Obwohl viele sagen würden, dass das Areal zwischenzeitlich etabliert ist: Als hipper Bezirk mit Kreativcharakter ? und mit hohen Mieten. O-Ton Overmeyer In der Regel sind diese kreativen Milieus unfertige Räume. Sind also nicht fertig bebaut, und bis ans Ende ausgenutzt. Sondern verfügen teilweise über Leerstände und Spielräume. Sie bilden einen sehr innovativen Nährboden für die Erfindung von neuen Kulturen. Kultureller Innovation und sind sehr experimentell. Experimentell? Mit Leerständen? Das trifft auf das Schanzenviertel nicht mehr zu. Ähnlich ist es in den Stadtteilen Ottensen und Altona oder teilweise auch auf St. Pauli. Auch dort haben sich kreative Milieus gebildet, die Mieten steigen stetig. Ebenso wie die Konkurrenz um offene Räume, zentrumsnah. Klaus Overmeyer: O-ton Im Zentrum selbst ist das Klima sehr überhitzt. Dort gibt es einen sehr hohen Nachfragedruck. Nicht nur von Künstlern und Kreativen sondern auch von Menschen die dort wohnen wollen, oder ihr Unternehmen gründen wollen. Und dementsprechend gering sind da natürlich auch die kreativen Spielräume und Experimentierfelder. Nichts desto trotz verfügen gerade diese innerstädtischen Viertel über sehr starke kreative Milieus, die sich im Laufe von vielen Jahrzehnten entwickelt haben. Zum Beispiel im Karoviertel, in der Schanze, in St. Pauli. Und eher etabliert in Ottensen. O-Ton Es geht um gewachsene Strukturen und genau das zeigt uns die Geschichte hier und das ist genau zeigen uns diese Orte. Die wir jetzt als kreative und Szenequartiere bezeichen ? sind gewachsene Orte, und keine geplanten Orte. Dementsprechend sollte man langsam diese Planung mehr und mehr streichen und mehr in Richtung ?zeitgenössischen Urbanismus?, Stadtentwicklung oder, oder, oder nennen. Also weg von der konservativen europäischen StadtPLANUNG ? und das Wort Planung durch ?Entwicklung? ersetzen ? dafür plädiert Stadtdenker Klöckner. Mit diesem Denkansatz rennt er bei der Behörde für Stadtentwicklung mit Frontfrau Anja Hajduk an der Spitze, offene Türen ein. Die grüne Senatorin hat das Gutachten Anfang 2009 in Auftrag gegeben, um den Weg mehr und mehr in Richtung ?zeitgenössische Stadtentwicklung zu lenken?. Nutzer von Stadtfläche sollen künftig als ?Partner? und nicht als Betroffene behandelt werden. Das gilt auch und gerade bei Arealen, die im Umbruch sind: Transformationsräume nennt dies der Fachmann Klaus Overmeyer: O-Ton Es gibt natürlich unterschiedliche, gerade von kreativen Milieus ? einerseits eher Milieus in Umbruchsituationen ? also wie z.B. in Brandshof oder Rothenburgsort, dort wo Gebiete aus der Produktion oder der bisherigen Nutzung herausgefallen sind. Und wo Raumpioniere sie neuen Nutzungen zuführen. Eine Art Raumpioniere im Overmeyer´schen Sinn waren auch die Künstler, die das Gängeviertel besetzt haben. Die Besetzung des Gängeviertels im August 2009 spielte der Senatorin bei der Etablierung einer neuen Stadtentwicklung im ?kreativ-ökologischen Sinn? dabei in die Hände: Der Sieg der Künstler über geldgierige Investoren, der Kampf um die lebendige Stadt in der mehr zählt als nur der Gedanke an die Rendite. Der schwarz-grüne Senat hat den Investor ausbezahlt und wird nun in Zusammenarbeit mit den Künstlern ein gemeinsames Nutzungskonzept erstellen. Verwandelt sich die Stadt der Kaufleute langsam in ein Paradies der Kreativen? So weit ist man noch lange nicht. Doch die Art des Denkens scheint sich zu ändern. Das findet auch Lukas Halemba ? ebenfalls Mitglied von SpaceDepartment. Knapp 2 Jahre konnten die jungen Stadtentwickler Räume im ehemaligen Frappant-Gebäude in Altona zwischen nutzen, bei sehr geringer Miete. In wenigen Wochen müssen sie umziehen, da IKEA dort ein innerstädtisches Möbelhaus errichten will. Doch alleine die Tatsache, dass es die Möglichkeit zur Zwischennutzung für Künstler und Kreative in leerstehenden Gebäuden gibt ? daran habe man vor 10 Jahren noch nicht gedacht. O_ton Es war halt immer die Rede davon: Ok, es findet in Berlin statt aber weniger in Hamburg. Aber mittlerweile zeigt sich, dass einfach das Bedürfnis da ist. Ok, man braucht vielleicht gar nicht mehr nach Berlin zu ziehen. Man kann auch in Hamburg bleiben. Endlich geht hier auch was. Doch nicht bei allen herrscht eine solche Euphorie: Viele sehen hinter der neuen Haltung zu kreativen Milieus den Primat der Wirtschaft. Interessante Städte locken mehr Unternehmen an als langweilige, also macht sich Hamburg interessant. Dafür möchten sich einige lokale Talente nicht missbrauchen lassen. O-Ton 0´16 Wir werden vor den Karren gespannt, wir sollen quasi zur Marke Hamburg dazugehören ? Aber letztendlich ist die Marke der Karren, der hintendran hängt. Wir sind die Esel, die den Karren mitschleppen, obwohl wir ihn nicht gebaut haben, den wir nicht sehen können, den wir nicht mögen. Ein Karren der stinkt und den ich nicht vorantreiben möchte. Sagt Rocko Schamoni, Musiker, Komponist, Autor und Club-Betreiber. Er steht hinter dem Manifest ?not in our name?, das Ted Gaier, der Gitarrist der Hamburger Punkband ?die goldenen Zitronen? verfasst hat: O-ton 0´30 Also, wenn das das Hamburg ist: Bitte, macht Euren Scheiß. Aber lasst uns daraus. Das war eigentlich der Impuls zu sagen: Not in our Name. Dass die Freie und Hansestadt Hamburg sich aufmachen will, um freie Flächen zu entwickeln und offene Räume entstehen zu lassen, wird jedoch von einem Großteil der Zielgruppe, also der Kreativen und Künstler, begrüßt wenn nicht sogar unterstützt. Wenngleich die Verantwortung der Stadt klar gemacht werden muss, sagt Rudolf Klöckner: O_Ton Diese offenen Räume müssen geschaffen werden durch die Stadt, weil die Stadt sitzt letztendlich am effektivsten und am längsten Hebel. Weil sie das Planungs-Know how haben, weil sie aber im Besitz der Liegenschaften und der Flächen sind. Atmo Auto fährt über Brücke, draußen Stadtauswärts Richtung Elbe, hinter den Deichtorhallen, wo zeitgenössische Kunst und Photografie ausgestellt wird, liegt der Oberhafen. Ein ehemaliges Hafenbecken, dass sich von einem Bahn-Viadukt auf der einen Seite, über die Flächen des Großmarktes hin zum sogenannten Brandshofer Deich erstreckt. Braune Gewerbebauten, Lagerschuppen und betonierte Freiflächen dominieren den ersten Eindruck. Öde erscheint es hier, ein konservatives Gewerbegebiet. Dazwischen eine Imbissbude und ein Kiosk. Der einzige Lichtblick: Die Oberhafen-Kantine. Eine original erhaltene Kaffee-Klappe, wo damals Seeleute und Hafenarbeiter frühstückten oder zu Mittag aßen. Heute ist das kleine windschiefe Haus ein Restaurant und ist ein Touristenmagnet. Schritte über Asphalt Rudolf Klöckner und Lukas Halemba gehen quer über einen mit Pflastersteinen ausgelegten Platz. Rechts baut Vattenfall ein neues Umspannwerk für die Hafencity, links erstreckt sich eine Lagerhalle über mehrere hundert Meter. Graffiti an den Wänden versteckt, dass der Putz langsam abblättert. Manche Scheiben sind eingeschmissen. Die beiden jungen Stadtplaner bleiben fasziniert stehen: O_Ton Das ist ein Areal wo ich mir vorstellen könnte: Wenn ich hier langgehe, dann sprechen mich halt verschiedene Sachen direkt an. Ich sehe, dass hier irgendwie noch so ne Umbruchstimmung herrscht. Dass man noch was entdecken kann. Ich glaube, es geht darum, dass es noch offene Räume und noch Möglichkeitsräume gibt, wo man was machen kann. Wo´s ne große Halle gibt, wo ich weiß: Die ist vielleicht leer, die ist vielleicht nicht leer. Vielleicht gibt es schon Nutzung. Vielleicht kann ich auch Teil der Nutzung sein, mich da andocken. O-Ton Es ist halt: Räume die uns ansprechen, sind eben immer aus ?der Nutzung gefallene? Räume. Sowas wie hier. Irgendwelche alten Lagerhallen, Räume, die halt auch sehr viel Gestaltungsfreiraum bieten. Das ist halt irgendwie das wichtigste. Nicht wenn man ne Zwangsjacke an hat, sondern wenn man weiß: Ok, hierdraus kann ich irgendwas machen. Rudolf Klöckner und Lukas Halemba sind Raumpioniere, nach der Definition von Klaus Overmeyer O_Ton Raumpioniere sind Menschen, die mit sehr wenigen Mitteln Räume aufschließen, die nutzlos geworden sind, oder die sich in so ner Warteschleife befinden. Und diese Räume nutzen, um eigene Projekte zu machen. Und der Oberhafen ist dafür ein geeignetes Areal ? bestätigt die Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk: O_Ton Das Gutachten zeigt auf, dass der sogenannte Oberhafen ein interessanter Potentialraum ist für Künstler und Kreative. Teilweise sind auch jetzt schon Leute dort. Und insofern werden wir uns mit diesem Thema beschäftigen. Wie können in der östlichen Stadt, auch in Wasserlagen, Räume erschlossen werden, die ein interessantes Milieu bilden können. Die Erschließung des Oberhafenareals ist in vollem Gange: An der westlichen Seite des Bahndamms wird das Wohnquartier ?Am Lohsepark? mit einer größeren Grünfläche entstehen. Östlich davon soll das Projekt DesignXport (designexport ausgesprochen) umgesetzt, die Hafencity Universität sowie die Greenpeace Filiale gebaut werden. An der nordöstlichen Spitze dann: Das neue Spiegel-Gebäude. Diese Pläne erinnern sehr an die Situation in der westlichen Hafencity. Ist da noch Platz für die Entwicklung freier, offener Räume durch eben jene Raumpioniere? Man wird sehen, ob aus einer guten, innovativen Idee auch tatsächlich ein Projekt wird. Auch daran muss sich die Stadt Hamburg dann messen lassen. 2