DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 26.06.2007 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr "Ich konnte wohl annehmen, dass meine Karriere gesichert sei." Der Dirigent Hans Schwieger - eine Spurensuche Von Peter Lange URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - O-Ton: Ursula Bernhardt Ich hatte das Glück, dass eine Cousine von mir mit einem Dirigenten verlobt, später verheiratet war, so dass ich sehr viel in die Oper ging ... . O-Ton 2: Göring Reichsbürger ist nur der Staatsbürger deutschen und artverwandten Blutes. ... . O-Ton: Ursula Bernhardt Wir hörten das im Radio und waren drei gemischte Paare in einem verdunkelten Zimmer. O-Ton: Göring Eheschließungen zwischen Juden und Staatsbürgern deutschen und artverwandten Blutes sind verboten. O-Ton: Ursula Bernhardt Meine geschiedene Mutter mit ihrem sogenannten arischen Freund ( ... ), die erwähnte Cousine mit dem Dirigenten und ich mit meinem Freund, der Medizinstudent war ( ... ) Und für uns alle war in diesem Moment klar, dass man auswandern musste. Autor: Ursula Bernhardt, eine 1936 aus Deutschland emigrierte Berlinerin. Vor Jahren hat sie mir in einer Rundfunksendung aus ihrem Leben erzählt. Wie hieß eigentlich dieser Dirigent, frage ich viel später. Schwieger, sagt sie, Hans Schwieger. Ich suche den Namen in den einschlägigen Musik-Lexika - Fehlanzeige. Auch in den Standardwerken über die deutsche Emigration kein Eintrag. Wer war dieser Hans Schwieger? Was ist aus ihm geworden? Programmsprecher: "Ich konnte wohl annehmen, dass meine Karriere gesichert sei." Der Dirigent Hans Schwieger - eine Spurensuche von Peter Lange Autor: Bei Google gebe ich "Hans Schwieger" ein. 148 Treffer, in der Mehrzahl websites von Plattenläden, die Aufnahmen von Schwieger im Angebot haben: Rosvaenge und die Leichte Muse; Prokoviews symphonische Walzer-Suite; Balakirews Overtüre über russische Themen; Jan Peerce singt Händel-Arien. Dann, stoße ich auf Suchergebnis Nummer 28 - die Website des New Sentinel, Fort Wayne, Texas. Ein Zeitungsartikel von 1999, der die Stimmung in der Region gleich nach Kriegsende 1945 wiedergibt und dabei auch das Fort Wayne Philharmonic Orchestra erwähnt. 2. Zitator: Der Erste Dirigent war Hans Schwieger, ein Flüchtling aus Hitler-Deutschland. Die Musiker waren eine Mischung aus ernsthaften Amateuren und Berufsmusikern, die jeweils für eine Saison von Orchestern in Chicago und anderen größeren Städten engagiert wurden. Autor: Suchergebnis Nummer drei: Kansas City Public Library - Kurzanzeige diverser Materialien über das Kansas City Philharmonic; Autogrammfotos seines langjährigen Dirigenten Hans Schwieger, dazu Aufnahmen von öffentlichen Proben, archivierte Artikel über das Orchester und seinen Dirigenten, per Mail bestellbar. - Suchergebnis Nummer 63: Ein Artikel aus dem Time Magazine vom 1. April 1946. 2. Zitator: Schwieger gewann die Herzen seiner ernsthaften Amateurmusiker, aber er schonte sie niemals. Er sagte: Ich halte sie unter Spannung. Man muss psychologisch vorgehen. Sie mögen mich, aber glauben Sie, sie bekommen alles auf der Welt mit Freundlichkeit? Nein. Ich sage zu ihnen: Es ist mir egal, ob ihr mich mögt. Hasst mich. Aber spielt. Autor: Treffer Nummer 105: Appalachian Online. Die Studentenzeitschrift der Appalachian University in Columbia, North Carolina spricht mit dem Dekan Francis T. Borkowski, der im September 2003 ein Sabbatical plant. 2. Zitator Im Moment ist Borkowski sehr beschäftigt mit der Vorbereitung einer Reise nach Washington. Außerdem plant er ein Buch zu schreiben über einen seiner deutschen Lieblingsdirigenten, über Hans Schwieger. Autor: Ich schicke eine Mail: Sehr geehrter Professor Borkowski. Wie weit sind Sie mit Ihrem Buch über Hans Schwieger? - Auch bei der Stadtbibliothek von Kansas City frage ich nach Material über Schwieger und erhalte zwei biografische Artikel aus den 60er Jahren und einen Nachruf: 2. Zitator Hans Schwieger starb am Mittwoch, dem 2. Februar 2000 im Alter von 93 Jahren in Naples, Florida. Autor: Es folgen die wichtigsten biografischen Daten: Geboren 1906 in Köln, Studium bei Walter Braunfels und Hermann Abendroth, Assistent von Erich Kleiber an der Berliner Staatsoper, Dirigent in Kassel, Augsburg und Mainz, 1934 Gastdirigent der Berliner Philharmoniker, danach Generalmusikdirektor in Danzig, Emigration über Japan in die USA, Direktor des Kansas City Philharmonic Orchestra bis 1971. Der letzte Satz lautet: 2. Zitator Er hinterlässt seine Frau, Mary Shields Schwieger, sowie zwei Brüder in Deutschland. Autor: Im Kölner Telefonbuch taucht der Name Schwieger acht Mal auf. Bei der dritten Nummer meldet sich eine Frau. Haben Sie in Ihrer Verwandtschaft einen Dirigenten namens Hans Schwieger? Ja, sagt die Frau, das ist mein Schwager. O-Ton: Gisela Schwieger ( ... ) Das war ja immer nur ( ... ) ein kurzes Treffen. Dann hat er in Bonn mal dirigiert, da waren wir in Bonn mit ihm zusammen. Dann war er auch in Stuttgart zu Aufnahmen, da haben wir uns in Stuttgart getroffen. Und immer wenn er hier in Köln war, wenn er in Deutschland war. Dann haben wir uns gesehen. Autor: Gisela Schwieger, lebt mit ihrem Mann, Günter Schwieger, in einem schlichten Zwei- Familienhaus in Köln-Lindenthal. Es ist das Elternhaus; hier ist Hans Schwieger aufgewachsen, als ältester von fünf Brüdern. Günter, inzwischen 80 Jahre alt, war der jüngste. O-Ton: Günter Schwieger Wenn er hier war, dann hat er hier auch oft am Klavier gesessen und dirigiert. Das weiß ich noch. Und er war ja dann auch immer nur stundenweise da. Ich kenne ihn ja nur als Besuch. Der Altersunterschied ist ja zu groß. 19 Jahre ... . Autor: Bei meinem Besuch lerne ich auch Ria Schwieger kennen. Sie ist die Witwe des mittleren Bruders Kurt Schwieger. Zu ihm hatte Hans Schwieger bis zuletzt den engsten Kontakt. O-Ton: Ria Schwieger Das Elternhaus: Kurt hat es immer sehr gut beschrieben, sehr harmonisch beschrieben. Die Eltern haben sich mit ihren fünf Jungen sehr gut verstanden. Sie sind samstags in irgendeine Gaststätte am Ring gegangen, ( ... ) Und Vater war stolz, wenn seine fünf Söhne dann da auftauchten mit den Bekannten, und waren da immer willkommen. Autor: Ich erhalte eine Mail von Frank Borkowski. Das Buch über Schwieger sei noch in der Vorbereitung, teilt der Professor aus North-Carolina mit. Und er berichtet, wie sein Kontakt zu Schwieger zustande gekommen ist. 2. Zitator Meine Frau Kay ist Flötistin. Sie hat Maestro Schwieger als Elfjährige kennen gelernt. Er war damals Dirigent des Fort Wayne Philharmonic Orchestra. Sie spielte ihm vor, und er organisierte ein kostenloses Stipendium bei dem ersten Flötisten des Orchesters. Im Februar 1995 haben wir uns mit ihm in Verbindung gesetzt und ihn und seine Frau in Naples, in Florida besucht, wo er als Pensionär lebte. Autor: Hans Schwieger, so erfahre ich von Frank Borkowski, hat seinen Nachlass der Appalachian University vermacht: Sein Klavier, seine Platten, Partituren, Fotos und Schachteln voller Presseartikel. Aus diesem Nachlass schickt mir Frank Borkowski einen zwölfseitigen autobiografischen Text, von Hans Schwieger 1978 in Englisch verfasst, unter dem Eindruck der Fernsehserie Holocaust. 1. Zitator (Schwieger): Mein Vater war Unternehmer, und er hoffte, dass ich als ältester Sohn eines Tages die Firma übernehmen würde. Leider habe ich ihn enttäuscht, denn ich studierte Musik und wurde später Dirigent. Meine Mutter starb bei der Geburt eines zweiten Sohnes. Ich war damals dreieinhalb Jahre alt. Als ich 11 Jahre alt war, heiratete mein Vater nochmals, und zwar die jüngere Schwester meiner Mutter. Mit ihrer Hilfe war es möglich, mich ganz in die Musik zu vertiefen. O-Ton: Ria Schwieger ( ... ) Und die hat er hochgeschätzt, weil sie auch seine Musikalität gefördert hat. Sie hat das entdeckt, sie ist mit ihm zum Lehrer gegangen, sie hat auch dafür gesorgt, dass er ein Klavier bekam und Unterricht bekam 1. Zitator (Schwieger): Im Jahr 1927 war der 100. Todestag Beethovens. Die Stadt Bonn hatte Erich Kleiber, den Leiter der Berliner Staatsoper, als Gastdirigenten ( ... ) eingeladen. Ich lernte Kleiber kennen. Er bot mir an, sein Assistent zu werden. So war ich drei Jahre lang an der Berliner Staatsoper tätig. Nach zwei Zwischenengagements wurde ich 1932, kurz vor meinem 26. Geburtstag, Städtischer Kapellmeister in Mainz. O-Ton: Gisela Schwieger ( ... .) Davon hat er ( ... ) nie erzählt. Teilweise wussten wir das durch Erzählen der Eltern ( ... ) Die Zeit vor 33, die hat er abserviert, die war bei ihm nicht mehr vorhanden. Das Gefühl hatten wir oft. Musik: Prokofiev - Sinfonische Walzersuiten, Op.100 Autor: Bei Ebay habe ich eine Platte von Hans Schwieger ersteigert, Prokofievs sinfonische Walzersuiten. Dem Text auf dem Cover entnehme ich: es ist die erste Platte, die das Kansas City Philharmonic Orchestra aufgenommen hat. Schwieger war ab 1948 sein Chefdirigent. Musik Autor: Mit einer Vollmacht von Günter Schwieger fahre ich nach Mainz. Die Mitarbeiter des Stadtarchivs haben zwei Akten gefunden. Die dünnere enthält die Unterlagen über das Auswahlverfahren für einen Dirigenten. Die dickere ist die Personalakte von Hans Schwieger. Sprecherin: 1932 lässt die Stadt Mainz in mehreren deutschen Tageszeitungen und Fachblättern eine Anzeige schalten: Für das Stadttheater werden ein neuer Intendant und ein Kapellmeister gesucht. Mainz hat in der föderalen deutschen Kulturlandschaft einen guten Klang. Die Karriere vieler berühmter Musiker, etwa die von Otto Klemperer hat hier ihren Anfang gehabt. Die Musikhochschule und die Mainzer Liedertafel sind weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Der Musikverlag Schott hat hier seinen Sitz Autor: In der dünneren Akte finde ich die Liste der Bewerber: 133 Dirigenten, alphabetisch sortiert, der jüngste ist 25, der älteste 64. Unter Nummer 97 findet sich: Schwieger, Hans, 26 Jahre alt, Kapellmeister am Stadttheater Augsburg. Die Personalakte enthält sein mit selbstbewusster Handschrift verfasstes Bewerbungsschreiben. 1. Zitator (Schwieger): An die Bürgermeisterei der Stadt Mainz. Unter Bezugnahme auf das Inserat in der Frankfurter Zeitung gestatte ich mir, der verehrten Bürgermeisterei der Stadt Mainz mein Angebot als Städtischer Kapellmeister zu unterbreiten mit der höflichen Bitte, in Prüfung meiner Bewerbung einzutreten. Autor: Es folgen Empfehlungsschreiben - von Hermann Abendroth, Generalmusikdirektor in Köln; von Erich Kleiber, dem Chef der Lindenoper in Berlin, und vom Augsburger Intendanten Gernot Burrow. Der schreibt an seinen Kollegen in Mainz: 2. Zitator: Herrn Schwieger, den ich für einen außerordentlich begabten, ungemein befähigten Dirigenten halte, und dessen Können von der hiesigen Kritik ohne Ausnahme voll und ganz anerkannt wird, kann ich Ihnen nur empfehlen. Ich will nicht auf die Verhältnisse am hiesigen Theater eingehen, aber es ist hier wie überall, wenn der zweite Kapellmeister dem ersten weit überlegen ist; zumal wenn er noch so jung ist, kommt es zu Differenzen. Ich glaube, dass Sie mich verstehen. Sprecherin: Der Mainzer Stadtrat sichtet in den folgenden Monaten die Bewerbungen und verständigt sich am Ende: kein Ausländer und auch kein älterer Dirigent mit großem Namen soll zum Zuge kommen. 2. Zitator: Man wolle einen jüngeren, aufstrebenden Dirigenten mit verheißungsvoller Begabung nehmen, der allerdings über einige Erfahrungen verfüge, aber hier bei der Arbeit seine Fähigkeiten beweisen solle. Sprecherin: Hans Schwieger und zwei Mitbewerber kommen in die engere Wahl und werden zu einem Probedirigieren nach Bad Nauheim eingeladen. Schwieger ist bereit, zunächst einmal ein Engagement für neun Monate auf Probe einzugehen, als "koordinierter 1. Theaterkapellmeister", aber noch nicht als Chef des Orchesters. Er wird 400 Mark monatlich verdienen, 270 Mark weniger als sein nachgeordneter älterer Kollege im Orchester. Schwieger hat keine andere Wahl, für die kommende Spielzeit 1932/33 hat er noch keine Stellung. Dienstbeginn in Mainz ist der 1. September 1932. Autor: Die Mitarbeiter des Stadtarchivs Mainz suchen mir die Theaterzettel jener Zeit heraus. Schwiegers Name taucht erstmals am 6. Oktober 1932 auf, als musikalischer Leiter der Oper Salome von Richard Strauss. Es folgen "Die Macht des Schicksals", "Tristan und Isolde" und "Orpheus in der Unterwelt." 1. Zitator (Schwieger): ... Zudem führte ich Symphoniekonzerte auf, war Mitleiter des Konservatoriums und zusätzlich Direktor der Mainzer Liedertafel, die vorher von Otto Klemperer dirigiert worden war. Keiner in meinem Alter hatte in Deutschland eine solche Position. Ich konnte wohl annehmen, dass meine Karriere gesichert sei. Im Oktober 1932 heiratete ich Elsbeth Bloemendal. Autor: Hans Schwieger überzeugt in Mainz offenbar auf Anhieb. In der Personalakte finde ich den Entwurf eines Anschlussvertrages, den ihm Bürgermeister Hermann Hiemenz, ein Zentrumsmann, schon Anfang Januar 1933 geschickt hat, also vier Monte nach Dienstantritt. Die Verhandlungen in den städtischen Ausschüssen ziehen sich aber hin. Erst zum 1. Mai 1933 wird Schwieger, nun mit allen Rechten und Pflichten, zum Städtischen Kapellmeister in Mainz berufen. Der Vertrag ist befristet bis Ende August 1934. Sprecherin: Am 30. Januar 1933 erläutert der Mainzer Intendant Trede vormittags auf einer Pressekonferenz das Programm der neuen Spielzeit, in der das 100-jährige Bestehen des Stadttheaters gefeiert werden soll. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler kommt es auch in Mainz zu Zusammenstößen zwischen Teilnehmern einer linksgerichteten Demonstration und einem Fackelzug der NSDAP-Anhänger. - Die politische Realität hat den Künstler Hans Schwieger schon ein paar Wochen zuvor erreicht. Am 18. Januar waren 20 SA-Leute in Uniform in ein Sinfoniekonzert gekommen. In der Stadt hatte das für großes Aufsehen gesorgt. Autor: In der Personalakte finde ich unter dem 22. Mai 1933 ein Schreiben der Musikhochschule Mainz: 2. Zitator: Durch das Ausscheiden des Herrn Direktors Gal war es notwendig, dass der Unterricht der Dirigentenklasse je vier Sunden wöchentlich und die Orchesterübungen ebenso vier Stunden wöchentlich durch Herrn Kapellmeister Schwieger vertretungsweise gehalten wurden. Sprecherin: Der österreichische Komponist Hans Gal war am 29. März von der Stadtverwaltung als Leiter der Musikhochschule beurlaubt worden, seiner jüdischen Herkunft wegen. Hans Schwieger übernimmt seine Lehrverpflichtungen. Als die Bürgermeisterei sich weigert, die extra Stunden zu vergüten - es sei ja eine ehrenamtliche Tätigkeit, schreibt Schwieger an den von den Nationalsozialisten eingesetzten Staatskommissar Barth: 1. Zitator (Schwieger): Um jedes Missverständnis zu meiden, möchte ich Ihnen vorweg sagen, dass ich persönlich stets meine Interessen der Allgemeinheit untergeordnet habe und nicht ich, sondern die Musikhochschule die betreffende Honorierung meiner Tätigkeit beantragt hat. Umso selbstverständlicher ist es für mich, im Interesse der Stadt rückhaltlos auf jede Vergütung zu verzichten. Sprecherin: Am 8. Oktober 1933 leitet Schwieger die Festaufführung der Mozart-Oper "Titus" zur Hundertjahrfeier des Mainzer Stadttheaters. Der Höhepunkt seiner bisherigen Karriere. So schreibt der Mainzer Anzeiger in seiner Beilage zum Jubiläum: 2. Zitator: Hans Schwieger, der gegenwärtige Orchesterleiter hat durch seine bisherige Tätigkeit bewiesen, dass er sich seiner Verantwortung bewusst ist, die diese Tradition verlangt und dass er den strebenden Willen und das fundierte Können sein eigen nennt, diese Altmainzer Tradition zu wahren und zu vertiefen. Sprecherin: Ende Februar 1934 steht Schwiegers berufliche Zukunft auf der Kippe. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums verlangt einen Ariernachweis. Für ihn kein Problem, aber unmöglich für seine Frau Elsbeth. Die Stadt will seinen Vertrag nun nicht mehr verlängern. 2. Zitator: Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Der Städtischer Kapellmeister, Herr Hans Schwieger, hat sich an uns mit der Bitte um Klarstellung gewandt, wie sich seine Zukunft, da er mit einer holländischen Jüdin verheiratet ist, in Deutschland gestalten könnte. Autor: Ein Schreiben der Reichsmusikkammer, Fachverband B - Reichsmusikerschaft - an den Mainzer Oberbürgermeister. 2. Zitator: Grundsätzlich sollen auch die Arier, die eine jüdische Frau haben, für den Staats- und städtischen Dienst nicht vorgesehen werden. Bei künstlerischen Leistungen soll aber kein zu strenger Standpunkt eingenommen werden. ( ... ) Wenn Sie mit den künstlerischen Leistungen des Herrn Kapellmeisters Schwieger zufrieden sind, so bitte ich ihn in seiner Stellung trotz der jüdischen Frau zu belassen. ( ... ) Aus außenpolitischen Gründen möchte ich im Augenblick zur Vorsicht raten. Sprecherin: Die Leitung der Reichsmusikerschaft hatte sich vor ihrer Stellungnahme sogar bei Rudolf Hess rückversichert. Auch der Münchner Operdirektor Hans Knappertsbusch, Verwaltungsrat der Reichskulturkammer, setzt sich für den Mainzer Dirigenten ein. Vergebens. In seinem Antwortschreiben macht der Oberbürgermeister Sparmaßnahmen geltend. Dass die jüdische Herkunft von Elsbeth Schwieger eine Rolle gespielt habe, bestreitet er. Autor: In der Personalakte finde ich eine eidesstattliche Erklärung Schwiegers über ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister, der darauf beharrt habe, den Vertrag nicht zu verlängern. Er sehe überhaupt nicht ein, warum er bei Künstlern irgendwelche Ausnahmen machen solle. 1. Zitator (Schwieger): Demgegenüber erklärte ich: Dann hat also selbst die Entscheidung des Stellvertreters des Führers keinen Sinn? Dann kann ich also in Deutschland trotz dieser Entscheidung keine Stellung mehr erhalten?" Darüber geriet der Oberbürgermeister in starke Erregung und erklärte mir in überlautem scharfem Tone: "Kommen Sie mir nicht vom Thema ab; ich kann das nicht leiden!" Darauf verließ ich mit dem deutschen Gruß das Amtszimmer. Autor: Auf den Theaterzetteln taucht Schwiegers Name ab März nicht mehr auf. Laut Steuerkarte bekommt er noch Gehalt bis zum Ende seines Vertrages, also bis Ende August 1934. - Eine andere Spur von Hans Schwieger führt mich in Mainz in eine Kirche. O-Ton: Ria Schwieger Er muss in Mainz geheiratet haben, denn es ging um die Stephanskirche mit den Chagallbildern, die ich dann später auch mal besichtigt habe (...) Die Hochzeit hat mit der Elsbeth in dieser Stephanskirche stattgefunden. Autor: Die freundliche Mitarbeiterin des Pfarramts St. Stephan greift nach einem großen Folianten: Das Trauungsbuch der Gemeinde. Wir gehen die Namen der Eheschließungen durch: Jahrgang 32 - Fehlanzeige, 33 - ebenfalls. Erst unter dem Juni 1934 finden wir die Namen Hans Schwieger und Elsbeth Bloemendal. 1932 haben die Beiden in Köln nur standesamtlich geheiratet. Nun, wo in Mainz seine Karriere wegen dieser Ehe vorbei ist, da heiratet Hans Schwieger seine Elsbeth auch noch kirchlich. Als künftiger Wohnort des Ehepaares ist angegeben: Todtmoos im Schwarzwald. Musik: Roy Harris, Sinfonie Nr.3 1. Zitator (Schwieger): Ich ging nach Berlin, weil Furtwängler mir helfen wollte und mich einlud, die Berliner Philharmoniker zu dirigieren Sprecherin: Hans Schwieger ist nach seinem Abgang in Mainz verfemt. Wilhelm Furtwängler bespricht den Fall Schwieger im Oktober 1934 mit Staatssekretär Funk vom Propaganda-Ministerium. In einer Notiz über dieses Gespräch, die sich im Nachlass Furtwänglers findet, heißt es: 2. Zitator: Ein Engagement des Kapellmeisters Schwieger ist wegen nicht-arischer Ehefrau bedenklich, in jedem Falle jedoch genehmigungspflichtig Sprecherin: Ein einziges Mal, am 8. Januar 1935, darf Schwieger die Philharmoniker dirigieren. 1. Zitator (Schwieger) Unser Geld wurde immer weniger. Langsam gelangten wir an den Nullpunkt Autor: Google, Suchergebnis Nr. 136. Österreichische Nationalbibliothek. Der Name Hans Schwieger taucht im Nachlass von Hans Pfitzner auf. Jener Komponist und Musikpädagoge, der sich wie kaum ein anderer den Nationalsozialisten verbunden fühlte, hat im September 1934 ein Referenzschreiben für Schwieger an den Gauleiter von Nürnberg geschickt. Dort wird ein neuer Generalmusikdirektor gesucht. 2. Zitator: Gegen die Anstellung des Herrn Kapellmeisters Hans Schwieger, den ich für den Städtischen Musikdirektorenposten in Münster schon wärmstens empfohlen habe, besteht keinerlei Bedenken. Sprecherin: Aber auch mit Nürnberg wird es nichts. Erst im Sommer 1935 gibt es für Hans Schwieger neue Hoffnung. Er wird nach Krefeld engagiert. O-Ton: Günter Schwieger Ich weiß, dass er in Krefeld ausgepfiffen worden ist. Das muss sehr früh gewesen sein ... ... . 2. Zitator: Der neu verpflichtete Musikdirektor Hans Schwieger aus Berlin, dessen Ehefrau Jüdin ist, mit der er zur Zeit in Scheidung lebt, leitete eine Wiedergabe der Wagner'schen Musik aus Lohengrin. Autor: In dem Buch "Krefelder Juden" finde ich einen Gestapo-Bericht über ein Konzert am 1. Juli 1935. Hans Schwieger soll die neue Spielzeit des Stadttheaters eröffnen. 2. Zitator: Im gleichen Augenblick, als das Theaterorchester einsetzte, erfolgten Zwischenrufe, Pfeifen und Niederrufe auf Schwieger. 1. Zitator (Schwieger): Einige Minuten, nachdem ich zu dirigieren angefangen hatte, rief es aus der Menge: Raus, raus, der Schwieger ist ein Judenknecht! Meine erste Reaktion war: Lass dich durch die Kerle nicht unterkriegen! Aber das Schreien wurde immer lauter. Man konnte die Musik nicht mehr hören. Schließlich hörte ich auf zu spielen. Sprecherin: Der Vertrag mit Schwieger in Krefeld wird gelöst. Er bekommt eine Abfindung. Das Amt für Kunstpflege, eine halboffizielle NS-Kulturorganisation veröffentlicht im Juli 1935 eine Liste sogenannter Musikbolschewisten. Auf der taucht auch Schwieger auf, versehen mit dem Vermerk: jüdisch versippt. Wo immer Schwieger nach Mainz auftritt: Es gibt Proteste und Aufruhr, und immer endet es mit dem Abbruch des Konzerts. O-Ton: Ria Schwieger Er hat es immer wieder versucht, aber sobald da Nazigrößen saßen oder dahinterkamen, wer dirigierte, saßen die in den vorderen Reihen und dann fing nach kurzen Takten das Pfeifkonzert an. Da hat er schon sehr darunter gelitten. Sprecherin: Im Juli 1935 hat Elsbeth Schwieger schon die Scheidung eingereicht. Sie fühlt sich schuldig am Karriere-Knick ihres Mannes und kann den Druck nicht mehr ertragen. 1. Zitator (Schwieger): Als ich arbeitslos war, kamen meine Eltern nach Berlin. Wir trafen uns in einem Cafe. Mein Vater bot mir umfassende finanzielle Unterstützung an, wenn ich mich von Elsbeth scheiden lassen würde. Ich sprang empört auf und rief: Vater, wir haben uns nichts mehr zu sagen. Und dann ging ich. O-Ton: Ria Schwieger (...) Dass der Vater ihm nahegelegt hat, sich von der Elsbeth scheiden zu lassen, (und) das hat er dem Vater sehr übelgenommen .... Daher auch die lange Strecke, die er sich hier nicht gemeldet hat und auch mit dem Vater noch im Clinch war. Autor: "Du musst Karriere machen", schreibt Elsbeth Schwieger an ihren Mann, "und wenn Du Dir einen internationalen Namen errungen hast und mich immer noch haben willst, werde ich für Dich da sein, egal, wie viele Jahre es dauert. Aber jetzt musst Du allein sein, ohne mich." Sprecherin: Hans Schwieger willigt schließlich ein, allerdings unter der Bedingung, dass ihm die Schuld am Scheitern der Ehe zugesprochen wird. Eine außereheliche Affäre wird als Grund festgehalten. Damit hat er offiziell die Erlaubnis, Unterhalt zu zahlen. Und: die NS-Behörden vermerken sorgfältig: Es handele sich offenkundig um eine echte Scheidung und nicht um eine "aus Konjunkturgründen" 1. Zitator (Schwieger): Nun war ich wieder ein sogenannter guter Deutscher, aber auch ein sehr armer. Ich hatte einen Punkt erreicht, an dem ich keinen Pfennig mehr besaß. Deswegen nahm ich das Angebot des früheren Mainzer Bürgermeisters Hiemenz für Zimmer und Verpflegung in seiner Berliner Wohnung dankend an. Musik: Roy Harris Sprecherin: Dass er den NS-Kulturverantwortlichen wieder genehm ist, hilft Hans Schwieger beruflich erst einmal nicht weiter. Ihm eilt der Ruf voraus: wer ihn engagiert, handelt sich Ärger ein. Schwieger bewirbt sich um den Posten des Generalmusikdirektors in Mannheim. Die Verantwortlichen dort verlangen aber eine Garantie, dass es nicht zu Vorfällen wie in Krefeld kommen wird. Die kann er nicht geben. Für ihn ist inzwischen klar: Er muss aus dem Machtbereich der Nationalsozialisten heraus. 1. Zitator (Schwieger): Komischerweise bekam ich drei Tage später ein Telegramm aus Danzig, das damals noch Freie Stadt war, mit einer Offerte für die Position des Generalmusikdirektors dort. Es war nicht schwer, eine schnelle Entscheidung zu treffen. (...) Ich nahm das Angebot an und ging im Herbst 1936, um die Saison mit Tannhäuser zu eröffnen, nach Danzig. Sprecherin: Dort scheint sich die Geschichte der öffentlich inszenierten Ablehnung zu wiederholen. Es gibt Gerüchte und einen anonymen Anruf: Schwieger solle besser nicht dirigieren, um Tumulte zu vermeiden. 1. Zitator (Schwieger): Bevor ich ans Podium ging, schaute ich durch ein kleines Loch im Vorhang und entdeckte, dass vor allem der erste Rang mit Uniformierten besetzt war. Mein Mut sank, aber ich musste durch. Als ich das Podium betrat, wurde ich mit Applaus begrüßt. Vor dem dritten Akt, wo dem Dirigenten normalerweise besonders applaudiert wurde, erwartete ich das Schlimmste. Aber nichts! Großer Applaus, und sogar noch mehr, als am Ende mir allein auf der Bühne applaudiert wurde. O-Ton: Ria Schwieger ... da ist es gut gegangen, der Greiser hat ihn doch irgendwie noch gedeckt, weil der mit einer Sängerin, mit der Hans bekannt war, verheiratet war. Vielleicht hat der dadurch etwas ihn geschont. Sprecherin: Arthur Greiser, Präsident des Freistaats Danzig, Nationalsozialist, nach 1945 als Kriegsverbrecher in Polen hingerichtet. - Er ist, was Hans Schwieger bis dahin nicht weiß, mit der Pianistin Maria Koerfer verheiratet. Die wiederum kennt Schwieger aus seiner Zeit in Mainz. Autor: Das Landesarchiv Berlin findet in seinen Archivalien auf meine Anfrage einen Theaterzettel. Schwieger hat am 11. Dezember 1936, als er schon in Danzig arbeitet, in Berlin einmal an der Staatsoper die Meistersinger dirigiert. 1. Zitator (Schwieger): Einige Monate nach dem Tannhäuser in Danzig wurde ich nach Berlin eingeladen, um an der Staatsoper zu dirigieren. Es ging um die Position von Leo Blech, der am Ende der Spielzeit 37/38 in Pension gehen würde. Mir wurde ein Dreijahresvertrag bis 1941 angeboten. Aber einige Wochen danach erhielt ich ein Angebot aus Tokio. O-Ton: Günter Schwieger Ich weiß nur, dass er von Danzig durch die Regierung nach Japan gekommen ist. Und er wollte ja raus. Irgendwie das gemanaged worden. Da ist er offiziell noch weg nach Japan ... Autor: Es lässt sich nicht ermitteln, wie der Kontakt nach Japan entstanden ist. Aber einen Hinweis finde ich, als ich bei Google die Kombination "Hans Schwieger" und "Japan" eingebe. Schwiegers Name taucht in einem Aufsatz im Japan Review von 2006 auf: "Manfred Gurlitt und Japans Opernszene 1939 - 1972" Sprecherin: Auch Manfred Gurlitt, ein Nichtjude, gehört zu den verfemten Komponisten und Dirigenten, weil er sich für die moderne, zeitgenössische Musik stark macht, für das, was bei den Nationalsozialisten als Musikbolschewismus gilt. Ende der 30er Jahre will er aus Deutschland emigrieren. Sein Ziel: eine Stellung als Dozent an der Musikakademie in Tokio. Von dort bekommt er im September 1937 einen Vertrag als Lehrer für Klavier, Kammermusik und Komposition. Orchesterdirigieren, so teilt ihm die Leitung der Akademie mit, gehört nicht zu seinen Aufgaben. 2. Zitator: Ein neuer Dirigent aus Danzig ist für das Orchester zuständig. Autor: Und hinter dem Wort Danzig erläutert der Verfasser dieses Aufsatzes in Klammern: Hans Schwieger, offiziell vom Nazi-Regime nach Tokio entsandt. Sprecherin: Schwieger hat der Versuchung widerstanden, seine Karriere im Berlin der Nationalsozialisten fortzusetzen. Dass er sich gegen Berlin und für Tokio entscheidet, hat auch mit seiner geschiedenen Frau Elsbeth zu tun. Die beiden stehen immer noch in Kontakt und treffen sich heimlich, immer in der Angst, entdeckt zu werden. Musik 1. Zitator (Schwieger): In Japan bemühte ich mich, sehr oft zu dirigieren, um so viel Geld wie möglich zu verdienen. Nach einem knappen halben Jahr ging ich dann zur amerikanischen Botschaft. Dort traf ich Konsul Cooper. Ihm erzählte ich unsere ganze Geschichte und erklärte ihm, dass ich in die USA auswandern wolle. Sprecherin: Von außen betrachtet ist Hans Schwieger im Einvernehmen mit den NS- Kulturbehörden nach Tokio gegangen. Innerlich hat er mit dem Regime längst gebrochen. O-Ton: Gisela Schwieger (...) Dass er sich nicht mit den Nazis arrangiert hat - das war hauptsächlich der Elsbeth Schuld. Denn seine Musik ging ihm über alles, und um das ausführen zu können, könnte ich mir gut vorstellen, wenn das nicht gewesen wäre, wenn er das Erlebnis nicht gehabt hatte mit den Nazis, dass er sich vielleicht doch arrangiert hätte. Ich weiß es nicht, aber ich könnte mir das denken. Denn seine Musik war ihm ja alles im Endeffekt. Sprecherin: Innerhalb von zwei Tagen bekommt Hans Schwieger die notwendigen Papiere. Anfang März 1938 erreicht er auf einem Frachter San Pedro in Kalifornien. Er lebt zunächst vom Ersparten und konzentriert sich darauf, Elsbeth aus Amsterdam nachzuholen. Aber das ist nicht einfach. Die US-Behörden lassen alleinstehende Frauen nicht einreisen, aus Angst vor Prostitution. Bei Elsbeth Schwieger machen sie nach langen Verhandlungen eine Ausnahme. 1. Zitator (Schwieger): Schließlich bekam sie die Einreisegenehmigung unter der Bedingung, dass ich die Papiere auf dem Boot, bevor sie an Land durfte, unterschreiben würde. Damit versprach ich, sie sofort nach der Gesundheitsuntersuchung zu heiraten. Ich war überglücklich und wir haben im August 1938 in der City Hall von New York erneut geheiratet. Autor: Die Internet-Recherchen führen mich noch einmal in das Archiv von Time-Magazine. Im April 1941 berichtet das Blatt über eine bemerkenswerte Initiative des Ehepaars Perry aus Columbia, South Carolina. Die Beiden haben ein eigenes Orchester gegründet, das allererste im Südosten der USA, das Southern Symphony Orchestra. 2. Zitator: Als Dirigenten gewannen die Perrys einen jungen Deutschen, Hans Schwieger, einst Maestro in Danzig und Berlin. Sprecherin: Am 8. Dezember 1941, einen Tag nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour, wird auch Hans Schwieger als feindlicher Ausländer festgenommen und sein Haus durchsucht. Der zuständige Staatsanwalt behauptet später, man habe Briefe von Hess und Goebbels gefunden. Schwieger steht unter Spionageverdacht. 1. Zitator Schwieger Alle Proteste und Briefe von Freunden konnten nichts ändern. Mein Schicksal bis Kriegsende war besiegelt. Ich landete in einem früheren Gefängnis für Schwarze in Stringtown, Oklahoma. Ein schreckliches Erlebnis, weil ich dort Nazi-Fanatiker fand, Menschen von einer Art, wie ich sie noch nie getroffen hatte, nicht einmal in Nazi- Deutschland selbst. O-Ton: Günter Schwieger Dass er im ( ... )Gefängnis gesessen hat, haben wir nachher erst erfahren. Die ganze Zeit haben wir nichts von ihm gehört. O-Ton: Ulrike Hamböker Ja, da hatte er eine ziemliche Wut im Bauch. Über die Amerikaner. Dass das damals einfach passiert ist. Obwohl er halt eine jüdische Frau hatte ... Autor: Ulrike Hamböker, die Tochter von Günter Schwieger. Sie und ihr Mann Ralf haben den Onkel Hans Schwieger 1996 in Florida besucht. Sprecherin: Elsbeth Schwieger zieht in die Nähe des Gefängnisses und nimmt einen Job in einem Hotel an. Irgendwann lernt sie dort einen katholischen Geistlichen kennen, der den Fall Schwieger zu seiner Sache macht. Er mobilisiert die Behörden und geht bis zum Justizminister nach Washington. 1. Zitator (Schwieger): Eines Tages kam ein Wächter zu mir und sagte: Sie müssen bis ein Uhr außerhalb des Tores sein. In dieser Form wurde ich entlassen, am 401. Tag aus dem Gefängnis hinausgeschmissen. Sprecherin: Die Schwiegers gehen nach New York. Für Hans ist es schwierig, einen Job zu finden. Es gibt ein Überangebot an prominenten emigrierten Dirigenten aus Europa. Das Geld verdient Elsbeth mit einer Stelle in einem Modegeschäft. Am 5. Juli 1944 erhält Hans Schwieger endlich die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1. Zitator (Schwieger): Am Abend wollten wir meinen großen Tag feiern. Ich holte Elsbeth von der Arbeit ab, und wir spazierten die Fifth Avenue hinunter zu einer Freundin. Als wir in deren Wohnung ankamen, bat meine Frau mich plötzlich: Hans, halte doch mal dieses Buch. - Und brach zusammen. Und fünf Minuten später war sie tot. Die Obduktion zeigte einen Gehirntumor, wodurch auch die schlimmen Kopfschmerzen der letzten Zeit erklärbar wurden. Musik: Anfang Oper "Schicksal" von Janaczek Autor: Suchergebnis Nr. 11: Hans Schwieger hat 1958 in Stuttgart die deutsche Uraufführung der Oper "Schicksal" von Leos Janaczek dirigiert. Musik Autor: Der autobiografische Lebensbericht von Hans Schwieger endet mit der Berufung nach Kansas City 1948. Bis dahin hat er sich in den USA bereits einen Namen gemacht. In Fort Wayne, Indiana war er Chef des Sinfonieorchesters. Er hat dort seine zweite Frau Mary kennengelernt und geheiratet. Sein Ruf als erstklassiger Musikpädagoge bringt ihm eine Einladung Toscaninis ein. In drei Spielzeiten dirigiert er jeweils für vier Wochen das NBC-Orchester in New York. O-Ton: Günter Schwieger Er kam sehr früh rüber, war es noch vor der Währungsreform? Seine Brüder waren ja alles Nazis, das war hart. ( ... ) Er war sehr offen kontra. Das war kein: Oh, das ist schön, dass ich Euch sehe. Nee, es ging hart zu beim ersten Mal. 2. Zitator: Schwieger befindet sich wiederum auf einer Europa-Tournee. U. a. leitet er Konzerte und Schallplattenaufnahmen des Staatsopern-Orchesters in Stuttgart und der Radioorchester von Brüssel, Frankfurt und Hamburg Autor: Aus einem Programmheft der Berliner Philharmoniker aus dem Jahr 1959. Die Festschrift zum 100. Jahrestag der Orchestergründung hat mich darauf gebracht, dass Schwieger nach dem Krieg drei Mal in Berlin dirigiert hat. Im Archiv der Philharmonie findet sich kein Hinweis, wie diese Konzerte angebahnt worden sind. Aber eine junge Mitarbeiterin der Dramaturgie hat die Programmhefte herausgesucht. Das erste stammt vom 30. April und 1. Mai 1950. Hans Schwieger dirigiert an zwei Abenden nacheinander im Titania-Palast Beethoven, Mozart und Tschaikowski. Hinter dem Programmheft die Presse-Ausschnitte. Das Konzert wird aufmerksam registriert. Die Kritiken sind durchwachsen. Um die Geschichte des Dirigenten mogeln sich viele herum; es gibt allenfalls Andeutungen, zum Beispiel in der Neuen Zeit 2. Zitator Als gereifter Künstler kehrte Hans Schwieger jetzt gastweise nach Berlin zurück, dem er 1933 den Rücken kehrte. Autor: Die Zeitung "Der Tag" bezeichnet ihn einfach als Deutsch-Amerikaner; und im "Berliner Anzeiger" heißt es: 2. Zitator Hans Schwieger, in Deutschland aufgewachsen und heute in Kansas City als Dirigent tätig, stand jetzt den Berliner Philharmonikern vor. Autor: Der Kritiker Hans-Heinz Stuckenschmidt gehört zu den Wenigen, die die Dinge beim Namen nennen. Er stand einst selbst auf der Liste der sogenannten Musikbolschewisten und schreibt nun in der Neuen Zeitung: 2. Zitator: Der deutsche Musikbetrieb füllt sich mit Revenanten; Es sind keine Gespenster im französischen Sprachsinne, sondern eine besondere Art von Heimkehrern. Sie verließen nach 1933 ihre deutsche Heimat, fanden in Amerika oder England Asyl und kommen nun her, um Europa wiederzusehen oder ihren transatlantischen Ruhm bestätigen zu lassen. O-Ton: Gisela Schwieger ... . wenn er hier dirigierte - die Kritiken in den Zeitungen - das war immer: Also, er war ja Amerikaner, hatte doch nicht so viel Gefühl, wie ein Europäer haben muss, und da beschwerte er sich drüber. Er sagte: Mein Grundsatz war doch Deutschland, war doch die deutsche Musik, und war doch Europa. Und trotzdem, die Kritiker, die haben sich scheinbar keine Mühe gemacht, seinen Werdegang zu lesen. O-Ton: Ulrike Hamböker Was mir einfällt, ist: Sie sprachen auch in Amerika deutsch miteinander. Es war selten, dass sie englisch miteinander sprachen. ( ... ) Er sagte mir mal, er ist jetzt schon so sehr lange dort, aber weil er kein Muttersprachler ist, ist es einfach so, diese Feinheiten, die konnte er bis zum Schluss noch nicht alle. Autor: Die Internet-Recherchen zeigen seine Spuren als Gastdirigent unter anderem in Stuttgart, Oslo, Wien, Prag und Moskau. Er dirigiert Wagner-Opern in Kalifornien und ist der erste Gastdirigent des neuformierten Orchesters in Milwaukee. Ein Suchergebnis führt auf die Website der Chillico Constitution Tribune. Das Blatt meldet am 24. Februar 1971: 2. Zitator: Hans Schwieger, seit 23 Jahren Chefdirigent des Kansas City Philharmonic Orchestra, hat heute seine Rücktritt erklärt. Er wolle in Zukunft mehr Zeit seiner Konzertarbeit in Europa widmen O-Ton: Gisela Schwieger ( ... ) Da war doch ein Streik ( ... ) Da hat er auch mal von erzählt. ( ... ) Da hat das Orchester gestreikt. Und dann haben die sich nicht mehr zusammengefunden. Wie war das noch? Und da hat er dann Schluss gemacht Sprecherin: Hans Schwieger und seine Frau gehen in den 70ern für zwei Jahre nach London und lassen sich für weitere zwei Jahre in Japan nieder. 1977 kehrt er in die USA zurück und setzt sich in Naples in Florida zur Ruhe. Bis zu seinem 90. Lebensjahr kommen die Schwiegers jedes Jahr nach Europa und treffen sich im österreichischen Seefeld mit Kurt und Ria Schwieger. O-Ton: Gisela Schwieger Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er in Deutschland etwas verbittert war. Er hatte sich nach dem Krieg ( ... ) mehr erwartet. Heute verstehe ich das auch, wenn er von Karajan sprach und noch von anderen Dirigenten. ( ... ) Dass er als Dirigent wahrscheinlich wieder nach Deutschland zurückwollte. ( ... ) Aber man kannte ihn ja kaum. Schlussmusik, Roy Harris Autor: Der Südwestrundfunk hat mir eine Aufnahme Schwiegers mit dem Radiosinfonie- Orchester Stuttgart überspielt: Roy Harris, Sinfonie Nr. 3. Schwieger hat sich immer für die zeitgenössischen amerikanischen Musik interessiert. Diese Aufnahme ist von 1973. Es ist eine seiner letzten. Absage: "Ich konnte wohl annehmen, dass meine Karriere gesichert sei." Der Dirigent Hans Schwieger - eine Spurensuche Ein Feature von Peter Lange Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks, 2007. Es sprachen: Hartmut Stanke, Frank Meyer, Elenor Holder und der Autor Ton und Technik: Hans Martin Renz und Petra Pelloth Regie: Axel Scheibchen Redaktion: Hermann Theißen 25