DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 28.01.2014 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr Golfen auf Kohlegruben Über das neue Selbstbewusstsein Oberschlesiens Von Sebastian Meissner URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - ATMO: Stadtgeräusche AUTOR: Eine Stadt mit verfallenen Mietshäusern und schmutzig-grauen Plattenbauten. Überall bröckelt der Putz und am Horizont sieht man die Bauskelette ehemaliger Industrieanlagen aus längst vergangenen Zeiten. Ruß liegt dick auf den Fensterbrettern. Im Winter ist der Schnee grau und in der Nase beißt der Geruch von Chemikalien. Hier und dort sieht man mit ungeübten Händen besprühte Häuserwände: "Mamy prawo do szczescia lecz nie mamy szczescia do prawa." -"Wir haben das Recht glücklich zu sein, bloß haben wir kein Glück mit dem Recht." - steht dort geschrieben. Und dann noch eine Stadt, und noch eine. Eine gleich neben der anderen. Ohne erkennbare Stadtgrenzen, alle ineinander übergehend. Und doch ist jede wie ein Universum für sich, voller Geschichten und Orte, die es zu entdecken gilt. Das ist Slask, der Süden Polens, dort, wo ich aufgewachsen bin. ATMO: Stadtgeräusche & geräuschhafte Musik ANSAGE: Golfen auf Kohlegruben Über das neue Selbstbewusstsein Oberschlesiens Ein Feature von Sebastian Meissner ATMO: Stadtgeräusche & geräuschhafte Maschinen-Musik, Opernarie AUTOR: Aufgewachsen bin ich im Bytom, im Arbeiter-Stadtteil Szombierki. Der Stadtteil ist eine einzige Ansammlung verschiedener Arbeitersiedlungen: z.B. den aus roten Backsteinen erbauten und jetzt unter Denkmalschutz stehenden 'Familoki', den spitzdachigen 'finnischen Häusern' und den Plattenbauten der 1960er und -70er Jahre. Natürlich gab es in Szombierki auch ein Kohlebergwerk - die Hohenzollerngrube. Mein Großvater arbeitete dort vor dem Zweiten Weltkrieg unter Tage. Nach seiner Kriegsgefangenschaft und einem Grubenunfall wusch er im neuen polnischen Staat die Kohle über Tage. 1996 wurde die Grube stillgelegt und ihr roter Förderturm "Krystyna" 2004 unter Denkmalschutz gestellt. ATMO: Straßengeräusche, vorbeifahrenden Autos O-Ton Adam Zdzieblik (deutsch): "Das steht unter Denkmalschutz, und es gab viele Ideen was dort entstehen sollte. Ein Restaurant ..." AUTOR: ... oder ein Hotel, oder eine Sportanlage mit der größten Kletterwand Polens. Der momentane Zustand des Förderturms "Krystyna" und der sich anschließenden Anlage lässt horrende Sanierungskosten vermuten. Auf einem Erkundungsspaziergang mit meinem Cousin, Adam Zdzieblik, schlängeln wir uns im heißen Sommer 2013 entlang der Verbindungsstraße von Bytoms Stadtzentrum in den Stadtteil Szombierki. Die Investmentfirma Armada Development hat den Förderturm samt dem 80 Hektar großen Gelände, auf dem sich die Kohlegrube einst befand, gekauft. O-Ton Adam Zdzieblik (deutsch): "Das ganze Areal hier ist Privatbesitz und es werden Einfamilienhäuser darauf gebaut werden. Hast du die schon gesehen?" O-Ton Sebastian Meissner: "Nee." O-Ton Adam Zdzieblik (deutsch): "Sie haben auch schon viel von dem Golfplatz gebaut, man kann sogar schon bisschen spielen Ist aber noch nicht ganz fertig." O-Ton Sebastian Meissner: "Was?! Da oben haben sie einen Golfplatz gebaut?" O-Ton Adam Zdzieblik (deutsch): "Ja." O-Ton Sebastian Meissner: "Ach, du Scheiße!" O-Ton Adam Zdzieblik (deutsch): "Leider kann man sich das alles nicht richtig angucken, weil sie es abgesperrt haben." AUTOR: Dort, wo einst das schmutzige Wasser aus der Kohlenwäscherei hingepumpt wurde und wo sich über die Jahre hinweg ein übel riechender, unzulänglich abgesicherter Sumpfsee gebildet hat, in dem - wie ich mich erinnern kann - auch schon Kinder den Tod gefunden haben, genau an dieser Stelle soll jetzt ein Golfplatz gebaut werden? ATMO: Gespräch mit dem Golfplatzwart (polnisch) AUTOR: Die Idee des Eigentümers, Michal Goli, ist es, hier einen Golfplatz zu bauen, um für die potentiellen Käufer der Grundstücke und Einfamilienhäuser zusätzliche Anreize zu schaffen - erklärt uns der Baustellenwärter. Die Idee lässt mich eher an Florida's Gated Communities für wohlhabende Senioren denken. ATMO: Gespräch mit dem Golfplatzwart (polnisch) AUTOR: Aus Amerika, sagt mir der Baustellenwärter, kommen die Leute, die hier Golf spielen. ATMO: Musik AUTOR: Angesichts seiner wechselhaften Geschichte sehen manche Oberschlesien als Musterbeispiel einer multikulturellen Region Europas - denn dies war einst das Zuhause von Polen, Deutschen, Tschechen, Ukrainern, wie auch Juden und Roma. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts durchlebte dieses Miteinander zahlreiche, mitunter blutige Konflikte. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war die gemeinsame Identität eher regionaler als nationaler Ausprägung. Doch die polnischen und deutschen nationalstaatlichen Bewegungen zielten darauf ab, die Gesinnung der Oberschlesier für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Oft verliefen die Trennlinien mitten durch Familien. ATMO: historische Musik SPRECHER 03: Das historische Oberschlesien gehört seit der administrativen Reform in der Republik Polen im Jahr 1999 zur Wojewodschaft Schlesien und ist einer der insgesamt 16 polnischen Verwaltungsbezirke. Mit Bedzin und dem Wallfahrtsort Czestochowa zählen heute auch Städte und Regionen Polens dazu, die historisch gesehen nur wenig bisher mit Oberschlesien gemein hatten. AUTOR: Mit Marek Wójcik, einem Blogger und Historiker, treffe ich mich auf dem Marktplatz in Bytom. Er engagiert sich für die Revitalisierung des Geschichtsbewusstseins in der Oberschlesischen Region und ganz besonders in seiner Heimatstadt Bytom. O-Ton Marek Wojcik: Sprecher 04: "Die meisten Polen verstehen den gemischten Charakter von Grenzregionen nicht ganz. Sie gehen davon aus, dass es dort 50% Polen und 50% Deutsche gibt. Sie können nicht verstehen, dass es in solchen Regionen Bewohner geben kann, die eine eigenständige Identität haben, und dass diese sogar die Mehrheit ausmachen können. (...) Warschau versteht diesen Regionalismus nur, wenn er sich klar innerhalb des Polentums bewegt. Unklare, nicht eindeutig definierbare nationale Identitäten können sie nur schwer verstehen." SPRECHER 03: Der Unmut Oberschlesiens gegenüber Warschau hat eine lange Geschichte und resultiert aus der Wahrnehmung, von der Hauptstadt ausgebeutet zu werden. Viel des hier erwirtschafteten Kapitals fließt nach Warschau, ohne dass die dortige Regierung proportional in die Region reinvestieren würde. AUTOR: Am nächsten Tag treffe ich mich auf dem Golfplatzgelände mit Michal Goli, dem Chef und Inhaber der Investmentfirma Armada, dem auch zahlreiche Supermärkte und Tankstellen in der Region gehören. Gleich zwei Tankstellen und zwei von diesen riesigen, aus Wellblech erbauten Mega-Märkten grenzen direkt an das Areal, auf dem sich der Golfplatz und die entstehenden Einfamilienhäuser befinden. Mit ihrem containerartigen Baustil sind sie ebenso schnell auf- wie abgebaut. Goli ist in Bytom geboren und betrachtet sich als waschechten Oberschlesier. O-Ton Michal Goli: SPRECHER 05: "Wissen Sie, leider wurde Bytom nach dem Krieg sehr viel Leid zugefügt. Ich denke, das war eine Art Rache der kommunistischen Herrscher an der Stadt, weil sie eine deutsche Stadt war. Unter der Fläche Bytoms gab es ein reiches Vorkommen an Steinkohle, das ohne jegliche Absicherungsmaßnahmen industriell ausgebeutet wurde, weshalb eine Großzahl der innerstädtischen Mietshäuser heute stark beschädigt ist. In die Revitalisierung der Stadt wurde jedoch kaum investiert. Für die Menschen, die nach dem Krieg aus der oberschlesischen Region nach Deutschland auswanderten, rückten neue Einwanderer aus den ehemaligen polnischen Gebieten, wie z.B. Lwów, in die Gegend nach. Leider haben sie sich kaum um den Erhalt der Stadt gekümmert. " Musik SPRECHER 03: Die Westverschiebung Polens als Resultat der neuen Grenzziehung nach dem Zweiten Weltkrieg und die damit verbundenen Umsiedlungsmaßnahmen stellte die sich neu formierende Nation vor große Aufgaben. Einerseits musste fast ein Drittel der Gesamtfläche des Landes im Osten aufgegeben werden, auf der anderen Seite galt es, dem neu hinzu gewonnenen Westen des Landes eine neue, eine polnische Identität zu verleihen. Viele der Neuankömmlinge aus der Ukraine und Weißrussland hatten die deutsche Besatzung, Misshandlungen und Massaker überlebt und sollten jetzt ein neues Zuhause in den ehemaligen Städten der Feinde finden. Ihre Frustration und Abneigung bekamen die verbliebenen Oberschlesier, zu deren Identität auch deutsche Sprache und Umgangsformen gehörten, zu spüren. Und wer sich in der neuen sozialistischen Volksrepublik Polen nicht hundertprozentig dem Polentum assimilieren wollte, wurde wie ein Bürger zweiter Klasse behandelt. O-Ton Michal Goli: SPRECHER 05: "Wir alle hier haben zu einem gewissen Teil deutsche Wurzeln. Mein Großvater wurde in München geboren. Die Mehrzahl der Oberschlesier sind in solchen Verhältnissen aufgewachsen. Für uns ist der Umstand, dass zwei Onkel in der Familie für die (deutsche) Wehrmacht gekämpft haben und zwei weitere bei der polnischen Armee, etwas völlig normales." AUTOR: Ich selbst komme aus einer schlesisch-polnischen Familie. Mein Ur-Großvater wurde als polnischer Freiheitskämpfer von den Nationalsozialisten im Arbeitslager Auschwitz ermordet. Sein Sohn fiel als Wehrmachtssoldat der deutschen Luftwaffe. Über die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, nach den Plebisziten, gerät Jerzy Gorzelik, der Frontmann von RAS - Ruch Autonomii Slaska (Bewegung für die Autonomie Schlesiens) - heute noch ins Schwärmen. In dieser Zeit wurde dem soeben an die Zweite Polnische Republik angeschlossenen Teil Oberschlesien der Status einer autonomen Region zugesprochen. Und diesen Status sollte - so Gorzelik - das heutige Oberschlesien wieder erlangen - ganz nach bayerischem oder katalonischem Vorbild. Überhaupt: würde er am liebsten ganz Polen in ein föderalistisches System verwandeln. O-Ton Jerzy Gorzelik: Sprecher 09: "Natürlich war es so, zu kommunistischen Zeiten und auch vor dem Kriege, dass man Oberschlesier dazu zwingen wollte, sich zwischen Deutschtum und Polentum zu entscheiden. (...) Man darf nicht das Oberschlesische auf das Deutsche oder das Polnische reduzieren." AUTOR: Ich treffe Jerzy Gorzelik im angesagten Kattowitzer Szene-Club Gugalander. Er ist Kunsthistoriker und außerdem leidenschaftlicher Fußballfan. Sein Klub ist der Ruch Chórzow, in dessen Name ebenso wie im Namen seiner Autonomiebewegung das polnische Wort 'Ruch' (also 'Bewegung') auftaucht. Es ist kein Zufall, dass der kurz vor den Plebisziten gegründete Fußballklub sich einst als Bewegung verstand, denn es waren gerade die regionalen Sportvereine mit ihren nationalen Prägungen, die die Oberschlesier entweder für die polnische oder die deutsche Seite gewinnen sollten. O-Ton Jerzy Gorzelik SPRECHER 09: "In vielen Nationalstaaten, die damals entstanden sind, war gerade die Sprache ein entscheidender Faktor, die Sprache wurde ideologisiert. Zu den Bismarck-Zeiten hat man viele Gesetze eingeführt, die gegen die slawischen Sprachen, gegen die polnische Sprache vor allem, aber das bedeutete auch, gegen die oberschlesische Mundart, gerichtet war." SPRECHER 03: Neben ihrem Kampf für einen föderalen polnischen Staat, setzt sich RAS für den Erhalt der oberschlesischen Kultur und Identität ein, wozu auch die Slunsko Godka, der schlesische Dialekt, zählt. Das Oberschlesische wurde im übrigen Polen als Sprache des lokalen Proletariats meistens belächelt und von den Deutschen gerne mal als 'Wasserpolnisch' bezeichnet. Es gilt heute als umstritten, ob es sich um eine eigenständige Sprache handelt oder nicht. Oberschlesisch - wie Polnisch - zählt zu den slawischen Sprachen. AUTOR: Meine Tante Dorota Zdzeiblik trägt schon seit vielen Jahren schlesische Wörter handschriftlich in ein altes kariertes Schulheft ein. Um sie vor dem Vergessen zu schützen, sagt sie. Ich habe sie gebeten, daraus ein paar Vokabeln vorzulesen. Zuerst oberschlesisch, dann polnisch, dann deutsch. O-Ton 09: Dorata Zdzieblik: "Gracac" SPRECHERIN 06: "Trödeln" O-Ton Dorata Zdzieblik: "Gymba" SPRECHERIN 06: "Gesicht" O-Ton Dorata Zdzieblik: "Gyry" SPRECHERIN 06: "Beine" O-Ton Dorata Zdzieblik: "Kachlok" SPRECHERIN 06: "Kachelofen" O-Ton Dorata Zdzieblik: "Kecka" SPRECHERIN 06: "Rock O-Ton Dorata Zdzieblik: "Kopruch" SPRECHERIN 06: "Mücke" O-Ton Dorata Zdzieblik: "Karlus" SPRECHERIN 06: "Junge" O-Ton Dorata Zdzieblik: "Kapsa" SPRECHERIN 06: "Hosentasche" O-Ton Dorata Zdzieblik: "Klapsznita" SPRECHERIN 06: "Belegtes Brot" ATMO: Musik O-Ton Karolina Jakowenko: SPRECHERIN 07: "Es ist eine Sache, Schlesierin zu sein, aber es ist noch mal eine ganz andere, für die Autonomiebewegung Oberschlesiens zu sein. Wenn es ein Referendum darüber geben würde, dann würde ich es sehr begrüßen. AUTOR: Karolina Jakowenko kommt eigentlich aus Bedzin, eine Stadt, die erst seit 1999 zu der Wojewodschaft Schlesien gehört. Durch ihren Lebenspartner hat sie die Stadt Bytom kennen und schätzen gelernt. Jetzt wohnt sie hier. O-Ton Karolina Jakowenko: SPRECHERIN 07: Warschau wurde zum großen Teil aus oberschlesichen Städten wiederaufgebaut. Aus den oberschlesischen Mietshäusern, Kirchen, Gehwegen und so weiter. Man hat einfach alles an einem Stück nach Warschau transportiert. Aber heute hat Warschau Angst vor der hiesigen Autonomiebewegung. Sie verstehen einfach überhaupt nicht, was mit der Autonomiebestrebung gemeint ist. Wahrscheinlich wollen sie es einfach nicht. Ich bin uneingeschränkt für die wirtschaftliche Autonomie Oberschlesiens." AUTOR: Ich treffe Karolina in Bytom, doch wir machen uns gleich auf den Weg nach Bedzin, wo sich der Hauptsitz der von ihr mitbegründeten Stiftung Brama Cukermana befindet. Die Stiftung liegt mitten im ehemaligen jüdisch geprägten Stadtzentrum und wurde nach dem jüdischen Kaufmann Nuchim Cukerman benannt, der dort in den 1920er-Jahren ein jüdisches Gebetshaus gestiftet hatte. Bis 2007 wurden die Räumlichkeiten in Unkenntnis ihrer historischen Bedeutung als privater Wohnraum genutzt. Unter dem Innenanstrich fand man teilweise noch gut erhaltene Wandmalereien, die Szenen aus dem Leben der jüdischen Gemeinde abbildeten. Keiner der jüdischen Einwohner des Ortes hat den Holocaust überlebt. O-Ton Karolina Jakowenko: SPRECHERIN 07: "Die deutschen Juden sind in Polen in zweifacher Sicht vergessen. Einmal weil sie Juden waren, denen kein Pole wirklich nachgetrauert hat. Was eine traurige Wahrheit ist, die wir als Polen noch verarbeiten müssen. Und anderseits waren es Deutsche. Also der Feind. (...) Im neugebauten Warschauer Museum der Geschichte der polnischen Juden sind sie mit keinem einzigen Wort erwähnt. In der Mehrzahl haben sich die polnischen Juden von den deutschen Juden gänzlich unterschieden. Der polnische Jude war üblicherweise religiös, orthodox und ein Anhänger des Chassidismus. Der deutsche Jude dagegen war reformiert, assimiliert, der nicht über den Zionismus nachgedacht hat und der Deutschland einfach als sein Heimatland behandelt hat." AUTOR: Erst neulich hat Karolina mit der Hilfe des Historikers Marek Wójcik herausgefunden, dass 25 der insgesamt 26 Mietshäuser, die am Marktplatz in Bytom stehen, einst jüdischen Bürgern der Stadt gehörten. O-Ton Karolina Jakowenko: SPRECHERIN 07: "Das ist ein riesiger Fehler der polnischen Schuldbildung, dass wir in den Schulen gar nichts über die multikulturelle Geschichte des Landes erfahren. Unsere Bekannten aus Bytom, die auch dort geboren sind, haben bis vor kurzem nicht gewusst, dass Bytom einst eine deutsche Stadt war! Und das sind Menschen mit höherer Bildung. Das ist doch erschreckend!" AUTOR: In Vergessenheit geraten ist auch die Geschichte der Arbeitersiedlung Paryz, die den polnischen Namen für die französische Hauptstadt trägt. ATMO: Straße, Verkehrslärm AUTOR: An der Grenze von Bytoms Stadtteil Szombierki zur Ruda Slaska, fast an derselben Stelle, an der die Golffelder des Herrn Goli enden, befindet sich das vergessene Biotop Paryz. Es ist früher Vormittag, aber schon unglaublich heiß, als ich mich mit meinem Cousin auf den Weg dorthin mache. ATMO: Schritte, Straßengeräusche O-Ton Sebastian Meissner: (Stimme außer Atem) "Das ist schon Paryz hier?" Adam Zdzieblik (deutsch): "Ja. Die Leute, die hier wohnen, sind keine Arbeitslosen. Vielleicht sind sie nicht reich, aber es geht irgendwie." ATMO: Hühner, Straße, Kinder AUTOR: Die Wohnsiedlung Paryz besteht aus vier zweistöckigen Mehrfamilienhäusern und wirkt fast ländlich. Hühner laufen herum, frisch gewaschene Wäsche hängt auf langen Wäscheleinen im Innenhof. Bewohner sitzen auf Plastikstühlen herum, Kinder spielen - jeder hier scheint jeden zu kennen. ATMO: Hühner, Straße, Kinder SPRECHER 03: Nach den Volksabstimmungen wurde die Gegend rund um die heutige Siedlung Paryz dem polnischen Teil Oberschlesiens zuerkannt. Den Namen Paris erhielt die Siedlung 1946 von den Rückkehrern aus Frankreich. In den 1920er Jahren hatten diese Familien auf der Suche nach Arbeit und Wohlstand Oberschlesien Richtung Frankreich verlassen. AUTOR: 40 Grad sollen es heute werden. Im Schatten des Hinterhofes treffen wir drei ältere, auf Holzbänken sitzende Männer. Zwei von ihnen - laut Selbstauskunft - schon über 80, der dritte ein bisschen jünger. Das dritte Bier des Tages wird gerade geöffnet. ATMO: Flaschen-Plopp O-Ton Einwohner 1: SPRECHER 08: "Ich weiß noch, dass als sie alle hierher zurückgekehrt sind, die deutschen Gefangenen noch all diese Häuser gebaut haben. Das war im Jahr 1945. O-Ton Einwohner 2: SPRECHER 09: "Meine Frau wurde in Frankreich geboren. 1938. Aber sie lebt seit zwei Jahren nicht mehr." AUTOR: Warum sind sie eigentlich alle zurückgekommen, frage ich in die Runde. O-Ton Einwohner 2: SPRECHER 09: "Na, weil sie ihnen hier in Polen das Blaue vom Himmel versprochen haben. Die haben dort in Frankreich ja auch im Bergbau gearbeitet." O-Ton Einwohner 1: SPRECHER 08: "Also ich wohne hier schon über 30 Jahre. Davor habe ich in Bytom gewohnt. Geboren bin ich aber in Weißrussland." O-Ton Einwohner 1: SPRECHER 09: "Und ich wohne hier seit 1964, ursprünglich komme ich aus Wadowice, in den Bergen, da, wo der polnische Papst herkommt. Einige nennen uns aber immer noch Gorole." AUTOR: Die Bezeichnung 'Gorol' wird in der schlesischen Mundart für Einwanderer aus dem polnischen und tschechischen Tatragebirge verwendet. Der oberschlesische Slang nennt diese Bevölkerungsgruppe etwas abfällig 'Bergbauern'. Das Pendant dazu ist die Bezeichnung "Hanysy", abgeleitet vom deutschen Vornamen Hans. "Hanysy" sind Oberschlesier, die sich eher mit der deutschen Geschichte und Kultur identifizieren. O-Ton O-Ton Einwohner 3: SPRECHER 010: "In der Schule waren die Kinder, die schlesisch gesprochen haben immer benachteiligt, weil sie immer schlechte Noten in Rechtschreibung bekommen haben. Und die jungen Lehrer waren fies. Die haben uns geschlagen und dabei gesagt: Du verdammter Schlesier." AUTOR: Einem der drei Männer fällt Frau Polakowski ein, die ebenfalls noch in Frankreich geboren wurde. Mit ihr könne ich sicherlich über Paryz sprechen. ATMO: Stimmen, Gehen, Klingeln an der Tür, Frau Polakowski macht auf O-Ton Frau Polakowski: SPRECHERIN 06: "Mit 15 Jahren bin ich aus Frankreich raus, da vergisst man viel ..." AUTOR: Seit Frau Polakowski 1946 nach Polen gekommen ist, wohnt sie hier in der Paryz-Siedlung. In Frankreich wurde zuhause sowohl polnisch als auch französisch gesprochen. O-Ton Frau Polakowski SPRECHERIN 06: "Nein, in Paris bin ich nie gewesen ... Wie denn auch? Am Anfang hat man hier noch viel französisch gesprochen, aber dann sind alle gestorben und mit wem sollte ich dann heute sprechen?" O-Ton Sebastian Meissner: "Parlez-vous francais?" O-Ton O Frau Polakowski: SPRECHERIN 06: "Oui, monsieur" (lachend) ATMO: Musik AUTOR: An einem anderen Tag treffe ich mich unweit der Paryz-Siedlung noch einmal mit Michal Goli, dem Inhaber der Investmentfirma Armada und Erbauer von Wohnresidenzen mit Golfplatz im Arbeiterviertel Szombierki. O-Ton Michal Goli: SPRECHER 05: "Also statistisch gesehen gibt es unter den vier Millionen Menschen, die hier leben, genügend Menschen, die früher oder später mit dem Golfspielen anfangen werden: Junge Menschen, die sich weiterentwickeln wollen, und die es sich auch leisten können, bei uns ein Haus zu kaufen" AUTOR: Mein Cousin Adam Zdzieblik wohnt mit seiner Familie auf der anderen Seite der Straße. Vom Balkon seiner Plattenbauwohnung kann er vermutlich die Golfanlage überblicken. Doch würde er sich eine Wohnung hier in der Siedlung am 'Silbersee' - wie die aufbereitete Abwassergrube nun euphemistisch genannt wird - leisten können? O-Ton Michal Goli: SPRECHER 05: "Natürlich wissen wir, dass sich nicht jeder leisten kann, was wir anbieten. Aber das ist nun mal in der Wirtschaft auf der ganzen Welt so, dass diejenigen, die sich weiter entwickeln, mehr Chancen bekommen, und diejenigen, die im gleichen Zustand verharren, nicht aufsteigen." AUTOR: Eine Zielgruppe, der Goli besondere Aufmerksamkeit schenken will, sind die oberschlesischen Spätaussiedler. Er verweist darauf, dass viele dieser Leute in Deutschland nie so richtig zurechtgekommen seien - vor allem diejenigen, die erst nach 1989 nach Deutschland ausgewandert sind. O-Ton Michal Goli: SPRECHER 05: "Das ist eine unserer ursprünglichen Ideen, dass Menschen, die vor einer gewissen Zeit von hier ausgewandert sind, die aber mit der Region irgendwie verbunden sind und hierher zurückkehren wollen, dass gerade diese Menschen unser Angebot als ein ganz besonders an sie gerichtetes verstehen." AUTOR: Sollen sich die Jahr für Jahr auf ihren Heimattreffen versammelnden Oberschlesier in Deutschland auch angesprochen fühlen? O-Ton Michal Goli: SPRECHER 05: "Deutsche Oberschlesier? Sehr gut! Wenn das doch ihre alte Heimat ist, dann sollen sie alle her kommen und in die Region investieren! Und so denken wir darüber nach, hier ein Altersheim für diese Zielgruppe zu bauen." ATMO: Stadt AUTOR: Die Deutsche Minderheit, laut der letzten Volkszählung die größte Minderheit Polens, scheint eher auf Distanz zu der oberschlesischen Autonomiebewegung zu gehen. Mit den Vertriebenenverbänden und mit der Landsmannschaft der Schlesier in Deutschland können sie sich offenbar eher identifizieren. Jozef Krol ist amtierender Schatzmeister des Freundeskreises: O-Ton Jozef/Manfred Krol (deutsch): "Die ganze Gruppe, das sind alte Leute zwischen 75-80." AUTOR: An den Wänden des Büros hängen überwiegend Bilder der Region aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. O-Ton Dorota Nowicka (deutsch): "Der alte Fritz." AUTOR: Voller Stolz deutet Freundeskreis-Mitglied Dorota Nowicka auf eines, das den Preußenkönig Friedrich II. zeigt. Warum sie nie nach Deutschland übergesiedelt seien, möchte ich wissen. Die Gräber ihrer Eltern hätten sie zurückgehalten, aber vor allem auch deren Häuser. O-Ton Dorota Nowicka: "Ich bin Jahrgang 1936. Reichsdeutsche." AUTOR: Im Internet hört die alte Frau deutsche Schlager, und ich gebe ein paar Tipps, wie man das Betriebssystem auf die deutsche Sprache umstellen kann. Frau Nowicka und Herr Krol holen Fotoalben hervor. Die beiden erzählen mir viel vom Leid, das oberschlesische Familien erfahren hätten, die nach dem Zweiten Weltkrieg dennoch hier geblieben sind. Wie alles, was einen deutschen Namen trug, hätte ausradiert werden müssen. Wie man schikaniert worden sei. Wie polnische Migranten alles, was deutsch war, mit dem Faschismus gleichgesetzt hätten. Von polnischen Konzentrationslagern bekomme ich auch zu hören - von dem Gefangenenlager Zgoda, ganz in der Nähe, in dem Oberschlesier inhaftiert worden seien, die man verdächtigte, mit dem nationalsozialistischen Besatzungsregime kollaboriert zu haben. "Unser Auschwitz" - sagt man mir. Was sie nicht erwähnen: dort waren auch polnische Kämpfer interniert, die sich der Zusammenarbeit mit der Roten Armee verweigerten, auch Ukrainer, Österreicher und sogar Juden wurden damals inhaftiert. In all ihren Aufzählungen fehlt jedoch jeder Bezug zur Ursache all dieses Leids, der Quelle des Hasses auf alles Deutsche. ATMO: Kirchenglocken, Rathaus-Melodie AUTOR: Vom ortskundigen Hobbyhistoriker Marek Wójcik will ich wissen, was er denn von deutschen Vertriebenenfunktionären und Politikern wie Erika Steinbach und Rudi Pawelka hält: O-Ton Marek Wojcik Sprecher 04: "Hier gibt es auch solche marginalen Strömungen, die einfordern, dass Lemberg und Vilnius wieder Teil Polens werden, aber niemand von gesundem Menschenverstand denkt an so etwas. Es sind überwiegend die alten Großmütterchen, die am liebsten mit dem Gewehr in den Händen die Ukraine zurückerobern würden." ATMO: Straßengeräusche, entfernte Musik ist zu hören SPRECHER 03: Im Mittelpunkt der Aktivitäten von RAS - der Oberschlesischen Autonomiebewegung - stehen die alljährlich im Sommer stattfindenden Märsche durch die Wojewodschaftshauptstadt Katowice. Eine Demonstration der Verbundenheit mit der oberschlesischen Identität und die Zurschaustellung des regionalen Stolzes. Überall blau-gelbe Fahnen, Transparente und T-Shirts. In der polnischen Presse im Internet, auf Twitter und Facebook wurde viel darüber spekuliert und gestritten, wie viele Marschteilnehmer es dieses Jahr trotz Dauerregens auf die Straßen von Katowice geschafft haben. Einige wollten nur wenige hundert, andere weit über 4000 Teilnehmer gesehen haben. ATMO: Straßengeräusche, Megaphonstimme AUTOR: An einer leeren Straßenecke in Kattowitz, an der in Kürze der siebte Marsch für die Autonomie Schlesiens vorbeimarschieren wird, haben sich ein paar Dutzend Menschen mit weiß-roten Transparenten und einer mobilen Lautsprechanlage versammelt. Ein Redner bezeichnet sich selbst und die dort Versammelten als polnische Patrioten. Er behauptet, dass die Intention des Marsches die Absplitterung, gar den ‚Raub' Schlesiens von Polen bedeute. ATMO: Musik O-Ton Demonstrationssprecher: SPRECHER 08 "Hinter dieser familiären Atmosphäre stecken in Wirklichkeit die gehässigen Feinde Polens." AUTOR: Es sind überwiegend Anhänger der Vereinigung Liga Obrony Suwerennosci - der Liga für die Verteidigung der Volkssouveränität Polens - die sich in der Vergangenheit schon gegen Polens EU-Beitritt stark machte. Sie will ‚fremdländische Eingriffe' in die Politik und Wirtschaft Polens abwehren. O-Ton Demonstrationssprecher: SPRECHER 08 "Es sind die Deutschen, die auf die Idee gekommen sind, die Autonomie Schlesiens in Polen zu starten (...) so sind sie nun mal die Deutschen: schieben ihre Pfoten überall 'rein und mischen sich in alles ein ..." AUTOR: Der Demonstrationszug der Autonomieanhänger nähert sich: Getrennt durch eine Reihe von Polizisten zieht der Umzug der Autonomiesympathisanten am Stand der Liga Obrony Suwerennosci nahezu teilnahmslos vorbei, während deren Anhänger bei lauter, patriotischer Schlagermusik "Hier ist Polen!" skandieren. ATMO: Demonstrationsgeräusche, dann rascher Schnitt O-Ton Marek Wojcik: Sprecher 04: "Der Marsch ist mir irgendwie egal, denn wer marschiert da wirklich hinterher? Solange sich ihre Aktivitäten auf Umzüge und Fahnen schwenken beschränken, empfinde ich das als etwas aufgesetzt. Das sind Traditionen von vor 80 Jahren und das ist damals alles nicht gut ausgegangen. (...) Oberschlesien funktioniert für sie nach dem Motto: hier trinkt man Bier und hier spricht man die oberschlesische Mundart. Schlesische Kultur jedoch ist vielschichtig, und wurde von unterschiedlichen Akteuren geformt: aus Berlin kommenden Schriftstellerinnen, zugewanderten Arbeitern, Pendlern und Zeitarbeitern aus Polen, Juden, Protestanten - die es heutzutage hier kaum noch gibt. Und dieses Wissen muss man nutzen, um den Leuten hier vor Ort zu zeigen, wie die Welt aussieht - wie sie ausgesehen hat, und wie sie aussehen könnte. Aber das ist viel schwieriger, als Abstimmungen in Regionalparlamenten zu gewinnen. Denn so etwas kann man nicht innerhalb eines Jahres aufbauen, das wird man nicht einmal innerhalb von 20 Jahren schaffen." AUTOR: In der Wojewodschaftshauptstadt Katowice wird dieses Jahr der Neubau des Schlesischen Museums beendet. Der moderne Gebäudekomplex, von einem österreichischen Architektenbüro geplant, entsteht auf dem ehemaligen Gelände der Kohlegrube Katowice. Die neue Ausstellungskonzeption sollte auch den deutschen Teil der oberschlesischen Geschichte an wichtiger Stelle behandeln. Dem Autonomiebewegungschef und Kunsthistoriker Jerzy Gorzelik gefiel diese Konzeption und er lobte den damaligen Museumsdirektors Leszek Jodlinski öffentlich. Jodlinski steckte mitten in den Abschlussarbeiten am Bau des Museums und der Umsetzung der Ausstellung als zu seiner Überraschung sein Arbeitsvertrag nicht erneuert wurde. Nun ist das Museum ohne Direktor. O-Ton Stanislaw Ruksza: SPRECHER 10: "Nur wenige haben die Konzeption der Ausstellung, die der Auslöser für die Streitigkeiten ist, tatsächlich durchgelesen. Oberschlesiens Geschichte wurde im 18. Jahrhundert maßgeblich von der deutschen Industrialisierung bestimmt. Naja, das war nun mal so (lachend). Es gab hier sonst niemanden, der Industrie in diesem Umfang aufgebaut hätte. Die Ausstellungskonzeption sah aber auch ganz klar den polnischen Teil der Geschichte vor. Jodlinski war eigentlich eine unparteiische Person in diesem Szenario, aber die politische Denkweise hier diktiert die Logik, dass der Freund meines Feindes auch mein Feind ist. RAS hat zu recht diese Ausstellungskonzeption unterstützt, aber gleichzeitig hat Gorzelik dem ehemaligen Direktor Jodlinski einen Bärendienst erwiesen." AUTOR: Stanislaw Ruksza ist Kurator der Galerie Kronika in Bytom, die Teil eines noch im sozialistischen Polen gegründeten Kunstgalerieverbundes ist. Mit ihrem internationalen Programm ist sie weit über die Grenzen Oberschlesiens und Polens hinaus bekannt. O-Ton Stanislaw Ruksza SPRECHER 10: "Es hat sich herausgestellt, dass es hier einen Bedarf gibt, nicht nur über moderne Kunst zu sprechen. Denn Kunst ist ein ausgezeichneter Katalysator, um über gesellschaftliche Probleme zu reden, oder über unsere Träume. (...) Wir wussten, dass wir über die Jahre ein großes künstlerisches Potential geschaffen haben. Aber wir haben uns die Frage gestellt, ob wir nicht nur ein Publikum, sondern auch eine lokale Gesellschaft erschaffen können." AUTOR: Metropolis ist ihr aktuelles Großprojekt. Es beschäftigt sich mit den verschiedenen Identitäten der Region. In Zusammenarbeit mit der Krakauer Imago Mundi Stiftung hat Kronika über 50 Künstler, überwiegend von außerhalb Oberschlesiens, eingeladen, einen Blick von außen auf die Region zu werfen. O-Ton Stanislaw Ruksza: SPRECHER 10: "Ich bin sehr froh darüber, dass Metropolis die erste Ausstellung im neuen Schlesischen Museum in Kattowitz sein wird. Ich denke, das ist ein wichtiges Signal. Das Wissen all der Künstler mit vielen unterschiedlichen Aspekten wird ein großes, umfassendes Bild von Oberschlesien zeigen, das sowohl Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit einschließen wird. Wir wollen zeigen, dass die Region aus vielen Einzelteilen besteht. Dass wir Städte in Städten haben, Regionen in Regionen - sowohl gesellschaftlich, ökonomisch als auch die Bräuche betreffend." AUTOR: In dieser Ausstellung will sich Stanislaw Ruksza bewusst mit dem deutsch geprägten und in der schlesischen Mundart oft verwendeten Begriff der "Heimat" befassen - den es so in der polnischen Sprache nicht gibt. Und das heißt für den Ausstellungsmacher auch, dessen Schattenseiten aufzuzeigen: das Schicksalhafte, die Traumata, die zum Mythos Heimat auch dazugehören. Heimat als einen Ort vorzustellen, der viele Wunden trägt. Die 'wahren' Oberschlesier sind für ihn Menschen, die sich über all die Jahrzehnte hinweg, in denen Oberschlesien in Polen als peinlich und rückständig galt, zu dieser Region bekannt haben und geblieben sind. Die Gegend ist für ihn der größte urbane Organismus Polens und der es - Autonomie hin oder her - verdient hat, von der Warschauer Zentralregierung besser gefördert und gewürdigt zu werden. ATMO: Festsaalstimmung, Klatschen, Volksmusik AUTOR: Einige Wochen nach meinem Besuch in Oberschlesien fuhr ich zum 32. Beuthener Heimattreffen nach Recklinghausen im Ruhrgebiet. 95% der Besucher dort haben irgendwann einmal in Bytom gewohnt und sind als sogenannte "Spätaussiedler" nach Deutschland ausgewandert. Das geschätzte Durchschnittsalter liegt bei ca. 70 Jahren. Tendenz aufwärts. Auf der Veranstaltung treffe ich Halina Bieda von der Investmentfirma Armada. An einem Werbestand lädt sie mit Hochglanzprospekten zum Golfspielen ein. Ich frage einen Besucher, ob er zu der ehemaligen Kohlegrube Szombierki zum Golfspielen kommen würde. Golfspielen? - fragt er - Fußballspielen würde doch besser passen. O-Ton Besucher: SPRECHER 09: "Wenn es dort einen Skat-Club geben würde, dann würde ich dort hinkommen. Denn wer kein Skat spielen kann, der ist kein Oberschlesier." Musik Absage: Golfen auf Kohlegruben Über das neue Selbstbewusstsein Oberschlesiens Ein Feature von Sebastian Meissner Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2014 Es sprachen: Roman Frankl, Josef Tratnik, Sigrid Burkholder, Hüseyin Michael Cirpici, Hendrik Stickan, Jochen Langner, Axel Gottschick, Franz Laake und Ilse Strambowski Ton und Technik: Hendrik Manook, Kiwi Hornung und der Autor Musik: Joanna Bronislawska und Sebastian Meissner Regie: der Autor Redaktion: Karin Beindorff Musik 1