DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 11.02.2014 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Traumspuren Über Juliano Mer-Khamis und das Freedom Theatre in Jenin Von Heike Brunkhorst und Roman Herzog Produktion: DLF/NDR/WDR 2014 URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - O-Ton (Juliano Mer-Khamis) The Freedom Theatre is a space where people can think freely, where people can test their thoughts and their desires and their dreams, a place that people can be equal in sex, equal in rights, a place that people can cooperate. Sprecher 1 Das Freedom Theatre ist ein Ort, an dem Menschen frei denken können, ihre Wünsche und Träume ausleben können, ein Ort, an dem alle gleiche Rechte haben und zusammenarbeiten, Männer und Frauen. Denn Theater ist ein Ort zum Träumen. Immer wieder hören wir: "Wir haben keine Träume mehr." Selbst kleine Kinder träumen höchstens noch vom Tod. Wir haben den Halt verloren, unseren Traum von einer freien Gesellschaft, einer freien Kultur. Denn das hier ist nicht Palästina, es sind die letzten Spuren im Staub des Traums von einem Palästina. O-Ton (Juliano Mer-Khamis) Look, theatre is a place where you can dream. And we hear, "We don't dream any more". Even the small kids, the maximum dream is about death. We lost directions, we lost the dream, the dream of a free society, of culture. You know, Palestine, this is not Palestine, this is the footsteps of the dust from the dream of Palestine. Sprecherin 1 Juliano Mer-Khamis in einem Interview mit italienischen Journalisten im Dezember 2010. Mer-Khamis war Schauspieler in Israel und Theaterdirektor in Palästina, im Freedom Theatre im Flüchtlingslager Jenin, der Hochburg der Selbstmordattentäter während der zweiten Intifada, im Norden der West Bank. Im April 2002 wurde das Flüchtlingslager von israelischer Infanterie zehn Tage lang belagert. Palästinenser-Chef Yasser Arafat sprach vom palästinensischen Stalingrad. Die Einwohner leisteten Widerstand und wurden aus Helikoptern mit Raketen beschossen, die Häuser mit Bulldozern zerstört. 4.000 Menschen wurden obdachlos, ein Viertel der Bevölkerung des Flüchtlingslagers. 23 israelische Soldaten wurden getötet und 53 Palästinenser. Hier im Flüchtlingslager Jenin baute Juliano Mer-Khamis 2006 das Freedom Theatre auf, und hier wurde er am 4. April 2011 erschossen. Musik Sprecherin 3 (Ansage) Traumspuren. Über Juliano Mer-Khamis und das Freedom Theatre in Jenin. Ein Feature von Heike Brunkhorst und Roman Herzog. O-Ton (Anas Arqawi) A.: "The woman, she is the care of his son, they have been in Ramallah..." E.: "...And then like there is a guy, he has a black mask. Then he is killed in the car." Sprecherin 1 Anas Arqawi, Schauspielstudent am Freedom Theatre. Sprecher 2 Juliano kam aus Ramallah mit dem Babysitter zum Theater, um kurz reinzuschauen. Er fragte mich, "Anas, machst du mir einen Kaffee?" Er trank den Kaffee, umarmte mich, und sagte, "ich muss kurz los, bin gleich wieder da". Er wollte das Baby und den Babysitter nach Hause bringen. Sie gingen aus dem Theater, fuhren rechts herum und da stand ein maskierter Mensch und erschoss Juliano. Sprecherin 1 Juliano Mer-Khamis hinterließ seine Frau Jenny Nyman mit einem acht Monate alten Baby und schwanger mit Zwillingen. O-Ton (Jenny Nyman) I'm sure people in Jenin know. I'm sure. I don't know, but this is my impression. As something happens in broad daylight in the middle of the camp, somebody's gonna know. (Lachen) Sprecherin 2 Ich bin mir sicher, dass die Menschen in Jenin den Mörder kennen. Ich weiß es nicht, aber es ist mein Eindruck. Es ist am helllichten Tag passiert, mitten im Flüchtlingslager, irgendjemand wird etwas wissen. Sprecherin 1 Bis heute ist der Mord nicht aufgeklärt. Selbst die Nationalität des Täters ist unklar, ein Israeli, ein Palästinenser? Alle sind sich aber einig: er könnte von beiden Seiten ermordet worden sein. Jörg Schuhmacher, Leiter des Goethe Instituts in Ramallah. O-Ton (Jörg Schuhmacher) Ein Maniac, auf jeden Fall, dem es gelungen ist in den Jahren, die er in Jenin gearbeitet hat, diesen Ort, der sonst wirklich weitgehend durch Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit geprägt ist, in eine kulturelle Oase zu verwandeln, die gesellschaftlich und künstlerisch ambitionierte und relevante Arbeit geleistet hat, in 'nem Ausmaß, wie wir das hier in Ramallah nicht haben. Sprecherin 1 Jenin, ein Ort der Hoffnungslosigkeit. Die Stadt mit 50 Tausend Einwohnern teilt sich in Jenin Stadt und Flüchtlingslager Jenin, architektonisch kaum zu unterscheiden. Im Lager leben Palästinenser, die 1948 aus Israel vertrieben wurden, und ihre Nachfahren, zehntausend Menschen. Atmo (Deadly Currents - Streetperformance Juliano Mer 1989) O-Ton (Osnat Trabelsi) A.: (Kaffeehaus, Musik, Gespräche) "The first Time I really saw him in life, was at the times..." E.: "...The first Intifada was in '86/'87, exactly these years. " (Kaffeehaus, Musik, Gespräche) Sprecherin 1 Osnat Trabelsi, Dokumentarfilmproduzentin. Sprecherin 3 Ich habe Juliano zum ersten Mal gesehen, als er seine Straßenperfomances machte. Eine völlig verrückte Sache. Er hatte eine Trillerpfeife in seinem Hals und sprach damit. Er wusste, dass es im Rachen eine Stelle gibt, in die du etwas hineinstecken kannst, ohne zu ersticken. Ich erinnere mich, ich stand an einer Kreuzung und er machte seine Show mit diesen wilden Augen, so mutig, fast nackt und dabei so attraktiv. Man war also gleichzeitig angezogen und abgeschreckt. Es waren die Jahre der ersten Intifada, 1986/87. Atmo (Deadly Currents - Streetperformance Juliano Mer 1989) Sprecherin 1 Der kanadische Dokumentarfilmer Simcha Jacobovici hat in seinem Film "Deadly Currents" die Straßenperformance von Juliano Mer-Khamis festgehalten. Mitten in Tel Aviv. Ein kahlgeschorener fast nackter Mann steht auf einer Kreuzung, umringt von Israelis. Er mimt einen Straßenkampf, imitiert einen Steineschmeißer, die Geräusche der Gewehrschüsse von Soldaten und das Eintreffen der Kugeln im Körper des Kämpfers. Er begießt sich mit Blut und Farben. Die Menschen um den Schauspieler werden immer unruhiger, bis sie ihn tätlich angreifen. Er sei eine Schande, er solle Israel verlassen. Für solch einen Dreck wie ihn sei ein Hitler wirklich notwendig gewesen. Ein Mann holt eine große Eisenstange und will auf Mer-Khamis losgehen, andere halten ihn zurück. O-Ton (Osnat Trabelsi) A.: (Kaffeehaus, Musik, Gespräche) "People, I think, were shocked..." E.: "... people here think that they are very liberal and very open and left wing and for peace, but in fact they are the most racist people (Lachen) in Israel." (Kaffeehaus, Musik, Gespräche) Sprecherin 3 Die Menschen waren schockiert. Aber er wollte provozieren. Denn gibt es hier in Israel einen Krieg oder etwas, das so aussieht, sind alle sofort geeint und stehen hinter der Regierung, fühlen sich in Gefahr und stellen keine Fragen. Die Menschen brachten die Besatzung überhaupt nicht mit der Rebellion und den Steineschmeißern in Verbindung. Und Juliano brachte das mitten ins Zentrum von Tel Aviv, also genau dorthin, wo die Menschen sich so liberal, aufgeschlossen und linksgerichtet fühlen, dabei sind es die schlimmsten Rassisten Israels. Atmo (Deadly Currents - Streetperformance Juliano Mer 1989) Sprecherin 1 Juliano Mer-Khamis wurde am 29. Mai 1958 in Nazareth geboren: Vater: Saliba Khamis, ein palästinensischer Christ. Sekretär der Kommunistischen Partei Israels. Mutter: Arna Mer, jüdische Kämpferin in der Palmach, der Elitetruppe der israelischen Untergrundarmee bei der Eroberung Palästinas 1948. Arna Mer wurde später zur radikalen Aktivistin für Freiheit und Selbstbestimmung der Palästinenser. Der Regisseur Amos Gitai. O-Ton (Amos Gitai) You know, let's say, Arna and Saliba experimented Jewish-Arab relations on intimate terms. Sprecher 3 Arna und Saliba haben versucht, die arabisch-jüdischen Beziehungen als intimes Verhältnis zu leben. Menschen wie Juliano sind ein Produkt dieses Experiments, und das ist nicht einfach, mit all den verrückten Spannungen des Nahen Ostens, sich dann selbst einzuordnen. O-Ton (Jenny Nyman) A.: "He grew up with this divide, this split, this amazing combination, however you like to look at it ..." E.: "... I want to stay out of this and just be myself." Sprecherin 2 Juliano wuchs auf mit dieser Spaltung, dieser erstaunlichen Kombination, und war ein Produkt dessen. Er fand die doppelte Identität sehr nützlich, denn er konnte alle kritisieren, zu allen dazu gehören, oder auch nicht. Er hat daraus eine einzigartige Sicht auf das Leben und dieses Land entwickelt. Und ich denke, er ging als universelles Wesen daraus hervor. Er sagte, "ich bin so froh weder das eine noch das andere zu sein. Ich habe nichts zu tun damit, will nur ich selbst sein." Sprecherin 1 Tsafrir Cohen, Nahostreferent von medico international: O-Ton (Tsafrir Cohen) Er war im israelischen Militär. Der wollte unbedingt nicht wie seine Mutter und sein Vater sein. Der wollte unbedingt dazu gehören. Der ist zum Militär gegangen, war in einer Kämpfertruppe und dann kam der Befehl von seinem Chef, jetzt irgend so einen alten Mann zu schlagen, zusammenzuschlagen. Da hat er gesagt, das macht er nicht. Also ein alter Araber, ne, und dann, der einfach irgendwie da am falschen Ort war zur falschen Zeit. Und dann hat er sich geweigert und schlug den Offizier zusammen und ging da ins Gefängnis. Und das war das Ende seiner patriotischen, jüdisch-israelischen Karriere. Sprecherin 1 Amos Gitai. O-Ton (Amos Gitai) A.: "So I was preparing a film, which is called Esther..." E.:"...Of course he was there at eight o clock, and that was the beginning, so." Sprecher 3 Ich arbeitete an einem Film, Esther, die Adaption einer biblischen Geschichte, und ich wollte Juliano in einer Hauptrolle. Ich war bereits vorgewarnt von der Agentin, ob ich sicher sei, Juliano für meinen ersten Spielfilm zu wollen. Ich sagte "ja", denn ich mag Schauspieler mit einem starken Charakter. Am Ende des ersten Drehtages kommt Juliano zu mir und sagt, "Hey, Regisseur", er nannte mich noch nicht mal beim Namen, "ich muss nach Tel Aviv, ich brauche ein Auto". Ich sehe die Crew in seinem Rücken, die mir Zeichen macht, "gib ihm bloß nicht deinen Wagen, er wird niemals zurückkommen". Aber mir war klar, dass Juliano lediglich unsere Beziehung testet. Ich schaue ihm also in die Augen und sage, "sei morgen früh um acht Uhr wieder hier". Natürlich war er um acht Uhr da, und so fing alles an. Atmo (Auszug Suicide Notes from Palestine mit Musik) Sprecherin 1 Juliano Mer-Khamis war Ende der 80er-Jahre eine feste Größe der israelischen Film- und Theaterwelt, als seine Mutter Arna Mer das Projekt begann, das Mer-Khamis' weiteres Leben bestimmen sollte. O-Ton (Jonatan Stanczak) A.: (Spielende Kinder) "During the beginning of the first Intifada, Ana Mer-Khamis walked into ...." E.: "... He formed a small group of children and performed theatre productions and had drama activities there." (Spielende Kinder) Sprecherin 1 Jonatan Stanczak, kaufmännischer Direktor des Freedom Theatres. Sprecher 2 Zu Beginn der ersten Intifada, als alle Schulen in der West Bank von den Israelis geschlossen wurden, kam Arna Mer mit Papier und Stiften nach Jenin und verteilte sie unter den Kindern. So begann das Projekt Care and Learning, vier Kinderhäuser, in denen eine alternative Erziehung geboten wurde. Dafür erhielt Arna 1993 den alternativen Friedensnobelpreis. Sie nutzte das Preisgeld, um das Steintheater im Flüchtlingslager Jenin aufzubauen, das ihr Sohn, Juliano leitete, damals sicherlich einer der bekanntesten und kontroversesten Schauspieler Israels. Juliano baute mit Kindern eine Theatergruppe auf. O-Ton (Amos Gitai) A.: I even filmed there because at some point in '93, arte wanted me to do four hours..." E.: ...and I filmed in the theatre. He had a feeling, that something bad also may happen, you know." Sprecher 3 Ich habe im Theater in Jenin gedreht, 1993 bat arte mich um eine vierteilige Dokumentation über die israelisch-palästinensischen Verhandlungen. Und Juliano sagte, "warum kommst du nicht mit mir nach Jenin?" Also sind wir hingefahren. Er hatte das Gefühl, dass vielleicht etwas Schlimmes passiert. O-Ton (Juliano Mer-Khamis) A.: Autoverkehr Hebräisch ... E.: ... Hebräisch, Autoverkehr. Sprecher 1 Jedes mal wenn ich hierher komme und jemand mit einer Axt neben mir steht, denke ich, was zum Teufel tue ich hier eigentlich, ich mache doch nur Theater und ich bin nicht bereit, für einen palästinensischen Staat zu sterben. Wenn es zu irgendwelchen Vorfällen kommt und sich zuspitzt, bleibe ich immer ein, zwei Tage in Tel Aviv. Die sind mit Äxten auf uns losgegangen, na ich habe vielleicht gezittert. Dann kam einer von Al Fatah und einer von den Radikalen und die Lage hat sich entspannt. Ich war noch zwei Wochen danach völlig fertig. Und dann war da noch die Sache mit dem grünen Kleid: ein Mädchen kam mit diesem Kleid auf die Bühne, aber ohne lange Hose drunter. Es gab einen riesen Skandal. So wurde beschlossen, dass sie unter dem grünen Kleid eine Hose tragen muss. Wir sind hier nicht in Tel Aviv. Solche Sachen können verhängnisvoll sein, entscheiden über Leben und Tod. O-Ton (Mustafa Staiti) A.: (Stimmen) "Now after '95 Arna died, so he found himself a bit lonely and sad..." E.: "...Two of them did a suicide attack in Hadera. And that was the reason for Juliano to come back." Sprecherin 1 Mustafa Staiti, Leiter der Filmabteilung im Freedom Theatre. Sprecher 5 Als Arna 1995 starb, war Jule ein wenig auf sich alleine zurückgeworfen und traurig. Er legte eine Pause ein und kehrte nach Haifa zurück. 2002 wurde das Steintheater dann in der zweiten Intifada zerstört. Und Zamira Zubeidi aus dem Flüchtlingslager, die Arna und das Theater beherbergt hatte, wurde von einem israelischen Scharfschützen durch Herz- und Kopfschuss getötet. Auch die meisten Studenten Julianos wurden erschossen und zwei machten einen Selbstmordanschlag. Das war der Grund für Juliano, zurückzukehren. O-Ton (Jonatan Stanczak) A.: (Kinderstimmen) "In 2002 Juliano Mer-Khamis received a call from one of his former students...." E.: "... This material, that is Julianos documentation of the work of his mother, became the film Arna's Children." (Stimmen, Lachen) Sprecher 2 2002 erhielt Juliano einen Telefonanruf von einem seiner ehemaligen Studenten, der jetzt ein junger Erwachsener war. Er bat Juliano um Hilfe. 2002 wurde das Flüchtlingslager in der Schlacht von Jenin belagert, die Operation Defensive Shield, eine israelische Invasion der West Bank. Juliano kehrte zurück mit einer Kamera und filmte das Schicksal der Kinder, mit denen er zehn Jahre zuvor gearbeitet hatte. 2003 waren dann die meisten seiner ehemaligen Studenten tot. Aus diesem Material und seiner alten Dokumentation über die Arbeit seiner Mutter entstand der Film Arna's Children. O-Ton (Mustafa Staiti) A.: "Jusef he killed four people. If you asked Juliano, he would never say..." E.: "... that transformation between being an actor and being a suicide operator is what interested Juliano here." Sprecher 5 Jusef hat mit einem Selbstmordattentat vier Menschen getötet. Würdest du Juliano fragen, hätte er das niemals für möglich gehalten. Hörst du dann die Geschichte, dass ein israelischer Panzer eine Schule beschießt und du ein kleines zerfetztes Mädchen in den Armen trägst, verstehst du Jusefs Wut, die er nicht kontrollieren konnte. Keiner von uns, du, ich, wer auch immer dieses Interview hört, ist jemals an diesem Punkt gewesen. Zu Julianos Zeiten wollte Jusef ein berühmter Schauspieler werden. Die zweite Intifada kommt und verändert alles, er wird zum Selbstmordattentäter. Diese Transformation vom Schauspieler zum Selbstmordattentäter hat Juliano interessiert. Sprecherin 1 Zakaria Zubeidi, Student bei Arna, während der zweiten Intifada Chef der Al-Aqsa Brigaden in Jenin, dann Mitbegründer des Freedom Theatres. O-Ton (Zakaria Zubeidi) A.: "Arabisch ..." E.: "... Arabisch" Sprecher 6 Als Juliano Arna's Children drehte, fragte er mich, "was sollen wir mit den Erlösen machen?" Ich sagte, "wir sollten das Theater wieder aufbauen". Eine Woche später rief er mich aus Haifa an und sagte, "wir bringen das Theater wieder nach Jenin". Das Steintheater lag in Trümmern. Also gingen wir in eine ausgediente Lagerhalle der UNO. Jule stand vor der Tür und fragte, "wo ist der Schlüssel?" Ich sagte, "es gibt keinen Schlüssel". Er nahm eine Eisenstange und sagte, "brich sie auf". Als wir die Tür aufbrachen, sahen wir nur Staub, zerstörte Möbel und überall Ratten. Die Sonne schien durchs Fenster, der Staub flimmerte in der Luft. Jule stand mitten im Raum, breitete die Arme aus und rief "Wow!" Sprecherin 1 In wenigen Monaten entstand aus der ehemaligen Lagerhalle das Freedom Theatre mit 200 Plätzen. Juliano Mer-Khamis sammelte Techniker um sich und begann seine Arbeit mit Jugendlichen. Adnan Raneri, Bühnenmeister des Freedom Theatres. O-Ton (Adnan Raneri) A.: Kinderstimmen "When Juliano he start the groups in the, in the Freedom Theatre..." E.: "...I thought he is training soldiers not actors. (Lachen) He is really, is creating fighters, but in his way. So here, Nabil is, comes in. " Sprecher 7 Als die Arbeit mit den Gruppen begann, ging Juliano ins Flüchtlingslager, zum Coffee shop. Das war nach sechs Jahren Intifada und Kämpfen, 2006. Als er zurückkam, brachte er 25 Jugendliche mit, zwischen 12 und 15 Jahren. Ich kannte sie und fragte Juliano, "was willst du denn mit diesen Steinen"? Ich nenne sie Steine, weil es so schwer ist mit ihnen. Er sagte, "wart's nur ab, du wirst schon sehen". Dann begann Juliano mit ihnen Übungen zu machen und zu arbeiten. Und als ich sah, wie er das tat, dachte ich, er bildet Soldaten aus, keine Schauspieler. Dann kam Nabil. Sprecherin 1 Nabil Al Rae, Regisseur und heutiger Künstlerischer Leiter des Freedom Theatres. O-Ton (Nabil Al Rae) A.: "In Al Kasaba theatre in Ramallah I got a phone call from someone called Juliano..." E.: "...And I would like you to work with the boys, if possible. I said, great, I will do that." Sprecher 8 Im Al Kasaba Theater in Ramallah bekam ich einen Anruf von einem gewissen Juliano. Ich wusste, er hatte mit dem Film Arna's Children zu tun. Er fragte mich, ob ich eine Produktion in Jenin machen könnte. Ich sagte großartig, denn ich wollte gern in Jenin arbeiten. Als wir uns trafen, war er total beschäftigt und sprach Hebräisch am Telefon. Das war sehr merkwürdig für mich. Denn Hebräisch höre ich nur von Soldaten, nicht von Menschen. Er organisierte gerade, dass ein kleines Mädchen zur Operation in ein israelisches Krankenhaus gebracht wurde. Dann redeten wir über die Arbeit. Er sagte, "wir wollen eine Produktion machen und ich habe zwei Gruppen, eine für Mädchen, eine für Jungs, und ich möchte, dass du wenn möglich mit den Jungs arbeitest." Ich sagte "O.K., mach ich". O-Ton (Adnan Raneri) A.: "I thought in the beginning, if any come, one comes from outside of the camp, no one, will except. ..." E.: "...it is until twelve in the night I mean, Nabil, he's working hard with them." Sprecher 7 Ich dachte anfangs, jemand von außerhalb des Lagers würde niemals akzeptiert werden. Aber Nabil hatte dasselbe Blut, auch er war Flüchtling. Sie akzeptieren ihn und Nabil begann mit ihnen zu arbeiten, bis zwölf Uhr nachts. Es war hart. O-Ton (Nabil Al Rae) A.: "So I started to work with them, doing simply a drama workshop......" E.: "...There is no respect for anything in their life. " Sprecher 8 Ich machte also einen Theaterworkshop mit ihnen, denn Theater an sich kann, glaube ich, eine Art Therapie sein. Sie haben mich wahnsinnig gemacht, haben alles versucht, um nicht zu arbeiten. Ich habe nicht nur als Regisseur und Schauspiellehrer gearbeitet, sondern wie ein Sozialarbeiter. Denn sie überschritten Grenzen jenseits aller Grenzen. Autoknacker, Diebe, üble Typen. Diese Arbeit hatte für sie keinerlei Bedeutung. Es ist die Generation der 14- bis 18-Jährigen, die die Belagerung Jenins erlebt haben: voller Energie, total verspannt, vollkommen gleichgültig und respektlos gegenüber allem. O-Ton (Adnan Raneri) A.: "You know, I told you it's rocks. And when we come to the, you know, the sketch ..." E.: "...It was "The journey". I remember exactly, because this is our start here." Sprecher 7 Steine eben! Dann sollten sie Szenen lesen, aber einige konnten nicht lesen und schreiben. Also musste ein Arabischlehrer geholt werden, um es ihnen beizubringen. Nicht nur Schauspiel also, sondern auch Bildung, ganz zu schweigen vom Englisch. Nach einiger Zeit hatten sie dann ihre erste Aufführung, "Die Reise". Das war unser Beginn. Atmo (Auszug Theaterstück Stolen Dreams - Szene die Reise zum Meer) Sprecherin 1 Das Stück handelt von den Sehnsüchten der Jugendlichen im Flüchtlingslager, die wegen der israelischen Besatzung niemals das Meer gesehen haben. O-Ton (Nabil Al Rae) A.: "So, in fact we told ourselves me and Juliano that we really find ourselves together..." E.: "...This makes this place very special, very, very, very special." Sprecher 8 Juliano und ich hatten den Eindruck, uns wirklich gefunden zu haben. Denn wir hatten dieselbe Art zu arbeiten und zu denken. Er fragte mich dann, "was hältst du davon, fest hier zu bleiben?" Ich sagte, "großartig". Mitten im Blut Theater zu machen, ist eine großartige Sache. Ich weiß nicht, ob es das noch irgendwo sonst auf der Welt gibt. Das macht diesen Ort so besonders. Sprecherin 1 Juliano Mer-Khamis baut das Freedom Theatre dank Spenden aus aller Welt zu einer professionellen Bühne und Schauspielschule aus, mit zwei Dutzend Mitarbeitern. Neben der dreijährigen Schauspielschule, werden Ausbildungen in Fotografie, Film und Multimedia angeboten. Wie schon bei Arna, arbeitet Juliano auch mit Dramatherapie. Petra Barghouti. O-Ton (Petra Barghouti) A.: "I met Juliano in 2008. And he was looking for somebody to do drama therapy..." E.: "...then their trauma and then relationships with their family and then relationships with the army et cetera." Sprecherin 4 Ich habe Juliano 2008 kennengelernt, als er eine Dramatherapeutin suchte. Dramatherapie ist in Palästina nicht sonderlich verbreitet, vielleicht war ich sogar die Erste, die Dramatherapie studiert hat. Er war sehr froh darüber und wir begannen sofort mit den Kindern im Flüchtlingslager zu arbeiten und mit den Schauspielstudenten. Dann meinte Juliano, wir sollten es ausweiten und auch mit den Erwachsenen arbeiten, insbesondere den Frauen. Das größte Problem und Herausforderndste für mich war, dass alle jungen Menschen Märtyrer werden wollten. Sie wollten sterben fürs Vaterland. Das hat mich stark getroffen. Das zu verändern, wäre für mich das Größte. Also begann ich, mit ihnen imaginäre Orte zu kreieren, wo sie tun und lassen können, was sie wollen. Dann improvisierten sie mit Charakteren, um ihre Träume ausleben zu können. Und dann, langsam, langsam begannen sie, ihre Ängste und Traumata auszudrücken, ihr Verhältnis zur Familie, zum Militär etc. O-Ton (Nabil Al Rae) A.: "Every Palestinian is a traumatized. You have to realize that ..." E.: "...if you have a certain problems, if you suffer from something, that you couldn't express in your life." Sprecher 8 Alle Palästinenser sind traumatisiert. 65 Jahre Besatzung reichen aus, um traumatisiert zu sein. Aber das heißt nicht, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die besondere Pflege brauchen. Nein, es sind normale Menschen. O-Ton (Petra Barghouti) A.: Kinderstimmen "Most of the time in the voice, and the speech..." E.: "...They have no other alternatives. Yeah, there was no life. They were living really in the death." Kinderstimmen Sprecherin 4 Das Trauma wird vor allem in der Stimme deutlich und im Sprechen. Weil sie zum Schweigen gebracht wurden durch die Helikopter und Bomben. Der allgegenwärtige Tod ist das einzige was sie gesehen und gelernt haben. Was können sie also anderes ausdrücken, als Tod. Sie haben keine Alternative, kein Leben, sie leben den Tod. Atmo (Auszug Theaterstück Suicide Notes from Palestine) O-Ton (Adnan Raneri) A.: "After this, Juliano he would like to have the Animal Farm. " E.: "So outside the people they start focussing and they are visiting and they will know what we are doing here with these kids after seven years Intifada. And we were still between the weapons. " Sprecher 7 Juliano wollte dann Animal Farm machen. Dadurch wurden die Menschen aus dem Ausland auf uns aufmerksam und besuchten das Freedom Theatre, um zu erfahren, was wir mit den Jugendlichen nach sieben Jahren Intifada machen. Überall waren noch Waffen im Umlauf. O-Ton (Nabil Al Rae) A.: "Animal Farm was the first production that was done inside of the acting school..." E.: "...by the Palestinian Authority. I was not allowed to travel for one year." Sprecher 8 Animal Farm war die erste Produktion mit den Studenten der dreijährigen Schauspielschule. Natürlich haben wir es an unsere Situation angepasst. Denn wir glauben, mit dem Oslo-Abkommen 1993 hat eine neue Phase der Besatzung begonnen. Aber viele haben nicht erkannt, dass das Abkommen die israelische Besatzung nicht beendet. Das Stück aufzuführen, war sehr lehrreich für unsere Studenten, für die Ausbildung und wegen des Inhalts. Wir haben kritisiert, wie die Palästinensische Autonomiebehörde agiert, wie die Israelis die Palästinensische Autonomiebehörde benutzen und wie beide Seiten zusammen gegen dieselben Menschen vorgehen. Das war ein Skandal. Ich selbst wurde drei Wochen lang von den palästinensischen Behörden verhört und bekam Reiseverbot für ein Jahr. Sprecherin 1 Animal Farm machte das Freedom Theatre 2009 international bekannt. Fortan kamen bekannte Theatermenschen aus aller Welt und beteiligten sich an der Ausbildung der Studenten. Aber das Theater stieß auch auf Widerstand in Jenin. Flugblätter kursierten. Es wurden Anschläge verübt. O-Ton (Nabil Al Rae) A.: "At the same time, the theatre was almost set on fire. ..." E.: "...it was a very physical play and by the way it was presented in Germany in different places." Sprecher 8 Zur selben Zeit wurde das Theater fast in Brand gesteckt. Wir hatten Glück, fast hätten wir das ganze Theater verloren. Aber wir nahmen diese direkten oder indirekten Drohungen gegen Juliano oder das Theater nicht wirklich ernst. Wir haben einfach weitergemacht. Das nächste Stück hieß "Fragments of Palestine" - eine interne Kritik an der Situation in Palästina. Wir thematisierten den Konflikt zwischen Hamas und Fatah, als die Hamas in Gaza die Regierung übernahm, und es zu Kämpfen kam. Es ging um diese Spaltung der palästinensischen Gesellschaft. Deshalb auch Fragmente, denn wir alle wissen, dass Palästina nur noch aus Fragmenten besteht, aus irrealem Staub. Es war ein starkes Stück, sehr körperlich und ging auch in Deutschland auf Tournee. Sprecherin 1 Ein wesentliches Thema des Freedom Theatres war von Beginn an der bewaffnete Kampf gegen die Besatzung. O-Ton (Jenny Nyman) A.: "His position was very clear. He wasn't against violence... E.: "...getting up on stage and citing Shakespeare is not gonna help you much (Lachen), you know." Sprecherin 1 Die Witwe Jenny Nyman. Sprecherin 2 Julianos Position zur Gewalt war eindeutig: er war nicht gegen Gewalt oder den bewaffneten Widerstand. Er fällte auch kein moralisches Urteil, "das ist gut und das nicht". Er sagte: "Du entscheidest, wie du dich wehrst. Ich bin hier, um dir andere Wege zu zeigen." Er hat nicht für die Kämpfer geworben, sondern er dachte, es wäre großartig, wenn die Menschen einen anderen Weg des Widerstands gegen die Besatzung fänden. Aber er sagte ihnen nicht, ihr dürft nur diese Waffen verwenden und keine anderen. In einer Situation extremer militärischer Besatzung hilft es dir vielleicht wenig, auf der Bühne Shakespeare zu rezitieren. O-Ton (Qais Assaadi) A.: "Just I wanted to be a martyr, because they killed my close family, my close friend..." E.: "...by the theatre I kill every Israeli people, not only one! In the end I will not be dead, I will be alive." Sprecher 6 Auch ich wollte ein Märtyrer werden, denn sie haben meine Verwandtschaft und meine Freunde getötet. Den letzten vor einem Monat . Die Israelis haben ihn umgebracht. Ich bin sehr wütend, er war erst 20. Aber ich möchte nicht mein M16-Maschinengewehr holen und schießen. Ich möchte nicht sterben, sondern leben und lernen, Theater, Kultur, Bücher. Ich glaube an die kulturelle Intifada, nicht an die bewaffnete. Mit meinem M16 kann ich nach Israel gehen und einen töten. Aber mit der Kultur kann ich alle Israelis töten. Außerdem werde ich dann nicht tot sein, sondern leben. Sprecherin 1 Die Abschlussproduktion des ersten Jahrgangs der Schauspielschüler des Freedom Theatres wird 2011 Alice in Wonderland, Regie Juliano Mer-Khamis. Atmo (Auszug Theaterstück Alice in Wonderland) O-Ton (Juliano Mer-Khamis) A.: "I mean, now we are going to do our next scandal, which is Alice in Wonderland..." E.: "...She's gonna say: "Give me a brake guys, I have my own way". Ufffffff ... that's dangerous." Sprecher 1 Alice in Wonderland wird unser nächster Skandal. Denn unsere Alice ist kein dummes Mädchen. Sie rebelliert, gegen die Tradition, die Religion, die Schule, die Eltern. Sie sagt, "ich gehe meinen eigenen Weg". Das ist gefährlich. O-Ton (Jenny Nyman) A.: "The situation of women was a major thing for Juliano.... E.: "...So it became a much more patriarchal society, I guess, you could say." Sprecherin 2 Vor allem die Situation der Frauen lag Juliano am Herzen. In der ersten Intifada waren die Frauen Teil der Gesellschaft und des Widerstands. Als Juliano am Ende der zweiten Intifada nach Jenin zurückkam, waren die Frauen zu Hause, hatten nicht teil am gesellschaftlichen Leben. Mädchen durften nicht ins Theater kommen, es war eine sehr patriarchale Gesellschaft geworden. O-Ton (Adnan Raneri) A.: Minarettgesang "Alice in the Wonderland it was the best and the challenge what you are looking for..." E.: "...you are going to have a coup in the society by the girls, this is the real challenge it was." Minarettgesang Sprecher 7 Alice war das beste Stück, das wir gemacht haben. Es war das, was wir wollten: Die Frage nach der Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Das war Julianos größte Provokation. Es ging um die Revolution und den arabischen Frühling, der zur selben Zeit in Ägypten begann. Und Alice war auch nicht so direkt, man musste mehr darüber nachdenken. Viele Lehrer und einige Frauen sagten in den Diskussionen nach dem Stück, "das ist wie ein Putsch, eine Machtübernahme der Frauen in der Gesellschaft". Darum ging es. O-Ton (Zakaria Zubeidi) A.: "Arabisch..." E.: "... Arabisch" Stimmen, Musik Sprecherin 1 Zakaria Zubeidi Sprecher 6 Der Mord folgte auf Alice in Wonderland, zu einer Zeit, als sich im Lager einiges veränderte und es viel Unruhe gab. Als die junge Frau mit dem Auto durchs Lager fuhr und per Lautsprecher ankündigte, in 15 Minuten beginne das Stück Alice in Wonderland am Freedom Theatre und als sie dann mit 1.500 Menschen zurückkam, die das Stück sehen wollten, bekam ich Angst. Triffst du auf so viel Zustimmung, bist du ihn Gefahr. Denn dann gibt es auch viele Gegner. Sprecherin 1 Stephan Wolf-Schönburg, einer der internationalen Unterstützer als Schauspiellehrer am Freedom Theatre. O-Ton (Stephan Wolf-Schönburg) (Kindergeschrei, Blätter im Wind) Wir waren am Tag vorher bei der Premiere von "Die Stühle" in Ramallah gewesen, die Juliano inszeniert hat, da war er eingesprungen. Und wir hatten am nächsten Tag vor, ein Stück zu lesen, und also 'ne Probe zu haben. Und ich habe Juliano sogar noch kommen hören, der war im Theater kurz und fuhr dann weg und wir lasen, und dann hat man die Schüsse gehört, also. Aber die waren gar nicht so laut. Aber die Studenten, die waren sofort alarmiert. Sofort. Gerade Rabea, der hat sofort gewusst, was das für eine Waffe ist. Der hat das gehört. O-Ton (Qais Assaadi) A.: "We was have the first day of rehearsing to read a play with Stephan..." E.: "...He was so close to me. He is like a father and a mother for us." Kinderstimmen Sprecherin 1 Qais Assaadi Sprecher 6 Wir hatten gerade den Text aufgeschlagen, als die Schüsse fielen. Juliano war tot. Es war sehr hart für uns, ihn ermordet zu sehen. Ich stand unter Schock und habe nicht geweint, danach auch nicht, nur in der Nacht, wenn mich keiner sieht. Ich erinnere mich jeden Tag an Juliano. Er war mir so nah. Er war wie ein Vater und eine Mutter für uns. O-Ton (Mustafa Staiti) A.: "The Israeli media was talking about a peace activist who came from Israel to Jenin..." E.: "...And even after he got killed, it is the same story." Stimmen Sprecherin 1 Mustafa Staiti Sprecher 5 Die israelischen Medien sprachen von einem Friedensaktivisten, der nach Jenin gekommen sei, um den Palästinensern zu helfen, die ihn dann erschossen hätten, weil er Jude war. Und die palästinensischen Medien sprachen von einem Kollaborateur, der die Kultur der Palästinenser zerstören wollte. Diesem Konflikt war Juliano sein ganzes Leben lang ausgesetzt. In Israel war er ein Araber, hier war er ein Jude. Bis zu seinem Tod ist er diesem Konflikt niemals ausgewichen. O-Ton (Abeer Baker) A.: "Half a year after the murder, some people from the theatre were arrested..." E.: "...Listen, if they want to, if the Palestinians also want to know, they can know." Sprecherin 1 Abeer Baker, die Anwältin der Familie. Sprecherin 3 Sechs Monate nach dem Mord wurden einige Mitglieder des Theaters verhaftet und verdächtigt, mit dem Mord zu tun zu haben. Das konnten wir kaum glauben. Andererseits sagten wir, "es könnte sein, wir wissen es nicht. Lassen wir doch die Sicherheitsbehörden ihre Arbeit machen". Der Staatsanwalt sagte mir dann, dass der Shabak, also der Geheimdienst, die Polizei und die Armee, die drei wesentlichen Sicherheitsbehörden Israels also, den Fall übernommen hätten. Wunderbar, dachte ich, jetzt geht's richtig los. Ich schrieb Briefe, rief sie an, fuhr hin, bis heute haben wir keine Antwort. Unser Eindruck ist, dass Israel nicht wirklich wissen will, wer Juliano Mer-Khamis umgebracht hat. Sie haben kein Interesse daran. Oder aber es gibt einen anderen Grund, warum sie diesen Fall nicht intensiver verfolgen. Leider haben wir aber auch von den palästinensischen Ermittlungsbehörden das Gefühl, dass ihnen der Fall widerstrebt. Wenn sie es wissen wollen - auch die Palästinenser -, können sie es erfahren. O-Ton (Petra Barghouti) A.: Kinderstimmen "The crime happened in the Palestinian side, among the Palestinian people..." E.: "...It's very complicated, a lot of things. He represented the Palestinian Israeli conflict." Kinderstimmen Sprecherin 4 Der Mord geschah auf palästinensischer Seite, dort wo er mit den Palästinensern gelebt und gearbeitet hat. Genau das wollten sie töten, die palästinensische Seite Julianos - eine Art Ermordung der Rechte und Hoffnungen der Palästinenser. Egal ob der Mord von israelischer oder palästinensischer Seite erfolgt ist. Denn er hatte diese doppelte Identität. Und weil er sich nicht für die eine oder andere Seite entschieden hat, spiegelt sich in ihm der Konflikt. Denn die meisten machen es sich einfach, sagen, "ich bin Israeli", oder "ich bin Palästinenser und vergesse meine andere Seite". Genau das hat er nicht getan. Er hat sich nicht entschieden. Juliano ist die Palästinafrage. Er ist ungemein komplex und hat den Konflikt wirklich verkörpert. Atmo (Auszug Theaterstück Suicide Notes from Palestine) O-Ton (Qais Assaadi) A.: (Kinderstimmen) "After one week we says, we have to continue, we can't stop ..." E.: "...I don't know, how we, we finished the play. Because we was all the time remembering Juliano." Sprecher 6 Nach einer Woche sagten wir, "wir können nicht aufhören. Der Mörder will, dass wir aufhören. Es ist eine Herausforderung." Wir schlossen die Türen, gingen auf die Bühne und sagten, "wir müssen weitermachen" Und nach zwei Monaten haben wir "Was noch?" aufgeführt, das erste Stück nach Julianos Tod. Ein wirklich schönes Stück. Denn es kam aus unseren Herzen und es sind unsere Geschichten. Aber ich weiß nicht, wie wir es geschafft haben, das Stück auf die Bühne zu bringen, denn wir dachten jeden Tag an Juliano. Sprecherin 1 Saber Abu-Ashreen, Schauspielstudent des zweiten Jahrgangs. O-Ton (Saber Abu-Ashreen) A.: (Flex im Hintergrund) "We feel that danger, still like all the time have this kind of feelings, you know..." E.: "...But we will never give up, we will continue his message and continue with his work." Sprecher 2 Wir hatten die ganze Zeit Angst, jemand würde kommen und uns erschießen. "Was noch?" entstand aus unseren eigenen Geschichten. Es war ein starker Abend, denn jede Szene war eine eigene Geschichte, von den Frauen, der Gesellschaft, der Besatzung, den Problemen, mit denen wir zu tun haben in unserer Gemeinschaft. Es war auch ein Geschenk an Juliano und eine Botschaft an alle, "auch wenn Juliano ermordet worden ist, machen wir weiter. Wir werden niemals aufgeben, sondern seine Arbeit weiterführen". Musik Sprecherin 3 (Absage) Traumspuren Über Juliano Mer-Khamis und das Freedom Theatre in Jenin Sie hörten ein Feature von Heike Brunkhorst und Roman Herzog. Es sprachen: Franziska Arndt, Marietta Bürger, Hüseyin Michael Cirpici, Robert Dölle, Stefko Hanushevsky, Tom Jacobs, Thomas Balou Martin, Katharina Schmalenberg, Heike Trinker und Bruno Winzen Ton und Technik: Michael Morawietz und Angelika Brochhaus Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Hermann Theißen Eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Westdeutschen Rundfunk und dem Norddeutschen Rundfunk 2014. 28 1