COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : Literatur Kostenträger : 5526 Titel der Sendung : Hitlers Revolver. Ein Porträt des amerikanischen Schriftstellers William H. Gass Autor : Sven Ahnert Redakteur : Kolja Mensing Sendetermin : 1. November 2011 Besetzung : Sprecher 1 (Autorentext) Sprecher 2 (männlich! / Voiceover und Zitate) Sprecher 3 (Zwischentexte, Überschriften) Regie : Klaus-Michael Klingsporn Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 VORSCHLAG ANMODERATION: Er gilt als Enfant terrible der amerikanischen Postmoderne: William H. Gass, Philosoph und Schriftsteller. In den USA sind Kritiker und Leser gespalten, ob sein neues Werk nun brillant ist oder einfach nur verworren. Es ist ein Monstrum von einem Roman - und ein Lebenswerk: Dreißig Jahre hat Gass an 'Der Tunnel' gearbeitet, der in diesem Herbst in deutscher Übersetzung erscheint. Im Mittelpunkt steht ein Historiker, der an einer wissenschaftlichen Arbeit über "Schuld und Unschuld in Hitlers Deutschland" verzweifelt. William Gass hat daraus einen 1000 Seiten langen Monolog voller Selbsthass und Weltschmerz gemacht, eine furiose verbale Achterbahnfahrt, die von Amerika bis ins alte Europa führt und auch vor Geschmacklosigkeiten nicht halt "Der Tunnel" wirft einen zynischen Blick auf den Umgang mit dem Faschismus und dem Holocaust - aber er ist auch eine Reflexion über das die Einsamkeit eines Schriftstellerdaseins. William H. Gass lebt heute im Alter von 87 Jahren in St. Louis, in einem Haus mit fast 20.000 Büchern, umgeben von den Geistern der literarischen Moderne. Sven Ahnert hat ihm dort einen Besuch abgestattet. MATERIAL FÜR ABMOD: William H. Gass: "Der Tunnel". Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2011, 1096 Seiten, 36,95 Euro Deutschlandradio Kultur - Literatur 1. November 2011 Hitlers Revolver William Gass und sein Jahrhundertroman "Der Tunnel" Autor: Sven Ahnert Redaktion: Kolja Mensing Tel 040.4500358 / mobil: 01702352247 Sprecher 1 - ( Autorentext ) Sprecher 2 - ( männlich, voiceover, Zitate) Sprecher 3 - ( Zwischentexte, Überschriften) Originalton William H. Gass, Heinz Ickstadt, Nikolaus Stingl, Thomas Überhoff Musik Rammstein "Amerika", Schönberg op.19 / op.25 ANFANG SENDUNG Sprecher 1 Er hat sogar einen Stern auf dem Walk of Fame auf dem Delmar Boulevard, Hausnummer 6632, in St. Louis. Seit 1998 teil er diese Ehre mit Ulysses S. Grant, T.S. Eliot, Josephine Baker, Scott Joplin, Chuck Berry und Tina Turner. Der Schriftsteller William Howard Gass - ein Star? 1. O-Ton William Gass (liest) So now I´m done. This is the moment of release. I should dedicate and christen my chef-d´oeuvre and float it forth to flags and bands, waterspouts and whistles, cheering thongs, and yet I find I cannot break a bottle on ist prow or waste a drop. Why not, for christ´s sake? Why not? Certainly I´m sensitive to the quality of my own work It cannot bring me less than fame. I also know I shall be cursed. For both, my fat wife waits. Sprecher 2 (Zitat) "Jetzt bin ich also fertig. Das ist der Moment der Befreiung. Eigentlich müsste ich mein Meisterwerk dedizieren und taufen, es mit Flaggengala und Blechmusik, Wasserfontänen und Dampfpfeifen und jubelnden Menschenmengen vom Stapel lassen, doch ich stelle fest, dass ich an seinem Bug keine Flasche zerschmettern, keinen Tropfen darauf verschwenden kann. Warum nicht, Herrgott noch mal? Warum nicht? Gewiss nehme ich die Qualität meines Werkes sehr wichtig. Es darf mir nichts anderes als Ruhm bringen. Zugleich weiß ich, dass man mich dafür verfluchen wird. Auf beides wartet meine fette Frau." Sprecher 3 William H. Gass, "Der Tunnel" Musik: Schönberg / Rammstein [kurzer Akzent] Sprecher 1 In Central West End schlug einst das literarische Herz von St. Louis. William S. Burroughs, T.S. Eliot und Tennessee Williams lebten und arbeiteten hier. Bis spät abends flanieren auf der Euclid Street Touristen, Studenten, Künstler und blättern in Büchern und Zeitschriften. Gleich um die Ecke liegt der Campus der Washington University, dem ehemaligen Arbeitgeber von William H. Gass. Von 1969 bis 1999 lehrte er hier Philosophie und Literatur. An der Universität lernte er auch seine spätere Frau Mary kennen. Sprecher 3 Mary Henderson-Gass ist Architektin und Autorin einer Monographie über den historischen Bezirk Parkview, in dem das Ehepaar Gass heute noch in einer Stadtvilla lebt. Sprecher 1 Der 87-jährige Autor spaziert oft noch die acht Minuten zum Campus, um hin und wieder alte Kollegen oder Studenten zu treffen. I. Atmo/ O-Ton Buchhandlung Left Bank Books, St. Louis Sprecher 1 Der Stadtteil atmet europäisches Flair, eine Mischung aus Amsterdam, Paris, London: überall Bars, Boutiquen und Buchhandlungen. Eine davon ist Left Bank Books, keine linke Autorenbuchhandlung deutschen Zuschnitts, aber eine gut sortierte, im besten Sinne altmodische Buchhandlung - nach amerikanischen Gesichtspunkten. Stöbert man durch die Regalreihen und kommt zum Buchstaben G, sucht man vergeblich den Namen Gass. Die Verkäuferin und ihr Kollege haben den Namen schon einmal gehört. Vor einigen Wochen hätten sie ein Buch von ihm verkauft. Welches? Keine Ahnung. Gass ist kein Bestseller, eher eine literarische Legende, Wir gehen eine Treppe tiefer ins moderne Antiquariat von Left Bank Books. II. Atmo/ O-Ton Buchhandlung Left Bank Books, St. Louis Here we have "Heart of the heart of the country", The tunnel has a different cover . . . II.Atmo/ O-Ton Buchhandlung Left Bank Books, St. Louis Sprecher 1 Hier stehen einige Bücher von Bill Gass, wie sie ihn hier nennen. Essaybände wie On being Blue zum Beispiel. Buchhändlerin Anne, Mitte Zwanzig, kurzes blondes Haar, blättert interessiert in Gass´ Erzählband In the Heart of the Heart of the Country. Den Tunnel habe Sie erst kürzlich verkauft, fällt ihr jetzt ein; sie erinnert sich an das Cover. Ihre Chefin, die Buchhändlerin Kris Kleindienst, kennt William Gass seit über zwanzig Jahren und hält große Stücke auf ihn. III. Atmo/ O-Ton Buchhandlung Left Bank Books St. Louis [etwas frei stehen lassen] Sprecher 1 William Gass und sein monumentaler Roman "Der Tunnel" - so will es scheinen - reiht sich ein in die Ahnengalerie der bewunderten, aber kaum gelesenen Büchermonster der Moderne: Sprecher 3 Ulysses, Finnegans Wake, Zettels Traum, Reise ans Ende der Nacht, Die Enden der Parabel, Moby Dick, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit .... [Unter Zitator verschwinden lassen] Sprecher 2 (Zitat) (auf Atmo legen) "Was ich dir zu sagen habe, ist so lang wie das Leben, aber ich werde mich beeilen wie jenes, und eh du dich´s versiehst, sind wir beide vergangen." Musik Schönberg, vielleicht dazu Kelleratmo (Geräuscharchiv?) 3. O-Ton Heinz Ickstadt Er ist ein massiver Mann. Er hat ein sehr rundes Gesicht. Wenn man genau hinschaut, ein sehr gütiges Gesicht. Sprecher 3 Heinz Ickstadt, Amerikanist und Kenner der Werke von William Gass. 4. O-Ton Heinz Ickstadt Er kann auch hart sein in seinen Urteilen und sehr kämpferisch, wenn es um die Verteidigung dessen geht, was er schätzt. Er ist außerordentlich skeptisch gegenüber der Gegenwart, dem gegenüber was in Amerika und uns allen geschieht. Insofern hat er in seinem Aufsatz "Der Künstler und die Gesellschaft" sich zum Antipoden der Gesellschaft erklärt. 5- O-Ton William Gass The Tea Party is upset. The disappointed people who a going to ride on a disappointment in a different matter. They may do something terriblier than we have. The environment is bad. I know in my neighborhood there must be republicans, but I don't hear a word about it. A person, who is still a republican, can not be a moral person. It is just not possible. Sprecher 2 (Voiceover) Die Tea Party regt sich auf. Diese enttäuschten Leute machen sich die Enttäuschung der anderen zunutze und machen es damit nur noch schlimmer als es eh schon ist. Die Umweltzerstörung, niemanden scheint das bei uns zu interessieren. In meiner Nachbarschaft gibt es bestimmt den einen oder anderen anständigen Republikaner. Aber man spricht hier nicht über so etwas wie Umweltschutz. In meinen Augen ist jemand, der heute noch republikanisch wählt, keine moralische Person. Das geht gar nicht. Sprecher 1 William H. Gass hat dreißig Jahre an seinem Roman "Der Tunnel" gearbeitet. Dreißig Jahre lang war er Teil des akademischen Lebens der Stadt St. Louis. Sein Wissen gilt als enzyklopädisch, seine Interessen sind scheinbar uferlos: Sprecher 3 Antike, Städtebau, Colette, Valery, Flaubert, Militärgeschichte, barocke Gedichte und Baseball. Sprecher 1 Heute lebt er in seinem prachtvollen Haus im Bezirk Parkview, schreibt an neuen Büchern und liest täglich die New York Times und ärgert sich über den Zustand des politischen Lebens in den USA. Mitte der 90er Jahre rückte ihn die Veröffentlichung von "Der Tunnel" für kurze Zeit ins Zentrum des amerikanischen Literaturbetriebs. In Deutschland kennen ihn nur Insider. Musik Schönberg [kurz] 6. O-Ton Thomas Überhoff Ich bin hier nicht der eigentliche Gass-Begeisterte gewesen, das war mein Vorgänger im Amte: Hans Georg Heepe, der das Buch damals für den Rowohlt-Verlag eingekauft hat. Der war ein großer Gass-Fan. Sprecher 3 Thomas Überhoff, Cheflektor des Rowohltverlags hat die deutsche Übersetzung von "Der Tunnel" auf den Weg gebracht: die Geschichte eines desillusionierten Akademikers, der in sich selbst die Wurzeln des Faschismus entdeckt. Musik Schönberg [kurz] 8. O-Ton Thomas Überhoff Es gibt aber erst einmal das Problem dieser großen Textmasse, die in irgendeiner Weise bewältigt werden muss; Übersetzer müssen davon leben können, dem ersten Übersetzer ist das nicht gelungen; er hat es einfach liegenlassen; nach einiger Zeit waren dann die Rechte abgelaufen. Die Rechte-Frist in der wir das hätten publizieren müssen. Wir mussten das ihm entziehen und einen neuen beauftragen, der hat sich dann in preußisch-soldatischer Manier dahinter geklemmt und das Buch in dreizehn Monaten tatsächlich übersetzt. Das war wunderbar. 9. O-Ton Nikolaus Stingl Ich wusste schon ungefähr, worauf ich mich da einlasse, letztlich hat sich aber herausgestellt - und das ist keine Übertreibung: Das ist das Schwierigste, was ich jemals gemacht habe in all meinen Berufsjahren. Das schließt die Pynchon-Übersetzungen durchaus ein. Sprecher 3 Nikolaus Stingl, Übersetzer. Seit Jahren übersetzt er umfängliche und komplexe Bücher aus dem Amerikanischen wie Thomas Pynchons Gegen den Tag oder Letzte Instanz von William Gaddis. Und zuletzt: The Tunnel von William H. Gass. Zitator "Leben im Stuhl. Anfangs hatte ich die Absicht, eine Einleitung zu meinem Werk über die Deutschen zu schreiben. Obwohl es in dicken Ordnern neben mir liegt, weiß ich, dass ich es nicht kann. Stattdessen beherrschen mich nur Ausgänge, lauter Fluchtwege." 10. O-Ton William Gass (CD-Lesung) [noch etwas unter Überhoff] Life in a chair. It was my intension ... 11. O-Ton Thomas Überhoff Es geht um einen Mann, der an seinem Schreibtisch sitzt. Er ist Historiker. Spezialgebiet Geschichte, Geschichte des deutschen Faschismus. Er hat gerade eine Geschichte über das "Dritte Reich" verfasst und muss nur noch ein kleines Vorwort dazu verfassen und dieses Vorwort, das ihm eigentlich leicht fallen sollte, das misslingt ihm auf grandiose Art und Weise, denn fängt er an, über sich selber nachzudenken, zum ersten Mal in seinem Leben. Daraufhin schreibt er ein heimliches Vorwort: Die Geschichte seines Lebens oder seiner Existenz. Zitator "Mein Buch ist jetzt also fertig: Schuld und Unschuld in Hitlerdeutschland braucht nur noch seine unmögliche Einleitung, um erscheinen zu können. Und was ist alles meine Mühe wert? Was tut mein Werk anderes, als dem Bösen schlichtweg einen Teil seines Panzers, seines Glanzes zu nehmen? Es macht es kleiner. Es streut ein bisschen Zucker auf die Scheiße." 12. O-Ton William Gass (CD-Lesung) [eventuell noch einmal hochziehen] "So now my book is done: Guilt and Innocence in Hitler´s Germany needs only its impossible introduction to go forth. And what is all my labor worth? What does my work do but simply remove some of the ermor, the glamour of Evil.It small-e´s it. It shakes a little sugar on the shit. " Sprecher 3: William H. Gass, "Der Tunnel". Musik Schönberg [kurz] Sprecher 1 Frederick William Kohler, der fiktive Ich-Erzähler des Romans, ist ein amerikanischer Historiker, der in Hitlerdeutschland studierte, im Banne der NS-Ideologie, Steine warf auf jüdische Geschäfte und später als amerikanischer Besatzer die Nürnberger Prozesse verfolgte. Nun sitzt er in seinem Arbeitszimmer, inmitten tausender Bücher und zweifelt ans seinem Leben. 13. O-Ton Thomas Überhoff Irgendwann - er sitzt im Keller seines Hauses - fängt er an, nimmt sich einen Spaten und gräbt sich durch die Wand nach draußen, fängt an einen Tunnel in die Tiefen des Gartens zu graben; er gerät immer tiefer, kommt nie an, er kommt auch bei sich, auf dem Grund seiner Seele, nie so richtig an. 14. O-Ton Nikolaus Stingl Eine sehr geglückte Metapher, wie ich finde, weil "Tunnel nach außen graben" ist gleichzeitig etwas, was nach innen bohrt, in Tiefenschichten einführt und gleichzeitig ist es eine Fluchtbewegung. Es funktioniert eigentlich in zwei Richtungen. Zitator "Heute habe ich mit Graben begonnen. Ich bin ungeheuer aufgeregt. Ungeheuer. Heute habe ich mit Graben begonnen. Begonnen, mich in die Erde zu fressen; zum ersten Mal die Hacke hineingetrieben. Erstaunlich. Dass ich tatsächlich begonnen habe. Schwer zu glauben. Ein Beginn." [Musikakzent länger, Schönberg, eventuell unter Sprecher 1] Sprecher 1 William Gass ist kein Misanthrop, er lebt in einem noblen Landhaus aus den 1920er Jahren, im Garten laufen die Hasen umher, im Vogelhaus schwirren Kolibris, der Pool lädt zum Schwimmen ein. Auf dem Glastisch im Esszimmer steht europäisches Mineralwasser, die verführerisch belegten Sandwichs verdienen das Siegel "Bio" . Westminster Place ist eine Straße bürgerlicher Zufriedenheit. Im Keller stehen Bücher, kein Spaten gräbt hier das Erdreich um. 15. O-Ton William Gass As you notice, we don´t live badly. I live like the best Bourgeois. The best thing the Bourgeois ever invented is comfort. They are experts at comfort. I like that too. See what I have to do with this. The Pool, the Garden. A nice white big house. 25.000 books in this house. I live in a library. Sprecher 2 (Voiceover) Wie Sie sehen, geht es uns nicht schlecht. Ich lebe wie ein Bougeois. Bequemlichkeit ist die beste Erfindung der Bourgeosie. Darin sind sie Experten. Schauen Sie nur: Ein Pool, ein Garten, ein großen weißes Haus mit 25000 Büchern. Ich lebe in einer Bibliothek. [William Gass (über Atmostrecke)] Sprecher 1 Sein Haus in St. Louis quillt über vor Kultur und Büchern: Überall Bücherregale, die Wände voller Kunst: Originale von Miró und Piranesi. 16. O-Ton William Gass (V. Atmostrecke) This shelf over there is literary criticism on the novel, around the corner is poetry. In the other room is American and English literature, this is Irish, starts over there with Beckett. Where Mary has its studio it is full of Spain, Italy, Russia, Mideast, Slavic, Chinese, Japanese, Latin America. Mary has a terrific collection of architecture. Well. This starts with "A", goes around, Rilke. Here is the French Room. Another case with German. These case are my Books, my Junk. Here is my favourite room, Mary´s sitting room. Comèdie Humaine, that's right. Here is a translation of Appolinaire into Japanese. Its very fancy, the Japanese put it out. Ah, here is Celine. Journey to the end of the night. I read him when I passes being influenced much. For certain reasons I get into some. Kafka was one, Celine certainly was another. On the other Hand I fall in love to her a long time ago: Colette. Example? Cheri and the last of Cheri, my favourites. Beautifully written. Entertaining? Oh no, she knows how to do some certain things with sensuality. Marvelous. (läuft noch weiter, eher als Atmo) Sprecher 2 (Voiceover) Da drüben stehen Bücher zur Romantheorie, um die Ecke Lyrik. Nebenan habe ich amerikanische, englische, irische Literatur. Geht los mit Beckett. In Mary´s Arbeitszimmer steht spanische, italienische, russische Literatur, Mittlerer Osten, Slawistik, Chinesisches, Japanisches, Lateinamerika. Mary hat großartige Architekturbücher. Hier geht's zum Zimmer mit französischer Literatur. Noch ein Regal mit deutschen Büchern und mein Zeug ist dahinten versammelt. Mary´s Wohnzimmer ist mein Lieblingsplatz: Ja, das ist die Comèdie Humaine und hier was ganz Besonderes: Apolinaire in japanischer Übersetzung. Sehr witzig, dass die Japaner das herausgebracht haben. Celine: Reise ans Ende der Nacht. Kafka. Auf der anderen Seite schlägt mein Herz für sie: Colette. "Cheri" und: "Cheris Ende". Großartig geschrieben. Sie konnte wunderbar sinnlich schreiben. Phantastisch... VI.Atmo Haus / Musik Schönberg [länger] Sprecher 1 William Gass spricht gerne über Literatur und ihre Formen - und weniger gerne über Erinnerungen an seine Kindheit in Ohio oder die Zeit bei der Navy im Südostpazifik. 17. O-Ton Heinz Ickstadt Er hat im Jahr 1966, da war er 42 Jahre alt, als Romancier mit einem Buch angefangen, Omensetter´s Luck, von dem einige Kritiker sagen, dass sei ein kriminell vernachlässigtes Buch der amerikanischen Literatur und habe immer noch den Stellenwert des Dark Horse der American literature. Sprecher 3: Omensetter´s Luck ist die Geschichte von Brackett Omensetter, einem gutmütigen Naturburschen, der auf den demagogischen Prediger Jethro Furber trifft. Eine Parabel über Gut und Böse, angesiedelt im Ohio des ausgehenden 19. Jahrhunderts. 18. O-Ton Heinz Ickstadt "Er wird oft mit Faulkner verglichen. Es schien als sei er am Anfang einer ganz großen Karriere. Er hat danach Kurzgeschichten geschrieben. 1966 hat er mit The Tunnel angefangen, das wirklich sein Lebenswerk ist. Alles andere ist sozusagen Begleitmusik. Musik Schönberg [kurz] 21. O-Ton William Gass I was not drawn by envolvement and it was my habit not to write about what I knew . Omensetters Luck is a lot of stuff of the theme of the book. I had to keep out. When I wrote my first novella I kept out even eleborate language. So at one pint I deliberately choose for in The heart of the heart of the country to write about a town i was actually living at. None of the male narrator view I share. Voiceover (Sprecher 2) Es wurde mir im Laufe meiner Karriere zur Gewohnheit, nicht über Dinge zu schreibe, die mir Nahe stehen. In meinem Roman Omensetters Luck reflektiere ich Dinge, die sich eher aus meinem Studium der Philosophie erklären lassen und weniger aus persönlichen Erfahrungen speisen. In einer meiner ersten Erzählungen, The Pedersen Kid, habe ich bewusst auf eine ausgefeilte Sprache verzichtet. Nur in der Geschichte Heart in the heart of the country habe ich über eine Stadt geschrieben, die in etwa derjenigen entspricht, in der ich als Kind gelebt habe. Doch nichts von dem, was der Ich- Erzähler hier vorträgt, entspricht meinen persönlichen Ansichten. Sprecher 2 (Zitat) "Dr. Kohler. Nazi. Staatlich geprüft." Sprecher 1 Die US-amerikanische Kritik nahm Frederick William Kohler alias William Gass trotzdem beim Wort. 22. O-Ton William Gass There were people they found the material too depressing. They found I was too light hearted about that and make jokes about the Holocaust. I realized fairly soon, that the Holocaust has turn the tables on the Israeli. It has become a sacred object and only certain people allowed to touch it and comparisons have to go through customs and I found this is self despicable. They can find what they want. Sprecher 2 (Voiceover) Die Kritik hielt mir vor, das Buch sei einfach zu deprimierend und ich würde leichtfertig Witze über den Holocaust machen. Mir war schnell klar, dass der Holocaust den Israelis in die Hände gespielt hat. Der Holocaust ist zu einem heiligen Gegenstand geworden, den nur bestimmte Menschen berühren dürfen. Vergleiche müssen genehmigt werden, und das fand ich jämmerlich. Sie finden ja immer irgendetwas. Sprecher 1 In "Der Tunnel" gibt es einen Kollegen mit Namen Culp, einen clownesken Historiker seiner Fakultät. Culp - mea culpa schwingt da mit - ist ein akademischer Clown, der an einer Geschichte der Menschheit in Limericks arbeitet: Beinahe zwanghaft schmiedet er böse, schmutzige und schwer erträgliche Limericks über Sex, die Nazis und ihre Verbrechen. 24. O-Ton William Gass (Lesung) There once was a camp called Auschwitz, where the Germans continued their Jew-blitz. Their aim was the same If they shot, gassed, or maimed; While gold was reclaimed From the teeth that reclaimed, and they sold off the hair for a few bits. Sprecher 2 (Zitator) "Es war mal ein Lager namens Auschwitz, das war für die Deutschen Fabriksitz. Strick, Gas oder Blei, ´s war Geschäftemacherei, und ganz vorurteilsfrei war auch Zahngold dabei, selbst die Haare war´n Ware für den Saufritz." Musik Schönberg [längerer Akzent] Sprecher 1 In der Küche seines Hauses steht die Pappbox eines befreundeten Künstlers. William Gass nimmt diese Schachtel ihn die Hand und erklärt daran, dass "Der Tunnel" ursprünglich als bibliophiles Objekt gedacht war. Aufwendig, abwegig, konsequent. 25. O-Ton Nikolaus Stingl (über Atmo aus Gass-Haus) Der Autor hatte sogar die Vorstellung, dass das Ganze als Loseblatt- Sammlung erscheinen und die Blätter Gebrauchsspuren tragen sollen: Kaffee-, Marmeladeflecken und Zigarettenasche und ähnliches mehr. Das hat ihm dann der Verlag glücklicherweise ausgeredet. 26. O-Ton William Gass zu Hause, Atmo / O-Ton Gass My was conceive with loose sheets connected. In a box. Paper cuts ready. So the reader can mix it up. Numbered pages. About the size of the book now, but in a box. It Would not have my name, it is his book, not mine. Kohlers name is on it, because its his book. I had a Pop up penis, that was also impossible, there was a armband going around it like real armband. Sort of symbol. In stores it get torn off. Sprecher 2 (Voiceover) Es war geplant, dass die einzelnen Seiten in einem festen Karton liegen, wie ein Stapel nummerierter Blätter. Auf dem Titel sollte stehen: William Frederick Kohler: The Tunnel. Es ist ja sein Buch, nicht meins. Ich hatte auch noch über einen Papp-Penis nachgedacht, der beim Öffnen der Schachtel hochklappen sollte. Um die Box herum wollte ich eine Armbinde, mit dem Emblem der "Partei der Enttäuschten". Aber so etwas wird in der Buchhandlung nur abgerissen. Sprecher 1 Zur Ausstattung eines Mitglieds der "Partei der Enttäuschten", die Anti- Held Kohler auf dem Papier gründet, gehören zwei Arten von Kopfbedeckung, ein Fez und eine akademisch anmutende Leinenmütze, sowie mehrere Varianten des Parteiwimpels. Das mittig platzierte Oval steht für das menschliche Auge, verschiedene Farben versinnbildlichen Gemütszustände und Charaktereigenschaften wie Groll, Entrüstung, Feigheit, Neid, Trauer, Schwäche und Passivität. Alles Attribute, die auf die Romanfigur William Frederick Kohler zutreffen, der dazu noch einen zu kleinen Penis hat. Sprecher 2 (Zitat) "Der Schniepel hatte eine ganze Reihe von Namen, genau wie die Eier; sie änderten sich mit zunehmendem Alter des Schwanzes, und ich hätte mir wohl einen davon für meinen aussuchen können, ihn wie meinen Hund Collins oder wie einen Entdecker Kolumbus taufen oder mich für Dick, Tommy oder Peter entscheiden, aber ich kam gar nicht auf den Gedanken. Nein. Es war nie mein Pimmel, Schniedel oder Dingus. Das arme Ding war namenlos." Sprecher 1 "Der Tunnel" wimmelt vor seitenlangen Genitalexkursen, Judenwitzen, intimen Beichten, geschmacklosen Limericks, die im sprachlichen Strudel des Buches wild durcheinander wirbeln. Gut möglich, dass man sich in Deutschland daran stören wird, dass ein amerikanischer Schriftsteller das Grauen des Nationalsozialismus mit dem erloschenen Liebesleben eines frustrierten Akademikers in Verbindung setzt. "Politisch korrekt" ist allerdings auch für William Gass ein Reizbegriff. 28. O-Ton William Gass I am actually an admirer of Nazi Uniforms (lacht). They are splendid. The Germans know to Dress an Army. For a while, when I was writing in California. I had to pictures on my Desk posing the Armed Forces. One of a German General, spiffy in his tight and marvelous Uniform and a scottish bagpiper with his skirts. Oh, Boy, that guy. Sprecher 2 (Voiceover) Ich muss gestehen, dass ich deutsche Uniformen bewundere (lacht). Die Deutschen haben es wirklich verstanden, ihre Soldaten anzuziehen. Als ich an "Der Tunnel" geschrieben habe, standen auf meinem Schreibtisch zwei Photographien: eine mit einem deutschen General in perfekt sitzender Uniform, die andere zeigte einen britischen Soldaten mit Dudelsack und Kilt. Sprecher 2 (Zitat) "Ich heiße Frederick William Kohler. An mir ist nichts wirklich Deutsches." Musik Schönberg Rammstein [Collage, kurz] 29. O-Ton William Gass My parents were not interested in ethnic issues. It was second generation. They don't want hearing it about. My mother is Scandinavian. Her grandmother came to live with us and she lost in her old age her English, she still could speak Swedish. But nobody in the house could speak Swedish. And my father -all german- could not speak german. They could not spoke german. Sprecher 2 (Voiceover) Meine Eltern lebten als europäische Einwanderer in zweiter Generation in den USA. Sie haben sich nie um ihre ethnische Zugehörigkeit Gedanken gemacht. Die Vorfahren meiner Mutter waren Schweden. Ihre Großmutter lebte bei uns zu Hause. Im Alter sprach sie nur noch Schwedisch. Doch niemand bei uns konnte auch nur ein Wort schwedisch. Mein Vater sprach nie ein Wort Deutsch. Sprecher 1 William Gass hat in den letzten Jahrzehnten mehrere Male Deutschland besucht, Hamburg, Berlin und Köln. Seinen deutschen Wurzeln hat er nie versucht zu ergründen. Allein die deutsche Sprache liebt er, das Wortspiel und die Mehrdeutigkeit von Namen. 30. O-Ton William Gass The Argentine novelist Borges came to St. Louis and gave lecture on School. The Hall was full, thounds people there. They asked me to introdice him. The day before he was to give this Talk weh ad lunch, a very plesant lunch he was seriously tight up with icelandic poetry (lacht) and he was explaining at one point. Why he had a great fun the etymological origins of words, how revealing could it be and so, He said and you Name is Gass is what. I say yes, my father is german, it was Gasse, it meant Alley. Yes? You kno what my name means? It means city. I am an city and your are an alley. That sums up the literary situation I am in. Voiceover (Sprecher 2) Jorge Luis Borges kam vor vielen Jahren nach St. Louis, um dort an der Universität eine Vorlesung zu halten. Ich wurde gebeten, Borges vorzustellen. Wir haben uns den Abend vor dem Auftritt zum Essen verabredet. Er erzählte mir viel über isländische Dichtung und erklärte mit deren Besonderheiten. Wir kamen auf Etymologie zu sprechen, wie erhellend doch oft die tiefere Bedeutung von Namen ist. Er fragte mich: "Und ihr Name ist also: Gass. Was bedeutet das nun?" "Mein Vater ist deutschstämmig und sein Name so viel wie Gasse", habe ich gesagt. "Interessant und wissen sie, was mein Name bedeutet?" , fragte Borges. "Er bedeutet soviel wie Stadt. Ich bin eine Stadt und Sie also eine Gasse." Seit jenem Abend weiß ich nun genau, wo ich literarisch stehe. (Gelächter) Musik Schönberg [kurz] Sprecher 3 Die amerikanische Kritik hat den "Tunnel" als Monster bezeichnet, als ein Buch, das kein Buch sein will. Sprecher 1 William Gass ist das nur recht, denn "Der Tunnel" ist kein Buch über Amerika, die Nazis oder die Tristesse des Mittleren Westen. Ganz am Rande ist es vielleicht auch ein Buch über die Bigotterie der amerikanischen Gesellschaft, wenn sich William H. Gass über politisch korrekte Rituale des akademischen Lebens lustig macht. Doch das sind nur Maskenspiele eines Philosophen und Dichters, der einst nicht will: realistisch schreiben. 31. O-Ton William Gass I just wrote it, because I sought to find myself with it. I am not somebody, who collects material. I do not as a general rule write about people I know or about my family. Not much at all, a little in The tunnel. Not much. Voiceover (Sprecher 2) Ich habe dieses Buch für mich geschrieben, um herauszufinden, wer ich eigentlich bin. Ich wollte nie über Menschen schreiben, die ich kenne oder über meine Familie. Im "Tunnel"... nicht viel jedenfalls. Sprecher 1 Der Tunnel ist die intellektuelle Autobiographie eines Bibliomanen, der seit Jahrzehnten in Büchern lebt und diese geistigen Reisen in eine für geeignete Form gebracht hat. 32. O-Ton William Gass Beautiful? Isn´t it ? VIII.Atmo (Geräusch der fließenden Körner) Sprecher 1 Am Ende sitzt William Frederick Kohler in einem Arbeitszimmer, buchstäblich begraben unter dem Abraum seiner Erinnerungen und Hasstiraden. Was bleibt? Resignation oder Revolte? Und William H. Gass? Er blickt mit einem milden Lächeln auf seine endlosen Regalmeter und macht nicht den Eindruck als würde ihn das Wissen der Jahrhunderte erschlagen. Seine Frau Mary ist keine übergewichtige Xantippe wie Kohlers Martha, sein Haus ist eine Oase der Behaglichkeit. Kohler ist ein literarisches Phantom, das durch die schönen, hellen und mit Weltkunst vollgestellten Zimmer der Parkview- Villa geistert. Bevor wir gehen, zeigt uns der Hausherr das Geschenk eines Freundes aus Bolivien: einen Rainstick, einen kultischen Regenstab, gefüllt mit getrockneten Kürbiskernen. VIII. Atmo Rainstick 33. O-Ton William Gass It´s magic Sprecher 2 (Zitat) "Keine dröhnenden Musikkapellen mehr, keine von Suchscheinwerfern erhellten Himmel. Oder soll ich mich, wie die Flüsse erheben? Ah. Ist sich erheben klug? Revolver wie der Führer in Ohrnähe. Oder meinen Verstand an Leides Seite niederlegen." 34. O-Ton William Gass (Lesung) No more booming bands, no searchlit skies. Or shall I ,like the rivers, rise? Ah. Well. Is rising wise? Revolver like the Führer near an ear. Or lay my mind down by sorrow´s side. Musik Rammstein Amerika ENDE SENDUNG 2