COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kul- tur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 8. Oktober 2009 Redaktion: Peter Kirsten Alles im grünen Bereich ? Die Diskussionen um die Risiken der Nanotechnologie Von Michael Reitz Musik: Filmmusik "The Dark Knight" Autor: "Nano" bezeichnet die Größeneinheit für ein Milliardstel, die Vorsilbe drückt also aus, dass wir es mit Produkten von unvorstellbarer Winzigkeit zu tun haben. Die Anwendungen dieser Technologie haben in den letzten Jahren zu starken Veränderungen von Produkteigen- schaften geführt. So konnten Oberflächenbeschichtungen hergestellt werden, die kratzfest, vollkommen wasserabwesend oder hitzebestän- dig sind. In der Medizin erhofft man sich von Nano die Schaffung intel- ligenter Medikamentenfähren, die Nanopartikel-Wirkstoffe ohne Ne- benwirkungen und direkt zu Tumoren transportieren. Doch betrachtet man die Diskussion um diese neuen Technologien, so fällt auf: neben aller Euphorie sind auch Zweifel angebracht - vor allem dort, wo Na- nopartikel direkt mit dem Menschen in Berührung kommen, in Textilien und Nahrungsmitteln. Kritiker behaupten, dass die Langzeitfolgen von Nanopartikeln gerade in diesem Bereich noch viel zu wenig bekannt sind, als dass sie unbedacht eingesetzt werden dürften. Alexander Bö- ker, Professor für Physikalische Chemie an der RWTH in Aachen, forscht seit Jahren auf dem Gebiet Nanopartikel in Textilien und warnt vor zu großer Skepsis. O-Ton (1) Böker: Jede neue Technologie hat Vorteile und hat aber auch Nachteile (...) Das ist auch richtig so, dass sich jetzt viele For- schergruppen damit beschäftigen (...) was passiert eigentlich mit Na- nopartikeln, wenn ich die auf die Oberfläche kriege, wie können die zum Beispiel in die Haut eindringen (...) wie gehen sie in Zellen hinein, können sie da was schädigen (...) Aber auf der anderen Seite ist der Nutzen eben riesig, das muss man sehen (...) es ist auch wichtig, dass man (...) unvoreingenommen rangeht an die Sache und nicht sagt, ich kucke jetzt mal, was alles schädlich sein kann, sondern ich kucke mal, was passiert eigentlich. Musik: Filmmusik "The Dark Knight" Sprecherin: Nano in unserer Kleidung - was könnte der Nutzen davon sein? Alexander Bröker nennt ein Anwendungsbeispiel und seine mög- lichen Gefahren. O-Ton (2) Böker: Dass man Silberpartikel nimmt, in eine Faser mit hi- nein spinnt (...) oder nachträglich auf die Oberfläche der Faser auf- bringt. Und die Silberpartikel, die haben eben die Eigenschaft, die Zer- setzung von Geruchsstoffen zu katalysieren (...) Weil es ja auch die Diskussion gibt, da könnten ja auch von dieser Kleidung diese Partikel gegebenenfalls in die Haut gehen, was passiert eigentlich? Sprecherin: Weitere Forschung tut Not und sollte die Verwendung von Nanopartikeln in viel stärkerem Maße begleiten. Doch die industrielle Realität sieht anders aus. Auf europäischer Ebene sind bereits über fünfhundert Produkte angemeldet, die nanotechnologische Bestandtei- le enthalten - auch in Nahrungsmitteln und Textilien. Und ohne dass der Verbraucher davon wüsste. Einige Produktbeispiele: Babywindeln, der Nanopartikel zur besseren Absorption der Feuchtigkeit beigegeben werden; Fasern in Sicherheitsbekleidung, die elektrostatische Aufla- dung verhindern; leistungsfähigere Elektronikchips; Taschen- und Au- tolampen mit effizienterer Energieausnutzung; verbesserte Entspiege- lung und höhere Bruchsicherheit von Glas, Textilien, die wasser- und schmutzabweisend sind; Margarine, deren Fett-Wasser-Gemisch durch die Beigabe von Nanopartikeln länger haltbar ist. Anders als bei gen- technisch hergestellten Lebensmitteln gibt es für "Nano" keine ausrei- chende Kennzeichnungspflicht. Im Sommer 2009 erließ die EU zwar eine Verordnung, dass Kosmetika gekennzeichnet werden müssen, die Nanopartikel wie Titan- oder Zinkoxid als UV-Schutz enthalten - ein ähnliches Verfahren für Lebensmittel lässt jedoch auf sich warten. Rolf Buschmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen erläutert, was der Durchschnittskunde eines Su- permarkts über Nano eigentlich weiß. O-Ton (3) Buschmann: Wir haben eine Umfrage gemacht bei Verbrauchern, um rauszufinden, was wissen die über Nanotechnolo- gie. Im ersten Moment heißt es eher: wir wissen sehr wenig, aber ei- gentlich weiß ich gar nichts richtig, aber wenn man genauer nachfragt, kann man feststellen, dass die Leute, die Befragten durchaus sehr weit und sehr tief schon in der Materie drin stecken, unwahrscheinlich viele Beispiele nennen können, wo Nanotechnologie tatsächlich drin vor- kommt. Und wo sie das auch befürworten. Nehmen wir zum Beispiel (...) selbstreinigende Fenster oder die selbstreinigende Badkachel, die wird den Verbrauchern gefallen und es ist auch eine der Anwendun- gen, die am häufigsten genannt wird. Wenn man auf andere Bereiche geht, dann kommen dann schon (...) Bedenken (...) dass darüber dis- kutiert wird, kann man (...) Lebensmittel verbessern, verändern, man kann ihnen die Möglichkeit geben, dass sie je nachdem bei welcher Temperatur sie ihre Suppe kochen, sie mal nach Fisch-, mal nach Hühnersuppe schmeckt (...) - da wird man kritisch. Musik: Filmmusik "The Dark Knight" Sprecherin: "Nanotechnologie" bezeichnet keine einheitliche Verfah- rensweise, sondern eine Reihe von Technologien, die mit Kleinstteil- chen, Molekülen, Elementen von Zellen oder winzigen Elektronik- Bauteilen arbeiten. Im Nano-Größenbereich entstehen physikalische Effekte, die oberhalb von hundert Nanometern keine Rolle spielen. So ist Aluminium als grobes Pulver harmlos, im Nanobereich dagegen hochexplosiv. Ungeplant und eher durch Zufall wurden diese physikali- schen Eigenschaften bereits im Mittelalter genutzt, Nanoteilchen ver- liehen den Schwertern ihre Härte und den Kirchenfenstern ihre Farben. Neu an den heutigen Anwendungen ist, dass Stoffe nicht mehr zufällig, sondern gezielt manipuliert werden können. Grundsätzlich differenziert man zwischen fest eingebundenen Nanoteilchen - etwa Oberflächen- beschichtungen auf Kunststoffen - und freien Nanopartikeln. Letztere können an die Umwelt abgegeben und vom Körper aufgenommen werden. Beispielsweise Siliziumdioxid. Es ist als Riesel- und Fließver- stärker in Ketchup und Gewürzen enthalten. Bisher ist noch nicht be- kannt, ob diese Partikel toxisch wirken, wenn sie bei der Herstellung ähnlich wie der feine Staub bei Glasbearbeitungen in die Lunge gelan- gen. Doch sollte dies so sein, ist anzunehmen, dass sich Nanopartikel in Organen anreichern. Noch ist nicht vorauszuberechnen, wie hoch die Vergiftungsgefahr bei Nanopartikeln tatsächlich ist. Ebenso ist un- geklärt, was bei der Entsorgung von Nanopartikeln geschieht, ob Na- nomüll zu einer Belastung für die Umwelt werden könnte, ist bislang so gut wie nicht untersucht worden. Trotzdem boomt der Markt dieser neuen Technologie: zwei Drittel der Dow-Jones-Unternehmen an der New Yorker Börse investieren in sie. Doch dieser Boom würde sich dann in Grenzen halten, wenn die Akzeptanz der Nanotechnologie ir- gendwann ebenso gering sein sollte, wie es bei der Gentechnik der Fall war - so sieht es jedenfalls Joscha Wullweber, Politikwissenschaft- ler an der Universität Hamburg. O-Ton (4) Wullweber: Man hat gedacht, wir bringen einfach (...) Gen- technik-Produkte auf den Markt, und die Verbraucher, die Konsumenten werden es schon akzeptieren. Dies war interessanterweise nicht der Fall (..) Und eine ganz ähnliche Situation haben wir heute mit der Nano- technologie (..) die Angst besteht also sehr vehement und ich denke auch berechtigt, dass es jetzt wieder zu einem Umschlag kommt, das man sagt: oh Gott, mit was haben wir es eigentlich zu tun und dem soll entgegengewirkt werden und durchaus aus einem demokratischen Ver- ständnis von Technologieentwicklung; es wird gesagt, wir wollen die Leute stärker partizipieren (lassen). Sprecherin: Dieses demokratische Verständnis von Technologieent- wicklung drückt sich aus in einer Initiative der Bundesregierung unter Federführung des Umweltministeriums, die sich "Nano-Dialog" nennt. Seit 2007 treffen sich Vertreter aus Industrie, Wirtschaft, Politik, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen um die möglichen Gefahren der Na- notechnologie auszuloten. Transparenz ist das Ziel, wissenschaftlich wie politisch. Denn Technologiefolgenabschätzung - das haben die Er- fahrungen mit Gen- und Atomtechnik gezeigt - sind in der Vergangen- heit zu selten breit diskutiert worden. Alle gesellschaftlichen Gruppen, so die Intention dieses Dialogs, sollen möglichst früh an der Diskussion über Pro und Kontra einer Technologie beteiligt werden, die auf den ers- ten Blick nur Nutzen bringt. Doch was geschieht außer dem Miteinan- der-Reden? Kann es nicht sein, dass wegen der immensen Gewinne, die mit Nano gemacht werden können, der mit guter Absicht betriebene Risikodiskurs hinterherhinkt? Aus der Sicht des Politologen beschreibt dies Joscha Wullweber. O-Ton (5) Wullweber: Die Stimmung ist gerade auch am Kippen, be- sonders bei den Nichtregierungsakteuren (..) Diese Dialoge laufen jetzt ein paar Jahre, und was festgestellt wird ist (...) dass die zwar sehr viel reden, aber de facto es zu einer unglaublichen Produktentwicklung kommt (...) ohne dass es zum einen zur Kennzeichnung kommen wür- de, und zum zweiten, dass es überhaupt klar ist, was für eine Gefahr eigentlich von diesen Partikeln ausgeht. Also ganz dramatisch (...) ist das bei den Sonnenschutzmitteln (...) es gibt in Deutschland praktisch keine Sonnenschutzcreme mehr zu kaufen, die nicht chemisch ist (...) und die nicht Nanopartikel enthält (...) Das heißt, wir haben es hier mit einer Problematik zu tun, die hochbrisant ist, es gibt diese Produkte auf dem Markt, und die NGO s(...) stellen jetzt fest, wir reden seit Jahren mit der Regierung im Dialog, und es passiert eigentlich nichts. Und das könnte auch dazu führen, dass die NGO sagen (...) wir gehen jetzt aus dem Dialog raus, weil es keine echten Dialoge sind. Sprecherin: Die meisten Fragestellungen, so Joscha Wullweber wer- den, wenn es um Nano geht, lediglich auf der technologisch- wirtschaftlichen Ebene gestellt. Denn die wesentlichen Gründe für die enormen Summen, die in die Nanoforschung gesteckt werden, seien wissenschaftspolitischer Art. Im Wettlauf um technologischen Vor- sprung gehe es auch um die Aussicht auf eine neue industrielle Revo- lution, Wohlstand und Gesundheit - politisch-soziale Themen also. O-Ton (6) Wullweber: Ich würde bislang eigentlich eher im Gegenteil sagen, dass die Risiken unheimlich runtergespielt werden, und das ist eigentlich ein ganz großes Problem (...) Das Problem nimmt zur Zeit noch zu, und zwar aus dem Grund, da ein immenser Innovationsdruck besteht (...) Dieser Innovationsdruck führt dazu, dass immer mehr Pro- dukte immer schneller entwickelt werden. Und die demokratische Ein- bettung dieses Prozesses, wenn sie dann jemals optimal gelaufen ist, was ich auch sehr stark bezweifle, immer stärker hinterherhinkt. Die demokratische Diskussion ist sogar auch nicht gewollt, oder jedenfalls nicht zeitgleich gewollt (..) es wird als Innovationshemmnis gesehen (...) Das Problem (...) ist, dass diese Entwicklung so rasant verläuft, dass gar keine Zeit dafür da ist, zu sagen: hoppla, hier passieren Ent- wicklungen, die sind durchaus spannend, aber wir wollen jetzt erst mal für uns wissen: zum einen, was für Gefahren birgt das eigentlich, zum anderen, wie gehen wir mit den Gefahren um. Sprecherin: Dabei, so Joscha Wullweber, geht es auch um Fragen, die mit wissenschaftlich-technologischer Machbarkeit nichts zu tun ha- ben, sondern eher mit unserem westlichen Lebensstil - wie das Bei- spiel Nanopartikel in Sonnenschutzmitteln zeige. Denn die kleinen Teilchen in Sonnencremes erhöhen nicht deren Schutzfaktor, sie be- wirken lediglich ein schnelleres Verschwinden des weißen Schmier- films auf der Haut - nach Auffassung der meisten Wissenschaftler eine völlig unnütze Anwendung. Deshalb sollte eine Kennzeichnungspflicht, wie sie von Verbraucherschutzorganisationen gefordert wird, nicht nur sehr genau beschreiben, was die enthaltenen Materialien bewirken, sondern auch über den tatsächlichen Nutzen informieren - nach An- sicht des Wissenschaftlers Alexander Böker. O-Ton (7) Böker: Man arbeitet ja nicht nur in diesem Institut, sondern man geht selbst einkaufen, und da möchte man schon gerne wissen, was da drin ist. Von daher finde ich das per se sehr gut. Man muss na- türlich darüber nachdenken, was bezeichnet dieses Kennzeichen? Wenn ich da jetzt ein Label drauf habe (...) da kann ich wirklich alles, von der Margarine übers Ketchup bis hin zum Regenschirm, überall dieses Label draufkleben, weil man sich überhaupt keine Vorstellung davon macht, wie viel Nanotechnologie (...) in Mayonnaise oder Ket- chup drinsteckt, also dass ist unglaublich. Das heißt, da muss man ganz deutlich voneinander differenzieren. Sprecherin: Kennzeichnung ja, aber möglichst genau, so der Aache- ner Professor für Physikalische Chemie. Alles andere würde verwirren und unnötigerweise Angst schüren. Bemerkenswert in diesem Zusam- menhang ist die Tatsache, dass der institutionalisierte Nano-Dialog ausgesprochen verhalten und unpolemisch geführt wird - trotz der Tat- sache, dass an ihm Gruppen mitwirken, die als angeblich notorische Bedenkenträger in unserer Gesellschaft gelten: die Kirchen und der Bund für Umwelt- und Naturschutz, kurz BUND. Die harten Argumente für ein "Nein" zur Nanotechnologie fehlen, denn anders als bei der A- tomkraft gab es bislang keine Stör- oder Unglücksfälle. Gleichwohl sind die Beiträge des BUND und der Kirchen kritisch bis ablehnend. Peter Markus, Agraringenieur und Biologe, ist Studienleiter der Evangeli- schen Akademie Villigst. Als naturwissenschaftlicher Teilnehmer des Dialogs mahnt er seit Jahren höhere Ausgaben für die toxikologische Forschung an. Jenem Wissenschaftszweig also, der sich mit Giften und Vergiftungen auseinandersetzt - auch die, die bei der Herstellung und Verarbeitung von Nanopartikeln anfallen könnten. O-Ton (8) Markus: Also wir können feststellen, dass ne ganze Reihe von Lehrstühlen, wenn sie nicht mehr besetzt waren, letztendlich auch weg sind und die Neuberufung in dem Bereich nicht wieder erfolgt ist. Also, wir haben eigentlich viel zu wenig Toxikologen (....) die sich wis- senschaftlich mit den Fragen auseinandersetzen. Wir haben natürlich für einige Fälle auch Unterstützung der Industrie und wir haben auch wissenschaftliche Einrichtungen, die einen Teil beitragen können, aber eigentlich ist die toxikologische Forschung in Deutschland unterreprä- sentiert. Musik: Filmmusik "The Dark Knight" Sprecherin: Peter Markus zieht im Bezug auf die Nanotechnologie ei- ne Unterscheidung aus der Verantwortungsethik heran. Sie differen- ziert zwischen Orientierungswissen und Verfügungswissen. Eine Prü- fung, die nach Peter Markus' Ansicht bei dieser neuen Technologie viel zu wenig vorgenommen wird. O-Ton (9) Markus: Heute werden junge Leute an Hochschulen so aus- gebildet, dass sie wissen, wie etwas funktioniert, aber nicht, dass sie es bewerten können (...) praktisch ist es so, dass gerade Ingenieure (...) nicht lernen, mit so etwas wie Orientierungswissen groß zu werden und so ihre Handlungen (..:) nicht wirklich gut beurteilen können. Und das sind sich dann bei den leitenden Leuten (..) leider auch ein Stück fort. Also , wir haben lange dafür gekämpft, dass wir wenige Prozent der bisherigen Forschungsausgaben (..) sicher stellen, dass sie für die Risikoforschung ausgegeben wird - das wäre so was (...) und merken, wie schwer das ist, denn ein Ingenieur ist völlig begeistert von den Möglichkeiten, sieht aber wenig Konsequenzen (...) da ist also nicht viel an Verantwortungsgefühl zu merken. Sprecherin: Die Kirchen stehen der Nanotechnologie grundsätzlich nicht ablehnend gegenüber. Doch wichtig ist für sie eine Erweiterung des Risikobegriffs auf die möglichen sozialen und ethischen Folgen. Denn ein Produkt sei nur immer im Kontext der Gesellschaft zu sehen, in der es entsteht. So sei es beispielsweise ausgesprochen zweifelhaft, dass neue, auf Nano-Basis entstandene Medikamente wegen ihrer ho- hen Forschungs- und Entwicklungskosten für den normal Krankenver- sicherten erschwinglich sind. "Nano" könnte dann zu einem Synonym für die Zwei-Klassen-Medizin werden - so lautet jedenfalls die Position der Kirchen im Nano-Dialog. Kritischer äußert sich der BUND, ein wei- terer Teilnehmer des Dialogs. Traditionell auf Umweltthemen speziali- siert, sieht er Gefährdungen für die Zukunft. Denn nach Auffassung des Bundes für Umwelt- und Naturschutz sind Nanopartikel in Le- bensmitteln, Kosmetika und Bekleidung ein viel zu großes Wagnis - zumal sie in Produkten enthalten sind, die wir tagtäglich benutzen. Ju- rek Vengels, Referent des BUND für Nanotechnologie. O-Ton (10) Vengels: Natürlich ist das Problem bei der Entsorgung, wenn ich also ein Produkt habe, das Nanosilber enthält, das unsach- gemäß entsorgt wird, dann werden diese Materialien freigesetzt, ge- langen in die Umwelt. Aber auch schon beim ganz normalen Gebrauch kann es unter Umständen zur Freisetzung kommen, zum Beispiel gibt es antibakterielle Seifen, die mit Nanosilber arbeiten und dort haben Sie also beim ganz normalen Benutzen, wenn sie sich die Hände damit abwaschen, schon eine Freisetzung über die Kanalisation in die Um- welt. Sprecherin: Das wissenschaftlich Revolutionäre an der Nanotechno- logie, so Jurek Vengels, macht gleichzeitig ihre schwer abzuschätzen- den Spätfolgen aus. Denn vorstellen kann man sich das Ganze wie ei- ne Tafel Schokolade, die in einzelne kleine Teile zerbröselt wird. Die Masse bleibt dadurch zwar gleich, aber die Oberfläche der gesamten Schokolade vergrößert sich gewaltig durch die vielen Partikel. Ihre Wir- kung ist deutlich reaktiver. Übertragen auf das Beispiel Seife ist genau diese Winzigkeit der springende Punkt. O-Ton (11) Vengels: Die besondere Wirkung (..) ist eben diese anti- bakterielle Wirkung, die können sie auch mit normalem Silber errei- chen, aber bei Nanosilber brauchen sie eine geringere Menge von Sil- ber, können mit der gleichen verwendeten Silbermenge eine stärkere Wirkung erzielen. Das ist für die Industrie interessant, birgt aber eben auch ein Risiko für die Umwelt und auch für die Verbraucher, wenn diese Partikel dann freigesetzt werden und in die Umwelt gelangen o- der auch in den menschlichen Körper aufgenommen werden. Sprecherin: Teile der Nanoindustrie behaupten, toxikologische Tests speziell für Nanoprodukte seien nicht nötig, da die Wirkung der zugrundeliegenden Materialien - wie bei der Schokolade und ihren Bröseln - seit langem bekannt sei. Dies mache es unbedenklich, Na- nomaterialien als Geschmacksverstärker und Ergänzungsmittel in Nah- rungsmitteln einzuschleusen. Nanokapseln mit Aromastoffen können zum Beispiel in Fertigsuppen verwendet werden. Unter kochendem Wasser platzen sie auf und setzen die gewünschte Substanz frei. Doch ganz so sorglos sollte man damit nicht umgehen, wie Jurek Ven- gels erläutert. O-Ton (12) Vengels: Das Risiko besteht nun darin, dass durch die Verkapselung diese Materialien viel leichter vom Körper aufgenommen werden, das heißt eine deutlich größere Menge, wie es unter normalen Umständen der Fall wird vom Körper aufgenommen und da kann es möglicherweise dann auch zu einer Überdosierung kommen. Sprecherin: Im Reich des Winzigen geht es also bei weitem nicht nur harmlos und nutzbringend zu. Der Vorteil der Nanomaterialien, dass sie sich anders verhalten als das gleiche Produkt in größerer Form, könnte gleichzeitig zu einem Nachteil werden. So weiß man heute be- reits, dass bestimmte Nanopartikel in der Lage sind, die natürlichen Schranken unseres Körpers - beispielsweise die zwischen Gehirn und Blut oder der Plazenta und dem Organismus der Mutter - zu überwin- den. Dies würde bedeuten, dass erst unsere Kinder die volle Wucht negativer Begleiterscheinungen von Nanopartikeln zu spüren bekä- men. Die galoppierenden Fortschritte dieser Zukunftstechnologie könnten den Blick für ihre dunklen Seiten verstellen. O-Ton (13) Vengels: Aus unserer Sicht brauchen wir auf jeden Fall ei- ne gesonderte Bewertung von Nanomaterialien. Das hat auch schon die Royal Society for Engineering schon vor vier Jahren deutlich ge- sagt, wir brauchen eine eigene Bewertung von Nanomaterialien, die verhalten sich anders in der Umwelt, im menschlichen Körper, daher ist eine eigenständige Risikobewertung dringend nötig (...) Und solange die nicht erfolgt ist, sollten diese Materialien nicht so angewendet wer- den, dass sie in die Umwelt gelangen können oder eben auch mit dem Verbraucher in Berührung kommen können. Das heißt letztlich, dass wir verbrauchernahe (...) Anwendungen solange nicht erlauben sollten, bis diese Tests tatsächlich stattgefunden haben. Sprecherin: Der BUND schlägt vor, für die Zulassung von Nanomate- rialien die gleichen Kriterien gelten zu lassen wie in der europäischen Chemikaliengesetzgebung, kurz REACH: wenn keine gesicherten Da- ten über das Produkt vorhanden sind, darf es nicht auf den Markt. Au- ßerdem soll REACH ausgeweitet werden. Denn bis jetzt wird nur eine Registrierung der chemischen Stoffe vorgeschrieben, von denen in der EU mehr als eine Tonne pro Jahr hergestellt werden. Nanomaterialien werden allerdings in weit geringeren Größen produziert. Andere Nicht- regierungsorganisationen werden an dieser Stelle noch deutlicher. Sie fordern ein Nano-Moratorium, einen vorläufigen Stopp der Produktion von Nanomaterialien. Für die Industrie wäre das ein Rückschlag und vollkommen überzogen - zumal in unserem Alltag seit langem Sub- stanzen zum Einsatz kommen, die wesentlich gefährlicher als Nano- partikel sind. Es gehe dagegen immer wieder um die Frage der Diffe- renzierung - dass ist für Alexander Böker von der RWTH Aachen wich- tig festzuhalten. O-Ton (14) Böker: Und der Punkt ist einfach der (...) wenn man das nur auf Nanopartikel begrenzen möchte, muss man eigentlich fragen, was ist denn eigentlich Nanotechnologie, es sind ja nicht nur die Parti- kel, es sind ja auch kleine Moleküle (...) das heißt, dann könnte man sich eigentlich überlegen, was macht der optische Aufheller in meiner Kleidung? Was machen eigentlich die Substanzen, die Bleichmittel, die sowieso schon drin sind um Gerüche zu zerstören, die sind alle hoch- aggressiv (...) Das gehört mittlerweile zum täglichen Leben, darüber macht sich keiner mehr Gedanken. Musik: Filmmusik "The Dark Knight" Sprecherin: Aus wirtschaftlicher Sicht kommt ein völliger Stopp für Nanoprodukte nicht in Frage. Trotzdem bleibt zu diskutieren, welche Möglichkeiten der Kontrolle wissenschaftlicher Forschung der Zivilge- sellschaft eingeräumt werden sollen. Denn entscheidend, darüber sind sich alle Akteure des Nano-Dialogs einig, könnten die positiven finan- ziellen Bilanzen der Industrie sein. Insofern wäre ein Nano-Moratorium vom Standpunkt der demokratischen Willensbildung her betrachtet durchaus bedenkenswert. Der Hamburger Politikwissenschaftler Jo- scha Wullweber. O-Ton (15) Wullweber: Aus demokratietheoretischer Sicht würde ich sagen, sind Moratorien auch sehr sinnvoll, und die Idee eines Moratori- ums ist ja nicht zu sagen, wir werden die technologische Entwicklung nicht weiterführen. Sondern die Idee ist ja, zu sagen, wir wollen Zeit ge- winnen. Wir wollen Zeit gewinnen, um uns zu überlegen, welche Gefah- ren eigentlich hinter dieser Technologie stehen, wir wollen Zeit gewin- nen, um zu überlegen, was für gesellschaftliche Veränderungen viel- leicht auch dadurch induziert werden (...) Es könnte zu einem ganz gro- ßen Transformationsprozess kommen, wo es vielleicht auch sinnvoll wäre, zu sagen: okay, wir wollen diesen Transformationsprozess. Aber vielleicht nicht so rasant, sondern lieber etwas langsamer (...) Sind die Gefahren vielleicht so groß, dass wir in diese Richtung nicht weiter for- schen (...) oder zumindest nicht in bestimmten Richtungen nicht mehr weiter forschen. Ich finde die Forderung eines Moratoriums erst mal sehr legitim und sehr wichtig, und da gib es ja auch Abstufungen. Also es gibt ja einige NGOs die fordern (...) Nanopartikel sollten nicht in Le- bensmitteln sein (...) denn es ist immer noch absolut unklar, was für Ri- siken von diesen Partikeln ausgehen. Sprecherin: Sichtet man die Argumente für oder gegen die Nanotech- nologien, so fällt eines auf: Einig sind sich Verfechter und Kritiker hauptsächlich in dem Punkt, dass international verbindliche Richtlinien geschaffen werden müssen, die einen verantwortungsvollen Umgang mit Nano garantieren. Doch weiter reichen die Gemeinsamkeiten in die- sem Diskurs nicht, denn Hersteller und Entwickler setzen lediglich auf freiwillige Vereinbarungen. Verbote und Regulierungen sollen erst dann erfolgen, wenn toxikologische Daten eine Gefährdung bewiesen haben. Dies würde allerdings bedeuten, dass die Beweislast wie so oft beim Verbraucher und Nutzer liegt - und nicht etwa bei dem Hersteller. Im Herbst soll der Nano-Dialog weitergehen. Es bleibt abzuwarten, in wel- che Richtung. Musik Literatur Joachim Schummer: Nanotechnologie. Spiele mit Grenzen; Suhr- kamp-Verlag 2009 Bundesministerium für Forschung und Bildung: Nanotechnologie in Deutschland, Bonn 2002 Politische Ökologie, Heft 101; Ökom-Verlag 2006 Heike E. Krüger-Brand: Viele Chancen, unbekannte Risiken, in: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 104, Heft 9, 2007 Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung; Suhrkamp-Verlag 1