Manuskript Kultur und Gesellschaft Kostenträger : P 62100 Organisationseinheit: 46 Reihe : Forschung und Gesellschaft Titel : Die beste alle möglichen Welten. Die theoretische Physik steht vor einer philosophischen Herausforderung Autor : Marlene Weiß Redakteur : Jana Wuttke Sendung : 02. Dezember 2010 / 19:30 Uhr Regie : Beate Ziegs Besetzung : Jan Single; Markus Hoffmann, Aline Staskowiak Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 1 O-Ton Fredenhagen 1 (ca. 20') Rein vom pragmatischen Gesichtspunkt ist das so ein bisschen so wie die Frage, inwiefern sind Filme für mich interessant, die in anderen Kinosälen laufen, wenn ich in einem sitze. Natürlich ist das für mein Bild von der gesamten Filmlandschaft interessant, aber in dem Moment, in dem ich in einem Kinofilm sitze, da interessiert mich nur die Handlung, und die möchte ich verstehen, und die möchte ich begreifen können. Atmo: Kino. Tür zum Kinosaal geht auf. Film läuft im Hintergrund. Sprecherin/Kinoatmo 1 Unzählige Welten. Manche ganz anders als unsere. Manche sehr vertraut. Viele Filme mit unterschiedlichen Handlungen, die in den Sälen eines kosmischen Kinos laufen. Vielleicht könnten wir sogar den Film wechseln? Kinoatmo Sprecher Für Kosmologen fand das entscheidende Ereignis vor 13,7 Milliarden Jahren statt: Der Urknall, die Geburt unseres Universums. Kosmo-Atmo kurz hoch? Sprecher Ein unvorstellbar heißer und dichter Punkt. Dann eine Explosion. Zuerst ist das Universum nichts als konzentrierte Energie in einem leeren Raum, der schneller und schneller wächst. Dann plötzlich: Licht. Materie entsteht. Die Expansion verlangsamt sich, später beschleunigt sie sich wieder. Soweit das Standardmodell der Kosmologie. Aber hat dieses Ereignis, der Urknall, wirklich nur einmal stattgefunden? Oder viele Male? Werden vielleicht heute noch neue Universen geboren? Da sind sich die Forscher nicht sicher. 2 O-Ton Wetterich 1 (ca. 21') Das kann man sich schon vorstellen, dass man am Anfang so was Undefiniertes, Blubberndes hat, und dass dann eine sehr winzige Region sich so aufgebläht hat, dass es unser ganzes Universum geworden ist, und eine andere Region sich auch aufgebläht hat und ein ganz anderes Universum geworden ist, vielleicht sogar mit anderen Gesetzen- Sprecher Mathematische Modelle weisen darauf hin, dass es nicht einen, sondern viele Urknälle gegeben haben könnte - und vielleicht immer noch gibt. Ständig entstünden irgendwo im Kosmos neue Welten mit eigenen Naturgesetzen. Unzählige Universen, alle ineinander verschachtelt. Das ist das "Multiversum", zumindest auf dem Papier. Doch leider werden wir all die anderen, exotischen Universen nie direkt beobachten können. 3 O-Ton Wetterich 2 (ca.12') Nur leider können wir's nie sehen, weil wir nur bis an den Rand unseres Universums schauen können, wie ist das Universum mit den gleichen Gesetzen wie wir, das ist noch viel viel größer als das was wir sehen können. Sprecher Unabhängig von diesen spekulativen Vorstellungen ist eines für die Kosmologen sicher. Selbst in unserem eigenen Universum gibt es Regionen, von denen wir nicht das Geringste ahnen. Der Grund: Sie sind so weit entfernt, dass das Licht von den dortigen Sternen es seit dem Urknall nicht bis zu uns geschafft hat. Wie es in diesen fernen Bereichen aussieht - das ist eine der offenen Fragen in der Kosmologie, sagt Christof Wetterich. 4 O-Ton Wetterich 3 (ca. 23') Was liegt außerhalb des Horizonts den wir beobachten können, wir können ja nur bis 13.7 Milliarden Lichtjahre wegschauen von uns, weil das Licht schon die ganze Zeit gebraucht hat, um bis zu uns zu kommen. Sprecher Auch unser Universum besteht also gewissermaßen aus vielen Welten. Alles eine Frage der Definition, meint der Naturphilosoph Bernulf Kanitscheider von der Universität Gießen. 5 O-Ton Kanitscheider 1 (ca.27') Auf den ersten Blick könnte jemand ja von der Logik etwa einwenden, Moment, das ist doch ein Begriff, der ist aus sich widersprüchlich. Das Universum ist per definitionem alles was existiert, alles Seiende. Wieso kann es eine Vielfalt von "allem Seienden" geben. Klar, mit ungeschickten Definitionen kann man sich immer schnell in eine Sackgasse manövrieren. Aber man muss das Universum nicht so definieren. Sprecher Stattdessen kann man das Universum als den Bereich betrachten, den wir beobachten können. Das ist jedoch nur ein kleiner Teil des großen Ganzen. Aus den meisten Regionen des Kosmos wird uns nie ein Lichtstrahl erreichen - sie rasen mit der Ausdehnung des Universums unaufhaltsam vor uns davon. Unsere Welt geht nur bis dahin, wo die ältesten Lichtstrahlen herkommen. Der Rest- das sind andere Welten, auch wenn dort zumindest die gleichen Naturgesetze gelten wie bei uns. 6 O-Ton Kanitscheider 2 (ca. 23') Und da nach der heutigen Auffassung sich das theoretische Universum bis in die Unendlichkeit erstreckt, zerfällt dieses Gesamtuniversum in eine unendliche Zahl von endlichen kausal zusammenhängenden Bereichen und das ist bereits ein Typ von einem Multiversum. Sprecher So gesehen beschränkt sich unsere Welt auf den Bereich, den wir prinzipiell beeinflussen oder beobachten können. Nur mit diesem Bereich sind wir im "kausalen Zusammenhang". Sprecherin/Kino-Atmo 2 Sollte das Universum tatsächlich unendlich sein? Und wir erkennen nur einen winzigen Ausschnitt der riesigen Kinoleinwand? In den unendlich vielen Teilwelten wäre alles möglich. Irgendwo da draußen - Welten, in denen unser Doppelgänger den Dschungel in Papua-Neuguinea erforscht. In der Unendlichkeit ist Platz für alles. 7 O-Ton Kanitscheider 3 (ca. 25') Wir können also, wenn man Wahrscheinlichkeitsüberlegungen machen, abschätzen, dass in einem Abstand von 10 hoch 10 hoch 29 Lichtjahren zwei Leute wie wir hier sitzen, ein Interview machen über Kosmologie und sich darüber unterhalten, dass im Abstand von 10 hoch 10 hoch 29 Lichtjahren es Leute gibt, die sich gerade über Kosmologie unterhalten. Sprecherin/Kinoatmo 3 Der Gedanke ist etwas gewöhnungsbedürftig. Aber wer kann sich schon die Unendlichkeit vorstellen? Für uns sind ja schon die Zahl der Sterne am Himmel und die der Wassertropfen im Meer kaum fassbar. Sprecher Der wissenschaftliche Nutzen der Viele-Welten-Szenarios ist jedoch unter Forschern umstritten. Schließlich können wir die Parallelwelten weder bereisen noch beobachten - vielleicht wird es nie einen experimentellen Nachweis geben. 8 O-Ton Wetterich 4 (ca. 18) Es gibt die Möglichkeit dass es außen ganz anders ist, es gibt die Möglichkeit dass immer neue Universen entstehen, der große Nachteil; wir werden das wohl nie falsifizieren oder verifizieren können, das geht dann praktisch schon fast in die Metaphysik- Sprecher Und genau darin liegt für viele Physiker das Problem. Ist es überhaupt ihre Aufgabe, über unerreichbare Welten zu spekulieren? Doch die Idee könnte gewichtige Konsequenzen haben: Für die Erklärung unserer Existenz. Es ist eine unglaublich unwahrscheinliche Fügung, dass unsere Welt überhaupt Leben zulässt. Viele Größen, wie die Massen der Teilchen oder die Stärken der Grundkräfte, scheinen genau aufeinander abgestimmt zu sein. Wäre es anders, gäbe es uns nicht. Ist unsere Welt die einzige, die jemals existiert hat, haben wir erstaunlich Glück gehabt. Mit einem einzigen Los haben wir gleich den Hauptgewinn in der kosmischen Tombola gezogen. Aber wenn es viele Welten gäbe? 9 O-Ton Kanitscheider 4 (ca. 25') Und da taucht dann in einer natürlichen Form der Gedanke auf, ob es nicht ein Ensemble von Welten geben könnte, über das diese Parameterwerte gleichförmig verteilt sind, nur leben wir in einem bestimmten Exemplar dieses Ensembles, das für diese Parameterwerte genau jene hat, die günstig sind für die Entstehung von Leben. Sprecher Das ist das sogenannte anthropische Prinzip. Es besagt, dass wir uns nicht über die wundersame Feinabstimmung der Parameter wundern müssen. In einer Vielzahl von Welten sind wir einfach in genau der entstanden, die uns leben lässt - wo auch sonst. Wenn alle Lose der Weltentombola verkauft werden, ist es nicht weiter überraschend, dass irgendwo irgendjemand das Los aufrollt, auf dem "Leben" steht. 10 O-Ton Wetterich 5 (27') Manche interpretieren das mit so einer Art Finalität, das geht dann bis in die religiösen Vorstellungen, andere sagen, das ist einfach eine zufällige Sache, das Universum könnte alle möglichen verschiedenen Regionen haben mit verschiedenen Eigenschaften, und Leben kann sich halt nur unter ganz bestimmten Bedingungen entwickeln und dann müssen wir halt unter solchen Bedingungen leben, die Gesetze bei uns müssen so sein, damit es uns gibt. Sprecher Aber für viele Wissenschaftler ist das anthropische Prinzip an sich schon ein rotes Tuch. Sie halten es für eine Abkehr von der Naturwissenschaft, manche Eigenschaften der Natur nicht mehr zu hinterfragen. Auch Christof Wetterich warnt davor, sich vom anthropischen Prinzip zu Untätigkeit verführen zu lassen. 11 O-Ton Wetterich 6 (23') Man sollte aber dazu sagen, dass natürlich die Versuchung, Dinge durchs anthropische Prinzip zu erklären, immer groß ist und letztendlich immer ein Zeichen unseres Unwissens ist. Solange man die Dinge nicht besser verstanden hat, tut man sie sehr oft aufs anthropische Prinzip abwälzen. Aber wenn man sie dann verstanden hat, redet plötzlich keiner mehr davon. Sprecher Selbst wenn man das anthropische Prinzip ausklammert - die Möglichkeit, dass einige Werte in der Natur gänzlich zufällig sind, besteht. Nicht mehr als Zahlen, die in den Gleichungen der Physiker auftauchen, und ebensogut anders sein könnten. Aber auch hier wird gestritten. Die Quantenmechanik zeigt seit langem, dass es nicht ganz ohne den Zufall geht - aber man möchte ihn nur im Kleinen zulassen, nicht im Großen. Man weiß, dass Elektronen und Atome sich zufällig verhalten. Aber wenn es um Tische, Stühle und Gebäude geht, sorgt die Statistik dafür, dass alles berechenbar bleibt. Sollte es mit den Naturgesetzen, die die Welt regieren, wirklich anders sein? 12 O-Ton Wetterich 7 (ca. 30') Schaun Sie, Zufallsprinzipien sind allgegenwärtig in der Physik. Die Welt ist regiert vom Zufall, damit haben wir überhaupt keine Schwierigkeiten. Aber aus Zufälligkeiten werden oft, wenn man Dinge betrachtet, die aus sehr vielen Teilchen bestehen, werden plötzlich wieder Gesetze. Die Quantenmechanik ist völlig zufällig, wie ein einzelnes Atom sich bewegt, aber wenn Sie mich fragen, wird die Neckarbrücke einbrechen in der nächsten Stunde, dann werde ich sagen, nein. Sprecherin/Kino-Atmo 4 Zufällige Ereignisse. Wieso musste er sterben? Weshalb hatte sie sich verspätet? Wenn er nur einen anderen Zug genommen hätte. Alles wäre anders gekommen. Kinotür geht auf, man verlässt den Saal, Film weg Atmo DESY Sprecher Das Teilchenforschungszentrum DESY in Hamburg. Eine zusammengewürfelte Ansammlung von Gebäuden aus den sechziger Jahren. Die großen Experimente finden heute woanders statt. Aber in der Theoriegruppe versuchen Wissenschaftler, die Grundlagen der Physik zu verstehen. Noch gibt es zwei Theorien, die bisher unvereinbar sind: Die Quantenmechanik für das ganz Kleine, für Elektronen, Atome und Moleküle. Und Einsteins Relativitätstheorie für das ganz Große. Sie beschreibt Planeten und Galaxien. Mit dieser Trennung soll es dereinst vorbei sein, wenn eine einheitliche Theorie für alle Kräfte der Natur gefunden ist. Viele Forscher setzen ihre Hoffnungen in eine immer noch unbestätigte Theorie: Die Stringtheorie. 13 O-Ton Lebedev 1 (ca. 22') The main assumtion of String Theory is that... Sprecher Oleg Lebedev vom DESY. Voice-over In der Stringtheorie nimmt man an, dass Teilchen nicht punktförmig sind, sondern eine bestimmte Ausdehnung haben, und sie entsprechen verschiedenen Schwingungen von winzigen Saiten, wie in der Musik. Wir wissen, dass eine Geigensaite mit verschiedenen Frequenzen schwingen kann, und in der Stringtheorie entspricht das einem Teilchen mit unterschiedlichen Eigenschaften. Sprecher Jedes Teilchen wäre also nur Schwingung einer winzigen Saite, die ganze Welt ein vielstimmiges Konzert. Doch das ist noch nicht alles. Die Stringtheorie funktioniert nur dann, wenn der Raum nicht dreidimensional ist, sondern neun oder gar zehn Dimensionen hat. Und da wir von diesen zusätzlichen Richtungen des Raumes nichts merken, müssen die Stringtheoretiker sie irgendwie verstecken. Überschüssige Dimensionen werden zu winzigen Knäueln aufgerollt, so klein, dass sie für uns unsichtbar werden. Aber es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, diese Raumrichtungen aufzuwickeln. Jede einzelne ist eine Lösung der Gleichungen und führt zu einer eigenen dreidimensionalen Welt mit bestimmten Eigenschaften. 14 O-Ton Schomerus 1 (ca. 32') In der Stringtheorie gibt es eine große Menge von Lösungen, von Modellen, die im Prinzip die Natur beschreiben könnten, und man redet davon, dass es 10 hoch 500 solcher Lösungen gibt und die haben ganz verschiedene Eigenschaften. Einige könnten unserer tatsächlichen Welt ähneln, andere sind komplett verschieden von dem, was wir wirklich erfahren, und das ist diese Landschaft von möglichen Welten, die sich aus der Stringtheorie ergeben. Sprecher Eine Landschaft der möglichen Welten: Das ist das Bild, das die Physiker verwenden, erklärt der Stringtheoretiker Volker Schomerus am Desy. Jedes Modell, jede Kombination von Kräften, Teilchen und Naturgesetzen, entspricht einem Punkt in der Landschaft. Und jeder Ort in dieser Landschaft ist eine denkbare Welt mit anderen Eigenschaften und Perspektiven. 15 O-Ton Lebedev 2 (ca. 30') There's a large... Voice-over Es gibt eine große Zahl verschieder Modelle, wir sehen eine Landschaft mit Bergen, Tälern, Gipfeln und Seen, die den verschiedenen Möglichkeiten entspricht, und wir leben nun einmal an einem bestimmten Punkt in dieser Landschaft - auf einem Berg oder an einem See. Aber alle diese Punkte innerhalb der Landschaft entsprechen unterschiedlichen Universen mit unterschiedlichen Eigenschaften. Sprecherin/Kinoatmo 5 Das Weltall: Ein Film unter vielen, der irgendwann angefangen hat und vielleicht irgendwann aufhören wird. Den wir uns nicht ausgesucht haben, obwohl es noch unzählige andere gibt. Sprecher Alles Spekulation, meinen viele - irgendwann wird sich der Nebel lichten. Dann, wenn sich unsere Welt als die einzig mögliche herausstellt. Andere nehmen die Idee vom Multiversum jedoch sehr ernst. Oleg Lebedev: 16 O-Ton Lebedev 3 (ca. 42') It's hard to tell... Voice-over Es ist jetzt schwer abzuschätzen, aber ich glaube grundsätzlich ist nichts falsch daran. Physiker haben in den letzten hundert Jahren für die Weiterentwicklung der Theorie immer Symmetrieprinzipien verwendet. Aber das heißt nicht, dass wir diese Ideen beliebig weit in die Zukunft ausdehnen können und sagen, da ist nichts anderes. Es ist schwer, die Idee von Landschaft und Multiversum abzutun. Ich denke, es kann ein Teil der Realität sein, und früher oder später werden wir uns damit auseinandersetzen müssen. Sprecher Die Idee gefällt nicht allen Physikern. Schließlich stellt sie einiges infrage, was in der Naturwissenschaft lange Konsens war: Aussagen über nicht beobachtbare Dinge überlässt man Metaphysikern und Theologen. Kaum jemand ist bereit, dieses Prinzip leichtfertig über Bord zu werfen. Darum hoffen viele Stringtheoretiker, dass die Landschaft sich eines Tages in Luft auflöst. Sie glauben, dass unser Universum mit all seinen Teilchen und ihren Eigenschaften als einzige vernünftige Lösung aus ihren Rechnungen herauskommen wird. Die Gleichungen würden alle auf die Welt hinauslaufen, die wir kennen. Aber ob dieser Tag je kommen wird, ist inzwischen fraglicher denn je. An der Universität Bonn forscht Hans-Peter Nilles an der Stringtheorie. Er schlägt einen Mittelweg vor - wenn schon nicht das Einzige, könnte unser Universum wenigstens aus einem Evolutionsprozess hervorgegangen sein. 17 O-Ton Nilles 1 (ca. 35') Man kann sich jetzt von der wissenschaftlichen Fragestellung her dem Problem nähern indem man eine gewisse Evolution annimmt. Das heißt, man startet von einem Universum, das durchaus sich entwickeln kann, das neue Universen erzeugt, und solche Mechanismen existieren, Phasenübergänge, wo neue Universen gegründet werden, die durchaus andere Parameter haben und dass dann unter der Vielzahl dieser Universen auch Universen erzeugt werden, die so aussehen wie unser Universum. Sprecherin/Kinoatmo 6 Unsere Welt, nur eine Blase von vielen? Ein kosmisches Blubbern, in dem alle nur denkbaren Welten entstehen, wachsen und auch wieder zerplatzen? 18 O-Ton Nilles 2 (ca. 20') Unseres wäre eines von vielen und trotzdem kann man dann die Frage stellen: wird notwendigerweise ein Universum wie unseres erzeugt? Da gibt es durchaus wissenschaftliche Fragestellungen; sind wir wahrscheinlich? oder sind wir eher unwahrscheinlich? Sprecher Ob wahrscheinlich oder unwahrscheinlich, manche Eigenschaften der Welt, zum Beispiel Leben, könnten sich auch als beliebig herausstellen, meint Oleg Lebedev. 19 O-Ton Lebedev 4 (ca. 40') What we see now... Voice-over Was wir jetzt sehen, ist, dass manche Parameter mit fundamentalen Prinzipien erklärt werden können. Die Stärke der Grundkräfte kann erklärt werden. Aber es gibt andere Parameter, wie die Masse des Elektrons oder anderer Elementarteilchen, die nicht aus der Theorie herauskommt und eine rein zufällige Zahl sein könnte. Die Leute versuchen, das mit der Theorie zu erklären, aber es ist nicht klar, ob das möglich ist. Man sollte die Möglichkeit, dass es eine zufällige Größe ist, nicht ausschließen. Sprecher Und auch hier bietet sich wie in der Kosmologie wieder ein verlockendes Argument an. Vielleicht ist es sinnlos, sich zu wundern, dass unsere Welt ist, wie sie ist, denn sie ist nicht mehr als eine Möglichkeit unter vielen. Mit der besonderen Eigenschaft: Es gibt Leben in ihr. Das anthropische Prinzip. 20 O-Ton Lebedev 5 (ca. 27') For instance if the proton... Voice-over Wenn zum Beispiel das Proton schwerer als das Neutron wäre, dann würde es zerfallen, dann gäbe es keine stabilen Atome, keine komplexe Chemie und auch kein Leben. Wir wissen oder: wir meinen, dass es verschiedene Möglichkeiten und verschiedene Universen mit verschiedenen Eigenschaften da draußen gibt, und wenn diese günstig für die Entstehung von Leben sind, dann gibt es uns und wir sind da, um diese Frage zu diskutieren. Wenn nicht, dann nicht. Sprecherin/Kinoatmo 7 Sollte es wirklich Fragen geben, die wir nie beantworten können werden? Dinge, die einfach sind, wie sie sind, ohne irgendeine Erklärung? Die Welt- ein Film von David Lynch? 21 O-Ton Lebedev 6 (ca. 24') I think we might... Voice-over Vielleicht müssen wir unsere Sichtweise der Physik ändern. Viele Leute hoffen, eine grundlegende Theorie zu finden, die alle Beobachtungen eindeutig vorhersagt, ohne irgendwelche Unsicherheiten. Wenn man so eine Theorie fände, das wäre toll! Aber es kann sein, dass diese Theorie einfach nicht existiert. Sprecher Es könnte Zeit für ein Umdenken sein. Die Wissenschaft entwickelt sich weiter. Vielleicht gibt es ohnehin längst kein Zurück mehr. Die alten Gewissheiten geraten ins Wanken. Das Prinzip Zufall könnte eine Aufwertung verdienen, meint Oleg Lebedev. 22 O-Ton Lebedev 7 (ca.43') For instance we know... Voice-over Zum Beispiel wissen wir aus der Quantenmechanik, dass ein bestimmter Grad von Zufälligkeit in der Physik besteht. Man kann das Ergebnis von einem Experiment nicht vorhersagen. Wenn man das Experiment sehr oft durchführt, kann man statistisch vorhersagen, wie wahrscheinlich ein bestimmtes Ergebnis ist. Aber bei nur einem Experiment kann man einfach nicht sagen, was passieren wird. Dieses Zufallsprinzip könnte grundlegender sein, als wir denken, und es könnte etwas mit den Ideen von Landschaft und Multiversum zu tun haben - manche Dinge sind einfach zufällig. Sprecher Aber dieses Weltbild bleibt in der Forschergemeinde umstritten. So ganz will man die Hoffnung auf die Weltformel, die die eindeutige Antwort auf alle Fragen liefert, nicht aufgeben. Volker Schomerus. 23 O-Ton Schomerus 2 (ca.23') Jetzt diese Idee voranzustellen, dass eigentlich jeder Wert möglich ist, das verhindert, dass in diesem Bereich Forschung gemacht wird. Das ist aus meiner Sicht mehr eine Art von Glaubenssatz als wirkliche Wissenschaft, und umgekehrt bietet es die Gefahr, Wissenschaft zu verhindern, wenn man in dem Moment einfach gar nicht mehr nachguckt. Sprecher Die Situation ist vertrackt. Die einen halten vieles für grundsätzlich nicht begründbar. Für sie ist die Suche nach Erklärungen für jede Masse, jedes Teilchen und jede Zahl reine Zeitverschwendung. Das Verfolgen eines Phantoms, das nur in unseren Köpfen existiert. Die anderen warnen vor dem Ende der Wissenschaft - wer aufhört, nach diesen Erklärungen zu suchen, bremst die Forschung, meinen sie. 24 O-Ton Volker Schomerus 3 (ca. 28') Vielleicht als Vergleich: man könnte sich jetzt fragen, warum das Gras grün ist, dann kann man anfangen, dem auf den Grund zu gehen, und man findet vielleicht das Chlorophyll und die Fotosynthese, das ist interessante Forschung. Auf der anderen Seite, wenn man sagt, das Gras könnte genauso gut auch rot und blau und lila sein, nur aus irgendwelchen Gründen können wir eben nur da leben, wo das Gras grün ist, dann hat man quasi all diese Forschung verhindert. Sprecher Aber vielleicht werden die Physiker dennoch eines Tages mit der Erkenntnis konfrontiert, dass sich nicht alles aus ihren Formeln ableiten lässt. Ähnlich wie der Abstand von der Erde zur Sonne - einfach eine von vielen Möglichkeiten. Von denen die meisten allerdings kein Leben erlauben. Andere Größen könnten sich auch aus der Theorie heraus erklären lassen. Die Schwierigkeit ist, die einen von den anderen zu unterscheiden - um sinnvolle Fragen zu stellen. 25 O-Ton Volker Schomerus 4 (10') Ein Großteil der Wissenschaft ist zu lernen, richtige Fragen zu stellen. Ich denke, das wird unterschätzt, man denkt immer, Wissenschaft liefert Antworten, aber Wissenschaft erstmal liefert einfach richtige Fragen. Atmo/Musik Sprecher Nicht nur innerhalb der Stringtheorie ist die Bedeutung der vielen Welten umstritten. Allein die Tatsache, dass die Stringtheorie viele Lösungen erlaubt, macht es vielen Kritikern schwer, diese Theorie überhaupt zu akzeptieren. Schließlich ist das mit ein Grund, dass die Theorie noch weit davon entfernt ist, experimentell überprüfbare Vorhersagen zu machen. Eigentlich geht es immer auch um die Frage: Was ist noch Wissenschaft? Wie weit kann man sich vom Experiment entfernen, ohne sich als Wissenschaftler auf allzu dünnes Eis zu begeben? Atmo Gartencafé Campus Wien Atmo weiter, darüber Sprecher Im Café auf dem Campus der Universität Wien sitzen die Studenten in der Nachmittagssonne und diskutieren über Gott und die Welt. Diese Gesprächskultur vermisst der Wissenschaftstheoretiker Richard Dawid unter Physikern manchmal. 26 O-Ton Dawid 1 (ca. 47') Es gibt heute selbst unter den Physikern eine sehr große Gruppe, die der Stringtheorie sehr skeptisch gegenübersteht. Ich meine, dass es durchaus legitime Motive gibt, ein Maß an Vertrauen in diese Theorie zu haben, auch wenn sie noch nicht empirisch bestätigt ist. Das Interessante ist, dass die Debatte vollständig unproduktiv verläuft, die Leute reden vollkommen aneinander vorbei, es findet keine inhaltliche Debatte statt, die in irgendeiner Form eine produktive Entwicklung hätte. Sprecher Das könnte daran liegen, dass die Forscher nur meinen, über die Theorie zu streiten, sagt Richard Dawid. Dabei sind sie eigentlich uneins über die Natur von Wissenschaft. Kann etwas wissenschaftlich sein, obwohl es sich nicht experimentell bestätigen oder widerlegen lässt? Befürworter der Stringtheorie verweisen auf die Eleganz der Theorie und darauf, dass es derzeit keine schlüssige Alternative gibt. Gegner dieser neuen Form der Forschung halten dies für unseriös. 27 O-Ton Dawid 2 (ca. 34') Demgegenüber sagt der Kritiker der Stringtheorie: du kannst ohne eine empirische Bestätigung zu haben nicht so viel Vertrauen in Deine Theorie haben, es geht nicht um die Details der Theorie, es geht darum, was ich als wissenschaftliche Bestätigung allgemein anerkenne und ich sage dir als Physiker, in der Physik darf man auf so einer Grundlage eine Theorie nicht so ernst nehmen wie du das machst. Sprecher Der Streit geht weit über die Theorie selbst hinaus. Die Wissenschaft könnte im Begriff sein, sich grundlegend zu verändern. 28 O-Ton Dawid 3 (ca. 40') Die Stringtheoretiker haben ein Konzept von Theorienbestätigung entwickelt, das anders ist als Konzepte von Theorienbestätigung in anderen physikalischen Bereichen. Sie haben sich auf der Grundlage dessen, was sie in ihrer Theorie sehen, eine Veränderung des Paradigmas wissenschaftlicher Bestätigung erarbeitet. Was durchaus ein legitimer Prozess ist, weil die wissenschaftlichen Paradigmen nicht in Erz gegossen herumstehen, sondern immer eine Konsequenz dessen ist, was in der Wissenschaft passiert und wie die Wissenschaftler mit ihrer Wissenschaft umgehen. Sprecherin/Kinoatmo 8 Was ist das überhaupt - Realität? Wenn niemand im Saal ist, läuft der Film dann trotzdem weiter? Existieren die Filmhelden jenseits der Leinwand? Sprecher In der Diskussion um das Multiversum geht es auch um etwas, das Wissenschaftstheoretiker schon lange beschäftigt: Die Realismusdebatte. Ist die Theorie Realität oder nur vorläufige Beschreibung? Kann man Theorien überhaupt jemals als wahr betrachten? 29 O-Ton Dawid 4 (ca. 40') Da gibt's auf der einen Seite den Realisten, der sagt, ich kann das und ich muss das sogar tun, weil ich nur so erklären kann, warum in den Naturwissenschaften so häufig Prognosen neuer Phänomene erfolgreich sind. Der Antirealist sagt, ich kann das nicht, naturwissenschaftliche Theorien sind immer nur Zwischenstadien in der Entwicklung und sie werden deswegen akzeptiert, weil sie in einem bestimmten Kontext empirisch erfolgreich sind, ich darf aber nicht daraus schließen, dass diese Theorien wahr sind oder dass die Objekte, die in diesen Theorien angenommen werden, tatsächlich existieren. Sprecher Diese beiden Lager findet man auch unter den Physikern, die über den wissenschaftlichen Gehalt des Multiversums debattieren. Die Realisten vertrauen der Theorie - wenn diese Parallelwelten vorhersagt, dann kann man davon ausgehen, dass es solche gibt, selbst wenn man sie nicht sehen kann. Die Antirealisten betrachten die Theorie skeptischer; sie verlassen sich nur auf direkt beobachtbare Dinge. Und sie rechnen damit, dass wie viele frühere Theorien auch die des Multiversums bald durch eine bessere Theorie ersetzt wird - wozu also sich mit diesen Welten auseinandersetzen? Die Grenze zwischen Physik und Metaphysik, zwischen Naturwissenschaft und Spekulation verschwimmt. Jedoch - das muss nicht unbedingt das Ende der Wissenschaft sein. Die Geschichte hat oft genug gezeigt, dass sich auch vermeintlich sichere Grundsätze als falsch herausstellen können. 30 O-Ton Dawid 5 (50') Das gleiche Problem hatte man schon im Fall der Quantenmechanik, wo auch viele Leute zunächst gesagt haben, eine nichtdeterministische Theorie ist keine ernstzunehmende wissenschaftliche Theorie. Mittlerweise hat man sich daran gewöhnt, nachdem man jetzt 80 Jahre lang nichts besseres gefunden hat, geht man halt mit diesen statistischen Theorien um, und natürlich ist das wissenschaftlich legitim und natürlich ist das ein wissenschaftlicher Zugang und in gleicher Art und Weise würde ich auch jetzt im Fall dieses anthropischen Prinzips sagen: Man kann das attraktiv finden oder nicht, wenn man so eine Erklärung hat und wenn einem keine andere einfällt, dann ist es meiner Meinung nach zweifellos wissenschaftlich, diese Erklärung ernstzunehmen. Sprecher Soweit die philosophische Theorie. Doch in ihrer täglichen Arbeit setzen sich wohl die wenigsten Physiker mit wissenschaftstheoretischen Fragen auseinander. Auch am Albert-Einstein-Institut in Golm bei Potsdam versuchen Stringtheoretiker eher, mit ihren Gleichungen voranzukommen. Das Multiversum? Eine hübsche Idee. 31 O-Ton Fredenhagen 2 (ca.'30) Ich finde die Idee vom Multiversum einerseits sehr interessant, denn in gewisser Weise stellt sie uns Menschen nochmal weniger in den Mittelpunkt der Welt, als es schon durch andere Paradigmenwechsel geschehen ist. Zuerst hat man erkannt, dass die Erde nicht im Zentrum von allem steht, dass die Sonne nicht um Zentrum von allem steht, und dass auch unsere Galaxie nicht im Zentrum von allem steht. In gewisser Weise ist es eine Weiterführung, dass unser Universum nur eins von vielen ist. Sprecher Stefan Fredenhagen, Stringtheoretiker in Golm. Andererseits betrachtet der junge Physiker die verborgenen Welten sehr pragmatisch. Was soll es, wenn es viele andere Welten gibt - schließlich ist unsere eigene schon sehr kompliziert. 32 O-Ton Fredenhagen 3 (ca.'20) Selbst wenn es nun stimmen sollte, dass es viele Universen gibt, so lebe ich doch in einem und ich möchte gerne dieses Universum gut verstehen können, und ich bin davon überzeugt, dass wir unsere Theorien so weit begreifen können, dass wir auch unser Universum gut beschreiben können, auch wenn wir vielleicht nicht letztlich alle Naturkonstanten erklären können. Sprecherin/Kinoatmo 9 Viele Milliarden Galaxien. Die Milchstraße. Das Sonnensystem. Die Erde. Das Leben. Eigentlich ist unser Film spannend genug. Kinoatmo, raus aus dem Kino, auf die Straße, Stimmen, Lachen, Autos