Deutschlandradio Kultur / Die Reportage Titel: Nomaden in Not - Vom Ende der Fische und Fischer Autorin: Tina Hüttl Redaktion: Eberhard Schade Skript: Regie: Atmo 1 (insg. 1min ) Wasserdorf Sampela am Morgen: Hühner, Kinderstimmen Autorin: Der Tag im Wasserdorf beginnt früh. Zuerst wachen die Hühner auf, die einzigen Nutztiere, die hier mitten auf dem Meer leben. Dann fahren die Frauen raus, auf schmalen Kanus, die aus einem Baum gefertigt sind. Sie holen Süßwasser in Kanistern vom Festland. Ihre Kinder spielen auf den Stegen, ausgebleichte Bretter, lose zusammengenagelt - sie verbinden die Bambushäuser, die auf Stelen im Wasser stehen. Durch die vielen Lücken leuchtet es meeresblau. Die Bajo-Kinder bewegen sich sicher, selbst die Kleinsten hier können schwimmen. Die Heimat der Bajos, ein Naturvolk aus Südostasien, ist das Meer. Regie: Atmo 2 (insg. 1:15) Reparatur Boot: Hämmern laut, Babygeschrei, Frauen summen Autorin: Das Wasserdorf heißt Sampela. Rund 300 Familien leben hier. Die Bajos haben ihre Häuser auf einem Riff im offenen Meer gebaut, in einer Gegend von Indonesien, die Sulawesi genannt wird. Australien ist nicht mehr weit. Vor einer der windschiefen Hütten sitzt ein junger Bajo und repariert sein Boot. Er lebt vom Fischen, wie alle Männer hier. Manche sagen, die Bajos seien die besten Fischer der Welt. Das Riff unter der Stelen-Hütte ist mit toten Korallenbrocken aufgeschüttet, die wie eine Plattform aus dem Wasser ragen. Darauf sitzt nun das Boot, ein paar Planken müssen ausgetauscht werden, weil der Boden leckt. Regie: O-Ton 1 (34s) Unterhaltung Zwei Männer unterhalten sich auf Sprache der Bajo Autorin darüber: Der junge Bajo erzählt, dass er für das Boot gerade sein Haus verkauft hat. Mit seiner Frau und den zwei Kindern zog er bei den Eltern ein. In der winzigen Hütte lebt auch noch der Bruder mit seiner Familie. 2,4 Millionen Rupien hat der Fischer für das Boot bezahlt, ungefähr 240 Euro, das ist mehr als ein Haus hier wert ist. Denn ein Boot bedeutet Einkommen, selbst wenn das Boot noch keinen Motor hat. Das Geld dafür will der junge Bajo in Malaysia verdienen. Regie: Atmo 3 (insg. 1min) Wasser, Kinderstimmen, Motor von weitem, Paddelgeräusche Regie: Blende mit Atmo 4 Motorengeräusch (35s) Autorin: Das Kanu seines Vater schaukelt bereits auf dem Wasser. Es ist schmal, der kleine alte Mann darin füllt es aus. Er heißt Mbo Tadi, hier in Sampela nennen sie ihn den König der Fischer. Der Alte paddelt los, sein brauner Körper ist der eines jungen Mannes, die mächtigen Muskeln sitzen wie zwei Höcker auf seinem Rücken. Neben ihm im Kanu liegt die selbstgebastelte Harpune und Brillengläser für Unterwasser. Ein Motorboot folgt ihm aufs offene Meer hinaus, wo er nach Fischen taucht. Auf der Wasseroberfläche treiben tote Falterfische, viele kleine schwarz-gelbe Körper, Tadi paddelt vorbei, er sieht so etwas öfter. In der Region gibt es Bombenfischer, die mit Dynamit arbeiten. Regie: Atmo 5 (insg. 1:30) Wasserplätschern auf offenem Meer Alternativ: Atmo 06 (insg. 55s) Paddeln (manchmal Unterhaltung) Autorin: Der alte Mann ankert, dann atmet er ruhig ein und sinkt kopfüber in die Tiefe. Die Wasseroberfläche wellt sich wegen des Windes, darunter ist es glasklar, fünf Meter, acht Meter, zehn, zwölf. Tadi macht ein paar kräftige Züge, die Harpune unter den rechten Arm geklemmt. 30 Sekunden seit Abtauchen. Den Druck hier unten spürt er nicht. Als er ein Kind war, durchstach sein Vater ihm das Trommelfell. Eine Woche blutete er aus den Ohren. Bajos machen das, um sich den Druckausgleich zu sparen. Tadi taucht etwa 15 Meter ab, an einem Felsen auf dem Meeresgrund hält er sich fest. Der Naturglaube der Bajos befielt, die Plazenta eines Neugeborenen möglichst tief unter Wasser zu begraben, denn so tief wird das Kind später tauchen können. Eine Minute. Das Warten beginnt, kleine Luftblasen poppen aus seinem Mund nach oben. 1:20 Minute. Ein Papageifisch nähert sich, Tadi beobachtet ihn, er ist noch zu klein. Nur einen Finger lang. Obwohl der alte Mann nie eine Schule besucht hat, kennt er die Fische der Unterwasserwelt zwischen der indonesischen Banda- und Floressee genau. Rund 500 der weltweit knapp 800 Korallenarten leben hier, über 1200 Fischarten, sechs von sieben Meeresschildkröten weltweit. Ein Paradies, das bedroht ist. 1:40 Minuten. Um Tadis Nase hat sich ein große Luftblase gebildet. Ein Blaupunktrochen, der zwischen zwei Korallen auftaucht, wirbelt etwas Sand auf. Sein Stich kann sehr schmerzhaft sein. Tadi fixiert ihn mit der Harpune, löst die Arretierung, die den alten Fahrradschlauch spannt: Die Speerspitze durchbohrt den Rochen. Zwei Minuten. Tadi taucht auf, wirft seine Beute ins Boot Regie: O-Ton 2 (insg. 3:50 min) Tadi bei Kanu Wasser, Wind, Tadi im Wasser redet: Kumpuri, et Kukuni, Kumui et Kampasser. Plätschern und Paddeln (Unterhaltung Männer in Bajo) Autorin darüber: Stolz benennt er jetzt die Fischarten. Der alte Mann wird noch viele Stunden mit dem Speer fischen, wie schon sein Leben lang. Vierzig Jahre lebte er mit seiner Frau und seinen Kindern auf einer ?Sope?, einem Hausboot, das er nur zum Fischen verließ. Tadi besaß kein Haus, er war Seenomade. Die Bajos heißen auch ?Zigeuner der See?. Sie kochten den Fang an der Feuerstelle im Boot, aßen die Algen, die sie beim Vorbeifahren aus dem Wasser zogen. Um an Macheten, Reis oder Kaffee zu kommen, tauschten sie mit den Menschen an Festland Fisch und Seegurken. Nachts schliefen er, seine Frau und die Kinder aneinandergepresst auf der fünf Meter langen, zwei Meter breiten ?Sope?, geschützt von einem niedrigen Blätterdach. Sie segelten meist in Küstennähe, nie weit von den vulkanischen Mangroveninseln, von wo sie Süßwasser holten. So wie es die Bajos schon jahrhundertelang gemacht haben. Regie: Atmo 07 (insg. 40s) Motorboot, Ankunft auf Sampela Autorin: Jetzt zieht ein Motorboot Tadis Kanu zurück zum Wasserdorf, von weitem sehen die Häuser aus als hätte jemand Würfel ins Wasser geworfen. ?Feste Boote? nennen die Bajos sie. In den 60er und 70er Jahren zwang Jakarta - die Regierung in der Hauptstadt - die Bajos, sich in Dörfern anzusiedeln. Nur sesshafte Bürger können medizinisch versorgt werden, hieß es. Nur sesshafte Bürger ihre Kinder zur Schule schicken. Es sind gute Argumente, aber wie erklärt man Menschen, die bis vor Kurzem noch glaubten, jeder habe einen Tintenfisch als Zwillingsbruder im Meer, dass man ohne Meldeadresse nicht durchs Leben kommt? Regie: O-Ton 3 (1:20s) Tadi spricht, Motorboot nähert sich, Männer reden Autorin: Tadi erzählt, er würde jederzeit wieder mit der ?Sope? losziehen. Er legt am Steg seines Hauses an. Im Kanu liegen der Rochen, zwei Igelfische, ein paar Zitronenbarben, ein Kaninchenfisch und ein paar Seegurken. Sechs-sieben Fische, bunt und wunderschön, sein Einkommen. Kurz bevor Tadi sein Boot festmacht, taucht ein rundlicher Mann in einem Kanu auf. Kein Bajo, ein Landmensch von der Nachbarinsel. Er ist ein Middleman, ein Fischhändler. Der Mann nähert sich und schaut wortlos auf die Fische im Kanu. Ohne Tadi anzuschauen hält er ihm 10 000 Rupien hin. 10 000 Rupien, umgerechnet ein Euro. Es ist der Wert einer Dose Cola auf dem Festland. Dort wird der Händler die Fische für das fünffache verkaufen, hunderte Kilometer weiter in Bali, Hong Kong oder Japan kosten sie bis zum 50fachen. Es ist der Moment, in dem klar wird: Die Bajos sind keine Selbstversorger mehr. Vor allem aber sind sie keine guten Händler. Sie sind Lieferanten am Ende einer langen Handelskette. Arme Fischer, die sich unter Wert verkaufen und einen immer gierigeren Weltmarkt mit Fisch beliefern. Regie: Atmo 8 (insg. 1:20) Kinderstimmen, Körbe rascheln Autorin: Ein paar Stege und Bambushütten weiter kniet Caine Delacy, ein australischer Meeresbiologe, vor einem Tuch, auf dem Fische zum Trocknen ausgelegt sind. Es ist ein perfektes Fotomotiv: die vielen verschiedenen Fische liegen sortiert nach Arten und Größen wie in einem Muster. Daneben präpariert ein Bajo Krebsfallen, geflochtene Körbe, in die er an einem Faden Fischstücke knotet. Caine Delacy, der auf einer Insel in der Nähe den Zustand des Korallenriffs untersucht, schaut auf die grün-blau schimmernden Papageifische: Regie: O-Ton 4 (16s) Meeresbiologe Caine These are probabely juvinelies, I say one year old. It depends on the species, but they may grow 15 -20 years old, parrotfish mature earlier than grouper. But these ones mature at 4-5 years before they are spawning. Regie Voice over: Das sind wahrscheinlich Jungfische, höchstens ein Jahr alt. Papageienfische können aber bis zu 20 Jahre alt werden. Erst mit 4-5 Jahren sind sie geschlechtsreif. Autorin: Früher haben die Bajos keine Fische, die kleiner als eine halbe Elle waren, aus dem Meer geholt. Sie fischten meist ohne Netze, Nylon war teuer. Mittlerweile benutzen die meisten Bajos Netze. Und weil es immer weniger große Fische gibt, die Nachfrage nach Fisch aber steigt, knüpfen sie ihre Maschen immer enger. Wenn sie die Fische zu jung rausholen, fehlt der Nachwuchs. Ein Teufelskreis, weiß der Meeresbiologe. Den Bajos kann man aber nicht die Schuld geben. Man muss den Konsumenten erziehen. Regie: O-Ton 5 (20s) Meeresbiologe Caine It is just the demand issue. If there is money coming to them - there are some of the poorest people around - they are going to take it. You can see the mark up - how it goes from here and how it ends up. It is exploitation. And these other people know where the fish comes from, they buy them, because they are wealthy and it is inconsequential for them. Regie: Voice over: Es ist die Nachfrage. Und wenn die Bajos, die sehr arm sind, ein bisschen Geld verdienen können, werden sie es machen. Man sieht, wie der Preis für Fisch explosionsartig von hier bis zum Verbraucher ansteigt. Die Leute hier werden ausgenutzt. Den Konsumenten ist das egal, obwohl sie es wissen. Regie: Atmo 09 (insg. 1Min) Rascheln, Schritte Mädchen Autorin: Ein kleines Mädchen klettert aus der ärmlichen Hütte, es ist die Tochter des Krebsfischers, der Fallen präpariert. In einem Eimer trägt sie drei Tintenfische, ihr Vater hat sie heute Morgen erlegt. Sie läuft zu dem Middleman, dem Zwischenhändler im Dorf, um den Fang zu verkaufen. Es gibt verschiedene Middlemen in Sampela. Die wichtigsten, die Kontakte bis zur Provinzhauptstadt Makassar und bis nach Bali haben, sind die Oktopus-Händler. Einer von ihnen heißt Suahele, er ist ein mächtiger Mann im Dorf. Regie: Atmo 10 (insg. 50s) Frau wäscht Oktopus, Hahn kräht, Fisch wird an Waage gehängt und gewogen Autorin: Suaheles Frau Sitti hängt die Tintenfische nacheinander an den Haken einer verrosteten Waage vor dem Haus. Knapp eineinhalb Kilo wiegt der erste Oktopus, das Mädchen bekommt 15 000 Rupien pro Kilo, rund 1,50 Euro. Regie: O-Ton 6 (37s) Suahele öffnet Truhe, redet mit Frau Ehepaar spricht in Bajo-Sprache, 1,2 Kilogramm. Er öffnet Box, wühlt im Eis... Autorin darüber: Suahele, der Zwischenhändler, nimmt seiner Frau die Kraken ab und legt sie in eine Plastikbox mit Eis. Alle zwei Tage, wenn er 200 Kilo zusammen hat, fährt er mit seinem großen Motorboot in die nächste Handelsstadt. Regie: Atmo 11 (25s) Suhaele geht ins Haus, setzt sich Autorin: Jetzt geht er in sein Haus, mit Abstand das prachtvollste in Sampela. Es hat eine Holzveranda, ein Fenster mit Glasscheibe und Möbel. Suahele setzt sich in einen mit Ornamenten verzierten Sessel, ein ruhiger Mann, mit einer Vorliebe für bunte Hawaii-Hemden. Vor ihm liegen zwei Bücher, in denen säuberlich Ziffernkolonnen eingetragen wurden. Es sind die Schulden der Fischer von Sampela. Regie: Atmo 12 (45s) Liste blättern, Suhaele redet, dann schweigt er Regie Atmo 13 Haus ruhig (30s) Autorin: Suhaele ist so etwas wie eine Bank. Die Währung ist Fisch. Braucht ein Fischer Geld, fragt er seinen Middleman. Fast alle Familien in Sampela haben Schulden bei ihm. Er blättert in der Liste, hunderte Namen, etwa 20 Fischer bringen ihm täglich ihren Fang. Manchmal schaffen sie es, mit einem Anteil ihre Schulden zu verringern. Suhaele sieht nachdenklich aus: Das Gebiet, in dem die Bajos fischen, ist schon seit 2005 ein geschützter Nationalpark. Heute ist bei ihm die Nachricht eingetroffen, dass die UNESCO, den ?Wakatobi Nationalpark? - so heißt er - auch noch zum ?Biosphärenreservat? ernannt hat. Regie: O-Ton 07 (35s) Suahele redet in Bajo Autorin darüber: Die Auszeichnung ist eine schlechte Nachricht, sagt Suahele. Am liebsten würde er den ganzen Nationalpark abschaffen, denn im Nationalpark sind die Fangrechte offiziell eingeschränkt. Dass ein Fischhändler das sagt, ist nicht überraschend. Aber Suahele ist auch der Bürgermeister von Sampela. Als die Regierung in Jakarta dem Wasserdorf vor 17 Jahren anbot, eine eigene Gemeinde zu werden, war Suhaele der Einzige in der Gegend, der die Mindestvoraussetzung erfüllte: sechs Schuljahre. Er wurde gewählt und macht den Job bis heute. Regie: O-Ton 08 (55s) Suahele redet, dann aufstehen Bajo-Sprache, man versteht ?Conservation? and ?Ecosystem? Autorin darüber: Wie ein Politiker, der gewohnt ist, dass man ihm zuhört, setzt er zu einem kleinen Vortrag an. Es folgen ein paar beruhigende Sätze, in denen die englischen Worte für ?Öko-System? und ?Nachhaltigkeit? fallen. (O-Ton kurz hoch) Suahele klingt jetzt wie der japanische Fischereiminister, wenn er den Walfang verteidigt. Fragen ignoriert er. Schließlich sagt er: ?Der Schutz der Menschen ist aber auch wichtig. Der Nationalpark verträgt sich nicht mit der Lebensart der Bajos. Sie sind gewohnt, frei zu sein. Das Konzept, bestimmte Arten, nicht aus dem Meer zu holen, verwirrt sie. Ebenso Schutzzonen, in denen sie nicht fischen dürfen.? Suahele klappt das Buch zu. Seinen Leuten rät er, sie sollen sich nicht um den Nationalpark scheren. Zu den Park-Rangern, die das maritime Gebiet Wakatobi beschützen sollen, pflegt er gute Beziehungen. Ohnehin sind ihre Boote meist kaputt. Regie: Atmo 14 (insg. 1min) Schritte über Steg, Gemurmel, Suahele redet Autorin darüber: Die Audienz ist beendet. Suahele steht auf, tritt vor sein Haus und läuft über den Hauptsteg. Stolz zeigt er auf den riesigen Generator, der auf einer Korallenplattform mitten im Dorf steht. Den Bajos hier gehe es jetzt deutlich besser, tagsüber gibt es für vier Stunden Strom. Viele der etwas größeren Holzhäuser rund um den Hauptsteg haben sogar Satellitenschüsseln. Durch die Türen, die hier immer offen stehen, sieht man Fernseher flimmern. Seit die Bajos Bollywoodfilme und Werbeblöcken gucken, gibt es in Sampela Wünsche, von denen bis vor kurzem niemand ahnte, dass sie existieren. Der Bürgermeister dreht um, geht zum Haus zurück. ?Bajos?, sagt er zum Abschied, ?sind Umweltschützer von Natur aus. Sie nehmen nicht mehr als sie brauchen und wenn sie Fischer sehen, die von außerhalb kommen und mit Dynamit fischen, beschweren sie sich bei mir.? Regie: Atmo 15 (40s) Sampela Gesänge und Trommeln Kinder Autorin: Eine Gruppe singender Mädchen mit Trommeln zieht über den Hauptsteg. Ihnen kommt ein Mann in verwaschenem T-Shirt entgegen, aus dem nur ein Stumpf des Oberarms ragt. Als er ganz nah ist, sieht man, dass an der einzigen Hand, die ihm blieb, auch die Fingerkuppen fehlen. Er heißt Mbo Deha und ist - im Dorf ist es kein Geheimnis ? ein Bombenfischer. Einer von den Fischern, die Plastikflaschen mit Benzin, Düngemittel, den zerdrückten Köpfen von Streichhölzern und einem Zünder füllen, um sie dann ins Meer zu werfen. Regie: Atmo 16 (1min) Gemurmel mit Frau: ?Coffee?? Knistern der Packung, Gespräch Autorin: Für etwas Geld ist er bereit zu reden. Er setzt sich im Schneidersitz auf den Boden in sein Haus, durch die Ritzen blickt er aufs Meer. Seine Frau macht Instant Kaffee. Ein Bajo, der etwas englisch spricht, übersetzt. Die erste Frage nach seinem Alter kann Mbo Deha nicht beantworten. Und es ist schwer zu schätzen: Das braune Gesicht ist gefurcht, die Augen gelblich, aber wach. Vielleicht ist er Mitte 50. Als kleiner Junge nahm ihn sein Vater mit zum Fischen, erzählt er. Der Vater zeigt ihm, wo er schöne Schwärme mit Doktorfischen findet, und wann sich Pantherfische zum Paaren treffen. Kurz vor seiner Beschneidung, sagt er, also mit 12 Jahren, schmeisst er seine erste Bombe. Regie. O-Ton 9 (20s) Deha spricht, dann Übersetzter Alone,(dann Bajo-Sprache). I dislike with others, Okay if I have problem with police I can say no no no, but if my friend not brave, he says yes. I can face with them Regie: Voice over (nach 5s): Zum Bombenfischen ging ich immer allein, falls es ein Problem mit der Polizei gab, konnte ich alles abstreiten. In einer Gruppe hätten die anderen vielleicht geplaudert. Regie: O-Ton 10 (1min) Zigarette anzünden, dann redet Deha auf Bajo, Geschirr klappert Autorin darüber: Deha zündet eine Zigarette an, sie klemmt zwischen den Fingerstumpen. Dreimal saß er im Gefängnis, erzählt er. Das letzte Mal für zwei Jahre, nach der Geburt des dritten Sohnes. Aufgehört hat er trotzdem nicht. Bombenfischen ist zu verlockend: An guten Tagen macht Deha eine Million Rupien ? fast 100 Dollar. Für einen Bajo ein Vermögen. Sogar die Gefängniswärter schickten ihn tagsüber raus zum Bombenfischen, damit er ihnen einen Teil abgab. Regie: O-Ton 10 kurz hoch (bei ca 30s): When he on jail, he fishing. The jail leader trust him, he come back... Regie: Voice over Die Gefängniswärter vertrauten ihm, dass er zurückkommt. Autorin: So sehr der alte Speerfischer Tadi für die Vergangenheit steht, so sehr steht Deha für die Zukunft. Deha liefert die Mengen, die Bali, China und die anderen von ihm fordern. Jetzt erklärt er die Technik: Regie: O-Ton 11 (45s) Deha spricht, Übersetzer erklärt auf Englisch In Bajo: Nangampang. Übersetzer fragt, erklärt: He names that strategy ?Nangampang?. That means he kills the small fish, when they die, the big ones come from the hiding. And you throw second bomb. He did it, but when he hold second bomb, his body froze, he couldn´t move... Autorin darüber: Nangampang heißt die Strategie, erklärt der Übersetzer. Der Bombenfischer schmeißt zwei Bomben. Eine, die vor allem die kleinen Fische tötet und sie auf den Meeresboden sinken lässt. Später eine zweite, stärkere, mit der er die größeren Fische tötet, die sich zum Fressen nähern. Es sterben alle Generationen. Als Deha eine Bombe werfen will, passiert der Unfall. Deha hebt sein T-Shirt hoch. Nicht nur der Arm und die Finger fehlen, in der Bauchgegend hat er riesige Narben. Regie: O-Ton 12 (1:04min) (nach 12 s Autorin) Übersetzer: He do like that but in the next minute his body - like cramp, can´t move. (Bajo-Sprache) I don´t know why that happend... Autorin darüber: Der junge Bajo-Übersetzer erzählt nach: Deha ist allein im Boot, als er die erste Bombe wirft. Nach dem Knall spritzt die übliche Wasserfontäne. Nach ein paar Minuten zündet Deha die zweite Bombe. Er hält das Streichholz an die Schnur, aber kann die Bombe einfach nicht werfen. Ein Krampf im Arm? Er weiß bis heute nicht, warum. Sein Unterarm wird in Fetzen gerissen. Die Elle ist bis zur Hälfte noch da, die Speiche zersplittert. Aus seinem Bauch tritt Blut, die Bombe hatte mehrere Löcher in das Fleisch gerissen. An die nächste Zeit kann er sich kaum noch erinnern. Er schafft es zurück ins Dorf. Seine Frau besorgt einen Arzt, der keine Fragen stellte. Da Deha Geld hatte, überlebt er. Regie: O-Ton 13 (1min) Motorboot nähert sich, Deha und Übersetzer sprechen Autorin: Deha erhebt sich, sein Sohn nähert sich mit einem großen Motorboot. Auch nach dem Unfall macht er weiter. Seine Frau und Kinder baten ihn oft aufzuhören. Aber Deha ist gierig geworden: Er besitzt nicht nur eins, sondern zwei Häuser, eine Satellitenschüssel, ein großes Boot. Jetzt, seit seine erwachsenen Kinder für ihn mit sorgen und es schwieriger ist an Düngemittel und Zünder zu kommen, hat er aufgehört. Regie: O-Ton 13 (bei ca. 30s) kurz hoch: Übersetzer: But I ask him, if I give you material? Yeah, I would do it again. His family, his son, his daughter say:Stop, stop. But he still needs to. Autorin darüber: Der junge Bajo, der übersetzt, fragt ihn, ob er es wieder tun würde, wenn er ihm das Material beschafft. ?Ja klar?, antwortet Deha. ?Es ist mein Einkommen?. Dann grinst er zum Schluss, im Mund nur wenige Zahnstumpen. Regie: Atmo 17 (insg. 55 s) alte Frau singt Kinder in Schlaf Autorin: Laut einer ihrer alten Legenden müssen die Seenomaden bis in alle Ewigkeit durch die Meere ziehen, weil sie die entführte Tochter ihres Herrschers nicht finden können. Es ist nur eine Legende. Doch das Meer wird die Bajos auf Dauer nicht mehr ernähren können. Schon jetzt schicken duzende Familien in Sampela ihre jungen Männer nach Malaysia, Singapur und Hong Kong, um zu arbeiten. Die jungen Bajos heuern auf Fischkuttern an oder schuften als Wanderarbeiter in städtischen Slums. Die einstigen ?Zigeuner der See? werden so wieder Menschen ohne Wurzeln: moderne Arbeitsnomaden, die keinen Ort haben, zu dem sie gehören. Nicht einmal das Meer. ENDE 13