DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 23.06.2009 Redaktion: Marcus Heumann 19.15 - 20.00 Uhr "Jeder Mensch kann jeden lieben?" Der Liedermacher Kurt Demmler und die Mädchen Von Ed Stuhler URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musik: Jeder Mensch kann jeden lieben Jeder Mensch kann jeden lieben, wenige nur wählt er aus. Warum den und nicht den andern, was hat jener dem voraus? O-Ton Kurt Demmler Die sogenannten guten Eigenschaften, die hab ich mir einfach in Liedern von der Seele geschrieben, was zu großen Irrtümern führte, weil mitunter Menschen enttäuscht von mir waren, wenn sie meine Lieder kannten, weil ich ja nicht so war wie meine Lieder. Und sie haben nicht verstanden, dass ich meine Lieder geschrieben hatte, nicht, weil ich so war, sondern weil es ein großes Wunschdenken in mir gab und weil ich unter Umständen so werden wollte wie meine Lieder. Musik Jeder böse Mensch kann gut sein, jeder gute Mensch auch schlecht. Warum weiß man, wen man möchte, ist uns der vor andern recht? Erzähler In der Nacht vom zweiten zum dritten Februar 2009 nahm sich der Rocktexter und Liedermacher Kurt Demmler in seiner Zelle in der Untersuchungshaftanstalt Berlin Moabit das Leben. Er erhängte sich mit seinem Gürtel. Es war die Nacht vor dem zweiten Verhandlungstag in einem Prozess wegen Kindesmissbrauchs. An diesem Tag wollten seine Opfer aussagen. Ansage "Jeder Mensch kann jeden lieben?" Der Liedermacher Kurt Demmler und die Mädchen Ein Feature von Ed Stuhler Erzähler Kurt Demmler mochte sehr junge Mädchen. Das war nicht zu übersehen. In Kollegenkreisen wurde getuschelt. Ausmaß und Planmäßigkeit, mit der er dieser Obsession frönte, waren jedoch nicht bekannt. Ein Auszug aus der Anklageschrift: Zitator "Kurt Demmler wird angeklagt, in Berlin und anderenorts zwischen August 1995 und November 1999 zweihundert selbständige sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vorgenommen zu haben oder an sich von dem Kind vornehmen lassen zu haben ... " O-Ton Eva Kuhn Nach meinem Kenntnisstand gab es in dem Verfahren 18 Strafanzeigen von Opfern, 18 Strafanzeigen mit identischem Sachverhalt des sexuellen Missbrauchs von Kindern und identischen Tathandlungen. Erzähler Opferanwältin Eva Kuhn O-Ton Kuhn Wenn ich meine Akten anschaue, sehe ich immer wieder den gleichen Sachverhalt, immer wieder die gleiche Vorgehensweise des Missbrauchs, was den Eindruck erweckt, dass das wirklich immer in dieser Form stattgefunden hat über einen langen Zeitraum. Es ist zu vermuten, dass die Dunkelziffer da auch sehr hoch ist, aber es haben sich ja auch im Rahmen des Verfahrens sehr viele Mädchen gemeldet, sei es nur in den Internetforen oder sei es auch bei Gericht oder bei uns als Anwälten. Musik Erzähler Kurt Demmler wird am 12. September 1943 in Posen als Kurt Abramowitsch geboren. Sein Vater, ein Fliegersoldat, stirbt vor seiner Geburt. Seine Mutter heiratet nach dem Krieg einen Medizinstudenten und späteren Gynäkologen und Chefarzt. Kurt wächst in Cottbus und Klingenthal auf. O-Ton Demmler Ich bin eigentlich sehr kritisch, vor allen Dingen auch diesem eigenen Staat gegenüber erzogen worden von meinen Eltern. Mein Vater ist selbst schon am Beginn seiner beruflichen Laufbahn ... aus der Partei ausgetreten, der er anfangs noch angehört hatte, also aus der SED. Erzähler Kurt Demmler bekommt frühzeitig Klavierunterricht und singt im Kirchenchor. Später gibt er eigene Konzerte, die "leichte Muse" hat es ihm erst einmal angetan: O-Ton Demmler Da habe ich also so richtige Konzertabende mit sinfonischem Orchester in Klingenthal und Markneukirchen gegeben, so richtig teilweise ohne Mikrofon, einmal als Bariton und einmal als Tenor angekündigt und so, und schmetterte aber trotzdem schon "Ja, ja, der Ciantiwein" und "Granada". Musik: Schlagersänger Demmler (1968) Erzähler Sieben Jahre macht er Musik mit einem Tanzorchester und versucht sich als Schlagersänger. Schon an der Oberschule beginnt Demmler, eigene Songs zu schreiben und vorzutragen. Und bekommt frühen Ärger mit der Staatssicherheit. Sein Medizinstudium wird abgelehnt, die Einberufung zur Armee droht. Im Jahre 2003 schreibt er rückblickend: Zitator "Da Kriegsdienstverweigerung damals noch kein Thema war, versuchte ich es an der kulturellen Front, dem Erich-Weinert-Ensemble der NVA. Das hätte mir den Dienst an der Waffe erspart. Aus Hunderten von Bewerbern machten Frank Schöbel und ich das Rennen. Ich verzichtete dann allerdings, nachdem mein Adoptivvater auf Grund seines Einzelvertrages als Chefarzt doch noch meine Immatrikulation an der Karl-Marx-Uni Leipzig durchsetzen konnte." Erzähler Demmler wird Mitglied des Uni-Ensembles und singt auf einer Veranstaltung ein Lied gegen die Polizei, die ihn am Trampen hindern will. O-Ton Demmler Und nach diesem Auftritt geschah es also, dass ich mehrfach bei der Staatssicherheit dann, früh um fünf, schon abgeholt wurde von zwei Herren, in deren Beisein ich mich dann ankleiden musste und mich regelrecht aus dem Bett zerrten, und die mich dann den ganzen Tag über verhörten im Wechsel in irgendwelchen Büros der Staatssicherheit. Und ich wurde da mehrere Tage lang also bombardiert mit Vorwürfen und mit einer dicken Akte konfrontiert, die man da also schon von mir hatte, obwohl ich also erst, 20/21 Jahre alt war damals, nicht? Und schließlich entpuppte sich diese ganze Angelegenheit nichts anderes als ein Erpressungsversuch, weil am Ende versuchte man mich sozusagen zur Mitarbeit zu bewegen. Erzähler Mit Hinweis auf seinen hippokratischen Eid lehnt Demmler ab. Und wird von da an in Ruhe gelassen. Im Umfeld des Jugendsenders DT64 und des Berliner Oktoberklubs lernt er nun einige Leute kennen, deren politisches Denken ihm imponiert und die ihn seine kritische Haltung überdenken lassen, zum Beispiel die junge Lyrikerin Gisela Steineckert. O-Ton Demmler Ich war also plötzlich um 180 Grad gewendet. Natürlich habe ich Missstände im Einzelnen gesehen, aber immer war ich behaftet mit dem Versuch, alles zu entschuldigen jetzt, und immer Ursachen zu finden dafür, die also nicht im System begründet liegen, sondern einfach noch in der herrschenden Unzulänglichkeit und in dem Konkurrenzkampf mit der anderen Gesellschaftsordnung von drüben und dass die uns da so reinfunken, und dass die uns so viel kaputt machen und wir würden es aber schon irgendwann schaffen. Erzähler Er singt nun einiges vorwärtsweisend Optimistisches, wie das "Lied vom Vaterland": Musik: Lied vom Vaterland (3. Strophe) ... Was, was haben wir selber heut an unserm Vaterland? Wir haben, dass wir Herren sind und Herrn aus eigner Hand, und Herrn über uns selber und über die Natur, und mühen uns und arbeiten und arbeiten nicht nur. Ja, das, das haben wir selber heut nun an unserm Vaterland? Wir haben endlich ein Gesicht, Und endlich auch die Zuversicht: Dies Land ist von Bestand. ... Erzähler Später wird Demmler seine Kritikfähigkeit, wie er es nennt, wiederfinden. Doch er bleibt ein unangepasst Angepasster. Im Kulturensemble der Leipziger Uni war er auf einige Musiker gestoßen, die später die legendäre Rockgruppe Renft gründen. Hier beginnt seine Arbeit als Texter für DDR-Bands. Musik: Renft (Kinder, ich bin nicht der Sandmann- 1972) Kinder ich bin nicht der Sandmann Artigkeit die sich nicht mal Ab und zu mit einem Widerspruch paart Solche Artigkeit find ich schal Kinder ich bin nicht der Sandmann Wenn ich was weiß weiß ich das Also bitte glotzt nicht so gläubig herauf Und macht Euch die Höschen nicht nass Erzähler In rund 25 Jahren schreibt Demmler, nach eigenen Angaben, ca. zehntausend Texte. Drei Jahre nach seiner ersten eigenen LP, die noch zahlreiche Politsongs enthält, erscheint 1974 "Verse auf sex Beinen", eine für damalige DDR-Verhältnisse erstaunlich prüderiefreie Platte, voller erotischen Wortwitzes. Musik (Verse auf sex Beinen) Gern hätt ich dem Lied sieben Strophen geschrieben Doch für die siebente finde ich nex Vielleicht wär's eine Strophe aufs wahrhaftige Lieben geworden Ich scheitere - Resultat: Sex Denn es gibt Leute die nicht bis sieben zählen können Die kommen nur bis Sex Denn es gibt Leute die niemals Lieben lieben können Die kommen nur bis ... O-Ton Jörg Stempel Natürlich war Demmler ein Künstler, der bei uns im Hause schon ein recht hohes Ansehen genoss, weil er zum einen selbst Künstler war als Liedermacher, der seine eigenen Songs, sowohl Komposition als auch Texte geschrieben hat und andererseits für alle Bands, die in Sachen Ostrock mal irgendeinen Ton von sich gegeben haben. Erzähler Jörg Stempel, seit 1981 Redakteur bei AMIGA, dem einzigen Schallplattenlabel der DDR für Rock- und Popmusik. O-Ton Stempel Ich glaube es gibt keine Band, für die Demmler nicht mal nen Text geschrieben hat. Also von Puhdys, Karat über Silly bis zu City, um mal bei den Top 4 zu bleiben, bis hin nachher natürlich Vroni Fischer, Stern Meißen, Elektra usw., Renft, also an Demmler kam man nicht vorbei. Erzähler 1976 ist Demmler einer der Unterzeichner des Protestschreibens gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. O-Ton Demmler Als auftretender Künstler bin ich natürlich wieder sofort gesperrt worden. Zweieinhalb Jahre nach der Biermannpetition hatte ich absolutes Auftrittsverbot, keinen einzigen Auftritt mehr. Aber als Autor durfte ich weiterschreiben. O-Ton Veronika Fischer Ich habe in seiner kreativsten Zeit mit ihm gearbeitet, in den 70er Jahren, da war er ungeheuer kreativ. Erzähler Die Sängerin Veronika Fischer. O-Ton Fischer Das war Wahnsinn, der hat am Tag, weiß ich wie viel Texte geschrieben. Aber sie waren eben auch sehr schlüssig, so was wie "Rauchiger Sommer" zum Beispiel. Er hat mir ja wunderbare Texte geschrieben, die einfach mal einmalig waren und auch sehr einzig in seiner Sprachform. Und die Kombination Franz Bartzsch und Kurt Demmler war für mich eine ideale Konstellation. Wir waren ein Dreiergespann, also ich hab das umgesetzt, was die zwei schreiben konnten. ... Und das war eben toll. Musik: Veronika Fischer "Rauchiger Sommer" Warum ich weine, mein Freund ? Es ist nur der Rauch Der in die Augen mir steigt Und Du weinst ja auch Rauchiger Sommer verweht Warum sind die Blätter schon gelb Warum ist so trocken der Strauch Es ist nur der Rauch O-Ton Martin Schreier Der allererste Hit, das war "Der Kampf um den Südpol". Da ging es um das Schicksal von Amundsen und Scott, wer dort zuerst an dem Südpol war. Erzähler Martin Schreier von der Stern-Combo Meißen. O-Ton Schreier Und ich hab Demmler so eine Novelle gegeben von Stefan Zweig und er hat das dann faktisch künstlerisch mit seinen Fähigkeiten umgesetzt. Und das war wirklich, also erstklassig! Musik: Stern Combo Meißen: "Der Kampf um den Südpol" Was bleibt nach dem Tode Wenn der Name nicht bleibt Und wie bleibt der Name Wenn Geschichte er schreibt Was bleibt nach dem Tode Wenn nicht bleibt der Ruhm Was bleibt nach dem Tode Große Tat, großes Menschentum O-Ton Fischer Er war für mich aber immer eine Arbeitsperson, er war immer eine Person, mit dem ich sehr gut arbeiten konnte, aber ihn als Mensch hab ich nie erfahren. Das war nicht möglich. So wie ich Franz kannte zum Beispiel, wir waren auch Freunde, da wurde eben auch mal eine Flasche Wein getrunken oder man hat eben geblödelt und wie das so üblich ist. Das war mit Kurt, hab ich nie erlebt. Das hab ich nie erlebt! Man kam ja nicht an ihn ran. O-Ton Schreier Ein schwieriger Mann, so genial wie er war, so schwierig war er ooch in seiner Persönlichkeit. Also man konnte ihm nicht nahe kommen. Er hatte immer eine gewisse Distanz. Musik: Nina Hagen "Du hast den Farbfilm vergessen" Erzähler 1973 entsteht Demmlers wohl bekanntester Titel "Du hast den Farbfilm vergessen" - interpretiert von der damals 17-jährigen Nina Hagen. Auf seiner Homepage findet man eine Art Biografie, wo Demmler über sich selbst schreibt. In der dritten Person: Zitator "Einzelne Texte gab es in der Regel nicht. Wer mit ihm arbeiten wollte, musste es zumindest auf Zeit oder ein Projekt bezogen exklusiv tun. Viele blieben über ihre ganze Existenz mit ihm verbunden. Er liebte es, 'Lieben Gott zu spielen', wie er sich mal äußerte, nicht nur Texte, nein ganze Images 'aus Lehm zu erzeugen'. Seht euch die Liste der Bands und Interpreten an, mit denen er gearbeitet hat. Da fehlen nur wenige. Aber auch mit denen hat es irgendwann mal Gespräche zum Thema Zusammenarbeit gegeben. Und viele wurden erst, was sie wurden, in Zusammenarbeit mit ihm." O-Ton Schreier Es war schwierig mit ihm. Also ich kann mich noch so an Episoden erinnern: Hochsommer, 35 Grad warm, wir waren bei ihm in der Wohnung, und wir haben diskutiert über Texte, über eine konkrete Platte, die wir machen wollten. Wir waren alle sehr verschwitzt und hatten Durst. Wir haben da in seiner Bude gesessen, er hat uns nischt angeboten, aber er holte sich dann eine eisgekühlte Coca Cola und trank die vor uns. Ja, und ich hab ihn ooch darauf angesprochen sofort und hab gesagt, Alter, willste nich mal uns ooch zu trinken geben, wir haben Durscht! Ja, also er verneinte das, sagte, er gibt uns nischt. Da hab ich ihn beschimpft und hab gesagt, du bist ein Geiz. Da sagte er nein, das sind meine Prinzipien. Erzähler Rückblickend schreibt Demmler 2003: Zitator "Jede Gruppe war anders und ich kannte ihre Verschiedenheiten und konnte ihnen Rechnung tragen beim Texten. Trotzdem gab es natürlich Probleme mit meiner marktbeherrschenden Stellung. Die anfangs überschwänglichen Kritiker wurden immer bärbeißiger. Vielschreiber wurde ich genannt am Ende und Volvofahrer. Und sie hatten recht. Die viel authentokritischeren DDR-Bürger mochten den Rock and Roll nicht aus dem Volvo." Erzähler 1986 gerät er auf einer Veranstaltung im Ostberliner Funkhaus mit Gisela Steineckert heftig aneinander. Seine ehemalige Förderin ist inzwischen als Leiterin des Rundfunklektorats zur obersten Zensorin und politischen Sittenwächterin avanciert. Resultat dieses Streits: Demmler bekommt Hausverbot für den Rundfunk, dem fast ausschließlichen Produzenten von Rock- und Popmusik in der DDR. Er verkündet öffentlich seinen Abschied. O-Ton Demmler Mit 40 habe ich aufgehört sozusagen den großen Rock- und Poptexter hier zu mimen und den Stuhl zu blockieren für eventuell jetzt Jüngere, Neuere. Ich selbst bin natürlich nicht mehr in der Lage, ewig etwas Neues zu bieten, sondern man wird immer mehr zu seinem eigenen Wiederholer werden. Und deswegen sind die, die sich noch nicht wiederholen können, weil sie völlig neu sind, immer die Besseren, die mir an Modernität und an Neuigkeit natürlich den Rang ablaufen. Erzähler Zu diesem Zeitpunkt arbeitet er schon lange nicht mehr als Arzt. Mit seinen Texten hat er ein Vermögen verdient. Jörg Stempel macht folgende Rechnung auf: O-Ton Stempel Wenn wir im Jahr 12 Millionen LPs verkauft haben und von den 12 Millionen waren 8 Millionen für AMIGA, der Rest für ETERNA und LITERA, und wenn von den 8 Millionen LPs nur 10 Prozent mit den Worten von Kurt Demmler bestückt waren, dann wären das, sagen wir mal 800 000 LPs. Und wenn von der LP, wenn der dort eine DDR-Mark verdient hat, dann kann man sich ungefähr ausrechnen, wie viel dort bei ihm gelandet ist. Musik: Sterne Erzähler Demmler konzentriert sich nun auf sein zweites Standbein, das des Liedermachers, der mit seinen eigenen Liedern und Programmen auftritt. Musik: Sterne Die stolzesten Stunden sind nach ihnen benannt, Schauspieler sinds, sind sie nur recht bekannt, den Popdichtern sind sie das Leben, nichts liegt ihnen näher als eben: Sterne, Sterne, Sterne, die Sterne in der Ferne ... O-Ton Demmler Es ist so, dass ich als Liedermacher dran geblieben bin. Auch da hat es Leute gegeben, die inzwischen, wie Gerhard Schöne, mehr Platten verkauft haben als ich, obwohl ich mit dem Kleinen Prinzen da noch einen großen Wurf gemacht hatte, über den ich mich sehr, sehr freue und mich da doch noch als irgendwo ebenbürtig erwiesen habe. O-Ton Tobias Burger Zu der gleichen Zeit, als wir zusammen arbeiteten, war der steile Aufstieg von Gerhard Schöne. Und Kurt war sehr ärgerlich darüber. Sehr ärgerlich! Er hat es immer wieder in den Proben angesprochen und hat es nicht verstanden, dass das kleine Prinzen Programm nicht die Aufmerksamkeit im Volk bekam wie eben Gerhard Schöne es mit diesen Kinderliedern schaffte. Erzähler Tobias Burger begleitete Demmler zwei Jahre als Gitarrist beim Prinzenprogramm. O-Ton Burger Gerhard Schöne spielte irgendwo in der Nähe in Berlin. Und er sagte, pass auf, ich möchte nicht, dass gesehen wird, dass ich da hingehe. Ich ruf jetzt da an und bestelle für uns zwei Karten, hier ist das Geld, du gehst dahin, holst die, und wenn das angefangen hat, du hältst einen Platz für mich frei, ich komme nach dem zweiten Lied und dann ist es dunkel und dann sieht mich keiner. Und so wars dann auch. Und dann saß er hinten drin und hörte sich das Programm an und machte sich eben seine Gedanken zu der ganzen Sache. Erzähler Das Programm "Die Lieder des Kleinen Prinzen" ist eine Adaption des bekannten Buches von Antoine de Saint-Exupéry. Demmler bringt es 1984 auf die Bühne. O-Ton Burger Kurt erzählte, dass er, als er 40 wurde, ein Gefühl hatte, dass ihn eben übermannte, mit dem er überhaupt nicht gerechnet hat, er nannte es damals Midlifecrisis, und er habe sich Gedanken gemacht über verschiedene Sachen. Und da wäre ihm eben das Buch "Der kleine Prinz" eingefallen, weil er eben über seinen Vater nachgedacht hat, und zwar über seinen leiblichen Vater, den er ja selbst nicht kennen gelernt hatte, und feststellte, dass der im selben Jahr, im selben Monat als Aufklärungsflieger der Deutschen genauso verschollen war wie eben Exupéry. Und das hat ihn ergriffen und hat ihm motiviert, das Buch noch mal anders zu lesen und er sagte, er sieht da eine Seelenverwandtschaft. Erzähler In den Jahre 1985 bis 87 gibt es in der DDR eine sogenannte Liedercirkustournee, ein gestaltetes Programm der bekanntesten Liedermacher. Auch Kurt Demmler ist dabei. Matthias Görnandt, Leiter und Regisseur dieser Tourneen: O-Ton Görnandt Bei dieser Tournee hat er uns alle damit gequält, dass er jeden Morgen ankam, währenddessen wir um 8, um 9 aufstanden, hatte er schon wieder ein oder zwei Lieder gedichtet und komponiert, die er uns auch gleich vorsang und am liebsten das neue Lied gleich abends im Programm singen wollte, wo ich dann als Regisseur manchmal sagen musste, Kurti, das geht nicht, also wir haben doch da einen dramaturgischen Bogen und das passt jetzt nicht. Dann war er ziemlich beleidigt gleich wieder, das wäre überhaupt sein bestes Lied. Er war sehr eigensinnig, er war extrem eitel und verletzbar. Er konnte sehr aggressiv gegenüber anderen Leuten sein und er konnte extrem anlehnungsbedürftig und lieb mit anderen Leuten umgehen. Musik: Sterne O-Ton Görnandt Ich weiß, dass er ja sehr oft junge Mädels mitbrachte, die ihn einfach anhimmelten. Er war ein streichelbedürftiger Mensch und damit hat er es auch begründet. Und alle hat es natürlich auch befremdet, dass er immer mit so sehr jungen Mädchen ankam. Er ließ die dann auf der Bühne mal mitsingen. Musik: Sanftmut (Duett mit Kind) Kurt: Diese stille Sanftmut ist es. Die ich an den Blumen lieb, tu ich ihnen etwas Böses, sagen sie: Kind: Mein Freund, vergib. Bist du böse, hab ich sicher Irgendetwas falsch gemacht. Kurt: Niemals könnten sie sich denken, dass man schwarz ist wie die Nacht. O-Ton Demmler Ich glaube, dass Künstler sich immer verraten mit ihren Motiven. Erzähler Demmler 1997 O-Ton Demmler Ich schäme mich nicht irgendwelcher Gefühle, die mir gehören, ja? Wenn ich also Mädchen in dem Alter mag und gerne mit ihnen umgehe, würde ich dazu stehen und stehe ich dazu. O-Ton Görnandt Ich glaube schon auch, dass seine Hinwendung zu jungen Mädchen ursächlich damit zusammenhing, dass er Angst vor starken Frauen hatte. Das hat man im Umgang gemerkt, während einer solchen Tournee. Da war also Annekatrin Bürger oder Angelika Neutschel, ... auf ihre Art und Weise, prächtige Vollweiber. Und man merkte förmlich, wie er vor denen rot wurde und wie er wegguckte, die nicht angucken konnte. Also eventuell ist das auch ein Interpretationsversuch, dass er also normale sexuelle Bedürfnisse überhaupt nicht mit seinesgleichen befriedigen konnte, sondern er musste sich, wieder in Anführungsstrichen, eben dauernd streicheln lassen oder befummeln lassen. Erzähler Kurt Demmler ist seit 1969 verheiratet und hat zwei Kinder. Die Prinzenlieder sind das Erste einer Reihe von Programmen, für die Demmler Kinder castet und gemeinsam mit ihnen auftritt. O-Ton Burger Es war durchaus so, dass er nach Konzerten dem Publikum so eine Idee vorstellte: Er könne sich vorstellen, also noch andere mitarbeiten zu lassen an diesem Programm, das sie grade erlebt haben, und er sucht noch Sängerinnen, junge Sängerinnen, Stimmen für den kleinen Prinzen, seine wäre ja eigentlich nicht die richtige. Und es ist dann auch dazu gekommen, dass Eltern mit Kindern, oder auch Großeltern mit Enkelinnen zu ihm gekommen sind. Ich habe erlebt, dass Eltern mit ihren Kindern großen Wert darauf gelegt haben, dass er mit ihren Töchtern arbeitet, zu welchen Bedingungen auch immer. O-Ton Fischer Da bin ich schon ein bisschen auch der Meinung, dass die Mütter und Eltern da einige Fehler gemacht haben, denn die kannten ihn ja. Zwei der Mütter, die waren im Oktoberklub und kannten dieses Munkeln. Hätte ich meine Tochter nicht in diese Wohnung geschickt! Eine Einzimmerwohnung mit einem großen Bett. Ja, also ich meine, da muss man schon ein bisschen blind sein. Da würde ich meine Tochter schützen vor. O-Ton Anja Ich weiß, dass wir dann irgendwann auf diesem Riesenbett da gewesen sind, man musste ja mal irgendwann schlafen gehen, ja, und ich weiß, dass er mich betatscht hat, ist mir unters Nachthemd gegangen und dass ich das einfach nur widerlich fand. Erzähler Anja ist 12, als sie Kurt Demmler in Dresden begegnet. Er hatte sich als Talententdecker präsentiert und sie zum Vorsingen für ein Wochenende nach Berlin eingeladen. Brieflich stellt er sich ihren Eltern vor: Zitator "Alle Zeit habe ich mich besonders gern mit dem Nachwuchs beschäftigt. So kann ich mich zum Beispiel als Entdecker von Nina Hagen, Veronika Fischer, Petra Zieger, Renft, Karussel, Stern Meißen und Silly, um nur einige wenige zu nennen, betrachten. Und nun habe ich vor, Ihre Tochter Anja zu "entdecken" und sie der Entdeckung durch andere zugänglich zu machen ... " Musik: Mädchen sterben scheibchenweise ... Warme rote Kinderlippen, im Staunen zur O-Form geführt, wolln nicht mehr am Kuss nur nippen , haben längst schon Zähne gespürt. Mädchen sterben scheibchenweise, sozusagen von Mann zu Mann ... O-Ton Anja Ich rieche heute noch den Bart. Ich hab diesen Geruch von seinem Bart noch in der Nase, das ist widerlich, wirklich. Und das werd ich auch nicht los. Und er legte sich dann auch auf mich drauf, das war am nächsten Tag, ich saß auf der Bettkante und er kam und, von vorne, und legte mich so nach hinten und legte sich auf mich drauf und rieb sich so an mir und wurde dabei total geil und hat, ja, und hat gezittert am ganzen Leib und, das war so widerwärtig! Das hat mich so angeekelt. Aber man kann sich nicht wehren. Da ist da son großer starker Mann und der ist einfach übermächtig. Und denn - du kannst da nix machen. Kannst nur hoffen, dass es vorbei geht, ohne dass er Schlimmeres macht. Musik: Mädchen sterben scheibchenweise ... Kleine weiche Kinderhände, neugierig und ängstlich dabei, sind auf einmal so behände, und so als ob nichts dabei sei ... O-Ton Diana Er hat uns ein Lied vorgesungen - Selbstbefriedigung mit nem Besenstiel - und erzählte uns, dass ein Kondom gerissen sei und ob wir denn schon Sex hätten. Und auch, was uns erwarten würde, nämlich, dass wir hier auch bei ihm schlafen müssten. Wir würden wenig Zeit für die Schule haben, sondern ganz viel Zeit mit ihm verbringen müssen. Es wäre ihm wichtig, dass wir auch eine Freundschaft pflegen, das wäre nicht nur eine musikalische Zusammenarbeit. Aber er würde uns dafür versprechen, uns groß rauszubringen, Studioaufnahmen zu machen. Er hätte hier auch eine Videokamera, was zur damaligen Zeit ein großes Ding war. Das gabs ja so nicht. Er würde uns filmen, hier würde auch mit Kiste mit Kleidung stehen, wir könnten uns dann umziehen. Er hätte ein Haus am Wasser draußen im Grünen, da würden wir auch proben, dort würden wir auch schlafen. Da hat er auch mit Mädchen schon übernachtet, und nackt baden wäre ganz Normalität und da wird auch mal angefasst, also das sollte uns alles klar sein. Also ich wusste weder, was ein Kondom ist noch ein Orgasmus, diese Wörter waren mir völlig fremd. Erzähler Auch Diana ist 12, als sie mit einer Freundin in seine Wohnung geht. Mit ihrer Mutter hatte sie ein Konzert besucht und war Demmlers anschließender Aufforderung gefolgt, sich zu melden, wenn sie interessiert wären, mit ihm eine Platte zu machen. O-Ton Diana Und dann sagte er aber eben, er müsste doch mal gucken, wie meine Bauchmuskeln funktionieren, ich solle mich auf seinen Schoß setzen, die Gitarre vor uns und er müsste eben mal abtasten meinen Bauch. Und ein bisschen später dann, er legt sich hin aufs Bett und ich sollte mich auf ihn draufsetzen, er wollte mir einfach mal zeigen, welche Rumpfübungen es gäbe. Das hab ich auch gemacht. Es begann dann mir klar zu werden, was eigentlich los ist, als er sagte, ich solle mich ein Stück höher setzen, eben auf sein Gesäß und Rumpfübungen machen. Ich hab das dann gemacht, hab auch gehört, wie er stöhnte, hab auch gespürt, was unter mir passiert, bis er eben zum Orgasmus kam, fertig war. Und er danach auch sagte 'Dankeschön, das hätte ich nicht gedacht, dass du das machst, du wirkest doch sehr schüchtern, finde ich total schön und jetzt glaube ich auch, dass wir gut zusammen arbeiten können.' Und ich bin nur runter von ihm und hab geweint und geheult und hab gesagt, ich will sofort nach Hause. Musik: Mädchen sterben scheibchenweise Große runde Kinderaugen die Märchen darinnen noch frisch werden keinem Prinz mehr taugen schaun nur noch müd über den Tisch O-Ton Fischer Das ist einfach nicht zu verzeihen. Weil, er war intelligent, er war hochintelligent, er hätte mit seinem Wissen, als Arzt noch hinzukommend, hätte er wissen müssen, dass das nicht geht. Er hätte sich Hilfe suchen müssen. Er sich ja da in diese Welt hineingeflüchtet, zu glauben, dass er nur das tut, was auch die Mädchen möchten. Und das ist natürlich ein völliger Irrglaube, weil kleine Mädchen wissen noch gar nicht was läuft. O-Ton Eva Kuhn Ich habe in meinen Akten Material von ungefähr zwanzig Jahren, Vorfälle aus 1985 bis die letzte Anzeige in anonymer Form an die Polizei ging im Jahre 2005. Soweit ich informiert bin, gab es immer wieder Eltern, die das gemerkt haben, die auch teilweise das Gespräch mit ihm gesucht haben. Nach meinen vorliegenden Informationen war aber einhellig die Meinung, man kann gegen ihn nichts ausrichten, er ist eine prominente Person, er hat eine bestimmte Macht auch oder Einfluss und man kann ihm nichts beweisen. O-Ton Anja Meine Mutter wurde stutzig und hat gesagt, da stimmt was nicht. Irgendwie. Und dann haben sie mich dann so lange ausgefragt, bis ich dann doch meine Angst überwunden habe und dann doch gesagt habe, was da gewesen ist und warum ich da nicht will. Ja, dass das halt nicht so ganz son musikalischer Talententdecker ist. Dass er eigentlich ganz andere Sachen an mir entdecken wollte. Die waren völlig schockiert, ja und haben sich Vorwürfe gemacht, warum sie das nicht verhindern konnten. Mein Vater hat einen Brief geschrieben dann an den Herrn Demmler, dass sie Bescheid wissen, dass ich erzählt habe, was er mit mir veranstaltet hat. Erzähler Aber auch sie scheuen davor zurück, Anzeige zu erstatten. O-Ton Anja Ja, welche Beweise hatten wir denn? Wie hätte ich das beweisen sollen? Der große Künstler, der große DDR-Nationalpreisträger, lässt sich herab, ein zwölfjähriges minderwertiges Talent - hinterher behauptete er ja, ich würde nichts können. So. Steht auch in den Briefen drin, dass er sich doch sehr in mir getäuscht hätte und dass ich ja doch nicht so viel kann. Und dass ich hier jetzt solche Lügen in die Welt setze und solche Sachen über ihn verbreiten würde, das wäre die absolute Höhe, eine absolute Unverschämtheit und wenn ich das nicht unterlasse, würde er seinen Anwalt einschalten. So in der Richtung. O-Ton Ines Duarte Ich habe dann erwähnt, dass wir darüber beraten werden, ob wir zur Polizei gehen und eine Anzeige machen. Erzähler Die Mutter der 12-jährige Cindy O-Ton Ines Duarte Daraufhin ist die Stimmung völlig umgeschlagen und er meinte dann, er hätte viel bessere Anwälte als wir und er hat gedroht, dass er eine Verleumdungsklage gegen uns machen würde. Und wir waren dann, ehrlich gesagt, so eingeschüchtert und haben dann eigentlich beschlossen, nichts zu machen, weil Kurt Demmler eine Persönlichkeit darstellte, wo wir dachten, er hat wirklich bessere Anwälte. Musik: Irgendeiner ist immer dabei (Aufnahme Demo 4. November 1989) Irgendeiner ist immer dabei von der ganz leisen Polizei, irgendeiner macht immer'n Strich und wenns du nicht bist bins ich. So macht uns keiner unsern Sozialismus kaputt, wir bewachen ihn gut, wir bewachen ihn gut, und halten ihn geheim bei Tag und bei Nacht sonst hätt ihn uns der Westen längst nachgemacht Erzähler Am 4. November 1989 hat Kurt Demmler seinen letzten großen Auftritt. Er singt sein Stasi-Spottlied "Irgendeiner ist immer dabei" vor ca. 1 Million Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz. Musik: Irgendeiner ist immer dabei (Aufnahme Demo 4. November 1989) So hat auch jeder Dichter oder Liedermacher es nicht mehr so schwer, es nicht mehr so schwer, denn jeder hat im Hinterkopf nen kleinen Schutzmann, der gibt Grün bei was man darf und Rot bei was man nicht kann: ... Erzähler Danach wird es still um ihn. Sein Sturz ist tief; vom Olymp in die Bedeutungslosigkeit. Er versucht, alte Arbeitsbeziehungen wieder aufzunehmen: O-Ton Fischer Anfang der 90er bin ich auf ihn zugegangen. Aber es ist nicht wirklich was daraus geworden. Die Texte hatten nicht mehr die Kraft, die er in den 70er Jahren hatte. Er hatte verloren, also er hatte einfach nicht mehr die Kraft, um das hervorzubringen. Und ich bin auch der Meinung, dass er eine gestörte Persönlichkeit dann schon war. Erzähler Und er versucht, neue Kontakte zu knüpfen, zur Gruppe "Silbermond", zu Udo Jürgens - man fordert ihn auf, seine zehn besten Texte zu schicken. In seinem Aufsatz "Phantomschmerz eines Ostliedermachers a.D." schildert er 2003 eine Begegnung mit dem Komponisten Ralph Siegel: Zitator "Er bat mich nach München in seine Villa. Ich möge ihm aber eine Mappe mit meinen Headlines mitbringen. Ich musste mich noch ein paar Minuten in der runden Vorhalle gedulden, Herr Siegel sei noch beschäftigt. Von hier aus führten nach allen Seiten geschlossene Türen zu den Büros und Zimmern. Aus einer trat schließlich Siegel, reckte schon die rechte Hand zum Handschlag, wie ich einen Augenblick lang dachte, aufsteh und ihm entgegen geh. Aber er würdigt mich keines Blickes, erfasst statt dessen die Türklinke links hinter mir und verschwindet wortlos auf der Toilette. Muss ich noch erzählen, wie es weiterging? Jedenfalls verschwanden meine Headlines für ein, zwei Jahre ... " O-Ton Demmler Man ist nicht mehr einsame Spitze und man muss neidlos anerkennen, dass viele andere also große Resonanz grade bei Jüngeren dann wieder finden, man selber vielleicht doch nicht mehr die Allerjüngsten bedienen kann, weil also gewisse poppige Effekte hat man nicht drauf und man will sie nicht aufsetzen. Erzähler Doch Demmler hält sich nicht an seine eigene Erkenntnis, sondern kauft sich ein "Lexikon der Szenesprache" und versucht sich an eigenen Rapnummern. Sein neues Projekt heißt "Zung'kuss", eine Girliegruppe nach dem Vorbild des Erfolgstrios "Tic Tac Toe". Und wieder rekrutiert er Kinder. Dem Leipziger Autor Harald Pfeifer gibt er 1997 sein letztes ausführliches Interview: O-Ton Demmler Heute bin ich dabei, 12-,13-jährigen Mädchen so eine Art Girliegruppe zu bilden und mal zu gucken, inwieweit daraus etwas Professionelles schon bildbar ist, was ein bisschen schwer ist, weil in dem Alter mit der Intonation usw. wirds ein bisschen schwierig. Ausdruck haben sie alle dolle druff, frech sind se alle dolle, bloß mit der Mehrstimmigkeit könnte es große Probleme geben, bin ich im Augenblick noch am Abchecken. Zitator "Und wieder nur den ganzen Weg gedacht, Was der Doktor sagen wird, was der Doktor macht, und wieder sagt der Doktor nur und lächelt breit: Höchste Zeit, mein Fräulein, höchste Zeit." O-Ton Cindy Das Zahnarztlied, wie er es immer nannte, mit "Mama, er will bohren/ und das nicht gering, Mama in mein kleines Loch mit seinem großen Ding", das war so, glaub ich, auch mit sein Lieblingsstück. Erzähler Demmlers andere Texte für dieses Projekt sind von ähnlicher Art. Zum Beispiel "Keinen Bock auf Onkel Herbert": Zitator "Ich weiß noch, früher beim Hoppereiter, wenn er kommt, dann schreit er, und wird lila im Gesicht Onkel Herbert, das macht man doch mit Nichten nicht ... " Musik: "Zart soll es bleiben" Zart soll es bleiben, bis in die Liebe bis in das Lachen und Traurigsein, bis in die Stille der einfachsten Worte, bis in die Worte der Stille hinein O-Ton Cindy Er hat sich dann auf die Couch, Bett, was auch immer das war, hingelegt und fing an, wir sollten uns doch auf seinen Bauch legen. Und da hab ich ihn gefragt, warum? Erzähler Cindy, 12 Jahre alt O-Ton Cindy Und da meinte er, ja, na wir wollen ja eine Band aufmachen und er möchte, dass wir alle gleich miteinander ganz vertraut sind. Und da hab ich damals zu ihm gesagt, ich kenn ihn aber gar nicht. Wir sind nichtmal beim "Du" damals gewesen. Ich sagte: "Ich seh det jar nich ein." Und da hat ers denn damals auf die Schiene versucht, na ja dann bin ich jetzt ganz traurig. Musik: "Zart soll es bleiben" Nicht drei Sekunden nach Sehnsuchtsbeginn schon luchsäugig lauernd die Chancen ermessen, von Einsamkeit faseln, zum nackten Gewinn, nicht ruhen, nicht warten, nur sein und vergessen. Nicht in die dunkelste Ecke der Nacht sich klumpenweis schubsen und drängen und saugen. Und schwitzende Hände, die habens vollbracht und niemand befragt noch zwei ängstliche Augen Erzähler Nach diesem Erlebnis bricht Cindy den Kontakt ab. Nicht so die zehnjährige Elisa. Aus der späteren Anklageschrift: Zitator "Im Zeitraum von August 1995 bis Juli 1996 kam es in mindestens 52 Fällen in der Wohnung des Angeklagten in Berlin gegenüber der Geschädigten zu folgenden sexuellen Handlungen: Entweder lag der Angeklagte mit dem Rücken auf seinem Bett, wobei sich auf seine Aufforderung hin die Geschädigte auf ihn in Höhe seines Genitalbereichs setzen musste, während der Angeklagte sie festhielt. Dann musste sich die Geschädigte so lange mit ihrem Körper vor und zurück bewegen, bis - wie vom Angeschuldigten gewollt - sein Glied steif wurde und er zum Samenerguss kam. Soweit es nicht zu dieser Handlung kam, fasste der Angeschuldigte der Geschädigten gezielt unter der Bekleidung an die Brust und in ihren Genitalbereich oder steckte ihr einen Finger seiner Hand in die Vagina, um sich sexuell zu erregen. Als die Geschädigte die 7. Klasse besuchte, musste sie den Angeklagten küssen und sein Glied in den Mund nehmen, um ihn zu befriedigen." Erzähler Wie erklärt es sich, dass einige Kinder trotzdem immer wieder zu ihm in die Wohnung gingen? Dazu Elisas Anwältin Eva Kuhn: O-Ton Kuhn Zum einen darf man nicht vergessen, dass es hierbei um Kinder geht und eben nicht um Erwachsene. Dementsprechend ist das Verhalten nicht so gesteuert, und einem Kind ist sicherlich auch nicht so bewusst, was da passiert. Das ist das eine und deshalb wird es ja auch sehr schwer bestraft. Das andere ist die besondere Situation, in der sich meine Mandantin, aber auch die anderen Mädchen, befunden haben. Das war ja auch eine Lehrer-Schüler-Situation. Es gab da natürlich auch eine Sympathie, es gab jemanden, der ausgebildet hat, der viel beigebracht hat, der sich gekümmert hat, der auch bei den Hausaufgaben geholfen hat und der natürlich auch eine gewisse Autorität hatte. Die Mädchen wurden laut Aktenlage und laut dem, was ich weiß, auch unter Druck gesetzt und bedroht und hatten auch einfach Angst. Hatten Angst davor, dass das, was hier passiert, vor allen Dingen die Familien erfahren. Erzähler Im Jahr 2000 beginnt ein erstes Strafverfahren, das mit einer Geldstrafe endet. O-Ton Kuhn Für den Angeklagten sprach damals sicherlich, dass bislang nichts aktenkundig war, dass er keine Eintragungen hatte, also nicht vorbestraft war. Es handelte sich damals um zwei Opfer, zwei Mädchen, die Anzeige erstattet hatten. Erzähler Demmler in seiner Selbstbetrachtung von 2003: Zitator "Um aber nicht nur von der Vergangenheit zu leben, habe ich mich um gesellschaftliche Nutzbarmachung bemüht, kostenlos, vor allem auch mit Kindern. Das trug mir nur schwerwiegende Verdächtigungen und Unterstellungen ein, die auch dieses Engagement beendeten." Musik Demmler: Sich vertraut machen miteinander heißt Kind: sich eine Haut machen miteinader heißt Demmler: sich ein Blut machen miteinander Kind: sich einen Mut machen miteinander Demmler: sich einen Trieb machen miteinander Kind: Ts, ts, ts Erzähler Im August 2008 wird Kurt Demmler festgenommen und in Berlin Moabit inhaftiert. O-Ton Kuhn Herr Demmler hatte meiner Mandantin angekündigt, für den Fall, dass sie nicht aussagen ... würde, dass sie bedacht wird in seinem Testament. Er hat massiv versucht, auf die Mädchen Einfluss zu nehmen dergestalt, dass sie nicht aussagen, dass sie Aussagen zurücknehmen, dass sie ihn schonen. Da das irgendwann publik würde, er hat die Mädchen auch nicht nur schriftlich kontaktiert, sondern auch angerufen oder an ihren Wohnanschriften aufgesucht - das war der Grund, dass er in Haft genommen wurde im August 2008. O-Ton Fischer Das ist ja eben das, was ich Kurt übel nehme, dass er den Mädels falsche Dinge vorgegaukelt hat, die ja überhaupt gar nicht möglich waren. Er hätte ja niemals Gesangskarrieren aufbauen können, war ja überhaupt nicht möglich! Nicht mehr in der Zeit. In der DDR noch, ja, aber nicht im Westteil. Verlogen! Und das finde ich, ist verwerflich. Dass er es auf Grund dieser Bedürfnisse das als Vorwand genommen hat und denen die Taschen vollgehauen hat, das finde ich sehr traurig. Für so einen intelligenten Mann, das finde ich sehr traurig. Erzähler Seinen 65. Geburtstag im September 2008 verbringt Demmler in der Untersuchungshaft. Dort schließt er sich einer Gitarrengruppe an und gestaltet mit dieser ein Weihnachtskonzert. Er bekommt regelmäßig alle 14 Tage Besuch von seiner Familie, den letzten am 21. Januar 2009 von seiner Frau. O-Ton Ralf Schulze Die Untersuchungshaftbedingungen von Herrn Demmler unterschieden sich von denen anderer Untersuchungsgefangener überhaupt nicht. Erzähler Ralf Schulze, Abteilungsleiter in der Untersuchungshaftanstalt Moabit. O-Ton Schulze Die Sozialarbeiterin hatte unmittelbar am Abend das Suizides mit ihm Kontakt. Soweit mir bekannt ist, hat sie zunächst mal darauf gesetzt, dass Herr Demmler selber den nächsten Tag, der zweite Hauptverhandlungstag war das, tatsächlich auch gut übersteht. Er selber hat, wie sie mir sagte, äußerst positiv reflektiert, war sehr hoffnungsvoll und hatte sich ihr gegenüber wohl auch geäußert, dass er meinte, dass es sich in dieser Verhandlung dann zum Guten wenden wird, dass er das eine oder andere, was die Tatvorwürfe betrifft, möglicherweise relativieren oder sogar ausräumen könnte. O-Ton Kuhn Am Tag seines Suizids, es war der zweite Verhandlungstag, da hätten meine Mandantinnen gegen ihn ausgesagt, also die Hauptzeuginnen hätten an diesem Tag ausgesagt. Das wäre ein sehr schwerer Tag geworden, für uns alle, und das wusste er auch, das war ihm auch bewusst. Also eventuell ist es ein Schuldeingeständnis, eventuell auch einfach Angst oder Verzweiflung. Meine Mandantin war geschockt, sie hat geweint, die anderen Mädchen auch, die bei Gericht waren, wurden auch alle betreut. Ich habe befürchtet, viele haben befürchtet, dass das noch mehr Schuldgefühle auslöst, weil die Mädchen haben sich ja sowieso schuldig gefühlt durch das, was passiert war und diese Schuld wurde ihnen ja auch eingeredet. O-Ton Diana Ich fuhr im Auto und hörte übers Radio, dass Kurt Demmler sich die Nacht aufgehangen hat und war furchtbar wütend! Dachte, du blödes Schwein, du hast dich wieder rausgezogen, du hast dich verpisst, du hast uns hängen lassen - ich war so wütend! O-Ton Anja Die Tatsache, dass er sich der Verurteilung entzogen hat, ist sicherlich für die Mädchen unterschiedlich in der Wirkung. Also für mich persönlich war die Nachricht von seinem Tod erleichternd. Ich war erleichtert, er kann jetzt niemandem mehr schaden, er kann sich niemandem mehr nähern, er kann keinem mehr wehtun. Erzähler Kurt Demmler hinterlässt keinen Abschiedsbrief. Der Mann der vielen Worte geht ohne ein einziges. Musik: Aufbruch Man verlasse alles sauber und geordnet und korrekt dass von dir ein stiller Zauber noch in deinem Weggehn steckt Absage: "Jeder Mensch kann jeden lieben?" Der Liedermacher Kurt Demmler und die Mädchen Ein Feature von Ed Stuhler Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2009. Es sprachen: Walter Gontermann, Jochen Langner und Martin Schaller Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Jutta Stein Regie: Anna Panknin Redaktion: Marcus Heumann 21