COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport 8.7.2011, 13.07 Uhr Die Kleine Sprachgeschichte. Meenzerisch - Oder: Warum die da so anders sprechen - Autor Hans Peter Betz Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 08.07.2011 - 13.07 Uhr WH vom 29.12.10 - 13.07 Uhr Länge 17'26" Moderation Für einen waschechten Meenzer ist Hochdeutsch die erste Fremdsprache. Und da hat er kräftig zu büffeln, kommt also heftigst ins schwitzen, denn wieder und immer wieder fragt er sich, warum Hochdeutschsprechende überhaupt so etwas wie den Genitiv kennen. Schließlich braucht er, der Rheinhesse, den Genitiv ja eigentlich nicht wirklich, also selten, sehr selten. Und der Mainzer reibt sich zufrieden die Hände, weil auch Hochdeutsch ein Sammelsurium ist - wie Meenzerisch. Von Vielem ist etwas dabei, ein wunderschönes Durcheinander quer durch den linguistischen Genüssegarten. Ja, ja, "vun de Lung uff die Zung, so babbele mer in Meenz." Hans-Peter Betz babbelt es uns vor. -folgt Script Ablaufplan- Script Ablaufplan AUT Warum das Meenzerische, ein Dialekt, der von der Anzahl der ihn sprechenden Personen sicherlich zu einer Minderheit innerhalb der deutschen Mundarten gehört, trotzdem besonders geläufig ist, lässt sich nur mit dem Beginn des Fernsehzeitalters in den Fünfziger Jahren begründen. Die alljährliche Ausstrahlung der Fernsehsendung "Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht", zum großen Teil, in der für Mainz typischen Mundart präsentiert, und ihr seit dieser Zeit andauernder phänomenaler Erfolg, hat das Meenzerische zu einem der bekanntesten deutschen Dialekte gemacht. E 01 Genau so isses. Narrhallamarsch! Wolle mer ne roilosse? AUT Langsam, langsam! Bleiben wir zunächst bei den historischen Fakten. Geschichtlich- geografisch zugeordnet wird der Mainzer Dialekt dem Rheinfränkischen. Dieses Rheinfränkische ist eine Zusammenfassung fränkischer Sprachen im Westmitteldeutschen. Von Kassel bis Straßburg reicht ein langgezogener Streifen dieses Dialekts. Das Hessische, Pfälzische, Teile des Saarländischen und sogar das Lothringische gehören zu dieser Dialektgruppe. Man kann also davon ausgehen, dass nach dem Niedergang des römischen Reiches, nach dem Durchzug der Germanen, die Franken die ersten waren, die diese Mundart bis zur ersten Jahrtausendwende beherrschten und bestimmten. E 02 Genau. Die alde Franke, des warn die Erste, die so gebabbelt habbe wie mir heit, un es deet mich nit wunnern, wenn schun Kall de Große so geredd hätt wie mir Meenzer das heit noch duun. Ja ja der Kall, das war schun en richtige Dunnerkeil. AUT An diesem Einwand merkt man, wie sehr die Mainzer sofort etwas vereinnahmen und für sich als Tradition reklamieren. Wir können also festhalten, dass Meenzerisch ein Mischdialekt ist, der allerdings nicht nur in Mainz, sondern auch in einem Dreieck zwischen Bingen, Alzey, und Worms gesprochen oder wie man in Mainz sagt, gebabbelt wird. Sogar auf der gegenüberliegenden Rheinseite, im Rheingau ist diese Mundart allgegenwärtig. Historisch gesehen ist dies kein Wunder, denn im Mittelalter gehörten die Gebiete rechts des Rheins zum Kurfürstentum, zur Erzdiözese Mainz. E 03 Genau! Und unsern Meenzer Bischof war schun immer en wischtische Mann. Der hot damals schun mitbestimmt, wer deitscher Kaiser werd, un wer nit. Mit dem Meenzer Bischof habbe sich`s die hooche Herrn nit gern verdorwe. Allerdings hammer 1160 in Meenz aach emol en Bischof erschlage. Des muss allerdings en richtiges Säckel gewese soi. Die katholisch Kerch und die annern Bischöfe haben sich hinnerher schwer gerächt und in Meenz alles korz und klää geschlage. Ware kä scheene Zeite damals. AUT Ja ja, ein rebellisches Blut hatten die Mainzer schon immer. Jedenfalls wird der Mainzer Dialekt auf Grund seiner geografischen Nähe zu Hessen auch als "Rheinhessisch" bezeichnet. Vielfältig beeinflusst, wie alle Mundarten wurde das Meenzerische im Mittelalter und während der Wende zur Neuzeit natürlich durch das Jiddische und Rotwelsche, von Beidem ist auch heute noch etwas dabei. Nicht umsonst spricht man hier in Mainz von der "rheinischen Völkermühle", von einem Sammelsurium, einem wunderschönen Durcheinander quer durch den linguistischen Sprachgarten. E 04 Linguistischer Sprachgaade! Babbel nit soviel Aschbes doher! (äfft nach) Wunderschönes Durcheinander! Von dem ganze hochgestochene Schmus, den du do abdrickst, kriet mer jo de Dalles. Wer so verschrammeriert doheredde dut, dem sollte mer en Knote in die Zung machen. Mir Meenzer fabrizieren nit so en geschwolle Kees. Bei uns hääßt das von de Lung uff die Zung! AUT Zum Mithören, sinngemäß: Rede jetzt nicht soviel Blödsinn. Von diesem Gelaber wird es einem ganz elend zumute. Wer so etwas von sich gibt, dem sollte man Sprechverbot erteilen. Bei uns spricht man von der Lunge auf die Zunge! Auffällig waren besonders die Worte Aschbes, Dalles und Schmus. Alle drei Wörter aus dem Jiddischen bzw. Rotwelschen. Unter Aschbes versteht man Tand oder Schund, unter Dalles Armut oder Elend und Schmus ist dummes Geschwätz. Die Sprache der Randgruppen, die Sprache der Gauner und Gaukler, die Sprache des fahrenden Volkes finden wir im Meenzerischen übrigens häufig und sie ist bis auf den heutigen Tag lebendig. Ein besonders deftiger Kinderreim als Beispiel: E 05 De Itzig un de Schmul, die ginge in die Schul. De Itzig stellt sich uff die Bank Und scheißt dem Lehrer in die Ank. AUT Was dieser missratene Itzig tat, ist klar. Aber wohin der das tat, muss übersetzt werden. Unter Ank versteht man das Genick. S1 Genau! Die Ank ist es Halsgnick. Und e besonders fett Gnick ist e Brotworschtank. AUT Also das Bratwurstgenick. Gehen wir aber weiter in unserer kleinen Mainzer Sprachgeschichte. Die Stadt hat ja in ihrer 2000jährigen Historie viele Besatzer gesehen. Römer und Germanen, Schweden und Preußen. Besonders gern und häufig waren allerdings die Franzosen im goldenen Mainz. 1688 im pfälzischen Erbfolgekrieg das erste Mal, und bis ins 20. Jahrhundert machten sich unsere französischen Nachbarn immer wieder mal für kürzere oder längere Zeit in Mainz breit. Die meiste Zeit waren sie nicht gerne gesehen. Nur einmal, als die französische Revolution nach Südwestdeutschland übergriff, waren die Jakobiner der ersten Republik herzlich willkommen. E 06 Und ich kann auch genau saage, wann das war. 1793. Do hammer in Meenz die erste Republik uff deitschem Boddem gegründet. Das ganze adelige Gesocks hammer bei de Deiwel gejagt, wie in Paris! Ja! Das wisse nur die meiste Leit nit. Fer vier Monat gab´s hier in Meenz en Freistaat, die erst deitsch Demokratie! Awwer die Preisse und die Österreicher, die Zwoggel, die habbe alles widder kabutt gemacht! Die sin komme und haabe mit ihre Kanone Meenz korz und klää geschosse. Und de beriehmte Johann Wolfgang vun Geede aus Frankort hot bei der Beschießung vun Meenz zugeguckt und sogar en Bericht driwwer geschriwwe. Und seitdem kenne mir Meenzer die Frankforter nit mehr so gut leide! AUT Tatsächlich war die Zeit nach der Französischen Revolution die Hochzeit der Franzosen in Mainz. E 07 Natürlich. Heit noch sache mir in Meenz: Liberdee, Egalidee, Pefferminzdee. AUT Nach der Zeit Napoleons und später im 20. Jahrhundert, nach den beiden Weltkriegen, war Mainz dann noch zweimal französische Garnisonsstadt, deshalb ist es logisch, dass der französische Einfluss auf das Meenzerische erheblich ist. Wenn man allerdings meint, wenn man die französische Sprache beherrscht, könne man deswegen auch das Meenzerische verstehen, wird sich wundern. Bitte. E 08 Gestern owend hat de Schambes widder e mords Brulljes mit soiner Madam gehabt. Ständig gibt´s bei dene e Briambel. Jeden Monat dabbt`s Madamche in die deiere Buddige vis a vis vom Guvernememaa. Da käft se sich irgend so e Kabottche, mit dem se dann iwwers Trottwaa stolziert. De Schambes seet immer : "Die hot doch was am Raddaddelche. Ich krie noch die Gaasegichtern!" Aber er kann sich halt nit dorchsetze der Dormel. AUT Auf Hochdeutsch in Kurzform übersetzt: Der Schambes, also der Jean-Baptist, hat ständig Ärger mit seiner Ehefrau, weil sie in teuren Läden Hüte kauft. Weil er dies nicht verhindert, wird Jean-Baptist als Dormel bezeichnet. Kommt vom französischen dormir, schlafen. Dormel bedeutet also soviel wie Schlafmütze. Sie sehen das Meenzerische strotzt nur so von französischen Anleihen. Noch ein paar Beispiele gefällig. Zu Ungebildet ordinären Menschen sagt der Meenzer nur: E 08 Bagaasch AUT Ein Baby liegt in Mainz nicht im Kinderwagen, in Mainz liegt ein Baby ... E 09 ....in de Kinnerschees. AUT Wenn man vor jemandem Angst hat, dann hat man vor ihm ... E 10 ... dann hot mer vor dem Regadd. AUT Wer einen großen Aufwand betreibt macht .... E 11 ....e mords Amberaasch AUT ... und jemanden wertschätzen heißt in Mainz: E 12 ... jemand eschdemieren. AUT Allerdings, wenn der Mainzer Dialekt auch gefüllt ist mit Wörtern frankophiler Herkunft, weigert sich der Meenzer trotzdem beharrlich französische Wörter richtig auszusprechen. Der Mainzer sagt nicht Karton, Brikett oder Depot. E 13 Na na, das häßt Karton, Brigett und Depot. Du Kumbeer. (betont die erste Silbe) AUT Auch bei dem Wort Kumbeer wird die französische Herkunft schnell deutlich. Es kommt von compère, der Pate oder der Gevatter. Neben den französischen Besatzungen hatte eine weitere historische Tatsache großen Einfluss auf den Mainzer Dialekt. Mainz war über Jahrhunderte hinweg Festungsstadt. Die Anwesenheit von Militär und die weitläufigen Festungsanlagen prägten das Leben und die Sprache der Mainzer Bevölkerung, insbesondere zu der Zeit als Bundesfestung und Reichsfestung stark. Die Stadt durfte nicht expandieren, sie schmorte regelrecht im eigenen Saft. E 14 Genau, im eigene Saft hammer gehockt! Oigemauert war´n mir hier in Meenz. Runderum dicke Mauern, ä Festungsanlag neber de anner. Fort Malakoff, die Zitadell, de schönbornsche Garisonsgertel, es Proviantamt. Deshalb babbele die Leit, zum Beispiel in de Altstadt, heit noch annerster als die in Gunsenum odder in Mumbach, obwohl das nur 1 km weg is. In Gunsenum seet mer z. Bsp. : Mer hun Dorscht. In de Stadt seet mer : Mir habbe Dorscht. AUT Kommen wir zu weiteren Besonderheiten des Meenzerischen, die sich über Jahrhunderte gehalten haben. Ein Merkmal aller Rheinfränkischen Mundarten ist die falsche Aussprache des "CHs". Wie alle Südwestdeutschen ist auch der Meenzer nicht in der Lage, diesen Rachenlaut richtig auszusprechen. Er sagt niemals "ich habe Hunger" sondern immer "isch" "isch habe Hunger". Dieser Zischlaut ist eines der ureigensten Erkennungsmerkmale dieses Dialekts und wird dem Meenzer sozusagen in die Wiege gelegt. Alle Versuche ortsansässiger Grundschullehrerinnen, Mainzer Kindern, die mit dem Dialekt als Muttersprache aufgewachsen sind, dieses zischende CH abzugewöhnen, sind bisher kläglich gescheitert. E 15 Rischtisch! Isch losse mer sowas aach nit abgeweehne! Selbstverständlisch kenne mir ordentlisch babbele. Isch bitt disch. Das is abber bei uns nit iblisch. Und wenn aaner mänt er könnt mit uns so babbele, dem sag isch: Bleib schee uff em Debbisch. AUT In diesem Statement wurde eine weitere Besonderheit deutlich. Der Mainzer Muttersprachler verwechselt grundsätzlich mir und wir. Hören Sie einmal bei einem kleinen Dialog genau zu: Gegen wen spielen die Mainzer am nächsten Samstag? E 16 Ich wääß nit gesche wen mir am Samstag spiele. AUT Ich hab gehört in der nächsten Saison sollen die Eintrittspreise erhöht werden. E 17 So äfach geht des nit. Des mache mir nämlich nit mit. AUT Aber warum sind Sie denn so dagegen? E 18 Warum? Das können mir nit so habbe. AUT Nun, wenden uns einem Bereich zu, in dem der Meenzer Dialekt noch wahre Urstände feiert, einem Bereich, in dem er gehegt und gepflegt wird. Ein Reservat, das zur Erhaltung der Mainzer Mundart sehr vielbeigetragen hat und dies auch in Zukunft tun wird - dem Karneval. Ursprünglich entstanden aus heidnischen Winteraustreibungsritualen, ist der Karneval während der französischen Besatzungszeit unter Napoleon im frühen 19. Jahrhundert zu einer ersten Blüte gekommen, und bis heute ist der Rheinhessische Dialekt im Karneval der Inbegriff des Meenzerischen geblieben. E 19 Ei du Dollbohrer! Babbel nit so en Bleedsinn! In Meenz hääßt das Fassenachd und nit Karneval. Bei uns gibt´s zwar Carneval-Vereine, die machen awwer Fassenachd! AUT Gibt es dafür einen Grund? E 20 Wääß ich nit. I mir aach worschtegal! Jedenfalls sagen bei uns nur die Messfremde Karneval. En echte Meenzer ist en Fassenachder. Und die Zeit, in der die Fassenachd gefeiert wird, ist die Kampagne! Die fängt an Neijahr an un dauert bis Aschermittwoch. Hoste das bedabbt? AUT Aha, also von Neujahr bis Aschermittwoch. Das ist aber in anderen Gebieten auch so. E 21 Awwer dort seet mer halt Karneval, odder noch schlimmer: Fasching! Und wenn des bei uns ääner seet, kriet er grad uff die Bambelschnut geschlagen. AUT Ein besonderes Merkmal der Fastnacht in Mainz ist der politische literarische Vortrag. Die Aufgabe des Till Eulenspiegels, des mittelalterlichen Hofnarren, den Regierenden die Meinung unverblümt zu sagen, hat in Mainz eine Tradition, die gepflegt wird, und die sehr zu ihrem bundesweiten Erfolg beigetragen hat. Auch politische Texte werden an Fastnacht im Dialekt vorgetragen. Der berühmteste politische Redner war wohl Seppel Glückert. Er scheute sich nicht ,auch im Dritten Reich seine Vorträge den Herrschenden um die Ohren zu schlagen. Nach der Machtergreifung 1933 reimte er: E 21 "Heil ruft mer hier, Heil ruft mer dort, Ä Silbchen nur fehlt diesem Wort, In allen deutsche Lande Ist Unheil nur draus entstande." AUT Es waren diese Reimvorträge, die den Mainzer Dialekt in ganz Deutschland berühmt gemacht haben. Weil wir gerade beim Gereimten sind. Ein Quell unerschöpflicher Mainzer Mundart sind Kindergedichte, Abzählverse oder Schimpf- und Spottlieder, die teilweise recht derb ausfallen. Ein Beispiel. Bis lange ins 20. Jahrhundert war bei vielen Kindern in der Mainzer Altstadt die Rachitis eine weit verbreitete Mangelkrankheit. In vielen Familien gab es deshalb schiefe, also "schebbe" Kinder und so entstand die folgende Schimpftirade: E 24 Wenn eiern Schebber unsern Schebber nochemol Schebber nennt, schennt unsern Schebber eiern Schebber solang Schebber, bis eiern Schebber unsern Schebber nit mehr Schebber nennt! AUT Bleiben wir beim Literarischen. Carl Zuckmayer, in Nackenheim bei Mainz geboren, im Berlin der zwanziger Jahre ein hoch geschätzter Dramatiker, schrieb einige seiner Werke in Meenzer Mundart. In einem seiner Theaterstücke heißt es: E 25 Wer nit den Woi liebt und auch nit die Weiwer, wird niemals e Jeescher, bleibt immer nur Treiwer. AUT Oder ebenfalls von Zuckmayer ein etwas deftiger Abzählreim für Kinder. E 26 Enne, denne dorz, de Deiwel lässt.. en Drache steige, die Kordel war zu korz. AUT Neben Carl Zuckmayer gab es noch eine Autorin von Weltruf, die den Mainzer Dialekt pflegte: Anna Seghers. Marcel Reich-Ranicki schrieb in seiner Autobiographie, dass er entsetzt gewesen sein, als er Anna Seghers in Ostberlin besuchte und sie mit ihm in breitestem Meenzer Dialekt plauderte. Wirklich entsetzt wäre Ranicki gewesen, wenn er einmal gehört hätte, welche Schimpf- und Drohworte in der Mainzer Mundart verbreitet sind. Ein paar Beispiele: E 28 Bass bloos uff, sonst krieste mol uff die Badderie geschlage. Du Hutsimbel, du Labbeduddel, du Stiwwelbrunser. Du määnst wohl, du keenst alles hier verkuhwedele AUT Ist der Meenzer in dieser Hinsicht in Fahrt gekommen, lässt er sich kaum stoppen. E 30 Der Knaddeldaddel, geht mer ganz schee uff die Makron, der Schwademache mit soim Schwellkopp macht mich ganz schoggelisch, der Olwel, der Seldefröhlich, das Aschbackegesicht .... AUT Wollen wir es bei diesem kleinen Ausschnitt an Schimpfwörtern belassen und uns dem, was Leib und Seele zusammenhält, dem Essen und Trinken zuwenden. Eine berühmte Mainzer Spezialität ist natürlich der Meenzer Handkäs. Dieser Handkäs wird in allen Mainzer Kneipen mit Musik serviert. Aber warum heißt das eigentlich Handkäs mit Musik? E 31 Das ist ganz ääfach moi Lieber: Die Musik besteht aus Essig und Eel und natürlich aus foi geschnittene Zwibbelcher. Das gibt Blähungen. Damit kannste Mussik mache wie e Blaskappell. AUT So, so! Ich persönlich habe ja festgestellt, dass ich Handkäs mit Mussik nicht nach 17 Uhr zu mir nehmen sollte. Andernfalls kann ich die ganze Nacht nicht schlafen. E 32 Horsch emol moii Lieber! Bei mir ist es genau umgekehrt! Ja! Wenn ich schlafe, kann ich kän Handkäs esse. AUT Nach diesem kleinen Kalauer zurück zu unserer kleinen Sprachgeschichte. Was viele nicht wissen: Das zweitausendjährige Mainz ist tatsächlich die größte weinbautreibende Gemeinde Deutschlands. Kein Wunder, dass der Wein im Dialekt eine große Rolle spielt. E 33 Was hääßt hier: "Der Wein spielt eine große Rolle?" Das hääßt als erstes emol de Woi. Woi mit oi! De Woi muss enoi. Und de Woi trinkt mer in de Woiwertschaft am Rhoi, aus em Gläsche und nit aus de Woiflasch. Und en guude Woi is en Mauldabbezierer. AUT In diesem Zusammenhang erwähne ich natürlich gerne das berühmte Mainzer Dreigangmenue: Brötchen, Wurst und Wein. E 34 Brötchen, Wurst und Wein. Wenn ich sowas heere, dann kennt ich grad puddelarschnackisch in die Hose machen. Das hääßt: Weck, Worscht un Woi. Du Hoschbes! (Singt) Ohne Worscht, ohne Woi, geht en echte Meenzer oi,... AUT Sehr schön, sehr schön! Das klingt ja fast wie damals bei den berühmten Gonsbachlerchen. Was den Meenzer Dialekt aber besonders liebenswert macht, ist die Fähigkeit sich selbst zu verspotten. Gesagtes wird in Mainz oft verdoppelt, sozusagen tautologisch verballhornt. Ein paar Beispiele. E 35 Mir fahren über de Rhoi mit em Schiffche-Bootche. Ich trinke noch e Fläschche-Flaschebier. Mach emol das Dösje-Dosemilch uff. An Woinachte hammer e Christbaam-Beemche. AUT Mit dem Fläschchen Flaschenbier und dem Dösjen Dosenmilch sind wir fast am Ende unserer kleinen Reise durch die Sprachgeschichte des Meenzerischen angelangt. Zum Schluss stellt sich natürlich die Frage nach der Zukunft dieser Mundart. Wird es das Meenzerische in 50 oder 100 Jahren überhaupt noch geben? E 36 Ei natürlich! Du glaabst doch nit im Ernst, dass unser Muddersprooch verschwindt! Sowas is Kuldur! Verstehste! Und Kuldur ist wischtisch! AUT Ich bin da nicht ganz so optimistisch. Der Dialekt ist auf dem Rückzug. Das hat unterschiedliche Gründe. Das Vorurteil, dass Leute, die Dialekt sprechen auch gleichzeitig eher ungebildet sind, konnte eine Studie vom Institut für deutsche Sprache zwar nicht bestätigen, aber es ist leider nicht zu übersehen, dass die Meenzer Mundart, wie andere Dialekte auch, keine neuen Wortschöpfungen, keine Neologismen mehr bilden kann. Damit erneuert sich ein Dialekt nicht von innen heraus, er stagniert und Stagnation ist für eine Mundart auf Dauer tödlich. Eine Hoffnung gibt es und diese Hoffnung ist in Mainz tatsächlich die Meenzer Fassenacht. Wenn es gelingt, junge Menschen für diese Volkskunst zu begeistern, dann wird sich auch das Meenzerische behaupten, denn im Gegensatz zur Standartsprache gehört die Mundart zur regionalen Identität des Menschen. Der Meenzer ist nur Meenzer mit seinem Dialekt. E 37 Wie de seest moi Lieber! Genau so isses! Adschee zusamme! -Ende Script Beitrag- MOD Die Kleine Sprachgeschichte. Oder: Warum die da so anders sprechen. Heute war Meenzerisch dran, gemeinhin auch als Rheinhessisch bekannt. Vortragender Legationsrat 1. Klasse war Hans-Peter Betz. Diese und andere Sendungen zur Kleinen Sprachgeschichte finden Sie im Internet unter www.dradio.de. Und noch ein Fingerzeig. Die nächste Kleine Sprachgeschichte ist für den 13. Juli geplant. Dann wird nicht mehr gebabbelt, sondern geschnackt. Und zwar Hamburgisch. Am Mikrofon verabschiedet sich von Ihnen Claus Stephan Rehfeld. -ENDE Script Ablaufplan- 1