DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 08.05.2007 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 ? 20.00 Uhr Vom langen Gespräch auf kurzer Welle Dorothy Thompson und Helmuth James Graf von Moltke Von Alfred Jungraithmayr URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.1 Ansage Vom langen Gespräch auf kurzer Welle Dorothy Thompson und Helmuth James Graf von Moltke Ein Feature von Alfred Jungraithmayr Sprecher 1 New York, Madison Avenue, CBS-House. Eine Dame betritt das Rundfunkstudio. Elegant gekleidet, distinguiert, dynamisch. - Sie ist die prominenteste Journalistin der USA. Beschäftigt einen Stab von Mitarbeitern. Streitet für die Frauenrechte. Engagiert sich für Emigranten. Und jetzt auch noch das: eine Radiosendung für deutsche Hörer! - Sie muss! Die innere Stimme ! Die Dame am Mikrophon spricht deutsch. Sprecherin 5 ?Dies ist das schwierigste Gespräch meines Lebens. Ich spreche zu Tausenden von Menschen, um einen einzigen zu erreichen, und doch wage ich es nicht, den Namen dieses einzelnen zu nennen, da er eine wichtige Stellung innehat. Und dass Dorothy Thompson ihn von New York aus zu erreichen versucht, würde ihm nicht gerade helfen...? Sprecher 3 ?Ach die Thompson! - Iss ja n?Ding! Ham se doch rausjeschmissn aus?m Reich. - Hat sich mit?m Führer anjelegt jehabt!? Sprecher 1: Der diensthabende ?Erfasser? im deutschen Abhörzentrum. An die 120 gibt es. ?Frequenzenputzer? im Jargon der Dienststelle. Hier wird aufgezeichnet, was der Feind sendet. Der ?Sonderdienst Seehaus?! - Getarnt als ?Rundfunktechnische Versuchsanstalt?. - Berlin, am Großen Wannsee. ? Kriegsschauplatz Äther! Sprecherin 5 ?..Aber ich habe ihm versprochen, Kontakt mit ihm aufzunehmen, wenn das Schlimmste passiert, wenn wir, die so gute Freunde waren, uns als Feinde gegenüberständen... Hör zu, Hans...? Sprecher 3 ?Tu ick ooch. Aber ick heeß Friedrich! - Wen kann sie?n meinen? Hat ne ?wichtije Stellung?, sagt sie. Und n??juter Freund? von da Thompson!, - bei uns im Reich? - Davon weß aber dann keener wat, sonst wär der doch längst schon sonstwo.? Sprecher 2 Die CBS-Sendung mit Dorothy Thompson ist Teil des US-amerikanischen Rundfunkprogramms, das nach dem Eintritt der USA in den Krieg, Dezember 1941, auf Kurzwelle nach Deutschland ausgestrahlt wird. Mit Genehmigung des ?Office of War Information?, dem Büro für Kriegsinformation. - Wöchentlich, immer freitags um 18 Uhr 15. Vom 27. März 1942 bis zum 4. September: ?Hör zu, Hans?! Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.1 Sprecher 4 I Saw Hitler Sprecher 1 Dorothy Thompson, als Auslandskorrespondentin von 1926 bis 1934 in Berlin akkreditiert, hat den Aufstieg der Nazipartei hautnah miterlebt. 1934, als die Nazis an die Macht gekommen waren, wurde sie auf Hitlers Befehl ausgewiesen. Der Grund: ein Interview, 1931, mit Hitler. Als Buch mit dem Titel ?I Saw Hitler? - Ich sah Hitler - 1932 in den USA erschienen. - Aus dem Vorwort: Sprecherin 5 ?Ein kleiner Mann hat sich in Deutschland erhoben... Um die Massen zu beherrschen, besitzt er eine Tenorstimme, beachtliche schauspielerische Fähigkeiten und einen hysterischen Glauben an seine Mission... Sein Programm besteht aus einer Mischung von Faschismus, rassistischer Philosophie, welche lehrt, dass ?Arier? und besonders ?nordische Menschen? dazu geschaffen sind, die Welt zu beherrschen, Antisemitismus und einem konfusen Sozialismus?. Sprecher 2 25. August 1934: ein Gestapomann überbringt Dorothy Thompson ein Schreiben, adressiert an ?Mrs. Dorothea Lewis? - sie ist damals mit dem amerikanischen Schriftsteller Sinclair Lewis verheiratet - ?Hotel Adlon, Berlin?. - Wegen der ?zahlreichen antideutschen Publikationen sei es, aus Gründen ?der nationalen Selbstachtung?, nicht mehr möglich, ?ein weiteres Aufenthaltsrecht? zu gewähren. Sie werde gebeten, das Reich, ?in Vorwegnahme einer formellen Ausweisung, innerhalb von 24 Stunden zu verlassen?. Sprecher 1 Zwei Tage später, morgens, am Zug nach Paris: großer Bahnhof für Dorothy Thompson. In ihren Armen ein Strauß Rosen. Von den Berliner Auslandskorrespondenten - Ausdruck ihrer Solidarität. - Über Nacht zu einer Art Nationalheldin des freien, unabhängigen Journalismus geworden, wird sie bei ihrem Empfang in New York prophetische Worte sprechen: ?Deutschland ist bereits auf dem Weg zum Krieg und der Rest der Welt will es nicht glauben? - 1934! Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Tee am See Sprecherin 5 ?Wir wollen unsere Unterhaltung dort fortsetzen, wo wir sie bei unserer letzten Begegnung Ende 1938 abgebrochen haben. Als wir... .auf der schönen Terrasse vor dem See Tee tranken, da sagtest du mir: ?Hör zu, Dorothy, es wird keinen Krieg geben?... und ich fragte dich, was deiner Meinung nach geschehen würde, wenn ein Krieg ausbricht... Dann, so sagtest du, wäre das Schicksal Deutschlands besiegelt. Alles würde davon abhängen, ob die Welt bereit sei, einen Unterschied zwischen Deutschland als Nation und Hitlers Nationalsozialismus zu machen... Aber ich sagte dir,... das würde davon abhängen, was du, Hans, und deine Freunde tun, und nicht nur davon, was sie sagen... Und du sagtest, ...ich verspreche dir, dass ich alles Menschenmögliche tun werde, um den völligen Zusammenbruch und die Auslöschung meines Volkes als Nation in einer Katastrophe zu verhindern, die ein Weltkrieg darstellen würde...??. Sprecher 3 Hat er nich jeschafft, der jute Mann! - Ob der dat jetzt jehört hat? Gloob ick nich. - Darf er och jar nich. Riskiert Kopf und Kragen! Sprecherin 5 ?... Wir sprechen uns wieder nächste Woche. Also bis dann, Hans, auf Wiederhören.? Sprecher 3 Die Tommys, die dürfen! - Wat wir so rüberfunken, nich, auf die Insel. - Hab ick jehört, muss ja nich stimmen. Aber jehört hab ick schon mal sowat. - ?Nächste Woche wieder?, hat se jesagt. Muss ick uffpassen. Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Niemand ist abhörberechtigt Sprecher 2 Schon am Tag des Überfalls auf Polen, am 1. September 1939, verfasste Goebbels eine Verordnung über ?Außerordentliche Rundfunkmaßnahmen?. Der Bevölkerung wurde verboten, unter Androhung von Zuchthausstrafen, ?in besonders schweren Fällen? der Todesstrafe, ausländische Sender abzuhören. -Goebbels wusste um die gefährliche Wirkung der Feindsendungen. Im engsten Kreis schätzte er das Heer der Schwarzhörer auf mehrere Millionen. Die deutsche Rundfunkindustrie musste beim ?Volksempfänger? den Empfangsbereich drosseln. Störsender wurden aufgebaut. Allein im Jahr 1942 wurden an die tausend Personen wegen Schwarzhörens gerichtlich verurteilt. Durchschnittliches Strafmaß: 3 Jahre Zuchthaus. Sprecher 1 ?Ausnahmegenehmigungen? sollten nur den höchsten Instanzen des Naziregimes erteilt werden. - ?Schwerste Bedenken? wurden laut. - Goebbels: Sprecher 4 ?Es ist furchtbar, wie viele Prominente mir jetzt nachzuweisen suchen, dass sie ihre Arbeit nicht fortsetzen können, wenn sie nicht die Erlaubnis haben, ausländische Sender zu hören.? Sprecher 1 Um den ?abhörberechtigten Personenkreis? zu beschränken, dekretierte er: Sprecher 4 ?Niemand ist abhörberechtigt, der nicht abhörverpflichtet ist.? Sprecher 1 Und wer ?abhörverpflichtet? ist, bestimmte er, Goebbels, natürlich in Abstimmung mit dem Führer. - ?Auf Wunsch?, räumte Goebbels schließlich ein, sei sein Ministerium bereit, ?dasjenige Material aus den ausländischen Rundfunkmitteilungen, das für sie wichtig ist, allen Reichsressorts zu liefern.? - Von ihm zensiert, hieß das. Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Dieser nichtige Narr Sprecher 1 In ihrer nächsten Sendung sagt Dorothy Thompson, sie habe von ?Hans? einen Brief bekommen, mit dem er sein Versprechen einlöse, mit ihr Kontakt aufzunehmen, wenn ihre beiden Länder im Krieg stünden. Er schreibe - und das könne sie nur unterstreichen - es sei eine ?absolute Fehlspekulation? von Hitler gewesen, zu meinen, England würde Deutschland nicht den Krieg erklären, wenn es Polen überfalle: Sprecherin 5 ?Die Schuld für diesen Krieg liegt bei ihm; das Blut, das vergossen wird, klebt an seinen Händen und an den Händen jener deutschen Anführer, die es besser gewusst haben, aber nicht die Charakterstärke hatten, ihm zu widersprechen... Ich mache nicht die Deutschen für diesen Krieg verantwortlich. Ich glaube, sie sind genau so Opfer dieses nichtigen Narren wie all die anderen Menschen auf diesem gequälten Globus...?. Sprecher 3 ?Na, wenn dat der Jupp hört! - ?Nichtijer Narr? - ick meen: unsern Führer! - Na jut, die Thompson! Sprecher 1 ?Der Jupp?, Goebbels also, kläfft 3 Tage später, am 5. April 1942, in sein Tagebuch: Sprecher 4 Dorothy Thompson hält eine absolut verrückte Rede gegen Hitler. Es ist beschämend und aufreizend, dass so dumme Frauenzimmer, deren Gehirn nur aus Stroh bestehen kann, das Recht haben, gegen eine geschichtliche Größe wie den Führer überhaupt öffentlich das Wort zu ergreifen. Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Was sagt dir dein Gewissen? Sprecher 1 Am 17. April berichtet Dorothy Thompson ?Hans? von einem Gespräch eines schwedischen Industriellen mit Hermann Göring aus dem Jahre 1935. Göring habe damals von den ?Lebensraum?-Plänen des Deutschen Reichs schwadroniert. Der Absicht, die Ukraine zu erobern und die Menschen dort ?einfach wegzufegen?. Zum Zeitpunkt dieser Sendung war die Ukraine bereits besetztes Ostgebiet. Der Russlandfeldzug begann im Juni 1941. Sprecherin 5: ?Aber du, Hans, du kanntest doch diese Absichten. Hast du jemals etwas dagegen unternommen? Willst du ?fünfzig Millionen Menschen wegfegen? - irgendwohin nach Asien, oder ganz weg aus dem Antlitz der Erde - wegfegen, wie deine Führer die Polen und die Südslawen wegfegen? Was sagt dir dein Gewissen in der Dunkelheit der Nacht, Hans? Was sagt dir deine Bibel?? Sprecher 3 Ach, sieh ma an. Fromm iss der ooch! Sprecher 1 Im weiteren Verlauf dieser Sendung spricht Dorothy Thompson die ?hirnverbrannte? Aktion dieses Rudolf Heß an: Sprecherin 5 ?Es ist wieder dasselbe alte Lied: westliche Nationen, schließt euch zusammen und vereinigt euch gegen Russland... Aber mit dem Naziregime wird niemals Frieden geschlossen. Niemals. Ebensowenig wie mit irgendeiner anderen Marionettenregierung der Nazis.? Atmo: vier dumpfe Paukenschläge Sprecher 3 Die Tommys mal wieder! - Ham se jeklaut, nich, von unserm Beethoven! - Iss aber ooch ein Morsezeichen. Weeß, glaub ick, nich mal unser ?Dokter?: Vau!, wie ?Victory?! dreimal kurz, einmal lang! - Jans schön jewieft, diese Tommys! O-Ton BBC ?Hier ist England, hier ist England, hier ist England.? ?...Nee, nee, da will ick nix von wissen, Kinder, nee, det Radio dreh ich nich an, nee, nix zu machn. Wie leicht drehst du dann n? bisschen zu weit, und haste nich jesehen, bist du ein ?Volksschädling?. - Aber wat denn, wat denn, ihr wisst doch, unser juter kleener Dokter hat dat doch nich jerne. - Nu sagt doch bloß nich so ?ne Sachen, wat für die Engländer erlaubt iss, kann uns och nich schaden. Der Dokter hat es uns doch auseinandergepult, warum es dene nix tut, wenn sie die ausländischen Sender hörn. Weil sie nämlich national geeint sind. - Wir haben ein Reich, ein Volk, einen Führer, aber det jenügt eben nich für die nationale Einheit. Da verlass dich mal nur auf den Goebbels, der weiß dat besser. Ick sage, solange wir nich jans geeint sind, dürfen wir nicht hörn, weil wir nich geeinigt sind und wenn wir mal geeinigt sind, dann brauchen wir nich hörn, weil wir uns dann ja einig sind. Iss doch klar wie Kloßbrühe, wa!? Sprecher 3 ?Iss? es nich, nu, ejal. - Aber wer nu dieser ?Hans? iss, nich, der von da Thompson, det iss?s doch, wat ick wissen will!? Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4: Der Junge Sprecher 1: ?Hans? ist Moltke, Helmuth James Graf von Moltke. Geht man seinen Lebensdaten nach und denen von Dorothy Thompson, muss man zu diesem Ergebnis kommen. Sprecher 2 Kennen lernten sie sich im Herbst 1926. Bei Eugenie Schwarzwald, der Wiener Reformpädagogin. - In ihrem ?offenen Haus? traf sich das geistige Wien. Adolf Loos verkehrte hier, Karl Kraus, Robert Musil, Oskar Kokoschka. - Moltke hatte in Wien zwei Semester Jura belegt. Thompson, die von 1920 bis 1925 Korrespondentin in Wien war, besuchte ihre Freundin Eugenie. Sprecher 1 Wieder in Berlin, war Moltke, ?wie schon so oft?, zu Gast bei Dorothy Thompson. Auch zu ihrem 34. Geburtstag, im Juli 1927, erging an ?Gräfin Moltke und ihren fabelhaften Sohn? eine Einladung. Der US-amerikanische Schriftsteller Sinclair Lewis ist auch unter den Gästen - und fragt Dorothy Thompson, ?um drei Uhr früh? - wie sie einer Freundin verriet - ?ob sie seine Frau werden wolle?. Sprecher 2: Im Februar 1928 besuchten Dorothy Thompson und Sinclair Lewis die Moltkes in Kreisau. ?Der Junge?, wie seine Mutter ihren ältesten Sohn liebevoll nannte, er war jetzt 21, unternahm mit den Gästen aus den USA eine Zweitagesreise durch Schlesien. Sprecher 1 In Berlin arbeitete Moltke gelegentlich für Dorothy Thompson. So führte er 1931 mit Gregor Strasser und Gottfried Feder, die zum linken Flügel der NSDAP gehörten, ein Interview über Wirtschaftsfragen. - Auch nach Thompsons Ausweisung hielt die enge und vertrauensvolle Freundschaft, die sich inzwischen entwickelt hatte, an. Man schrieb sich, traf sich an neutralen Orten, tauschte sich über die politische Entwicklung in Deutschland aus. Sprecher 2 Aus den 40er Jahren findet sich in Moltkes ?Briefe(n) an Freya?, an seine Frau, nur eine einzige, ungewöhnlich knappe Erwähnung: Sprecher 6 7. September 1941: Dorothy Thompson ist wieder zurück nach USA geflogen. Sprecher 2 Die Thompson war im Juli 41, mit einem Zwischenstopp ?im neutralen Portugal?, nach London gekommen. Hatte Winston Churchill und Anthony Eden getroffen, war zum Tee im Buckingham Palast, und war, wie ihr Biograph Peter Kurth in ?The American Cassandra? weiß, ?fast jeden Tag in BBC auf Sendung?. - Im August flog sie wieder zurück in die USA. Sprecher 1: Für ein Treffen mit Moltke, wofür die Erwähnung im ?Brief an Freya? ein Indiz sein könnte, gibt es keine konkreten Anhaltspunkte. Zwar hat sich Moltke im Juli 1941 in der Schweiz aufgehalten. Wenn er dabei aber Dorothy Thompson getroffen haben sollte, war es sicher nicht ratsam, das zu Papier zu bringen. Sprecher 2 Nach dem Krieg, 1946, in einem Artikel für das ?Life magazine?, ?The Germans Who Defied Hitler? - ?Deutsche, die Hitler bekämpften?, gab Dorothy Thompson dann preis, an wen ihre Radiosendungen gerichtet waren: Sprecherin 5 ?Der ?Hans?, zu dem ich im Rundfunk von den Vereinigten Staaten aus... in den ersten acht Monaten nach unserem Eintritt in den Krieg sprach, war einer meiner teuersten Freunde aus den Vor-Hitlerjahren, Graf Helmuth von Moltke?. Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Hinter der Front Sprecher 1 Helmuth James Graf von Moltke, Anwalt in Berlin seit 1935, war ein Gegner des Naziregimes von Anfang an. Er hatte die Absicht, sich in London niederzulassen und absolvierte eine Ausbildung als britischer Rechtsanwalt. - 1939, im Zuge der Mobilmachung, ?büroverwendungsfähig aber nicht kriegsdiensttauglich? geschrieben, wurde der 32-Jährige als Sachverständiger für Kriegs- und Völkerrecht im Amt Ausland / Abwehr zum Dienst verpflichtet. Sprecher 2: Das Amt ?Ausland / Abwehr? war ein militärischer ?Nachrichten- und Erkundungsdienst? beim Oberkommando der Wehrmacht. In Friedenszeiten ein Instrument der Friedenssicherung, der ?Abwehr? eines Krieges, war die ?Abwehr? in Kriegszeiten ein Instrument der Kriegsführung. Dem Krieg hinter der Front. Im eigenen Land und im feindlichen. Sprecher 1 Gedeckt vom Chef der ?Abwehr?, Wilhelm Canaris, versuchte Moltke im Rahmen seiner Arbeit das ?Schlimmste? zu verhindern. Im Juni 1941 noch davon überzeugt, dem ?Triumph des Bösen? Einhalt gebieten zu können, beklagte er bereits in einem ?Brief an Freya? vom 21. Oktober ?die mangelhaften Reaktionen der Militärs?: Sprecher 6 ?Neue, schreckliche Befehle werden gegeben und niemand scheint etwas dabei zu finden... In Serbien sind zwei Dörfer eingeäschert worden, 1.700 Männer und 240 Frauen sind hingerichtet. Das ist die ?Strafe? für den Überfall auf drei deutsche Soldaten... In Frankreich finden umfangreiche Erschießungen statt... - Darf ich denn das erfahren und trotzdem in meiner geheizten Wohnung sitzen und Tee trinken? Mach? ich mich dadurch nicht mitschuldig? Was sage ich, wenn man mich fragt: Und was hast du während dieser Zeit getan?? Sprecher 1 Moltke, der die grausamen Aktionen der ?Militärtechniker? ein ?gigantisches Verbrechen? nennt, befindet sich längst in einem fundamentalen Gewissenskonflikt. Sprecher 2 Als Dorothy Thompsons erste ?Hör zu, Hans?-Sendungen nach Deutschland gefunkt wurden, bereitete Moltke eine Dienstreise nach Skandinavien vor. Der Anlass waren wachsende Spannungen zwischen der Besatzungsmacht und der norwegischen Kirche. Der Bischof von Oslo, Eivind Berggrav, die ?Seele des norwegischen kirchlichen Widerstands?, wurde verhaftet. Moltke - er wurde bei dieser Reise von Dietrich Bonhoeffer begleitet - erwirkte mit dem Argument, dass ein ?scharfes Vorgehen gegen die Kirche nicht den ?Wehrmachtinteressen? diene?, Berggravs Freilassung. Sprecher 1 Moltke muss dabei zwischen seiner offiziellen Funktion als Mann der Abwehr und seiner getarnten als Mann des Widerstands agieren. Sprecher 6 ?Montagmittag aß ich mit dem Leiter der Abwehrstell,? Sprecher 2 also dienstlich, Sprecher 6 ?Montagabend mit Steltzer.? Sprecher 2 Theodor Steltzer, Oberstleutnant im Generalstab des Wehrmachtsbefehlshabers Norwegen ist der Verbindungsmann zwischen dem deutschen und dem norwegischen Widerstand - ein Mitglied des Kreisauer Kreises. Sprecher 6 ?Dienstagmittag [aß ich] mit von Falkenhorst.? Sprecher 2 Generaloberst Nikolaus von Falkenhorst, Oberbefehlshaber in Norwegen. Sympathisiert mit dem Widerstand. Sprecher 6 ?Dienstagabend mit Steltzer, Mittwochmittag aß ich mit Falkenhorst, und Mittwochabend aß ich gar nicht, weil ich mich zu elend fühlte...?. Sprecher 1: Den anschließenden Aufenthalt in Stockholm nutzten Moltke und Bonhoeffer zu Kontakten mit den Alliierten. Sprecher 6 ?Sachlich habe ich den Eindruck eines Erfolges [der Reise], sowohl hinsichtlich des offenen wie des verdeckten Teiles?. Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Ich komme von Hans Sprecher 1 Weiß Moltke von Dorothy Thompsons Radiosendungen? Sprecher 2 Freya von Moltke, in einem Brief an Dorothy Thompson, Dezember 1946: ?Helmuth wusste nichts davon? und sie selbst habe nach dem Krieg nur davon gehört. Peter Kurth, Thompsons Biograph, der mit Freya von Moltke im Dezember 1985 ein Interview führte, bestätigt diese Aussage. Sprecher 1 Wie aber lässt sich dann erklären, dass Dorothy Thompson in ihren Radiosendungen wiederholt erwähnt, von Moltke Nachrichten erhalten zu haben? Sprecher 2 Bereits am 3. April 1942, und wieder am 17., spricht sie von einem Brief von Moltke. Am 24. April richtet Dorothy Thompson ihre Worte zuerst an ?die deutschen Hörer?. Sie hätten ihr geholfen, von ?Hans? eine Nachricht zu bekommen, wofür sie sich ?aus ganzem Herzen? bedanken möchte. Am 15. Mai spricht sie von einer Frau, die sie besuchen kam und einfach gesagt habe, ?ich komme von Hans?. -?Dieses Treffen entspricht den Tatsachen. Das gilt auch für alle anderen in diesen Sendungen gemachten Angaben? - so der Text einer Fußnote in ?Listen, Hans?, der US-amerikanischen Buchausgabe, 1942, der ?Hör zu, Hans?-Reden. Sprecher 1 Es muss demnach davon ausgegangen werden, dass Moltke von den Sendungen wusste, aus Sicherheitsgründen aber mit keinem Menschen darüber gesprochen hat, auch nicht mit seiner Frau Freya. Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Eine törichte Botschaft Sprecher 1 Nach der Nachricht, die sie dank der Hilfe der deutschen Hörer, erhalten habe, könne sie jetzt, ?wissend, dass du mich hörst?, sagt Dorothy Thompson, mit ihm reden. Seine ?Botschaft?, die er ihr zukommen ließ, laute ?Mit oder ohne Hitler, wir wollen Frieden?. Sprecherin 5 ?Du willst Frieden, Hans; die Deutschen wollen Frieden; und glaub mir, Hitler will Frieden. - Und wir wollen Frieden. Wir wollen Frieden mit dem deutschen Volk - und mit dir, Hans. Mit Leuten wie dir. Deine Bemerkung ?mit oder ohne Hitler? bezeugt aber, dass du die Frage über den Frieden nicht gründlich genug durchdacht hast. Weil ein Frieden mit Hitler für uns kein Frieden sein kann, und wir wissen, es würde auch kein Frieden für das deutsche Volk sein. Wir wollen ?wirklichen Frieden?. Deine Botschaft ?mit oder ohne Hitler? ist daher eine törichte Botschaft. Sag ?ohne Hitler?. Dann können wir darüber reden...?. Sprecher 1 Die Sendung vom 24. April! - Dorothy Thompson spricht das immer wiederkehrende, zentrale Thema ihrer Reden an. Und damit auch den zentralen Dissens. Bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung in der Frage ihres Kampfes gegen das Hitler-Regime sind Dorothy Thompson und Helmut von Moltke über den politisch notwendigen Weg unterschiedlicher Meinung. Thompson schließt einen Frieden mit Hitler aus, Moltke hingegen, er hofft auf einen Staatsstreich der Generäle, kann Gewaltanwendung nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Nicht als Christ und nicht als Jurist. Sprecher 6 ?Wir sind gegen das Dritte Reich, weil es ein System des Unrechts ist, und man darf etwas Neues, eine Erneuerung, nicht mit einem neuen Unrecht anfangen. Mord aber bleibt Unrecht?. Sprecher 2 Im März 1943 wird Moltke erklären, ?wenn seine Unterstützung bei Hitlers Ermordung unbedingt erforderlich sei, würde er sich dieser Pflicht nicht entziehen.? Sprecher 1: Die Reichstagsrede vom 26. April 1942, bei der sich Hitler in Exekutive, Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit unbegrenzte Vollmachten geben lässt, greift Dorothy Thompson jetzt auf, um Moltke, den Juristen Moltke, an die Geschichte des Müllers von Sanssouci zu erinnern. Hitler sei ?jetzt dabei, den deutschen Staat zu stürzen?, sagt sie, ?Nicht wir, Hans. Er.?: Sprecherin 5 ?Erinnerst du dich noch, wie du mir deutsche Schulbücher zum Lesen gabst, als ich eure Sprache erlernte? Das ist lange her. Aber eine Geschichte daraus habe ich nicht vergessen - die Geschichte des Müllers von Sanssouci, dem Friedrich der Große von Preußen seine Mühle wegnehmen wollte. Jedes deutsche Kind weiß, was der Müller dem König antwortete: ?Es gibt noch ein Oberstes Gericht in Berlin.? Sprecher 3 ?Der olle Fritz! Naja, auf da Flöte war er ja janz jut.? Sprecherin 5 ?Gibt es noch ein Oberstes Gericht, Hans? Kann der einfache Bürger noch Klage gegen seinen König vorbringen oder gegen seinen Führer?? Sprecher 3 ?Nee, kann er nich.? Sprecherin 5 ?... Es ist klar. Das Gericht, wo alles dies entschieden wird, heißt Gestapo... Hitler hat sich vom Reichstag ein Mandat schenken lassen, das aus der Bartholomäusnacht eine legale Einrichtung macht...? Sprecher 1 Eine Woche später kommt sie noch einmal darauf zurück: Sprecherin 5 ?Zittere für Deutschland, Hans ...Bist du nicht in der Lage, dich selbst zu befreien? Gibt es keinen mehr in Deutschland, der ein Mann ist? Nur diesen glasäugigen Eunuchen, den ihr euren Führer nennt?? Sprecher 1 Der Völkerrechtsexperte Moltke kann als Mann der ?Abwehr? nur ?anderen Argumente liefern, die diese zum Handeln treiben?: auf geltendes Kriegsrecht hinweisen, auf völkerrechtliche Schranken, auf das Haager Abkommen. - Die ?Anderen?, das ist in der Regel der Wehrmachtführungsstab. Für Moltke: eine Mördergrube von führerhörigen Generälen und Offizieren des OKW?. Sprecher 2 Erfolgserlebnisse sind da selten. Moltkes Hilfsaktion für den Bischof von Oslo wurde schon erwähnt. - In der Frage des Arbeitseinsatzes holländischer Kriegsgefangener, die nach dem Genfer Abkommen nicht in der Rüstungsindustrie beschäftigt werden dürfen, kann Moltke einen Aufschub erreichen. Und im Kampf gegen die neue Judenverordnung, dernach ?Juden und andere durch Einsatzkommandos zur Exekution ?ausgesondert? werden? sollen, bewirkt er, dass ?eine vom Chef OKW erteilte Zustimmung? rückgängig gemacht wird: Sprecher 6 ?Dabei ist es mir tatsächlich gelungen, dem Rad der Judenverfolgung zumindest hemmend ein wenig in die Speichen zu fahren. Wie selten habe ich Gelegenheit es zu tun...?. Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Mehr als ethische Prinzipien Sprecher 1 Helmuth von Moltke fühlt sich einer doppelten Loyalität verpflichtet. In einem Brief an Lionel Curtis, seinem väterlichen Freund und Mentor in London, schreibt er: Sprecher 6 ?Der Grad der Gefährdung und Opferbereitschaft, der heute von uns verlangt wird, setzt mehr als gute ethische Prinzipien voraus?. Sprecher 2 ?Mehr als ethische Prinzipien, das heißt Gläubigkeit?, weiß der Historiker Klemens von Klemperer. Sprecher 1 Von ihr war Moltke durchdrungen. Aus seinem Glauben bezog der bibelfeste Protestant Moltke die seelische Kraft für sein Tun und Handeln. Aber seine Gläubigkeit hinderte ihn auch daran, einem ?Tyrannenmord? zustimmen zu können. ? Der?heikelsten und wichtigsten Frage, die die Männer des deutschen Widerstands im Lichte ihres Glaubens prüften?, wieder von Klemperer. - Im April 1943 formulierte Moltke, nachdem er noch den Rat von Eivind Berggrav eingeholt hatte, in einem weiteren Schreiben an Curtis seine grundsätzliche Position zur anstehenden Frage eines Attentats auf Hitler. Sprecher 6 ?Politisch gesehen gilt für Diktaturen oder Tyranneien dasselbe Gesetz wie für Demokratien: Man kann eine Regierung nur beseitigen, wenn man eine andere Regierung anzubieten hat. Demnach kann mit der Zerstörung des Dritten Reiches erst begonnen werden, wenn man zumindest imstande ist, eine Alternative vorzuschlagen.? Sprecher 2 1945, von Freisler dessen angeklagt, sich seine ?Befehle? bei den ?Hütern des Jenseits? zu holen, schrieb Moltke an Freya - ?glücklich über diese Erklärung der Unvereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus? - er sei ?nur als Christ und als gar nichts anderes? verurteilt worden. Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Die eigentliche Frage Sprecher 1 Bereits Ende der 30er Jahre begann Moltke auf eine ?Alternative? zur Nazidiktatur hinzuarbeiten. Zusammen mit Peter Graf York von Wartenburg sammelte er Männer gleicher Gesinnung um sich. Die vielleicht bedeutendste Widerstandsgruppe im Dritten Reich, der ?Kreisauer Kreis?, bildete sich heraus. Benannt nach dem Landgut der Moltkes in Kreisau, heute Krzyzowa. Dem Ort ihrer geheimen Zusammenkünfte. Sprecher 2 Es waren Männer aus dem Staatsdienst, der Arbeiterschaft, den Kirchen. Im Kern etwa 20 Personen. Sein ?Motor?, so ihr Chronist Ger van Roon, ?ist der spartanische, etwas kühl und überlegen wirkende Helmuth von Moltke?. - Treffend nennen ihn die Autoren seiner Biographie - Freya von Moltke, Michael Balfour und Julian Frisby: ?Anwalt der Zukunft? Sprecher 6 ?Für uns ist Europa nach dem Kriege weniger ein Problem von Grenzen und Soldaten... Die eigentliche Frage, vor die Europa nach dem Krieg gestellt sein wird, ist die, wie das Bild des Menschen im Herzen unserer Mitbürger wiederhergestellt werden kann...?. Sprecher 2 Die wichtigsten Programmpunkte: ?Antinationalsozialismus als Voraussetzung; politischer Widerstand als Aufgabenbereich; Menschenrechte als Sofortziel: Gewissensfreiheit, Rechts-Sicherheit, Existenzminimum, Recht auf Arbeit und Eigentum; Neuordnung der Gesellschaft als Dauerziel; Europa als internationaler Bezugsrahmen.? Sprecher 1 In seinem Abschiedsbrief vom 11. Dezember 1944 erklärte Moltke für sich selbst das ethische Fundament der Kreisauer: Sprecher 6: Der Kampf ?gegen einen Geist der Enge und der Unfreiheit, der Überheblichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor anderen, der Intoleranz und des Absoluten...? Sprecher 2 Ziel der Kreisauer ist der gewaltsame Umsturz. Die ?irrige Auffassung?, sie ?seien vor der letzten Konsequenz zurückgeschreckt?, ist - so Ger van Roon - ?seit langem widerlegt. Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Es ist spät Sprecher 1 Von alledem konnte Dorothy Thompson zu diesem Zeitpunkt nichts wissen. Und in Moltkes Briefen, seinen ?Botschaften?, wie sie sie nannte, konnte nichts, durfte nichts davon stehen. - Sie habe den Eindruck sagte sie, sein ?Problem? sei eigentlich nur, ?wie diesen Krieg weiterführen??. - Aber, ?es ist spät, Hans, später als du denkst!? - Nahezu jede ihrer Reden endete mit einem solchen Memento. Sprecherin 5 ?Was willst du, Hans? Willst du Hitlers Traum von einer Herrenrasse und einer Weltherrschaft? ... Der einzige Weg, zu einem Frieden zu kommen, ist, wenn Leute wie du in Deutschland die Macht übernehmen...?. Sprecher 3 ?Nee, woll?n wir nich. Herrenrasse und so. Sind dem Hitler seene Träume! - Muss er schon allene guckn, wat er ?mit macht.? O-Ton DRA: ?Hier spricht die Stimme aus Amerika. Die Vereinigten Staaten von Amerika rufen Europa?: ?...Auf dem Umweg über neutrale Länder haben wir kürzlich eindrucksvolle Berichte aus dem Innern des Dritten Reiches bekommen. Sie haben uns von neuem bestätigt, dass das deutsche Volk nicht nur aus Naziverbrechern und nicht nur aus verblendeten Gefolgsleuten Hitlers besteht. Wir haben von neuem erfahren, dass es zahllose Deutsche gibt, die vor den Verbrechen Hitlers und seiner Komplizen den gleichen Abscheu empfinden wie wir - wie alle, die noch ein Gefühl für Recht und Menschlichkeit haben. Wir haben von neuem gehört, dass zahlreiche Deutsche, gleich uns, alle Opfer, die Hitler den deutschen Soldaten aufzwingt, für sinnlos und wahnsinnig halten, weil nichts mehr die sichere Niederlage des Naziregimes aufhalten kann... Sicher, auch in Deutschland selbst gibt es zahllose Männer und Frauen, die das Hitlerregime als ein Schmach für die deutsche Geschichte betrachten. Sicher, zahlreiche Deutsche wünschen einen klaren Trennungsstrich zwischen dem deutschen Volk und der Bande der Naziverbrecher zu ziehen. Auf diese Deutschen bezieht sich ein Leitartikel, den heute die ?New York Times? veröffentlicht hat. ?Niemand, der Deutschland kennt?, so heißt es in diesem Artikel, ?kann daran zweifeln, daß es ein anderes Deutschland gibt.?...?. Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.1 Sprecher 3 ?N?paar von dene Jeneräle solln ja jetzt ooch schon bei det ?andere Deutschland? drinne sein. - Wat man so hört, nich. - Wat müss?n se denn auch noch zu dene Russn! - Hat sich unser großer Feldherr so in?n Kopf jesetzt, nich, n?kleener Jefreiter iss?a jewesen! - Na, ob dat noch mal jut jeht!? Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Gegen den Hitlerismus Sprecher 1 Dorothy Thompson hatte in diesen Jahren ein enormes Arbeitspensum zu bewältigen. Die ?einflussreichste politische Journalistin Amerikas?, so Carl Zuckmayer, bestritt dreimal wöchentlich eine Kolumne in der ?New York Herald Tribune?. Unter dem Titel ?On the Record? - zu Protokoll gegeben - schrieb sie über Gott und die Welt, und vor allem ?gegen den Hitlerismus?. Neben der ?Hör zu, Hans?-Sendung gab sie für deutsche Hörer auch noch einen ?Politischen Wochenüberblick?. Sie setzte sich für eine Änderung der US-amerikanischen Einwanderungspolitik ein, half Emigranten wie Alfred Döblin, Ernst Toller, Hanns Eisler, Bertolt Brecht. - Sprecher 2: Fritz Kortner in seiner Autobiographie: Sprecher 4 ?Dadurch, dass Sinclair Lewis und die prominente Journalistin Dorothy Thompson, damals ein Ehepaar, mich in ihren illustren Kreis aufnahmen, war ich, ehe ich mich in den Straßen New Yorks auch nur halbwegs zurechtfand, an einen politischen und intellektuellen Verkehrsknotenpunkt gelangt?. Sprecher 2 Carl Zuckmayer: Sprecher 4: ?Mitten auf hoher See erhielten wir ein Kabel von unserer Freundin Dorothy Thompson aus New York, die für eines der beiden ?Affidavits? gebürgt hatte: ?Erwarte Euch als Gäste in meiner Wohnung, 88 Central Park West...??. Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Hans, nütze deinen Einfluss Sprecher 1 In den nun folgenden Sendungen konfrontiert Dorothy Thompson ?Hans? immer wieder mit Fragen, Fakten und Appellen zur Lage Deutschlands: Sprecherin 5 ?Diese Woche haben wir wieder Truppen nach Nordirland verlegt. Wozu, glaubst du, dass sie dort stationiert werden? Gott weiß, Hans, ich hab es dir gesagt. Ich habe versucht, dich vor der Bombardierung von Köln und Essen zu warnen. Ich konnte dir nicht Ort, Tag und Stunde nennen. Wie ich dir von Anfang an gesagt habe, ist es mir nicht erlaubt, militärische Geheimnisse zu verraten.? Sprecher 1 Sie prangert das Massaker von ?Lidice? an, wo ?jeder Mann in diesem Dorf ermordet wurde, und jede Frau und jedes Kind deportiert?. Niemand wisse wirklich, wer den Anschlag auf Heydrich verübt habe. Und sie sei sich dessen sicher, dass es eine Abrechnung innerhalb der Gestapo gewesen sei, ein ?Inside-Job?, wie sie sagt, eine Aktion von Himmler; Sprecherin 5 ?Ich bitte dich, Hans, nütze deinen Einfluss, dass solche Aktionen nicht mehr vorkommen.? Sprecher 1 Sie spricht den japanischen Überfall auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor an, der 7. Dezember 1941, der mit dem Beginn der sowjetischen Gegenoffensive bei Moskau zusammenfiel, Sprecherin 5 ?das war der absolute Wendepunkt im deutschen Krieg an der Ostfront?; Sprecher 1 Sie zitiert Churchill, 1942: Sprecherin 5 ?Es gibt die Möglichkeit für einen Sieg in 1942, eine Wahrscheinlichkeit in 1943 und eine Sicherheit in 1944?; Sprecher 1 Sie fragt ?Hans?, Sprecherin 5 ?Müssen sich die Deutschen nicht fragen, ?warum haben wir fremde Länder überfallen? Was tun wir eigentlich in den Steppen von Russland, was wollen wir in den Wüsten Nordafrikas? In Norwegen, in Holland, in Belgien?? Sprecher 1 Sie beklagt die Deportationen von Juden und Ausländern aus dem besetzten Frankreich. Sprecherin 5 ?Kann ich sagen, ich kenne einen Mann in Deutschland, der das nicht gutheißt? Und was sage ich, wenn ich gefragt werde, was er dagegen tut?? Sprecher 3 ?Und icke? Wat kann ick n?sagen? - Wenn det allet stimmt, Mann, wat die Thompson da erzählt..., dann - ja wat?n dann, Friedrich? - Naja, dann komm ick schon jans schön ins Grübeln, nich. So jet dat ja och nich. Dat kann man ja nich, naja, wie soll ick sagen, det kann man ja nich...? Musik: Shostakovich: Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Vom Duft in der Luft Sprecher 1 14. August 1942: Dorothy Thompson berichtet ?Hans?, dass sie gerade einen Brief von ihm erhalten habe. Das Bild, das er darin von Europa schildere, sei aber ?so erschreckend, dass es einem das Herz brechen könne?: Sprecherin 5 ?Du sagst, ?Europa ist so stark am Verbluten, dass selbst neue Infusionen es nicht mehr retten können?. Und du sagst ?eine Weile kann es noch gut gehen, aber nicht mehr so lange, wie Amerika glaubt.? Sprecher 1 Dorothy Thompson legt seine Worte als ?Verzweiflung? aus, ?die daher komme, dass er nichts unternehme?. Moltke aber, der sich über die Entwicklung des Krieges keine Illusionen macht, will mit seiner Bemerkung, ?eine Weile kann es noch gut gehen, aber nicht so lange wie Amerika glaubt?, nur seinen wiederholten Versuchen, mit den Alliierten über einen Waffenstillstand ins Gespräch zu kommen, Nachdruck verleihen. Sprecher 2 Die Forderung nach ?bedingungsloser Kapitulation? Deutschlands werden Churchill und Roosevelt am 24. Januar 1943 verkünden. Sprecher 1 Noch voller Zuversicht in künftige Verhandlungen mit den Alliierten, bereitete Moltke im Sommer 1942 eine Kreisauer Kreis-Tagung für den Oktober vor und schrieb seiner Frau: Sprecher 6 ?Berlin, den 1.7.42: ...um 11 Uhr 30 hatte ich eine Sitzung, um 1 eine kurze Besprechung in der Derfflingerstraße - um 3 eine im Amt, dazwischen habe ich gekocht: Gemüsesuppe aus nichts, Taube mit Graupen. Um 5 bekam ich eine ganz eilige Sache, dienstlich, um 5 Uhr 30 kamen Peter ? [Peter York] - und Friedrich - [Deckname von Carlo Mierendorff] - in die Derfflingerstraße... Um 7 Uhr 15 ging Peter, ...dann haben Friedrich und ich weiter geredet bis 10 Uhr 30... die Frage der Wiedergutmachung an Arbeitern, Juden Polen etc. lange angesprochen...? ?Berlin, den 10. Juli 42: ...um 8 ging ich dann zu Einsiedel ? [Horst von Einsiedel] - ...Wir haben bis um 12 geredet und, glaube ich, klare Fortschritte erzielt...? ?Berlin, den 15.7.42: ...der Abend mit dem Onkel - [Deckname von Wilhelm Leuschner] - dauerte wieder bis 12 Uhr nachts, brachte aber ganz erhebliche Fortschritte...? ?Berlin, den 3.8.42: ...um 7 Uhr 45 trafen Friederich und ich uns am Olivaer Platz, um zusammen zu Trott - [Adam Trott zu Solz] ? zu radeln...Es war ein wenig schwül, dafür hing in der Luft der Duft von den noch blühenden Sommerlinden. Um 8 waren wir wieder draußen, hatten eine m. E. sehr befriedigende Unterhaltung und um 12 fuhren wir wieder ab...?. Musik: Shostakovich Jazz Suite No.2 Sprecher 4 Das Bild des Menschen Sprecher 1 Ihre letzte ?Hör zu, Hans'-Sendung - 4. September 1942 - beginnt Dorothy Thompson mit den Worten ?Lieber Hans, in dieser Woche beginnt das vierte Jahr von Hitlers Krieg?. Sie erinnert an seine ?Ursprünge? - die von den Westmächten gemachten ?Konzessionen im Interesse des Friedens?, den Überfall auf Polen. Sprecherin 5 ?Erst am dritten September, als die deutsche Wehrmacht alles vor sich niederwalzte, kamen die beiden westlichen Mächte ihren Verpflichtungen nach und erklärten ihrerseits den Krieg.? Sprecher 1 Und sie kommt auf Hitlers Rede vom 31. August 1942 zu sprechen, in der er nun Friedensfühler ausstreckt: Sprecherin 5 ?Die britischen und amerikanischen ?Agenten?, wie uns Herr Hitler in seiner Rede bezeichnet, haben in der Tat die Absicht, ein neues und besseres Weltsystem zu schaffen, und wir laden zur Mitarbeit daran alle Männer und Frauen ein, gleich, ob sie unsere Verbündeten sind oder unsere offiziellen Gegner. Wir schließen die Mitglieder der Nazipartei davon aus, weil wir das neue und bessere Weltsystem, das sie schaffen wollen, kennengelernt haben und darauf pfeifen.? Sprecher 1 Wie schrieb Moltke an seinen Freund Curtis? - Sprecher 6 ?Die eigentliche Frage, vor die Europa nach dem Krieg gestellt sein wird, ist die, wie das Bild des Menschen im Herzen unserer Mitbürger wiederhergestellt werden kann?? - Sprecher 1 Die Antwort auf diese Frage hat Moltke selbst gegeben - unter Einsatz seines Lebens. Mit seinem unermüdlichen Kampf gegen das Terrorsystem der Nazis, mit seinem Zeugnis für Toleranz und Freiheit, mit der Erarbeitung von Konzepten für ein Europa der Regionen in einem ?neuen und besseren Weltsystem?. Musik: Shostakovich, Jazz Suite No.2 Absage Vom langen Gespräch auf kurzer Welle Dorothy Thompson und Helmuth James Graf von Moltke Ein Feature von Alfred Jungraithmayr Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks. Es sprachen: Hartmut Stanke, Karl-Heinz Tafel, Edda Fischer, Axel Gottschick, Hans Bayer und Hüseyin Cirpici Die Originaltöne von Dorothy Thompson sind heute nicht mehr auffindbar. Ton und Technik: Karl-Heinz Stevens und Dagmar Schondey Regie: Peter Behrendsen Redaktion: Karin Beindorff Musik Shostakovich, Jazz Suite No.2 28