Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 23. August 2010, 19.30 Uhr Dienstmaserati und Traumrendite Vom neuen Profitstreben in der Sozialarbeit Eine Sendung von Peter Kessen Spr. vom Dienst Dienstmaserati und Traumrendite - Vom neuen Profitstreben in der Sozialarbeit Eine Sendung Peter Kessen Musik Soundtrack "Der Pate": Eröffnungshymne Sprecher Die Mafia, sie hat sich verwandelt. Nicht mehr Massaker und Attentate bestimmen die Schlagzeilen, die kriminellen Netzwerke betreiben ihre Geschäfte wie ein Unternehmen, ruhiger und effizienter. Schon im Hollywood Klassiker "Der Pate, dritter Teil", aus dem Jahr 1990, will der Mafiosi Michel Corleone sich in einen normalen Geschäftsmann verwandeln. In einer Szene treffen sich die Mafiosi, ein Auto definiert wie ein Faustschlag das Milieu: Sprecherin Ein Maserati Quattroporte Atmo Maserati Sound Sprecher Der Maserati Quattroporte, seit der Premiere im Jahr 1963 eine Legende, eine automobile Sinfonie aus Eleganz, Exklusivität und brutaler Kraft, heute ein Klassiker in der fünften Generation. Sprecherin Am Lenkrad saßen Leonid Breschnew und Anthony Quinn ... Sprecher Die Popkultur Hollywoods nutzt den Maserati Quattroporte, vom Boxererpos Rocky bis zur Gangsterkomödie Ocean's 13, als ein schweres Zeichen ... Sprecherin ... für die fast pornographische Demonstration von Reichtum, Aggressivität und Elitebewusstsein. Sprecher Auch Silvio Berlusconi fährt ihn, als Staatslimousine. Sprecherin Prominentester Maserati Fahrer Deutschlands im Jahr 2010: Sprecher Hans Harald Ehlert, geboren 1962, Sozialdemokrat, ehemaliges Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, Diplom Sozialpädagoge ... Sprecherin ... und ehemaliger Geschäftsführer der Berliner Treberhilfe. Das Sozialunternehmen mit Sitz in Berlin, beschäftigt rund 280 Mitarbeiter und betreut rund 3000 Hilfsbedürftige, zumeist Obdachlose. Sprecher Im Juni 2009 war Ehlert in seinem Maserati geblitzt worden. Als die Behörden Ehlert verpflichten wollen ein Fahrtenbuch zu führen, geht der Geblitzte vor Gericht. Sprecherin So wird die Presse aufmerksam, der Skandal um den Obdachlosenhelfer im Maserati beginnt, Vorwürfe tauchen auf: Sprecher Ein Jahresgehalt von rund 300.000 Euro, eine gemeinnützige, aber auch privat günstig genutzte Villa am Schwielowsee. Atmo Sound Maserati kurz Sprecher Angefangen hatte die Treberhilfe 1988, mit ehrenamtlichen Helfern und einem Laden in Berlin-Schöneberg. Heute erreicht das mit Staatsgeldern geförderte Sozialunternehmen einen Umsatz von 12 Millionen und einen Gewinn von rund 1,2 Millionen Euro. Die sogenannte Umsatzrentabilität, das Verhältnis vom Gesamtumsatz zum Gewinn, liegt bei rund zehn Prozent. Sprecherin Die durchschnittliche Umsatzrendite in der deutschen Wirtschaft betrug in den letzten Jahren knapp vier Prozent. Musik James Last "La Primavera" / LP Viva Vivaldi Sprecher Die gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die gGmbH, wird aufgrund ihrer gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Orientierung grundsätzlich von der Körperschaftssteuer und der Gewerbesteuer befreit. Unter besonderen Bedingungen entfällt bzw. verringert sich auch die Umsatzsteuer. Mögliche Gewinne müssen wieder gemeinnützigen Zielen dienen. Die Gemeinnützigkeit muss das Unternehmen selbstlos, ausschließlich und unmittelbar verfolgen. O-Ton Thyroke Es ist auch kein Einzelfall, was bei der Treberhilfe passiert ist. Sprecher Stefan Thyroke von der Gewerkschaft Verdi. O-Ton: Thyroke Von daher war es mal an der Zeit, dass da mal die Reißleine gezogen wird. Exemplarisch und kennzeichnend ist er auf jeden Fall auch für andere Betriebe. Aber er ist natürlich auch von der Qualität, was da an Missbrauch tatsächlich betrieben worden ist, mit Sicherheit die Spitze des Eisberges. Sprecher Am 12. Februar 2010 gehört Harald Ehlert zu den Mitorganisatoren einer Fachtagung im Rathaus Schöneberg in Berlin. Titel: Sprecherin Social Profit. Sozial und Wirtschaftlich. Wirksam. Sprecher Mitveranstalter neben Ehlert: Die Diakonie Berlin. Die Arbeiterwohlfahrt Berlin. Die Unternehmensberatung Kienbaum. Sprecherin Niemand weiß, wie viele gGmbH's es in der Bundesrepublik gibt, in welchen Bereichen sie arbeiten, welche Gewinne sie erzielen und welche Arbeitsverhältnisse dort herrschen. Die Sozialverbände ziehen keine Bilanz. Nur eines ist sicher: Sozialarbeit findet heute fast immer in einer gemeinnützigen GmbH statt. Rund zweieinhalb Millionen Menschen arbeiten im Sozialsektor. Sprecher Norbert Wohlfahrt, Professor für Sozial Management an der Westfälischen Fachhochschule in Bochum, sieht seit den späten 80er-Jahren eine Wende in der Sozialarbeit: Seitdem reduziert der Staat sein Engagement. Wohlfahrtsverbände und Private sollen um Aufträge konkurrieren - und die staatlichen Kosten senken. O-Ton Wohlfahrt Und dabei spielen dann alle Formen sozusagen alle Formen der sozialwirtschaftlichen Reorganisation eine große Rolle: Die gGmbHisierung, die Bildung von Personen- Service-Gesellschaften, von Leiharbeitsgesellschaften, die Deregulierung des tariflichen Gesamtgefüges im sozialen Dienstleistungsbereich usw. Man muss sich das wirklich vorstellen, dass hier unternehmerisches Denken die gesamte Branche ergriffen hat und dann auch mit Verve von den Dienstleistungsträgern im Sektor umgesetzt wird. Sprecher Der Staat gibt pro Jahr rund 750 Milliarden Euro für Soziales aus. Seit Anfang der 90er-Jahre erstatten Bund und Kommunen nicht mehr die realen Kosten, stattdessen fließen Pauschalbeträge, die die Unternehmen recht frei verwenden dürfen. Unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit gehören heute befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeitarbeit und untertarifliche Bezahlung zum Alltag. Zudem können die Unternehmen die finanziellen Vorteile der Gemeinnützigkeit nutzen. Musik Xavier Naido: "Alles kann besser werden" Sprecherin Erstes Beispiel: Die Schattenwirtschaft und der Kampf gegen Betriebsräte O-Ton Thyroke Independent Living ist die zweite Spitze des Eisbergs sozusagen. Genau da geht es wirklich auch in den Bereich, dass es strafbar wird. Sprecherin Stefan Thyroke vom Landesverband Verdi Berlin. Sprecher Der Trägerverbund Independent Living, aktiv in der Jugendhilfe, betreibt 12 gemeinnützige Einrichtungen in Berlin, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. O-Ton Thyroke Wir haben versucht Betriebsräte zu wählen, haben das auch in Teilen erfolgreich geschafft. Das wurde dann angegangen vom Arbeitgeber. Sprecherin Hauptkritikpunkt des Betriebsrates waren die sogenannten "Plus x Verträge". Dabei erhalten die Beschäftigten nur die Sicherheit über ein Basisgehalt mit Minimalstundenzahl, weit verbreitet sind 20 Stunden plus X. Zwei ehemalige Mitglieder des Betriebsrates möchten sich nur anonym äußern: O-Ton ehemaliger Betriebsrat Wir wussten eigentlich am Anfang des Monats nicht, was wir am Ende des Monats verdienen. Das hing ab von der Auslastung, nach der Arbeit, die uns zugewiesen wurde und je mehr Arbeit uns zugewiesen wurde, desto mehr konnten oder mussten wir arbeiten. Und wenn, je nach Betriebslage oder Nase des Mitarbeiters, weniger Arbeit zugewiesen wurde, verdienten manche Leute auch nur, bei X-Verträgen ... . Das Minimum war bei einem Kollegen 500 Euro im Monat. Sprecher Die Geschäftsführung ging gegen Mitglieder des Betriebsrates vor, mit Abmahnungen und der plötzlichen Reduzierung der monatlichen Stundenzahl inklusive Einkommensverlust um fünfzig Prozent. Strafversetzungen gehörten auch zum Alltag: O-Ton ehemalige Betriebsrätin Nach der Betriebsratswahl wurde ich erst mal abgesetzt als Leitung, hab Abmahnungen kassiert, wurde bisher jetzt dreimal gekündigt, wurde nach Frankfurt/Oder versetzt, wo ich drei Monate gearbeitet hab. Und hab gegen die Kündigung auch mit Verdi geklagt, hab da gewonnen. Und wurde immer wieder versetzt und auch in das Büro in der Immanuelkirchstrasse. Und wurde dort meist auf einen Stuhl gesetzt, der im Flur stand. Und durfte dort Ordner kleben, was als Sozialpädagoge nicht die Hauptaufgabe sein sollte. Und saß dann meine acht Stunden dann auch dort ab. Sprecherin Vielleicht hatte die Geschäftsleitung auch Angst vor einem Betriebsrat, der sich mit den unübersichtlichen Geschäftsstrukturen des gemeinnützigen Unternehmens beschäftigt. Rund 40 verschiedene Einrichtungen und eine besondere Parallelstruktur sorgen nach Ansicht von Stefan Thyroke von Verdi für mangelnde Transparenz: O-Ton Thyroke Es gibt aber darüber hinaus auch die Kritik von uns, dass im Unternehmensverbund Independent Living ein zweiter Unternehmensverbund gegründet worden ist, UCR, über den offensichtlich die Sachkosten, die zur Finanzierung von Sozialarbeit dienen sollen, ins eigene Portemonnaie gewirtschaftet werden. Das kritisieren wir, weil dadurch natürlich die Gemeinnützigkeit in Frage gestellt worden ist. Damit auch gar keine Kontrolle über Geschäftsführergehälter gegeben ist, wenn sich die Geschäftsführer sich über eine zweite Unternehmensstruktur da noch mal zusätzliche Einnahmen sichern. Sprecher Die Geschäftsleitung verweigerte ein Interview zum Thema. Vorstandsvorsitzender des Trägerverbundes Independent Living ist Andreas Spohn, ein prominentes SPD- Mitglied in Frankfurt/Oder. Musik Xavier Naidoo: "Alles kann besser werden" Sprecherin Beispiel 2- Von den Kosten des Krankseins, der Solidarität und einem sehr selbständigen Betriebsratsvorsitzenden O-Ton Nodes Ich erzähl ihnen mal, wie wir diesen Fall über Halle überhaupt erfahren haben. Sprecher Wilfried Nodes vom Deutschen Berufsverband für Sozialarbeit. O-Ton Nodes Ein Mitglied in unserem Verband sprach mit einer Kollegin, die bei der Awo arbeitete, Fieber hatte und schwer geschnupft hatte. Und sie hatte gesagt: Ah, ich muss ja heut zur Arbeit gehen, weil sonst wird mir 60 Euro gestrichen. Man muss dabei auch sehen, von welchem Niveau wir sprechen bei der Bezahlung. Für jemand, der im unteren Bereich bei der Awo beschäftigt ist, sind das die Weihnachtsgeschenke der Kinder. Das war eine Erzieherin, das muss man sich auch überlegen, eine Erzieherin geht krank in den Kindergarten, mit Viren und Schnupfen. Sprecherin Der Regionalverband der Arbeiterwohlfahrt in Halle-Merseburg beschäftigt circa 500 Mitarbeiter. Zum Januar 2003 wurden die einzelnen Sparten wie Pflege, Kindertagesstätten und Erziehungshilfe in gemeinnützige Gmbhs umgewandelt. Der Bundesverband der AWO tritt in sozialdemokratischer Tradition für eine solidarische Gesellschaft ein. Die AWO in Halle hat den Tarifvertrag gekündigt. Der Regionalverband zahlt eine sogenannte Anwesenheitsprämie: 1800 Euro pro Jahr für normale Beschäftigte, pro Krankheitstag werden 60 Euro abgezogen. O-Ton Nodes Ich finde das eine hochproblematische Geschichte, dass ein Wohlfahrtsverband, der laut Grundsatzprogramm, sich der Tradition der Arbeiterbewegung verpflichtet fühlt, und genau die Arbeiterbewegung es ja war, die das Prinzip der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durchgesetzt hat, dass sich ein solcher Wohlfahrtsverband, dafür hergibt, Kranke zu bestrafen. Das ist eine Sauerei, wie ich mir sie nicht anders vorstellen kann. O-Ton Plättner Grundsätzlich erstmal, der Begriff dafür ist bei uns die sogenannte Anwesenheitsprämie. Sprecherin Sylvia Plättner, Geschäftsführerin der Awo Halle-Merseburg: O-Ton Plättner Ist kein schöner Begriff, wir haben auch schon oft drüber nachgedacht auch in den vergangenen Jahren, ob man das anders nennen sollte. Gesundheitsprämie oder wie auch immer. Letztendlich ändert es nichts an der Tatsache, was es bedeutet. Es ist einfach eine Geschichte gewesen, die sich entwickelt hat, aufgrund der hohen Krankheitsstände, die wir im Pflegebereich hatten. Ich habe es immer verkauft als Bonbon. Ob ich dann letztendlich ein Bonbon kriege oder nicht, wenn ich wirklich krank bin, dann verzichte ich auch auf das Bonbon. Sprecher Die finanzielle Bedeutung der Prämie für die Beschäftigten steigt, weil die Mehrzahl keine Vollzeitverträge besitzt. Die Regel sind 30 Arbeitsstunden plus x, in der ambulanten Pflege gibt es auch 20 plus x Verträge. Zudem wird leicht unter Tarif gezahlt, schon seit dem Jahr 2002. Sprecherin Der Betriebsratsvorsitzende Andreas Schröder kritisiert einen weiteren Punkt: O-Ton Schröder Gehaltsumstellungen gab es schon, aber es gab keine Gehaltserhöhung, wo man sagen kann, also jetzt gab es sieben, acht oder zwölf Prozent mehr. Also ich kann jetzt bloß für die Zeit bis 2006/7 sprechen und in dieser Zeit gab's keine solche. Sprecher Nicht alle Beschäftigten in den verschiedenen gemeinnützigen GmbHs sind von der Anwesenheitsprämie betroffen. Gemeinsamer Protest ist nicht geplant. Welche Kenntnis hat der Betriebsratsvorsitzende vom Gehaltsniveau in anderen Gesellschaften? O-Ton Schröder Über die Gehälter der anderen GmbH's kann ich keine Auskunft geben, weil ichs einfach nicht kenne. Das ist wirklich eine Unkenntnis und das wäre Kaffeesatzleserei. Könnt ich nicht. Sprecher Der Betriebsratsvorsitzende Schröder hatte die Idee zu seinem eigenen Arbeitsplatz, einer sehr beliebten Kinderdruckwerkstatt. Finanziert hat diese Werkstatt die Stiftung Humalios der Arbeiterwohlfahrt Halle. Über diese Stiftung möchte sich niemand der Befragten vor dem Mikrophon äußern. Inoffiziell heißt es: Die Gewinne seien aus den gemeinnützigen GmbH's, unter anderem finanziert durch niedrige Löhne, auch in die steuergünstige Stiftung geflossen, dort lägen die Gelder nun fest, nur die Zinsen flössen in Projekte. Juristisch ist dies nicht zu beanstanden - schließlich fließen Gelder aus einer gemeinnützigen GmbH in eine gemeinnützige Stiftung. Wenn dies nicht geschehen wäre, hätte man manchen maroden Kindergarten renovieren können. Musik Xavier Naidoo: "Alles kann besser werden" Sprecherin Ein soziales Unternehmen und mögliche Untiefen des endlosen Wachstums O-Ton Via Unternehmens-CD Willkommen bei Via, Verbund für integrative Angebote, gemeinnützige GmbH, um Kunst und Kultur dreht sich alles, mit Kunst und Kultur die Lebenskunst wieder zu finden, wenn man sie verloren hat, ist ein Ziel des Via Verbundes. Hoffeste, Konzerte, Theater und Musik sind ein Teil des Konzeptes. Die Beschäftigung mit Kunst ist ein zentrales Anliegen von Via und zieht sich durch alle Bereich und Tochtergesellschaften. Sprecher Seit dem Jahr 1991 bietet der Berliner Unternehmensverbund Via für Demenzkranke und Menschen mit geistigen oder psychischen Handicaps Pflege, Betreutes Wohnen, Beschäftigungstagesstätten, Werkstätten und Betriebe, darunter ein eigenes Hostel sowie Gästehäuser am Wannsee. Alles unter gemeinnützigem Dach. O-Ton Lassek Wir haben Via gegründet, weil wir beide aus einem Umfeld kommen, in dem wir beide schon im Sozialbereich tätig waren ... . Sprecherin Via-Geschäftsführer Norbert Lassek. O-Ton Lassek Das hat was mit sozialem Engagement zu tun, wir sind ja Alt-68er und haben von daher die Zeit auch sehr aktiv miterlebt als Studenten auch. Und haben, was mich betrifft, auch aus dieser Motivation, uns für den Sozialbereich engagiert. Sprecher Der zweite Geschäftsführer, Ralf Möller-Flohr, nennt die Abschottung der traditionellen Psychiatrie als eine Motivation für die Gründung des eigenen Unternehmens: O-Ton Möller-Flohr Das war die Zeit, wo man gesagt hat, die Psychiatrie darf nicht mehr hinter geschlossenen Mauern stattfinden. Und ich kann nur sagen, dass das eine Herzensangelegenheit gewesen ist, dafür zu sorgen, dass Menschen würdevoll außerhalb dieser Anstalten leben können. Sprecher Der Via Unternehmensverbund hat ein stürmisches Wachstum hinter sich. Die Zentrale in bester Prenzlauer-Berg-Lage, rund 2000 Quadratmeter groß, beeindruckt durch aufwendige Restaurierung und hochwertige Büroeinrichtung. Neue Geschäftsfelder sollen das Unternehmen absichern. Wie das "Pfefferbett Hostel" mit 180 Betten auf drei Etagen, dort arbeiten rund zwanzig Behinderte. Via besitzt sowohl Gebäude als auch das Grundstück. Wie erklärt Geschäftsführer Lassek den Einstieg in immer neue Geschäftsfelder? O-Ton Lassek Und es war so, dass wir angefangen haben, unsere Basisfinanzierung in den Feldern, in denen wir angefangen haben, im betreuten Wohnen, der Psychiatrie, die aus der Eingliederungshilfe finanziert worden sind. Das sind sozusagen unsere Anfänge, in denen wir unsere Projekte entwickelt haben. Und dann ist aus den Überschüssen, die wir erzielt haben, über die Jahre, sind sozusagen neue Projekte entwickelt worden. Sprecher Die Investitionen stammen aus den Gewinnen der gemeinnützigen Gmbhs und größeren Krediten. Via speist sich aus verschiedensten Fördertöpfen, es zahlen das Arbeitsamt, die Sozialversicherer und der Senat. Aus diesem Geldstrom sollen nun noch mehr Projekte entstehen. Ein Theatersaal, ein Restaurant, ein Biergarten, rund 40 neue Appartements sowie für Behinderte Wassersportanlagen mit Segelbooten am Wannsee. Die Unternehmensbilanz ist durchwachsen: O-Ton Lassek Die letzten beiden Jahre waren eher sehr schwierig. Und wir hatten schon Jahre, da war es deutlich besser. Wir hatten schon Umsatzrenditen, die bei acht Prozent oder neun Prozent lagen. Und wie gesagt, ich finde auch nicht, dass das ein Problem ist, sondern es ist immer die Frage, was passiert mit diesen Überschüssen, unter welchen Bedingungen kommen sie zustande. Sprecherin Der Umsatz liegt bei rund 18 Millionen Euro pro Jahr. Die Rendite übertrifft den Durchschnitt der deutschen Wirtschaft um das Doppelte. Woher speisen sich die Gewinne, wie hoch sind die Löhne der 450 Mitarbeiter? O-Ton Ittner Es gab vorher die letzten acht Jahre keine Lohnerhöhung für alle. Es gab natürlich für einzelne immer mal was. Sprecher Der Via-Betriebsrat Klaus Ittner. O-Ton Ittner Und das war doch ein herber Reallohnverlust. Ich würde fast ein Viertel schätzen. Sprecher Vor rund zehn Jahren habe noch eine gute Gehaltsstruktur geherrscht, angelehnt an den Bundesangestelltentarif. Heute bekommt eine ehemalige Kollegin bei einem Wechsel zu einem anderen Unternehmen rund 350 Euro mehr. Die Gegenargumente der Geschäftsleitung lauten: In den letzten fünf Jahren habe jährlich ein Fünftel der Beschäftigten eine Gehaltserhöhung von durchschnittlich 170 Euro erhalten, leider stagnierten aber die Zahlungen des Landes Berlin seit rund fünfzehn Jahren - trotzdem habe man 200 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Bedingungen dieses Wachstum kritisiert Betriebsrat Klaus Ittner: O-Ton Ittner Die Sicherheit ist für weitere Kollegen da, das ist okay, aber die Leute, die dafür ihren Rücken hinhalten müssen, haben da nicht allzu viel von. Sprecherin Zudem hat die Geschäftsleitung auch eine sogenannte Gesundheitsprämie festgesetzt, von durchschnittlich 1200 Euro im Jahr werden pro Krankheitstag zwanzig Euro abgezogen. Viele Beschäftigte arbeiten in Teilzeit. Gerade im Pflegebereich hat die Belastung zugenommen, die Arbeitsbedingungen müssten verbessert werden. So haben die Beschäftigten in den Demenzwohnungen für alte Menschen noch nicht einmal einen Ruheraum - sie sitzen immer mit den Verwirrten zusammen. Die drei Bereiche Hostel, Pflege und Werkstätten, alle als gemeinnützige GmbHs organisiert, haben keinen Betriebsrat. Vielleicht liegt dieses gewerkschaftliche Vakuum auch an der Vorsicht der Beschäftigten, deren Arbeitsverträge meist befristet sind. Musik James Last: Dreigroschenoper, Mackie Messer Sprecher Heute findet in Deutschland die soziale Arbeit zumeist in gemeinnützigen Gesellschaften statt. Hinter dieser Fassade verstecken sich aber häufig skandalöse Bedingungen: Ein fragwürdiger Umgang mit Staatsgeldern, Niedriglöhne, befristete Verträge, Teilzeitarbeit, keine Betriebsräte und dubiose Gesundheitsprämien. Die Gewerkschaften sind schwach - nur drei Prozent der Beschäftigten im Sozialsektor sind organisiert. Diese Entwicklung hat auch der Wildwuchs der Wohlfahrtsverbände möglich gemacht: Während die Dachverbände ihre Ideale hochhalten, besitzen die einzelnen Mitglieder, die Unternehmen vor Ort, freie Hand. O-Ton Hesse Unsere Mitglieder sind in ihrem Gebaren autonom, das sind selbständige Vereine, selbständige GmbH's, eigenständige Stiftungen. Sprecherin Werner Hesse, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. O-Ton Hesse Allerdings muss ich zugestehen, dass man bei über 10.000 Mitgliedsorganisationen nicht wirklich jede Organisation ständig im Auge behalten kann. Deswegen sind wir gerade dabei, auch noch mal zu schauen, ob wir da nicht auch unsere Aufsichtsfunktionen etwas anschärfen müssen. Also so konkrete Standards, was darf ein Geschäftsführer verdienen, wie groß, wie teuer darf der Geschäftswagen sein, so genaue Standards wird man nie fassen können, das finden sie in anderen Branchen nicht, da finden sie immer ein gewisses Spektrum. Sprecher Zum Spektrum des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gehörte auch die Treberhilfe, um sich Staatsgelder und Gemeinnützigkeit zu sichern. In ähnlich unkonkreter Nachdenklichkeit wie Geschäftsführer Hesse verharren auch die anderen Wohlfahrtsorganisationen. Oben pflegt man die Ideale, unten laufen mitunter fragwürdige Geschäfte. Wie haben diese Bedingungen nun die Qualität und Kosten der Sozialarbeit verändert? Professor Norbert Wohlfahrt sieht zwei vorherrschende Tendenzen: O-Ton Wohlfahrt Was man aber in der Statistik deutlich zeigen kann, ist, dass weniger Vollzeitäquivalente mehr Fälle bearbeiten, als das früher der Fall war, also mit tatsächlich weniger Personal mehr Fälle bearbeiten werden - das zeigt die Statistik. Ich glaube man kann ganz eindeutig sagen, dass der Anteil von Verwaltungstätigkeit und ich sag mal managerieller Tätigkeit im niedrigen Level, dass der sehr stark zunimmt. Und die direkte personenbezogene Dienstleistungsarbeit immer stärker in den Hintergrund tritt. Und zum Teil dann auch von Nichtfachkräften übernommen wird. Sprecherin Der Staat spart, während die Qualität der Arbeit und die Arbeitsbedingungen sich verschlechtern. Hat der Skandal um die Treberhilfe nun bei den Sozialbehörden ein Umdenken bewirkt, sollen Mindeststandards, wie bei dem seit Juli 2010 geltenden Mindestlohn im Pflegebereich, beschlossen werden? Uwe Lübking, Dezernent für Soziales beim Deutschen Städte- und Gemeindebund, glaubt, dass die Gesetze eigentlich ausreichen, um die gemeinnützigen GmbH's zu kontrollieren. Der Skandal um die Treberhilfe verweise jedoch auf ein größeres Problem: O-Ton: Lübking Also ich glaube schon, dass wir Missbräuche haben, dass wir auch eine erhebliche Dunkelziffer haben. Wir waren ja gezwungen, auch aufgrund unserer Haushaltslage, doch Personal massiv zu entlassen bzw. Stellen nicht neu zu besetzen. Und ich brauche natürlich gerade in dem Bereich die qualitativen Mitarbeiter, die in der Lage sind, Bücher prüfen zu können und Außendienste machen zu können. Und wenn ich die nicht habe, dann passieren solche Fälle. Sprecher Außerdem konzentrieren sich viele Kommunen und Gemeinden zu Lasten der Kontrolle auf die günstige Leistung der Firmen, befürchtet Uwe Lübking. Dabei spendiert der Staat mit dem Siegel der Gemeinnützigkeit auch noch Steuergelder. So kann Geschäfttüchtigkeit im Armenbusiness ihre Gewinne erzielen. Obwohl dieses Managerdenken eigentlich den gemeinnützigen Zielen der Wohlfahrtsverbände widerspricht, kritisiert Professor Wohlfahrt: O-Ton Wohlfahrt Das ist ja nicht, Geschäfte zu betreiben, und Überschüsse zu betreiben, sondern bei den kirchlichen, den christlichen Glauben zu verbreiten; bei der Awo, Solidarität in der Gesellschaft zur stärken; beim Roten Kreuz, Humanität zu fördern usw. Musik Der Pate 3, Mischung mit Sound Maserati Sprecher Der Maserati-Fahrer und ehemalige Chef der Treberhilfe, Harald Ehlert, sah sich als Vorhut einer neuen Sozialarbeit. Im Februar 2010 hatte Ehlert auf dem von ihm mitorganisierten Kongress noch eine Innovation verkündet. Zusammen mit der Unternehmensberatungsfirma Kienbaum und universitärer Hilfe präsentierte Ehlert die Kategorie des "Social Profit": Sprecherin Der Social Profit in absoluten Zahlen stellt sich als Differenzbetrag aus sozialer Nutzstiftung in Euro und erhaltenen Mitteln in Euro dar. Die soziale Nutzstiftung ist hierbei der Beitrag an Einsparungen durch Eingliederungserfolge, Vermeidung von Haft etc. Der Social Profit der Treberhilfe liegt für das Jahr 2008 bei 15 Prozent. Das heißt für jeden Euro aus Haushaltsmitteln fließen 1,15 Euro an staatliche Institutionen zurück. Sprecher Professor Wohlfahrt hält diese Formel für naiv und gefährlich. Die Kategorie des Social Profit glaube, den Lebensweg eines Menschen mit Problemen in eine Formel der Statistik verwandeln zu können. Um zu berechnen, wie viel eine sozialarbeiterische Maßnahme dem Staat einsparen wird, müsste Harald Ehlert genau beziffern, welche teuren Probleme seine "Treberhilfe" in der Zukunft verhindert hätte. Sprecherin Harald Ehlert müsste wissen, welche psychischen und physischen Erkrankungen in welcher Stärke nicht ausbrechen, welche Drogensucht ausbleibt, welcher Zeitraum an Arbeitslosigkeit nicht eintritt und welche Straftaten unterbleiben. Hier geht es um eingesparte Kosten, die in einer Jahresbilanz exakt pro Tag zu beziffern sind. Ein Hafttag kostet bereits rund 90 Euro. Sprecher Leider kann hier die Seriosität des Social Profit nicht geprüft werden. Weder die Unternehmensberatung Kienbaum noch die Treberhilfe waren bereit, die Studie zugänglich zu machen. Musik Der Pate hochziehen Sprecher Vielleicht hat Harald Ehlert den Fehler gemacht, sich als Propagandatrommler einer Entwicklung zu positionieren, die in einer seltsamen Unübersichtlichkeit abläuft. Staat, Wohlfahrtsverbände und gemeinnützige Gmbhs kooperieren diskret. Sprecherin Ehlert wollte nur das Beste. Für alle. Auch sein Maserati sollte als Quelle des Social Profit dienen: Die Treberhilfe wollte den Wagen als "Transparenz-Mobil" umnutzen und damit interessierte Einheimische und Touristen zu verschiedenen sozialen Einrichtungen kutschieren. 100 bis 150 Euro sollte eine solche Stadtrundfahrt einbringen und damit das Auto auch noch selbst finanzieren. Harald Ehlert hat kein schlechtes Gewissen: O-Ton Ehlert Dieser Maserati unterliegt, wie bei allen Vernunftsdingen, die einem höheren Ziel dienen sollten, einem alten Satz von Abraham Lincoln: Der Zweck heiligt die Mittel, solange die Mittel den Zweck nicht zerstören. Spr. vom Dienst Dienstmaserati und Traumrendite Vom neuen Profitstreben in der Sozialarbeit Eine Sendung von Peter Kessen Es sprachen: Viola Sauer und Viktor Neumann Ton: Inge Görgner Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 Hinweis: Manuskript wurde von der Redaktion nachträglich geändert. 17