COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 24. Dezember 2010, 8.07 Uhr Wdhlg. 31.Dezember 2010, 13.07 Uhr Es wird zurückgetreten! Der politische Jahresrückblick 2010 Von Constanze Lehmann O-Ton Merkel Ich bin ein Mensch, der durchaus nicht dazu neigt, alles, was bisher gewesen ist, sofort über Bord zu schmeißen. Musik: Wenn Mutti früh zur Arbeit geht, dann bleibe ich zu Haus. Ich binde eine Schürze um und feg die Stube aus. O-Ton Köhler ...mit sofortiger Wirkung. Musik: Das Essen kochen kann ich nicht, dafür bin ich zu klein. Doch Staub hab ich schon oft gewischt, wie wird sich Mutti freuen. O-Ton Koch Politik ist ein faszinierender Teil meines Lebens, aber Politik ist nicht mein Leben. Musik: Ich habe auch ein Puppenkind, das ist so lieb und fein, für dieses kann ich ganz allein die richtige Mutti sein. O-Ton Beust: Die biblische Erkenntnis: ‚Alles hat seine Zeit', gilt auch für Politiker. Sprecher vom Dienst: Es wird zurückgetreten! O-Ton Merkel Ich bin die Bundeskanzlerin einer christlich-liberalen Koalition und will das hier heute auch noch einmal deutlich sagen, meine Damen und Herren. (Gelächter) Ja, so ist es, es hat der Wähler so gewollt. Sprecher vom Dienst: Der politische Jahresrückblick 2010 Von Constanze Lehmann O-Ton Merkel Wir können nicht erwarten, dass der Wirtschaftseinbruch schnell wieder vorbei ist. Manches wird gerade wieder im neuen Jahr erst noch schwieriger. Sprecherin: Glaubt die Kanzlerin zu Beginn des Jahres. Und: O-Ton Merkel Wir werden eine stärkere Polarisierung wieder haben. Die großen Parteien verlieren in großen Koalitionen und deshalb kommen wir jetzt eigentlich zu der normalen politischen Schlachtordnung wieder zurück, in der auch Diskussionen wieder härter ausgetragen werden. Sprecherin: Härter geht es erst einmal in den eigenen Reihen zu. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle pocht darauf, dass die Steuersenkungen von bis zu 24 Milliarden Euro für die Bürger bald kommen. Der Traumpartner mit einer Blutgrätsche gegen alle, die meinen, derzeit habe der Staat nichts zu verschenken. O-Ton Westerwelle Es ist kein Steuergeschenk, wenn wir denen, die arbeiten, zurufen: Ihr sollt mehr von dem behalten, was Ihr euch erarbeitet habt! Was ist das für ein dekadentes Staatsverständnis, dass Steuererleichterungen für den Normalbürger ein Geschenk des Staates sind. Sprecherin: Horst Seehofer, bayerischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender, erinnert die Liberalen an das Kleingedruckte im Koalitionsvertrag: Steuersenkungen stehen unter Finanzierungsvorbehalt. O-Ton Seehofer Ich kann jedem, der in der Bundespolitik in der Regierungsverantwortung steht, nur raten, was unser Motto ist: Maß und Mitte. Man muss sich in der Politik nach den Realitäten richten und man kann sich nicht völlig losgelöst von Steuer- und Wachstumsraten in der Finanzpolitik bewegen. Sprecherin: Den Christsozialen gefällt es, die Liberalen zu attackieren, es lenkt von den eigenen Sorgen ab. Zum Beispiel davon, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss der Frage nachgeht, wer für den desaströsen Deal mit der österreichischen Hypo Group Alpe Adria verantwortlich ist. Die Liste der Befragten liest sich wie das Who is Who der CSU. Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt. Nachdem selbst in den eigenen Reihen von einer existenziellen Krise geredet wird, ist Horst Seehofer froh, dass seine Partei in der Gunst der Bürger nicht unter 40 Prozent rutscht. O-Ton Seehofer Die Umfrage macht uns Mut, ist aber kein Anlass zum Übermut. Sprecherin: Übermütig bleiben die Liberalen, die sich weder von kleinkarierter blau-weißer Kritik noch von sinkenden Umfragewerten bremsen lassen. O-Ton Westerwelle Die Zeit, wo wir uns im Gestrüpp der Tagespolitik verheddert haben in den letzten zehn Jahren, sie muss ein Ende haben, und deswegen wollen wir eine geistige-politische Wende in diesem Land. Sprecherin: Nach der geistig-moralischen Wende unter Helmut Kohl, nun die geistige-politische Wende unter Guido Westerwelle. Bevor es so weit kommt, geht es erst einmal um Moral und Politik. Um die steuerliche Entlastung für Hoteliers. Vizekanzler und FDP-Vorsitzender Guido Westerwelle: O-Ton Westerwelle Wenn wir den Mittelstand entlasten, die Tourismuswirtschaft mit einer Million Beschäftigten, da gibt es eine Debatte über ein paar hundert Millionen, die meines Erachtens bestens investiert sind. Aber wenn in Deutschland mal eben fünf Milliarden Euro über Nacht in alte Autos gesteckt werden, da sagt dann niemand irgendein kritisches Wort. Sprecherin: Als bekannt wird, dass 2009 die im Hotelgewerbe engagierte Substantia AG der FDP über eine Million Euro spendierte, ist für die Opposition die Sache klar. Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion: O-Ton Oppermann Frau Bundeskanzlerin, Sie haben den Koalitionsvertrag verhandelt und deshalb tragen Sie Verantwortung dafür, dass in Deutschland alle Türen aufgemacht worden sind für den hemmungslosen Durchmarsch der Lobbyisten in diesem Land. Sprecherin: Die Aktiengesellschaft gehört einem der reichsten Deutschen, August Baron von Finck. Seine Familie ist Miteigentümer der Mövenpick-Gruppe, die in Deutschland 14 Hotels betreibt. O-Ton Lindner Wir haben uns hier nichts vorzuwerfen. Sprecherin: ...meint Christian Lindner, Generalsekretär der jetzt von der Opposition als Mövenpick- Partei verhöhnten Liberalen. O-Ton Lindner Wir haben eine Spende erhalten, sie ist ordnungsgemäß verbucht und angezeigt worden und sie steht in keinem politischen Zusammenhang zu unseren Überzeugungen. Sprecherin: Die Vorwürfe der Opposition perlen am Hosenanzug der Kanzlerin ab. Die Herren in den eigenen Reihen lässt sie sich müde kämpfen. Politikbeobachter und Parteifreunde fordern ein Machtwort. O-Ton Merkel Insgesamt bin ich der Meinung, dass ich immer dann, wenn was zu entscheiden ist, es auch entscheide. Sprecherin: Und so entscheidet die Kanzlerin, dass vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen nichts entschieden wird. Die findet erst im Mai statt. Damit alle Koalitionäre bis dahin die Füße still halten, lädt Angela Merkel Horst Seehofer und Guido Westerwelle zum Gespräch, viele nennen es Krisentreffen. Zum Abschluss wird gemeinsam getafelt. Die Grünen lassen sich nicht täuschen, Renate Künast: O-Ton Künast Drei Leute, die Häuptlinge sein wollen, drei Parteivorsitzende, die, weil nichts geht, sich bei Steak Tartar treffen, so tief ist diese Wunschkoalition und Ihre Traumkoalition schon gesunken, dass sie zu archaischen Sitten von Stammesfürsten greifen müssen, nämlich dem gemeinsamen, rituellen Verzehr von rohem Fleisch, aber rausgekommen ist schon wieder nichts für dieses Land. O-Ton Merkel Und deshalb kommen wir jetzt eigentlich zu der normalen politischen Schlachtordnung wieder zurück. Sprecherin: Die Opposition verweigert sich diesem Anliegen der Kanzlerin, schaut in den ersten Wochen des Jahres der Selbstzerfleischung der Wunschkoalition einfach zu. Die Grünen mit großer Gelassenheit, denn zu ihrem dreißigsten Geburtstag im Februar kommen sie an beim Bürger. 16 Prozent würden sie wählen, Tendenz steigend. O-Ton Künast Die Leute nehmen uns in diesen Chaoszeiten, in denen man das Buch "Kabale und Hiebe" auf die Bundesregierung umdichten könnte, als eine seriöse, glaubwürdige Kraft. Sprecherin: Die anderen Oppositionsparteien haben vor allem mit sich selbst zu tun. Die SPD ist nach ihrer historischen Wahlniederlage vom vergangenen Jahr noch auf der Suche nach einem sozialdemokratischen Kurs. Nur Hannelore Kraft, die in Nordrhein-Westfalen die Macht zurückerobern soll, muss kämpfen und ist vorsichtig optimistisch. O-Ton Kraft Der Patient ist auf der Aufwachstation und insofern wird er bis Mai 2010 wieder zu vollen Kräften gekommen sein. Sprecherin: "Die Linke", so die Diagnose des scheidenden Parteivorsitzenden Lothar Bisky sei "von einer Art ideologischer Schweine-Grippe befallen". Im Streit um Macht-und Personalfragen treten sich Ost und West untereinander und öffentlich heftig vors Schienbein. Symptomatisch dafür: Geschäftsführer Dietmar Bartsch wird der Majestätsbeleidigung verdächtigt, zu offen habe er gegenüber Medien über Lafontaines Zukunft in der Partei geplaudert. Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linken: O-Ton Gysi Und ich sage das hier auch so offen, obwohl ich ihn sehr mag: da war der Bundesgeschäftsführer gegenüber einem Vorsitzenden nicht loyal. Und das hat Folgen. Sprecherin: Und zwar drei Tage später. Dietmar Bartsch gibt bekannt, dass er nicht erneut kandidieren wird. Wenige Tage später dann noch ein Rücktritt: O-Ton Lafontaine Ich habe heute den Parteivorstand informiert, dass ich aus gesundheitlichen Gründen auf dem Parteitag nicht mehr für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren werde und auch mein Bundestagsmandat abgeben werde. Sprecherin: Oskar Lafontaine zieht sich ins Saarland zurück. O-Ton Lafontaine Der Krebs war dann doch ein Warnschuss, über den ich nachdenken musste und den ich auch nicht so ohne weiteres wegstecken kann. Sprecherin: Ab Mai übernehmen das Ost-West- Duo Gesine Lötzsch und Klaus Ernst die Parteiführung. Zäsur O-Ton Steinmeier Diese Regierung steht mit beiden Füßen in den Wolken, faselt von bürgerlicher Mehrheit wie von einer messianischen Erlösung, von einer geistig-politischen Wende, als ob bis jetzt der Antichrist dieses Land im Würgegriff gehalten hat. So kann man inszenieren, sich präsentieren, regieren kann man so nicht, meine Damen und Herren. Sprecherin: Gelegenheit zum politischen Schlagabtausch bietet Ende Januar die Haushaltsdebatte 2010 im Bundestag. Der Haushaltsentwurf sieht eine Neuverschuldung von über 80 Milliarden Euro vor - Höchststand in der Nachkriegsgeschichte. Die Krise ist nicht vorbei, verteidigt die Kanzlerin den Etat. O-Ton Merkel Die politische Kunst und zu dieser Art von Politik sind wahrscheinlich eben wirklich nur wir fähig, (Lachen) so wie wir jetzt regieren, die besteht darin, Wachstum und solide Finanzen miteinander zu vereinbaren. O-Ton Steinmeier Das ist, ich kann das nicht anders nennen, ... Sprecherin: Frank Walter Steinmeier, SPD. O-Ton Steinmeier ...das ist politisches Totalversagen, meine Damen und Herren. Sprecherin: Der größte Haushaltsposten - rund 170 Milliarden Euro - sind Sozialausgaben. Zusammen mit den Zinszahlungen des Bundes macht das zwei Drittel des gesamten Etats aus. Angela Merkel spricht über Sparen und Steuerentlastungen, ohne sich jedoch festzulegen. Gregor Gysi, Vorsitzender der Bundestagsfraktion Die Linke: O-Ton Gysi Sie sagen, was Sie vorhaben, können Sie leider erst nach der Steuerschätzung im Mai 2010 erklären. Also ich meine, für wie doof halten Sie denn die Leute? Die merken doch alle, dass Sie sagen, nach der NRW-Wahl sagen wir euch, was auf euch zukommt. Sprecherin: Anfang Februar, Schwarz-Gelb ist seit 100 Tagen im Amt. Die Opposition tritt rhetorisch nach. O-Ton Steinmeier Das waren 100 Tage voller Fehler und Pannen. O-Ton Lötzsch Hundert Tage Klientelpolitik. O-Ton Özdemir Hundert verlorene Tage für unsere Republik. O-Ton Westerwelle Ich kann nicht bestreiten, dass es noch atmosphärischen Verbesserungsbedarf gibt, aber entscheidend ist, was hinten raus kommt. Sprecherin: Nur neun Prozent der Bürger sind Ende Februar noch bereit FDP zu wählen. verfremdete Glocke Sprecherin: Krisenbewältigung ist in diesem Jahr auch in den beiden deutschen Kirchen gefragt. O-Ton Käßmann Hiermit erkläre ich, dass ich mit sofortiger Wirkung von allen meinen kirchlichen Ämtern zurücktrete. Sprecherin: Zu Beginn des Jahres hatte sie mit dem Satz "Nichts ist gut in Afghanistan" für Aufsehen gesorgt. Alkohol und eine rote Ampel stoppen am 24. Februar die Karriere der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann. Erstaunte Bischöfe, verwunderte Politiker, enttäusche Fans nehmen zur Kenntnis: trotz öffentlicher Unterstützung und innerkirchlichem Beistand, diese Frau tritt zurück. O-Ton Käßmann Die Freiheit ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen, hätte ich in Zukunft nicht mehr so, wie ich sie hatte. Und die harsche Kritik etwa an einem Predigtzitat wie: "Nichts ist gut in Afghanistan", ist nur durchzuhalten, wenn persönliche Überzeugungskraft uneingeschränkt anerkannt wird. Sprecherin: Es sind andere Verfehlungen, die langfristig die öffentliche Debatte bestimmen: der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in kirchlichen Einrichtungen. Schweigen, verharmlosen, im inneren Kreis verhandeln - Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kritisiert das Verhalten der katholischen Kirche. O-Ton Schnarrenberger Es ist leider bisher nicht ersichtlich, dass sie ein aktives Interesse an wirklich rückhaltloser und lückenloser Aufklärung gezeigt haben und ich erwarte, dass die Verantwortlichen der katholische Kirche endlich konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, Hinweise geben, mit aufklären. Sprecherin: Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist empört. O-Ton Zollitsch Ich erinnere mich keines zweiten Medienbeitrags eines Regierungsmitglieds der Bundesrepublik, der eine ähnlich schwerwiegende Attacke gegen die Katholische Kirche in Deutschland dargestellt hätte. Und ich erwarte von ihr, dass sie die unwahren Passagen des Interviews innerhalb von 24 Stunden auch wirklich richtigstellt. Sprecherin: Im Ton verbindlich, bleibt die Justizministerin in der Sache hart und fordert einen Runden Tisch, den die deutsche Bischofskonferenz zunächst ablehnt. Mit einer Austrittswelle reagieren Katholiken auf den Missbrauchsskandal und den Umgang der Institution Kirche damit. Nach und nach werden auch Vorwürfe gegen evangelische Einrichtungen laut, und Anfang März gibt die Leitung der Odenwaldschule in Hessen bekannt, dass es an der Reformschule sexuelle Übergriffe auf Schüler gegeben hat. Angela Merkel schaltet sich in die Debatte ein. O-Ton Merkel Und es gibt nur eine Möglichkeit, dass unsere Gesellschaft mit diesen Fällen klarkommt, und das heißt Wahrheit und Klarheit über alles, was passiert ist. O-Ton L-Schnarrenberger Und genau deshalb schaffen wir den Runden Tisch und deshalb wird es auch Frau Bergmann als unabhängige Beauftragte geben. O-Ton Bergmann Es muss klar sein: das ist nicht ein Thema, das einmal vor 20, 30 oder 40 Jahren passiert ist. Sondern: Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen passiert täglich, passiert stündlich in Einrichtungen, in Familien. Zäsur O-Ton Röttgen Eine Brücke hat einen Anfang, eine Brücke hat ein Ende und eine Brücke begeht man, wenn man von der Gegenwart in die Zukunft will. Sprecherin: Die deutschen Regierungsparteien streiten über die Zukunft - die der Atomenergie und die möglicher politischer Koalitionen. Das neue Energiekonzept der Regierung ist für den Herbst geplant. Überraschend und vor der Zeit bezieht der Umweltminister Position. O-Ton Röttgen Man muss sich entscheiden. Sprecherin: Norbert Röttgen schlägt maximal acht Jahre Verlängerung der Laufzeiten vor. Und löst damit Protest bei der Atomlobby und in der eigenen Koalition aus. Stefan Mappus, seit Februar Regierungschef von Baden-Württemberg: O-Ton Mappus Ich erwarte, dass der Kollege Röttgen zurück gepfiffen wird. Und ich sage auch, ich bin nicht mehr bereit, die Eskapaden des Bundesumweltministers zu akzeptieren. Sprecherin: Norbert Röttgen kommt aus Nordrhein-Westfalen. Wahlen stehen vor der Tür, die Liberalen schwächeln, da ist die knappe Laufzeitverlängerung als ein Signal an die Grünen zu verstehen. Gereizt die Reaktion des FDP-Generalsekretärs Christian Lindner in Berlin, eher amüsiert Renate Künast: O-Ton Lindner Herr Röttgen muss aus seinen schwarz-grünen Blütenträumen aufwachen. Wir erwarten von einem visionären Bundesumweltminister, dass er für eine Allianz aus erneuerbaren Energien und verlängerter Kernenergie wirbt. O-Ton Künast Im Augenblick werden wir umgarnt und angeflirtet, dass man schon denkt, wo ist eigentlich der Übergang zum Stalking? Sprecherin: Während es zwischen Grün und Schwarz ein vorsichtiges Abtasten und Annähern gibt, inszeniert sich der oberste Diplomat Deutschlands und FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle als Polarisierer in der Innenpolitik. O-Ton Westerwelle Wer arbeitet muss mehr haben, als derjenige, der nicht arbeitet, das muss man in Deutschland noch sagen dürfen. Alles andere ist Sozialismus. Sprecherin: Es geht um 6,7 Millionen Menschen, darunter 1,8 Millionen Kinder und um 36 Milliarden Euro jährlich - es geht um Hartz IV. Anfang Februar erklärt das Bundesverfassungsgericht die Regelsätze für rechtswidrig. Die Karlsruher Richter kritisieren nicht die Höhe, sondern die teils willkürliche Festlegung des Existenzminimums. Vor allem aber monieren sie, dass kein kinderspezifischer Bedarf ermittelt wird. Richter Ferdinand Kirchhof: O-Ton Kirchhof Ein zusätzlicher Bedarf ist vor allem bei schulpflichtigen Kindern zu erwarten. Notwendige Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten gehören zu ihrem existenziellen Bedarf, ohne Deckung dieser Kosten droht hilfsbedürftigen Kindern der Ausschluss von Lebenschancen. O-Ton v.Leyen Das ist meines Erachtens ein wegweisendes, ein bahnbrechendes Urteil. Sprecherin: ...kommentiert die zuständige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die nun das Gesetz der rot-grünen Koalition überarbeiten muss. Zukünftig wird der Regelsatz transparenter berechnet, es soll fünf Euro mehr und für Kinder ein so genanntes Bildungspaket geben. Doch der Opposition ist das zu wenig Geld und zu viel Bürokratie. Das Gesetz wird im Bundesrat gestoppt und geht in den Vermittlungsausschuss. Eine Einigung ist nicht abzusehen. Guido Westerwelle erklärt nach dem Richterspruch: Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein. O-Ton Westerwelle Es muss in Deutschland auch noch ein paar geben, die den Karren ziehen. O-Ton Merkel Und ich habe klar gemacht, dass das, was Guido Westerwelle gesagt hat, nicht meine Worte sind und das ist nicht mein Duktus, wir interessieren uns nicht nur für Gruppen, sondern für alle. Sprecherin: Staatsmännisch gibt sich der Bayer Horst Seehofer: O-Ton Seehofer Ich würde mir manchmal wünschen, das die FDP, auch mein Freund Guido da und dort mehr Gelassenheit, mehr Souveränität einbringen, wenn es um schwierige Fragen unserer Nation geht. Sprecherin: Mit der Gelassenheit ist es in der CSU schnell vorbei, als es um die Gesundheitsreform geht. O-Ton Rösler Mensch Rösler, du bist wirklich bei keiner Operation der Beste, aber bei jeder Operation der Fröhlichste, da wusste ich, ich muss in die Politik. Sprecherin: Und so verkündet der Gesundheitsminister fröhlich und mit breitem Grinsen sein politisches Ziel: die Einführung der Kopfpauschale. Mit den Christsozialen in München ist das nicht zu machen. Markus Söder stellt Anfang März ein bayerisches Konzept vor - ohne Kopfpauschale. Nicht nur die Liberalen, auch die CSU-Politiker in Berlin sind sauer. Wolfgang Zöller, Bundestagsabgeordneter der Christsozialen: O-Ton Zöller Ich hab die Schnauze voll von der Art und Weise, wie man momentan so ein Thema immer wieder auf die Tagesordnung setzt. Die sollen ihre Hausaufgaben machen, sollen sich an die Spielregeln halten, da haben sie genug zu tun. Sprecherin: Über Monate streiten die Regierungsparteien über die Reform - Höhepunkt: die FDP schimpft die CSU Wildsau und die kontert: Gurkentruppe. Minister Rösler muss seine Vorlage überarbeiten. Ebenso jung und forsch wie der Gesundheitsminister ist der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Nur gehört der 39- jährige CSU- Mann im Gegensatz zu Philipp Rösler zu den beliebtesten Politikern des Landes. Selbst als der Minister Anfang des Jahres vor dem Untersuchungsausschuss zur Kundus-Affäre aussagen muss, schadet das seinem Ansehen nicht. Als Ostern deutsche Soldaten in Afghanistan sterben, spricht der Verteidigungsminister eine populäre Wahrheit aus. O-Ton Guttenberg Was wir am Karfreitag bei Kundus erleben mussten, das bezeichnen die meisten verständlicherweise als Krieg - ich auch. Musik griechisch O-Ton Merkel In den nächsten Jahren steht vor uns eine riesige Aufgabe, Sprecherin: Angela Merkel Mitte März bei der Verabschiedung des Haushalts für 2010. O-Ton Merkel eine Herkulesaufgabe, weil wir eigentlich Unvereinbares zusammenbringen müssen, Haushaltskonsolidierung, Wachstum schaffen. Sprecherin: In der Heimat des griechischen Helden haben die Aufgaben eine solche Dimension längst erreicht. Den Hellenen droht die Pleite. Musik griechisch Sprecherin: Schulden, gefälschte Statistiken - die Europäische Union entdeckt plötzlich einen Augiasstall, macht den Griechen Sparauflagen, kontrolliert Statistiken, überwacht Sparpläne. Das ändert nichts daran, dass Griechenland dringend Geld benötigt. Verkauft doch eure Inseln ihr Pleitegriechen, poltert es aus Deutschland. O-Ton Barroso (engl): Greece can count with this solidarity. Sprecherin: Griechenland könne auf die Solidarität aller EU-Mitglieder zählen, so das schnelle Versprechen des Portugiesen Jose Manuel Barroso. Doch vorerst lehnt die Kommission Finanzhilfen ab, verlangt mehr Sparwillen. Spekulanten wetten unterdessen weiter auf den fallenden Euro und Griechenlands Bankrott. Die Opposition kritisiert das Abwarten der Kanzlerin. Angelika Schwall-Düren, SPD, und Jürgen Trittin, Die Grünen. O-Ton Schwall-Düren (Beifall) In diesen Wochen, in denen sich viele Menschen Sorgen um die Stabilität des Euro und den Zusammenhalt der Währungsunion machen, betreiben Sie und Ihre Regierung eine unstete, unentschlossene Politik, eine Politik der Unentschiedenheit und des Attentismus. O-Ton Trittin Es war die deutsche Bundeskanzlerin, die vorgeschlagen hat, die EU-Verträge so zu ändern, dass man ein Land wie Griechenland auch rausschmeißen könnte. O-Ton Merkel Ein guter Europäer ist nicht unbedingt der, der schnell hilft. Ein guter Europäer ist der, der die europäischen Verträge und das jeweilige nationale Recht achtet und so hilft, dass die Stabilität der Eurozone keinen Schaden nimmt. Sprecherin: Beim EU-Gipfel am 25. März in Brüssel einigen sich die Euroländer grundsätzlich auf ein Hilfspaket. Es wird Mitte April, die Suche nach einer konkreten Lösung für Griechenland geht weiter. Am 23. April bittet Griechenland die EU und den IWF um Finanzhilfe. Ein Hilfspaket wird beschlossen. Noch nie gab es solche Zusagen für ein EU-Mitglied. Vier Tage später gesteht Griechenland, am 19. Mai quasi pleite zu sein. Panik an den Märkten, Krisentreffen in Berlin: Finanzminister Schäuble, Jean- Claude Trichet, der Chef der Europäischen Zentralbank, und Dominique Strauss-Kahn für den Internationalem Währungsfonds beraten über Details der Nothilfe. Am 2.Mai erklärt der griechische Ministerpräsident Giorgios Papandreou: bis 2013 werde das Land 30 Milliarden Euro zusätzlich sparen. O-Ton Papandreou (griech. darüber Übersetzung): Wir werden alle zusammenarbeiten für das Griechenland, das wir verdient haben und von dem wir träumen. Uns stehen schwierige Zeiten bevor. Sprecherin: Am nächsten Tag verkündet der Bundesfinanzminister: O-Ton Schäuble Die Bundesregierung hat heute um 13 Uhr in einer Kabinettssitzung den entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. 8,4 Milliarden für das erste Jahr und 22,4 Milliarden Anteil für Deutschland an den Kreditlinien insgesamt für die drei Jahre. Es ist nicht die Verwendung von Haushaltsgeld, es ist die Gewährleistung eines Kredites. Sprecherin: Solange die Griechen Zins und Tilgung leisten. Im Rekordtempo geht es weiter - innerhalb von fünf Tagen drei Lesungen im Bundestag, Zustimmung im Bundesrat, Unterschrift des Bundespräsidenten. Im Bundestag liefern sich Angela Merkel und der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier einen Schlagabtausch. O-Ton Steinmeier Was wir hier erleben, das ist die größte Belastungsprobe für die Europäische Integration seit den Römischen Verträgen und ich hab nicht immer den Eindruck gehabt, dass das jedem hier in den Regierungsfraktionen bei seinen Äußerungen in den letzten Tagen bewusst war. Und deshalb, Frau Bundeskanzlerin, verbitten wir uns jede selbstgerechte Belehrung, wie wir sie eben gehört haben. Das ist doch ne Frechheit, uns, der SPD-Fraktion zu erklären, die Beiziehung des IWF sei notwendig gewesen. Wer von den Kolleginnen und Kollegen hat das bestritten in der Vergangenheit? O-Ton Merkel Die zu beschließenden Hilfen für Griechenland sind alternativlos, wir schützen also unsere Währung, wenn wir handeln. O-Ton Steinmeier Auf der einen Seite eine Bundeskanzlerin auf einem Bismarck-Sockel auf Seite 2 der Bildzeitung mit dem Muster: keinen Euro für Griechenland und auf der anderen Seite das Signal des Finanzministers an die Europäer: am Ende werden wir schon mitmachen bei diesem Rettungspaket von Europa. Das ist unanständig. O-Ton Merkel Der internationale Währungsfonds verwirft die Idee einer internationalen Finanzmarkttransaktionssteuer. (Protest.) Ich würde an ihrer Stelle einfach mal zuhören. Könnte Ihnen ja... Wirklich. Einfach mal zuhören. (Beifall) O-Ton Steinmeier Wir brauchen ernsthafte Beteiligungen mit dauerhaften Beiträgen und dafür gibt es nur ein Instrument, das ich kenne, und das ist die Finanztransaktionssteuer und über dieses Instrument müssen wir reden miteinander. (Beifall) Sprecherin: Von der Einbeziehung der Banken macht die SPD ihre Zustimmung abhängig, Es wird verhandelt. O-Ton Dobrindt Dass eine Finanztransaktionssteuer eine Wirkung hätte, die wünschenswert wäre... Sprecherin: ...bestätigt Alexander Dobrindt, CSU-Generalsekretär, aber... O-Ton Dobrindt Wir sind in einer Koalition und da muss man sich mit allen Partnern immer wieder auseinandersetzen. Sprecherin: Die Gespräche platzen. Die SPD enthält sich, die Linke stimmt dagegen. Acht Milliarden geben die Banken freiwillig. Der Vorstandschef der Deutschen Bank ist zufrieden. Wenn das Haus brennt, so Josef Ackermann, ... O-Ton Ackermann ...dann lohnt es sich nicht, eine lange Debatte über die Konstruktionsfehler des Hauses zu führen, sondern man muss das Haus löschen. Musik Sprecherin: 9. Mai - die Republik erhofft sich Erlösung aus dem innenpolitischen Stillstand - in Nordrhein-Westfalen ist endlich Wahltag. Am Wahlabend verkündet Hannelore Kraft, Spitzenkandidatin der SPD: O-Ton Kraft Schwarz-Gelb ist abgewählt! (danach Jubel) ... O-Ton Roth Wir haben nicht nur in Nordrhein-Westfalen einen Politikwechsel möglich gemacht, sondern es wird auch in Berlin so nicht weitergehen. Sprecherin: ...gibt sich die Grünen Chefin Claudia Roth optimistisch. Doch die gefühlten Sieger haben ein Problem: im Landtag fehlt ihnen eine Stimme zur Mehrheit. O-Ton Rüttgers Das ist ein bitterer Abend für die CDU hier in Nordrhein-Westfalen. Sprecherin: Zwar stärkste Partei, sind die Christdemokraten unter Jürgen Rüttgers mit minus zehn Prozent dennoch Wahlverlierer. Die Linken haben den Einzug ins Parlament geschafft. Rot-Rot-Grün ist möglich. Doch die Gespräche sind schnell vorbei. Hannelore Kraft, SPD. O-Ton Kraft Wir konnten hier kein Vertrauen aufbauen, wir konnten keine Verlässlichkeit erkennen. Sprecherin: Bei Jürgen Rüttgers kommt Hoffnung auf - mit 6200 Stimmen vor der SPD - da könnte noch was gehen. Aber die Gespräche der beiden großen Parteien scheitern. Also: Rot-Grün-Gelb? Einen Monat nach der Landtagswahl kommt auch das Aus für die Ampel. Hannelore Kraft stellt fest: O-Ton Kraft Wir sind uns einig darüber, dass wir eine Minderheitenregierung derzeit nicht anstreben. Sprecherin: Das bedeutet, im Bundesrat ändert sich nichts an den Mehrheitsverhältnissen. Wenige Tage später, am 17.Juni erklärt die SPD-Frau: O-Ton Kraft NRW braucht eine stabile Regierung, wir müssen dafür sorgen, dass der Politikwechsel vollzogen werden kann. Deshalb ist es jetzt notwendig, eine Minderheitsregierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu bilden. Zäsur O-Ton Westerwelle Und inwieweit die Spielräume jetzt da sind, werden wir jetzt sondieren mit allen Beteiligten. Sprecherin: Trotz der veränderten Machtverhältnisse in Nordrhein-Westfalen - Guido Westerwelle fällt es schwer, von einem liberalen Lieblingsprojekt Abschied zu nehmen. Entnervt kontert Angela Merkel: O-Ton Merkel ...dass Steuersenkungen auf absehbare Zeit nicht umzusetzen sein werden. Das, was ich gesagt habe, weiß auch Herr Westerwelle. Sprecherin: Die Kanzlerin hat ganz andere Sorgen. Nach Griechenland haben Spekulanten nun andere hoch verschuldete Kandidaten auf dem Wettzettel: Irland, Portugal, Spanien und Italien. Um den Euro nicht weiter unter Druck zu setzen, beschließen die Finanzminister der 27 EU-Staaten bei einem kurzfristig angesetzten Sondertreffen einen Rettungsschirm von 750 Milliarden Euro. Deutschland ist mit 148 Milliarden dabei. Die Kanzlerin versucht, die Bundestagsabgeordneten zu überzeugen. O-Ton Merkel Diese Bewährungsprobe ist existentiell und ich sage hinzu, sie muss bestanden werden. (Gemurmel) Ich bin ehrlich gesagt, baff. Sprecherin: ...reagiert Angela Merkel erbost auf die Zwischenrufe der Opposition, die ihr Zögerlichkeit vorwerfen. Während einige EU-Mitgliedsstaaten mit dem Finger auch auf die Export-Nation Deutschland zeigen, sagt Angela Merkel, schuld seien die wettbewerbsschwachen Länder, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. O-Ton Merkel Auch wir Deutschen haben, und im übrigen nicht erst seit gestern, sondern seit über 40 Jahren, mehr Schulden gemacht, als uns gut tut, auch wir leben auf Pump. Sprecherin: SPD-Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier will diese Verallgemeinerung nicht hinnehmen. O-Ton Steinmeier Sie wollen doch auch nicht sagen, dass der Wachmann, der bei Frau Merkel jeden Morgen vor der Tür steht mit seinen 1.200 Euro im Monat, über seine Verhältnisse gelebt hat. Oder die Verkäuferin beim Bäcker oder beim Fleischer, die beim Schlecker oder beim Lidl oder beim Aldi. (Protest) Ich habe den Satz nicht gesagt, damit müssen Sie zurechtkommen, ich habe den Satz nicht gesagt, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. Sprecherin: 312 Stimmen sind notwendig, 319 Abgeordnete der Koalition stimmen für den Euro-Rettungsschirm. Zäsur O-Ton Koch Ich habe heute Morgen die CDU-Landtagsfraktion unterrichtet, dass ich beabsichtige, am 31. August mein Amt als Ministerpräsident des Landes Hessen abzugeben. Politik ist ein faszinierender Teil meines Lebens, aber Politik ist nicht mein Leben. Sprecherin: Für die meisten kommt dies Ende Mai überraschend, die Kanzlerin jedoch war informiert, trotz dieser Ankündigung ein Jobangebot für den Parteifreund bleibt aus. Roland Koch tritt ab von der politischen Bühne und geht in die Wirtschaft. Sein Nachfolger als Ministerpräsident in Hessen wird Volker Bouffier. Mittels Beförderung und unter besonderen Umständen wird Angela Merkel wenig später dann einen weiteren innerparteilichen Konkurrenten los. Auf dem Rückflug von Afghanistan gibt Bundespräsident Horst Köhler dem Deutschlandradio Kultur ein Interview: O-Ton Interview Köhler Dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren... O-Ton Köhler Ich bedaure, dass meine Äußerungen in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnten. Die Kritik geht aber so weit, mir zu unterstellen, ich befürwortete Einsätze der Bundeswehr, die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären. Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sprecherin: Am 31. Mai erklärt Horst Köhler seinen Rücktritt - als erster Bundespräsident in der Geschichte der Bundesrepublik. O-Ton Köhler Mit sofortiger Wirkung. Sprecherin: Die Suche nach einem Nachfolger beginnt und endet mit einer parteipolitischen Entscheidung der Kanzlerin. Kein gemeinsamer Kandidat mit Rot-Grün, sondern ein eigener Kandidat - Christian Wulff, CDU-Ministerpräsident in Niedersachsen, soll es sein. Sozialdemokraten und Grüne nominieren den parteilosen DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck. O-Ton Gauck Ich sehe in dem Angebot auch an die Koalition, mich mit zu tragen, ein Angebot an die politische Mitte in Deutschland. Sprecherin: In der knappen Zeit bis zur Wahl wird öffentlich heftig über die Frage debattiert: Wer ist der bessere Präsident? Zäsur O-Ton Merkel Ich darf sagen, dass die letzten Stunden schon ein einmaliger Kraftakt waren. Es müssen bis 2014 ungefähr 80 Milliarden Euro eingespart werden, damit unsere finanzielle Zukunft wieder auf soliden Beinen stehen kann. Sprecherin: Die Regierung hat ein Sparpaket beschlossen. Trotzdem bleibt die Koalition eigentlich ein Fall für den Schuldenberater Peter Zwegat. Denn der Schuldenberg wächst weiter. Die Opposition ärgert vor allem, dass beim Sparen Gutverdiener geschont werden. Siegmar Gabriel und Jürgen Trittin: O-Ton Gabriel Mutti hat in der Waschmaschine den Schongang für Vermögende und für die Klientel der FDP eingelegt, aber den Schleudergang für Arbeitslose, Familien, auch für Städte und Gemeinden. O-Ton Trittin Wir bräuchten stattdessen eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes, eine Vermögensabgabe, eine Änderung beim Ehegattensplitting und die Rücknahme der Mövenpicksubventionen. Collage WM Sprecherin: Glücklicherweise gibt es zwischen dem Achtel- und dem Viertelfinale in Südafrika zwei spielfreie Tage. Einer davon ist der 30. Juni - da kommen die Wahlmänner und -frauen der Bundesversammlung in Berlin zusammen, um den neuen Präsidenten zu wählen. Nach neun Stunden, erst im dritten Wahlgang, fällt die Entscheidung. O-Ton Auf Christian Wulff sind 625 Stimmen entfallen. (Beifall) Collage WM O-Ton Löhrmann Es hat sicher damit zu tun, dass sowohl Frau Kraft als auch ich eher unaufgeregt und vernünftig versuchen, die Dinge anzugehen, dass wir nicht Sachfragen zu Machtfragen machen. Sprecherin: Silvia Löhrmann, die Spitzenfrau der Grünen in Nordrhein-Westfalen, wo unterdessen die Gespräche mit der SPD erfolgreich abgeschlossen wurden. Am 14.Juli wird Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin gewählt. O-Ton Mann/Kraft Ich frage Sie, nehmen Sie die Wahl an? Ich nehme die Wahl an. Vielen Dank. (Beifall) Musik Sprecherin: Den Amtsantritt der neuen Regierung überschattet das Unglück bei der Loveparade in Duisburg, bei dem 21 Menschen sterben und über 500 verletzt werden, als sich an einem Tunnel die Besuchermassen stauen. Am 31. Juli findet in der Duisburger Salvatorkirche ein Trauergottesdienst statt. O-Ton Schneider Schreckensbilder besetzen unser Denken und Fühlen. Junge Menschen, die verzweifelt um ihr Leben kämpfen, fassungslose Menschen, die ihrer Trauer und Wut ungefiltert Ausdruck geben. Sprecherin: Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland: O-Ton Schneider Erschütterte Helferinnen und Helfer, Polizistinnen und Polizisten, die selbst Hilfe und Ermutigung brauchen, aber auch Menschen, die wie versteinert Verantwortung von sich wegschieben. O-Ton Sauerland Nachdem wir die Antworten wissen, werden wir die Konsequenzen ziehen, wir heißt in dem Fall auch ich. Sprecherin: Duisburgs Bürgermeister, Adolf Sauerland, CDU, bleibt im Amt. Veranstalter, Polizei und die Stadtverwaltung schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Zäsur Sprecherin: Christian Wulff ist Bundespräsident, Roland Koch geht in die Wirtschaft, der nordrhein-westfälische CDU-Chef Jürgen Rüttgers hat sich inzwischen auch aus der Politik verabschiedet. Da geht schon der Nächste. O-Ton Beust Ich möchte ihnen mitteilen, dass ich heute dem Präsidenten der Hamburgischen Bürgerschaft meinen Rücktritt mitgeteilt habe. Sprecherin: Am 18. Juli tritt der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust zurück. O-Ton Beust Die biblische Erkenntnis: ‚Alles hat seine Zeit', gilt auch für Politiker. Sprecherin: Nach 32 Jahren in der Landespolitik hat Ole von Beust nun genug. Die Bürgerschaft wählt Christoph Ahlhaus zum Nachfolger. O-Ton Ahlhaus Schwarz-Grün hat in den vergangenen gut zwei Jahren eine engagierte Arbeit für Hamburg geleistet. Diese möchte ich fortsetzen. Sprecherin: Nach wenigen Wochen kündigen die Grünen die Koalition auf, genervt von der CDU und vom politischen Alltag zerrieben. Nun muss neu gewählt werden. Musik Sprecherin: Es ist August, das Parlament ist in der Sommerpause. Die Kanzlerin macht Urlaub. O-Ton Merkel Ich habe mir vorgenommen auszuschlafen. Es waren doch recht aufreibende Monate. Sprecherin: Die Atempause ist kurz. O-Ton Gabriel Irgendwie ist es keine so richtig große intellektuelle Herausforderung heute, was zu Ihrem Haushalt zu sagen und zu Ihrer Regierungspolitik. Sprecherin: Es beginnt der von Angela Merkel angekündigte Herbst der Entscheidungen. - Mit einem Schlagabtausch zwischen der Kanzlerin und dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel bei der Verabschiedung des Haushalts 2011 im Parlament. Collage Gabriel/Merkel Wie viele Neuanfänge möchten Sie der Republik eigentlich noch zumuten? Hören Sie doch mal zu! Ich nehme an, dass Sie auch glauben, Sie könnten Gänse vom Sinn von Weihnachten überzeugen. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was es da zu lachen gibt. Seit einem Jahr sind Sie gemeinsam mit ihren Kabinettskollegen auf Selbstfindungstrip. Aus Ihrem Schreien spricht doch nur Ihr schlechtes Gewissen. Es gibt mehr Netto vom Brutto als Dankeschön an Hoteliers, reiche Erben und große Konzerne. Wer da von sozialem Kahlschlag spricht, der, eh, der lügt. Atmo Demo Sprecherin: Die Atomkraft spaltet das Land und die Politik. Zehntausende Menschen demonstrieren gegen die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Im Eiltempo wird das Energiegesetz durch das parlamentarische Verfahren gepeitscht. Die Opposition fühlt sich übergangen. Änderungen werden abgeblockt. Volker Beck, Bundestagsabgeordneter der Grünen. O-Ton Beck Was wir am Dienstag im Umweltausschuss erlebt haben, war ein Putsch gegen die Rechte der Opposition, war ein Bruch von Verfassung und Geschäftsordnung des Hohen Hauses. Sprecherin: Kernpunkt des Gesetzes, das am 28.Oktober vom Bundestag beschlossen wird, ist die Verlängerung der Atomlaufzeiten um acht bis vierzehn Jahre. Von den zusätzlichen Gewinnen der vier Betreiber will die Koalition bis zu 30 Milliarden Euro abschöpfen und in den Ausbau erneuerbarer Energien investieren. Für Peter Altmaier von der CDU ist es... O-Ton Altmaier ... das modernste, das umweltfreundlichste Gesetz zur Energiepolitik, das in diesem Haus jemals diskutiert worden ist, beraten und verabschieden. O-Ton Gabriel Nichts anderes als eine Auftragsarbeit der Atomindustrie. Sprecherin: ...ist es für den SPD Vorsitzenden Sigmar Gabriel und Gregor Gysi ergänzt: O-Ton: Gysi Die Stadtwerke haben heute eine schöne ganzseitige Anzeige gemacht: Vier gewinnen, Millionen verlieren. Recht haben die Stadtwerke, die haben nämlich fehlinvestiert, weil die ja von dem alten Kompromiss ausgegangen sind. Selbst die Stadtwerke ruinieren Sie, auch das macht Ihnen nichts aus. Zäsur O-Ton Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie und ebenso herzlich begrüße ich unseren Gast Thilo Sarrazin. Sprecherin: Ähnlich wie die Atomenergie spaltet ein anderes Thema die Republik: die Integration. Angestoßen wird die Diskussion von einem Mann, der sein Buch verkaufen möchte. Thilo Sarrazin will uns warnen: "Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen." O-Ton Sarrazin Wer durch unser Transfersystem angezogen wird, wer große Zahlen abhängiger Familienangehöriger nach sich zieht, wer unser Kultur ablehnt, der wird als Zuwanderer langfristig gesellschaftlich und finanziell mehr Kosten verursachen, als er der Gesellschaft bringt. Sprecherin: Rechnet der Bundesbanker vor. Von Sarrazin vertretene unhaltbare Thesen und seine provokanten Medienauftritte lösen eine Personaldebatte in der Politik aus. Kurz darauf erklärt Bundesbankpräsident Axel Weber: O-Ton Weber Der Vorstand der Deutschen Bundesbank hat heute beschlossen, beim Bundespräsidenten den Antrag zu stellen, Herrn Doktor Thilo Sarrazin aus dem Vorstand der Bundesbank abzuberufen. Sprecherin: Bevor es zur Entlassung kommt, einigen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf das Ende des Arbeitsverhältnisses "im gegenseitigen Einvernehmen". Auch die SPD möchte den provokanten Genossen loswerden und leitet ein Ausschlussverfahren ein. Das Buch von Thilo Sarrazin ist ein Bestseller. Die Integrationsdebatte bringt es kaum voran. CDU und CSU aber sehen sich genötigt, ihr konservatives Profil zu betonen. Angela Merkel und Horst Seehofer. O-Ton Merkel Natürlich war der Ansatz zu sagen, jetzt machen wir hier mal Multikulti, leben so nebeneinander her und freuen uns übereinander, dieser Ansatz ist gescheitert, absolut gescheitert. O-Ton Seehofer Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein. Multikulti ist tot. Atmo Trillerpfeifen O-Ton Wir bauen hier für die nächsten 100, 150 Jahre! Das ist ein Generationenprojekt. Sprecherin: Stuttgart 21: Woche für Woche wird gegen das Bahnhofsprojekt demonstriert. O-Ton Frau Dass ich in meinem Alter mit 71 hier sitze, im Matsch stehe, das habe ich mir früher nicht vorstellen können. Sie sehen, ich komme absolut aus dem bürgerlichen Spektrum, die Perlenkette ist nicht umsonst heute um meinen Hals, aber so geht's nicht weiter, wir werden ja so - Entschuldigung - verarscht. Sprecherin: Am 30. September eskaliert die Situation in der Landeshauptstadt von Baden-Württemberg. O-Ton junger Mann Trommeln, dann Rufe: Aufhören. Ich war ganz vorne dabei und die Polizisten haben dann angefangen, auf uns einzuhauen, uns wegzudrängen, wir sind einfach nicht weggegangen, wir wollten uns dann hinsetzen, da haben die aus dem Gürtel Pfefferspraydosen gezogen und uns ins Gesicht gesprüht, mein ganzes Gesicht brennt noch. Sprecherin: Die Landesregierung und die Deutsche Bahn lenken ein, setzen sich mit den S21-Gegnern an einen Tisch. Heiner Geißler wird als Schlichter berufen. Bis zu 1,5 Millionen Zuschauer verfolgen allein beim Fernsehsender Phoenix die Debatte. O-Ton Geißler Dieser Faktencheck ist weitgehend gelungen, angesichts der Komplexität des Problems fast ein Wunder. Ich empfehle der Bahn aus Kritikpunkten Konsequenzen zu ziehen. Dennoch halte ich die Entscheidung, Stuttgart 21 fortzuführen, für richtig. Sprecherin: Das Projekt muss behindertenfreundlicher werden, die Immobilien soll eine Stiftung verwalten - und: die Bahn muss durch einen so genannten Stresstest nachweisen, dass der neue, unterirdische Bahnhof wirklich die versprochene höhere Leistungsfähigkeit hat - oder nachbessern. Das Ergebnis wird erst nach der Landtagswahl vorliegen. Bis dahin wird weiter gebaut und weiter demonstriert. O-Ton Merkel (Beifall) und deshalb braucht man auch bei völlig rechtmäßig getroffenen Entscheidungen in Stuttgart keine Bürgerbefragung, sondern die Landtagswahl im nächsten Jahr, die wird genau die Befragung der Bürger über die Zukunft Baden-Württembergs sein, über Stuttgart 21 und viele andere Projekte mehr. Zäsur Sprecherin: Das nächste Projekt im Herbst der Entscheidungen ist am 18. November die Gesundheitsreform. O-Ton Rösler Der Bambus wiegt sich im Wind und biegt sich im Sturm, aber er bricht nicht! O-Ton Thierse Das Wort hat der Bundesminister für Gesundheit, Philipp Rösler. O-Ton Rösler Der Einstieg in eine andere Finanzierung, dauerhaft stabil und unabhängig von der wirtschaftlichen Lage, ist geschaffen durch die Entkopplung des Krankenversicherungsbeitrages von den Lohnzusatzkosten. Sprecherin: Alle zukünftigen Beitragssteigerungen tragen die Arbeitnehmer allein. Für 2011 gilt: O-Ton Rösler Dabei werden alle Beteiligten gleichermaßen in Anspruch genommen. Arbeitgeber, Arbeitnehmer - durch die Rückführung auch des Krankenversicherungsbeitrages auf das Niveau von vor der Krise. Sprecherin: Der Beitrag steigt von 14,9 auf 15,5 Prozent. Die Krankenkassen können unbegrenzt und unabhängig vom Einkommen Zusatzbeiträge erheben. Wenn diese über zwei Prozent des Einkommens liegen, soll der Versicherte einen Steuerausgleich bekommen. Ein bisschen Kopfpauschale also und Entlastung für die Arbeitgeber - für die SPD der Anfang vom Ende. Andrea Nahles: O-Ton Nahles Nach meiner Auffassung erleben wir hier heute den ersten Schritt in die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Hier wird versucht, die Prinzipien der privaten Krankenversicherung einer im Kern intakten Solidargemeinschaft überzustülpen. Sprecherin: Und noch etwas ärgert die Opposition. Der Minister bittet die Patienten um Vorkasse. Zäsur Sprecherin: Ein zweites Projekt des Gesundheitsministers stand wenige Tage zuvor im Bundestag zur Abstimmung. O-Ton Ich rufe auf die Tagungsordnungspunkte 5a und 5b: Beratung mehrerer Vorlagen zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes. Sprecherin: Der Gesundheitsminister will zwei Milliarden im Arzneimittelbereich sparen und nach eigener Ankündigung das Preismonopol der Pharmaindustrie brechen. O-Ton Rösler Kein Zusatznutzen, also auch keine zusätzliche Bezahlung, wir jedenfalls wollen die bisherigen Anreize für Scheininnovationen, dass also Medikamente nur ihren Namen, ihre Farben, ein paar Molekülgruppen verändern, diese Anreize für Scheininnovationen wollen wir ändern. O-Ton (Beifall) Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lauterbach, von der SPD-Fraktion. O-Ton Lauterbach Das Gesetz, über welches heute abgestimmt wird, ist - um in der Sprache der Pharmaindustrie zu bleiben - nichts anderes als eine Mogelpackung. (Beifall) Sie haben doch keinen einzigen Vorschlag gemacht, wie man den Patienten schützen soll vor der Verabreichung von Arzneimittel, die gar keine Wirkung haben oder die überteuert sind. Sie haben lediglich Preisverhandlungen eingeführt und diese Preisverhandlungen werden geführt auf der Grundlage von Vorschlägen zu Preisen der Pharmaindustrie - auf der Grundlage von Studien, die die Pharmaindustrie selbst vorlegt. Sprecherin: Beide Reformen des Gesundheitsministers werden mit den Stimmen der Koalition angenommen, die Mehrheit der Bürger aber kann er damit nicht überzeugen. Zäsur Sprecherin: Der zweite junge und forsche Minister aus der Riege um Angela Merkel bleibt in der Beliebtheitsskala der Bürger ganz oben und schiebt sich immer mehr in den Vordergrund. Imagebewusst inszeniert er sich als modern, konservativ, durchsetzungsfähig. O-Ton Merkel Karl-Theodor zu Guttenberg wird später über die Sicherheitspolitik sprechen. Und er - Jubel - ist jetzt der Beifall für Karl-Theodor zu Guttenberg oder für die Frauenquote? Sprecherin: ...scherzt die Kanzlerin auf dem CSU-Parteitag. Hieß es wenige Wochen zuvor noch, die Debatte über die Aussetzung der Wehrpflicht könnte die CSU zerreißen, stützt die Partei ihren Minister mit einem klaren Votum. Auch die anderen Koalitionspartner stimmen zu. O-Ton Merkel Wir haben uns der Meinung des Verteidigungsministers angeschlossen, dass die augenblickliche sicherheitspolitische Lage es zulässt, auf die Einziehung von Wehrpflichtigen zu verzichten in absehbarer Zeit, die Wehrpflicht sozusagen auszusetzen und durch einen freiwilligen Wehrdienst zu ersetzen. Zäsur Sprecherin: Mit einer Pressekonferenz schreckt Innenminister Thomas de Maiziere Mitte November die Deutschen aus ihrer beschaulichen Ruhe auf. O-Ton de Maiziere Nach Hinweis eines ausländischen Partners, der uns nach dem Jemen-Vorgang erreicht hat, soll Ende November ein mutmaßliches Anschlagsvorhaben umgesetzt werden. Sprecherin: Tage zuvor hatte es bereits ein gefährliches, an Angela Merkel adressiertes Paket aus Griechenland bis in die Poststelle des Kanzleramtes geschafft und Al Kaida schickte aus Jemen Sprengstoff- Fracht über internationale Luftwege auf Reisen. O-Ton de Maiziere Meine Damen und Herren, es gibt Grund zur Sorge, aber keinen Grund zur Hysterie. Zäsur O-Ton Merkel Als ich Bundeskanzlerin wurde, hat die Zeitung mit den großen Buchstaben in den üblichen großen Buchstaben geschrieben: fünf Millionen Arbeitslose, Frau Merkel, das sind jetzt Ihre. Ich habe das hingenommen, da waren es meine. Aber ich sage auch, ich bin stolz darauf, dass wir heute sagen können: wir haben unter drei Millionen Arbeitslose. Sprecherin: Das Jahr geht zu Ende. Der deutschen Wirtschaft geht es besser als erwartet. Die Steuereinnahmen sind höher als angenommen, die Arbeitslosenzahlen sind gesunken. Aber in Europa kriselt es. Am 22.November suchen die Iren Schutz unter dem finanziellen Rettungsschirm der EU. Die Diskussion um eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion geht weiter, in kleinen Schritten, denn wesentliche Änderungen des vor einem Jahr erst beschlossenen Lissabon-Vertrages lehnen die meisten EU-Mitglieder ab. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger: O-Ton Spindelegger Die Büchse der Pandora will niemand öffnen. Zäsur Sprecherin: Den deutschen Parteien bringt das kommende Jahr bringt neben der Herausforderung Europa sieben Landtagswahlen. Die Kanzlerin gibt sich zum Jahresende selbstbewusst. Schwarz-Rot, Schwarz-Grün? O-Ton Merkel Das sind Illusionen, das sind Hirngespinste. Sprecherin: Die Aussichten für die Grünen sind gut, sie gehen kämpferisch ins neue Jahr. O-Ton Özdemir Wer uns wählt, weiß, er bekommt auch Zumutungen. Sprecherin: Der SPD, zwischenzeitlich in Umfragen gleichauf mit den Grünen, fällt die Kursbestimmung nach wie vor schwer. O-Ton Gabriel In Wahrheit brauchen wir nur Mut. Sprecherin: Und die FDP, die in diesem Jahr einen unaufhaltsamen Abstieg hingelegt hat ? O-Ton Westerwelle Ihr kauft mir den Schneid nicht ab! Sprecher vom Dienst Es wird zurückgetreten! O-Ton Merkel So kann man Deutschlands Zukunft nicht gestalten. Sprecher vom Dienst Der politische Jahresrückblick 2010 Von Constanze Lehmann Es sprach: Eva Kryll Ton: Lutz Pahl Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 1